Windstille - Wolf S. Dietrich - E-Book

Windstille E-Book

Wolf S. Dietrich

4,5

  • Herausgeber: Prolibris
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

"Der Tod eines Mädchens beschäftigt die Cuxhavener Kriminalpolizei. Doch Hauptkommissar Konrad Röverkamp und Kommissarin Marie Janssen finden weder Zeugen noch Motive für einen Mord. Sie stoßen überraschend auf eine erste Spur, als sie wegen eines Betriebsunfalls in einem Unternehmen für Offshore-Windkraftanlagen ermitteln müssen. Unterdessen sucht der Bruder des getöteten Mädchens auf eigene Faust nach dem Täter. Dabei gerät er in die Fänge der Mörder. Ein Wettlauf zwischen Leben und Tod beginnt."

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 342

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,5 (18 Bewertungen)
13
1
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wolf S. Dietrich

Windstille

Cuxland Krimi

Prolibris Verlag

Handlung und Figuren dieses Romans entspringen der Phantasie des Autors. Ebenso die Verquickung mit tatsächlichen Ereignissen. Darum sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt. Nicht erfunden sind bekannte Persönlichkeiten, Institutionen, Straßen und Schauplätze im Cuxland.

»Cuxland Krimi«® ist eine eingetragene Marke des Autors.

1

Angst hätte sie retten können. Doch Sarah Peters kannte dieses Gefühl nicht. In den dreizehn Jahren ihres Lebens war sie niemals in eine Situation geraten, die bedeutend mehr als ein wohliges Schaudern verursacht hatte. Wie die Gruselgeschichten ihres Großvaters, der gelegentlich vom Roten Claas erzählte – einem sagenhaften Mädchenmörder, der seit dreihundert Jahren im Elbe-Weser-Dreieck sein Unwesen trieb – und von der großen Flut, die er erlebt hatte, als er in Sarahs Alter gewesen war. Damals waren an vielen Stellen die Deiche gebrochen. Mitten in der Nacht hatten er, seine Eltern und seine Geschwister das Haus verlassen müssen, in dem bereits kniehoch das Wasser stand. Sie liebte Großvaters Erinnerungen, war aber weit davon entfernt, sich davon beeindrucken zu lassen. Sie erschienen ihr so unwirklich, als spielten sie in einer anderen Welt. Mit Sarahs Leben hatten sie nichts zu tun.

Wenn Schulfreundinnen davon erzählten, dass sie Angst hätten, in den Keller zu gehen oder allein zu Hause zu bleiben, zuckte Sarah nur mit den Schultern. Sie hatte grenzenloses Vertrauen zu ihrer Mutter und ihrem großen Bruder und konnte sich nicht vorstellen, von ihnen im Stich gelassen zu werden. Selbst Gewitter machten ihr nichts aus. Bei grollendem Donner mit Mama oder Daniel am Fenster zu kuscheln und den Blitzen zuzusehen, die über Cuxhaven oder die Nordsee zuckten, während der Regen gegen die Fenster prasselte, gab ihr das Gefühl von Geborgenheit. Wenn der Donner die Scheiben klirren ließ, löste das allenfalls ein wohliges Gruseln aus. Nicht anders als beim Besuch des Fleckenmarktes, wenn sie vom Riesenrad in die Höhe gehoben wurde, in der Geisterbahn Fantasmagor schauderte oder mit dem Kettenflieger über die Köpfe der Zuschauer sauste.

Vielleicht war es die Gewissheit, dass Mama und Daniel immer für sie da waren und stets wussten, was zu tun war. Egal, ob es Streit mit Freundinnen gab oder schwierige Schulaufgaben zu lösen waren. Im Gegensatz zu ihrem Bruder hatte sie auch keine Angst vor schlechten Noten, denn sie war eine der besten Schülerinnen ihrer Klasse.

Nicht einmal vor Ossa hatte sie Angst. Der Junge, der eigentlich Oskar hieß, war zwei Jahre älter als sie und für sein Alter sehr groß und sehr stark, aber geistig zurückgeblieben. Weil er eine kräftige, metallisch schnarrende Stimme und feuerrote Haare besaß, fürchteten sich viele Kinder aus der Nachbarschaft vor ihm. Es hieß, er habe einer herrenlosen Katze den Hals umgedreht und sei einmal mit heruntergelassenen Hosen hinter einem Schaf erwischt worden. Da er keine Freunde hatte, rannte er oft anderen Kindern hinterher, die eilig vor dem ungebetenen Spielkameraden flüchteten. Sarah war nie weggerannt. Was ihr eines Tages ein unverhofftes Kompliment eingebracht hatte. »Du bist schön«, hatte Oskar gestammelt. »Mag dich.« Dann war er davongelaufen.

Anfang März hatte sich der lange und kalte Winter plötzlich zurückgezogen. Heute, am dritten warmen Tag des Jahres, war sie mit dem Fahrrad zu Julia gefahren, die mit ihrer Familie direkt hinter dem Deich auf einem Bauernhof lebte, um mit ihr Mathe zu üben. Natürlich hatten sie nicht nur Aufgaben gelöst, sondern auch die Gelegenheit genutzt, die Ferkel anzuschauen, neugeborene Lämmer zu streicheln und auf Julias Pony zu reiten. Wäre sie ängstlicher gewesen, hätte sie mit der Rückfahrt nicht bis zum Einbruch der Dämmerung gewartet.

Schließlich hatten sie Erdbeertorte gegessen und waren über den Deich in die Salzwiesen gegangen, um dort nach Ringelgänsen, Austernfischern und Rotschenkeln Ausschau zu halten. Dadurch war die Zeit fast unbemerkt vergangen, und Sarah rechnete sich aus, dass sie fast eine Stunde später zu Hause ankommen würde, als sie mit ihrer Mutter verabredet hatte. Schon jetzt hatte sie deutlich überzogen. Es würde sich also nicht vermeiden lassen anzurufen. Sie trat noch kräftiger in die Pedale und tastete in ihrer Jackentasche nach dem Mobiltelefon.

*

Die Sitzung im Wremer Hotel »Deichgraf« zog sich hin. Der Chef der Offshore Consulting Hamburg, Ralf Scharnagel, hatte sich über den Betriebsratsvorsitzenden der CuxStahl geärgert und schon während der Beratungen die ersten Cognacs für sich und seine beiden Mitarbeiter geordert. Arnold Bannack, Inhaber der Stahlbaufirma, hatte zur Beruhigung der Gemüter eine weitere Runde spendiert. Nachdem sich die Gesprächspartner verabschiedet hatten, bestellte Scharnagel noch einmal Cognac und warf einen Blick auf die Uhr. »Jetzt gehen wir ein Bier trinken«, verkündete er. »Ich habe einen ganz trockenen Rachen von dem langen Palaver. Außerdem müssen wir noch was besprechen.« Er sah sich um. »Aber nicht hier. Wir fahren zum Golfclub. Liegt ja fast auf dem Weg. Im Clubrestaurant können wir auch zu Abend essen.«

Wenig später rollte der schwarze Mercedes GLK durch Wremen. Statt den direkten Weg über Dorum und Nordholz zu nehmen, bog Scharnagel schon bald nach links in Richtung Misselwarden ab. »Wir fahren besser am Deich längs«, erläuterte er, »da gibt’s keine Kontrollen.«

Sein Beifahrer nickte abwesend. Tom Steiner war Scharnagels rechte Hand und Vertrauter. Er hatte die Verärgerung seines Chefs bemerkt. »Was ist denn in den Schubert gefahren?«, fragte er. »Hat Bannack ihn nicht mehr im Griff?«

Der Fahrer schaltete in einen höheren Gang. »Wisst ihr, was ich denke?«

Stumm schüttelte Steiner den Kopf. Der Mann im Fond schwieg ebenfalls.

»Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Seit es mit der CuxStahl abwärts geht, denkt jeder nur noch an seine eigene Haut. Wahrscheinlich hat der Herr Betriebsratsvorsitzende Muffensausen. Wenn die Firma in die Insolvenz geht, könnten seine guten Beziehungen zur Geschäftsleitung bekannt werden. Von Entlassung bedrohte Arbeiter sind nicht zimperlich. Falls die davon Wind bekommen, muss sich der schöne Schubert warm anziehen.«

»Wird er von Bannack bezahlt?«, meldete sich der Mann vom Rücksitz. Scharnagel stieß einen Lacher aus. »Natürlich nicht. Jedenfalls nicht direkt. Aber was glaubst du, wie ein kleiner Angestellter zu einer Neun-Meter-Yacht kommt? Der Mann besitzt einen küstentauglichen Daycruiser der B-Klasse mit dreihundert PS. So was erbt man nicht.«

»Interessant.« Steiner stieß einen leisen Pfiff aus. »Daraus ließe sich doch etwas machen. Wenn wir den Laden sanieren wollen, müssen wir beim Personal sparen. Erstens Leute, zweitens Gehälter. Ein kooperativer Betriebsrat wäre eine große Hilfe.«

»Du sagst es.« Scharnagel schnaubte und beschleunigte den Wagen. Der Tacho zeigte neunzig, fünfzig waren erlaubt. »Jemand muss inoffiziell mit ihm verhandeln. Aber dafür brauchen wir hieb- und stichfeste Beweise. Er sah in den Rückspiegel und deutete nach hinten. »Das wäre eine Aufgabe für dich, Jesko.«

Der Angesprochene beugte sich vor. »Alles eine Frage des Preises.«

»Das sehe ich genauso«, grinste der Fahrer. »Aber der Preis sollte das geringste Problem sein. Was am Ende zählt, ist das Ergebnis. Kommt die CuxStahl wieder auf die Beine, werden uns alle umarmen. Vom Bürgermeister über die Landtagsabgeordneten und Minister bis zum Ministerpräsidenten. Erinnert ihr euch? Was haben die für Sprüche losgelassen, als Bannack das Unternehmen in Cuxhaven gegründet hat! Ein Zukunftsprojekt mit Hunderten neuer Arbeitsplätze. Jetzt gibt es Entlassungen, und die Herren Politiker lassen sich nicht mehr sehen und nichts mehr von sich hören.«

»Wir schaffen das.« Tom Steiner deutete in Richtung Nordsee. »Die Zukunft der Stromversorgung durch Windräder liegt im Offshore-Bereich. Da hat uns die Regierung mit ihrer Energiewende einen großen Gefallen getan. Mit alpha ventus steht der erste Windpark, und in Emden drängeln sich die Politiker in der ersten Reihe, wenn das Fernsehen kommt. Also sollten wir das auch für Cuxhaven wieder hinkriegen.«

Scharnagel nickte. Sie hatten Dorum-Neufeld durchfahren und den schnurgeraden Deichweg erreicht. Auch hier betrug die Höchstgeschwindigkeit fünfzig, doch er beschleunigte den schweren Mercedes GLK auf fast das Doppelte.

*

Von der Nordsee her hatte sich der Himmel bezogen, die Wolken wurden rasch dunkler und sorgten für eine vorzeitige Dämmerung, der Wind frischte auf. Als Sarah Peters in die Hohe Klint einbog, schien sich der Weg unter den Bäumen in der Dunkelheit zu verlieren. Für einen kurzen Augenblick erwog sie, das Licht einzuschalten, aber der Dynamo würde nur bremsen.

Mama hatte nicht verärgert geklungen, allenfalls war Besorgnis in ihrer Stimme zu hören gewesen. Sarahs Hinweis, dass sie kurz vor Oxstedt sei und in einer guten halben Stunde zu Hause sein würde, hatte sie wieder beruhigt. Nach dem Gespräch mit ihrer Mutter hatte sie die Stöpsel des Smartphones in die Ohren gesteckt und auf die Playlist mit ihrer Lieblingsmusik getippt. Zu den lauten Klängen von Bushido ließ es sich leichter treten.

Als der Lichtsensor des Mercedes die Scheinwerfer einschaltete, blitzte ein Reflektor auf. Scharnagel erkannte, dass er nicht mehr ausweichen konnte und stemmte sich gegen das Bremspedal. In dem Augenblick erfasste der Lichtkegel ein Fahrrad mit einem schmalen Wesen darauf, dessen blonder Haarschopf im Fahrtwind flatterte. Als die Reifen zu quietschen begannen, drehte sich das Mädchen um, geriet aus dem Gleichgewicht und stürzte auf die Fahrbahn.

In der Limousine war nur ein gedämpftes Poltern zu hören, als sie das Hindernis überrollte.

2

Skeptisch betrachtete Marie Janssen die Streifen auf dem Schwangerschaftstest. Es waren zwei, und wenn sie die Gebrauchsanweisung richtig verstanden hatte, konnte das nur eins bedeuten.

Mit der Möglichkeit hätte sie rechnen müssen. Aber sie war schon öfter überfällig gewesen, aber dann war ihre Blutung doch immer noch eingetreten, wenn auch mit Verspätung. War das leichte Ziehen in der Brust während der letzten Tage ein Signal gewesen?

Sie hob den Blick und betrachtete sich im Spiegel. Im April würde sie einunddreißig werden. Sah man ihr die Jahre an? Noch war die Haut glatt. Bis auf einige kaum sichtbare Fältchen an Augen und Mundwinkeln. Das Gesicht war von ersten Spaziergängen des Jahres leicht gebräunt. Die blonden Haare waren etwas dünn, aber mit der richtigen Spülung und etwas Festiger noch immer leicht in Form zu bringen. Mit einer Schwangerschaft sollte sich das angeblich ändern.

Wäre sie eine junge Mutter? Oder gehörte sie zu den Spätgebärenden, wie ihre Mutter einmal gewarnt hatte, als sie sich ergebnislos nach Maries Plänen für Nachwuchs erkundigt hatte? Wollte sie überhaupt ein Kind bekommen und Mutter werden? Bilder schossen ihr durch den Kopf. Eine Frau mit dickem Bauch, deren Schwerfälligkeit sie am Strand von Duhnen beobachtet hatte, als diese mit zwei schon vorhandenen Kindern und einem missmutigen Ehemann eine Sandburg um den Strandkorb geschaufelt hatte. Das ausgezehrte und übermüdete Gesicht der Kollegin von der Verkehrspolizei, die im Januar ihr Kind bekommen hatte. Die strahlenden Augen von Johanna-Leonie, der zweijährigen Tochter ihrer Freundin Mareike. Hatte dieses fröhliche Wesen nicht schon hin und wieder bei ihr Sehnsucht nach einem eigenen Kind ausgelöst?

Erneut betrachtete sie den Teststreifen. Die Anzeige war unverändert. Wie würde Felix reagieren? Über Kinder hatten sie gesprochen. Aber das war immer irgendwie theoretisch gewesen. Sie waren sich einig, dass sie welche wollten. Irgendwann. War jetzt der richtige Zeitpunkt? Gab es den überhaupt? Beruflich waren beide sehr eingespannt, mussten oft am Abend noch arbeiten. Felix rechnete mit der Möglichkeit, Nachfolger des Redaktionsleiters zu werden. Hajo Sommer würde bald in Pension gehen, und dann würde er sich bewerben. War ihm in dieser schwierigen Phase die Rolle eines Vaters zuzumuten? Bei Mareike war die Sache einfacher, sie arbeitete nicht, wollte nicht arbeiten. Ihr Mann war Offizier beim Marinefliegergeschwader in Nordholz und gut abgesichert. Wie schafften andere Eltern es, Beruf und Kinderbetreuung zu vereinbaren? Begegnungen mit straffälligen Jugendlichen gehörten zum Alltag der Polizeiarbeit, manchmal hatte sie den Eindruck, dass die jungen Menschen aus dem Ruder liefen, weil sich ihre Eltern nicht um sie kümmerten. Vielleicht sollte sie sich beurlauben lassen. Aber der Gedanke, während ihrer Abwesenheit könnte die Inspektion umstrukturiert werden und sie nach ihrer Rückkehr in einem anderen Kommissariat landen, erschien ihr beunruhigend. Außerdem rechnete sie damit, im nächsten oder übernächsten Jahr zur Kriminaloberkommissarin befördert zu werden. Mit Besoldungsgruppe A 10. Daraus würde dann wohl auch nichts.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!