Wir werden einander viel verzeihen müssen - Jens Spahn - E-Book
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Wir werden einander viel verzeihen müssen E-Book

Jens Spahn

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Beschreibung

Wie ein Orkan ist die Pandemie übers Land gefegt. Nichts ist mehr, wie es war. Zum ersten Mal berichtet jetzt Jens Spahn sehr persönlich aus dem Zentrum des Orkans. Er erzählt, wie die Politik in einer historischen Situation, für die es kein Beispiel gibt, der Krise Herr zu werden versucht, wie Kanzlerin, Ministerpräsidentenrunde, RKI und Experten um den richtigen Weg ringen. Er spart nichts aus, schildert schwierige Entscheidungen, drastische Maßnahmen, Zumutungen und Fehler ebenso wie Momente der Erschöpfung und Verzweiflung, erzählt von maßlosen Angriffen und dem Riss, der durch die Gesellschaft geht. Aber er richtet den Blick auch nach vorn: Wie können wir uns wappnen für kommende Krisen? Wie die erbitterten Gegensätze versöhnen, wie heilen, was unheilbar scheint?
Ein bemerkenswert offener, ebenso kritischer wie selbstkritischer Blick auf unser Land in seiner bisher vielleicht größten Bewährungsprobe.

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Zum Buch:

»Unerbittlichkeit, ein Wort, über das ich viel nachgedacht habe. Nicht erbittlich, nicht zugänglich für jemanden, der um Vergebung bittet – waren wir wirklich so geworden?«

Die Krise hat ihn verändert, sie hat uns alle verändert. Nichts ist mehr, wie es war. Als einer der zentralen Akteure berichtet Jens Spahn jetzt erstmals, wie Kanzlerin, Ministerpräsidentenrunde und RKI um den richtigen Weg rangen. Er spart nichts aus, schildert schwierige Entschlüsse, Erfolge und Zumutungen, Zweifel und Fehler.

Oft mussten Entscheidungen getroffen werden, bevor das dafür notwendige Wissen verfügbar war – Entscheidungen, die trotz bester Absichten nicht zum gewünschten Erfolg führten. Es bleiben viele Fragen:

Haben wir die Ältesten gut genug schützen können? War es notwendig, Schulen zu schließen, Kinder und Jugendliche aus ihrem sozialen Umfeld zu reißen? Was haben wir den Familien zugemutet, was Alleinstehenden und alten Menschen, was vielen Unternehmen und ihren Beschäftigten? Was aber auch den Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten, allen im Gesundheitswesen Tätigen? Was würde man heute anders entscheiden?

Hinzu kommt die Unerbittlichkeit, mit der viele Menschen einander begegnen, die scheinbar unversöhnliche Spaltung der Gesellschaft. Wie schaffen wir es, gegensätzliche Meinungen auszuhalten? Können wir wieder lernen, einander zu verzeihen?

Gestützt auf die Erfahrungen mit der Pandemie, richtet Jens Spahn den Blick nach vorn und entwickelt konkrete Strategien, damit uns künftige Notlagen und Gefahren nicht unvorbereitet treffen. Er zeigt auf, wie wir uns aus Abhängigkeiten lösen und souverän werden können. Wie staatliche Institutionen gestärkt werden müssen. Und nicht zuletzt, wie die oft so schwerfällige EU ihre Stärken entwickeln kann, indem einige »Pionierstaaten« innerhalb der EU entschlossen vorangehen.

Ein bemerkenswert offener, ebenso kritischer wie selbstkritischer Blick auf unser Land in seiner bisher vielleicht größten Bewährungsprobe – die längst noch nicht bestanden ist.

Zu den Autoren:

Jens Spahn, Jahrgang 1980, ist Mitglied im CDU-Präsidium und als Fraktionsvize zuständig für Wirtschaft, Klima und Energie. Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann studierte er Politikwissenschaft; seit 2002 ist er Mitglied des Bundestags. In seinem münsterländischen Wahlkreis hat er bereits sechsmal in Folge das Direktmandat errungen. Von 2009 bis 2015 war er gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, anschließend Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen. Als Bundesminister für Gesundheit von März 2018 bis Ende 2021 galt es in der Zeit der Corona-Pandemie schwere Entscheidungen zu treffen und auch unkonventionelle Wege zu gehen, um möglichst viel Schaden abzuwenden und das Land gut durch die Krise zu führen. Spahn lebt mit seinem Ehemann in Ahaus und Berlin.

Die Journalisten Olaf Köhne und Peter Käfferlein entwickeln und realisieren mit ihrer Hamburger Agentur Projekte in den Bereichen Buch, TV und Management. Ihre Bücher u.a. mit Dirk Roßmann, Hardy Krüger und Liselotte Pulver wurden SPIEGEL-Bestseller.

JENS SPAHN

mit Olaf Köhne und Peter Käfferlein

Wir werden einander viel verzeihen müssen

Wie die Pandemie uns verändert hat – und was sie uns für die Zukunft lehrtInnenansichten einer Krise

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Originalausgabe 2022Copyright © 2022 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz, Memmingen

Umschlagfoto: © Anne Hufnagl, Berlin

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-29894-4V001www.heyne.de

Meinen Eltern.In Dankbarkeit.

Inhalt

Vorwort

I. Dienstag, 25.02.2020: »Jens, wir haben ein Problem.«

Das Virus kommt nach Deutschland

»Jetzt erst mal alle raus und Handys abgeben«

Kommunizieren in unsicheren Zeiten

Rückblende Oktober 2019: Reise ins Ebola-Gebiet

Ein folgenreicher Freitag

Warum bei Unsicherheit die Sicherheit Vorrang hat

II. Es fehlt an allen Ecken und Enden

Unterwegs als »koordinierender Bittsteller«

»Jens, wo bleiben meine Masken?«

Zwischenblende 2022: Eine Lehre aus Harvard

Das Vorsorgeparadox

Vorsorge für künftige Pandemien

Kehrt die Bürokratie zurück, ist die Krise vorbei

III. »Das wird die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.«

Die Pandemie eindämmen – aber mit welchen Maßnahmen?

Osterruhe trotz Schwarmintelligenz

Lockdown – über den Wert der Freiheit

»Boah, ich könnte das nicht.«

IV. Mahnungen und Warnungen verpuffen

Sorglos-Sommer, Gütersloh-Blues, Sorgen-Herbst

Was ist eigentlich fair?

Funkloch im Urlaub

Zwischenblende: Das Verhältnis zur Chefin

Freies Testen für alle Urlauber

Amtsführung aus der Isolation

Too little, too late

V. »Wir wollen, dass der Spuk vorbei ist!«

Wenn aus Spannungen Spaltungen werden – Ein Jahr zunehmender Polarisierungen

»Spahns Ermächtigungsgesetz«

Wenn sich die Gesellschaft spaltet

Never complain, never explain

Ein falsches Signal

Rückblende 2015: Crashkurs in der Krise

VI. Souverän werden ist das Gebot

Schlussfolgerungen für das kommende Jahrzehnt

Abhängigkeit kann wehtun – Panik in den Apotheken

Souverän werden – Wie wir uns aus Abhängigkeiten lösen

Wandel durch Handel?

VII. »Der Schlüssel dafür, dass wir unser Leben zurückbekommen«

Der Impfstoff kommt

Zwanzig Millionen Menschenleben

Zu viele Köche verderben den Brei – besonders in Krisen

Impfen ebnet den Weg aus der Pandemie

VIII. Ein Virus kennt keine Grenzen …

… also darf auch seine Bekämpfung keine Landesgrenzen kennen

Nur gemeinsam sind wir stark – europäische Zusammenarbeit in der globalen Krise

Europa der Pioniere

Warum die WHO mehr Zähne braucht

IX. »Wir werden einander viel verzeihen müssen.«

Ein Satz, der bleibt

X. Montag, 08. März 2021: »Ich war durch. Ganz einfach durch.«

Wahlkampfstimmung, Schlammschlacht und Schuldzuweisungen

Konkurrenz statt Einigkeit – aus Pandemie-Politik wird Parteipolitik

Ein Fragenkatalog wirft Fragen auf

»Der Ankündigungsminister«

»Im Amt nicht mehr haltbar« – die SPD teilt aus

Zwischenblende: Wandern wirkt

Demokratie kann doch liefern – der Systemwettbewerb

Der Pappa-ante-portas-Moment

Rückblende Herbst 2002: Wie alles anfing

Mittwochabend, 08. Dezember 2021

Epilog

Anhang

Anmerkungen

Vorwort

»Es war die bisher größte Aufgabe meines Lebens, mit allen Höhen und Tiefen. Und dennoch würde ich keinen Tag tauschen wollen.«

Mit diesen Worten habe ich mich am Nachmittag des 08. Dezembers 2021 von meinen Kolleginnen und Kollegen im Ministerium verabschiedet. Hinter mir lag eine in jedem Sinne fordernde Zeit als Bundesminister für Gesundheit. Hinter uns allen lag eine Zeit, die für das ganze Land kräftezehrend, für sehr viele auch beängstigend und bisweilen dramatisch war. 2020 und 2021, die ersten beiden Pandemiejahre, waren Ausnahmejahre. Wir durchlebten eine Jahrhundertkrise. Sie hat zu den größten Einschränkungen von Freiheitsrechten in der Geschichte der Bundesrepublik geführt und viel Leid, Krankheit und Tod über die Welt gebracht. Es war zugleich eine Zeit von Innovationen und Ideen, von Zusammenhalt und Zusammenstehen.

An Krisen kann man wachsen – und scheitern. Das gilt für die Politik und für die Gesellschaft als Ganzes. Und es gilt für jeden Einzelnen von uns. In der Pandemie haben die meisten bewiesen, dass sie solidarisch sind, wenn es darauf ankommt. Wir haben gezeigt, dass wir als Gemeinschaft in schwerer Zeit bestehen können. Von Anfang an entwickelte sich ein großes Gefühl von Zusammengehörigkeit und Zusammenhalt. »Wir bleiben Zuhause«, so lautete eine erfolgreiche und breit unterstützte Kampagne in der ersten Welle der Pandemie. Wir haben damit damals den richtigen Ton getroffen. Die Bürgerinnen und Bürger wollten selbst einen Unterschied machen, sie wollten etwas tun. Die Kampagne bündelte dieses Gefühl. Viele Prominente unterstützten die Kampagne, Medien griffen sie auf, heute steht der Slogan symbolisch für diese Zeit. Wichtiger aber noch: Wir haben einen Unterschied gemacht. Das Beispiel zeigt, wie kraftvoll Kommunikation sein kann. Das Gefühl des »Wir passen aufeinander auf, wir geben aufeinander acht, wir achten einander« hat trotz aller Härten die ersten beiden Jahre der Pandemie überdauert. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen hat die Corona-Maßnahmen mitgetragen. Das gilt bis heute.

Eine Krise ist immer auch ein Charaktertest. Für uns als Gesellschaft, für jeden Einzelnen. Wir haben diesen Test leider nicht in jeder Hinsicht bestanden. Die Notsituation wurde von manchen ausgenutzt, um sich an Wirtschaftshilfen, Maskenbeschaffung oder Bürgertests zu bereichern. Die Einzelfälle, in denen dies Politiker waren, auch aus den Reihen meiner Partei, finde ich besonders schäbig.

Und bei aller Solidarität mussten wir erleben, dass es zu Fliehkräften in unserer Gesellschaft kam. Spannungen und Spaltungen nahmen zu, Debatten wurden unerbittlicher geführt. Die Bereitschaft sank, Kontroversen auszuhalten und auszutragen, ohne dabei als Gesellschaft auseinanderzubrechen. Die Pandemie hat bei einigen Unverständnis, Wut, Hass und Aggression in einem Maße zutage gefördert, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Als Gesundheitsminister wurde ich selbst zum Feindbild all derer, die die Corona-Maßnahmen ablehnten, der Corona-Leugner, Impfgegner und Verschwörungstheoretiker. Ihren Hass bekam und bekomme ich hautnah zu spüren, Tag für Tag, seit vielen Monaten. Und es ist im Laufe der zwei Jahre, über die ich schreiben will, eine Unerbittlichkeit in unserem Land gewachsen, die wir überwinden müssen. Als ich im April 2020 im Deutschen Bundestag eher nebenbei den Satz aussprach, der diesem Buch seinen Titel gibt – »Wir werden einander viel verzeihen müssen« –, ahnte ich noch nicht, wie sehr der Gedanke des Verzeihens in dieser Krise an Bedeutung für den Zusammenhalt gewinnen würde.

Ich glaube an die Kraft der demokratischen Debatte. Demokratien lernen aus ihren Fehlern und passen ihr Handeln immer wieder der neuen Realität an. Das macht sie stark. Autokratien sind dazu nicht in der Lage. Denn sich zu korrigieren gilt hier im Gegenteil als Schwäche und stellt gleich das ganze System infrage. In der Pandemie erlebten wir, wo Deutschland und die Europäische Union leistungsfähig sind. Zum Beispiel in unserem starken, stabilen Gesundheitswesen mit Hunderttausenden Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern, Fachleuten in Laboren und Gesundheitsämtern, die zusammen mit vielen anderen unter hohem Einsatz und mit großer Kenntnis in der Bekämpfung der Pandemie Entscheidendes geleistet haben. Das klingt so selbstverständlich. Aber diese Leistungsfähigkeit unter größtem Stress ist tatsächlich das Qualitätsmerkmal unseres Gesundheitssystems. So konnten wir in Deutschland in einer gemeinsamen Kraftanstrengung vermeiden, dass es zu dramatischen Situationen wie beispielsweise im italienischen Bergamo oder wie in New York City kam.

Wir sind auch stark bei Forschung und Innovation. Der erste PCR-Test der Welt kam aus Deutschland, schon im Januar 2020. Der erste Impfstoff der Welt wurde in Rekordzeit in unserem Land entwickelt. Wir haben bewiesen, dass der Föderalismus, das Zusammenspiel von Bund und Ländern, in der Krise gut funktioniert – zumindest dann, wenn alle an einem Strang ziehen.

Die Pandemie hat uns gleichzeitig in aller Brutalität unsere Schwächen und Defizite aufgezeigt. All jene Problemfelder, über die wir in der Politik zu lange hinweggesehen und die wir schlichtweg vernachlässigt haben: die Digitalisierung der Verwaltung und des Gesundheitswesens, die Arbeitsbedingungen in der Pflege, die vorausschauende Krisenvorsorge, das Üben für Notfälle und das Vorhalten von Strukturen, klare Zuständigkeitsregelungen für den Krisenfall, der Umgang mit einem Föderalismus, der zu oft von Konkurrenz statt Gemeinsinn geprägt ist.

Die Pandemie ist ein Test für unsere Debattenkultur, im Kleinen – in Familien, in der Nachbarschaft, unter Freunden, am Arbeitsplatz – ebenso wie im Großen. Sie ist ein Test für die Demokratie. Hat unser repräsentatives, föderales System tatsächlich liefern können? Ja, wir sind vergleichsweise gut durch diese schwere Zeit gekommen. Aber eben nicht so gut, wie es hätte sein können – und manches Mal auch müssen.

Der Blick auf die Zeit der Pandemie wirft Fragen auf: Wie hat sie unsere Gesellschaft, die Menschen, die in diesem Land leben, und diejenigen, die in der politischen Verantwortung standen, verändert? Warum passieren Fehler und was können wir aus ihnen lernen, um in Zukunft besser zu werden?

Was gestern noch richtig schien, kann sich mit neuem Wissen schon kurze Zeit später als falsch herausstellen. Wie entwickeln wir eine Fehlerkultur, die es dann ermöglicht, Fehler zuzugeben und sie in etwas Produktives umzuwandeln?

Wie viele andere hat diese Zeit auch mich manchmal bis an mein Limit gebracht. Und daher nicht zuletzt: Welche Fehler habe ich gemacht? Wo lag ich falsch, was würde ich heute anders, besser machen?

Diese und andere Fragen stelle ich mir seit Monaten immer wieder, und um solche Fragen geht es mir in diesem Buch. Ich werde auf diese prägende Zeit als einer der Verantwortungsträger und Entscheider zurückblicken. Nicht rechtfertigend, aber erklärend. Erläuternd, einordnend, aber nicht schönfärbend. Kritisch, auch selbstkritisch, aber ohne dabei das Erreichte kleinzureden oder auszublenden. Ohne abschließende Antwort auf jede Frage, aber auf der Suche danach.

Nur wenn wir aus dem lernen wollen, was geschehen ist, haben wir die Chance, es künftig besser zu machen. Dabei ist meine Sicht der Dinge zwangsläufig eine subjektive und selektive. Ich werde versuchen, sie so offen, ehrlich und reflektierend zu schildern, wie es mir möglich ist. Es soll in diesem Buch nicht in erster Linie um mich gehen. Es geht mir vor allem um die Frage, welche Lehren sich ziehen lassen, damit wir in zukünftigen Krisen besser werden.

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich greife in den folgenden zehn Kapiteln mit Blick auf die ersten beiden Pandemiejahre viele Themen auf und gehe auf viele Debatten ein. Aber: Das Buch ist keine detaillierte chronologische Auflistung der Ereignisse, keine wissenschaftliche Aufarbeitung der Pandemie – und auch keine vollständige Abbildung aller Themen. Ich hätte noch Stoff für manches Kapitel und manche Anekdote mehr gehabt. Aber hier soll es um das Wesentliche gehen. Und daher sehen Sie mir den Mut zur Lücke nach. Die entscheidenden Punkte, die mir am Herzen liegen, werden Sie in diesem Buch finden. In einigen Abschnitten liegt der Schwerpunkt eher im Erzählerischen, in anderen wird es politisch-grundsätzlich. Das Buch ist so aufgebaut, dass Sie als Leserin und als Leser an jeder beliebigen Stelle einsteigen können.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen!

Ihr

I.Dienstag, 25.02.2020: »Jens, wir haben ein Problem.«

Das Virus kommt nach Deutschland

Dass es passieren würde, dass das Virus sich auch bei uns in Deutschland und Europa unkontrolliert ausbreiten würde, daran gab es im Februar 2020 schon bald keinen Zweifel mehr. Die Frage war immer: Wann? – Wann würde es so weit sein, wie lange schafften wir es, diesen Tag für Deutschland hinauszuzögern?

Wir wollten mit der gewonnenen Zeit zwei Dinge erreichen: Das Gesundheitswesen steht in jedem Winter durch die Grippewelle unter besonderem Stress – von Jahr zu Jahr in unterschiedlicher Intensität, aber fast immer unbemerkt von der breiteren Öffentlichkeit. Es galt also erstens, so viel Zeit wie möglich zu gewinnen, um eine gleichzeitige Belastung des Gesundheitswesens durch eine hoffentlich bald abflauende Grippewelle und ein neues Virus zu vermeiden. Und zweitens bedeutete jeder Tag, an dem sich Covid-19 nicht unkontrolliert in Deutschland ausbreiten konnte, mehr Zeit, um Wissen und Erfahrung zu einem nahezu unbekannten Virus zu sammeln.

Das Land mit dem ersten großen Corona-Ausbruch, die Volksrepublik China, verhielt sich wenig transparent oder kooperativ gegenüber der Weltgemeinschaft und der Weltgesundheitsorganisation, der WHO. Deshalb war unseren Expertinnen und Experten zu Ansteckungswegen und Übertragungsrisiken, zu Inkubationszeit, Krankheitsverlauf und Therapie in der Anfangszeit wenig bis nichts bekannt. Wir schafften es, die Lage für einige Wochen unter Kontrolle zu halten, indem bei den vereinzelten bestätigten Corona-Fällen in Deutschland zügig und durchgehend Kontakte verfolgt und die jeweiligen Infektionsketten gebrochen werden konnten. Und dann kam der Moment, mit dem uns bewusst wurde: Von heute an kommt etwas Gewaltiges auf uns zu. Das Virus war außer Kontrolle und nicht mehr aufzuhalten. Es war der Karnevalsdienstag.

Der Tag begann unter ganz anderen Vorzeichen. Meine Partei, die CDU, befand sich mitten in einer unerwarteten Umbruchphase. Annegret Kramp-Karrenbauer hatte am 10. Februar 2020 angekündigt, auf eine Kanzlerkandidatur zu verzichten und den Parteivorsitz abzugeben. Seitdem beherrschte die Frage ihrer Nachfolge für den Vorsitz der größten Regierungspartei die Schlagzeilen. Am Vormittag dieses Karnevalsdienstags, am 25. Februar 2020, saßen der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, und ich in der Berliner Bundespressekonferenz und verkündeten zur Überraschung vieler, dass wir gemeinsam als Team auf dem im April geplanten Parteitag antreten würden: Armin für den Vorsitz der Partei, ich als einer seiner Stellvertreter. Ich selbst würde mich also nicht erneut um den Chefposten bewerben. Bei dem vorherigen Vorsitzenden-Wettbewerb im Herbst 2018 war ich angetreten, um der Partei nach vielen Jahren der Führung durch Angela Merkel einen Generationswechsel anzubieten. Ich hatte verloren, doch die Kandidatur hatte sich richtig angefühlt. Jetzt war die Lage eine andere, unsere CDU war in einer veritablen Krise. Es gab zu viel Streit, der politische Gegner wurde zu oft innerhalb der eigenen Union gesehen. Es brauchte also jemanden, der in der Lage war, Christdemokratinnen und Christdemokraten wieder zusammenzuführen. Ich war überzeugt, dass Armin Laschet als erfolgreicher Ministerpräsident des größten Bundeslandes dafür der Richtige war, und unterstützte ihn daher. Dass der geplante Parteitag dann gar nicht mehr im Jahr 2020 stattfinden würde, ahnten wir beide an diesem Vormittag nicht.

Womit wir beim weiteren Verlauf des 25. Februars wären. Gleich nach der Pressekonferenz fuhr ich zum militärischen Teil des Flughafens Tegel und machte mich mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr auf den Weg nach Rom. Dorthin hatte Roberto Speranza, Italiens Gesundheitsminister, seine Kollegen aus den Anrainerstaaten Norditaliens sowie mich als Vertreter der Bundesregierung zu einem kurzfristig angesetzten Krisentreffen eingeladen, um über die aktuelle Corona-Situation in seinem Land zu berichten und das weitere Vorgehen abzustimmen. Bis dahin waren in Italien, dem ersten Corona-Hotspot in Europa, zehn Menschen nachweislich an den Folgen von Covid-19 gestorben, die Zahl der Infizierten stieg sehr schnell an. Das Treffen fasste ich später am Tag auf Facebook zusammen:

»Heute bin ich der Einladung meines italienischen Amtskollegen Roberto Speranza nach Rom gefolgt. Dort haben wir mit Blick auf das #Coronavirus die aktuelle Lage und das weitere Vorgehen in Europa besprochen. Die Gesundheitsminister Italiens, Österreichs, Kroatiens, der Schweiz, Sloweniens, Frankreichs und ich haben uns darauf geeinigt, Reisende von und nach Italien nach demselben Muster über das Virus zu informieren. Außerdem wollen wir Daten und Informationen, bspw. zum klinischen Management der Epidemie, untereinander austauschen. Reisebeschränkungen haben wir nicht vorgesehen.«

Noch dominierte unter uns Europäern also die Einschätzung, dass Reisebeschränkungen oder gar Grenzschließungen im Kampf gegen dieses neue Virus nicht nötig sein würden. Gespeist war diese Einschätzung übrigens aus zwei konkreten Beispielen: Zum einen war Italien damals das einzige Land der EU, das alle direkten Flugverbindungen mit China bereits gestoppt hatte. Und trotzdem war es das erste sehr heftig getroffene europäische Land. Das war nicht unbedingt ein Beweis für die Wirksamkeit von Flugunterbrechungen. Zum anderen schilderte der Gesundheitsminister der Schweiz, Alain Berset, in Rom eindrücklich die Folgen möglicher Grenzschließungen für die italienische Schweiz, deren Krankenhäuser beispielsweise auf die täglich pendelnden Pflegekräfte aus Italien angewiesen wären. Das Offenhalten der Grenzen deckte sich auch mit den damaligen Empfehlungen der WHO, die ausdrücklich von Reisebeschränkungen abriet.1 Das sollte sich im Laufe der Pandemie noch ändern.

Von diesem Treffen in Rom ist mir eine Gesprächssituation in besonderer Erinnerung geblieben. Mit eindringlichen Worten berichtete Minister Speranza von den Zuständen in Bergamo: von den vielen Infizierten mit blau angelaufenen Lippen, eine Folge von bereits eingetretenem Sauerstoffmangel. Und er sagte mit Verzweiflung in der Stimme: »Sie kommen zu spät in die Kliniken, sie kommen einfach alle viel zu spät.«

Jene dramatischen Bilder aus Bergamo haben sich in unser kollektives Gedächtnis gebrannt. Speranzas große Sorge war, dass die Krankenhäuser den vielen Corona-Patienten nicht gewachsen sein würden, vor allem im Hotspot Norditalien. Diese Sorge war berechtigt. Zeitweise zählten die überlaufenen Krankenhäuser selbst zu den Hauptübertragungsorten für das neue Virus. Beatmungsgeräte und Intensivbetten wurden erstmals seit ziemlich langer Zeit wieder knapp in Europa. Der vorher schon vorhandene Mangel an Pflegekräften verschärfte die Lage.

Im Anschluss an das Treffen ging es in rasender Fahrt mit Blaulicht durch den Feierabendverkehr Roms zurück zum Flughafen. Ich schaute aus dem Fenster und grübelte über die Frage, auf was wir uns in Deutschland noch alles würden einstellen müssen. Direkt nach der Landung gab ich dem heute journal aus dem ZDF-Studio in Berlin ein Interview zu meinem Besuch in Rom.

Spät abends kaum im Flur meiner Wohnung angekommen, klingelte das Telefon. Karl-Josef Laumann (CDU), langjähriger Weggefährte und erfahrener Gesundheitsminister Nordrhein-Westfalens, war dran und eröffnete das Gespräch mit den Worten: »Jens, wir haben ein Problem. In Heinsberg.«

Das Virus hatte das gesellige Beieinander eines einzigen dörflichen Karnevalsabends in Gangelt genutzt, um sich binnen Stunden so sehr zu verbreiten, dass es unmöglich wurde, die Infektionsketten noch zu verfolgen und brechen zu können.

An diesem Abend lag ich lange wach, denn mir war klar: Jetzt gibt es kein Zurück mehr, das Virus ist nun endgültig auch unser Virus. Was am Vormittag noch wichtig erschien, der große Auftritt vor der Presse, der ganze Rummel um die Frage des Parteivorsitzes und wie es mit der Regierungspartei CDU weitergehen würde, war zur Nebensache geworden. Es galt mehr denn je das Prinzip: Zuerst das Land, dann die Partei.

Am nächsten Tag, dem Aschermittwoch, wollte ich eigentlich in meinen münsterländischen Wahlkreis und dann bis zum Ende der Woche in den bayerischen Kommunalwahlkampf fahren. Noch in der Nacht aber hatte ich meinem Büroleiter geschrieben, er solle bitte alle Termine absagen, die nächsten Wochen würden wir uns nur noch mit Corona beschäftigen – und Berlin nur ausnahmsweise verlassen.

Ich trat vormittags vor die Presse, um über die neue Lage zu berichten: Die Pandemie war in Deutschland angekommen. Bis Karneval hatte es sechzehn Infektionsfälle in ganz Deutschland gegeben, vierzehn dieser Erkrankten waren bereits wieder genesen. Ich erläuterte den entscheidenden Unterschied, dass bei den jetzt neuen Fällen Infektionsketten nicht mehr nachverfolgt und somit gestoppt werden konnten. Der sogenannte »Patient Null«, also die Ursprungsinfektion für den Ausbruch in Gangelt, konnte nie zweifelsfrei ermittelt werden. Letztlich spielte es auch keine Rolle mehr. Die Karnevalssitzung wurde zum Synonym eines Superspreading-Events, so wie die Après-Ski-Party im österreichischen Ischgl wenig später. Superspreading, das ist ein Ort oder eine Veranstaltung mit idealen Bedingungen für das Virus, um sich zu verbreiten. Ein Ort, an dem Menschen im geschlossenen Raum dicht gedrängt miteinander reden, lachen, singen, schunkeln, trinken, gerne aus denselben Gläsern, und sich einfach nur nahe sind.

Von Gangelt aus verbreitete sich das Virus dann rasant weiter im Kreis Heinsberg und in die Region, bis so viele Menschen als Kontaktpersonen in die vorsorgliche Quarantäne geschickt werden mussten, dass selbst Arztpraxen nicht mehr öffnen konnten und Krankenhäuser betroffen waren, weil wegen der Quarantänemaßnahmen das Personal fehlte.

In Heinsberg wurden in Zusammenarbeit mit dem Robert Koch-Institut (RKI) Erkenntnisse gewonnen und Notfallpläne erarbeitet, etwa für einen gestuften Umgang mit Quarantänemaßnahmen für das Personal in medizinischen Einrichtungen, um diese funktionsfähig zu halten. Hier wurden wichtige Erfahrungen gesammelt, die später für das ganze Land hilfreich waren. Heinsberg war damit ein bisschen die Blaupause für Deutschland.

In dieser frühen Phase der Pandemie sprach ich viel mit Karl-Josef Laumann, auch mit Stephan Pusch (CDU), dem engagierten Landrat von Heinsberg, der damals bundesweit bekannt wurde. Es war schon ein wenig ungewöhnlich, dass ein Bundesminister und ein Landrat so direkt und so intensiv zusammenarbeiteten. Auch wenn Pandemie-Pläne in den Schubladen von Ländern, Behörden, von vielen Unternehmen und Krankenhäusern lagen, begaben wir uns doch auf weitgehend unbekanntes Terrain. Denn geübt hatte diese Pläne noch nie jemand so richtig. In der Praxis erwies sich dann vieles als nicht planbar.

»Jetzt erst mal alle raus und Handys abgeben«

Am 08. Januar 2020, noch bevor China es selbst offiziell bestätigte, hatte das Robert Koch-Institut an das Ministerium über ein neues Virus berichtet, das sich in China ausbreitete. Üblicherweise funktioniert der Informationsfluss zum Minister dabei so: Unsere Fachleute aus dem Ministerium und dem RKI sind in den internationalen Gremien vertreten und vernetzt, unter anderem in der WHO. So stehen sie im täglichen Austausch mit Experten weltweit, filtern die vielen Informationen über Krankheitsausbrüche. Erst wenn eine Entwicklung eine gewisse Relevanz bekommt, informieren sie die Leitung des Ministeriums und den Minister. So ist das übliche Verfahren. Kommt es zum Beispiel in Nigeria zu einem Polio-Ausbruch, dann wird diese Information in der Fachabteilung des Ministeriums und im RKI zur Kenntnis genommen und verarbeitet.

Es hat in den letzten Jahren immer wieder Meldungen über neuartige Grippeviren, über Polio-, Ebola- oder größere Masernausbrüche auf anderen Kontinenten gegeben, die aber nach der Bewertung der Experten für Europa kein großes Risiko darstellten. Manche Viren wie das Ebola-Virus lassen den Infizierten so schnell und massiv erkranken, dass er körperlich gar nicht mehr in der Lage ist, das Virus sehr weit zu tragen. Mit der Nachricht von der Entdeckung eines neuartigen Coronavirus, später von der WHO offiziell als SARS-CoV-2 benannt, erreichte uns nicht die erste Meldung eines neuen Virus aus Asien. Schon SARS-CoV-1 in den Jahren 2002/2003 hatte Besorgnis hervorgerufen, war aber aufgrund der geringeren Übertragbarkeit besser zu kontrollieren und letztlich auch einzudämmen gewesen.2 Bei SARS-CoV-1 setzte sich der Erreger in der Lunge fest, während er sich bei SARS-CoV-2 vor allem im Rachen- und im Nasenraum verbreitete und so beim Reden, Sprechen oder Singen leicht weitergetragen wurde. Diesen entscheidenden Unterschied kannten wir damals aber noch nicht.

Auch ein zweites entscheidendes Merkmal zur Infektiosität des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 war ganz zu Beginn noch nicht klar: Ab welchem Zeitpunkt nach einer Infektion bestand Ansteckungsgefahr für andere, ab wann war man als Virusträger infektiös? Ob man dieses Virus schon auf andere übertragen konnte, wenn man selbst noch keine Symptome hatte, oder nicht, das war ein kleiner, aber sehr wichtiger Unterschied. Es gibt Infektionskrankheiten, bei denen verspürt man in aller Regel selbst zumindest leichte Symptome, bevor man infektiös für sein Umfeld wird. Bei anderen Infektionskrankheiten ist man dagegen schon zu einem Zeitpunkt ansteckend, zu dem man selbst noch gar nichts merkt. Entscheidend ist dann die Frage, wie viele Stunden oder Tage vor dem Auftreten von Symptomen bereits eine Ansteckungsgefahr besteht.

Als ziemlich bald nach dem ersten Auftreten von Covid-19 in Deutschland klar wurde, dass bereits bis zu zwei Tage vor Symptombeginn eine hohe Ansteckungsgefahr für andere besteht, wussten wir, dass viele frisch infizierte Menschen mangels Symptomen im Zweifel einige Tage nichts von ihrer Infektion ahnten und andere unbedarft ansteckten. Diese Eigenschaft erschwert den Umgang mit dem Virus in unserer modernen, eng vernetzten und dicht besiedelten Welt sehr – umso wichtiger wurden Kontaktnachverfolgung und konsequente Quarantänemaßnahmen.

Ich habe noch im Januar das Bundeskabinett über das Auftreten des neuen Virus und den Ausbruch in China informiert. Die Ministerinnen und Minister kamen in der Regel immer mittwochs mit der Kanzlerin zusammen. Bald wurde der Bericht zur aktuellen Corona-Lage und über die neuesten Erkenntnisse dort zur Routine. Bundeskanzlerin Angela Merkel war sehr früh auf dieses Thema fokussiert. Damit hatte das Virus die höchste politische Ebene in Deutschland erreicht. Die politische Relevanz war uns allen klar.

Ich musste damals an etwas denken, das mir Daniel Bahr, einer meiner Vorgänger als Bundesminister für Gesundheit, vor vielen Jahren einmal gesagt hatte. In seine Amtszeit fiel der Ausbruch der bakteriellen Erkrankung EHEC in Deutschland, die bei schwerem Verlauf zu blutigem Brechdurchfall führt, aber auch Gehirn und Nieren schädigen kann.3 Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung sagte er sinngemäß zu mir: »Wegen eines Fehlers im Gesetz oder zu hohen Ausgaben ist noch kein Gesundheitsminister zurückgetreten. Wenn es ein Thema gibt, weshalb ein Gesundheitsminister in Deutschland zurücktreten muss, dann wegen des Krisenmanagements bei einer neu auftretenden übertragbaren Krankheit.« Das hatte auch die Grünen-Politikerin Andrea Fischer erfahren, die nach lang anhaltender Kritik an ihrem BSE-Krisenmanagement 2001 als Gesundheitsministerin zurücktrat, zusammen mit dem damaligen Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke. An Daniel Bahrs Warnung sollte ich mich während der Pandemie noch öfter erinnern.

Eine der vielen Fragen, die von Anfang an im Raum stand und die bis heute nicht eindeutig beantwortet ist, betrifft den Ursprung des Virus. Für den Umgang mit der Pandemie selbst spielte sie letztlich keine Rolle, wichtiger für uns waren die praktischen Fragen: Wie verhält sich das Virus, wie überträgt es sich, wie gefährlich ist es, wer ist am meisten gefährdet, wie schützen wir uns? Und dennoch war und ist es richtig und wichtig, dass Untersuchungen stattfinden, woher das Virus stammt. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist es durch die Übertragung vom Tier auf den Menschen entstanden, sehr wahrscheinlich war eine Fledermausart der Ausgangspunkt. Allerdings unterstützt die chinesische Seite bis heute die Aufklärung in dieser Frage nicht wirklich. Denn wie folgenreich wäre es für die internationale Politik und die innere Verfasstheit Chinas, sollte sich herausstellen, dass das Virus aus einem dortigen Labor stammt und durch einen Unfall oder Zufall in die Welt gekommen ist?

Wie gesagt, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit war es nicht so. Ganz ausgeschlossen werden aber konnte die Labor-Theorie bis heute nicht. Es gab und gibt dazu immer wieder allerlei neue Geschichten und Verdachtsmomente. Nicht wenige davon, darunter auch manche aus den USA, dürften politisch motiviert sein. Ich erinnere mich noch, dass ich sehr früh in der Pandemie mit der Vermutung konfrontiert wurde, das Virus wäre künstlich erzeugt worden. Dieser Verdacht gründete sich auf bestimmte Bausteine des Virus, bei denen man zumindest nicht hundertprozentig ausschließen konnte, dass sie im Labor hinzugefügt oder verändert worden waren. Es war RKI-Präsident Lothar Wieler, der uns bei einem Gespräch im Ministerium über den Verdacht und seine Hintergründe informierte, woraufhin ich zu der Runde sagte: »Jetzt gehen wir alle raus und geben unsere Handys ab, erst dann sprechen wir hier im Raum weiter über dieses Thema.« Erstmals überhaupt schien es einen Hinweis auf eine unnatürliche Entstehung des Virus zu geben. Das wäre politischer Sprengstoff gewesen, und ich wollte auf Nummer sicher gehen.

Beweisen ließ sich dieser Verdacht am Ende nicht. Aber mir war von Anfang an wichtig, in dieser Pandemie mit allen Informationen und Meldungen aufmerksam und sensibel umzugehen. Denn jede Neuigkeit konnte sich unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt binnen Stunden weltweit verbreiten und, nicht zuletzt über die sozialen Medien, hohe Wellen schlagen und wäre danach nie wieder ganz einzufangen.

Gerüchte und Theorien aller Art gab es auch bei der ersten erkannten Covid-19-Infektion in Deutschland. Ein Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto im bayerischen Landkreis Starnberg hatte sich bei einer Kollegin angesteckt. Diese war zuvor aus dem chinesischen Wuhan nach Deutschland gereist, um an einer Schulung teilzunehmen. Erst auf dem Rückflug nach China hatte die Mitarbeiterin Krankheitssymptome verspürt. Als sie dann zu Hause ein positives Testergebnis erhielt, teilte sie dies ihrem Arbeitgeber in Deutschland mit, woraufhin ihre Kontaktpersonen in dem Unternehmen, wie der dreiunddreißigjährige Kollege, getestet wurden. »Patient 1« wurde sofort isoliert und auch seine Kontaktpersonen identifiziert, um die Infektionskette zu unterbrechen. Eine Taskforce der bayerischen Gesundheitsbehörde überwachte den Zustand des Patienten.

Binnen weniger Tage kamen neue Fälle hinzu. Wo bringen wir die infizierten Patienten unter?, lautete eine der Fragen, die zu klären waren. Isolieren wir die Betroffenen zu Hause, oder müssen alle ins Krankenhaus auf eine Isolierstation?

Laut geltendem Infektionsschutzrecht konnten die zuständigen Gesundheitsbehörden in den Ländern, zumeist Gesundheitsämter der Städte und Landkreise, anordnen, dass die Infizierten sich von der Außenwelt isolieren müssen. Die ersten, wenigen Infizierten in Deutschland wurden alle auf Isolierstationen von Krankenhäusern untergebracht und behandelt. Solche Isolierstationen und das dort arbeitende Fachpersonal sind auf die Behandlung und den Umgang mit höchst ansteckenden Viren spezialisiert.

Solange wir nicht mehr über dieses Virus wussten, wollten wir auf Nummer sicher gehen. Und die noch vergleichsweise geringe Zahl an Infizierten machte ein solches Vorgehen möglich. Für die Kontaktpersonen der Infizierten wurde eine häusliche Quarantäne angeordnet. Damals waren die Gesundheitsämter noch in der Lage, in jedem Einzelfall genau zu kontrollieren, ob sich alle an diese Auflagen hielten. Die ersten vier bekannten Infektionsfälle in Deutschland wurden in der München Klinik Schwabing untergebracht, behandelt und beobachtet. Prof. Dr. Clemens Wendtner, den Chefarzt der dortigen Infektiologie und Hämatologie, lernte ich in diesem Zusammenhang kennen. Er war mir bis zum Ende meiner Amtszeit als Minister ein wichtiger Rat- und Impulsgeber.

Aus heutiger Sicht kann man den Aufwand, der hier für Patientinnen und Patienten mit relativ milden Verläufen betrieben wurde, kaum nachvollziehen: Die Infizierten waren Frauen und Männer zwischen Mitte zwanzig und Mitte vierzig, eine Altersgruppe mit meist unauffälligem Verlauf. Aber es waren eben die ersten bekannten Fälle in Deutschland. Wir wussten noch nicht wirklich, was dieses Virus im menschlichen Körper anstellt. Das konnten wir am besten herausfinden, indem wir Patienten genau beobachteten. Unter der Überschrift »›Pumperlgsund‹ auf der Isolierstation« schrieb die Süddeutsche Zeitung dazu am 30. Januar 2020:

»Es wirkt schon ein bisschen abstrus: Da liegen vier Menschen ohne jegliche Symptome im Krankenhaus auf der Isolierstation, abgeschottet von der Umwelt, und warten. Darauf, dass sie keine Viren mehr ausscheiden. Währenddessen versuchen Mediziner möglichst viel über den Erreger zu lernen, den sie im Körper tragen. (…) ›Die Vier sind pumperlgsund, haben keine Symptomatik, sind fieberfrei, husten nicht. Denen ist so langweilig, dass sie uns ständig mit der Entlass-Frage nerven‹, berichtet Chefarzt Wendtner.«4

Dieses kurze Zeitungszitat beschreibt die damalige Stimmung. Die Zitate »pumperlgesund« und »denen ist langweilig« kursierten in den Medien und suggerierten den Eindruck, das Virus sei vielleicht doch nicht so gefährlich wie zunächst befürchtet. Diese Erfahrung war einer der Gründe, warum wir am Anfang zu der falschen Einschätzung kamen, dass Corona eine Atemwegserkrankung ist, die mit den vorhandenen Mitteln und Erfahrungen in den Griff zu bekommen wäre. Öffentlich sagte ich damals in Übereinstimmung mit der Einschätzung des RKI, für übertriebene Sorge gebe es keinen Grund. Die Gefahr für die Gesundheit der Menschen in Deutschland sei weiterhin gering. Das war mit dem Wissen von damals eine richtige Aussage. Das sollte sich aber sehr bald ändern.

Durch Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten und Pflegekräften versuchte ich zu verstehen, wie sie sich auf den Isolierstationen im Umgang mit diesem neuen Virus fühlten. Denn die Behandlung von Menschen mit bekannten, erforschten Viren ist das eine; die direkte, unmittelbare, beruflich veranlasste Konfrontation mit einem völlig unbekannten Virus ist etwas anderes.

»Es fühlt sich komisch an. Aber das ist unser Job, Herr Minister, darum sind wir hier«, bekam ich nicht selten zur Antwort. Diesem Berufsethos kann ich nur höchsten Respekt zollen.

Mit den bayerischen Behörden tauschten sich die Kolleginnen und Kollegen im RKI und im Ministerium täglich aus. Wie geht es den Patientinnen und Patienten heute? Hat sich ihr Zustand verschlechtert oder verbessert? Sind neue Symptome aufgetreten? Haben sie Fieber? Im Nachhinein klingt auch das übertrieben und etwas skurril, wenn man bedenkt, wie viele Millionen Deutsche bis heute eine Infektion durchgemacht haben.

Und auch das war Thema: Wie lange müssen die Infizierten eigentlich in Isolation bleiben? Die Patientinnen und Patienten wurden jeden Tag komplett gescreent, alle Körperflüssigkeiten auf noch vorhandene Viruslast untersucht. Aber mit jedem weiteren symptomfreien Tag stellten die Patientinnen und Patienten die nachvollziehbare Frage dringlicher, wann sie denn endlich aus der Isolation raus dürften. Die damalige bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) und ich besprachen uns zu dieser Frage fast täglich. »Solange auch nur aus einer Körperöffnung noch Viren ausgeschieden werden, müssen die Patienten bitte in Isolation bleiben«, sagte ich zu Melanie Huml. Bis wir mehr über die Ansteckungsfrage wussten, wollte ich kein Risiko eingehen. Als Bundesminister hatte ich allerdings keinerlei formale Befugnis, eine Isolation anzuordnen oder darüber zu bestimmen, wie lange man die Patienten im Krankenhaus behalten sollte. Das konnten nur die nach dem Infektionsschutzgesetz zuständigen Behörden vor Ort entscheiden, also das Land Bayern und das Gesundheitsamt München.

Dies war eine Situation, wie sie im Laufe der Pandemie von nun an immer wieder eintrat: Auch wenn ich als Bundesminister nach dem Gesetz formal in vielen Fällen keine Entscheidungen treffen oder Anweisungen geben durfte, sah es in der Realität so aus, dass sich im Zweifelsfall alle beim Bund und damit bei mir rückversichern wollten. Das haben nicht selten auch diejenigen getan, die in normalen Zeiten auf ihrer alleinigen Zuständigkeit bestehen und sich vom Bund nicht reinreden lassen wollen. Doch in unsicheren Zeiten wird politische Verantwortung gerne delegiert. »Viele sind zuständig, aber einer ist am Ende immer verantwortlich«, dieser Gedanke ging mir in den folgenden zwei Jahren noch häufig durch den Kopf.

Über hundertfünfundvierzigtausend Menschen sind in Deutschland an oder mit Corona gestorben (Stand: Mitte August 2022). Eine unfassbar hohe Zahl, hinter der sich viele Schicksale verbergen, viele Familien, die um ihre Liebsten trauern. Gleichzeitig ist die Zahl, gerade weil sie so unfassbar hoch ist, so abstrakt, dass viele kaum noch hinhören, wenn in den Nachrichten über neue Todesfälle berichtet wird. Wir haben uns daran gewöhnt, dass es täglich mehr werden. Manchmal denke ich, wir sollten öfter innehalten und uns bewusst machen, wie viel Leid dieses Virus über die Welt gebracht hat.

Kommunizieren in unsicheren Zeiten

Die Informations- und Wissenslage veränderte sich in dieser frühen Phase der COVID-19-Pandemie täglich, zuweilen sogar stündlich. Entscheidungen zu treffen war extrem herausfordernd, sowohl für uns in der Politik als auch für die Verantwortlichen im Gesundheitswesen und den lokalen Behörden. Wir konnten keine endgültigen Wahrheiten verkünden. Denn es gab sie schlichtweg nicht. Verantwortliches politisches Handeln ist immer ein Prozess des Abwägens. In Zeiten der Krise und der Not gilt das besonders. Entscheiden und Handeln in unwägbaren Zeiten und im Bewusstsein des Nichtwissens erfordert andere Fähigkeiten und eine andere Herangehensweise als Entscheiden und Handeln in bekannten, vorhersehbaren Lagen.

Auch Kommunizieren in Unsicherheit ist fordernd – und gelingt nicht immer. Das haben wir erlebt, immer wieder. Zum Beispiel in der Frage, ob das Tragen von Masken im Alltag angezeigt ist oder nicht. Hier hat es den Vorwurf gegeben, wir hätten am Anfang das Tragen von Masken nur aus dem Grund nicht empfohlen, weil es damals zu wenige Masken gab. Und ja, es stimmt, dass es zu dem Zeitpunkt zu wenige Masken gab. Was nicht stimmt, ist die hergestellte Kausalität. Die Wahrheit ist, auch wenn sie aus heutiger Sicht naiv anmutet, dass internationale wie nationale Experten und Hygieniker zu diesem Zeitpunkt noch davon ausgingen, dass das Tragen von Schutzmasken zwar im medizinischen und pflegenden Sektor dringend zu empfehlen sei, im privaten Bereich aber nicht nötig wäre.

Ich erinnere mich gut an einen gemeinsamen Auftritt mit Expertinnen und Experten in der Bundespressekonferenz am 02. März 2020, an dem diese das noch genau so sagten. Als man bald mehr darüber wusste, wie das Virus sich verbreitet und welchen Unterschied Masken im Alltagsgebrauch machen können, änderten sich die Empfehlungen der Experten und die der WHO. Und natürlich veränderte sich damit auch unsere politische Linie. Die diesbezüglichen Theorien und Vorwürfe zeigten aber leider schon damals, wie nicht wenige auf die Politik blicken: als einen zutiefst zynischen Betrieb, der im Zweifel lieber lügt und Menschenleben gefährdet, als einen Fehler einzugestehen. Diese leicht abrufbare Bereitschaft nicht weniger Menschen, dem anderen im Zweifel das Schlechtestmögliche zu unterstellen, haben wir im weiteren Verlauf der Pandemie noch an vielen Stellen erlebt, nicht nur gegenüber der Politik.

Mir war es wichtig, in meinen öffentlichen Auftritten, in meinen Reden, Pressekonferenzen und Interviews Ruhe auszustrahlen. Es galt die richtige Balance zu finden, ohne zu beschwichtigen oder schönzureden. Es gab schon so viel Unsicherheit und Sorge, die sollte ein Bundesminister nicht noch verstärken.

»In Ihren Pressekonferenzen wirkten Sie auch in hektischen Zeiten immer wie ein ruhiger Fels in der Brandung, das war damals wichtig für mich und meine Familie«, sagte mir kürzlich eine Dame am Essener Hauptbahnhof. Das war eines der schönsten Komplimente, das sie mir machen konnte.

Aber, und das ist mir sehr bewusst: Im Nachhinein hätte ich manches besser und transparenter kommunizieren können. Etwa den Prozess des Abwägens, auch das Nicht-Wissen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Heute weiß ich: Krisenkommunikation kann man zwar üben, aber Übung ist das eine, eine echte Krise das andere. Als Politiker die richtigen Worte zu finden ist von zentraler Bedeutung, aber es ist nicht immer einfach. Manchmal kommt es auf Nuancen an. Ein Beispiel: »Ich möchte dazu auffordern, dass wir alle mit der nötigen Gelassenheit damit umgehen.«5 Das waren meine Worte Ende Januar 2020, und den Begriff der Gelassenheit habe ich damals mehrfach variiert und von »entschlossener« oder »aufmerksamer Gelassenheit« gesprochen.

Das war ein kommunikativer Fehler. In Zeiten des Unwissens und der Unwägbarkeiten ist es wichtig, den Spagat zu schaffen: Man sollte Unsicherheit transparent machen, ohne aber die Bevölkerung übertrieben zu verunsichern. Man darf gerne beruhigen, sollte aber gleichzeitig auf den Ernst der Lage hinweisen. »Besonnenheit« oder »entschlossene Besonnenheit« wäre deshalb die bessere Wortwahl gewesen. Denn gelassen zu sein, das muss ich selbstkritisch zugeben, konnte als »Wir lassen es laufen« oder »Wir nehmen es nicht ernst genug« ausgelegt werden.

In die Kategorie missglückte Krisenkommunikation fiel auch mein Auftritt im ZDF bei Maybrit Illner am 30. Januar 2020. Mit in der Talkrunde saß der Arzt Dr. Johannes Wimmer, der eindrücklich vor der Gefahr warnte, die uns in Deutschland durch das neue Virus drohte. Ich sprach auch hier von nötiger Gelassenheit im Umgang mit Corona. Wegen seiner dramatischen Ausführungen kritisierte ich Dr. Wimmer und erinnerte daran, dass es den Corona-Patienten in der Schwabinger Klinik ziemlich gut gehe – Stichwort »pumperlgsund«. Im Nachhinein habe ich mich noch lange über meinen Auftritt in dieser Sendung geärgert. Vermittelte er doch einen völlig falschen Eindruck von dem, was uns im Ministerium bereits alles beschäftigte.

Ziemlich genau ein Jahr später, am 01. Februar 2021, traf ich in einer Live-Sendung bei bild.tv, moderiert von Paul Ronzheimer, wieder auf Johannes Wimmer. Wir sprachen über meine damalige Fehleinschätzung. Ich räumte zerknirscht ein, dass ich falschgelegen hatte. »Das hat Größe, dass Herr Spahn das sagt«, war Dr. Wimmers wirklich faire Reaktion, »ich frag mich natürlich ein bisschen, was ich hätte besser machen können, um Herrn Spahn zu überzeugen.«6

Fehlerhafte Krisenkommunikation ist immer Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker. Hier sei zur Veranschaulichung als konkretes Beispiel die teils heftig geführte Debatte zur Qualität der PCR-Tests erwähnt. Der weltweit erste PCR-Test wurde unter anderem durch die Experten der Berliner Charité um Professor Christian Drosten entwickelt. Ein Grund, auf unser Land und seine Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stolz zu sein. Denn mithilfe dieses Tests war es schnell möglich, Infektionen zu identifizieren und somit Infektionsketten nachzuverfolgen.7 Dass ab Beginn der Pandemie ein so wirkungsvolles Instrument verfügbar war, war ein großes Glück. Der PCR-Test hat aber tatsächlich eine paradoxe Schwäche: Er ist zu gut, zu genau. Das heißt in einfachen Worten, er zeigt manchmal noch Tage, selten auch noch Wochen, nachdem man nicht mehr infektiös ist, ein positives Testergebnis an. Denn er findet selbst die allerletzten Reste von Viruspartikelchen in der Probe. Die Verschwörungstheoretiker machten daraus ihre eigene Geschichte: Sie behaupteten, der PCR-Test wäre fehlerhaft und deswegen unbrauchbar. Obwohl »die da oben« das wüssten, schickten sie ganz bewusst Tausende Menschen unnötig in Quarantäne.

Wann immer es eine Gelegenheit gab, habe ich versucht, das richtigzustellen. Auf öffentlichen Veranstaltungen meldeten sich regelmäßig die Kritiker des PCR-Tests und trugen ihre Argumentation vor. In der Regel ging ein kollektives Stöhnen durch den Saal. Einige riefen »Aufhören, aufhören«, weil die meisten Menschen zum Glück keine Verschwörungstheoretiker sind und von den Einwürfen nur genervt waren. Trotzdem habe ich immer wieder den Dialog aufgenommen, um die eigene Sicht zu erläutern. Es ist natürlich einfacher, die Argumente Andersdenkender zu ignorieren, aber als Politiker hat man die Verpflichtung, sich mit ihnen so weit als möglich auseinanderzusetzen und der Debatte nicht auszuweichen.