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An einem Septembermorgen 2019 starten Cornelia und Manfred in München mit ihren Reiserädern. Ihr Plan ist, in 11 Monaten über Österreich, Ungarn, die Ukraine, Russland, Usbekistan, Vietnam, Laos, Kambodscha, Thailand, Myanmar, die Türkei, Griechenland Bosnien, Kroatien und Slowenien reisend wieder am Abfahrtsort anzukommen. Sie nutzen auf ihrer Reise aus zeitlichen Gründen neben den Fahrrädern auch andere Verkehrsmittel. Zum Glück sind Fahrräder in der Mitnahme meist unproblematisch. Der einzige Fixpunkt im Zeitplan der Reiseroute ist der 4. April 2020 in Myanmar, weil für diesen Tag der Besuch bei Manfreds Patenkind geplant ist. Dass Plan und Leben oft verschiedene Wege gehen, erleben die beiden auf ihrer Tour immer wieder.
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Seitenzahl: 185
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Vorwort
Teil 1: Deutschland-Österreich-Ungarn-Ukraine
Teil 2: Von Kiew über Moskau nach Usbekistan - Zugreise mit Zeit und Rad
Teil 3: Karakalpakstan/Usbekistan - Durch die Steppe
Teil 4: Vietnam – Ein Land zwischen Großstadt und Dschungel
Teil 5: Laos – Eine Querung von den Bergen zum Mekong
Teil 6: Kambodscha - Vom Angkor bis zum Cardamom-Gebirge
Teil 7: Thailand – Traumstrände, Großstadterlebnisse und Hunde
Teil 8: Der Rückflug - Am Ende wird alles gut werden
Teil 9: Nach unserer Heimkehr
Danksagungen
Links und Adressen
Informationen über uns
Wie startet man eine Fahrradreise?
Aus einer oft Jahrzehnte schwelenden Idee wird irgendwann innere und äußere Vorbereitung und Planung und schließlich ein Abfahrtstermin.
Auf die zur Abfahrt hin zunehmenden Fragen nach dem „Wann“ und „Wohin“ sagen wir:
„Wir starten am 18. August 2019, zunächst nach Moos-burg.“ Auf die jetzt fast immer anschließende Frage „Warum Moos-burg?“ antworten wir: „Weil es da schön ist und es ein erstes Ziel braucht“.
Um es gleich vorweg zu nehmen, es wird fast einen Monat länger als gedacht dauern, bis wir uns in die Sättel unserer Velotraum-Fahrräder schwingen. Moosburg aber bleibt!
Die geplante Rückkehr im Juli 2020 wird uns ebenfalls nicht gelingen. Ein Virus, von dem wir im Moment noch nichts ahnen, wird Route und Zeitrahmen sehr entscheidend mitbestimmen und beeinflussen. Aber davon wird erst viel später die Rede sein. Wir haben jetzt noch ganz andere Sorgen.
Weil die Art und Weise unseres Reisens eine entsprechende Reisegeschwindigkeit vorgibt, ist die Planung entsprechend aufwändig.
Wir fahren mit dem Fahrrad und wollen möglichst wenig nach Stundenplan reisen.
Auch unsere Routenplanung verändert sich in der Vorbereitungszeit immer wieder. Wir müssen einsehen, dass die Welt für ein knappes Jahr ein wenig zu groß ist.
Wir wollen möglichst nicht fliegen. Neben dem Rad sind Bus, Bahn und Schiff unsere Favoriten.
Ein ernstzunehmender Faktor sind „ängstliche“ Regierungen von Ländern, wie zum Beispiel Weißrussland oder China, die es Individualreisenden schwer machen ein passendes Visum zu erhalten. Bei ersterem, weil ein gültiges Visum nicht garantiert, dass wir an der Grenze nicht abgewiesen werden oder, wie im Falle Chinas, alle Übernachtungen im Voraus gebucht werden müssen, damit eine genaue Kontrolle der Reiseroute durch den Staat erfolgen kann. Diese Hotelbuchungen werden wohl, im Unterschied zu Tipps und Berichten früherer Radreisender, nun auch während des Aufenthaltes im Land immer wieder überprüft. Hotels nur pro forma zu buchen, mit diesen Buchungen dann das Visum zu erhalten und die Buchungen wieder zu stornieren, das geht wohl jetzt nicht mehr so einfach. Gruppenreisen haben es da leichter, weil sie klar geplante zeitliche Abläufe und Stationen haben und damit gut kontrollierbar sind.
Politische Systeme, die ein hohes Maß an Kontrolle aller in ihrem Territorium lebenden und bewegenden Personen für unverzichtbar halten, lieben folgerichtig Individualreisende wie wir es sind, nicht.
Uns liegt aber eine staatlich kontrollierte Art des Reisens nicht.
So verzichten wir schweren Herzens auf die Route durch China, die über Weißrussland und Russland mit der Transsibirischen Eisenbahn zum Baikalsee, durch die Mongolei und weiter über Peking und Wuhan in den Süden Chinas geführt hätte.
Von dort wollten wir dann über Vietnam nach Südostasien einreisen. Mit Ying, einer Freundin in Peking, hatten wir schon ein buntes Besucher-programm überlegt.
Nun es wird es sich aber viel später noch als purer Glücksfall erweisen, dass wir kein chinesisches Visum in unserem Pass haben und vor allem, dass Wuhan nicht in unserer Reiseroute auftaucht. Das wissen wir jetzt aber noch nicht.
Für uns heißt es wiederholt, umplanen und neu denken.
Unser geplanter Abreisetermin am 18. August 2019 entpuppt sich zunehmend als Hypothese, weil organisatorische Hindernisse dieses Datum immer weiter nach hinten verschieben.
Unverrückbar klar bleibt lediglich die Tatsache, dass Jahreszeiten nicht warten.
Ein später Sommer wird schnell zum Herbst und der unvermeidlich folgende Winter eignet sich weniger zum Fahrradfahren, zumindest in den nördlichen Breitengraden.
Bis wir wärmere Gefilde erreichen können, haben wir noch einen strammen Weg vor uns. Das heißt, dass wir zu Beginn vermehrt auch andere Verkehrsmittel nutzen werden.
Reisen
Viel zu spät begreifen viele, die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist‘s! Reise, reise!
Wilhelm Busch
Unsere „Velotraum“-Reiseräder
Fahrzeuge mit Haus und Hof für die nächsten Monate!
Von München über Moosburg nach Kiew – „Into the great wide open“
Mehr als drei Wochen nach dem ursprünglichen Termin ist es schließlich so weit. Alle bürokratischen Berge sind überwunden, alle Abschiede von den Lieben zuhause gefeiert, die Wohnung an zuverlässige und nette Menschen untervermietet, die Taschen sortiert und gepackt, Manfreds Töchter Laura und Amelie übernehmen und regeln die Logistik zuhause. Unsere Reiseräder der Marke Velotraum zeigen sich in blendender Verfassung und unser neu eingerichteter Blog wartet auf den ersten Beitrag.
Nach langer intensiver Vorarbeit starten wir schließlich am Freitag den 13.09.2019 bei sonnigem Wetter unsere Reise.
Unsere Nachbarin winkt uns von oben zu, Cornelias Schwester Birgit verabschiedet und fotografiert, und dann geht es endlich los.
Die Route führt zunächst wie geplant durch den Englischen Garten in München und danach an der Isar entlang. Erstes Tagesziel ist, wie schon erwähnt, Moosburg.
Auf dem dortigen kleinen Campingplatz, den wir von unserer Isar-Donau-Tour vom vorigen Jahr schon kennen, verbringen wir die erste Nacht unserer Reise.
Tagebucheintrag Cornelia:
Am Morgen scheint uns die Sonne und wir frühstücken gemütlich in unseren neuen kleinen Campingstühlen. Es gibt löslichen Kaffee für Manfred und Tee für mich. Das Zusammenpacken geht gut, denn unsere Einteilung ist nach vielen gemeinsamen Touren eingespielt. Wir kommen früh los, das Radeln fühlt sich leicht an, Ich habe aber noch etwas
Nachzittern vom Reisestart. Der Wunsch nach der Reise ist groß, die Wunscherfüllung wächst noch.
Per Rad und Zug Richtung Osten
Wir müssen wegen des verspäteten Aufbruchs mehr Strecke in kürzerer Zeit zurücklegen und greifen deshalb anfangs vermehrt auf die Benutzung der Eisenbahn zurück.
Das geht zum Glück mit dem Fahrrad in der Regel unkompliziert, wieder ein gewichtiges Argument für dieses Fortbewegungsmittel.
So fahren wir ab Landshut bis Passau mit dem Nahverkehrszug. Per Rad geht es dann bei spätsommerlichen Temperaturen weiter entlang der Donau. Ab Wien, wo wir bei der Familie von Cornelias Schwester Renate übernachten, nehmen wir dann noch einmal den Zug bis Budapest, Ungarns Hauptstadt.
Beliebte Einkaufsstraßen in der Innenstadt haben, wie jede andere europäische Stadt, die üblichen Discounter, Fastfood-Restaurants und Bekleidungsgeschäfte – überall finden sich die gleichen Ketten. Ausgenommen sind ein paar Läden mit typisch ungarischen Waren, nette Cafés und Restaurants.
Einen Tag Aufenthalt mit viel Sightseeing gönnen wir uns in der Stadt.
Am 21.09.2019 radeln wir dann schier endlose 20 km aus der verkehrsreichen Stadt in Richtung Osten in die Puszta.
Da wäre die Bahn hilfreich und besser gewesen, denn dann erst lassen der dichte Autoverkehr und die Hügellandschaften nach.
Die folgende Puszta ist flach und die Stadt Solnok ist unser nächstes Ziel.
Die Puszta ist groß – doch Rettung lauert überall
Wir fahren auf dem E11-Radweg. Nicht immer finden wir die Wegweiser und haben auch öfter Probleme, geeignete Zelt-Möglichkeiten zu finden. Undurchdringliches Unterholz lädt ebenso wenig zum Zelten ein wie flache Böschungen hinter befahrenen Straßen oder offensichtlich landwirtschaftlich genutzte Flächen. Diese scheiden für uns aus, wenn weder Bäuerin noch Bauer zu sehen sind, die wir um Erlaubnis fragen könnten. Die ungarische Bevölkerung begegnet uns aber ausnahmslos freundlich und hilfsbereit. Nach einem Übernachtungsplatz zu fragen, bevor wir uns niederlassen, ist uns immer wichtig.
An einer Wegkreuzung, bei der wir die Abfahrt zur Fähre über den Fluss in Karte und GPS suchen, halten wir einen kommenden Wagen an.
Das niederländische Ehepaar erweist sich als ortskundig.
Wir finden mit ihrer Hilfe nicht nur den Weg zur Fähre leichter, sondern auch einen wunderschönen Zeltplatz, der von niederländischen „Immigranten“ betrieben wird. Wir schenken uns dort einen Tag Zeit und der Besitzer uns als Willkommensgeschenk eine Flasche guten Rotwein. Mit dieser bereichern wir unser abendliches Sitzen, Schauen und Genießen in der ungarischen Puszta…
Tagebucheintrag Cornelia:
Puszta pur!
Kleine Straßen von Dorf zu Dorf, Schöner Weg am Damm der Theiß und obwohl wir uns manches Mal verirren, finden wir immer wieder zurück auf den Euro Velo. Der Campingplatz liegt am Ende der Straße mitten in der Puszta von Tiszagyenda! Ein Traum! Ruhe, Vogelgezwitscher, Hunde bellen und heulen, Grillen zirpen, Frösche quaken, Sterne funkeln und sonst nichts.
Den Willkommens-Wein für die ersten Österreicher auf dem Platz nimmt auch der Deutsche höflich schweigend gerne an.
Ukraine, wir kommen!
Wir radeln zunächst ostwärts über die Theiß-Seen weiter in Richtung Ukraine.
Ein freundlicher Rückenwind ist die Freude aller Radreisenden. Dieser schiebt uns am schönen Fluss entlang in Richtung der EU-Grenze zur Ukraine. Deren Überquerung wird sich aber noch als ein kleines Abenteuer entpuppen, doch davon später mehr.
Unseren baldigen Abschied von der EU begehen wir zunächst in Tokaj mit einem Weinkeller-Besuch und diversen Weinproben des hiesigen weltberühmten ungarischen Weins. Die 300 Meter zum Zeltplatz schieben danach wir lieber, denn in Ungarn ist die Promillegrenze 0,0 %.
Ela und Piotr, die beiden Polen aus Hamburg, laden abends noch zum gemütlichen Lagerfeuer ein, wo wir viel über Ost-West-Themen und einiges über die die Geschichte Polens erfahren. Immer wieder schreiben uns die beiden zukünftig aufmunternde Kommentare auf unsere Blogbeiträge.
In Tokaj erleben wir den ersten Regentag unserer bisherigen Reise. Pünktlich zur Abfahrt trocknet unser Zelt aber wieder.
Unsere nächste Station ist dann die Stadt Nyíregyháza. Dort leisten wir uns ein Hotel und bleiben drei Nächte. Dass der Name des Hotels Monate später in einem gänzlich anderen Kontext die Welt zum Stillstand bringen wird, ahnen wir nicht!
Das Hotel „Korona“ empfängt uns sehr freundlich. Auch wenn die glorreiche Zeit mit Empfängen, Konzerten und Theateraufführungen sicher schon eine Weile zurückliegt, hat sich das „Korona“ seinen Charme behalten. Von den „großen Zeiten“ zeugt so manche Inschrift im Gebäude und der wunderschöne Speisesaal.
Hotelübernachtungen sind, wenn sich keine anderen Übernachtungsmöglichkeiten ergeben, eine durchaus willkommene Abwechslung. Für uns bedeuten sie intensives Reinigen von Mensch und Kleidung. Radfahren ist nicht oder zumindest kaum ohne Schweiß machbar. Wir wollen bei Begegnungen mit den freundlichen Menschen auf unserem Weg einen einigermaßen „duften“ Eindruck hinterlassen. Eine Dusche ist uns deshalb stets willkommen.
Die Kleidung in unseren Taschen ist auf das Notwendigste beschränkt und, anders als im „zivilisierten“ Alltag ziehen wir uns nicht so oft um. Da wir fast jeden Tag an einem anderen Ort sind, merkt das ohnehin keiner. Welch ein Luxus!
Nyíregyháza mit seinem Bahnhof erweist sich als wichtige Anlaufstation für uns, weil sich die Überquerung der Grenze in die Ukraine mit dem Fahrrad hier als unmöglich herausstellt! Denn die einzige Straßenverbindung ist für Fahrräder gesperrt, und der angegebene Fußweg führt über die Autobahn und ist wohl nur eine theoretische Möglichkeit, die „von den tatsächlichen Bedingungen abweichen kann“, wie dies unsere Smartphone-Karte angibt.
Der öffentliche Verkehr, also die Bahn, nimmt uns nach vielem Hin und Her mit unseren nicht zerlegten Rädern bis kurz vor die Grenze zum Bahnhof Zahony mit. Aber hier heißt es für den Grenzübertritt zum ersten Mal beide Fahrräder zerlegen und in die großen Taschen zu verpacken. Der Grund dafür bleibt uns verborgen, weil der Zug den wir benutzen durchaus Vorrichtungen für Fahrräder hätte. Aber gut, so werden den Rädern am schmalen Bahnsteig die Reifen entnommen, alle Rad-Teile in unsere dafür vorgesehenen Taschen gepackt und anschließend in den hohen Zug gehievt. Nach einer Passkontrolle im Zug und mit Aufregung im Bauch rollen wir dann schließlich über die Grenze in die Ukraine!
In Chop in der Ukraine steigen wir dann mit unseren insgesamt zwölf Fahrradtaschen (zwei jeweils vorne, zwei jeweils hinten, eine jeweils quer liegende „Rolle“, plus den beiden Lenkradtaschen) aus. Dazu haben wir jetzt noch zusätzlich zwei große Radtaschen mit unseren zerlegten Rädern dabei. Vor den interessierten Augen der ukrainischen Grenzbeamten und -beamtinnen steigen wir aus dem Zug und montieren am schmalen Bahnsteig unsere Räder wieder zusammen.
Der Grenz- und Kontroll-Chef am Bahnhof ist von dem großen Haufen an Gepäck sehr beeindruckt. Wir erzählen ihm von unserem Reise-Vorhaben und man lässt uns ohne jegliche Gepäckkontrolle einreisen.
Tagebucheintrag Cornelia:
Passkontrolle, erinnert mich zunächst an die Geschichten zum „Tränenpalast“ zwischen Ost- und Westberlin. Schmaler Gang, schmaler Sichtschlitz, danach die Tische zum Kontrollieren des Gepäcks.
Der Beamte kontrolliert uns aber nicht, sondern ist sehr erstaunt über unsere Gepäckmenge und entlässt uns lachend in die Ukraine.
Das Land empfängt uns noch dazu mit strahlendem Sonnenschein, und so warten wir positiv gestimmt im „sozialistischen Prachtbau“ des Bahnhofs in Chop auf unseren Nachtzug nach Kiew. Alles ist neu und fremd und interessant.
Ein wilder Ritt durch die Nacht
Eine „übersichtliche“ Nachtzug-Zwei-Bett-Kabine erfordert bei unserem Gepäckaufwand logistische Höchstleistungen. Zwölf Gepäckstücke, zwei Räder und wir Reisenden sollen darin Platz finden und eine möglichst erholsame Nacht soll es schließlich auch noch werden.
Zunächst will und muss alles genauestens überlegt und danach so verstaut werden, dass gewisse Taschen noch zugänglich bleiben.
Denkt an das Computerspiel Tetris, dann bekommt ihr eine ungefähre Vorstellung der notwendigen „Verstau-Technik“.
Unsere für den Waggon zuständige Dame zeigt sich sehr skeptisch. Auf Nachfrage nach einem Gepäckraum schüttelt sie nur den Kopf. Zudem ist wohl ein hoher Vorgesetzter an Bord, vor welchem sie sichtlich großen Respekt hat. So fordert sie uns mehrmals auf, die Kabinentür geschlossen zu halten, bis wir alles ordnungsgemäß verstaut haben.
Für die Luftqualität ist unser harter Arbeitseinsatz und die geschlossene Abteiltür jedoch nicht gerade förderlich.
Es gelingt uns aber schließlich, den Umständen entsprechend sogar sehr gut, das oben aufgelistete Gepäck inklusive der beiden Fahrräder zu schlichten, zu stapeln, zu quetschen und aufzuhängen, sodass wir beide auch noch Platz auf unseren schmalen Betten finden. Jeder Winkel ist genutzt.
Unser Zug rumpelt, schlägt, hämmert und rüttelt im Verlauf der Fahrt sehr, wir schlafen vermutlich über einer Achse. Die Technik hält aber durch.
Tagebucheintrag Cornelia:
Es gab nicht wie versprochen, einen Gepäckwaggon für unsere Räder, sondern die mussten auch mit uns in unsere Zweierkabine – oh Schreck! Wie sollte das denn gehen? ES GING!
Vorher: Räder auf Manfreds Pritsche, nachher: Räder zwischen uns auf den Boden. Alle anderen Taschen lagen, klemmten, hingen oder quetschten irgendwo.
Es war der Wahnsinn! Aber Tetris spielen macht es möglich. Nach der mühevollen Arbeit gab es erstmal einen Chai von unserer zuerst strengen, aber zunehmend netten Waggon-Dame serviert. Danach eine Jause und dann, als es draußen dunkel wurde und wir nichts mehr sahen, machten wir uns bettbereit und richteten das Abteil neu ein.
Das ging echt super!
Während der Fahrt durch die Nacht gab es derart harte Knall- und Knarrgeräusche unter mir im Fahrgestell des Zuges, dass ich dachte, das Ganze bricht auseinander. Aber wie durch ein Wunder hielt doch alles durch bis Kiew.
Teil 1: Bilder München – Ungarn
Frühmorgendliche Abfahrt
Rastplatz an der Isar
Schwesterlicher Abschied in Wien
Radfahren in der Puszta
Fähre über die Theiß
Unser Wigwam in Tokaj
Wo geht es nach Nyíregyháza?
Hotel „Korona“ in Nyíregyháza
Eine glänzende Empfangshalle
Prunkvoller Treppenaufgang, kein Lift
Zwischen den Zügen
Waiting for the train in Zahoni
Guten Morgen Kiew!
Am 02.10.2019 morgens um halb acht erreichen wir schließlich gut durchmassiert den Bahnhof in Kiew. Der Bahnhof zeigt sich baulich nicht sehr fahrradfreundlich. Enge, halb geöffnete Türen und Rolltreppen, die an ihren Enden zusätzlich verengende Geländer haben, machen uns ein Durchkommen bisweilen unmöglich. So „gleiten“ wir mit unseren bepackten Reiserädern über durch Jahrzehnte der Abnutzung glatt geschliffene Treppen nach unten.
Dort erwartet uns eine große Bahnhofshalle mit bunter großer Anzeigetafel.
Draußen empfängt uns ein lebendiges, geschäftiges, sonniges Kiew.
Dass dieses jugendlich wirkende Land in nicht allzu ferner Zukunft von der russischen Regierung mit einem völlig sinnlosen, für alle Seiten verlustreichen Krieg überzogen werden wird, ist nicht zu ahnen. Wie krank und dumm können Menschen denken und handeln.
Wir machen uns auf den Weg zum Hotel. Radfahrer*innen sehen wir auf den Straßen kaum.
Da das Hotel sehr nah ist, entscheiden wir uns erstmal fürs Schieben auf den großzügigen Gehwegen.
Das gebuchte Hotel liegt im sechsten Stock eines Wohnhauses. Den Weg hinauf kann zumindest unser Gepäck im Aufzug bewältigen. Für unsere Räder reicht das Platzangebot nicht und so werden unsere „Rösser“ mangels sicherer Abstellmöglichkeit rund ums Haus von Reiterin und Reiter nach oben getragen. Die Unterbringung im Zimmer der ist dank der großzügigen Räumlichkeit kein Problem.
Wir fühlen uns sehr gut untergebracht und genießen vom ersten Moment an das Zimmer und die tolle Aussicht vom Balkon über die Stadt in Richtung sonnigen Westen!
Kiew, die charmante europäische Hauptstadt zwischen Geschichte und Moderne
Uns fällt auf, dass es in der ukrainischen Hauptstadt kaum Fahrradfahrer*innen gibt und wenn, dann sind diese fast ausschließlich auf den Gehwegen unterwegs. Die Stadt hat außerdem sehr starke Steigungen und teilweise fast 50 cm hohe Randsteine. Dazu kommen für schwerbeladene Fahrradreisende viele unüberwindbare Unterführungen mit Treppenaufgängen. Der einzige Radweg den wir in der ganzen Stadt finden können, führt über eine neu errichtete Aussichtsbrücke und ist etwa 200 Meter lang!
Uns fällt auch auf, dass Europa hier in der (noch!) Nicht-EU-Stadt Kiew allgegenwärtig ist. Die europäische Flagge findet sich an nahezu allen öffentlichen Einrichtungen und Regierungsgebäuden in überraschender Selbstverständlichkeit.
Der ukrainische Sprachführer erweist sich als völlig überflüssig, die Ukraine spricht sehr gut Englisch!
Und die Abdeckung mit WLAN-Hotspots zeigt sich deutlich über bayerischem Niveau.
Kiew, besonders der Majdan-Platz, war von November 2013 bis Februar 2014 Schauplatz heftiger Proteste, die schließlich zur Absetzung des damaligen Präsidenten führten. Der
Platz ist mit vielen Informationstafeln und Mahnmalen versehen und hat auch am heutigen
Tag noch immer eine starke Ausstrahlung.
Schließlich fahren wir bereichert mit Eindrücken von der Stadt und deren freundlichen Ein- wohner*innen mit unseren bepackten Rädern am 04.10.2019 zum Kiewer Bahnhof und besteigen den Nachtzug nach Moskau.
Russland – Moskau, eine Hauptstadt mit vier Bahnhöfen, einer Schraube und ein wenig Winter
Vormittags ankommen ist für uns günstig, weil es bis zur gewählten Unterkunft meist ein gutes Stück zu radeln gibt.
Der Weg zu unserem Hotel ist diesmal relativ einfach zu fahren, obwohl wir an das andere
Ende der Stadt müssen, die mit über zwölf Millionen Einwohner*innen Europas zweitgrößte Stadt ist.
Moskau verfügt über insgesamt vier große Bahnhöfe, die ihre Namen nach den jeweiligen Richtungen tragen. So haben wir unser Hotel weit vom Kiewer Bahnhof, an dem wir ankommen, und nahe am Kasachischen Bahnhof gewählt, von dem wir drei Tage später abfahren werden.
Auf dieser Fahrt quer durch die Stadt kommt es zu unserer ersten Panne, verursacht durch eine fünf cm lange Schraube, die ein plötzlich luftleeres Hinterrad an Cornelias Rad verursacht! So eine lange Schraube überstehen selbst unsere „unplattbaren“ Reifen nicht. Aber der Schlauch ist rasch gewechselt und wird später im Hotel geflickt. Die Schraube wird dabei erfolgreich aus dem Mantel gedreht, dieser ist glücklicherweise nur wenig beschädigt.
Unsere wichtigsten Eindrücke von Moskau sind:
Die Zwölfmillionenstadt verfügt über ein fast nahtloses Netz an Fahrradwegen. Moskauerinnen und Moskauer begegnen uns ausnahmslos aufgeschlossen, interessiert, freundlich und hilfsbereit. Die Straßen sind, wie alle Plätze und Gebäude, sehr großzügig angelegt.
Unsere touristischen Höhepunkte sind Fahrradläden (wir erweitern sicherheitshalber unsere entsprechende Ausrüstung), die Basilius-Kathedrale, der Kreml, der Rote Platz, der
Gorki-Park und U-Bahnfahrten kreuz und quer. Wir bestaunen die U-Bahnhöfe, besonders die der Linie 5!
Während wir über Erntedank-Märkte schlendern feiert Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation, seinen 67. Geburtstag nicht in der Hauptstadt. Möglicherweise schmiedet er schon damals böse, imperialistische Pläne.
Von unserem bisherigen Reiseverlauf sind wir bisher nur eher sommerliche Temperaturen gewöhnt. In Moskau grüßt uns der russische Winter zärtlich mit 0 Grad und leichtem Schneefall.
Eine Dreitagesfahrt im Zug von Russland über Kasachstan nach Usbekistan
Am 08.10.2019 verlassen wir Moskau mit einem historischen Nachtzug. Historisch deshalb, weil Ausstattung und Gestaltung an den Agatha Christie Roman „Mord im Orient Express“ erinnert. Renoviert wurde unser Zug seit dieser Zeit eher nicht. Er wird für die nächsten Tage und Nächte unser äußerst gemütliches Zuhause werden.
Wieder mit Sack und Pack, nebst in Taschen verpackten Rädern, begeben wir uns auf die bislang längste Bahnfahrt Richtung Zentralasien, um drei Tage und drei Nächte später über das Staatsgebiet von Kasachstan reisend, die Stadt Nukus in Usbekistan zu erreichen.
Mit diesem Zug, der mit einer gefühlten und GPS-geprüften Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 65 Stundenkilometern eine Strecke von 2200 Kilometer Strecke bewältigt und dazu mit oft langen Zwischenhalten und langwierigen Grenzübertritten punktet, benötigen wir über 60 Stunden Fahrzeit.
Die Ausblicke aus unseren mit Vorhängen geschmückten Fenstern, die sich nicht öffnen lassen – was angesichts einer Lokomotive mit Dieselantrieb aber auch kein großer Nachteil ist – sind für uns mit Sehenswürdigkeiten Russlands und den schier endlosen Steppen- und Wüstenlandschaften Kasachstans und Usbekistans durch-gehend faszinierend. Wir erfreuen uns über trockene Salzseen, jede Kuh, jedes Pferd und feiern die ersten Kamele, an denen wir vorbefahren. Das beabsichtigte Blog-Schreiben während der Fahrt findet nicht statt. Auch, weil es, anders als gedacht, im Zug weder Internet noch eine Steckdose gibt.
Stattdessen haben wir aus einem Kessel am Ende unseres Waggons stets heißes Wasser für Tee und Kaffee und interessante, interessierte Mitfahrer*innen. Diese sind für uns genauso interessant wie wir für sie. Der jeweilige Wortschatz ist begrenzt, die Neugierde und der Wille groß, da gehen Worte und Kekse hin und her und alle fühlen sich gut. Die in unserem Abteil kunstvoll verstauten Räder finden immer wieder große Aufmerksamkeit. Der Grund, warum wir mit dem Fahrrad reisen, bleibt trotz aller Erklärungen unsererseits, vermutlich nicht schlüssig geklärt.
Auch an den Grenzen werden wir und unser Gepäck wiederholt bestaunt, aber nie kontrolliert. Wir scheinen als Radtourist*innen einen besonderen Stellenwert zu haben. Von Grenzbeamt*innen, Polizist*innen und vom Zugpersonal fühlen wir uns immer sehr höflich und freundlich behandelt und mit „you are welcome in our country“ begrüßt.
So auch vom kasachischen Grenzbeamten Achmanibad, der sich sogar in deutscher Sprache als FC Bayern-Fan und Lewandowski-Bewunderer outet, und es super findet, wie wir reisen.
Ein Grund ist vermutlich auch, dass wir die einzigen Europäer*innen im Zug sind. Fliegen ist halt komfortabler und schneller. Etwas über sechs Stunden Flugzeit stehen der zehnfachen Fahrzeit im Zug gegenüber.
Österreicher*innen auf dieser Strecke sind offensichtlich noch seltener. Cornelias österreichischer Pass wird stets besonders genau betrachtet. Wenn nötig, ergänzen wir, dass Austria ein Teil von Europa ist und es dort keine Kängurus gibt – die Verwechslung mit „Australia“ liegt wohl nah.