Wirkungen politischer Erwachsenenbildung verstehen - Straßer Peter - E-Book

Wirkungen politischer Erwachsenenbildung verstehen E-Book

Straßer Peter

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Beschreibung

Noch immer sind trotz des zunehmenden Interesses empirische Untersuchungen über die Wirkung politischer Erwachsenenbildung selten. Mit der vorliegenden Machbarkeitsstudie soll ein Erhebungs- und Auswertungsverfahren entwickelt und erprobt werden, das es ermöglicht, sowohl einen Überblick über individuelle Wirkungszuschreibungen zu erhalten als auch Einblicke in biographische Hintergründe zu geben und somit Wirkungszuschreibungen transparent zu machen.

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Inhalt

Vorwort

1. Einleitung

2. Ziel der vorliegenden Machbarkeitsstudie

3. Gegenstand der Untersuchung: Das Seminar „Akademiekurs“ der Heimvolkshochschule Hustedt e.V.

4. Aktueller Stand der „Wirkungsforschung“ im Bereich politische Erwachsenenbildung

5. Wirkungsverständnis

6. Erhebungsdesign, Datenerhebung und -auswertung

6.1 Die Datenerhebung – Narrativ-fokussierte Interviews

6.2 Datenerhebung – Experteninterviews mit Lehrenden

6.2.1 Dozierende als ExpertInnen

6.2.2 Vorbereitung und Datenerhebung

6.3 Teilnehmende Beobachtung

7. Auswertung

7.1 Auswahl der zu rekonstruierenden Interviews

7.2 Qualitative Inhaltsanalyse – Methode

Theorie der strukturierenden Inhaltsanalyse

Theorie der zusammenfassenden Inhaltsanalyse und induktive Kategorienbildung

7.3 Durchführung der Auswertung bei den Dozierenden

7.4 Inhaltsanalyse der Teilnehmendeninterviews

7.5 Beispielhafte rekonstruktive Analyse

8. Ergebnisse

8.1 Ergebnisse der Qualitativen Inhaltsanalyse

8.1.1 Wirkungszuschreibungen der Teilnehmenden

8.1.2 Wirkungszuschreibungen – ehemalige und aktuelle TeilnehmerInnen im Vergleich

8.1.3 Ergebnisse der Dozierendeninterviews

8.1.4 Resümee der inhaltsanalytischen Ergebnisse

8.2 Rekonstruktive Auswertung

8.2.1 Das Beispiel Ralf: Kindheits- und Jugenderfahrungen und die Möglichkeit, in der Arbeitswelt daran anzuschließen

8.2.2 Das Beispiel Eric: Einblick in das Zusammenspiel prägender Personen, Lebenssituationen und beruflicher Entwicklung

9. Reflexion: Erhebungsdesign und Ergebnisse

10. Schlussbetrachtung

Literatur

Die Autoren

Anlagen

Anlage 1: Themenmatrix für die Hauptkategorie „Biografie: Ausprägung bzw. Zugang politisches Interesse“

Anlage 2: Leitfaden für die Teilnehmendeninterviews

Anlage 3: Leitfaden für die Dozierendeninterviews

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1:     Erhebungsdesign der Machbarkeitsstudie

Abb. 2:     Kategoriensystem für die strukturierende Inhaltsanalyse

Abb. 3:     Induktiv erstelltes Kategoriensystem für die zusammenfassende Inhaltsanalyse

Abb. 4:     Kategorie: Vorstellungen von politischer Bildung

Abb. 5:     Verteilung der Fundstellen nach Kategorien

Abb. 6:     Verteilung der Aussagen zu den Teilnahmemotiven

Abb. 7:     Verteilung der Aussagen zur Stärkung der politischen Position

Abb. 8:     Aussagen zu Lernprozessen und strukturiertem Arbeiten

Abb. 9:     Wirkungen aufs Menschenbild

Abb. 10:   Aussagen zu veränderten Ansichten und Denkprozessen

Abb. 11:   Aussagen zur Wissenserweiterung

Abb. 12:   Wirkungsentfaltung im Vergleich

Abb. 13:   Zuordnungen der Fundstellen nach Hauptkategorien

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:  Themenkanon des Akademiekurses

Tabelle 2:  Verteilung der Interviewteilnehmenden

Tabelle 3:  Verteilung der Fundstellen nach Kategorien

Vorwort

Demokratie braucht politische Bildung. Wer das banal findet, muss sich nicht wundern, wenn politische Apathie um sich greift und rechtspopulistische, menschenverachtende Bewegungen gestärkt werden. Es geht um demokratische Werthaltungen, soziale Demokratie und kritische politische Bildung. Und um nichts Geringeres als die Handlungsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger in der Demokratie.

Hier ist die Initiative der Politik gefragt. Aber auch kritische Wissenschaft und die der Träger und Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Immerhin sind sie es, die plural und öffentlich verantwortet das Grundangebot an Erwachsenenbildung für alle Bürgerinnen und Bürger sichern.

Erforderlich ist – wie z. B. in Niedersachsen nach der Abschaffung der Landeszentrale für Politische Bildung sowie weiterer Restriktionen auf Bundes- und Landesebene – eine grundlegend verbesserte öffentliche Förderung der politischen Erwachsenenbildung. Nur so sind die Einrichtungen in der Lage, eine adressatenorientierte, wirksame politische Bildung weiterzuentwickeln und zu verstetigen. Ohne zusätzliches „neues“ Geld wird dies kaum möglich sein.

Die Erwachsenenbildung selbst muss freilich das gelegentliche Vorurteil entkräften, politische Bildung würde sich nicht „rechnen“, politische Bildung sei heute beliebig, aufs Ganze gesehen marginal und in ihrer Wirkung ungewiss. Und wir benötigen wissenschaftliche Untersuchungen, denn empirische Forschung über gelingende Bildungsprozesse und korrespondierende Lernkulturen der politischen Erwachsenenbildung gibt es nur in Ansätzen. Gleichwohl ist das Wissen um die Wirkung politischer Bildung für die Weiterentwicklung – nicht nur in Hustedt – von zentraler Bedeutung.

Hier knüpft die vorliegende Machbarkeitsstudie an, die 2014 vom Bildungszentrum HVHS Hustedt e. V. in Zusammenarbeit mit dem Institut für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung der Leibniz Universität Hannover erarbeitet wurde.

Es geht um die Entwicklung und Erprobung eines Erhebungs- und Auswertungsverfahrens am Beispiel des Akademiekurses zur politischen Grundbildung der HVHS Hustedt – auf dem Weg zu einer späteren repräsentativen Wirkungsanalyse politischer Bildung.

Die sechswöchigen Akademiekurse sind ein Alleinstellungsmerkmal des Bildungszentrums HVHS Hustedt, das in der Tradition der Arbeiterbewegung und der Aufklärung mit über 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern pro Jahr zu den großen Zentren für politische Bildung zählt. Im Mittelpunkt steht hier die arbeitnehmerorientierte politische Bildung zur Wahrnehmung von Aufgaben in der betrieblichen Interessenvertretung, zum zivilgesellschaftlichen Engagement vor Ort, zur politischen Verantwortung und zum politischen Handeln in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.

Seit den frühen 50er Jahren haben bald drei Generationen aktiver Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie ein großer Kreis Interessierter in Hustedt einen besonders prägenden Ort gefunden, um sich immer wieder neu zu inspirieren, zu orientieren und zu qualifizieren. Dabei sind es nicht unbedingt die in der Medienöffentlichkeit wahrgenommenen Politikerinnen und Politiker, sondern nicht selten jene betrieblich und örtlich Verantwortlichen und Kümmerer, ohne die zivilgesellschaftliches Teilhaben, betriebliche Mitbestimmung und Demokratie nicht funktionieren kann.

Vor diesem Hintergrund wurden in einem anspruchsvollen Ansatz verschränkter Perspektiven und Methoden (neue) Erhebungsinstrumente praktisch erprobt – das mit der vorliegenden Machbarkeitsstudie entwickelte und erprobte Erhebungs- und Auswertungsverfahren, so zeigt sich, scheint geeignet zu sein, den Zusammenhang von Lernkultur und den persönlichen Wirkungszuschreibungen der Teilnehmenden zu ermitteln.

Die Datenerhebung setzte sich aus drei Teilbereichen zusammen: narrativ-fokussierte Interviews mit Teilnehmenden, Experteninterviews mit Lehrenden und eine teilnehmende Beobachtung. In Form eines Längsschnitts wurden jeweils mehrere Teilnehmende der Jahre 1998, 2003, 2008 und aktuell Teilnehmende im Jahr 2014 befragt. Durch eine Zufallsauswahl wurden damit 14 TeilnehmerInnen interviewt. Eine gleichmäßige Verteilung von Männern und Frauen wurde angestrebt. Die Teilnehmenden waren zwischen 39 und 56 Jahre alt.

Beeindruckend sind die differenzierten Hinweise, Erinnerungen und Deutungen der ehemaligen Teilnehmenden, selbst viele Jahre nach ihrer Kursteilnahme, die in der vorliegenden Machbarkeitsstudie exemplarisch herausgearbeitet werden.

Für ein Bildungszentrum ist solch ein forschendes Lernen und die wissenschaftliche Reflexion der eigenen Bildungspraxis nicht selbstverständlich. Die personelle und materielle Ausstattung öffentlich verantworteter Erwachsenenbildung gibt in der Regel nicht die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Reflexion und Überprüfung der eigenen Bildungsarbeit. Die üblichen Qualitätssicherungssysteme eröffnen zudem kaum den Blick auf die normativen Voraussetzungen politscher Bildung und definieren lediglich „Dienstleistungsbeziehungen“ zwischen „Kunden“ und möglichst effizienten „Bildungsdienstleistern“. Dem gegenüber besteht in Hustedt eine selbstreflexive Betriebskultur, die sich zum Beispiel in Veröffentlichungen und Diskussionsbeiträgen niederschlägt1. Es geht uns, in Kooperation mit unseren gewerkschaftlichen und universitären Bildungspartnern, um die Förderung einer kritischen Theorie-Praxis-Entwicklung und damit Weiterentwicklung der politischen Bildung.

Dies darf nicht verwechselt werden mit der Bereitstellung „instrumentellen Wissens“. Wir sehen mit Gert Biester eine „evidenzbasierte pädagogische Praxis“, also jenes Output-orientierte Messen pädagogischen Handelns, als kritisch und abwegig an2, weil solch eine „Optimierungsstrategie“ die gesellschaftliche Situation und die Angemessenheit von Zielen und Inhalten der Erwachsenenbildung und damit ihre normative Orientierung ignoriert.

Lebenslanges Lernen nicht nur aus einer verwertungsorientierten Sichtweise heraus zu verstehen, hat das Institut für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung in die Erstellung der Studie gezielt eingebracht. In dieser universitären Selbstverortung ist lebenslanges Lernen ein durchgängig lebensbegleitender Prozess der Transformation: Nicht allein die Aneignung von Wissen, Qualifikation, Erfahrungen etc., sondern vielmehr die damit verbundene biografische Wirkung im Sinne eines Bildungsprozesses sind in der Forschung zu berücksichtigen.

In dieser Perspektive hat die vorliegende Studie Bedeutung, indem ein Analyseinstrument entwickelt worden ist, das sowohl Einblicke in die Wirkungen politischer Bildungsangebote und deren Einfluss auf die biographische Entwicklung als auch auf das politische Handeln ermöglicht und durch „rekonstruktive Analyse“ ein Verstehen der Wirkung, eine Einsicht in die individuellen Anschlüsse und Verwertungsinteressen eröffnet.

Für die praktische Bildungsarbeit und die Weiterentwicklung der politischen Bildung verspricht die Studie Grundlagen zu liefern:

Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie ermöglichen – in den notwendigerweise begrenzten Dimensionen einer Vorstudie – Einblicke in die Wechselwirkungen zwischen Lernprozessen und politischem Handeln. Insbesondere weisen die Aussagen der TeilnehmerInnen und Lehrenden auf die besondere Bedeutung der zeitlichen Dimension politischer Bildung hin. Wirkung entfaltet politische Bildung, so zeigt sich, vor allem durch die Zeit zum Nachdenken, das Kennenlernen anderer Sichtweisen, das Bilden von Netzwerken und die Auszeit vom Alltag. Die Machbarkeitsstudie arbeitet für eine spätere repräsentative Untersuchung aber auch heraus, dass eine normative Verortung, eine Klärung der Interessen und Ziele politischer Bildung für eine kritische Bildungsarbeit zwingend erforderlich ist.

In der gewerkschaftlichen Bildungspraxis ist diese normative Interessenorientierung selbstverständlich. In der Theorie-Praxis-Entwicklung politischer Bildung insgesamt ist dies bisher jedoch eher neoliberal unter Ideologie-Verdacht gestellt und ausgegrenzt worden3. Hier eröffnet sich eine neue Dimension und Aufgabe inhaltlich ausgewiesener, emanzipativer politischer Bildung, eine politische Bildung, die sich an die Interessen der Menschen und – wie in Hustedt – an die der abhängig Beschäftigten positiv bindet4.

Wir legen damit Band 2 der Hustedter Beiträge zur Politischen Bildung vor. Die Untersuchung und Ergebnisreflexion erfolgt erneut weitgehend in wissenschaftlicher oder akademischer Sprache. Für ein arbeitnehmerorientiertes Bildungszentrum ist dies nicht unproblematisch. Die Sprache unserer Kollegen und Kolleginnen ist anders. Alltags- und Wissenschaftssprache haben je eigene Aufgaben. Trotz der Anlage der Untersuchung als wissenschaftlicher Beitrag wünschen wir uns, einen vielfältigen Leserkreis anzusprechen.

Die Untersuchung, diese Machbarkeitsstudie, wurde aus EFRE-Mitteln finanziert. Wir danken dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, dem Niedersächsischen Bund für freie Erwachsenenbildung mit seiner Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung und der N-Bank für die Unterstützung sowie Professorin Dr. Steffi Robak, Hannover, für die gute kollegiale Zusammenarbeit.

Ohne die Autoren Dr. Peter Straßer und Isabell Petter sowie die beteiligten Kolleginnen und Kollegen, die ehemaligen TeilnehmerInnen an den Akademiekursen zur politischen Grundbildung, wäre diese Veröffentlichung nicht möglich. Ihnen gilt ein besonderer Dank.

Celle/Hustedt im März 2015

Dietrich Burggraf

1     Vgl. Bildungszentrum HVHS Hustedt (Hrsg.): Kompetenz und Orientierung – 60 Jahre Bildungszentrum HVHS Hustedt, Hustedt/ Celle, (2008). Peter Straßer (2011): Betriebliche Fallarbeit, in: Report – Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, H. 4, 2011, Seite 58-68. Bildungszentrum HVHS Hustedt (Hrsg.): 50 Jahre Soziologische Phantasie und Exemplarisches Lernen – Hustedt Beiträge zur politischen Bildung. Bd.1, 2014. Dietrich Burggraf (2014): Für Demokratie und gesellschaftliche Teilhabe, ein Kommentar. In: Agentur für EB/WB (Hrsg.): Themenheft Einblick/Politische Bildung 3/2014, Seite 11/12.

2     Vgl. Gert Bista (2011): Warum „What works“ nicht funktioniert: Evidenzbasierte pädagogische Praxis und das Demokratiedefizit der Bildungsforschung. In: Johannes Bellmann/Thomas Müller (Hrsg.): Wissen, was wirkt, Kritik evidenzbasierter Pädagogik. VS-Verlag, Seite 95-121.

3     Vgl. Ralph Ptak (2011): Bildung als Produktionsfaktor: Die schleichende Transformation des Bildungssystems. In: B. Lösch/A. Thimmel (Hrsg.): Kritische politische Bildung, Wochenschau Verlag, Bonn, Seite 101-127.

4     Vgl. Fritz Reheis (2014): Politische Bildung, eine kritische Einführung, Wiesbaden: Springer-Verlag. Harald Kolbe/Hartmut Meine (2008): Gewerkschaftliche Bildungsarbeit – Politische Bildung – Neue Herausforderungen. In: Bildungszentrum HVHS Hustedt (Hrsg.): Kompetenz und Orientierung, Hustedt/ Celle, Seite 24-38. Carsten Maaß/Hartmut Meine (2014): Mitgliederentwicklung und gewerkschaftliche Bildungsarbeit. Ein Praxisbericht aus dem IGM Bezirk Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. In: Sozialismus 10/2014, Seite 35-38

1. Einleitung

In der Weiterbildung hat die Förderung durch private Mittel in den letzten Jahren stark zugenommen. Damit einher geht eine Stagnierung bzw. Kürzung öffentlicher Mittel (vgl. Zeuner 2010, S. 309). Davon ist auch die politische Bildung betroffen, die bisher nur einen geringen Teil der privaten Mittel für sich beanspruchen kann. Dadurch entsteht teilweise für die politische Bildung der Eindruck, sich auch marktförmig und erfolgsorientiert verhalten zu müssen (vgl. ebd., S. 309). Durch Erfolgskontrollen und Qualitätssicherung wird die eigene Arbeit gegenüber Geldgebern, Nachfragenden und der Öffentlichkeit legitimiert. Zusammen mit der Einführung von Qualitätsmanagementsystemen gibt es immer mehr Instrumente, die versuchen, den „Erfolg“ von Bildungsveranstaltungen zu evaluieren. Für einige Veranstaltungen können solche Instrumente leicht entworfen werden, wenn sie darauf abzielen, Angebotsstrukturen, Teilnehmerzahlen, Zufriedenheit oder abfragbare Wissenszuwächse zu erfassen.

Grundsätzlich kann eine Evaluation helfen, die Stärken eines Programms oder das besondere Profil einer Bildungseinrichtung herauszustellen und für die Öffentlichkeit und Teilnehmende5 sichtbar zu machen (vgl. Wessler 2011, S. 1032). Kombiniert mit einer subjektorientierten Wirkungsbetrachtung kann eine Evaluation auch den Wert des Bildungsangebots für den Einzelnen verdeutlichen.

In der politischen Erwachsenenbildung erweist sich eine Evaluation, die lediglich nach individuellem Wissen und seiner Verwendung in Verwertungszusammenhängen fragt, jedoch als schwierig. Verstanden als Befähigung, individuelle Bedürfnisse mit gemeinschaftlichen Interessen zu verbinden, bedarf es komplexer Erhebungsmethoden. Zumal politische Bildungsprozesse eine „weiche Wirkung“ im Sinne eines Veränderungsprozesses entfalten, die durch eine Vielzahl an Faktoren beeinflusst wird. Hinzu kommt, dass sich Wirkungen auch erst langfristig entfalten können (vgl. Hirseland/Wenzel 2004, S. 366 f).

Noch immer sind trotz des zunehmenden Interesses empirische Untersuchungen über die Wirkung politischer Erwachsenenbildung selten. Die Schwerpunkte stellen Ergebnisse zu Angebots-, Teilnehmer- und Anbieterstrukturen. Die hier vorliegende Machbarkeitsstudie knüpft an die Frage nach der gelungenen Umsetzung von Wirkungsforschung in der politischen Erwachsenenbildung an.

5     Im Sinne einer Gleichbehandlung wird nachfolgend im Text von „Teilnehmenden“ oder „TeilnehmerInnen“ gesprochen.

2. Ziel der vorliegenden Machbarkeitsstudie

Mit der vorliegenden Machbarkeitsstudie soll ein Erhebungs- und Auswertungsverfahren entwickelt und erprobt werden, das es ermöglicht, sowohl einen Überblick über individuelle Wirkungszuschreibungen zu erhalten als auch Einblicke in biographische Hintergründe zu geben und somit Wirkungszuschreibungen transparent zu machen. Die Entwicklung des Erhebungs- und Auswertungsverfahren war geleitet von der Forschungsfrage, den Zusammenhang von Lehr-Lernkultur (Ort, Zeit, Methoden, Inhalte etc.) und individuellen Wirkungszuschreibungen im Kontext der eigenen Biografie der Teilnehmenden zu verdeutlichen.

Durch eine Kombination aus narrativen und fokussierten Interviewformen sollen reichhaltige Informationen gewonnen werden, die inhaltsanalytisch und rekonstruktiv ausgewertet werden können. Ergänzt werden die Interviews mit den Teilnehmenden durch eine Befragung von Lehrenden und eine Beobachtung an zwei Seminartagen. Die Kombination unterschiedlicher Erhebungs- und Auswertungsverfahren sowie der Einbezug unterschiedlicher Informationsquellen soll helfen, zugeschriebene Wirkungen und ihre Entfaltung als vielschichtigen Prozess einsichtig werden zu lassen. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten helfen, zukünftig individuelle Lernvoraussetzungen und angebotene Lehr-Lernkulturen noch besser aufeinander abzustimmen.

Im Hintergrund der Entwicklung und Erprobung des Erhebungs- und Auswertungsverfahrens stand auch, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem größere Datenmengen auch bei begrenzten zeitlichen und ökonomischen Ressourcen erhoben und ausgewertet werden können.

Die Entwicklung und Erprobung des Erhebungs- und Auswertungsverfahrens erfolgte anhand des Akademiekurses der Heimvolkshochschule Hustedt e.V.

3. Gegenstand der Untersuchung: Das Seminar „Akademiekurs“ der Heimvolkshochschule Hustedt e.V.

Die Erprobung des Erhebungsinstruments soll anhand von Interviews mit ehemaligen Teilnehmenden des Akademiekurses der Heimvolkshochschule Hustedt e.V. erfolgen. Der Kurs bietet sich in besonderer Weise als Erprobungsfeld an, da er seit mehreren Jahren6 in seiner thematischen und zeitlichen Struktur besteht. Dies ermöglicht es auch, Teilnehmende und ihre Erfahrungen mit dem Akademiekurs aus vergangenen Jahren miteinander zu vergleichen bzw. Wirkungszuschreibungen in einem zeitlichen Verlauf nachzuzeichnen.

Das Bildungszentrum Heimvolkshochschule Hustedt e. V. (HVHS) ist eine Einrichtung der Jugend- und Erwachsenenbildung, gegründet 1948. Das konzeptionelle Fundament ruht auf den Gedanken dänischer Volkshochschulen. Neben Angeboten der allgemeinen Erwachsenenbildung stellt politische Bildung mit Arbeitnehmenden eine zentrale Aufgabe dar. Entlang an Themen gesellschaftlicher und politischer Bildung soll sowohl verantwortungsbewusstes gesellschaftliches Handeln als auch eine Grundhaltung für lebensbegleitende und -gestaltende Lernprozesse gefördert werden.

Der Akademiekurs bietet Interessierten die Möglichkeit, sich über einen Zeitraum von sechs Wochen mit Grundlagen politischer Bildung zu beschäftigen. Mit seinem zeitlichen Format besteht der Akademiekurs auch gegen den Trend, Bildungsangebote lediglich in Tages- bzw. Mehrtagesform anzubieten. Ein Motiv für die Teilnahme am Akademiekurs ist das Interesse von Teilnehmenden, den betrieblichen Arbeitsalltag mehr mitzugestalten, sich nicht nur als „beschäftigt“, sondern als aktiv mitgestaltend wahrzunehmen (z. B. Betriebsratsarbeit, gewerkschaftliche Bildungsarbeit7). Der Akademiekurs wird zweimal im Jahr angeboten. Die Teilnehmerzahl pro Kurs liegt zwischen 15 bis 20 Personen.

Der Akademiekurs politische Bildung des Bildungszentrums HVHS Hustedt versucht, politische Meinungsbildungsprozesse und Umsetzungsfähigkeiten politischer Mitwirkung im Rahmen kollektiver Lernerfahrung zu entwickeln. Dabei steht die Vermittlung und Anregung politischen Interesses sowie ein handlungsorientierendes Wissen auf Basis zentraler gesellschaftspolitischer Reflexionen, welches Gesellschaft und Politik aktiv gestaltbar macht, im Vordergrund der Bemühungen. In der Beschreibung des Akademiekurses finden sich die nachfolgenden Ziele; die Teilnehmenden sollen:

ermutigt

werden, ihr eigenes Erfahrungswissen als Grundlage kritischer Reflexion und Aneignung neuer Sichtweisen zu nutzen,

lernen

, politisches, wirtschaftliches, soziologisches und historisches Grundwissen kritisch zu verarbeiten,

für sich einen eigenen gesellschaftspolitischen Standort entwickeln und zur politischen Urteilsbildung

befähigt werden

,

motiviert

werden, die Interessenvertretungsarbeit zu gestalten, in der betriebliche, überbetriebliche und gesellschaftspolitische Aspekte Eingang finden,

das eigene politische Handeln sowohl in gewerkschaftliche als auch in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge

einordnen können

.

Aufbau des Akademiekurses

Um eine breite Wissensbasis zu ermöglichen und partizipative Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, umspannt der Kurs einen breiten Themenkanon (vgl. Tabelle 1). Die Bezeichnung „Akademiekurs“ verdeutlicht die Intention des Konzepts: sich in freier, diskursiver und gemeinschaftlicher Arbeitsweise an einem ruhigen, in die Natur eingebetteten Ort mit grundlegenden Fragen und Mechanismen gesellschaftlicher Figuration auseinanderzusetzen. Dabei dient das Themenangebot nicht der berufsbezogenen Weiterbildung, sondern der Qualifikation für gesellschaftliches und politisches Engagement in der lokalpolitischen und gewerkschaftlichen Interessenvertretung. Die angebotenen Themen im Überblick:

ThemengebieteInhalteMethodikInformationen erschließen und verarbeiten: Erschließung von Quellen, Zitation, Recherchieren im Internet, Nutzung von Bibliotheken, Anfertigen schriftlicher Arbeiten, Vorträge, PräsentationSoziologieGesellschaft – Form und Veränderung: Strukturen moderner Gesellschaften, Transformationsprozesse, Determinanten gesellschaftlicher Teilhabe, Verhältnis Individuum und GesellschaftGeschichteEntwicklungen verorten: Produktivitätsentwicklung und Produktionsverhältnisse, Individuen und gesellschaftliche Kräfteverhältnisse als Entwicklungsfaktoren, Etappen europäischer Expansion, Analyse historischer Umbruchsituationen, soziale Auseinandersetzungen, Rolle der ArbeiterbewegungStatistik und SchaubilderBilder lesen können: Kritischer Umgang mit Statistiken anhand praktischer Beispiele, Umgang mit Schaubildern und Grafiken etc.Politische ÖkonomieDeterminanten von Produktion und Konsumtion: Die klassische politische Ökonomie (Smith), Mehrwertund Krisentheorie (Marx), Neoklassik, Monetarismus/ Neoliberalismus, Keynesianismus, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und staatliche Wirtschaftspolitik, Wirtschafts- und Finanzkrise, Ursachen und LösungsmodellePolitikNationale Rahmungen: Bedingungen der Ausübung von Macht und Herrschaft, Gerechtigkeit und Moral, Emanzipation und das Recht der gestaltenden TeilhabeInternationale BeziehungenStrukturen kennen: Globalisierung, Nationalstaaten, die EU, globale In-stitutionen, Europäische Betriebsräte, Perspektiven und Praxis interna-tionaler Gewerkschaftsarbeit und KampagnenÖkologieNatürliche Grundlagen: Ökologische und kulturelle Dimensionen im Verhältnis Mensch – Natur, Klima, Energie, Biodiversität, die Bedeutung ökologischer Systeme, Nachhaltigkeit und Industriepolitik/Konversionsstrategien

Tabelle 1: Themenkanon des Akademiekurses

Auf den ersten Blick lässt der Kurs mit seinem ausgeschriebenen Themenkanon und seinen Inhalten einen hohen Grad an Abstraktion vermuten, der den z. T. eher bildungsfernen Teilnehmenden den Lernzugang eher erschweren sollte. Bei der Wissensvermittlung jedoch stehen neben gesellschaftspolitischen Kontexten vor allem biografische Bezüge im Mittelpunkt der Vermittlung. Den Teilnehmenden wird die Möglichkeit eines exemplarischen Lernens gegeben, welche den diskursiven Rahmen zwischen der individuellen Erfahrung auf einer gesellschaftlichen Mikroebene und der gesellschaftspolitischen Makroebene weit spannt. Lernprozesse sind bewusst gruppendynamisch strukturiert, wodurch aktiv erarbeitetes Orientierungswissen eine erste Erprobung im kollektiven Kontext erfährt.