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Wohin Jack Farland seinen Fuß auch setzt, die Gefahr folgt ihm wie ein Schatten. Diesmal trifft er auf den undurchsichtigen Texaner Tomas Chewey und Charly Baynes, einen alten Landstreicher, dem der Tod am Galgen droht. Nachdem Jack in Shattuck irrtümlicherweise als gesuchter Bandit Billy Blueback verhaftet wird, deckt er eine Verschwörung auf: Der ortsansässige Sheriff, dessen Deputy Spomac und der Richter Jorgan wollen Baynes wegen angeblichem Pferdediebstahl hinrichten. In Wahrheit ist dies aber nur ein Vorwand! Während der Ohiomann alles daransetzt, sich und seine ungleichen Begleiter aus dieser schier aussichtslosen Situation zu befreien, bahnt sich eine Tragödie an ...
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Seitenzahl: 165
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Tod im Big Valley
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Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Von Jonny Kent
Die Nacht hatte sich über die Savanne gebreitet. Der Himmel war schwefelgelb und nur im Osten tiefdunkel. Im Westen sah es auch noch gegen zehn Uhr so aus, als wäre die Sonne eben erst gesunken. Dennoch war die Prärie schwarz und finster.
Immer langsamer wurde der braune Wallach, und sein Reiter hielt ihn schließlich auf einer Anhöhe an, stieg aus dem Sattel und machte ein paar Schritte zur Seite, um einen Lagerplatz zu suchen.
Der Boden war hier oben auf der Anhöhe nur hin und wieder von dem harten zähen Büffelgras bewachsen, im Übrigen bestand er aus heißem Sand. Die große Sonne von Oklahoma schleuderte tagsüber eine wahre Höllenglut auf das Land, unweit von dem Ort, an dem bald etwas Schreckliches geschehen sollte ...
Der Reiter ging kurz darauf zu seinem Pferd zurück, sattelte es ab, breitete dann seine Santillo-Decke auf dem Boden aus und legte sich gegen den Sattel.
Mit offenen Augen blickte er in den flimmernden Nachthimmel hinauf, wo über ihm Myriaden von Sternen funkelten. Stundenlang konnte der Ohioman so in den Himmel sehen.
Er hatte es schon als kleiner Junge getan, oben an den Ufern des Eriesees. Manche Nacht hatte er als Junge außerhalb des Hauses verbracht. Obzwar er eigentlich in seiner Schlafkammer hatte liegen sollen, war er des Öfteren aus dem Fenster gestiegen, über das Anbaudach hinuntergeklettert und hatte sich dann weit draußen auf einer Wiese hingelegt und über die flimmernde Fläche des großen Sees geblickt, in der sich die Sterne spiegelten.
Die Sterne, die hatten es ihm schon in frühesten Kindheitstagen angetan. Mit unter dem Kopf verschränkten Armen hatte er dann dagelegen und zu ihnen hinaufgeblickt, hatte versucht, sie zu zählen, hatte stundenlang auf eine Sternschnuppe gewartet, die mit langem Silberschweif lautlos über ihm hinabsauste. Und er hatte sich dann auch immer etwas gewünscht. Es war stets das Gleiche gewesen: Ein Pferd zu haben und hinüber in den fernen Westen reiten zu können.
Jack Farland hatte sich diesen Wunsch erfüllt. Zwar war er darüber neunundzwanzig Jahre alt geworden, aber er hatte ihn sich erfüllt. Das Leben im Westen enttäuschte ihn in vieler Hinsicht, nicht aber die Natur. Nirgends war der Himmel so schön wie über der offenen Prärie, nirgends die Luft so klar wie hier. Nur das Leben war bitter, hart und schwer. Oben in Indiana, Missouri und Kansas hatte er sich mühevoll durchgeschlagen. Er war Cowboy geworden, und zwar ein guter Cowboy.
Aber es tauchte da etwas anderes vor ihm auf, wovon er sich nichts hatte träumen lassen: Er schien von einem Unstern geleitet zu sein, der ihn nirgends Ruhe finden ließ. Zwei-, dreimal schon hatte er einen guten Job auf einer großen Ranch aufgeben müssen, weil er in Abenteuer hineingeraten war, die ihm gefährlich zu werden drohten. Er suchte es nicht, das Abenteuer, aber wohin er den Fuß setzte, folgte es ihm wie ein Schatten.
Er war von Canadian gekommen, um wieder hinauf nach Kansas zu reiten. Er hatte hier unten kein Glück gehabt. Morgen würde er nach Shattuck kommen, einer verhältnismäßig großen Stadt, in der er sicher Leute treffen würde, die ihm Ranches nachweisen konnten.
Erst nach anderthalb Stunden schloss er die Augen – das heißt, sie fielen ihm zu. Traumlos schlief er mitten in der Unendlichkeit der Savanne von Oklahoma.
Als er die Augen aufschlug, war es schon Mitternacht. Er sah es an den Sternen über sich.
Und noch etwas sah er, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ: Die schwarzen Konturen eines Menschen. Es musste ein baumlanger Mann sein, der da nur drei Schritte von ihm entfernt stand, riesengroß und reglos. Jack rührte sich nicht. Aus halb geschlossenen Augen, unter seinen dichten Wimpern hervor, fixierte er die Gestalt. Der Mann hatte die Arme angewinkelt und sah auf ihn nieder.
Farland spürte, wie ihm eine Gänsehaut über den ganzen Körper kroch. Denn urplötzlich wurde er wieder an jenes entsetzliche Erlebnis erinnert, das er oben in Kansas vor dem roten Berg in der Nähe von Pawnee Rock gehabt hatte, wo er mitten in der Nacht von einem Gangster überfallen und schwer mit einem Revolverkolben zusammengeschlagen worden war.
Lange Zeit hatte er unter den Beschwerden, die die daraus resultierenden Verletzungen mit sich brachten, gelitten. Und zuweilen schmerzte ihm der Schädel vorne über der linken Stirnecke noch, wenn das Wetter umschlug. Aber er hatte einen eisernen Schädel, wie alle Farlands aus Cleveland.
Dass er den Mann nicht gehört hatte, war seltsam! Sonst hatte er immer einen Schlaf wie ein Indianer. Der andere musste vollkommen lautlos herangekommen sein. Es war die große Strapaze des vergangenen Tages, der lange Ritt, der ihn so fest in den Schlaf gezogen hatte.
Wie viele Sekunden mochten vergangen sein, seit er den Mann vor sich oder fast schon über sich entdeckt hatte? Drei – oder zehn – oder mehr?
Plötzlich öffnete er die Lippen und sagte mit möglichst ruhiger Stimme: »Ist es nicht langweilig, die ganze Zeit so stillstehen zu müssen?«
Der andere rührte sich nicht.
Schon überlegte Farland, ob er nicht vielleicht doch träumte oder ob er irgendwo in der Nähe eines Felsens kampiert hatte oder bei einem Baumstumpf, der in der Dunkelheit vielleicht diese makabre, gespenstische Gestalt angenommen hatte.
Aber er schlief nicht, und er hatte auch nicht vor einem Gestein haltgemacht, auch war das, was er da vor sich sah, kein verwurzelter Baumstumpf, sondern ein Mensch.
Ein Mann.
»Ich an Ihrer Stelle würde mich setzen, Mister«, sagte er.
»Weshalb?«, kam es da mit einer reibeisenrauen Stimme zurück, die ihn frösteln ließ.
»Weil Sie mir den Südstern verdecken, Amigo.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst.«
»Und ob es mein Ernst ist«, entgegnete Jack, während er sich jetzt langsam auf die Ellbogen zog, ohne aber die linke Hand vom Revolverkolben zu lassen.
Immer noch stand der andere drohend wie ein Schatten über ihm und rührte sich nicht.
Da griff Jack mit der Rechten in seine Hosentasche, nahm sein Rauchzeug hervor und drehte sich in aller Seelenruhe eine Zigarette. Den Revolver hatte er allerdings dabei unmerklich aus dem Holster gezogen und ihn sich auf den Schoß gelegt, direkt unter sein Rauchzeug. Als er die Zigarette anfeuchtete, sie über den linken Ärmel rollte und dann zwischen die Zähne schob, blitzte es plötzlich vor dem anderen auf.
Aber es war nur ein Zündholz, das der unheimliche Besucher da angerissen hatte. Er ging in die Hocke und hielt es Jack vor die Zigarette.
Der sog die Flamme in die Tabakfäden und reichte dem anderen, den er jetzt fixierte, sein Rauchzeug hin.
»Auch eine?«
»Nein, ich rauche nur Zigarren. Genauer gesagt, Virginias.«
Nur einen Herzschlag lang hatte Jack das Gesicht des Fremden sehen können. Es war ein seltsam schiefes Gesicht, nicht schlecht geschnitten, scharf und kantig, mit etwas stark hervortretenden Backenknochen, einer leicht gebogenen, adlerspitzen Nase, schmalem Mund und vorstehendem Kinn, das in der Mitte gespalten war. Aber das ganze Gesicht war auf der rechten Seite kleiner als auf der linken, also das Auge, zumindest dessen äußerer Winkel, wollte sich dem Kinnwinkel nähern. Es sah so aus, als wäre der ganze Kopf gebogen worden. Strähniges schwarzes Haar blickte unter der Krempe des hellgrauen, vielfach mit Schweißstellen besetzten Hutes hervor. Der Mann trug einen Kragen, der mit einem Pelzstück versehen war. Tatsächlich, mit einem Pelz, in diesem sonnenglühenden Land. Seine Weste war ärmellos und dunkel. Seine Hose konnte Jack nicht erkennen. Das kragenlose Hemd schien von einem verwaschenen Grün zu sein, und das Halstuch war schwarz. Er verharrte in der Hocke vor dem Ohioman und hatte das rotglimmende Zündholz noch in der Hand. Als er es fallen ließ, meinte er: »Sie wollen nach Norden?«
»Ja, nach Kansas.«
»Wie ist es in Kansas?«
Jack zog die Schultern hoch.
»Das ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall ist es nicht so warm wie hier.«
»Ist es schlecht, wenn es warm ist?«
»Das nicht, aber man muss es gewohnt sein.«
»Ich habe es gern«, erwiderte der andere, während er sich jetzt einfach zurückfallen ließ, ebenfalls auf die Ellbogen aufstützte und die Knie anzog.
»Ich auch. Aber ich bin Cowboy, und ich suche einen Job; die Ranches sind hier dünn gesät.«
»Ja, ja.«
Es war einen Augenblick still, dann griff der andere in die Reverstasche seiner Weste und nahm einen halbgerauchten Virginia-Stummel heraus, zog ein Zündholz an und paffte ein paar Rauchwolken vor sich hin.
Jack sah, dass er die Strohhalmzigarre in eine Zahnlücke seines Oberkiefers geschoben hatte, wo sie stecken blieb, bis sie völlig zu Ende geraucht war.
Wieder war es eine ganze Weile still. Dann sagte der andere: »Ich bin Tom Chewey.«
»Mein Name ist Jack Farland. Ich bin aus Ohio.«
»Und ich aus Texas.«
Nach fünf Minuten meinte der seltsame Tomas Chewey: »Ich bin auch Cowboy.«
»Hier in der Nähe auf einer Ranch?«
»Nein, ich habe schon eine ganze Weile keinen Job mehr gefunden.«
Sie saßen eine halbe Stunde voreinander, dann legte Jack sich zurück und kreuzte die Arme unter dem Kopf. Den Revolver hatte er ins Holster zurückgeschoben. Den Hut ließ er sich jetzt bis auf die Nase heruntergleiten.
Immer noch glomm Cheweys Virginia und bewegte sich nur selten einige Inches hin und her.
Jack schlief erst ein, als sich auch der andere niedergelegt hatte und dessen Atemzüge gleichmäßig herüberkamen.
Als der Ohioman wach wurde, war die Sonne schon aufgegangen. Der Himmel im Osten war purpurrot gefärbt, und ein goldener Glanz lag über der Prärie.
Jack richtete sich auf. Sofort erinnerte er sich an den Besucher aus der Nacht.
Der Platz, auf dem Chewey gelegen hatte, war leer.
Jack stand auf, sah sich um und stellte fest, dass nicht nur Chewey weg war, sondern auch die beiden Pferde: Der graue Tupfschimmel des Texaners und auch Jacks brauner Wallach.
Er zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen und ging langsam über den Hügelgrat ein Stück nach Westen hinüber, blickte da von der höchsten Stelle aus ins Land.
Nichts war zu sehen.
Er kam zurück, bückte sich auf die Erde nieder und versuchte, der Spur seines Wallachs im Sand mit den Augen zu folgen. Langsam schritt er den Hügel hinunter und kam an ein dichtes Mesquitegestrüpp, von wo aus er durch eine Teccarillahecke einen Blick in ein weites, mannshohes Kaktusfeld hatte.
Da kam Tomas Chewey. Die beiden Pferde trotteten hinter ihm her. In jeder Hand hielt er einen Sandfasan. In seinem Gesicht stand ein schiefes Grinsen.
Jack sah jetzt, als er ihn in voller Größe vor sich hatte, dass Chewey längst nicht so groß war wie er selbst.
Farland war ein Mann von eins neunzig Größe, mit breiten kräftigen Schultern und Muskeln an den Armen wie schwere Schnüre. Er hatte kräftiges blondes Haar, ein dunkelbraunes, kantig geschnittenes, gut aussehendes Männergesicht, in dem ein smaragdfarbenes Augenpaar flimmerte.
»Hallo, Jake«, sagte er, als er näher gekommen war.
Jack machte sich nichts daraus, dass er ihm einen anderen Vornamen gegeben hatte. Wenn es ihm so gefiel, dann war das seine Sache.
Schweigend machten sie sich nun daran, die beiden Sandfasane zuzubereiten.
Jack hatte bereits am gestrigen Tag vor Einbruch der Dunkelheit Holz gesammelt, zündete jetzt ein Feuer an und stellte sein eisernes Dreibein darüber, an das er seinen kupfernen Kessel hing.
Chewey schüttelte daraufhin nur den Kopf.
»Nichts da, wir brauchen den Kessel nicht, Jake. Ich habe eine Pfanne, die ist besser.«
Er verstand sich tatsächlich darauf, die Fasane so herzurichten, dass sie einigermaßen mundeten. Jeder aß ein Stück Brot dazu, und anschließend duftete der Kaffee in den Bechern.
Well, es war eine primitive Mahlzeit. Aber sie waren gesättigt, und der Weg, der vor ihnen lag, war nicht eben kurz. Das heißt, Farland wusste ja nicht, ob Chewey auch nach Shattuck wollte.
Sie sprachen nicht darüber. Sie sprachen eigentlich überhaupt nichts. Denn auch Jack Farland war ein schweigsamer Mann. Er war es gewohnt, allein durch das Land zu reiten, und ein Mann, der immer allein ist, hat sich das Schweigen zur zweiten Natur gemacht. Seit er allerdings von einem alten Trapper gehört hatte, dass man dann in späteren Jahren dazu neigte, mit sich selbst zu sprechen, sehnte er sich doch häufig nach Menschen, zumindest nach einem, mit dem er sich unterhalten könnte?
Nachdem sie ihren Kaffee zu sich genommen hatten, schnallten sie die Sättel auf, die Schlafdecken und die Gerätschaften, die sie ausgepackt hatten, und setzten ihren Ritt fort.
Der Texaner saß auf einem hochbeinigen, kräftigen Grauen, der sehr viel schlechter aussah als er war.
Farland, der viele Monate auf einer Horse-Ranch gearbeitet hatte, kannte sich mit Pferden aus. Schon als Junge hatte er sich noch mehr für Pferde interessiert als für die Sterne. So wusste er jetzt, dass dieser Tomas Chewey absolut kein schlechtes Pferd ritt. Höchstwahrscheinlich war es sehr viel schneller als der Braune und wahrscheinlich auch ausdauernder. Aber zu einem guten Pferd gehörte ein gutes Stück Geld, und Jack hatte in diesem Land noch nicht genug Geld verdient, als dass er sich wirklich einmal ein gutes Pferd hätte kaufen können. Außerdem hing er auch an dem braunen Wallach, der ihn über Strecken dieses Landes getragen und ihn aus so mancher Gefahr hinausgebracht hatte.
Meile um Meile zog unter den Hufen der beiden Pferde dahin. Es wurde Mittag, und sie machten an einem kleinen Rinnsal Halt. Der schweigsame Chewey entfernte sich sofort vom Lagerplatz, und nach zwanzig Minuten kam er zurück. Er hatte einen Feldhahn geschossen, ein junges, kräftiges Tier, das eine ausreichende Mahlzeit für zwei Personen abgab.
»He«, meinte Jack, als er den Texaner mit seiner Beute kommen sah, »diesmal müssen Sie auf mich an der Tafel verzichten.«
»Wieso denn das? Sind Sie etwa gegen Feldhahn?«
»Nein, nein.«
»Na, was denn? Glauben Sie vielleicht, dass ich Ihnen einen Puter servieren müsste? Womöglich haben Sie auch etwas gegen gepökelten Schweinenacken oder Rehrücken.«
Er schien ein Spaßvogel zu sein, dieser Tomas Chewey.
»Nein«, erwiderte Jack, »ich habe hier noch Brot, Käse und Hartwurst bei mir. Ich möchte mich nicht von Ihnen ernähren lassen.«
»Reden Sie keinen Unsinn, Jake! Ich schaffe den Hahn allein nicht.«
Und Letzterer schmeckte tatsächlich deutlich besser als die beiden kleinen Sandfasane, die es zum Frühstück gegeben hatte.
Weiter ging es nach Nordwesten ins Land hinein. Als sie beim Untergehen der Sonne an eine Overlandstreet kamen, die sich scharf nach Norden hinaufzog, fiel ihr Blick auf ein Schild, das an einem Pfahl angebracht war und ein großes E trug.
»Das ist der Anfang des Ellis County«, erklärte Chewey, während er sich wieder eine halbgerauchte Virginia in die Zahnlücke seines Oberkiefers klemmte.
Überhaupt schien er nur halbgerauchte Zigarren bei sich zu führen. Möglicherweise hatte er sie irgendwo mitgenommen. Es gab ja Leute, die sich in größeren Städten in teureren Schenken an besseren Tischen einfanden, wenn Leute sie verlassen hatten, um da »abzuernten«. Ganz so sah dieser Tomas Chewey auch aus.
Jack, der seinen Begleiter hin und wieder verstohlen von der Seite beobachtete, vermochte sich doch eines seltsamen Gefühls nicht zu erwehren.
Was war das für ein Mensch, dieser Tomas Chewey? Weshalb ritt er durch das Land und suchte angeblich einen Job?
Aber suchte er, Farland, nicht auch einen Job? War es nicht schwer, in diesem sandigen Land eine Ranch zu finden, auf der noch ein Job zu vergeben war?
Trotzdem war dieser Chewey ein merkwürdiger Bursche.
Wie lange hatte Jack sich nach einem Partner gesehnt, nach einem Menschen, mit dem er sich unterhalten konnte! Aber was war jetzt? Jetzt ritt einer neben ihm, und es wurde doch nichts gesprochen. Merkwürdigerweise hatte Jack auch gar kein Verlangen danach, sich mit diesem Mann zu unterhalten. Irgendwie war er ihm fremd und blieb es auch.
Wenn er in dieser Stunde geahnt hätte, was er alles noch mit jenem seltsamen Mann erleben würde, dann hätte er es wahrscheinlich selbst nicht für möglich gehalten.
Das Abenteuer war wieder auf ihn zugekommen, kaum dass er es unten in dem grünen Landstreifen von Canute von sich abgestreift hatte.
Es war schon dunkel geworden, als sie in der Ferne die flimmernden Lichter einer Stadt sahen.
Jack hielt unwillkürlich sein Pferd an.
Chewey ritt weiter. Als er merkte, dass der Ohioman nicht mitkam, hielt er an und blickte sich schweigend nach ihm um.
Erst nach einer vollen Minute nahm Jack die Zügelleinen auf und ritt weiter.
Chewey fragte ihn nicht, weshalb er angehalten hatte.
Jack hätte auch keinen besonderen Grund dafür angeben können. Vielleicht war es nur eine seiner Gewohnheiten, die ihm erst jetzt zum Bewusstsein kam, als er einmal nicht allein durch die Prärie ritt. Er hatte den Anblick der plötzlich auftauchenden Lichter in der beginnenden Dunkelheit in sich aufgenommen.
Und nicht ohne Hoffnung hatte er es getan. Denn bei jedem Licht, das er in der Dunkelheit sah, bei jedem Dach, das am Tag in der Ferne über dem Horizont auftauchte, stieg eine neue Hoffnung in ihm auf. Er hoffte, endlich einen Ranchhof zu finden, auf dem er bleiben konnte. Auf dem es Ruhe gab, wo ihn niemand verjagen würde.
Stumm wie bisher ritten sie der Stadt entgegen. Als sie die ersten Häuser erreicht hatten, hielt Chewey sein Pferd an, stieg ab, ging auf einen Mann zu, der da auf einem Vorbau in einem Schaukelstuhl saß, und fragte ihn: »Wie heißt die Stadt?«
»Shattuck, Mister.«
»Thanks.«
Der Texaner schob sich nun einen seiner Zigarrenstummel in die Zahnlücke und riss an einer Treppenstufe ein Zündholz an.
»Shattuck ist das«, sagte er nur, als er auf Jack zukam. Er stieg jetzt nicht mehr in den Sattel, sondern zog sein Pferd am Zügel hinter sich her.
Jack stieg auch vom Pferd.
Dann schlenderten sie die Main Street hinunter. Zielstrebig hielt der Texaner auf die nächste Schenke zu.
Es war eine jener eingeschossigen, armseligen Bauten, wie sie in den ersten Pionierjahren in den Ansiedlungen errichtet worden waren. Eigentlich nur eine Bretterbude, roh zusammengezimmert und jetzt in den späten sechziger Jahren baufällig geworden. Aus vier achtmal unterteilten Fenstern fiel schwacher Lichtschein über den hohen Vorbau auf die Straße hinunter und verfing sich in den tiefen Huf- und Wagenspuren im Sand.
Als die beiden bis auf dreißig Schritte an den Bau herangekommen waren, blieb Farland plötzlich stehen. Die beiden schaukelnden Windlichter, die vorne unter dem Vorbaudach hingen, beleuchteten ein Brett, auf das mit weißer Farbe der Name »Gottes Bar« gepinselt war.
Was Besseres war dem Besitzer wohl nicht eingefallen. Vielleicht hoffte er, mit diesem Namen auch diejenigen Leute anzulocken, die sonst nur in die Kirche gingen.
Sie schoben ihre Pferde neben die anderen Tiere, die da schon seit Stunden an den Halfterstangen standen, stiegen die morschen, knarrenden Vorbaustufen hinauf und blieben vor der Pendeltür stehen, die oben bis an die Schultern ging und unten bis zu den Schienbeinen reichte. Sie war ebenfalls grob zusammengezimmert, und als Chewey sie jetzt nach vorne stieß, ächzte sie abscheulich.
Jack folgte ihm durch die Tischreihen. Die Theke war ziemlich belagert, und Jack wunderte sich, dass die Leute, die sich nach ihnen umsahen, plötzlich zurückgingen und ihnen Platz machten. Was hatte denn das zu bedeuten? Sahen sie etwa so abgerissen aus, dass man sie für Tramps hielt oder gar für Banditen?
Chewey lehnte sich mit dem linken Ellbogen aufs Thekenblech und schlug die Füße übereinander.
Es fiel Jack auf, dass er sich so stellte, dass er den Eingang genau im Thekenspiegel beobachten konnte. Allerdings brauchte das auch nichts zu bedeuten haben, denn Farland selbst hatte sich diese Gewohnheit ebenfalls seit Langem zu eigen gemacht.
»Whisky«, sagte Jack, als ihn der feiste Mann hinter der Theke fragend ansah.
»Brandy!«, schnarrte Chewey mit seiner heiseren, rostigen Stimme.
Jack hatte seinen Drink die Kehle hinuntergekippt, nahm noch einen und griff dann nach der Gazette, die vor ihm lag und in der offensichtlich vorhin einer der Gäste gelesen hatte.
Er beugte sich über das Blatt, blätterte darin herum, und als er nach einer Weile zufällig einmal aufsah, entdeckte er im Thekenspiegel am Eingang einen großen Mann mit einem martialischen Schnauzbart.
