Wintersymphonie der Liebe: 5 Romane - Sandy Palmer - E-Book

Wintersymphonie der Liebe: 5 Romane E-Book

Sandy Palmer

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Geschichten: Sandy Palmer: Winterserenade Alfred Bekker: Die Fehde am Bergsee Anna Martach: Liebesparcours mit Hindernissen Anna Martach: Michael allein auf der Welt Harold MacGrath; Eine Prinzessin brennt durch Der Gestütsbesitzer Martin Holzhauser denkt ernsthaft über den Verkauf seines Gestüts nach, da er langsam zu alt für die Arbeit dort wird. Bald schon hat er auch einen passenden Käufer gefunden. Als Bedingung knüpft er an den Verkauf die Übernahme aller Angestellten, auch der Tierärztin Simone. Doch diese traut dem neuen Besitzer, Dominic Johnson, zunächst nicht, auch wenn der alte Holzhauser sich ganz nebenbei erhofft hatte, dass die beiden sich näherkommen.

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Alfred Bekker, Sandy Palmer, Anna Martach, Harold MacGrath

Wintersymphonie der Liebe: 5 Romane

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Inhaltsverzeichnis

Wintersymphonie der Liebe: 5 Romane

Copyright

Winterserenade

Die Fehde am Bergsee

Liebesparcours mit Hindernissen

Michael allein auf der Welt

Die Prinzessin brennt durch: Geliebter Fürst Roman

Wintersymphonie der Liebe: 5 Romane

Alfred Bekker, Sandy Palmer, Anna Martach, Harold MacGrath

Dieser Band enthält folgende Geschichten:

Sandy Palmer: Winterserenade

Alfred Bekker: Die Fehde am Bergsee

Anna Martach: Liebesparcours mit Hindernissen

Anna Martach: Michael allein auf der Welt

Harold MacGrath; Eine Prinzessin brennt durch

Der Gestütsbesitzer Martin Holzhauser denkt ernsthaft über den Verkauf seines Gestüts nach, da er langsam zu alt für die Arbeit dort wird. Bald schon hat er auch einen passenden Käufer gefunden. Als Bedingung knüpft er an den Verkauf die Übernahme aller Angestellten, auch der Tierärztin Simone. Doch diese traut dem neuen Besitzer, Dominic Johnson, zunächst nicht, auch wenn der alte Holzhauser sich ganz nebenbei erhofft hatte, dass die beiden sich näherkommen.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Winterserenade

von Sandy Palmer

Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author

© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

So, genau so hat sich die junge Sängerin Bettina Steinberg den Silvesterabend erträumt: Sie darf mit ihrer heimlichen Liebe, dem Startenor Joachim Carlsen, auf der Bühne stehen! Das Publikum ist von der jungen Sängerin begeistert, und auch Joachim ist stolz, dieses bezaubernde, talentierte Wesen für sich gewonnen zu haben. Aber noch vor Mitternacht, noch bevor ein neues Jahr beginnt, droht Bettinas Glück zu zerplatzen wie die Raketen am nächtlichen Himmel ...

*

„Das Silvesterpublikum ist und bleibt das beste“, lachte Joachim Carlsen und umarmte seine schöne Partnerin, während sich der Vorhang senkte. „Und hier in Zürich singe ich den Eisenstein ganz besonders gern.“

„Es ist wirklich eine ganz tolle Aufführung!“ Bettinas Augen glänzten. Nicht nur, weil auch sie, die noch recht unbekannte Sopranistin, mit so viel Applaus bedacht worden war. In erster Linie machte es sie glücklich, gemeinsam mit Joachim auf der Bühne stehen zu können.

„Du warst erstklassig“, lobte sie der bekannte Tenor. „Aber das hab ich ja gleich gewusst. Nicht umsonst hab ich dich Gerhard als Ersatz für die Sandersen empfohlen.“ Er lachte selbstgefällig. „Wenn ich auch zugeben muss, dass viel Eigennutz im Spiel war. So hab ich dich doch endlich wieder in meiner Nähe. Und du bist eine ganz bezaubernde Adele, mein Schatz.“

„Gute Leistung, Bettina. Kompliment.“ Der künstlerische Leiter kam auf die beiden zu, die immer noch seitlich auf der Bühne standen, während sich die übrigen Ensemble-Mitglieder in ihre Garderoben zurückgezogen hatten, um ein wenig zu entspannen und sich dann umzuziehen.

„Danke.“ Die junge Sängerin errötete ein wenig. Vor einer knappen Woche erst war Bettina für die an einer schweren Angina erkrankte Sängerin Janine Sandersen eingesprungen. Ein sehr wagemutiges Unternehmen – aber auch eine riesengroße Chance. Und die verdankte sie Joachim Carlsen!

Seit einem gemeinsamen Engagement in Düsseldorf vor einem knappen halben Jahr waren sie liiert. Leider konnten sie sich nur selten sehen, denn die Verpflichtungen des bekannten Tenors waren umfangreich. Bettina hingegen war froh, wenn sie an kleineren Bühnen ein Engagement bekam. Oder auch mal einen Liederabend mitgestalten durfte.

Und jetzt stand sie als Adele mit Joachim in Zürich auf der Bühne! In der Silvestervorstellung von Johann Strauß’ weltberühmter Operette „Die Fledermaus“. Walzermelodien und allseits bekannte Arien rissen das Publikum mit, ließen es auch nach der Pause verschwenderischen Beifall spenden.

Star der Aufführung war jedoch Joachim Carlsen, der berühmte Tenor! Vor allem der weibliche Teil des Publikums jubelte dem gutaussehenden Mann zu – was er sichtlich genoss.

Später dann, nach der Vorstellung, eilten alle in die Kantine, die so festlich wie möglich geschmückt worden war. Hier wollten sie alle feiern und das Neue Jahr begrüßen. Um in eines der vielen Lokale der Stadt zu gehen, reichte die Zeit nicht mehr. Und hier zu feiern, hatte auch Vorteile: Man war unter sich, konnte sicher sein, ungestört zu bleiben.

„Trinke, Liebchen, trinke schnell, trinken macht die Augen hell“, summte Joachim, als er mit einem frischen Glas Champagner zu Bettina trat, die gerade an der improvisierten Bar stand und sich mit zwei Kollegen unterhielt. „Auf uns“, raunte er ihr zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Harmlos sollte das aussehen, aber einige hatten schon bemerkt, dass der berühmte Sänger mehr als kollegiales Interesse an der jungen Sopranistin hatte.

„Noch vier Minuten!“, rief Regina Pettinger, die eine hervorragende Altstimme besaß und den Prinzen Orlofsky gesungen hatte. „Kommt doch mit raus auf die Terrasse, da können wir das Feuerwerk sehen!“

Die meisten folgten ihr. Nur Joachim blieb etwas zurück, er hielt Bettina am Arm fest und raunte: „Bin ich froh, wenn wir gleich allein sind! Ich kann es kaum erwarten...“

Ein wenig verlegen sah sie sich um. Nein, niemand hatte etwas gehört.

„Schäfchen!“ Er lachte zärtlich. „Glaubst du wirklich, die anderen sind ahnungslos?“ Und schon umarmte er sie leidenschaftlich, zog sie dann hinaus in die kühle Nacht, wo schon die ersten Rakete in der Luft zerstoben und Kaskaden von bunten Lichterfunken an den Nachthimmel malten.

Bettina schaute sich um. Nein, niemand nahm von ihnen Notiz. Alle waren damit beschäftigt, die Gläser zu füllen und darauf zu warten, endlich das Neue Jahr begrüßen zu können.

„Diese Idylle! Ich bin immer wieder fasziniert von deinem Timing, mein Lieber.“ Die Frau, die an der Terrassentür stand und jetzt auf Joachim Carlsen zuging, war eine faszinierende, beeindruckende Erscheinung, obwohl sie klein und zierlich war: Schwarzes Haar umrahmte in einem perfekt geschnittenen Pagenkopf ihr schmales Gesicht. Dunkle Augen, geschickt geschminkt, blitzten Joachim an. Der kirschrote Mund war zu einem spöttischen Lächeln verzogen, an dem die Augen jedoch keinen Anteil hatten.

„Vanessa...“ Der Sänger räusperte sich verlegen. „Was... was machst du denn hier?“

„Ich hatte eigentlich vor, mit meinem Mann Silvester zu feiern. Wie du weißt, hab ich in diesem Jahr kein Engagement. Und da liegt es doch nahe, dass ich mit dir zusammen sein will. Nicht wahr?“ Lässig schob sie das schwarze Nerzcape ein wenig nach hinten, man konnte ihr eng anliegendes, ebenfalls schwarzes Samtkleid bewundern, das nur am Dekolletee von einer großen Brillantbrosche geschmückt wurde.

Bettina umkrampfte das Sektglas so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten und man Angst haben musste, gleich würde das Glas in ihrer Hand zerspringen. So wie die unzähligen Raketen, die jetzt am Himmel zerstoben alles in ein glitzerndes Meer aus roten, blauen und goldenen Sternen tauchte.

Und dann zerplatzten die bunten Sterne, wurden in Sekundenschnelle zu dunklem Nichts.

So, wie gerade Bettinas Liebe zerstob. Aber nicht laut und von fröhlichem Rufen untermalt. Sondern still und leise. Doch unendlich schmerzhaft.

Aus brennenden Augen sah sie abwechselnd Joachim, dann die schöne Fremde an. Die lächelte ihr jetzt spöttisch zu.

„Sie haben keine Ahnung gehabt, Kindchen, nicht wahr?“ Ein lässiges Schulterzucken begleitete die Worte. „Tja, das ist seine Masche.“ Dann wandte sie sich wieder an Joachim. „Stell mich doch bitte vor, mein Lieber.“ Sie nickte in die Runde. „Wobei ich sicher bin, dass mich einige kennen.“

Es schien, als sei mit diesem letzten Satz der Bann gebrochen. Einige ältere Kollegen traten auf das Paar zu und begrüßten die Frau in Schwarz.

„Das ist Vanessa Margolini”, raunte eine Chorsängerin Bettina zu. „Sie hat lange in Amerika und Australien gelebt. Ich glaube, in den letzten beiden Jahren war sie in Sydney.“

Bettina atmete schwer. Vanessa Margolini... natürlich war ihr der Name ein Begriff. Sie besaß eine wundervolle Mezzosopranstimme, hatte schon an allen bekannten Opernhäusern der Welt gastiert. Dass sie allerdings mit Joachim Carlsen verheiratet war... das schien ein Geheimnis zu sein.

„Vanessa! Darling!“ Der Dirigent, klein und übergewichtig, segelte auf die Sängerin zu und küsste ihre Hände. „Davon hat Joachim mir gar nichts gesagt! Du weißt zu überraschen!“

„Das genau war meine Absicht.“ Die schöne Frau lächelte, und wieder waren ihre Augen nicht beteiligt. Dennoch sah sie strahlend zu Joachim auf, als sie fortfuhr: „Wir sehen uns so selten. Und ich hatte Sehnsucht nach dir.“ Sie hauchte einen Kuss in die Luft.

Bettina konnte es nicht mehr ertragen, mit den beiden auf Tuchfühlung zu stehen. Abrupt drehte sie sich um und stürzte davon. Aus der Kantine, aus dem Operngebäude.

Draußen blieb sie schwer atmend stehen und sah sich nach einem Taxi um. Natürlich war weit und breit kein Wagen zu sehen.

„Hier, Kindchen, dein Mantel.“ Edda, die alte Garderobiere, brachte ihr den Steppmantel nach draußen und legte ihn Bettina um die Schultern. „Du musst es nicht so schwer nehmen. Joachim ist ein Don Juan. Vanessa weiß das – und sie weiß auch, dass er immer wieder zu ihr zurückkehrt.“

„Aber... Ich hatte ja keine Ahnung...“

„Die beiden haben unzählige Verehrer. Da ist es ganz günstig, als Single zu gelten. Die Fangemeinde ist dann größer.“ Die alte Frau zuckte mit den Schultern. „Na ja, richtig find ich das nicht. Aber wer fragt schon nach meiner Meinung.“ Sie umarmte Bettina kurz. „Nimm’s nicht so tragisch. Sieh es als das, was es ist: Eine Affäre, die dir hier viel Erfolg eingebracht hat. Der Carlsen hatte seinen Spaß, du bist auf der Karriereleiter ein Stück höher geklettert durch ihn. So seid ihr quitt.“

Das klang pragmatisch. Und vielleicht war es auch die richtige Einstellung. Nur... Bettina konnte so nicht denken. Mit einem knappen. „Danke“ drückte sie Edda die Hand, dann rannte sie davon.

Und irrte die halbe Nacht durch Zürich. Verzweifelt. Traurig. Gedemütigt und – zum Glück – auch wütend. Auf sich, weil sie so leichtgläubig gewesen war. Auf Joachim, der mit ihr gespielt hatte.

Und als die Wut größer war als die Traurigkeit, fasste sie einen Entschluss: Sie würde noch heute von hier abreisen. Irgendwohin, wo sie wieder zu sich selbst finden konnte.

Die Bahnhofstraße mit ihren eleganten Geschäften war jetzt ganz still. Nur noch ganz vereinzelt waren Nachtschwärmer zu sehen. Langsam, wie magisch angezogen, ging Bettina auf den Bahnhof zu.

Die Rätische Bahn warb mit großen Plakaten, lud ein zu einer Reise ins Schneeparadies St. Moritz.

„Das ist es!“ Bettina atmete auf. „Ich fahre zu Iris!“

Hier am Bahnhof standen Taxen, mit einer ließ sie sich in ihre Pension fahren, packte hastig die beiden Koffer und kehrte zum Bahnhof zurück, wo sie ein Ticket nach St. Moritz löste.

*

Ein wunderschönes Panorama lenkte Bettina von ihrem Kummer ab. Fasziniert sah sie immer wieder aus dem Zugfenster. Langsam, in zum Teil sehr engen Windungen und über alte Viadukte schraubte sich die Bahn hinauf in die Berge.

Und dann war endlich St. Moritz erreicht.

Der feudale Wintersportort empfing Bettina mit strahlendem Sonnenschein. Jetzt, zu Neujahr, hielten sich besonders viele Prominente hier auf. Der Jetset feierte entweder in einem der Nobelhotels oder in privaten Chalets.

Nun, das sollte sie nicht tangieren. Sie würde versuchen, in einer Pension oder einem einfachen Hotel unterzukommen.

„Ein Zimmer?“ Der Taxifahrer, älter und mit grauem Vollbart, schüttelte den Kopf. „Das sieht aber verflixt schlecht aus, junge Frau.“

„Ich weiß. Aber... es war eine spontane Idee.“ Zur Not muss mich Iris für einen oder zwei Tage auf ihrer Couch beherbergen, dachte sie. Aber lieber wäre es ihr schon, ein eigenes Zimmer zu finden.

„Na, ich versuch’s mal bei einem alten Spezi.“ Der Taxifahrer lenkte den Wagen bergan bis zum Ortsende. Einen herrlichen Blick hatte man von hier auf den St.Moritz-See, der jetzt, ebenso wie die Nachbarseen Champfère-See, Silvaplaner-See und Silser See, zugefroren war.

Doch im Tannenhof, einer gemütlichen Pension, waren alle Zimmer belegt. „Und was ist mit dem Alpenblick?“, fragte der Taxifahrer.

Sein Freund, ebenso alt und bärtig wie er, zuckte mit den Schultern. „Frag halt den Karsten.“

„Ich mach Ihnen so viele Umstände.“ Bettina wurde in ihrem Sitz immer kleiner.

„Ach was, das geht schon in Ordnung.“ Der Taxifahrer hatte sich wohl fürs neue Jahr eine gute Tat vorgenommen – und er konnte sie wirklich vollbringen, denn im „Alpenblick“ war tatsächlich ein Zimmer frei.

„Heute Morgen ist der Herr abgereist“, erklärte das Mädchen an der Rezeption – und verschwieg diskret, dass der Herr Ärger mit seiner viel zu jungen Freundin gehabt hatte, die die Nacht lieber mit einem feschen Skilehrer durchtanzt hatte als sie mit einem zwar reichen, aber feisten und unbeweglichen Mann zu verbringen. „Ich frag nur rasch den Chef, ob ich das Doppelzimmer fortgeben kann. – Ach, Karsten, hör doch bittschön mal...“ Sie winkte einen hoch gewachsenen Mann, der eben aus dem Büro kam, zu sich. „Das Doppelzimmer, das eben frei geworden ist... kann die junge Dame es haben?“

Ein eher flüchtiger Blick traf Bettina, dann wurde der Blick intensiver...

„Ja, das geht in Ordnung.“ Karsten Ahrensburgs verbindliches Lächeln verstärkte sich. „Willkommen bei uns. Darf ich Ihr Gepäck nehmen?“

„Danke... ich muss nur noch das Taxi zahlen.“ Das war schnell und mit einem großzügigen Trinkgeld erledigt. Dann folgte sie dem Mann in den Lift, der sie in die dritte Etage brachte.

Das Zimmer, riesig groß und mit einem verglasten Giebel, der die Aussicht auf die Bergkette freigab, war zwar mit allem Luxus, doch auch ein wenig rustikal eingerichtet.

„Aber das für mich viel zu...“ Verlegen brach Bettina ab. Nun, dann würde sie eben nur eine Nacht hier bleiben.

„Das geht schon in Ordnung. Die Herrschaften, die abgereist sind, mussten einen Abstand zahlen.“ Karsten lächelte. „Richten Sie sich in Ruhe ein – ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt bei uns. Und vor allem: Ein recht gutes und gesundes Neues Jahr!“

„Danke. Ihnen auch.“ Als sie allein war, sank Bettina auf das breite Bett- und brach in Tränen aus. Erst nach einer halben Stunde, die Augen brannten und das Kopfkissen war nass, hatte sie sich so weit gefasst, dass sie ihre Freundin anrufen konnte.

Iris Schaffner hatte gemeinsam mit Bettina eine Gesangsausbildung am Konservatorium in Köln absolviert. Doch rasch hatte sich herausgestellt, dass sie nicht das nötige Talent besaß. Und so war sie ins elterliche Modegeschäft eingestiegen. Seit zwei Jahren leitete sie die Zweigstellen in St. Moritz und Pontresina.

„Ein wunderschönes neues Jahr!“ Sie rief es in den Hörer, ohne sich zu melden oder zu warten, wer am anderen Ende der Leitung war.

„Dir auch, obwohl...“

„Hey, Adelchen, hast du schon Zeit, dich zu melden? Das ist lieb von dir. Sag, wie war die Aufführung? Und habt ihr toll gefeiert?“

„Ach ins ...“

„Hey!“ Endlich merkte Iris, dass etwas mit der Freundin nicht stimmte. „Hast du Kummer?“

„Hmm.“

„Sag, was ist passiert?“

„Das ... das würde ich dir gern bei einem Kaffee erzählen. Oder bei heißem Kakao mit einem großen Schluck Cognac.“ Bettina atmete tief durch, dann fuhr sie fort: „Ich bin nämlich in St. Moritz.“

„Waas?“

Ob sie es wollte oder nicht – Bettina musste lächeln. Sie konnte sich Iris genau vorstellen. Wie sie die großen braunen Augen weit aufriss und mit ihren dunklen Locken spielte. So, wie sie es immer tat, wenn sie nervös war.

„Ich musste weg aus Zürich. Kann ich zu dir kommen?“

„Klar doch. Warum bist du nicht schon da? Wo steckst du überhaupt?“

„Im Alpenblick.“

„Nobel die Dame.“ Iris lachte. „Dann bleib wo du bist, ich komm zu dir. Bis gleich.“

Es dauerte nur anderthalb Stunden, dann hatten die Freundinnen sich ausgiebig umarmt, es waren vier Kakao mit Cognac getrunken – und Iris wusste über alles Bescheid.

„Den Mistkerl musst du einfach vergessen“, erklärte sie. „Gut, dass du hergekommen bist. Hier gibt’s Abwechslung in Hülle und Fülle. Gleich morgen gehen wir auf die Piste.“

„Aber ich will keinen neuen Mann kennenlernen! Ich muss erst mal verkraften, was Joachim mir angetan hat.“

„Trotzdem gehen wir auf die Piste. Du hast doch wohl das Skilaufen nicht verlernt, oder?“

Bettina lachte. „Nein, das wahrhaftig nicht. Wenn wir uns nur auf den Sport konzentrieren – da bin ich dabei.“

Karsten Ahrensburg, der die beiden Freundinnen an der Bar diskret beobachtet hatte, lächelte still vor sich hin. Morgen würde auch er mal wieder auf die Bretter steigen. Und ganz „zufällig“ den beiden Freundinnen begegnen. Sie war einfach zu reizend, die blonde Bettina mit den traurigen Augen...

*

Das kurze, melodische Klingeln des Handys riss Bettina aus dem Schlaf. Schon wollte sie nach dem kleinen Gerät greifen, als sie innehielt – und die Hand wieder unter der Bettdecke versteckte. Der Anrufer war wahrscheinlich Joachim. Joachim, der eine vage Entschuldigung und eine unglaubwürdige Erklärung für sein Verhalten bereit haben würde.

„Mit mir nicht“, murmelte Bettina und ignorierte standhaft den Klingelton.

Endlich gab der Anrufer auf. Doch an Schlaf war nicht mehr zu denken, zumal von unten, von der Straße, Stimmen und übermütiges Lachen zu hören war.

Entschlossen sprang Bettina aus dem Bett, ging auf nackten Füßen zum hohen Fenster und schaute hinaus. Neuschnee hatte es gegeben, dazu strahlte eine helle Wintersonne vom blitzblauen Himmel.

Ein Wintermärchen... ging es der jungen Sängerin durch den Kopf. Von so einem Liebesurlaub im Schnee hatte Joachim oft geschwärmt. „Wenn die Silvesteraufführung vorbei ist, muss ich noch zwei Konzerte in Zürich und eins in Salzburg geben, dann hab ich Urlaub. Und den verbringen wir irgendwo ganz allein im Schnee.“

Ha! Jetzt wusste sie, warum er so gern die Einsamkeit mit ihr gesucht hatte! Nicht aus einer romantischen Stimmung heraus, sondern weil er Angst davor gehabt hatte, mit seiner jungen Geliebten entdeckt zu werden.

Joachim, du bist ein Schuft, dachte Bettina, während sie lange und ausgiebig duschte. Ich sollte dir keine Träne nachweinen.

Aber... immer wieder stieg ihr das Nass in die Augen. Auch an diesem Morgen.

Doch zum Glück wartete im Frühstückszimmer schon Iris auf sie. „Na, endlich wach, Langschläferin?“ Sie begrüßte die Freundin mit einem Kuss auf die Wange, wies dann zu einem kleinen Tisch am Fenster. „Ich hab schon Kaffee geordert. Karsten hat mich zum Frühstück eingeladen.“

„Wer ist Karsten?“

Iris lachte. „Der Hotelier natürlich!“

„Du kennst ihn?“

Die Freundin lachte. „Natürlich. Hier kennt jeder Einheimische den anderen.“

Bettina ließ sich von einer freundlichen Kellnerin Kaffee bringen und nahm vom reichhaltigen Buffet. Erst als sie sich mit einem Croissant gestärkt hatte, nahm sie das Gespräch wieder auf. „Du bist doch keine Einheimische! Wieso meint er das?“ Sie wusste selbst nicht, was sie an dem Gedanken störte, dass sich Iris und dieser Karsten näher standen.

„Hallo! Dafür, dass du gerade deinen Liebeskummer pflegst, interessierst du dich aber schon wieder sehr für fremde Typen.“

„Du spinnst.“ Gelegentlich sah Bettina nach draußen, wo der Schnee in der Sonne glitzerte, als sei er mit Millionen kleiner Brillantsplitter übersät worden.

Iris ersparte sich eine Antwort, doch sie lächelte wissend, als sie sich ein zweites Brötchen nahm und es mit delikatem Bündner Fleisch belegte. Zwischen zwei Bissen fragte sie: „Was meinst du – brauchst du noch mal Unterricht oder können wir so losfahren?“

„Ich hab ja noch nicht mal Skisachen dabei.“

„Und wozu hast du eine Freundin mit einem Sportgeschäft?“ Iris lachte. „Ich bin nicht unvorbereitet hier, mein Schatz. In meinem Wagen liegt eine kleine Kollektion für dich bereit – samt Skiern. Du musst nur noch anprobieren.“

Also, das war nicht nur großzügig, sondern es bot auch Ablenkung genug. Und so hatten die beiden Freundinnen erst mal eine halbe Stunde Spaß bei der ganz privaten Modenschau.

Schließlich entschied sich Bettina für einen bordeauxroten Skidress, dessen einziger Schmuck eine kleine Applikation auf dem Rücken war. Der Anzug saß wie angegossen, und die passende Mütze mit Fellbesatz komplettierte das modische Outfit.

Iris hatte einen hellgelben Skianzug dabei, der ihren dunklen Typ unterstrich. Als die beiden am späten Vormittag das Hotel verließen, um mit dem Bus zum Skilift zu fahren, folgte ihnen manch bewundernder Blick.

Auch Karsten Ahrensburg sah ihnen nach – und eilte zu seinem Wagen, als er erkannte, dass die Freundinnen an diesem ersten Tag zum Corvatsch hinauf wollten. Er beeilte sich, ihnen zu folgen. Die Mittelstation konnte er mit ein bisschen Glück noch vor den beiden erreichen, schließlich musste er nicht auf den Skibus warten.

Und so stand er schon auf den Brettern und wartete auf die Freundinnen, als die eine knappe halbe Stunde später aus der Gondel stiegen und sich für die erste Abfahrt fertig machten.

„Wir lassen es langsam angehen“, sagte Iris. „Erst mal nur die leichte Abfahrt, ja?“

„Klar doch. Es ist schließlich fast ein Jahr her, seit ich auf Skiern gestanden hab.“

Aber sie hatte nichts verlernt! Gekonnt nahm Bettina die Abfahrt – und sie machte eine ausgezeichnete Figur. Ihre Augen, gestern noch ein bisschen verhangen, strahlten. „Das hat gut getan! Fahren wir noch mal?“

„Darf ich mich anschließen?“ Wie aus dem Boden gewachsen stand Karsten hinter den Freundinnen.

„Hallo, was machst du denn hier? Hast du keine Gäste zu betreuen?“ Lachend sah Iris den Mann an.

„Das Wetter war einfach zu verlockend. Und mein Vater kommt sich doch immer überflüssig vor, wenn er nicht hundertprozentig eingespannt ist.“ Er sah Bettina an. „Sie fahren gut. Kompliment.“

„Danke.“ Sie sah ihn nicht an, konzentrierte sich scheinbar darauf, ihren Skipass in den Kontrollautomaten zu stecken.

Sie fuhren noch zwei Mal die leichte Abfahrt, dann meinte Bettina, dass sie sich ruhig an eine schwierigere Piste vagen könnte.

„Aber erst stärken wir uns. Was haltet ihr von einem Imbiss? Drüben in der Hütte ist es ganz gemütlich.“

„Können wir nicht draußen sitzen bleiben? Die Sonne ist herrlich“, meinte Bettina.

„Klar. Sei aber vorsichtig, dass du dir keinen Sonnenbrand holst.“ Natürlich duzten sie sich – wie alle Skikameraden.

„Ich bin gut eingecremt. Nur einen Schal muss ich mir noch besorgen.“

„Warum das denn? Reicht dein Rolli nicht?“ Fragend sah Karsten die junge Frau an. Die meisten Skiläuferinnen versuchten, so viel Bräune wie möglich zu erhaschen, Bettina aber wollte sich noch einen Schal um den Hals binden.

„Ich darf mich nicht erkälten.“

„Sie ist Sängerin“, erklärte Iris. „Opernsängerin!“, fügte sie stolz hinzu.

„Alle Achtung!“ Karsten neigte leicht den Kopf. „Dann musst du schon auf dich aufpassen.“ Er zögerte. „Darf ich dir meinen Schal anbieten? Ich brauch ihn nicht.“ Und schon zog er einen bunt geringelten, sichtlich handgestrickten Schal aus der Jackentasche.

Bettina schaute das etwas seltsame „Unikat“ an. „Wer hat das denn gestrickt?“

„Meine kleine Nichte. Sie hat fast ein Jahr dran gearbeitet. Ich hab den Schal zu Weihnachten bekommen.“

Es rührte sie, dass er dieses Monstrum, das nun wirklich keinen Schönheitspreis bekommen würde, wirklich tragen wollte.

„Danke. Ich nehme ihn gern als Leihgabe.“ Sie wickelte sich den Schal um und zog heimlich den Duft ein, der von ihm ausging: eine leichte Mischung aus Sandelholz und Zitrusfrüchten.

Die Bretter, mit denen die Hütte verschalt war, spendeten angenehme Wärme. Bettina, die lange nicht mehr so viel an der frischen Luft gewesen war und sich dazu noch körperlich verausgabt hatte, spürte, dass sie schläfrig wurde. Ihr Kopf sank ein wenig zur Seite – sie war eingeschlafen.

„Die Arme! Ist völlig erschöpft.“ Iris grinste Karsten an. „Dann musst du jetzt wohl ganz still sitzen bleiben, damit sie nicht gleich wieder wach wird.“

„Kein Problem – wenn du mir noch einen Jagertee bestellst.“ Er fasste behutsam nach Bettinas Kopf und drehte ihn ein wenig, damit sie bequemer an seiner Schulter ruhen konnte. Und während Iris in die Hütte ging, um einen weiteren heißen Jagertee zu ordern, ging es Karsten durch den Kopf, wie angenehm es war, so zu sitzen. Und dass Bettina dicht neben ihm war – es war perfekt!

Das dachte auch Iris, als sie zurück kam. Man soll den Teufel mit Beelzebub austreiben, ging es ihr durch den Kopf. Sie schmunzelte vor sich hin. Den sichtlich verliebten Karsten durfte sie nun wahrlich nicht als Beelzebuben bezeichnen.

„Hallo! Was macht ihr denn hier?“ Eine dunkle Stimme schreckte Bettina auf. Sie blinzelte und setzte sich verlegen gerade.

„Wie immer – der Elefant im Porzellanladen.“ Iris sah den Mann, der breitbeinig vor ihrem Tisch stand, wütend an. „Kannst du nicht ein bisschen rücksichtsvoller sein?“

„Wenn ich störe, kann ich ja wieder gehen.“

„Ach was, du störst doch nicht. Komm, setz dich.“ Karsten wies auf den Platz neben Iris. Die rückte nur widerwillig ein Stück zur Seite.

„Hallo, ich bin Viktor.“ Ein sympathisches Lächeln, das kleine Fältchen um seine Augen zauberte, glitt über das gebräunte Männergesicht. „Machst du Ferien in St. Moritz?“

„Ja.“ Bettina streckte die Hand aus. „Ich bin eine Freundin von Iris – Bettina Steinberg.“

„Die Sängerin!“ Viktors Lächeln wurde intensiver. „Schön, dich endlich kennenzulernen. Iris hat schon viel von dir erzählt.“ Er machte eine kleine Pause. „Sag mal... hast du Silvester nicht in Zürich gesungen? Zusammen mit Joachim Carlsen? Das ist ein wunderbarer Tenor. Ich hab etliche CDs von ihm und will unbedingt...“

„Keinen interessiert das“, fiel ihm Iris ins Wort, und sie unterstrich die Bemerkung mit einem diskreten, allerdings ziemlich heftigen Stoß in Viktors Rippen.

„Hey, was soll das?“

„Schon gut“, meinte Bettina. „Ich sag’s lieber gleich: Joachim und ich... wir haben uns ganz gut gekannt. Aber – das ist vorbei. Wir sind Kollegen.“

„Verstehe.“

„Dann ist es ja gut. Wollen wir noch was zu trinken holen? Oder ein Sandwich? Ich hab ein bisschen Hunger.“ Iris sah Viktor auffordernd an. „Komm mit und mach dich nützlich.“

„Aber...“

„Komm mit!“

Schulterzuckend folgte ihr Viktor. „Was soll das? Hast du Angst, dass ich mit deiner Freundin zu flirten beginne? Deine Eifersucht ist wirklich langsam krankhaft“, schimpfte er.

„Du bist so sensibel wie ein Eisbär“, schimpfte Iris unterdrückt. „Keine Ahnung, wie du als Arzt arbeiten kannst. Deine Patienten können mir leid tun.“

„Die sind sehr zufrieden mit mir.“ Er hielt sie am Arm zurück und zog sie in eine Nische. „Erst mal zum Wesentlichen...“ Er küsste sie leidenschaftlich, und für eine Minute blendete Iris alles aus, sogar die Sorge um Bettina.

Erst als ein junger Kellner sie auf Seite schob und grinsend meinte: „Sucht euch lieber einen Heustadel“, kam sie zu sich.

„Du bist unmöglich, Viktor!“

„Nein. Aber wahnsinnig in dich verliebt.“ Nochmal zog er sie an sich. „Sag, was ist los mit Bettina?“

„Sie hatte ein Verhältnis mit Carlsen. Und der Typ ist verheiratet, hat es ihr aber natürlich nicht gesagt. Nach der Silvestervorstellung stand auf einmal seine Frau da – du kannst dir ja denken, wie Bettina zumute war.“

Viktor verzog leicht den Mund. „Das ist hart. Na, wir werden sie ablenken.“

„Du wirst gar nichts tun“, fauchte Iris prompt, was der junge Arzt mit einem Grinsen quittierte. Er liebte Iris. Seit Monaten waren sie zusammen. Aber es war eine höchst turbulente Romanze. Geprägt von einem tiefen Gefühl, von Leidenschaft – aber auch von Eifersucht. Wenigstens von Iris’ Seite aus.

„Komm, wir holen was zu essen“, meinte er lakonisch. „Ich hab Hunger. Und in zwei Stunden muss ich wieder in der Praxis sein.“

Draußen vor der Hütte blieb es für eine Weile still zwischen Bettina und Karsten. Angestrengt sah Bettina den Skiläufern zu, die in immer größerer Zahl zum Einkehrschwung ansetzten. Die drei Bedienungen hatten alle Hände voll zu tun. Dennoch kam ein junges Mädchen auf Karsten zu und fragte: „Was soll’s denn sein, Chef?“

„Ich hol mir schon was, danke, Steffi.“

„Chef?“ Überrascht sah Bettina ihn an. „Ich denke, du bist Hotelier?“

„Ja. Aber unserer Familie gehören auch noch zwei Hütten hier in der Gegend.“ Er grinste jungenhaft. „Mein Großvater war ziemlich geschäftstüchtig. Davon profitieren wir jetzt. Aber es ist auch viel Arbeit, ehrlich gesagt.“

„Trotzdem hat sich der Chef heute frei gegeben.“ Bettina blinzelte gegen die Sonne. „Hat das mit Iris zu tun?“

„Mit Iris?“ Er lachte. „Nein. Wie kommst du denn darauf?“

„Na ja...“ Verlegen trank Bettina ihren Jagertee aus. Der Alkohol brannte in der Kehle, sie musste husten. Na, besser, als noch länger in Karstens Augen sehen zu müssen. Viel zu dunkel waren die. Und ihr Ausdruck viel zu... verliebt? Nein, das konnte ja nicht sein. Aber es war eine recht angenehme Vorstellung...

Sie riskierte noch einen Blick – und da waren sie auf einmal, diese Schmetterlinge im Bauch. Und das merkwürdige, nicht genau zu benennende Kribbeln, mit dem ein Flirt beginnt.

Aber... sie wollte doch nicht flirten! Sie hatte Liebeskummer! Sie trauerte dem Verräter und Lügner Joachim nach!

Andererseits war Karsten ein verdammt gut aussehender Mann! Groß, dunkelhaarig, mit samtbraunen Augen und ganz offensichtlich viel Charme. Warum also nicht ein wenig flirten? Es gehörte doch zum Skiurlaub dazu wie Neuschnee und gut präparierte Pisten...

Iris und Viktor wunderten sich nicht wenig, als sie zurückkamen und feststellten, wie vertraut Bettina und Karsten miteinander umgingen. Und es war fast selbstverständlich, dass die beiden noch auf der Hütte blieben, als Iris und der junge Arzt die Fahrt ins Tal antraten.

Auch am Abend in der Bar des Hotels war für alle unübersehbar, dass sich Karsten und die junge Sängerin sehr gut verstanden. Nicht nur, dass der Chef der aparten Blondine beim Abendessen Gesellschaft geleistet hatte – er ließ auch kaum einen Tanz mit ihr aus. Zwischendurch tranken sie Champagnercocktails – die zumindest Bettina ein ganz klein wenig beschwipst machten. Aber es war ein angenehmer Zustand. So, wie dieser ganze Abend sehr angenehm – und herrlich ablenkend war von ihrem Schmerz.

„Du bist bezaubernd“, raunte Karsten ihr ins Ohr, als sie zu einem Blues wieder einmal auf die kleine Tanzfläche gingen. „Ich hab mich...“

„Pst. Nichts sagen.“ Bettina lächelte ihn an. Aber zum ersten Mal an diesem Tag sah Karsten eine gewisse Traurigkeit in ihren Augen. Es gab ihm einen Stich. Dieser Tenor... er könnte ihn erwürgen! Wie hatte er Bettina nur so weh tun können! Fester zog Karsten die junge Frau an sich, Bettina lehnte den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen.

Aus dem Lautsprechern kamen Schmusesongs von Frank Sinatra, Dean Martin und Paul Anka.

Die romantische Stimmung war perfekt.

Bis jemand mit heller, sich vor überschlagender Stimme hervorstieß: „So ist das also! Du bist ein ganz mieses Stück, Karsten Ahrensburg!“

*

Es war wie ein Sturzflug aus einem himmelblauen Traum in brutale Wirklichkeit. Die Musik in der Bar schien auf einmal jede Romantik verloren zu haben, das undeutliche Stimmengewirr war verstummt. Karsten blieb mitten im Takt stehen und sah stirnrunzelnd zu der zierlichen Frau hinüber, die am Eingang stand und sich jetzt mit beiden Händen durch die schwarze Lockenpracht fuhr.

„Joana...“ Er unterdrückte einen Seufzer. „Tut mir leid, Bettina, aber ich...“

„Verstehe schon.“ Mit einem Ruck machte sie sich frei, griff nach ihrer Handtasche und stürzte aus dem Raum. Dieses déjà vu hätte sie sich gern erspart! Zwei eifersüchtige Frauen innerhalb von zwei Tagen... nein, das musste sie nun wirklich nicht haben!

In ihrem Zimmer warf sie sich aufs Bett und begann hemmungslos zu weinen.

Karsten hatte unterdessen fest nach Joanas Arm gegriffen und sie aus der Bar gezogen. „Was sollte das denn?“ Wütend sah er sie an.

„Du... du bist... du hast mit dieser Blondine…“

„Ich hab mit ihr getanzt. Und das geht dich, mit Verlaub, gar nichts an.“

„O doch! Wir sind schließlich...“

„Was?“ Er griff nach ihren Schultern, schüttelte Joana leicht. „Wir sind gar nichts, Joana. Nur gute Bekannte. Oder alte Schulkameraden, wenn du es anders ausdrücken willst. Mehr verbindet uns nicht. Und mehr wird nie zwischen uns sein!“

„Das sagst du jetzt! Aber im Sommer, als wir bei meiner Familie am Lago Maggiore waren, da hast du mit mir geflirtet. Sogar geküsst hast du mich!“

Der Mann verdrehte die Augen. „Das war im Überschwang der Gefühle – schließlich hatten unsere Familien gerade eine sehr lukrative Kooperation abgeschlossen. Ein Geschäft, Joana, mehr nicht. Euer Appartementhotel hier und das Hotel am Lago Maggiore und unser Haus werden sehr eng zusammenarbeiten. Das ist alles, was uns verbindet.“

„Aber ich... ich liebe dich! Immer schon! Und Papa meint auch, dass wir hervorragend harmonieren.“

„Das ehrt mich zwar, aber Liebe kann man nun mal nicht befehlen. Sieh es endlich ein. Und erspar dir und mir in Zukunft so einen peinlichen Auftritt.“

Die Italienerin, die in Moritz Bad das Appartement-Hotel ihrer Familie leitete, warf trotzig die schwarze Lockenmähne in den Nacken. „Und ich werde dich zu meinem Mann machen! Ganz bestimmt. Irgendwann wirst du mich lieben, Karsten.“ Für einen Moment sah es so aus, als wolle sie ihn umarmen, doch dann drehte sie sich um und stürmte davon.

Karsten sah ihr aufseufzend nach. Das war der dritte oder vierte derartige Auftritt. Joana schien von der Vorstellung besessen, dass sie beide ein Paar werden könnten. Aber er liebte sie nicht. Er mochte sie nicht einmal besonders gut leiden. Sie war verwöhnt, arrogant, egoistisch... und ebenso raffiniert wie schön.

Karsten Ahrensburg verfluchte insgeheim den Sommerabend am Lago Maggiore, an dem er den Reizen der schönen Frau erlegen war. Sie hatten eine Bootsfahrt hinüber zur Isola Bella gemacht, dort gut gegessen, Rotwein getrunken, und dann... ja, dann hatte er sich zu ein paar leidenschaftlichen Küssen und Zärtlichkeiten hinreißen lassen.

Die Ernüchterung war gleich am nächsten Tag erfolgt. Und er hatte Joana so freundlich wie möglich klar gemacht, dass es bei diesem einen Abend bleiben würde.

Doch sie wollte es nicht glauben und akzeptieren. Bis heute nicht.

Bettinas Bild stand vor seinem Auge auf. Die beiden Frauen waren so verschieden wie Tag und Nacht. Die blonde Sängerin wirkte sanft und verletzlich, und doch war sich Karsten sicher, dass sie äußerst temperamentvoll sein konnte. Joana dagegen war ein Vulkan – an dem man sich tödliche Verbrennungen zuziehen konnte.

Von seinem Büro aus rief Karsten in Bettinas Zimmer an – sie meldete sich nicht. Und auch, als er hochging und an ihre Tür klopfte, kam keine Reaktion.

„Mist, verdammter. Und verdammte Joana“, schimpfte er unterdrückt vor sich hin. Der Tag, der so wundervoll begonnen hatte, endete höchst unerfreulich.

*

„Du hörst also demnächst von meinem Anwalt.“ Vanessa Margolini sah ihren Mann kühl an. „Ich finde, es ist höchste Zeit, dass wir aufhören, Verstecken zu spielen.“

„Du hattest nie etwas dagegen. Im Gegenteil.“ Joachim Carlsen sah seine Frau forschend an. „Warum willst du auf einmal offiziell frei sein? Was steckt dahinter?“

Die Sängerin zögerte, dann warf sie den Kopf in den Nacken. „Ach was, irgendwann wirst du es ja doch erfahren: Ich hab mich verliebt. In einen australischen Anwalt. Wir wollen zusammen bleiben.“

„Und du wirst der Star in der Oper von Sydney.“ Es sollte spöttisch klingen, doch Vanessa, die ihren Mann durch und durch kannte, begriff, dass er in seiner Eitelkeit verletzt war.

„Eventuell. Vielleicht sag ich aber auch der Bühne ade und konzentriere mich ganz aufs Privatleben.“

„O mein Gott, der Typ hat dir den Verstand geraubt!“

„Wenn es dir hilft, dann lästere weiter. Wichtig ist mir nur, dass du so schnell wie möglich einer Scheidung zustimmst. Und jetzt – adieu. Vielleicht reist du der kleinen Sopranistin nach. Sie wird dich sicher gern trösten.“ Ein lässiges Wedeln mit der Hand, dann verließ sie Joachims Hotelsuite.

Der Mann blieb wie paralysiert zurück. Waren die Frauen denn alle verrückt geworden? Eine nach der anderen verließ ihn! Aber das ließ er nicht zu. Dagegen musste etwas unternommen werden – so rasch wie möglich! Er griff zum Telefon, rief seinen Manager an.

„Versuch rauszufinden, wo Bettina ist“, sagte er, ohne sich die Mühe zu machen, einen kurzen Gruß durch den Draht zu schicken. „Ich will wissen, wo sie ist – und dann fahr ich zu ihr.“

„Aber dein Konzert in Salzburg...“

„Das geht schon in Ordnung. Aber dann, dann fahre ich zu Bettina!“

*

„Nun sei doch nicht so deprimiert, Liebes.“ Iris Schaffner sah die Freundin kopfschüttelnd an. „Kein Mann ist es wert, dass man so um ihn trauert.“

„Tu ich doch gar nicht.“

„Ach nein? Deine Miene sagt aber was ganz anderes.“ Iris zögerte, grinste und fuhr fort: „Liebe vergeht – das ist wie Masern. Irgendwann ist diese Krankheit ausgestanden.“

„Was für eine Lebensweisheit!“

„Spotte nicht. So ist es wirklich. Und jetzt komm! Meine Clique trifft sich oben bei Reto Mathis auf dem Corviglia.“

„Du meinst den Promikoch?“

„Ach was, der ist ganz normal. Und sehr, sehr nett. Viktor ist mit ihm befreundet. Da gibt es den besten Bellini der Welt.“

„Mag ja sein, aber in so eine Gesellschaft gehöre ich einfach nicht. Promis und Jetset... nein, wirklich, da mag ich nicht mitmischen.“

„Es ist eine private Party. Viktors Vater wird 60 – und du bist herzlich eingeladen.“

„Aber... Ich hab doch noch nicht mal ein Geschenk.“

„Dann bring ihm ein Ständchen. Er mag Opern.“

Bettina runzelte die Stirn. „Sag mal... ist das vielleicht eine abgekartete Sache?“

„Unsinn! Woher sollte ich vor vier Wochen wissen, dass du ins Engadin kommst? Aber wenn du dem Geburtstagskind was schenken willst... was spricht dagegen, dass du was singst? Es wird sicher ein toller Erfolg. Und jetzt sei nicht spießig und komm mit.“

Bettina sah ein, dass es sinnlos war, sich weiter zu sträuben. Iris würde ja doch nicht locker lassen.

Mit der Corvigliabahn fuhren sie zur Bergstation hinauf. Hier, auf dem wohl sonnigsten Plateau der Region, stand das Restaurant des berühmten Kochs. Reger Betrieb herrschte, und Bettina konnte erleichtert feststellen, dass alle sehr sportlich gekleidet waren und sich ganz locker gaben.

Schon nach einer knappen halben Stunde war auch sie entspannt, und nach dem zweiten Bellini und einem exzellenten Wein zum Essen sang sie zu Ehren von Viktors Vater die Arie der Adele aus der „Fledermaus“ und den Zarah Leander-Song „Nur nicht aus Liebe weinen“.

„Dich hat wohl der Teufel geritten“, flüsterte ihr Iris zu, die als einzige gemerkt hatte, dass der Freundin beim letzten Lied Tränen in die Augen gestiegen waren.

„Mir war danach. Und jetzt krieg ich noch einen Bellini!“

„Darf’s auch ein Glas Champagner pur sein?“ Wie aus dem Boden gewachsen stand Karsten vor ihr, zwei schlanke Sektgläser in der Hand. „Du warst einfach wunderbar.“

„Danke. Wo ist deine Freundin?“

„Ich habe keine Freundin.“

„Ach ja. Und auch kein Auto, was?“ Sie spielte voller Bitterkeit auf den bekannten Werbeslogan an.

„Bitte, Bettina... ich würde dir gern erklären, was mich mit Joana verbindet.“ Und ehe sie sich wehren konnte, nahm er ihre Hand und zog sie hinaus. Draußen ging gerade die Sonne unter – es war ein grandioses Naturschauspiel, und für ein paar Minuten gaben sie sich ganz diesem Anblick hin.

Als Bettina fröstelnd die Schultern hochzog, legte Karsten den Arm fester um sie. „Bettina... vertrau mir doch. Bitte. Joana und ich – wir sind Geschäftspartner, mehr nicht.“

„Das sieht sie wohl anders.“

„Stimmt. Aber das ist nicht mein Problem. Ich liebe sie nicht, sondern...“ Tief sah er ihr in die Augen. „So etwas hätte ich nie für möglich gehalten, aber es ist passiert. Ich hab dich gesehen und gewusst: Das ist die Frau meines Lebens.“

„Aber wir...“

„Pst.“ Sanft legte er ihr den Finger auf den Mund, zeichnete zärtlich die Konturen der Lippen nach. Hinter den Bergen versank die Sonne, zurück blieb ein rotgoldener Schein. Und in diesem Licht standen Bettina und Karsten – und vergaßen alles um sich herum.

Erst als einige Skiläufer lachend an ihnen vorüber fuhren, schraken sie aus der verliebten Versunkenheit auf. Bettina strich sich eine Haarlocke aus der Stirn. „Ich... das war...“

„Es ist es wert, wiederholt zu werden“, lachte Karsten glücklich und wollte sie erneut in die Arme ziehen, doch mit einem Ruck machte sie sich los.

„Mir ist kalt. Ich gehe wieder rein.“ Und schon eilte sie in die geheizten Räume, die ihr nicht nur Schutz vor der Kälte bieten sollten, sondern auch Schutz vor Gefühlen, die sie einfach noch nicht einordnen konnte. Was war passiert? Wozu hatte sie sich hinreißen lassen? Stand da in Eiseskälte und küsste einen Mann, der im Grunde doch wildfremd war.

Aus Rache? Verletzter Eitelkeit? Selbstbestätigung?

Bettina zog es vor, sich die Antwort schuldig zu bleiben.

„Frau Steinberg! Einen Augenblick, bitte!“ Ein bekannter Designer, der mit zu den Partygästen gehörte, hielt sie auf. „Darf ich kurz etwas mit Ihnen besprechen?“

„Natürlich – bitte.“

Sie gingen ein paar Schritte abseits, und ehe sie so richtig begriff, wie ihr geschah, war Bettina zu einer Abendveranstaltung des bekannten Modezaren engagiert.

„Wenn’s nicht so traurig wäre, müsste ich lachen und mich diebisch freuen“, raunte sie Iris zu, als sie der Freundin erzählte, was passiert war. „So ein Engagement tut meiner Kasse gut!“

„Na also!“ Die Freundin zwinkerte ihr zu. „Außerdem gibt es da ja noch Karsten... Der ist hin und weg von dir.“

„Und hat eine Freundin – Joana.“

„Ach was, das ist rein platonisch. Joana läuft Karsten seit Jahren nach, glaub ich. Aussichtslos. Da kannst du ganz unbesorgt sein.“

„Ich will doch auch nichts von ihm. Nur ein bisschen flirten. Zur Ablenkung, weißt du.“

Iris lachte. „Wenn du es so siehst... alles ist besser, als herumzusitzen und Trübsal zu blasen.“

Die beiden Freundinnen bemerkten den Mann, der ihnen den Rücken zuwandte, nicht. Doch Dr. Viktor Erdmann hatte jedes Wort verstanden – und seine Sympathie, die er Bettina entgegengebracht hatte, schwand. So ein Biest! Berechnend und rachsüchtig! Er musste aufpassen, dass Iris sich nicht zu intensiv mit ihr abgab und eventuell noch diese leichtfertigen Ansichten übernahm.

Bettina amüsierte sich an diesem Abend hervorragend. Sie tanzte viel, lachte, ließ es auch zu, dass Karsten sie erneut in die Arme nahm.

Es war schon dunkel, am Himmel glitzerten Tausende von Sternen, als sie endlich mit der ersten Sondergondel ins Tal hinunter fuhren. Der Großteil der Gäste feierte noch weiter, doch Bettina war müde – und auch ein ganz klein wenig beschwipst.

Sie lehnte den Kopf an Karstens Schulter und sah aus dem Fenster. „Wie schön es hier ist“, flüsterte sie. „Und so friedlich wirkt alles. Einfach märchenhaft.“

„Dann bleib doch einfach hier.“ Er küsste sie auf die Schläfe. „Bleib bei mir, Bettina.“

Sie erwiderte nichts, doch sie schmiegte sich noch ein wenig fester in seinen Arm.

Es begann sacht zu schneien, als die Gondel an der Talstation ankam. „Sollen wir ein Taxi zum Hotel nehmen?“, fragte Karsten.

„Ach was. So ein bisschen Schneefall ist doch herrlich!“ Bettina breitete die Arme aus. „Hier ist einfach alles herrlich!“

„Du hast einen Schwips!“

„Stimmt. Aber das macht gar nichts. Ich fühl mich wunderbar!“ Sie gab ihm einen Kuss und trällerte: „Trinke, Liebchen, trinke schnell, trinken macht die Augen hell...“

Ihre unbeschwerte Stimmung hielt an, bis sie das Hotel erreicht hatten. Dann sahen sie es: Blaulicht blinkte, vor dem Eingang stand ein Krankenwagen, zwei Autos parkten schräg auf der Straße.

Karsten rannte los. „Was ist passiert?“

„Ein Unfall.“ Ein neu ankommender Gast ist vor ein Auto gelaufen. Zum Glück ist er nur leicht verletzt.“

Bettina hielt sich im Hintergrund. Die Euphorie, die sie eben noch empfunden hatte, drohte zu schwinden. Schon wollte sie sich durch einen rückwärtigen Eingang ins Hotel schleichen, da kam Karsten zu ihr. „Ein leichter Unfall. Nichts Gravierendes. Ich glaube, alles ist unter Kontrolle. Komm, wir gehen durch den Personaleingang, dann werden wir nicht behelligt.“

Im Haus war es warm und gemütlich. „Noch einen Absacker?“, fragte Karsten.

„Nein, ich hab wirklich genug. Ich muss ins Bett.“

„Ich bring dich...“

Vor ihrer Tür umarmte er sie zärtlich. „Schlaf gut.“

„Hmm...“ Bettina legte die Arme um seinen Nacken und erwiderte seinen Kuss. Und dann geschah es wie von selbst, dass sie ihn mit sich ins Zimmer zog.

Die Verliebten dachten nicht mehr an den Unfall, der sich vor dem Hotel ereignet hatte. Und Bettina ahnte nicht im entferntesten, dass es Joachim Carlsen war, der verletzt worden war.

„Der Arm ist mit Sicherheit gebrochen“, meinte der ältere der Sanitäter. „Das muss geröntgt und dann gegipst werden.“

„Verdammter Mist!“ Joachim Carlsen fluchte. „Es geht aber auch alles schief im Moment.“

„Sehen Sie’s doch positiv.“ Eine junge Sanitäterin lächelte ihn an. „Es hätte Sie viel schlimmer treffen können. Oder Sie hätten noch jemand anderen verletzt haben können. Schließlich waren Sie zu schnell, dafür gibt es Zeugen. Und Sie als bekannter Künstler, Sie können sich doch bestimmt keinen Skandal leisten.“

„Na ja...“

„Sie haben Glück gehabt“, lächelte die junge Frau. „Glauben Sie mir.“

Joachim sah sie intensiver an. Bildhübsch war sie mit der rotgoldenen Lockenmähne, die nur mühsam mit einem Band in Nacken zusammenzuhalten war. Ihre Augen schimmerten grün – und verheißungsvoll.

*

Joachim Carlsen tastete nach der Hand der attraktiven Sanitäterin. „Kommen Sie mit in die Klinik?“

„Klar doch! Ich fahre Sie sogar.“

„Schade.“ Obwohl sein Arm höllisch schmerzte, flirtete er weiter. „Dann können Sie ja nicht bei mir bleiben.“

„Das macht mein Kollege sicher genauso gut.“

„Sie sind grausam.“

„Und Sie krank. – So, es kann losgehen!“, rief sie ihrem Kollegen zu, und wenig später setzte sich der Unfallwagen in Richtung Klinik in Bewegung. Das ist mal ein Mann, sinnierte Tanja Santoni, während sie durch die nächtlich stillen Straßen fuhr. Sieht nicht nur irre gut aus, sondern ist auch ein Star, der weltweit gefeiert wird. Ob ich mich noch mal nach ihm erkundigen soll? Schaden kann’s ja eigentlich nicht...

In dieser Nacht hatte sie allerdings keine Gelegenheit mehr, mit Joachim Carlsen zu reden. Der Patient wurde sofort in die Ambulanz gebracht und wenig später schon operiert. Das Schlüsselbein war angebrochen, der Oberarm glatt durchgebrochen.

„Nichts Kompliziertes“, versuchte ihn der junge Notarzt zu trösten. „Das ist in vier Wochen ausgestanden.“

Vier Wochen – unmöglich, schoss es Joachim durch den Kopf. Aber bevor er noch damit beginnen konnte, sich die Konventionalstrafen auszurechnen, die er eventuell zahlen musste, schlief er übergangslos ein.

Bettina hingegen kam lange nicht zum Schlafen. Aber genau das machte sie überglücklich. Karsten war einfach zauberhaft: Leidenschaftlich und doch zärtlich, einfühlsam und fantasievoll. Er hüllte sie ein in seine Liebe, und erst als der Morgen heraufdämmerte, als die ersten Bergspitzen bereits ein zartes Rot trugen, schliefen sie eng umschlungen ein.

Bettina wurde wach, weil jemand sie küsste. „Jo...“

„Wer ist das denn?“ Karsten rückte spontan von ihr ab.

Beim Klang seiner Stimme zuckte sie zusammen, doch in der nächsten Sekunde glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. „Hallo, du.“

„Ich heiße Karsten.“ Er versuchte sich in Ironie zu flüchten, und doch nagte Eifersucht an ihm. Wer war dieser Jo, an den sie so spontan gedacht hatte?

„Schön, dich zu sehen, Karsten.“

„Meinst du das im Ernst?“

„Aber ja doch!“ Sie streckte die Arme nach ihm aus. „Es war... sehr schön.“ Rasch schloss sie die Augen, als er sie küsste. Das Gefühl, das sie dabei erfasste, war verwirrend. Gestern, auf der Skihütte, hatte sie den heißen Flirt mit ihm genossen. Er war ein fantastisch aussehender Mann, charmant und liebenswürdig dazu. Warum sich also nicht die Urlaubstage mit ihm versüßen? Was Joachim konnte, konnte sie doch schon lange! Es war doch gar nichts dabei, sein Herz ein paar Mal zu verschenken.

So hatte sie gedacht – und dann sehr schnell festgestellt, dass sie einfach nicht zur femme fatale taugte. Wenn sie jemanden küsste, dann nur, weil sie ihn mochte. Und wenn sie mit jemandem schlief, musste sie ihn...

Ja, was? War es Liebe, die sie für Karsten empfand? Oder lag sie nur hier neben ihm im Bett, weil sie es ihrem Geliebten heimzahlen wollte?

Gerade als Karsten begann, ihre Schulter, ihren Brustansatz mit kleinen Küssen zu bedecken und so jede weitere Überlegung auszuschalten, klingelte sein Handy.

„Tut mir leid“, murmelte er und schwang sich aus dem Bett. Er wusste, wenn man ihn um diese Zeit störte, ging es um etwas Wichtiges. Angestrengt hörte er zu, während er zum Fenster ging, die Gardine ein wenig zur Seite schob und auf die Straße hinunter schaute, die um diese Stunde schon von eifrigen Skiläufern bevölkert wurde. „Ich bin in zwanzig Minuten im Büro“, erklärte er dann. „Unternehmen Sie nichts bis dahin.“

„Was ist passiert?“ Stirnrunzelnd sah Bettina ihn an. Die romantische Stimmung war schlagartig verflogen.

„Es hat in der Nacht einen Unfall gegeben“, erklärte Karsten. „Wir haben es ja grade noch gesehen, als wir ins Hotel kamen. Einer der Verunglückten ist ein Gast. Er kam verspätet an – und wurde von einem Raser angefahren, als er gerade seinen Wagen einparken wollte.“

„Und – ist ihm viel passiert?“

„Zum Glück nicht. Aber er ist ein recht bekannter Politiker, der... nun ja, der nicht allein im Fahrzeug saß. Auch der andere Fahrer ist recht prominent – er heißt Joachim Carlsen.“ Intensiv beobachtete er sie, als er diesen Namen aussprach.

Bettina wurde blass. „Jo... was macht er denn hier?“

Karsten sah sie abschätzend an. „Das muss ich dir doch wohl nicht erklären, oder?“ Auf einmal war alle Wärme aus seiner Stimme verschwunden.

Bettina setzte sich im Bett auf und zog sich die Decke höher. „Ich weiß es wirklich nicht. Ich... wir haben uns getrennt. Das ist ja auch der Grund, warum ich hierher gekommen bin. Ich wollte Abstand gewinnen.“

„Wobei ich dir hoffentlich habe helfen können.“ Karsten war verletzt, er hatte auf einmal das Gefühl, dass Bettina mit ihm und seinen Gefühlen gespielt hatte. Ein Ablenkungsmanöver war ihr Flirt nur gewesen, mehr nicht. Vielleicht hatte sie sogar gewusst, dass ihr Freund nachkommen würde – und hatte ihn eifersüchtig machen wollen.

„Ich muss ins Büro. Es gibt da ein Problem mit dem Unfallgegner deines Freundes.“

„Er ist nicht mehr mein Freund!“, begehrte sie auf – doch er verschwand mit langen Schritten im Bad und zog die Tür hinter sich zu.

Aufseufzend ließ sich Bettina in die Kissen zurücksinken. Dieses Gefühlschaos... das war ja noch schlimmer als zuvor! Sicher, ganz zu Anfang hatte sie ja nur mit Karsten geflirtet, um sich zu beweisen, dass sie über Jo und ihre Liebe zu ihm hinweg war. Aber seit der letzten Nacht... So intensiv hatte sie noch nie empfunden. Sich noch nie so hingegeben. Und sich noch nie so aufrichtig geliebt gefühlt. Das war nicht gespielt! Das musste Karsten doch auch spüren – und ihr glauben, dass sie ihn liebte.

Es überraschte schon gar nicht mehr, dass sie sich jetzt eingestand, den Hotelier wirklich zu lieben. Aber es war wohl zu spät. Gerade verließ er ihr Zimmer, ohne ihr noch einen Blick zuzuwerfen. Aufschluchzend warf sich Bettina um und vergrub den Kopf im Kissen.

*

„Kannst du bei mir in der Klinik vorbeikommen, Iris? Und bring bitte eine kleine Auswahl an Jogginganzügen mit. Wenn es geht, auch ein paar Schlafanzüge.“ Dr. Viktor Erdmann lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück. Ein langer, anstrengender Morgen im OP lag hinter ihm, etliche Notoperationen hatten vorgenommen werden müssen. Auch jetzt hatte er nur eine kurze Pause, dann musste er in die ambulante Sprechstunde.

„Willst du eine Modenschau veranstalten?“, lachte Iris.

„Das gerade nicht. Aber wir haben einen neuen Patienten, der gern ein paar persönliche Sachen hier hätte. Sein Koffer liegt wohl noch in seinem Unfallwagen.“

„Ein Promi ohne Butler? Dass es das noch gibt“, spottete Iris. „Aber ich tu mein Bestes.“

Viktor senkte die Stimme. „Es handelt sich um Joachim Carlsen. Er ist vor dem Hotel „Alpenblick“ verunglückt. Was sagst du jetzt?“

Erst mal sagte Iris gar nichts. Dann nur: „Ich bin in spätestens einer halben Stunde bei dir.“

Schnell packte sie ein paar Sachen zusammen, von denen sie hoffte, dass sie dem Tenor gefallen würden, dann fuhr sie rasch zur Klinik. Erst als sie den Eingangsbereich schon fast erreicht hatte, fiel ihr ein, dass Bettina wohl noch nichts von Joachim Carlsens Unfall wusste. Rasch wählte sie sie an.

„Weißt du, zu wem ich gerade auf dem Weg bin?“, fragte sie.

„Nein. Zu Viktor?“

„Zu dem auch. Aber auch zu deinem Jo. Er liegt auf Viktors Station. Du glaubst es ja nicht: Er hatte direkt vor deinem Hotel einen Unfall. Weißt du, wahrscheinlich liebt er dich ja doch, sonst wäre er dir nicht nachgereist.“

„Ich weiß, dass er hier ist. Das ist furchtbar!“

Erst jetzt merkte Iris, dass die Freundin weinte.

„Na na, so schlimm ist er bestimmt nicht verletzt“, versuchte sie Bettina zu trösten.

„Das ist mir doch so was von schnurzegal!“ Ein lauter Schniefer folgte. „Wär er doch nur weg geblieben. Er macht mich unglücklich! Karsten ist so was von beleidigt... Ach Scheiße, die Kerle sind doch alle gleich: Egoisten. Eingebildete Egoisten! Ich will von keinem mehr was wissen.“ Noch ein tiefes Schluchzen, dann war die Verbindung beendet.

„Was soll denn das jetzt?“, murmelte Iris irritiert vor sich hin. Dann aber hatte sie keine Zeit mehr, über das seltsame Verhalten der Freundin nachzudenken, denn aus dem Lift kam Viktor und winkte ihr zu.

„Na, meine Traumfrau, hast du alles dabei?“, fragte er und gab ihr – ungeachtet der Tatsache, dass eine ältere Patientin im Rollstuhl und eine junge Lernschwester den Lift betraten, einen Kuss.

„Ich hab mein Möglichstes getan. Was hat Carlsen denn?“

„Später.“ Er warf einen verstohlenen Blick auf die Patientin. Niemand sollte wissen, dass sich der Sänger in der Klinik befand. „Komm doch erst mal mit in mein Büro.“ Kaum waren sie allein, zog er sie in die Arme. „So, jetzt geht’s mir besser. So ein Energieschub hat was.“

„Du nutzt mich wieder nur aus!“ Iris grinste übermütig. „Aber dafür wirst du büßen – eines Tages.“

„Du sollst mir nicht immer so drohen! Auf die Tour werde ich dich nie heiraten.“

„Kein Mensch zwingt dich!“ Sie warf den Kopf mit der für sie so typischen Bewegung in den Nacken, dass die dunklen Locken tanzten. „Und jetzt sag mir, wo sich unser Heldentenor befindet.“

„Also, von einem Helden hat er im Moment nun wirklich nichts an sich“, meinte Viktor. „Die Narkose lässt nach, die ersten Schmerzen setzen ein. Er hat einen Kater – wenn auch nicht vom Alkohol. Aber ihm ist klar, dass er eindeutig schuld an dem Unfall trägt. Sein Kontrahent, fatalerweise ein Politiker in Begleitung eines italienischen Fotomodells, macht Ärger. Genauer gesagt die Begleiterin. Die junge Frau hat ein paar Schnittverletzungen im Gesicht und ein paar Rippenprellungen.“

„Schlimm?“

„Ach was, die wittert einfach Morgenluft und denkt an Erpressung. Was ihrem Freund allerdings höchst peinlich ist. Der würde die Sache gern vertuschen.“

„Und Carlsen?“

„Der ist noch nicht vernehmungsfähig. Morgen kommt die Polizei, dann kann er gleich einen Anwalt einschalten. Der wird dann der italienischen Schönheit auch gleich den Kopf zurechtsetzen. Karsten hat bereits seinen Ärger mit dem Politiker hinter sich.“

„Warum?“

Der Arzt zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich glaube, der denkt, Karsten oder jemand von seinem Team hätte die Presse eingeschaltet. Jetzt faselt er was von Wahrung der Intimsphäre und so. Jedenfalls ist das alles ganz haltlos. Aber jetzt komm, ich hab nur wenig Zeit. Ich bring dich schnell noch zu Herrn Carlsen.“

„Ob Bettina auch kommt? - Ich an ihrer Stelle würde mich rar machen“, gab sie sich gleich selbst die Antwort.

„Du bist aber nicht an Bettinas Stelle. Zum Glück. Sonst gäb’s ganz heftigen Ärger mit mir.“ Noch einmal zog er sie in die Arme. „Du gehörst mir. Mir ganz allein.“ Bei jedem Wort hauchte er verliebte kleine Küsse auf ihre Wangen, ihre Nase, ihren Mund.

„Macho!“

„Klar doch. Stehst du doch drauf!“ Er grinste, dann wich er ihr geschickt aus, denn sie wollte mit der schweren Tüte nach ihm werfen.

Dann aber war wirklich keine Zeit mehr für verliebtes Geplänkel, sie gingen zu Joachim Carlsens Zimmer. Nach kurzem Anklopfen trat zunächst Viktor ein – und blieb überrascht stehen, als er sah, dass der Kranke nicht allein war. Eine schöne junge Frau mit rotgoldener Lockenmähne beugte sich gerade über ihn, um sein Kissen aufzurütteln. Dass der Patient gleichzeitig den linken Arm hob, in dem keine Infusionsnadel steckte, und ihr damit zärtlich über die schimmernde Haarpracht strich, bewog den Arzt zu einem höchst ironischen Grinsen.

„Sie sind ja in den besten Händen – hallo, Tanja. Seit wann machst du Dienst hier in der Klinik?“

Lachend drehte sich die Sanitäterin zu ihm um. „Nur in Ausnahmefällen, Viktor.“

Iris, die nun ebenfalls hereinkam, blickte ein wenig irritiert auf die schöne junge Frau, die ungeniert auf der Bettkante des Sängers saß und so tat, als seien sie gute alte Bekannte. So ein verfluchter Mistkerl, schoss es ihr durch den Kopf. Da hat er eine Frau, eine Geliebte – und macht sich hier gleich an die Nächste ran. Ihr Lächeln war demzufolge nicht besonders intensiv, als sie mit Schwung die Tasche aufs Bett warf.

„Ich hoffe, alles ist zu Ihrer Zufriedenheit“, meinte sie.

„Tanja hat mir erzählt, dass Sie ein exklusives Geschäft hier in Moritz betreiben“, sagte Joachim Carlsen. „Da kann ich mich sicher auf ihren guten Geschmack verlassen.“

„Ja man sagt mir nach, dass ich den habe.“ Iris’ stimme troff vor Ironie, doch außer Viktor schien niemand die Doppeldeutigkeit ihrer Worte zu bemerken. Tanja, die schöne Sanitäterin, und Joachim begutachteten die Jogginganzüge, und es wunderte Iris nicht im Geringsten, dass der Mann Tanja die Auswahl überließ.

„Wenn Sie sonst noch etwas wünschen – hier ist meine Visitenkarte.“ Iris legte sie auf den Nachttisch.

„Danke, aber ich zurzeit hab ich alles, was ich brauche.“ Mit diesen Worten legte Joachim seine gesunde Hand auf Tanjas Arm und lächelte vielsagend.

„Dann bleibt mir nur, Ihnen gute Besserung zu wünschen.“ Iris ging zur Tür, Viktor folgte, nachdem er seinen Patienten ermahnt hatte, sich zu schonen. „Bleiben Sie still liegen, sonst heilt der Schlüsselbeinbruch noch falsch zusammen, und die Komplikation wollen Sie ja sicher nicht.“

Draußen lachte er leise auf. „So ein Filou! Der reißt wirklich alles auf, was attraktiv und willens ist. Was Tanja sich wohl von dieser Bekanntschaft verspricht?“

„Mir egal. Aber wenn du sie so gut kennst, solltest du ihr vielleicht sagen, dass Joachim Carlsen verheiratet ist.“ Iris’ Augen blitzten. „Und du... woher kennst du sie überhaupt?“

„Sie ist Sanitäterin. Da lernt man sich zwangsläufig kennen. Wieso fragst du?“ Er tat betont harmlos, aber innerlich amüsierte es ihn, dass seine Iris auf einmal die Eifersucht entdeckt hatte. Und das gerade sie, die immer so abgeklärt tat – und so, als sei ihre Liebe noch lange nicht für alle Zeit besiegelt.

Weiter vorn im Gang öffneten sich die Lifttüren und Bettina kam heraus. Überrascht sah sie die Freundin und Dr. Erdmann an. „Was macht ihr denn hier?“

„Das könnte ich dich auch fragen.“ Iris runzelte die Stirn. „Musstest du gleich zu ihm laufen, kaum dass er ein bisschen verletzt ist?“

„Das... das verstehst du nicht.“ Bettina biss sich auf die Lippen. „Er ist meinetwegen hergekommen. Ich... ich fühle mich schuldig.“

„So ein Quatsch! Er ist es wirklich nicht wert, dass du dich um ihn sorgst.“ Iris griff nach dem Arm der Freundin. „Ich rate dir eins, Bettina: Geh da jetzt nicht rein.“

„Und warum nicht? Denkst du, er kann mir gefährlich werden?“

Iris nahm den Arm der Freundin. „Lass ihn einfach in Ruhe“, sagte sie eindringlich.

Bettina schüttelte ihre Hand ab. „Mich kann heute gar nichts mehr erschüttern“, meinte sie und drückte die Klinke nieder...

*

„Ich bin dem Schicksal dankbar, dass es uns zusammengeführt hat. Du bist – eine Traumfrau, Tanja.“ Joachim Carlsen sah die junge Sanitäterin mit einem intensiven Blick an, der ihr eine Gänsehaut verursachte. Ein Weltstar machte ihr Komplimente... das war einfach märchenhaft!

„Entschuldigung, dass ich störe. Ich dachte, hier läge ein Kranker.“

„Bettina!“ Mit einem Ruck zog Joachim seine Hand von Tanjas Arm. „Das ist doch nur ein dummes Missverständnis! Ich freu mich ja so, dass du da bist, mein Engel!“

„Es hat sich ausgeengelt. Dass du es nur weißt!“ Nur zwei Schritte machte Bettina in den Raum, sie maß den Mann im Bett, der sie jetzt mit einem bühnenreifen Dackelblick ansah, abschätzig. „Gib dir keine Mühe, mich wickelst du nicht mehr ein. Und Hilfe hast du ja wohl mehr als genug. Also – gute Besserung. Auf allen Gebieten!“

„Tinalein! Bitte!“ Er versuchte sich aufzurichten, sank aber mit einem Schmerzenslaut zurück ins Kissen. Die Schulter tat verdammt weh. Und jetzt erhob sich auch noch Tanja, ohne auf seinen Arm Rücksicht zu nehmen. Ein weiterer Schmerz schoss durch seinen Körper.

„So ist das also!“ Die Sanitäterin maß ihn voller Verachtung. „Ein kleiner Flirt am Krankenbett fördert den Heilungsprozess. Haben Sie sich das so gedacht? Aber nicht mit mir!“ Und schon war sie draußen.

Auf dem Flur lehnte Bettina an der Wand und sah Tanja traurig an. „Es tut mir leid“, murmelte sie.

„Muss es nicht.“ Tanja warf das Haar mit Schwung in den Nacken. „Es ist noch nichts passiert. Außer, dass ich dumme Gans mal wieder um einen Erfahrung reicher geworden bin. Und dafür muss ich Ihnen danken.“

„Er... er kann nicht aus seiner Haut.“

„Dann soll er drin stecken bleiben und verdorren. Mir ist es egal.“ Schon verschwand sie durch eine der hohen Glastüren.

Iris und Volker hatte in der Sitzecke gewartet und standen jetzt auf. „Komm mit“, bat Iris und legte den Arm um die Freundin. „Ich hab dir doch gleich gesagt, dass du dir den Kerl nicht noch Mal antun sollst.“

„Ich hab geglaubt, er brauchte meine Hilfe. Und da...“ Sie zuckte mit den Schultern, „ich werd wohl nie klug.“

„Die Einsicht ist doch schon mal da – dann kommt alles andere ganz von allein“, meinte Viktor. „Sieh dir Iris an: Sie hat endlich begriffen, dass ihr nichts Besseres passieren kann, als mich zu heiraten. Also wird sie das tun.“

„Wie bitte?“ Abrupt blieb Iris stehen. „Sag das noch einmal, ja?“

Viktor lachte leise. „Wir waren uns doch einig, oder?“

„Gar nichts waren wir!“

„Natürlich willst du mich heiraten. Was hältst du von nächstem Monat? Da hab ich zwei Wochen lang frei. Wir könnten nach Vegas fliegen. Oder hier in einer kleinen Bergkapelle heiraten.“ Er wandte sich an Bettina. „Was meinst du – steht deine Freundin auf Romantik oder hat sie’s lieber bunt und laut?“

„Ich werde wohl gar nicht gefragt!“ Empört stemmte Iris die Arme in die Hüften.

„Ich hab ich vorige Nacht gefragt. Erinnerst du dich?“ Liebevoll zog Viktor seine temperamentvolle Freundin an sich. „Du bist mir nur eine Antwort schuldig geblieben.“

„Und da meinst du, dass es jetzt und hier, auf einem ach so romantischen Klinikflur und unter Zeugen, einfacher wäre, mich rumzukriegen?“

Bettina lachte. „Nun stell dich nicht an und sag ja. Ich bin dann auch gern eure Trauzeugin.“

Iris umarmte sie stürmisch. „Und du bist nicht traurig, weil du nicht...“

„Unsinn. Ich freu mich für dich – für euch. Und nun lass mich endlich los und umarme deinen Viktor. Der sieht schon ziemlich verhungert aus.“ Damit drehte sie sich um und ging zum Lift. „Ich komm allein klar!“, rief sie, sah sich kurz um und stellte zufrieden fest, dass die beiden sie schon nicht mehr hörten.

Auf dem Weg zurück zum Hotel wollte noch einmal Wut in ihr hochkommen, aber dann sagte sie sich, dass es ihre eigene Schuld war, dass es zu dieser Szene hatte kommen können. „Du bist eben noch immer nicht schlau geworden“, sagte sie vor sich hin, während sie durch die Kälte stapfte. „Dieser Mann ist ein Egomane. Sollen doch andere mit ihm glücklich werden! Ich bin kuriert. Endgültig.“

In der weitläufigen Hotelhalle sah sie sich nach Karsten um, aber er war nirgendwo zu entdecken. An der Rezeption erfuhr sie: „Der Chef ist zum Fischhändler gefahren. Gleich am Rathausplatz ist das. Anschließend wollte er zur Kaserei vom alten Sepp – die liegt Richtung Piz Nair.“ Das Mädchen an der Rezeption hatte schon mitbekommen, dass dies ein Gast war, an dem der Juniorchef besonderes Interesse hatte.

Bettina dankte für die Auskunft und überlegte. Sollte sie ihm nachlaufen? Oder auch „auf stur“ schalten?

Dann siegte ihre Sehnsucht und sie machte sich gleich wieder auf den Weg in den Ort. Und wirklich – kaum hatte sie ihr Ziel erreicht, bemerkte sie Karsten, der gerade in seinen Wagen steigen wollte.

„Halt! Karsten, warte bitte!“ Mit ein paar Schritten war sie bei ihm. Ihr Atem flog, die Haare hatten sich aus dem lockeren Knoten gelöst und umrahmten in kleinen Locken ihr erhitztes Gesicht.

„Was willst du?“ Er hatte Mühe, sie nicht an sich zu reißen. Zu süß sah sie aus.

„Mit dir reden – wenn du vernünftig mit dir reden lässt.“

„Ich für meinen Teil bin immer vernünftig.“

„Ach ja?“ Sie lachte leise. „Davon merk ich aber gerade gar nichts. Du benimmst dich wie ein Vorstadt-Othello!“

„Das ist eine Unverschämtheit!“

„Das ist Dummheit!“

„Sag mal, musst du immer das letzte Wort haben?“

„Ja.“ Wieder dieses leise, zärtliche Lachen, das ihm unter die Haut ging.

„Na warte!“ Schon hielt er sie in den Armen. „Dir werd ich den Mund stopfen.“ Und das tat er dann auf eine wundervolle, sehr beeindruckende Weise.

Als er sie endlich losließ, strahlte Bettina ihn an. „Ich glaube, wir werden uns noch häufig streiten in Zukunft. Diese Versöhnung... die hat was!“

„Du bist eine freche Kröte. Aber ich liebe dich.“

„Sag das noch mal.“

„Ich liebe dich.“

„Er liebt mich...“ Fest schmiegte sie sich an ihn. „Wer hätte das vor wenigen Tagen gedacht... Ich komme her mit Liebeskummer – und schon kurz darauf finde ich die große Liebe.“

„Bin ich das wirklich – die große Liebe deines Lebens?“ Kurz hob er ihr Kinn an, um ihr besser in die Augen sehen zu können.

Bettina hielt seinem Blick stand. „Ja, das bist du“, antwortete sie schlicht.

„Was hältst du davon, wenn wir zu Jörgis Talvo gehen und da zu Mittag essen? Der Tag verdient gefeiert zu werden.“

„Du meinst den Gourmet-Tempel?“

„Jörgi und ich kennen uns gut. Es ist immer ein Genuss, bei ihm zu essen.“

„Aber deine Arbeit...“

„Die kann zwei Stunden warten.“ Er hakte sie unter. „Vorher machen wir noch einen Spaziergang, ja? Siehst du den kleinen Weg drüben am See? Darüber gibt es einen parallel verlaufenden Pfad durch den Wald. Da sind wir ungestört.“ Er griff zum Handy. „Ich sag nur schnell meinem Vater Bescheid.“

„Der wird mich verfluchen. Schließlich halte ich dich von deinen Pflichten ab.“