Wir holen uns das Glück zurück! - Carmen Lindenau - E-Book

Wir holen uns das Glück zurück! E-Book

Carmen Lindenau

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Seit ihrem sechsten Lebensjahr antwortete Jenny auf die Frage, was sie einmal werden wolle, stets: »Mami.« Später änderten sich die Formulierungen. Aus Mami wurde: »Mutter… am liebsten.« Und noch etwas später dann, während der Ausbildung: »Irgend etwas mit Kindern, erst beruflich, dann privat.« Das »erst beruflich« hatte sie nun. Sie war Kindergärtnerin geworden. Sie liebte Kinder, und die Kinder liebten sie. Das »dann privat« stand kurz vor der Tür. »Vier«, antwortete sie jetzt immer, wenn man sie fragte, wieviel Kinder sie haben wollte. »Vier mindestens.« Und jeder, der Jenny Amrast dabei ansah, glaubte ihr aufs Wort. »Du hast dir auch den richtigen Mann dafür ausgesucht«, behauptete Carola, die Kollegin, die ständig damit beschäftigt war, Jenny daran zu hindern, die Kinder zu sehr zu verwöhnen. »Wie meinst du denn das?« Jenny hatte eine unnachahmliche Art, die rechte Augenbraue zu heben. Ihr kleines, herzförmiges samtenes Gesicht mit den grauen Augen unter einer braunen Lockenfülle sah dann so blasiert aus wie das einer beleidigten Großherzogin. Jetzt sah sie so aus.

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Mami Bestseller – 17 –

Wir holen uns das Glück zurück!

Marlene gehört jetzt für immer zu uns

Carmen Lindenau

Seit ihrem sechsten Lebensjahr antwortete Jenny auf die Frage, was sie einmal werden wolle, stets: »Mami.«

Später änderten sich die Formulierungen. Aus Mami wurde: »Mutter… am liebsten.« Und noch etwas später dann, während der Ausbildung: »Irgend etwas mit Kindern, erst beruflich, dann privat.«

Das »erst beruflich« hatte sie nun. Sie war Kindergärtnerin geworden. Sie liebte Kinder, und die Kinder liebten sie.

Das »dann privat« stand kurz vor der Tür. Sie war verlobt mit Claus Hübner, würde ihn bald heiraten, und dann…

»Vier«, antwortete sie jetzt immer, wenn man sie fragte, wieviel Kinder sie haben wollte. »Vier mindestens.«

Und jeder, der Jenny Amrast dabei ansah, glaubte ihr aufs Wort.

»Du hast dir auch den richtigen Mann dafür ausgesucht«, behauptete Carola, die Kollegin, die ständig damit beschäftigt war, Jenny daran zu hindern, die Kinder zu sehr zu verwöhnen.

»Wie meinst du denn das?«

Jenny hatte eine unnachahmliche Art, die rechte Augenbraue zu heben.

Ihr kleines, herzförmiges samtenes Gesicht mit den grauen Augen unter einer braunen Lockenfülle sah dann so blasiert aus wie das einer beleidigten Großherzogin. Jetzt sah sie so aus. Carola lachte.

»Laß die Faxen! Ich meine damit, daß Claus genauso kinderjeck ist wie du.«

Jenny hatte auf der Stelle wieder ihren normalen Gesichtsaudruck.

»Na, gottlob!« sagte sie und biß in ihr Butterbrot.

Es war Pause, Aufsicht hatten Petra und Irmgard. Sie lauschten eine Weile den endlich einmal ruhigen Geräuschen aus dem Frühstückszimmer, wo im Augenblick siebzig Kinder ihr Frühstück verzehrten und ihren Tee tranken.

Nur hin und wieder klang ein Kichern auf, dann mal ein lauteres Wort, aber sonst war es friedlich. So friedlich war es nur um diese Stunde.

»Die meisten Männer…« Carola blickte hinaus auf den Spielrasen, auf die Schaukeln, Klettergerüste und Rutschen, die bunt im Sonnenlicht aufleuchteten.

Sie waren endlich frisch gestrichen worden. Grundgütiger Himmel. War das ein Kampf gewesen!

Jenny war ein von Natur aus geduldiger Mensch. Aber jetzt dauerte es ihr doch zu lange.

»Die meisten Männer?« half sie Carola, die wieder so aussah, als meditiere sie am hellichten Vormittag.

Carolas Blick kam zurück.

»Ah ja! Ich wollte sagen, die meisten Männer…«

»Das…«, Jenny grinste, »hast du bereits gesagt!«

»Unterbrich mich doch nicht dauernd!«

»Schon gut, schon gut! Also, die meisten Männer…«

»Die meisten Männer wollen heutzutage doch bloß noch ein Kind, und das möglichst erst, wenn das Auto da ist, die Wohnung oder das Haus und alles andere drum und dran.«

Jenny kaute erst sorgfältig ihren Mund leer.

»Sprichst du aus Erfahrung?« fragte sie dann Carola, hob die Thermosflasche, schaukelte sie, goß dann noch Kaffee ein.

»Ja«, sagte sie.

Eine Weile schwiegen sie. Jenny dachte an Claus, dachte daran, daß sie sich heute abend sehen würden, daß sie dann wieder ihre Pläne, ihre Zukunftspläne wohl zum hundertsten Male mit unverminderter Freude durchkauen würden.

Ach, und diese Pläne – wie sie sich glichen. Ihre und Claus’. Sie hatten die gleichen Wünsche, die gleichen Vorstellungen von ihrem gemeinsamen Leben…

Sie sah Carolas ruhiges Gesicht. Eigentlich wußte man nie so recht, was sie dachte. Aber das war ja bei vielen Leuten so, die nicht richtig glücklich waren.

»Wenn ihr erst verheiratet seid«, sagte Jenny und lächelte, »dann sieht das schon anders aus.«

Carola war nur zwei Jahre älter als Jenny, aber sie sah sie jetzt an, wie eine lebenserfahrene Glucke ihr noch flaumiges Küken betrachtet.

»Hast du eine Ahnung! Dann geht es erst richtig los! Dann wird gemeinsam gearbeitet, dann wird Geld verdient! Und dann können wir uns erst richtig was leisten!«

Die Bitterkeit in ihrer Stimme war unüberhörbar.

»Das wußte ich ja gar nicht.«

»Ich habe ja auch nie darüber gesprochen.«

»Aber… aber mit Walter hast du doch sicher gesprochen?«

Carola stand auf und reckte ihre Wirbelsäule. Sie saßen in den Kinderstühlen. Reine Gewohnheitssache, sich darin wohl zu fühlen. Nur nicht, wenn man es mit der Bandscheibe hatte, wie Carola.

»Er hat gesprochen«, sagte sie zu einem der kindlichen Gemälde, von denen eine lange Reihe an die Wand geheftet waren.

Es waren knallbunte Bilder, phantasievoll bis zur Unkenntlichkeit, aber mit großer Begeisterung gemalt.

»Und du? Ach, du liebe Zeit! Ich habe gar nicht richtig nachgedacht, zu Anfang…«

»Anfang! Seitdem hat der Rhein dreimal Hochwasser gehabt, Teuerste. Wie sieht es denn jetzt bei euch, beziehungsweise bei dir aus?«

Carola setzte sich auf den runden Basteltisch und streckte ihre Beine aus. Sie sah auf ihre gelben Sandalen.

»Ich glaube, ich habe den Zeitpunkt verpaßt.«

»Unsinn!«

»Doch, doch! Was man im Anfang nicht gleich klarstellt, tja, das läßt sich dann eben nicht mehr regeln.«

»Mach doch keine Witze! Du wirst doch wohl imstande sein, ihm zu sagen: Hör mal, mein Herzblatt, oder wie du ihn nennst, ich will kein Auto…«

»Oh«, unterbrach Carola sie, »das will ich schon, aber nicht nur!«

»Laß mich doch mal zu Ende reden! Also, ich will kein Auto, jedenfalls nicht nur, ich will auch nicht nur für Stuß und Staat arbeiten. Ich möchte Kinder haben, und zwar nicht nur eins, und ich will dir sagen…«

Jennys Augen waren rund geworden, und ihre Rede wurde von schnellen, beinahe südländischen Handbewegungen unterstrichen »Hör auf!« sagte Carola und lächelte.

»Bitte!« Jenny machte wieder ihr Großherzoginnengesicht. »Wie du willst!«

»Weißt du – ich habe natürlich mit ihm gesprochen.«

»Und deine Wünsche geäußert?«

»Meine Vorstellungen«, korrigierte Carola.

»Ist doch Jacke wie Hose. Und? Was sagt er?«

Carola drehte sich herum. Sie rollte ihr Butterbrot wieder ins Pergament, drehte die Thermosflasche zu und erwiderte: »Eigentlich hat er mich immer davon überzeugt, daß er recht hat, daß seine Auffassung die richtige ist und so weiter.«

Jenny dachte lange nach, wobei sie unentwegt aß. Es gab nichts, was Jenny am Essen hätte hindern können.

Dabei war sie superschlank. Ihre Mutter behauptete sogar, mager. Aber das stimmte nicht. Nicht ganz.

»Du liebst ihn!« konstatierte sie dann.

Carola sah erheitert aus.

»Allerdings«, gab sie dann lächelnd zu.

Jenny blickte sie von unten herauf an, und Carola dachte – übrigens nicht zum ersten Mal und auch nicht als einzige – wie hübsch Jenny doch war.

»Und er liebt dich?«

»Ja, das weiß ich.«

»Genau?«

»Ganz genau!«

»Na, Mensch!« Jenny gab sich einen Stoß und stand auf. »Dann laß doch alles auf dich zukommen! Du wirst Kinder kriegen können am laufenden Band. Wenn man sich liebt!«

»Oh, Jenny! Bitte, spar deine Luft für gleich. Die Kinder brauchen deine Reden mehr als ich!«

Zwei, drei Sekunden lang sah Jenny aus wie eine Schülerin. Ihr pikantes, lebhaftes Gesicht war ganz ruhig.

»Ich meinte es ernst«, sagte sie still.

»Ja«, erwiderte Carola, »ich weiß. Aber wenn ich jetzt nicht aufhöre, darüber nachzudenken und zu reden, begleitet mich der Gedanke den ganzen Tag. Und das kann ich nicht vertragen.«

»Wieso?« Jenny hatte plötzlich alles verstanden. »Er sitzt doch fest bei dir, der Gedanke. Er läßt dich doch ohnehin nicht los. Nie! Hab’ ich recht oder nicht?«

»Doch«, gab Carola zu, ohne Jenny anzusehen. »Aber jetzt turne ich noch fünf Minuten!«

Sie ging hinaus, und Jenny folgte ihr.

Sie machten täglich fünf Minuten Übungen in dem Gymnastikraum, in dem sie auch mit den Kindern turnten.

Jenny hielt nicht viel davon, sie war überhaupt nicht allzu sportlich. Und strenggenommen turnte sie die täglichen fünf Minuten auch nur Carola zuliebe, obwohl sie sich danach immer richtig wohl fühlte.

Als sie zurück in die Spielzimmer kamen und ihre Gruppe übernahmen, war der Lärm bereits in vollem Gange.

Jennys Blick streifte liebevoll über die tobende Gruppe.

»Sie sind außer Rand und Band«, sagte sie zu Carola.

»Wann sind sie das mal nicht?«

Jenny hörte gar nicht richtig hin.

»Am besten, wir gehen mit ihnen nach draußen. Ist sowieso das beste bei dem schönen Wetter.«

Sie klatschte in die Hände, brachte ihre Stimme auf Feldwebellautstärke und rief: »Kinder! Ruhe bitte! Bitte

Rrruuuuhe!«

Trotzdem dauerte es eine ganze Zeit, bis es still wurde.

»Laßt doch Tante Jenny auch mal was sagen!« schrie James, der Große.

Er war sechs, kam bald in die Schule und hatte sich im letzten halben Jahr zu Jennys rechter Hand entwickelt.

Er liebte sie abgöttisch, und es hatte echte Schwierigkeiten gegeben, ihm die Notwendigkeit eines Schulbesuchs klarzumachen.

Erst als Jenny Besuche versprochen und erlaubt hatte, war er mit seiner Einschulung einverstanden gewesen.

James ist eine Autorität, dachte Jenny amüsiert, mehr als ich. Aber ich kann ja schließlich auch nicht mit erhobenen Fäusten auf die Kinder zugehen, so wie James jetzt!

Sie stellte sich hinter ihn und legte ihm beide Hände auf seine magere Brust.

»Wir gehen nach draußen.«

Alles Weitere ging in einem Gejole in Häuserblocklautstärke unter.

Die Kinder stürmten die Kleiderhaken, drängten und zwängten sich in ihre Jacken. Pausenloses Geplapper begleitete die eilige Tätigkeit.

Jenny ging dazwischen durch und half, wo Hilfe erforderlich war, zog Reißverschlüsse hoch, wechselte Pantoffeln gegen Sandalen aus, band Schuhbänder zu, knöpfte viel zu große Knöpfe in viel zu kleine Knopflöcher, machte Zopfspangen zu, und und, und… Sie sah glücklich dabei aus, und sie war es auch.

Draußen dann saß sie nicht bei Carola, sondern betätigte sich mit den Kindern.

Sie ist selbst noch ein Kind, dachte Carola, und sie hat an der Spielerei auch ganz genauso viel Spaß wie ein Kind.

Jenny war zu beneiden. Ihr gelang alles, was sie in Angriff nahm. Sie bekam alles, was sie sich erträumte. Irgendwie war sie Jenny im Glück.

Gerechterweise mußte Carola zugeben, daß Jennys Träume sehr reale, verwirklichungsfähige Träume waren. Aber trotzdem…

Ihre eigenen Träume waren ja ähnlich, nur hatte sie nicht den Partner gefunden, der exakt die gleichen Träume träumte.

Walters Träume lagen auf einer andern Ebene. Er verstand unter Glück und Familienleben etwas anderes als sie. Selbst unter Leben verstand er etwas anderes.

Aber Jenny hatte recht. Sie liebten sich, und alles würde gut werden. Sie würden sich zusammenraufen und ihre Wünsche einander anpassen.

Einige Augenblicke lang war Carola sehr froh, fast euphorisch. Sie würde heute mit ihm sprechen.

»Heee!« hörte sie Jennys Stimme. »Warum weint denn Frauke da?«

Gleich darauf hatte sie Frauke im Arm. Wie Jenny das tat, wie sie die Kinder mit Zärtlichkeit überströmte, wie sie in Sekundenschnelle Trost gab, das machte ihr niemand nach. Das war nicht nachzumachen, das war auch nicht zu lernen. Das war in dem Menschen. In Jenny.

Jenny war die einzige unter den Kolleginnen, der die Kinder noch nie, nicht ein einziges Mal in den drei Jahren, auf die Nerven gegangen waren.

Wenn die anderen erschöpft waren, denn Kinder kosten Nerven, so blühte Jenny immer mehr und mehr auf.

Es war, als zöge sie Kraft und Freude aus den Kindern.

Sie wird einmal nicht vier, überlegte Carola, sie wird sechs und mehr Kinder haben!

*

Der Tag war um.

Carola war erschossen. Jenny sah aus wie das blühende Leben.

»Ich frage mich, wie du das machst!« stöhnte Carola. »Du mußt Nerven wie Drahtseile haben!«

Jenny streifte ein anderes Kleid über. Sie würde sich in zehn Minuten mit Claus treffen.

»Ich will dir ein Geheimnis verraten«, lachte sie.

»Da bin ich gespannt!«

»Ich habe überhaupt keine Nerven!«

»Das merkt man!« entgegnete Carola trocken, aber ohne Neid.

»Kinder«, dozierte Jenny ernsthaft und sah dabei selbst aus wie ein etwas zu groß geratenes Kind. »Kinder machen mich munter! Einfach munter!«

Sie knöpfte die lange Reihe der winzigen Knöpfe sorgfältig zu, hin und wieder einen Blick in den Spiegel werfend.

»Sie sind für mich wie ein Anregungsmittel! Frag mich nicht, wieso, denn ich weiß es nicht. Es ist einfach so. Ich bin schon so auf die Welt gekommen, glaube ich manchmal.«

»Als ewiges Kind?« fragte Carola in einem liebevollen, neckenden Ton.

Jenny hatte die Knopfreihe fertig und betrachtete sich im Spiegel.

»Vermutlich«, erwiderte sie. »Aber es ist schön, einfach schön. Ich jedenfalls fühle mich wohl, so wie ich bin.«

Carola war unvermittelt wieder ernstgeworden.

»Du wirst deinen Kindern eine wundervolle Mutter sein«, sagte sie leise, »sie sind schon jetzt zu beneiden!«

Mit der gleichen Zärtlichkeit, mit der sie Kinder behandelte, streichelte Jenny Carolas bloßen Arm.

»Du auch«, murmelte sie, und ihr behutsames Lächeln war wie Trost für alles.

Kein Wunder, daß die Kinder sie so liebten, diese Jenny.

Sie wandten sich zum Gehen, als das Telefon im ›Tantenzimmer‹ läutete.

Carola ging an den Apparat.

»Für dich«, sagte sie dann, »deine Mutter.«

Jenny nahm den Hörer.

»Hallo, Mam, was gibt es?«

Frau Amrasts Stimme klang heller als sonst, und sie sprach schneller als gewöhnlich.

Jenny lächelte in sich hinein. Daß Mütter immer glaubten, Kinder merkten nichts!

»Eigentlich nichts. Ich wollte nur hören, wann du heute nach Hause kommst, so ungefähr. Du triffst dich doch mit Claus, oder hatte ich das falsch verstanden?«

»Nein, hast es richtig verstanden. Ich denke, daß ich gegen elf zu Hause hin. Warum denn, Mam?«

»Na ja, weißt du, Kind, ich habe da eine Einladung, und ich dachte…«

»Geh nur, Mam. Auch wenn ich eher zu Hause sein sollte. Du brauchst doch nicht immer auf mich zu warten!«

»Wenn ich nur sicher wäre, daß du auch was Ordentliches ißt!«

»Ich esse doch immer ordentlich.«

»Aber nicht abends!«

Das stimmte. Jenny konnte den ganzen lieben langen Tag pausenlos essen, immer mit Appetit und alles, was auf den Tisch kam. Aber wenn es Abend wurde, war’s vorbei. Sie hatte dann auch nicht ein Fünkchen Appetit mehr.

»Vielleicht bin ich deshalb so schlank.«

»Das ist keine Schlankheit, das ist schon…«

»Mam, komm, laß uns am Telefon nicht über das alte Thema streiten. Also, du kannst beruhigt gehen. Ich verspreche hiermit hoch und heilig, heute abend noch was zu essen. Gut so?«

»Gut so, Schatz, viel Spaß dann. Grüß Claus von mir.«

»Mach’ ich. Und du auch.«

Frau Amrast war irritiert »Wie bitte?«

Jenny feixte.

»Ich meine, dir auch einen schönen Abend, Mama.«

»Ach so! Ja, danke. Bis denn, Jennylein!«

Jenny legte auf. Carola stand wartend an der Tür. Mit ihrem liebevoll geformten Kinn wies Jenny auf das Telefon.

»Meine alte Dame geht auf Freiersfüßen und glaubt, ich hätte keine Ahnung!«

Sie lachte fröhlich auf.

»Deine alte Dame ist eben vierundvierzig Jahre alt!« sagte Carola.

»Eben! Ich wünsche es ihr von ganzem Herzen! Ich habe ja gar nichts dagegen. Und Bernd auch nicht.«

Bernd war Jennys Bruder. Er studierte zur Zeit in Tübingen.

Beider Vater war seit fünfzehn Jahren tot, sie hatten nur noch eine schwache Erinnerung an ihn.

Mam hatte, obwohl eine zarte, verwöhnte Frau, bewiesen, daß sie ihren Mann stehen konnte, und ihre Kinder großgezogen, ohne daß denen das Fehlen des Vaters beklagenswert bewußt geworden wäre.

Da sie finanziell einigermaßen versorgt waren, konnte Frau Amrast es sich leisten, nicht arbeiten zu gehen, sondern ganz für ihre Kinder dazusein.

Das war auch so gewesen, bis vor wenigen Monaten. Da war ihr ein Mann begegnet, bei dem sie glaubte, noch einmal ein neues Glück zu finden.

Bernd war aus dem Haus, Jenny würde bald gehen. Es würde still werden um sie herum. Und sie war ja noch jung.

»Weiß sie das?«

»Nein. Sie hat uns ja nie gefragt. Du, sie macht alles so unheimlich heimlich oder so heimlich unheimlich, daß ein Blinder mit ’nem Krückstock merken muß, was los ist«

»Wie du darüber sprichst!«

Jenny sah erstaunt auf.

»Ja, wie soll ich denn darüber sprechen? Wie ein Pastor? Oder wie?«

Carola zuckte die Schultern.

»Ich meine mit ein bißchen mehr Respekt vor den Gefühlen deiner Mutter.«

Sie waren weitergegangen, standen schon vor der Tür, die Jenny abschloß. Sie zog den Schlüssel heraus und sah ihn an.