Windschattengewächs - Clara Nielsen - E-Book

Windschattengewächs E-Book

Clara Nielsen

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Beschreibung

Clara Nielsen gehört zu den bekanntesten Slam-Poetinnen Deutschlands. Ihre bildhafte und doch ungekünstelte Poesie und ihre koketten Texte drehen sich um so weltbewegende Themen wie Windwatte, Farben, Knopflöcher, Jahreszeiten, Energiesparen, die Relativitätstheorie, die Liebe und um Fußball. Sprachverliebt und scharfsinnig verführt sie zum Träumen, Erinnern, Nachdenken - und zum Lachen - manchmal all das auf einmal - in nur 3 Minuten. „Windschattengewächs“ vereint 56 Gedichte und Geschichten.

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Seitenzahl: 104

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Die Kunst des Malens & Zeichnens:

Man malt sich aus, ausgezeichnet zu sein.

CLARA NIELSEN „Windschattengewächs“

1. Auflage, November 2012, Periplaneta Berlin, Edition MundWerk

© 2012 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin, www.periplaneta.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Lektorat und Projektmanagement: Marion Alexa Müller Cover und Bilder: Fabian Hartmann Satz, Gestaltung, Konvertierung: Thomas Manegold

E-Book-Version: 1.3

print ISBN: 978-3-943876-53-6 epub ISBN: 978-3-943876-33-8

Clara Nielsen

Windschattengewächs

periplaneta

Was bin ich

Ich bin nicht du

Ich bin nicht (nichts)

Ich bin

Ich

Windschattengewächs

(Für meine Mutter)

Ich seh’ dich in Latzhosen auf dem Heuwagen posen,

barfuß rennen, bis ins Dorf und zurück

für ein Eis und ein kurzzeitiges Gefühl

von ungeheurem Sommerferienglück.

Zwillingskirschen über die Ohren hängen,

als wären es rubinrote Edelsteine,

bis zur Dämmerung Räuber und Gendarm spielen

und rechtzeitig wieder zurück sein

zur Fütterung der Schweine,

beim Ringreiten Lollis und Waffeln absahnen

und meisterhafte Wege

durchs Maisfeldlabyrinth bahnen,

ein Jahr lang beobachten,

wie im Garten die Eschen-Rosen

wachsen und wieder welken,

früh morgens vor dem Hahngeschrei aufstehen,

um die Kühe zu melken,

nach der Schule Rüben ziehen

und auf der Strohballenbühne unterm Dachstuhl

in Fantasiewelten fliehen,

kleine Kieselsteine in den Gülletank schmeißen

und davon träumen, irgendwann mit dem Fahrrad

nach Amerika auszureißen.

Und wenn dann da

manchmal Traurigkeit war,

stand hinterm Haus vom Feldweg rechts

überdauernd die Zeit

dein Windschattengewächs;

der Knick hielt ihn ab, den Sturm und den Wind,

das Geschrei und die Wut auf ein

„Was hab ich falsch gemacht”-denkendes Kind.

Ich seh’ dich auf dem Sandhaufen hinterm Stall

Straßen für Spielautos bauen,

vom obersten Ast des Apfelbaums springen

und bei der Angabe der Höhe

auf die Schwester vertrauen,

im Vogelschießerkleid ein Tag lang Königin sein

und am nächsten

über die zerbrochene Glasperlenhalskette weinen,

Katzenbabys streicheln

und das Förderband vom Heuboden runterrutschen,

auf dem Fluss vom Floß aus Fische fangen

und an Schilfrohrhalmen lutschen,

die Jungs beim Über-den-Elektroweidezaun-Pissen beobachten,

heimlich über die Koppeln laufen

und mit den Nachbarshühnern Streit entfachen.

Im Winter Eisplatten vom Stoppelfeld heben

und im darunterentstandenen Kristallpalast

Märchengeschichten erleben.

Und wenn dann da

manchmal Traurigkeit war,

stand hinterm Haus vom Feldweg rechts

überdauernd die Zeit

dein Windschattengewächs;

der Knick hielt ihn ab, den Sturm und den Wind,

die Angst und die Furcht von einem

“Ich bin hier nicht richtig”-denkenden Kind.

Und dann seh’ ich mich Autoscooter fahren

und Trampolin springen,

Geburtstags- und Weihnachtslieder

in der Kindergruppe singen,

Knieaufschlagen beim Seilbahnfahren,

Geschwisterhosen auftragen und Gummibärchen

im Puppentopf auf der Heizung garen,

meckern über frühe Schlafenszeit und Tisch abräumen

und abends im Hochbett

von den Abenteuern der Fünf Freunde träumen.

Ich musste nicht Holzhacken und Trecker fahren mit zehn,

höchstens mal mein Zimmer saugen und einkaufen gehen.

Du warst so schnell groß, musstest du ja,

vielleicht war es die Zeit

niemand war da,

keiner antwortbereit.

Und ich? Ich fühl’ mich manchmal heute noch klein,

doch profitier ich davon, dass du groß geworden bist

denn ich fühlte mich nie wirklich allein.

Und wenn dann da trotzdem mal

Traurigkeit meinen Tag regiert,

ich mich unverstanden fühle und nicht akzeptiert,

ich mal wieder überfordert bin

mit meinem Lebenswegkonstruktkomplex,

dann bin ich froh, dass du die Zeit überdauert hast,

denn du bist mein Windschattengewächs!

Vielleicht nützliche Anmerkung:Ein Knick (oft auch als Wallhecke bezeichnet) ist ein kleiner bewachsener Wall, der zur Begrenzung von Feldern oder auch zum Schutz vor Erosion durch Wind errichtet wird.

Khaki ist das neue Grün

Diese kackigen, blöden Kackbratzen, ich hasse sie, diese scheiß Menschen, die ständig meinen, sie müssten andere beleidigen ohne Grund!

Boah, das geht mir so auf den Senkel, so wie die, die sich ständig über irgendwas aufregen müssen. Ich hasse das! Es ist doch nicht witzig, wenn ich „Schlampe” sage. Wo ist da der Witz? Wo?

Und dann geht’s bei den auch immer nur um das gleiche!

Diese scheiß kackigen Kacker! Ich kann das nicht mehr ab! Beleidigen einfach so ohne Grund! Und Aufreger, die sich einfach aufregen über Kleinigkeiten! Ich hasse das! Aufregen, das ist doch nicht witzig!

Man sollte sich über Großigkeiten aufregen. Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung, Facebook!

Aber nicht über Nichtigkeiten.

Und ständig höre ich hier heutzutage, dass die Jugend nichts mehr zum Rebellieren hat? Wat is das denn für’n Schwachsinn?! Es gibt genug, wogegen man sein kann in der Pubertät. Und wenn man das nicht glaubt, dann ist man einfach gegen die Pubertät! Hab’ ich auch gemacht. Einfach verweigern. Ich war lieb zu meinen Eltern. So lieb, dass sie mich bis heute gerne bei ihnen wohnen lassen. Und ich hab mit 15 gesagt: Ich will nicht Komasaufen und Kacke fressen! Ich spiele mit Bauklötzen und Playmobil. Oh ja, man kann rebellieren!

Und warum denn nicht einfach mal nett sein? Ich versteh das nicht, verdammt!

Und dann die Menschen, die sich ständig stressen lassen. Die sind gestresst von… von… von… vom Alltagsstress oder so. Die müssen überall und überimmer hyperpräsent sein. Die können sich nicht mehr auf eine Sache konzentrieren. Die reden mit dem und dann fangen sie mit jemand anderem ’n Gespräch an, reden über das Thema, dann das, sind hier und da. Und…

Wenn man abnehmen will, sag ich immer: Da muss man vorher zunehmen. Denn wenn man schwerer ist, verbrennt man mehr Kalorien. Außerdem kann man dann auch viel mehr abnehmen. Ist ja ’ne ganz einfache Rechnung: Wiegt man 30 Kilo und nimmt 30 Kilo ab, ist man tot. Wiegt man 130 Kilo und verliert 30 Kilo, ist man noch nicht tot und kann noch mehr abnehmen. Das ist genauso bei der Gesetzgebung. Sag ich. Erstmal so richtig scheiß Gesetze einführen und die dann später wieder lockern, da fühlen sich die Menschen doch wohl. Und darum geht’s doch wohl auch. Ums Wohlfühlgewicht. Nicht ums exakte Gewicht.

Aber was ich absolut nicht abkann, sind diese Jammerlappen, die sich nicht beschweren, sondern die einfach nur losheulen. Die stehen da mit Tränen in den Augen und sprechen so wie in ’ner Disney-Highschool-Romanze, in der Szene wo sie erfährt oder glaubt zu erfahren, dass er sie nur benutzt hat, um seinen Freunden zu beweisen, dass er sie flachlegen kann und sie dann mit ’ner riesigen Packung Eis auf dem Bett sitzt und in ihre rosa Plüschkissen rotzt. Oh, das ist so unnötig, so hinfällig, unersprießlich. Genau wie Hominide, die meinen, ihre verbalen Elogen so mit gravitätischer Miene artikulieren zu müssen, als wenn man auf diese förmlichen Expressionen nicht renoncieren könnte.

Oder diese merkwürdigen Schnitte bei Filmen. Die schneiden eine Szene so, dass man sich immer noch ausmalen muss, wie’s weitergeht. Und während man noch überlegt und seine Fantasie auslebt, – Cut – ist der Film schon wieder ganz woanders. Das machen die, damit man bloß nicht zu viel von der Geschichte mitbekommt. Es geht einfach rein um Atmosphärenästhetik.

Und ich schreibe auch Texte, die mir zu persönlich sind, und die ich nie öffentlich vortragen würde wie zum Beispiel mein Rapunzelgedicht, das so geht:

Warum kommt der blöde Prinz denn nie?

fragt sich Rapunzel nach der Chemotherapie.

Das sind Gedichte, die ich nur für mich schreibe. Das muss man auch mal machen. Sich was Gutes tun. Und Konfekt essen zum Beispiel, scheiß auf die Konfektionsgröße. Heute dreht sich so viel um Aussehen. Vielleicht war das früher auch so, aber: Früher haben Menschen gearbeitet, um etwas essen zu können, heute essen Menschen nix, um arbeiten zu können. Das ist doch ’n krankes Industriestaatproblem.

Aber Khaki ist halt das neue Grün. Das ist in. Ich mag ja Grasgrün viel lieber, denn Khaki ist einfach schon einmal durch den Kuhkörper durchgegangen. Kuhscheißegrün. Hoffnung durch den Dreck gezogen und als Shit verkauft. Aber was in ist, ist halt cool, egal wie bescheuert es ist.

Große Farben und ein bisschen Telefon

Ihr seid seit einer kleinen Ewigkeit

zwei mit denen ich meine Zeit

gerne für ’ne kleine Weile dreiteile,

denn dann und wann kommt man

mit vier Beinen mehr einfach schneller voran,

hab’ ich erfahr’n durch euch in all den Jahren.

Ich spiele so gern Memory,

schwelge stundenlang in Nostalgie,

deck’ die Karten auf und sehe, wie

wir damals waren:

Mit Springseil in der Hand,

malten wir fingerfarbenbunte Bilder an die Hauswand,

hatten Nasensommersonnenbrand am Badestrand

und blaue Flecken auf den Knien gab’s als Preisgeld

beim Verstecken spiel’n im Maisfeld.

Pflaumpflücken,

im Baumhaus frühstücken,

kaum einer kletterte so hoch hinaus

und fiel dennoch nicht auf wenn er fiel,

vielleicht weil einer von euch uns immer auffing

oder von vornherein aufhielt

zu weit zu gehen.

Mit den Nachbarsjungs im Hof

über die Stechrosen kommunizieren

durch sommerferiennachmittagelanges

Blechdosentelefonieren,

Seilbahnfahren

mit regenbogenfarbenschimmernden Haaren

zum Faschingsfest,

Vogeleier bestaunen

im Amselnest.

Es ist nur ’ne Überlegung –

aber wenn Bewegung eine Verlangsamung der Zeit verursacht,

warum habe ich dann immer gedacht,

die Zeit bliebe stehen,

wenn wir nichts unternehmen?

Und ich warte,

dass ein Blitzschlag

aus heiterem Himmel aus allen Wolken fällt

und sich die Relativitätstheorie im Alltag

an meine Regeln hält.

Dass die schönsten Momente sich dehnen

wie Gummitwistbänder,

wenn ich über grüne Hügelwiesen als Luftgitarrist schlendere.

Und ihr seid schon seit einer kleinen Ewigkeit

zwei mit denen ich meine Zeit

gerne für ’ne kleine Weile dreiteile,

denn dann und wann kommt man

mit vier Beinen mehr einfach schneller voran,

hab ich durch euch erfahren in all den Jahren.

Ich spiele so gern Memory,

schwelge stundenlang in Nostalgie,

deck die Karten auf und sehe wie

wir damals waren:

Als wir Songlyrics zum ersten Mal verstanden,

Freundschaftsbänder um die Handgelenke banden,

Briefbücher schrieben, als wir uns verliebten.

Erstes Schminken, erstes Trinken, erstes Augenwimpernwinken

und nachts barfuß die Straßen entlang

auf der Suche nach irgendwas, das

oder irgendwer, der uns ’ne Richtung zeigen konnte,

denn wir lagen mehr als ab und zu

wie auf zerbrechlichen Nussschalen im Meer,

trieben im Wirrwarrnebel unserer Träume umher,

ließen uns leiten von den Gezeiten,

von Menschen, die kamen und welchen, die gingen,

von Schlaghosenmoden und Glue-Glitzerdingen,

von Mobiltelefonen,

mit denen wir trotzdem synchron

irgendwann den Kontakt zueinander verlor’n,

weil man dachte, dass es sich lohnt,

wenn man nebeneinander wohnt,

auch mal auszuziehen, der Enge zu entfliehen,

von Bekanntem loszulassen, weil man Angst hat,

den Zug zu verpassen,

der in Richtung Zukunft fährt.

Sich die Haare nicht mehr nur zum Karneval färbt.

Und dann doch irgendwann barfuß

auf den Gleisen heimkehrt.

Es ist nur ’ne Überlegung –

aber wenn Bewegung eine Verlangsamung der Zeit verursacht,

warum habe ich dann immer gedacht,

die Zeit bliebe steh’n,

wenn wir nichts unternehm’?

Und ich warte,

dass ein Blitzschlag

aus heiterem Himmel aus allen Wolken fällt

und sich die Relativitätstheorie im Alltag

an meine Regeln hält.

Dass die Zeit schneller vergeht,

dass der Zeiger der Uhr sich schneller dreht,

wenn man sich nicht bewegt,

dass man jedes Zeitbewusstsein verliert,

wenn absolut nichts passiert.

Ich spiele so gern Memory

mit euch, wenn ihr wieder da seid

und dann sehen wir, wie

die Bilder der Jugend und Kindheit

verblassen und lassen die Karten

Postkarten der Erinnerung sein,

durch die wir befreit im Diesseits vereint

sagen können: Wie schön ist es hier;

denn wer seine Zeit teilt, hat meist mehr von ihr.

Ein Gedicht für alle Jahreszeiten

Du erinnerst mich an Frühling,

wie du riechst und wie du aufblühst,

wenn du Rennrad fahren kannst.

Wie du singend alle Sorgen verbannst,

wie du mich aufweckst und ansteckst

alles zu machen,

mit deinem Frühlingsmorgenlachen.

Du erinnerst mich an Sommer,

so süß wie Eis, so sexy wie Strandbadeshorts,

so frei wie Schulferien, so strahlend auf ’nem Bodyboard,

so voll mit Serotonin und Vitamin D,

so sanft wie eine Sommernacht in immergrünem Klee.

Du erinnerst mich an Herbst,

wenn du meine Welt bunt anmalst mit allerlei Farben,

wenn du mir Wärme schenkst

und sich Hände in Wollpullis graben,

wenn du Worte flüsterst, wie der Wind sie haucht

und ich in der Herbstabenddämmerung in Träume tauch.

Du erinnerst mich an Winter,

bin berauscht von dir als hätt’ ich seit Wochen

nur Glühwein und Plätzchen gerochen.

Du bist ein Schokoladenweihnachtsmann,

herb und zart, verführerisch und sinnlich

mit und ohne Bart

und du legst dich wie eine Decke

aus Puderzuckerschnee über mich

und sagst: An diesem Winternachmittag vernasch ich dich.

Du bist so facettenreich, dass man schon mal vergisst,

welche Jahreszeit gerade ist

und ich denke: Mist!

Ich würde Adjektive gerne weiter steigern können, denn:

Du bist das Besteste, was mir je passiert ist!

Du bist so einzigartig und unbeschreiblich du bist so…,

dass du mich verlassen hast.