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Jack Farland hat eine Beschäftigung auf der Lemon Ranch gefunden, und sein Leben wirkt nahezu unbeschwert. Doch die Ruhe währt nicht lange, denn er gerät an Sheriff Rob Larkin - einen korrupten Gesetzeshüter, der sich mit dem Kriminellen Gibbons verbündet hat. Überdies scheint er auch Lizzi Lemon, die Tochter des Ranchers, zu begehren. Nach einem Streit verlässt Jack die Ranch und kehrt nach Canute zurück. Dort wird er in eine Auseinandersetzung zwischen Gibbons und den Bonney-Brüdern verwickelt. Fälschlicherweise des Mordes und der Brandstiftung beschuldigt, bleibt dem Ohioman bloß die Flucht. Aber es kommt noch schlimmer ...
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Seitenzahl: 170
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
Sheriff Larkin
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Von Jonny Kent
Jack Farlands Leben hatte sich inzwischen deutlich verbessert. Er arbeitete nun auf einer Ranch, die sich südlich vom Canadian befand und nur vier Meilen von Canute entfernt lag. Zwar herrschten in den südlichen Breiten hohe Temperaturen, aber das Gelände des Hofs machte schon was her. Insgesamt standen zehn Cowboys hier in Brot und Lohn, und er ganz allein war deren Vormann. Einen besseren Job konnte sich der Ohioman nicht wünschen. In den ersten Tagen war er dennoch sehr argwöhnisch gegen sein Geschick gewesen, weil all das, was er sich erträumt hatte, hier in überreichem Maße eingetroffen war. Er hatte einen sicheren Job, und mehr als das: Er hatte zwei Menschen als Freunde gewonnen ...
Konkret handelte es sich um: Samuel Lemon, den ehemaligen Prediger aus Boston, der die Ranch von seinem Schwager geerbt hatte, und dessen Treck Jack Farland hier heruntergeführt hatte. Die zweite Person war Lemons Tochter Lizzi. Das blonde, blauäugige Mädchen hatte Jack dazu veranlasst, die Bitte ihres Vaters, den Treck nach Oklahoma zu führen, anzunehmen. Jack hatte allen Grund zu glauben, dass Lizzi ihn liebte.
Aber wie wenig sicher der Job auf der großen Ranch war und wie launenhaft das Glück, sollte er noch an diesem Tag erfahren.
Es war gegen elf Uhr am Vormittag.
Jack hatte für heute den Bau eines neuen Schuppens vorgesehen und wollte die Arbeiten selbst leiten. Unter »leiten« verstand er nicht etwa Zusehen und Kommandieren, sondern Arbeiten. Er selbst hatte den Plan zu dem Schuppen skizziert und ihn dem Boss am Vorabend gezeigt. Lemon war, wie meist, mit allem, was der neue Vormann ihm brachte, einverstanden.
Als die Cowboys sich am frühen Morgen an die Arbeit machten, die Baumstämme heranschleppten, zersägten und Bretter stapelten, stand der blonde Hüne vom Eriesee an dem von den morschen Brettern des ehemaligen Schuppens befreiten Platz und schleppte mit dem alten Broderson den ersten Balken heran. Er war ein guter Arbeiter, der Ohioman Jack Farland und die Cowboys waren begeistert von ihm.
Hin und wieder tauchte drüben am Wohnhaus der Ranchersleute hinter einer der Gardinen der blonde Schopf Lizzi Lemons auf. Mit großen Augen blickte sie zu Farland hinüber, der da zwischen den Männern stand und selbst den größten von ihnen noch um eine halbe Kopfeslänge überragte.
Der blonde Hüne hatte ihr im ersten Augenblick schon gefallen, als sie ihn oben in Kansas, in der kleinen Stadt Kinsley, zum ersten Mal gesehen hatte.
Plötzlich wandte sie den Kopf und blickte auf einen Reiter, der in diesem Moment durch das Ranchtor auf den breiten Hof kam.
Es war ein großer, kräftiger Mann Mitte dreißig, der einen dunkelgrauen Anzug trug, ein weißes Hemd und eine schwarze Halsschleife. Er saß auf einem Schimmel und hielt auf das Ranchhaus zu. Als er abstieg und die roten, ledernen Zügelleinen um die Halfterstange warf, konnte Lizzi sein Gesicht deutlich erkennen.
Es war ein äußerst wohlgeformtes Männergesicht, in dem ein graues Augenpaar stand, das unter geradezu schwarzen Brauen lag. Die Nase war hart und kurz, der Mund energisch und das Kinn stark ausgeprägt. Die Haut des Mannes hatte einen etwas blassen Ton, der jedoch zu seinem dunklen Haar gut passte.
Er trug einen grauen Hut vom Fabrikat Stetson, den er auf eine raffinierte Weise schräg aufgesetzt hatte, sodass die Krempe dicht über seinem rechten Ohrrand lag. Die Halsschleife war aus breitem Samtband, und das Hemd hatte weiße Rüschen. Unter der Jacke, die er jetzt aufschlug, als er vom Pferd gestiegen war, blickte eine rot-schwarz karierte Weste hervor, über der eine goldene Uhrkette blinkte.
Sein Körper wurde von einem breiten Brustkasten, schmalen Hüften, breiten Schultern und langen, leicht gebogenen Beinen gepägt.
Lizzi blickte ihn aus weit geöffneten Augen verwundert an.
Wer war denn das?
Mit ein paar raschen Schritten trat der Mann auf den Verandavorbau des Ranchhauses zu, blieb da stehen, schob die Hände in die Hüften, und jetzt sah Lizzi Lemon auf seiner linken Brustseite einen großen sechszackigen Stern aus dickem Silberblech in der Sonne blitzen.
Ein Sheriff!
Da trat sie näher ans Fenster, schob die Vorhänge zurück und zog das Fenster hoch. Während sie sich auf das Fenstersims aufstützte und die bewundernden Blicke des Mannes genoss, sagte sie mit einem Lächeln: »Hallo, Sheriff.«
»Hallo, Miss, sind Sie Miss Lemon?«
»Ja.«
Der Sheriff trat näher und zog seinen Hut. Sein Haar war blauschwarz und in dichte Wellen gelegt.
»Ich bin Rob Larkin, der Sheriff von Canute.«
Lizzi ließ sich auf der Fensterbank nieder, lehnte sich gegen den Rahmen und reckte ihm ihr hübsches Gesicht entgegen.
Es war wirklich ein hübsches Gesicht. Zwar war der Sattel der kleinen Stupsnase mit einigen Sommersprossen besprenkelt, aber dafür waren ihre Augen von einem so wasserhellen, hübschen Blau, dass man stundenlang in sie hineinsehen konnte. Ihr langes blondes Haar hing ihr in Korkenzieherlocken über die Schultern. Sie trug ein himmelblaues Kleid mit weißen Tupfen und einem großen weißen Kragen.
Larkin nahm sein rechtes Bein hoch und setzte seine spiegelblank geputzte Stiefelette auf die Fensterbank.
»Das ist wirklich eine ganz unglaubliche Überraschung.«
»Finden Sie?«
Es war der Fehler der süßen kleinen Elizabeth Lemon, dass ihr dummes Herz allzu schnell entflammte.
Sie hätte es sich niemals träumen lassen, hier in dieser Einöde einen so schönen, eleganten Mann zu finden. Vergessen war nun der blonde, dunkelgesichtige und grünäugige Hüne vom Eriesee, der sie über die lange Strecke von Kansas durch die vielen Gefahren so sicher hier heruntergebracht hatte.
Seit sie hier waren und der große Treck vorüber war, langweilte sie sich, obgleich der große Hof auch für die Tochter des Ranchers Beschäftigung genug bot. Aber Lizzi langweilte sich trotzdem. Die drei Mägde, die der Vater eingestellt hatte, nahmen ihr die gröbste Arbeit ab, und sie erschien eigentlich nur in der Küche, um Befehle über die Zusammenstellung des Essens zu erteilen, und das war ihr schon lästig.
Überhaupt schien sich ihr Charakter in diesem einen Monat ziemlich gewandelt zu haben. Bisher war sie das aufopferungsvolle Geschöpf gewesen, das alles für den Vater getan hatte, das einen Jubelschrei ausstieß, als damals die Nachricht von der Erbschaft völlig unerwartet in Boston eintraf.
Jetzt blickte sie den Sheriff aus ihren himmelblauen Augen strahlend an.
»Das Kompliment muss ich Ihnen zurückgeben, Mr. Larkin. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es so einen gutaussehenden Mann in unserem County gibt.«
»Wenn ich gewusst hätte, welch eine Rose hier im Verborgenen blüht, dann wäre ich bestimmt schon am ersten Tag hier herausgekommen. Das kann ich Ihnen schwören.«
»Schwören Sie nicht«, sagte sie, während sie nach seiner großen, kräftigen Hand griff, die er ihr mit drei Schwurfingern entgegenhielt.
In diesem Augenblick drehte sich Jack Farland drüben an der Baustelle um. Er hatte den Schimmel vor der Veranda entdeckt und sah jetzt auch den Mann vor dem Fenster von Lizzis Zimmer stehen. Und dann sah er sie selbst. Sah, wie sie sich zurücklehnte, lächelte und den Mann regelrecht anhimmelte.
Ein Stich zuckte durch die Brust des großen Mannes zum Herzen. Er ließ den Hammer fallen, wandte sich ab, stieg über einen Balkenstapel und ging um den Strohschuppen herum zum Corral.
Da stand sein Brauner, der Wallach, der ihn über eine so lange Strecke durch dieses staubige Land hierher getragen hatte.
Wie lange war es schon her, dass er von Cleveland oben in Ohio am Eriesee aufgebrochen war, um in den Westen zu ziehen?
»Du bist ein Abenteurer«, hatte der Vater mahnend gesagt, als Jack sich verabschiedete.
Aber Jack wollte kein Abenteurer sein. Er wollte in den Westen, um Cowboy zu werden. Er hatte deshalb seinen Bruder aufsuchen wollen, der in Indiana eine Ranch besaß, hatte aber nur einen Toten gefunden.
Sein Bruder war leider von einem Schießer namens Fuller ermordet worden. Es hielt Jack insofern dort nicht lange und er zog weiter nach Westen.
Der flimmernde Stern, der ihn leitete, führte ihn von einem Abenteuer ins andere. Kampf war sein Leben gewesen, seit er die Heimat verlassen hatte. Dabei suchte er doch nichts weiter als einen Job auf einer schönen großen Ranch, auf der er arbeiten konnte und sein Auskommen hatte. Aber das Schicksal schien sich gegen ihn verschworen zu haben.
Als er nach einer Viertelstunde in den Hof zurückkam, sah er den Schimmel immer noch vor dem Vorbau stehen. Der Mann allerdings war nicht mehr auf der Veranda zu sehen. Er war also im Haus.
Und wo war Liz?
Die Frage brannte ihm unter den Nägeln, und er hätte sich ohrfeigen können, dass sie ihm so zu schaffen machte.
Wie konnte er sich auch nur so in die Rancherstochter verlieben? Tja, unterwegs auf dem Treck, da war alles anders gewesen. Da war sie ein hilfloses Geschöpf, das in Angst vor Indianern und vor weißen Banditen erstarrte. Da war sie ein Mädchen gewesen, die so zart wirkende Lizzi Lemon, das Hilfe brauchte, das ihn aus bangen, großen und so sehnsuchtsvollen Augen ansah.
Wie hatte doch Jacks Vater gesagt? »Mit dem Glück ist kein ewiger Vertrag zu schließen.«
Er blickte nun zum Schuppenbau hinüber, wo die Arbeit ins Stocken geraten zu sein schien. Langsam schlenderte er auf die Cowboys zu, die sich jetzt nach ihm umblickten.
Arbeit, ja, das war das Einzige, was das Leben noch lebenswert machte. Er stürzte sich mit einer wahren Wut an den Bau des Holzschuppens, und als er kurz vor eins die Säge aus der Hand legte und sich umdrehte – stand der Schimmel immer noch drüben vor der Veranda des Wohnhauses.
Am Küchenfenster ertönte die Triangel und schickte einen scharfen, bellenden Ton über den Hof.
Die Cowboys ließen die Arbeitsgeräte jetzt aus den Händen fallen und gingen zum Bunkhaus hinüber.
Da kamen die beiden Mägde schon mit dem kleinen Leiterwagen an, auf dem die Essenskübel, die blanken Blechteller und Bestecke in der Sonne blinkten.
Jack wandte sich nun ab, blickte über den weiten Hof durch das offene Tor in die Savanne hinaus. Dann ging er zum Stall hinüber, blieb an der Box stehen, in der der graue Hengst stand, den der Rancher ihm geschenkt hatte, als er hier angekommen war.
»Das ist die Bezahlung, die ich Ihnen schulde«, hatte der grauhaarige Samuel Lemon gesagt und auf dieses prächtige Pferd gedeutet.
Jack hatte den Kopf geschüttelt.
»Nein, ein so kostbarer Preis war nicht verabredet, Mr. Lemon. Wir hatten lediglich achtzig Dollar ausgemacht.«
»Ist dieses Pferd vielleicht keine achtzig Dollar wert?«
»Es ist das Dreifache wert. Deshalb eben kann ich es nicht annehmen.«
»Nehmen Sie es, ja. Ich bitte Sie darum.«
Als er dann einen Proberitt machte, unterwegs einmal abstieg und die Hand auf den neuen Sattel legte, hatte er aus der linken Satteltasche einen Zettel lugen sehen.
Er öffnete die Tasche und nahm den Zettel heraus.
In Lizzis runder Schrift stand da zu lesen: Und die vereinbarten achtzig Dollar sind hier in der Tasche.
Er griff hinein und fand das Geld tatsächlich.
Da hatte ihn ein warmes Gefühl für die beiden Menschen ergriffen, mit denen ihn das Schicksal offensichtlich verbinden wollte. Das Schicksal, das nun hoffentlich und endlich den Weg in eine bessere Zukunft für ihn freigegeben hatte.
Er ließ seine Hand über den Rücken des grauen Hengstes gleiten und klopfte dem Tier auf den blanken Hals. Langsam ging er dann zum Hof zurück – und sah, dass der Schimmel vor der Veranda verschwunden war. Da drüben sprengte der Mann eben in voller Karriere durchs Tor und zog eine Staubfahne hinter sich her. Ein Irrsinn, das Tier, das die ganze Zeit in der Sonnenglut hatte stehen müssen, jetzt so zu traktieren. Ein Pferdefreund war der Mann ganz sicher nicht.
Den restlichen Tag ging Jack Farland der Rancherstochter aus dem Weg, wo es sich nur einrichten ließ; und er ahnte nicht einmal, dass er ihr damit einen Gefallen tat.
Am frühen Morgen des nächsten Tages ließ Lizzi, nachdem ihr Vater wieder mit einigen Cowboys zu einem anderen Vorwerk seiner Weide geritten war, den Highlander herausholen und die beiden Rappen vorspannen. Das Sonntagsgeschirr musste den Tieren angelegt werden, und als Jack, der wieder mit dem Schuppenbau beschäftigt war, zum Ranchhaus hinüberblickte, glaubte er, nicht richtig zu sehen: War die Frau, die da jetzt aus dem Haus trat, tatsächlich Lizzi Lemon?
Sie hatte sich herausgeputzt!
Auf dem Kopf trug sie einen breiten Hut mit gewaltigen Straußenfedern, den er noch nie bei ihr gesehen hatte und den sie wahrscheinlich aus Boston mitgebracht hatte. Er passte überhaupt nicht hierher in dieses heiße, staubige, raue Land, schon gar nicht auf eine Ranch.
Überdies war sie mit einem grauen Reisekostüm bekleidet, das ihr ausgezeichnet stand, wie er sich zugestehen musste, und hatte eine hübsche weiße Tasche, die an einem langen Band hing, in der linken Armbeuge hängen.
Mit wiegenden Hüften schritt sie die Treppe hinunter, nahm die stützende Hand des rothaarigen Cowboys Hennessy, der immer auftauchte, wenn sie irgendwo zu sehen war, und stieg auf den Wagen. Mit einem harten Ruck zogen die beiden Gäule an.
Als der Wagen das Hoftor passierte, stützte sich Lizzi mit der Rechten auf die metallene Lehne auf und blickte noch einmal zurück. Obwohl er ihr Gesicht nicht erkennen konnte, glaubte Jack, doch so etwas wie ein spöttisches Lachen in ihren Zügen gesehen zu haben.
Als sie mittags zurückkam, war von dem spöttischen Lächeln nichts mehr zu sehen. Stattdessen sah der Mann vom Eriesee ganz deutlich einen verklärten Zug um ihren Mund und ein verträumtes Lächeln in ihren Augen.
Zwei Tage später fuhr sie wieder allein in die Stadt. Diesmal kam sie erst zurück, als es Abend geworden war.
Schweigend verrichtete Jack Farland seine Arbeit. Er war zu der Einsicht gelangt, dass es nicht seine Sache sei, was da geschah, dass es ihn nichts anging, gar nichts. Dies hier war die Ranch von Samuel Lemon, und diese Frau da war seine Tochter. Er hatte keinerlei Anspruch und keinerlei Recht auf sie, also war es einzig ihre Sache, was sie tat.
Dann erwischte er sich kurz darauf wieder bei der Überlegung, es sei vielleicht gar nicht so sicher, dass sie in der Stadt auch den Mann getroffen hatte, der neulich hier auf der Ranch gewesen war.
Was mochte dieser aufgetakelte Dandy für ein Bursche sein? Wie konnte sich ein Mensch in einem so staubigen, heißen Land nur so kleiden?
Aber auch das ging ihn letztlich nichts an.
Am nächsten Tag hatte er in der Stadt eine Besorgung zu machen. Er nahm Mike Hennessy mit, obwohl er den am wenigsten leiden konnte.
Das war auch einer der Ratschläge, die der Vater ihm mit auf den Weg gegeben hatte: »Sieh zu, dass du Leute, die du nicht magst, zu deinen Freunden machst; vermeide auf jeden Fall, sie zu deinen Feinden zu machen.«
Weshalb konnte er eigentlich den Rotschopf nicht leiden? Als er jetzt neben ihm auf dem Kutschbock saß, blickte er ihn verstohlen von der Seite an.
Hennessy hatte ein grobes Gesicht, das so aussah, als wäre es aus altem Wurzelholz geschnitten. Die Nase saß knollenartig darin, die roten Brauen waren über der Nase zusammengewachsen, und die Stirn war mit Beulen übersät. Der Schädel saß auf einem gewaltigen Stiernacken.
In der Tat, er war ein scheußlicher Bursche – nicht anzusehen. Was fiel diesem Jungen eigentlich ein, so um die Tochter des Ranchers herumzuscharwenzeln? Bildete er sich allen Ernstes ein, dass sie für ein solches Subjekt auch nur einen Blick haben würde?
Canute war eine kleine Stadt, wie sie im mittleren Oklahoma häufig zu finden waren. Die meisten Häuser waren zweigeschossig und aus Holz gebaut. Dazwischen sah man vereinzelt auch eingeschossige, weiße Häuser mit ihren typischen Adobewänden, die schon stark an Texas oder gar an Mexiko erinnerten.
Jack hielt den Wagen vor der Cantina an, führte den langbeinigen Rotfuchs in den Schatten zu einer Tränke und ging dann zum Haus, das neben der Cantina lag.
Hennessy, der auch abgestiegen war, wollte ihm erst folgen, klopfte sich dann gegen seinen Schädel und hielt auf den Eingang der Schenke zu.
Die Cantina war nichts anderes als eine Bar, ein gewöhnlicher Saloon, der zu ebener Erde lag und in einem steinernen Haus untergebracht war. Ein behäbiger Wirt saß hinter der Theke auf einem hohen Hocker und blickte dem Cowboy entgegen.
»Na, allein in der Stadt?«
»Nein, der neue Vormann ist mitgekommen.«
»Ah, wie ist es denn mit dem?«
»Wie soll's schon sein. Er ist scharf auf die Rancherstochter, und auch sonst gefällt er mir nicht.«
»Wieso? Er macht doch einen ganz ordentlichen Eindruck.«
»Das scheint nur so!«, krächzte Hennessy gehässig.
Jack Farland hatte inzwischen den General-Store aufgesucht, der neben der Cantina lag.
Ein kleiner untersetzter Mann mit eingefallenem, krankem Gesicht und großen Augen, die aussahen wie Glaskugeln, wischte sich die Schmierseife ab, die er eben mit den Händen aus einem Fass in einen Topf gefüllt hatte.
»Was darf es sein, Mister?«, wandte er sich an Jack.
Der gab seine Bestellungen auf.
»Das ist ja eine ganze Menge. Ich glaube, Sie sollten inzwischen nebenan in die Cantina gehen, um sich den Staub etwas aus der Kehle zu spülen. In einer halben Stunde ist alles fertig.«
»All right«, entgegnete Jack und schlenderte auf den Vorbau zu. Als er auf der Straße stand, drang plötzlich ein fürchterlicher Lärm an sein Ohr, der drüben aus der Gasse kommen musste. Ganz deutlich waren die Schreie eines Jungen zu hören und die klatschenden Schläge, die er offensichtlich bekam.
Jack ging nun ein paar Schritte auf die Straße hinaus und konnte von dort aus in die Gasse sehen.
Da stand ein großer, muskulöser Mann, der einen vielleicht vierzehnjährigen Jungen mit deftigen Ohrfeigen gegen eine Hofpforte trieb und ihm ebenfalls die Faust in den Magen schlug. Und auch obwohl der Junge bereits zusammensank, verpasste er ihm einen kräftigen Schlag ins Genick und schlussendlich einen Fußtritt.
Der Junge stand trotz allem unmittelbar wieder auf. Es war wirklich unglaublich, dass er diese Traktierung überstanden hatte.
Jetzt sah Farland, dass es ein Indianerjunge war. Er hatte tiefschwarzes Haar und einen bronzebraunen Körper. Sein Gesicht blutete an mehreren Stellen, und das linke Auge war schon angeschwollen.
Der Mann, der vor ihm stand, brüllte: »Was, du kommst wieder hoch, du verfluchte rote Kröte? Na, dir werde ich's geben!« Damit hieb er erneut auf den Jungen ein.
Jack konnte sich jetzt nicht mehr zurückhalten und lief rasch vorwärts, fiel dem Mann in den Arm und riss ihn zurück.
Daraufhin blickte er in ein zornfunkelndes Augenpaar.
Bei dem Schläger handelte es sich eindeutig um den Mann, der mit dem Schimmel auf die Ranch gekommen war und sich so lange mit Lizzi Lemon unterhalten hatte. Erst jetzt sah Jack links auf seiner Brust den großen sechszackigen Stern aus Silberblech.
Es war also der Sheriff!
»Was fällt Ihnen denn ein, Mensch? Wie können Sie es wagen, mir in den Arm zu fallen, wenn ich die dreckige Rothaut da zurechtstutze?«
Hochaufgerichtet stand der Mann vom Eriesee da und blickte den Sheriff aus kühlen smaragdfarbenen Augen an.
»Es ist mir egal, ob es ein Indianer ist. Für mich ist es ein Junge ... und ich finde es verdammt armselig, wenn ein Mann einen Jungen so zusammendrischt.«
Der Sheriff hatte das linke Auge eingekniffen, drehte den Kopf etwas zur rechten Schulter herüber und presste durch die zusammengebissenen Zähne hervor: »So, Sie finden es armselig, wenn man eine verdammte Rothaut zurechtstutzt.«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, dass es unwichtig ist, welche Hautfarbe das Kind hat.«
»Vielleicht sollten Sie sich dafür interessieren, Mister, weshalb das geschieht.«
»Ich bin neugierig«, kam es schroff von Farlands Lippen.
»Well, diese verdammte Ratte da hat drüben bei der Bäckersfrau ein Stück Brot gestohlen. Sehen Sie, der Bursche hat es noch in seiner linken Hand und lässt es nicht los.«
Tatsächlich hatte der Junge in seiner linken Hand ein kleines Brotstück von etwa Handbreite, in das er schon mehrmals hineingebissen hatte.
Jack Farland schob die Hände in die Hüften.
»Wenn er das getan hat, ist es bestimmt nicht richtig. Aber ebenso wenig richtig ist es, was Sie getan haben.«
Da richtete sich der Sheriff zu voller Größe auf.
»Hören Sie, Mister, mir scheint, dass Sie nicht wissen, mit wem Sie hier reden.«
»Auch das ist dabei nicht wichtig. In jedem Fall ist es eine Gemeinheit, ein Kind derartig brutal zusammenzuschlagen.« Sich an den Jungen wendend, sagte er: »Du hast das Brot gestohlen?«
Der Junge schüttelte den Kopf.
»Nein, ich nicht gestohlen. Ich Geld gegeben. Ich nicht weiß, ob genug Geld, aber ich Geld gegeben!«
»Wie viel kostet das Stück Brot?«
»Sie sollten selbst wissen, dass Sie dafür anderthalb Cents zu geben haben.«
Jack griff in die Tasche, nahm zwei Cents heraus und reichte sie dem Jungen.