Wisse, dass du sterblich bist - Malachy Hyde - E-Book
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Wisse, dass du sterblich bist E-Book

Malachy Hyde

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Beschreibung

Eine Leiche zu viel und ein cleveres Ermittler-Trio: Der historische Krimi »Wisse, dass du sterblich bist« von Malachy Hyde als eBook bei dotbooks. Kann man denn niemals seine Ruhe haben? Pergamon im Jahre 40 vor Christus: Silvanus Rhodius, ehemals bester Ermittler Roms und inzwischen gemütlicher Verwaltungsbeamter, würde seine Tage liebend gerne in den Thermen vertrödeln – doch es strömen immer mehr Flüchtlinge vor dem nahenden Krieg in die Stadt, was den reichen Bürgern so gar nicht gefallen will. Als dann auch noch grausam zugerichtete Frauenleichen gefunden werden, ist schnell von Ritualmorden die Rede … und als Täter kommen natürlich nur die Fremden in Frage. Während sich die Stimmung in Pergamon immer mehr aufheizt, muss Silvanus wohl oder übel zu ermitteln beginnen. Seine ungemein schlauen Freundinnen Laelia und Illica haben bereits eine heiße Spur gefunden – aber bringen sie sich so womöglich selbst in tödliche Gefahr? »Ein facettenreicher, sehr vergnüglicher und vor allem spannender Roman.« Gießener Anzeiger Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Wisse, dass du sterblich bist« von Malachy Hyde ist der dritte historische Kriminalroman um Silvanus Rhodius, den Hercule Poirot der Antike, und seine überaus schlauen Partnerinnen Illica und Laelia; jeder Band der Serie kann unabhängig von den anderen genossen werden. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 702

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Über dieses Buch:

Kann man denn niemals seine Ruhe haben? Pergamon im Jahre 40 vor Christus: Silvanus Rhodius, ehemals bester Ermittler Roms und inzwischen gemütlicher Verwaltungsbeamter, würde seine Tage liebend gerne in den Thermen vertrödeln – doch es strömen immer mehr Flüchtlinge vor dem nahenden Krieg in die Stadt, was den reichen Bürgern so gar nicht gefallen will. Als dann auch noch grausam zugerichtete Frauenleichen gefunden werden, ist schnell von Ritualmorden die Rede … und als Täter kommen natürlich nur die Fremden in Frage. Während sich die Stimmung in Pergamon immer mehr aufheizt, muss Silvanus wohl oder übel zu ermitteln beginnen. Seine ungemein schlauen Freundinnen Laelia und Illica haben bereits eine heiße Spur gefunden – aber bringen sie sich so womöglich selbst in tödliche Gefahr?

»Ein facettenreicher, sehr vergnüglicher und vor allem spannender Roman.« Gießener Anzeiger

Über die Autorinnen:

Malachy Hyde ist das Pseudonym des Autorenduos Karola Hagemann und Ilka Stitz.

Karola Hagemann, Jahrgang 1961, studierte Geschichte, Anglistik und Diplompädagogik und arbeitet heute bei der Polizei Niedersachsen; sie lebt in Hannover. Ilka Stitz, Jahrgang 1960, studierte Kunstgeschichte, Germanistik und klassische Archäologie und arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Künstlerin; sie lebt in Köln. Mehr Informationen über Ilka Stitz finden sich auf der Website www.ilkastitz.de.

Unter dem Pseudonym Malachy Hyde erschienen bei dotbooks die vier Romane der Silvanus-Rhodius-Krimireihe: »Tod und Spiele«, »Eines jeden Kreuz«, »Wisse, dass du sterblich bist« und »Gewinne der Götter Gunst«; unter der Autorenmarke Hagemann & Stitz veröffentlichten die Autorinnen bei dotbooks zwei Krimis aus der Römerzeit: »Das Geheimnis des Mithras-Tempels« und »Jung stirbt, wen die Götter lieben«

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eBook-Neuausgabe Mai 2021

Copyright © der Originalausgabe 2004 Eichborn AG, Frankfurt am Main

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.de, unter Verwendung eines Bildes der Minerva Giustiniani (Vatikan) © wikimedia commons

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-668-2

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Malachy Hyde

Wisse, dass du sterblich bist

Ein Fall für Silvanus Rhodius – Kriminalroman

dotbooks.

Dramatis Personae

Marcus Antonius: römischer Politiker und Oberbefehlshaber, Herrscher über den Osten des Römischen Reichs, Triumvir (zweites Triumvirat: Antonius, Octavianus, Lepidus)

Quintus Dellius: Feldherr und Geschichtsschreiber des Marcus Antonius

Silvanus Rhodius: römischer Ermittler

Lucida: Ehegattin des Silvanus Rhodius

Nasutus Larix Ibericus: beider Sklaven

Laelia: Freundin des Silvanus

Monoculos: ihr Sklave

Offilia: Laelias Schwester, Ehegattin des Rubingetorix

Rubingetorix: gallischer Flötenspieler, Offilias Ehegatte

Quintus Bibulus: Laelias und Offilias Vater

Illicia: Freundin Laelias, Geliebte des Antonius

Flusia: nubische Sklavin Illicias

Tollimos: ehemaliger Priester des Apollon, Illicias Vater

Thorax: ehemaliger Gladiator, Sklave des Bibulus und Tollimos

Leander: Prytane – Stadtoberhaupt von Pergamon

Imbrassos: oberster Sicherheitsbeamter von Pergamon

Proka: seine Gattin

Nessos: beider Sohn, Arzt im Asklepieion

Lachne: beider Tochter

Marsias: Sekretär des Silvanus

Kallistos: pergamenischer Sicherheitsbeamter, Mitarbeiter des Silvanus

Baton: städtischer Sklave, Silvanus zur Hilfe zugeteilt

Diodoros Pasparos: pergamenischer Aristokrat, Sohn des hoch geachteten Diodoros Pasparos (d.Ä.)

Sextus Privernus: römischer Aristokrat

Demetrios: Töpfermeister

Bichairos: einer seiner Arbeiter

Camilla: eine Sklavin, Opfer

Enomicus: Besitzer der Camilla

Gaius Passienus: Vater eines der Todesopfer

Sextus Albinius Fuscus: Vater eines anderen Todesopfers

Pheromon: ein Viehzüchter

Isomachos: Oberbibliothekar

Demosthenos: ein Barbier

Senophrata: eine Wahrsagerin

Afranius: Kommandant einer Kohorte

Sozomenos: Oberster der Ärzte und Priester im Asklepieion

Velusia: Bekannte Laelias und Illicias im Flüchtlingslager

Erwähnte historische Persönlichkeiten

Munatius Plancus: römischer Politiker, Prokonsul (Statthalter) der Provinz Asia

Octavian: römischer Politiker, Oberbefehlshaber im Westen des Römischen Reiches, Mitglied des zweiten Triumvirats, der spätere Augustus

Fulvia: dritte Ehefrau des Marcus Antonius

Lucius Antonius: Bruder des Antonius, gerade Konsul in Rom (39 v. Chr.)

Kleopatra: Königin von Ägypten, Geliebte des C. J. Caesar, dann des Antonius

Diodoros Pasparos (der Ältere): pergamenischer Aristokrat, der viel für Pergamon bei den Römern erreichte, z.B. Abgabenfreiheit

Servilius Isauricus: Statthalter der Provinz Asia vor Munatius Plancus

Quintus Labienus: römischer Überläufer zu den Parthern, maßgeblich am Einfall dieser in römisches Gebiet beteiligt

Pakoros: Sohn des parthischen Königs Orodes, potenzieller Thronfolger

Gajus Julius Caesar: Mitglied des ersten Triumvirats (Caesar, Pompejus, Crassus), römischer Feldherr, Politiker und Diktator, ermordet vor unserer Zeit

Brutus und Cassius: Mörder Caesars, besiegt in der Schlacht bei Philippi

Catullus: römischer Dichter

Hirtius: Konsul Roms im Jahre 43 v. Chr.

Pansa: Konsul Roms im Jahre 43. v. Chr.

Die fett gesetzten Persönlichkeiten sind historisch belegt.

Sie hatte geglaubt, ein neues Leben sei nah, hatte seinen Worten gelauscht, gebannt, glücklich. Jetzt starrte sie auf seinen nackten Körper, auf das Messer in seiner Hand. Sie wollte schreien, doch er kam ihr zuvor, knebelte sie, drängte sich an sie.

Kalt strich das Messer über ihre Schenkel.

Kapitel I

Immer aufdringlicher drang das Geräusch an seine Ohren. »Es ist nicht zu ertragen.« Silvanus musterte den bronzenen Delphin, aus dessen Maul nur spärliche Tropfen drangen.

Er war allein im Baderaum, die übrigen Patienten des Asklepieions unterzogen sich anderen Therapien, körperlicher und geistiger Art, die dieses Heiligtum des Gottes der Heilkunst noch zu bieten hatte.

Mit halb geschlossenen Augen wartete Silvanus auf den nächsten Tropfen, der langsam an der Maulspitze des Delphins anschwoll, sich dehnte wie zäher Honig, fiel, auf dem Wasser auftraf und mit seinem Hall den Raum erfüllte.

Vielleicht sollte er einfach das Becken vor der Zeit verlssen, doch nein, immerhin war die Behandlung seiner Rückenbeschwerden ein Grund gewesen, warum er nach Pergamon gekommen war. Zudem hatte Marcus Antonius ihn beauftragt, die Steuerpächter in ihre Schranken zu weisen, eine unerfreuliche Angelegenheit, die er jedoch innerhalb kürzester Zeit mit Umsicht bewältigt hatte. Gleichwohl schadete es nicht, die Steuereintreiber weiterhin im Auge zu behalten, so konnte er das Angenehme mit dem Dienstlichen verbinden und noch in Pergamon verweilen. Ohnehin war seine Rückkehr nach Ephesos nicht nötig gewesen, bis jetzt.

»Ephesos.« Wehmut und Sorge erfassten ihn, während er dem Echo der Tropfen lauschte. Gerade zweieinhalb Monate war er aus Ephesos fort, und plötzlich sah alles anders aus. Eigentlich hätte er sofort aufbrechen müssen, als die ersten Nachrichten eintrafen. Schreckensnachrichten. Zunächst hatte er sie nicht glauben wollen. Die Parther, die Erzfeinde Roms, auf römischem Boden. Wie man hörte, standen ihre Truppen bereits südlich von Ephesos. Voller Panik flohen die Menschen in den Norden, auch nach Pergamon.

Silvanus straffte seinen Rücken und wippte im Wasser auf und nieder, wie sein Arzt es ihm aufgetragen hatte. Die Parther drohten Ephesos zu belagern, und was machte der Statthalter? Floh Hals über Kopf nach Rhodos. Nun, was sollte man von Munatius Plancus auch anderes erwarten. Silvanus war es immer rätselhaft geblieben, was Marcus Antonius dazu bewogen hatte, Plancus wieder als Statthalter hier in der Provinz Asia einzusetzen, obwohl der im letzten Jahr nicht eben zufrieden stellend gearbeitet hatte. Warum hatte Antonius diesen Mann zurückbeordert? Wie dem auch sei, er musste wissen, was er tat, schließlich war er der wichtigste Mann Roms und das nicht ohne Grund.

Silvanus drehte sich um, stellte seine Zehen auf den schmalen Vorsprung im Beckenrand und drückte seine Fersen nach unten. Wieder drängte sich das stetige Tropfen in seine Gedanken, er musste dem endlich ein Ende bereiten. Ein Handtuch – kurz blickte er sich um, griff nach einem, das vor ihm bereitlag, und setzte sich hastig in Bewegung. Vor seinem stattlichen Bauch bildete sich eine kleine Bugwelle, und die dunklen Haare, mit denen sein Körper reichlich bedeckt war, wogten sacht. Stirnrunzelnd sah er an sich herab, bisher waren alle seine Versuche abzunehmen, gescheitert. Doch die Leibesübungen, die ihm die Ärzte aufgetragen hatten, regten seinen Appetit zusätzlich an, so dass die verordnete Diät bei weitem nicht ausreichte, seinen Hunger zu stillen. Bei allen Göttern, wären die zahlreichen Garküchen nicht, die sich auf Patienten wie ihn eingestellt hatten und vor den Toren des Heiligtums ihre Delikatessen feilboten, er wäre schier verhungert.

Bei dem lästigen Wasserspeier angekommen, lauschte er noch einmal, nichts war zu hören, niemand kam. Er stopfte dem bronzenen Delphin das Handtuch in das weit offen stehende Maul und schwamm eilig davon. Kaum hatte er seinen Platz wieder eingenommen, als einer der Bader die Halle betrat, in der Hand eine Schriftrolle.

»Silvanus Rhodius, Herr, ein städtischer Bote hat soeben diese Nachricht für dich abgegeben. Es sei äußerst wichtig, du sollst sie sofort lesen.«

Silvanus trocknete seine Hände an dem Handtuch, das der Bedienstete ihm reichte, und nahm die Rolle entgegen. Das Siegel gehörte dem obersten Beamten der Stadt, Leander. Was mochte der von ihm wollen, offiziell war er nur noch aus gesundheitlichen – also privaten – Gründen hier in Pergamon. Er entrollte das Schriftstück und begann zu lesen. Das war ja allerhand! Man befahl ihn quasi in das Ratsgebäude, das hiesige Prytaneion. Sicher, Leander hatte dies in wohlgesetzte Worte gekleidet, dennoch, der Tenor war eindeutig. Er solle sich sofort auf den Weg machen, seine Anwesenheit sei dringend erforderlich. Vielleicht ging es um die Parther, um die politische Situation, da war es selbstverständlich, dass man ihn als römischen Amtsträger um Rat und Hilfe bat. Schließlich hatte er bei den Steuerpächtern bewiesen, dass er sich durchzusetzen verstand. Vielleicht aber ging es um die Flüchtlinge, die jetzt aus den bedrohten Gebieten herbeiströmten, damit waren diese Griechen wahrscheinlich überfordert. Verweichlicht wie sie waren, gingen sie lieber zum Barbier, um sich anschließend auf Trinkgelagen herumzutreiben oder wohlriechend die Bordelle aufzusuchen. Zugegeben, dieser Leander hatte einen ganz anständigen Eindruck gemacht, wenn er ihm begegnet war, auch hatte er bisher eigentlich nur Gutes über ihn gehört. Tatsächlich schien er einer der wenigen Einheimischen zu sein, die ihre Arbeit ernst nahmen.

Es konnte nicht schaden, sich ein Bild von der Sache zu machen. »Bring mir Lendenschurz, Tunika und Toga«, trug er dem Bader auf, während er aus dem Becken stieg. Schnell kleidete er sich an und machte sich auf den langen Weg zur Stadt, den Berg hinauf.

Im Prytaneion wurde er bereits von Leander erwartet. Der Grieche, schlank von Wuchs und jeder Zoll ein Aristokrat, war ein Mann in den besten Jahren – durchaus gut aussehend, wie Silvanus schon bei vorherigen Treffen mit einem gewissen Neid festgestellt hatte.

»Verehrter Freund, setz dich doch«, begrüßte Leander ihn und wies auf die Kline, die der seinen gegenüber stand. »Möchtest du Wein? Ach entschuldige, ich vergaß, dass du ja zur Kur hier weilst. Sicherlich ist Wein in diesem Falle für dich nicht angebracht. Vielleicht Wasser oder einen Becher Milch?«

Silvanus winkte ab. »Ein wenig Wein wird mir nicht schaden. Wohl dosiert sei er dem Heilungsprozess durchaus förderlich, sagen die Arzte.«

Leander nickte, schickte einen Sklaven, Wein und ein paar Häppchen zu holen, dann kam er auf sein Anliegen zu sprechen. »Du wunderst dich sicher, warum ich dich herbitten ließ. Gerade erreichte uns eine Eilbotschaft von Marcus Antonius mit Befehlen zur Bewältigung der Lage. Kurz gesagt: Dich bestimmte er zum Flüchtlingsbeauftragten, betraut mit sämtlicher Verfügungsgewalt und Verantwortung für die Organisation des Lagers. Wir freuen uns, in dieser Sache mit dir zusammenzuarbeiten, haben wir dich doch als umsichtigen und kompetenten Mann kennen gelernt. Wir werden deine Hilfe zu schätzen wissen. Doch sieh selbst.« Er reichte ihm zwei Schriftrollen, eine adressiert an Silvanus persönlich, die andere an den Magistrat von Pergamon.

Silvanus’ Herz sank, die Zeit der Muße schien vorbei. Nun, das war vorhersehbar gewesen, und letztendlich erschien die Aufgabe des Flüchtlingsbeauftragten attraktiver als eine Tätigkeit in Ephesos, das unmittelbar bedroht war.

Zögernd entrollte er die erste Botschaft. Freundlich, aber bestimmt, teilte Antonius ihm mit, was er von ihm erwartete: vor allem die Ruhe unter den Flüchtlingen zu gewährleisten, aber auch die Loyalität der Pergamener sicherzustellen, die unter dem Ansturm der Schutzsuchenden zu leiden hatten. Unter keinen Umständen dürfe die Romtreue Pergamons in Gefahr geraten. Er vertraue ganz auf ihn.

Der Brief an die Pergamener war anderen Inhalts. Neben der Mitteilung über Silvanus’ neues Amt versicherte Antonius, dass die parthische Invasion nicht lange andauern würde, die römischen Legionen bald wieder Herr der Lage wären, er selbst in Kürze käme, um den Pergamenern für ihre Mühe und Unterstützung zu danken. Antonius erinnerte an die von ihm gewährten Erleichterungen für Stadt und Bürger, an die althergebrachten guten Beziehungen zwischen Pergamon und Rom, an das besondere Verhältnis der beiden Städte, nicht zuletzt wegen der Tatsache, dass der letzte pergamenische König Rom testamentarisch zu seinem Erben bestimmt hatte. Rom trug somit die Verantwortung für die Provinz und würde sie auch wahrnehmen.

Bei allen Göttern. Silvanus reichte Leander die Schriftrolle zurück. Wenn Antonius es für nötig hielt, die Pergamener an ihre Loyalität zu erinnern, war die Lage ernster als befürchtet. Er griff nach seinem Weinbecher, trank einen Schluck und versuchte, seine Bestürzung zu verbergen. »Gut. Ich werde mir zunächst einen Überblick über die Zustände im Lager verschaffen und dann die weiteren Schritte mit euch beraten.«

Auch Leander trank und lehnte sich auf seiner Kline zurück. Etwas beschäftigte ihn, Silvanus merkte es deutlich. »Was ist, Leander? Bist du mit Antonius’ Entscheidung nicht einverstanden?«

»Oh nein, ganz im Gegenteil, wie ich schon sagte. Doch da ist noch etwas anderes, Silvanus, das ich dir mitteilen wollte. Wir haben eine Tote gefunden, eine junge Frau. Nun ist ein Todesfall an und für sich nichts Ungewöhnliches – in einer großen Stadt wie Pergamon passiert so etwas häufiger. Zumal die Stadt zurzeit mit Flüchtlingen hoffnungslos überfüllt ist, kommt es zwangsläufig zu Übergriffen, die schon mal jemanden das Leben kosten. Dieser konkrete Fall jedoch ist bei der jetzigen Lage von besonderer Brisanz. Nach allem, was wir bis jetzt feststellen konnten, ist die Frau ermordet worden, mit Messerstichen böse zugerichtet. Ein Arbeiter fand die unbekleidete Leiche in der Nähe des Töpferviertels.« Leander erhob sich und schritt bedächtig im Zimmer auf und ab. »Um es kurz zu machen, Silvanus, wir möchten, dass du dich dieses Falles annimmst. Zum einen, weil du, wie ich hörte, in diesen Dingen große Erfahrung hast. Zum anderen vermuten wir, es handelt sich um eine der Flüchtlinge, da uns keine Frau als vermisst gemeldet ist, deren Beschreibung auf die Tote zutrifft. Zum dritten sind unsere Männer im Moment mehr als ausgelastet, denn neben der normalen Arbeit und der zusätzlichen Belastung durch die hier Schutzsuchenden verschwinden seit längerer Zeit auch noch Schafe und vereinzelt Ziegen auf mysteriöse Weise, um einige Tage später – die toten Körper entsetzlich verstümmelt – auf den Weiden gefunden zu werden.« Besorgt fuhr er sich durch das dunkle, schon etwas grau melierte Haar. »Immer häufiger schreiten Viehzüchter über meine Schwelle und beklagen sich bei mir und Imbrassos, dem die Wahrung der inneren Sicherheit obliegt. Diese Angelegenheit, mag sie dir auch banal erscheinen, ist für uns von großer Wichtigkeit und muss so schnell wie möglich aufgeklärt werden. Schließlich sind wir auf die Tiere angewiesen.«

Silvanus hob eine Augenbraue. Er wusste wohl, dass Pergamon die Produktionsstätte des nach dieser Stadt benannten Pergamentes war, hergestellt aus Schaf- oder Ziegenhäuten, doch gab es auch andere wichtige Exportgüter: Metalle, Töpferwaren, Stoffe. Der Prytane übertrieb.

»Zurück zu dem toten Mädchen«, fuhr Leander fort. »Ihre Leiche sei in einem furchtbaren Zustand, hieß es, aber du wirst dir sicher selbst einen Eindruck verschaffen wollen. Zwei unserer Männer bewachen sie, und natürlich haben wir veranlasst, dass du alles unverändert vorfinden wirst.«

Silvanus runzelte die Stirn. Auch das noch. Natürlich, es stimmte, in Rom hatte er sich ein Zubrot als Ermittler in Mordfällen verdient, Erfahrung besaß er genug auf diesem Gebiet. Doch der Umgang mit Toten, mit deren trauernden Angehörigen hatte ihn zunehmend belastet. Zuletzt hatte sein Magen rebelliert, wenn er die Leichen untersuchen musste, ein deutliches Zeichen, mit derartiger Tätigkeit aufzuhören. Auch deswegen war er in diese Provinz gekommen. Wie lange war es her? Ungefähr ein Jahr, und doch lagen seitdem die Toten geradezu auf seinem Weg. Schon drei, nein, eigentlich vier Morde hatte er hier aufklären müssen. Nun gut, dem ersten, damals in Didyma, hatte er die Stelle an der Seite des Statthalters in Ephesos zu verdanken, ein zunächst attraktiver Posten, der jedoch hauptsächlich aus Unmengen an Schriftverkehr bestand und ihm zudem einen weiteren Mordfall beschert hatte.

Silvanus straffte seinen Rücken, bemerkte den noch immer vorhandenen leichten Schmerz. Er neigte dazu, Leanders Anliegen abzulehnen, schließlich hatte ihm der letzte Fall diese Rückenbeschwerden eingebracht. Sollten sich doch die pergamenischen Beamten darum kümmern, sollten die sich doch zusammenschlagen lassen. Er war noch nicht vollständig gesundet, musste zudem das schwere Amt des Flüchtlingsbeauftragten wahrnehmen. Nein, dieses Verbrechen sollten sie ruhig selbst aufklären. Wenn die Tote nun aber Römerin war, eine der Flüchtlinge? Durfte er da die Arbeit den örtlichen Magistraten überlassen? Nachdenklich schüttelte er den Kopf.

Leander wertete es als Ablehnung. »Denk an die politische Lage«, mahnte er, »Unruhe unter den Flüchtlingen und natürlich auch unter der einheimischen Bevölkerung müssen wir um jeden Preis vermeiden. Ein ungeklärter Mordfall ist da nicht förderlich.«

»Gut«, antwortete Silvanus knapp, Antonius’ Anweisung vor Augen. Doch er fühlte bereits, wie sich bei dem Gedanken an die Leiche sein Magen verkrampfte. Er räusperte sich. »Ich werde mich um den Todesfall kümmern.« Jedenfalls bis geklärt war, ob es sich bei der Toten um eine Römerin oder eine Einheimische handelte, ergänzte er in Gedanken. Stammte sie aus Pergamon, dann würde er den Fall an Leander zurückgeben, Arbeitsbelastung hin oder her. Wenn es aber eine Römerin war, hatte er ohnehin keine Wahl.

»Ich freue mich, dass wir einer Meinung sind, Silvanus«. Leander ließ sich wieder auf seiner Kline nieder.

Silvanus dagegen ärgerte sich. Er ärgerte sich über diesen überheblichen Griechen, der so selbstzufrieden dalag, froh, die Verantwortung für zwei schwierige Aufgaben abgeben zu können. Allein, er hatte zugestimmt. »Ich brauche Männer.«

»Du wirst Männer bekommen. Ach, und Silvanus, wir werden dir ein adäquates Haus besorgen, jetzt, da du länger bleiben wirst.« Leander glättete eine Falte in seinem tadellos sitzenden Chiton.

»Danke«, murmelte Silvanus, »wo, sagtest du, wurde die Leiche gefunden?«

»In der Nähe des Töpferviertels. Sie lag bei einer der Tongruben, dort wollte ein Töpfergehilfe Material für seine Werkstatt holen. Frage bei dem Meister Demetrios nach seinem Arbeiter Bichairos, der wird dir die Stelle zeigen. Wir haben dich bereits angekündigt – natürlich unter dem Vorbehalt, dass du den Fall annimmst. Doch wir waren uns einig: Du bist uns an Erfahrung und damit an Kompetenz weitaus überlegen, der Fall ist in deinen Händen am besten aufgehoben.«

Silvanus presste die Lippen aufeinander. Eine der Eigenschaften der Griechen, die er am meisten verabscheute, war ihr Hang zu Schmeichelei und Übertreibung. So wusste er nicht einzuordnen, ob sein aufkommendes Unwohlsein von Leanders Worten oder der bevorstehenden Leichenschau herrührte – doch eines wusste er, er benötigte frische Luft.

Er verabschiedete sich. Als er auf den Gang hinaustrat, schritt dort ein hochgewachsener, kräftiger Mann erregt auf und ab, offenbar wartete er darauf, bei Leander vorgelassen zu werden. Neugierig musterte er Silvanus, der erstaunt bemerkte, dass dieser Mann fast ebenso groß war wie er selbst, eine Seltenheit hier in Kleinasien – und auch in Rom. Ein eigentümlicher, strenger Geruch ging von ihm aus. Naserümpfend mutmaßte Silvanus, dass es sich um einen der Viehzüchter handelte, deren verlorene Schafe natürlich wichtiger waren als eine tote Frau – manchmal hatten diese Provinzialen eine seltsame Einstellung. Mit einem abschätzigen Blick eilte er an dem Mann vorbei ins Freie.

Es war noch früh, doch der Tag schon gänzlich verdorben. Silvanus würdigte die prächtigen Auslagen der Geschäfte keines Blickes, als er die breite gepflasterte Straße hinunterging, vorbei an ein paar Jungen, die im Schatten der Mauern mit Knöchelchen spielten. Das tat der Nachwuchs der Heilungssuchenden am Asklepieion auch immer, wenn Mutter oder Vater bei den Therapien weilten.

Silvanus seufzte leise, er müsste eine Nachricht in das Asklepieion schicken, wo man ihn zu einer Massage erwartete – welch große Linderung sie brachte, wie wohl sie immer tat. Auch Lucida, seiner Frau, die vor wenigen Tagen aus Ephesos zu ihm gestoßen war, würde er ein paar Zeilen zukommen lassen müssen, sicherlich wäre er den ganzen Tag beschäftigt. Bei einem Händler erstand er zwei Wachstäfelchen, auf die er hastig seine Mitteilungen kritzelte, rief einen der spielenden Jungen herbei und bat ihn, die Botschaften zu überbringen. Zuerst die für das Asklepieion, die sei die wichtigere, schärfte er dem Jungen ein. Der nickte beflissen, strahlte auf die Münze, die Silvanus ihm in die Hand drückte, und rannte davon.

Silvanus kannte das Töpferviertel, gerade vorgestern hatte er dort für seine Frau eine Opferschale erstanden – schön und dennoch preisgünstig. Lucida war begeistert gewesen und hatte seinen guten Geschmack gelobt, durchaus kein häufiges Vorkommnis. Er dachte an die freundliche Verkäuferin, die ihn so fachkundig beraten hatte. Mit ihren dunklen Locken hatte sie ihn sofort an Laelia erinnert, Laelia, bis vor wenigen Monaten seine Geliebte, bevor sie ihn kurz vor seiner Abreise aus Ephesos verlassen hatte. Wie mochte es ihr wohl gehen? Sie fehlte ihm, auch wenn er es sich selten eingestand. Ob sie wohl auch geflohen war? Vielleicht war sie ja hier, in Pergamon, zusammen mit den vielen anderen Flüchtlingen.

Tief in Gedanken erreichte er das Viertel, in dem sich die Töpfereien angesiedelt hatten. Der Verkehr wurde dichter – das Gewerbe florierte, Tonwaren aus Pergamon waren von bester Qualität und überall begehrt. Silvanus hielt Ausschau nach der hübschen Verkäuferin, doch sie war nirgends zu sehen, nur ein Mann kam ihm entgegen. Er schob einen mit Geschirr beladenen Wagen vor sich her, offenbar war er auf dem Weg zum Markt. Auf die Frage nach dem Töpfermeister Demetrios wies der Arbeiter auf eine der größeren Werkstätten hinter einer riesigen Platane, und seinem Fingerzeig folgend, schritt Silvanus auf die Gebäude zu, vorbei an großen Gestellen, auf denen Krüge, Vasen, Geschirr in den verschiedensten Formen und Größen zum Trocknen aufgestellt waren.

In der Werkstatt herrschte hektische Betriebsamkeit. Gehilfen eilten hierhin und dorthin, brachten den Ton in großen Bottichen oder schoben Wagen mit ungebrannten Schalen zu den riesigen Öfen nach draußen.

Silvanus griff einen der Arbeiter an den Arm. »Wo finde ich Demetrios?«

»Dort.« Der Mann zeigte auf einen schweißüberströmten, untersetzten Alten vor ihm, der die Feuerung eines der Brennöfen überwachte und lauthals lamentierte: »Noch mehr Holz, du Dummkopf. Siehst du nicht, dass die Glut noch längst nicht ausreicht? Bei Hermes, alles wird verderben. Ich werde dir den Verlust vom Lohn abziehen, du drittes Ei eines Ziegenbocks. Beim Hades, aus dem du nie wieder herauskommen sollst, wo hast du nur die Feuerung eines Brennofens gelernt?«

»Bei Stachos, Meister.« Der Beschimpfte duckte sich unter den Worten seines Herrn.

»Bei Stachos! Na, dann wundert es mich nicht, man braucht sich ja nur dessen Waren anzusehen. – Was willst du hier, Fremder, steh nicht im Weg herum, du wirst mir noch das Geschirr zerschlagen. Verschwinde!«, fuhr er Silvanus an, der hinzugetreten war. Dann jedoch registrierte er die Toga – ein Römer, ein potenzieller Kunde. Sofort verengte ein breites Lächeln seine Augen zu schmalen Schlitzen, den Kopf geneigt, entschuldigte er sich. »Die Arbeiter wollen gemaßregelt sein, sonst behält meine Ware nicht die bekannte erstklassige Qualität. Bei mir findest du die besten Produkte Pergamons, ja, der ganzen Welt, und günstig, äußerst günstig. Möchtest du etwas sehen? Folge mir, dort drüben ist der Verkaufsraum.« Einladend wies er auf die offen stehende Tür. »Es war klug von dir, hierher zu kommen, auf dem Markt muss ich mehr verlangen, du weißt schon, die Kosten für die Sklaven, die Wagen, den Stand. Oder möchtest du gar eine größere Lieferung für Rom in Auftrag geben? In dem Fall würde ich dir natürlich einen besonderen Preis anbieten.« In Demetrios’ kleinen Augen blitzte die Hoffnung auf ein gutes Geschäft.

Silvanus musste ihn enttäuschen. »Nein, ich will nichts kaufen. Ich bin Silvanus Rhodius und in amtlichem Auftrag hier. Ich suche Bichairos, einen deiner Arbeiter.«

Zwischen Demetrios’ Augenbrauen bildete sich eine tiefe Falte. »Ah, du kommst wegen der Toten, nicht wahr? Sauerei, das mit dem Mädchen. Ja, Bichairos, der faule Hund, hat sie gefunden, hat sich davongeschlichen von seiner Arbeit an der Tongrube. Ich hoffe, du verbreitest es nicht in der ganzen Stadt, dass man sie bei einer meiner Gruben fand, das ist nicht förderlich für das Geschäft. Dort drüben ist Bichairos.« Mit ausgestrecktem Finger wies er auf die Gestelle mit den Tonwaren. »Der dort, der die Ware einräumt. Und wenn du vielleicht hinterher doch noch einen Blick auf meine wunderbaren Gefäße werfen möchtest ...«

»Ich werde es mir überlegen. Zunächst soll mir Bichairos die Fundstelle zeigen.«

Erneut funkelten Demetrios’ Augen verärgert, Silvanus jedoch ließ ihn stehen und ging zu dem Arbeiter hinüber, froh, dem unangenehmen Alten und der Hitze des Ofens entkommen zu sein. »Du bist Bichairos?«

Der Angesprochene wischte die tonbeschmierten Hände an seiner Schürze ab. »Ja. Kommst du wegen der toten Frau?«

Silvanus nickte. »Ich möchte, dass du mich zu der Stelle führst, wo du sie gefunden hast.«

»Natürlich, aber ...« Bichairos warf einen vielsagenden Blick auf Demetrios, der nun auf einen der Töpfer einredete. »Es wäre gut, wenn du dem Meister Bescheid sagst«, bat er den Römer, »er ist etwas aufbrausend.«

»Er weiß Bescheid«, beruhigte Silvanus den Mann, der einen unentschlossenen Blick zu seinem Vorgesetzten warf. Erst auf ein unwirsches Nicken des Demetrios hin setzte er sich in Bewegung, führte Silvanus an zwei kleineren Werkstätten vorbei und schlug dann einen von duftenden Sträuchern gesäumten Pfad ein. Allmählich wurde der Baumbestand dichter, verdrängte schließlich die Sträucher ganz. So führte der Weg sie durch einen lichten Buchenwald, vor ihnen zwischen den Bäumen schimmerte ein kleiner See. »Wie hast du sie vorgefunden?«, fragte Silvanus, während sie einige Pfützen umrundeten, in der letzten Nacht hatte es heftig geregnet. »Bitte beschreibe es mir genau, es ist wichtig. Hast du etwas verändert?«

Bichairos beantwortete seine Fragen bereitwillig. Sie habe auf dem Rücken gelegen, nackt, mit klaffenden Wunden. Nein, verändert habe er nichts, er habe sie nicht angerührt, zu abstoßend war der Anblick, er sei sofort zurückgelaufen und habe dem Meister Bescheid gegeben. Er bückte sich unter einem überhängenden Ast hindurch. »Dort ist die Tongrube, zu der ich ursprünglich wollte.« Er wies auf eine Mulde am Ufer des Sees, in der Männer mit Hacken am Werke waren.

»Da hast du sie gefunden?«

»Nein, nein.« Der Arbeiter deutete vom Pfad weg, in den Wald hinein. »Wir müssen noch ein Stück weiter. Als ich nämlich herkam, spürte ich ein dringendes Bedürfnis und suchte mir ein stilles Plätzchen.« Er grinste breit. »Bei manchen Geschäften ist man gern unbeobachtet, du verstehst schon ...«

Silvanus nickte. Ein merkwürdiger Mensch, dieser Töpfergehilfe, nicht ein bisschen Betroffenheit zeigte er ob seines grausigen Fundes, gerade so, als entdeckte er jeden Tag beim Pinkeln, oder was sonst er hier in den Büschen getrieben hatte, eine Leiche. Kopfschüttelnd und mit geraffter Toga folgte er Bichairos durch das Unterholz, und nach kurzem Marsch traten sie auf eine Lichtung. Hier und da blühten schon die ersten Frühlingsblumen, bunte Farbtupfer im grünen Gras. Auf der anderen Seite der Lichtung graste ein vor einen Karren gespannter Esel, nicht weit entfernt saßen zwei Männer unter der ausladenden Krone eines Baumes. Neben ihnen lag etwas am Boden. Da war sie. Silvanus rieb seine feuchten Hände unauffällig über die Hüften. Wenigstens war die Leiche notdürftig mit einem grauen Mantel bedeckt.

Sofort als sie die Nahenden erblickten, sprang einer der Männer auf und kam ihnen entgegen. »Du bist sicher der römische Ermittler«, richtete er das Wort an Silvanus. »Man hat uns dein Kommen angekündigt. Imbrassos, unser Dienstherr, wies uns an, alles so zu lassen, wie wir es vorfanden. Die Tote liegt gleich dort.« Er nickte in Richtung seines Begleiters, der neugierig zu ihnen herübersah.

Silvanus dankte ihm knapp, verdrängte seinen Ärger darüber, dass anscheinend alle davon ausgegangen waren, ihm diese unangenehme Aufgabe ohne Probleme aufbürden zu können – es war ihnen ja auch gelungen – und befahl Bichairos und den beiden Männern, in einigem Abstand von der Leiche zu warten. Dann war es so weit. Er spürte den sauren Geschmack im Mund, den er so gut kannte. Es kostete ihn Mühe, die Kontrolle zu behalten, doch er riss sich zusammen und ging zu der Toten. Aus der Nähe sah er, dass unter dem Mantel, der sie bedeckte, braune Locken hervorlugten – diese Farbe, er kannte sie nur zu gut. Einen schrecklichen Moment lang glaubte er, dass es Laelia war, die dort lag, seine Laelia, seine Geliebte. Er atmete tief durch, schloss die Augen, während er den Mantel wegzog. Als er sie wieder öffnete, fühlte er unermessliche Erleichterung. Sie war es nicht.

Obwohl die Leiche keinen schönen Anblick bot, bereits von Tieren angefressen, der Körper leicht aufgedunsen, war doch zu erahnen, dass es sich um eine zu Lebzeiten sehr hübsche junge Frau gehandelt haben musste. Silvanus spürte wieder die Übelkeit, als er die zahlreichen klaffenden Stichwunden erblickte, im Unterleib, in der Herzgegend, gut erkennbar, denn der Regen hatte den unbekleideten Körper reingewaschen. Wo war ihre Kleidung? Nicht einmal Schuhe trug sie an den Füßen. Er beschloss, die genaue Untersuchung der Leiche auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben und sich lieber den Fundort anzusehen, vielleicht fand er noch etwas, Teile der Kleidungsstücke zum Beispiel. Es sei denn, der Täter hatte sie mitgenommen. Oder dieser Töpfereiarbeiter?

Silvanus schritt um die Tote herum, erfasste jedes Detail. War sie an dieser Stelle ermordet worden? Er würde es nicht mehr feststellen können, das schlechte Wetter der letzten Tage hatte alle Anhaltspunkte vernichtet. Er zog seine Kreise weiter, in der Hoffnung auf einen Hinweis – die Tatwaffe, ein verlorenes Besitzstück –, doch er fand nichts. Auch die Kleidung der Toten blieb verschwunden.

Endlich hatte er alles getan, was zu tun war, es blieb nur noch die gründliche Untersuchung der Leiche. Dazu jedoch fühlte er sich nicht in der Lage, nicht jetzt. »Wohin werdet ihr sie bringen?«, erkundigte er sich bei den Männern, die auf seine Anweisung hin den Körper auf den Karren hievten.

»In das Totenhaus nahe dem Asklepieion, Herr«, stieß einer der Männer mühsam hervor. »Bah, wie die schon stinkt.« Angewidert warf er den Mantel über die Leiche, während der andere den Esel am Zügel fasste. Mit einem kurzen Abschiedsgruß machten sie sich auf den Weg.

Silvanus wandte sich noch einmal Bichairos zu, musterte ihn streng und fragte, ob er die Frau schon einmal gesehen habe, ob er regelmäßig hierher komme, um sein, nun, Geschäft zu erledigen, ob ihm etwas anderes aufgefallen sei, Fremde in dieser Gegend zum Beispiel. Habe sich einer der Arbeiter seltsam verhalten?

Nein, lautete jedes Mal die Antwort, schon seit Wochen sei er nicht mehr hier gewesen, kenne das Mädchen nicht, habe nichts gehört oder bemerkt, auch die anderen hätten nichts erwähnt. – Ob er jetzt gehen könne, er bekäme sonst Schwierigkeiten. Bichairos trat von einem Fuß auf den anderen.

Silvanus entließ ihn. Noch eine ganze Weile starrte er auf die Stelle, an der die Frau gelegen hatte. Wer war sie? Wie lange war sie schon tot? Sobald er näheres über ihre Person wusste, war er der Aufklärung des Mordes ein gutes Stück näher. Denn meistens, so seine Erfahrung, stammten die Täter aus dem näheren Umfeld der Opfer, ein eifersüchtiger Ehemann, Geliebter oder ein Familienangehöriger. Er würde Erkundigungen in der Stadt und im Flüchtlingslager einziehen müssen, auch über diesen Bichairos sollte er Nachforschungen anstellen, der Mann machte einen seltsamen Eindruck. Und dann würde er sich die Leiche noch einmal ansehen. Er musste es tun, es ließ sich nicht umgehen.

Etwas am Boden zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Grashalme waren dort, wo man den Körper der Toten aufgehoben hatte, niedergedrückt. Doch nicht nur das, ihre Farbe unterschied sich deutlich vom übrigen Gras. Er erinnerte sich, dass man hieraus gewisse Schlüsse ziehen konnte, zum Beispiel, wie lange die Leiche dort schon gelegen hatte. Er schätzte, mehrere Tage, wenn nicht gar ein bis zwei Wochen, doch nicht länger.

Langsam machte er sich auf den Rückweg. Es gab viel für ihn zu tun. Am besten wäre es, sich sofort unter den Töpfern umzuhören, vielleicht hatte ja doch jemand etwas gesehen oder bemerkt. Und sollte dieser Bichairos tatsächlich etwas mit der Sache zu tun haben, hätte er den Fall wunderbar schnell geklärt und könnte einen raschen Erfolg vorweisen. Andererseits aber erforderte es die politische Lage, sich eilends über das Flüchtlingslager, seine neuen Befugnisse und Aufgaben zu informieren, mit den bisher Verantwortlichen zu sprechen, die bis dato die Verpflegung und Unterbringung organisiert, die Schar der Amtssklaven und Arbeiter eingeteilt und beaufsichtigt hatten. Dies hatte Vorrang, entschied er, den Töpfern würde er sich später widmen.

***

Das Flüchtlingslager war gut organisiert, das musste Laelia zugeben, als sie sich vor der Lebensmittelausgabe in die lange Schlange der Wartenden einreihte. Jeder hier erhielt so viel, wie er zum Überleben benötigte, hatte man ihr gestern mitgeteilt, als sie und ihre Freundin Illicia mit ihren Familien ankamen, todmüde von der langen Reise. Geht nach Pergamon und wartet den Ausgang des Krieges ab, hatte es in den bedrohten Gebieten geheißen, dort seid ihr sicher, so weit werden die Parther nie vorrücken. Es wird nicht lange dauern, bis Rom die Barbaren zurückgeschlagen hat.

Besonders die römischen Bürger, arm wie reich, waren diesem Aufruf gefolgt. Und noch immer kamen viele, voller Angst, von den Feinden erschlagen zu werden – oder von dem Teil der einheimischen Bevölkerung, der in der parthischen Invasion eine Chance sah, die römische Herrschaft endlich abzuschütteln. Laelia schnürte es bei dem Gedanken die Kehle zusammen. Jeder wusste von den Gräueltaten, die der pontische König Mithridates vor achtzig Jahren in dieser Provinz verübt hatte, von den Zehntausenden toter römischer Bürger, erschlagen auf offener Straße, erschlagen auch von den Einheimischen. Und jetzt die Parther ...

Die Menschen in der Schlange rückten auf, schon konnte Laelia hören, wie eine Frau mit dem zuteilenden Pergamener stritt. Sie sei schwanger und brauche mehr, fuhr sie ihn an.

Der Mann blieb ruhig. »Dein Name ist Sexta Talusa, sagtest du? Du stehst hier auf meiner Liste zusammen mit sechs anderen Personen deiner Familie. Das sind sieben Rationen pro Tag. Es gibt keine Ausnahme. Nimm dein Essen und geh!« Demonstrativ hakte er alle sieben Namen auf seiner Pergamentrolle ab.

Talusa lamentierte weiter. Hinter ihr begannen die Leute zu schimpfen, auch Laelia verdrehte die Augen. Sie hatte Hunger, und sie wusste, dass die Kinder ihrer Schwester das halbe Lager zusammenschrien, käme sie nicht bald zurück. »Welch eine selbstsüchtige Person«, sagte sie leise zu Monoculos, der neben ihr stand. Ihr fast blinder Sklave nickte nur, er hatte den Kopf erhoben, nahm die Gerüche und Geräusche des Lagers in sich auf.

Talusa war endlich mit ihren Vorräten abgezogen und der Nächste an der Reihe. Der jedoch stand nicht auf der Liste, so schickte der Pergamener ihn zu einem anderen Teil des Lagers. Laelia sah dem gebeugten Alten nach. Alle hatte sich eben an die Regeln zu halten, und die waren eindeutig. Ein jeder Ankömmling musste sich bei der Zentralverwaltung melden, dort trug man ihn in ein Verzeichnis ein, wies ihm ein Zelt zu, erklärte, an welcher Stelle er seine Lebensmittel bekam, wo der nächste Brunnen mit frischem Wasser, wo die Latrine war und so weiter. Je fünfzig Zelte bildeten eine organisatorische Einheit. Laelia hatte es sich schlimmer vorgestellt, und für ein paar Wochen würden sie es hier schon aushalten, bis sie wieder zurück nach Ephesos konnten. Lange würde dieser Krieg bestimmt nicht dauern. Kehrte erst Antonius aus Alexandria zurück und stellte sich an die Spitze seiner Truppen, hätten die Parther keine Chance mehr. Jeden Tag musste er eintreffen ...

Der Mann vor ihr war an den Zuteilungstisch getreten. Laelia hörte, wie er leise verhandelte, dann dem Schreiber etwas in die Hand drückte und mit einem prallgefüllten Lebensmittelsack abzog. Missbilligend zog Laelia die Augenbrauen in die Höhe, als sie nun selbst an den Tresen trat, Monoculos hinter sich.

»Name«, fragte der Pergamener, ohne aufzusehen.

»Laelia Bibula aus Didyma.«

»Welches Zelt?«

»Nummer fünfundvierzig.«

»Hier steht, du bist aus Ephesos gekommen, warum sagst du Didyma?« Jetzt blickte der Mann auf, nicht unfreundlich.

Laelia strich sich eine dunkelbraune Locke aus dem Gesicht. »Meine Freundin Illicia und ich sind in Didyma geboren. Wir wohnten in Ephesos, bevor wir flüchteten, zusammen mit unseren Familien, die auch auf deiner Liste stehen müssten.«

»Ah ja«, sagte der Mann gedehnt, während er sie begehrlich musterte. »Willst du nur deine Ration?«

»Nein«, Laelia senkte den Blick. »Ich möchte die Lebensmittel für alle, also meinen Vater Bibulus, meine Schwester Offilia, ihren Mann Rubingetorix und ihre fünf Kinder sowie für meinen Sklaven Monoculos hier, dann noch für Illicia, ihren Vater Tollimos und ihre Sklavin Flusia.«

Der Pergamener hakte die Namen ab und gab seinem Sklaven das Zeichen, die Waren herauszugeben. Laelia ließ er dabei nicht aus den Augen. »Hast du keinen Mann? Oder ist er bei den Legionen? Wie dem auch sei, solltest du einmal Hilfe benötigen, sprich mich ruhig an. Mein Name ist Kleantes. Der Nächste!« Vielsagend blinzelte er ihr zu, während Laelia einen Blick in den Sack warf. Die Frau hinter ihr drängte sich schon an den Tresen.

Doch Laelia wich nicht von der Stelle. »Einen Moment noch, Kleantes. Das ist viel zu wenig, immerhin sind wir dreizehn Personen, du hast dich bestimmt geirrt.«

»Ich irre mich nie.« Unwirsch tippte Kleantes auf seine Liste. »Hier steht, die Kinder sind noch klein. Ihr habt bekommen, was euch zusteht.« Mit gedämpfter Stimme fügte er hinzu: »Wenn du mehr willst, nun ja, du wirst schon eine Möglichkeit finden ...« Ein letztes kurzes Blinzeln, dann wandte er sich an die wartende Frau. »Name?«

Laelia ging, gefolgt von Monoculos, der den Sack geschultert hatte. Nun, die Organisation mochte gut sein in diesem Lager, doch der Willkür der Verantwortlichen war man gleichwohl ausgeliefert. Wahrlich, wenn es so weiter ging, stand ihnen eine schwere Zeit bevor.

Sie hatten sich vor ihrem Zelt um das Feuer gedrängt. Die Sonne begann zu sinken, die Kühle des Abends drang in die Glieder, trotz der Mäntel und Decken. Illicia und ihre Sklavin Flusia mischten Mehl mit Wasser, würzten den Brei sparsam mit dem kostbaren Salz und legten die Fladen auf das Geflecht über dem Feuer. Kaum hatte Laelia sie umgedreht, rissen die Kinder schon die Brote, nur halb gebacken, von der Feuerstelle. Keiner maßregelte sie, alle waren zu erschöpft, zu niedergeschlagen, froh, dass das immerwährende Geschrei der Kleinen wenigstens für einen Moment verstummte. Das bedeutete nicht, dass Ruhe um sie herrschte. Zelt stand hier neben Zelt, Feuer brannte neben Feuer, Menschen stritten, Kinder weinten, herumstreunende Hunde bellten. Und noch immer drängten die Flüchtlinge über die Ebene heran, mit Wagen und Karren, hoch mit ihren Habseligkeiten beladen. Das Lager wuchs unaufhörlich.

»Werden sie so viele Menschen überhaupt versorgen können?« Illicia hob den Sack mit dem kümmerlichen Rest Mehl, der von der Zuteilung übrig geblieben war. »Die Rationen hier reichen nicht zum Leben und nicht zum Sterben, wie soll das alles nur weitergehen?«

Ihr Vater Tollimos reichte seine wenigen Oliven an die Kinder weiter. »Esst nur, ihr seid jung, ihr braucht Kraft. Wir Alten sind mit wenig zufrieden. Nicht wahr, Bibulus?«

Laelias Vater nickte und schenkte seinem Freund einen Becher Wein ein. »Ja, du hast Recht, Tollimos, und solange wir hiervon genug haben, geht die Welt nicht unter.«

In der Tat, Wein hatten sie reichlich, denn Bibulus hatte beim Aufbruch die gesamten Vorräte seiner Taverne in Didyma auf den Wagen geladen. Auch Rubingetorix, seinem Schwiegersohn, gab er einen Becher, der ihn dankbar annahm und einige unverständliche Worte murmelte. Noch immer beherrschte der Gallier weder die lateinische noch die griechische Sprache vollständig, obwohl er schon seit Jahren mit Laelias Schwester Offilia verheiratet war.

Offilia, das jüngste ihrer Kinder auf dem Schoß, nahm ihrem Mann den Becher aus der Hand und tat einen tiefen Zug, bevor sie ihn zurückgab. »Ich glaube, Laelia, man hat dich bei der Ausgabe betrogen, wenn ich die Rationen betrachte. Das bisschen Mehl, Käse, Oliven. Morgen gehe ich, mal sehen, ob ich mehr ausrichten kann.«

»Ja, tu das.« Laelia stocherte mit einem Zweig im Feuer. Vielleicht hatte ihre Schwester wirklich mehr Erfolg, wenn sie ihren Charme spielen ließ. Zu wünschen wäre es, denn Laelia hatte wohl bemerkt, dass auch ihr Vater, ohnehin nicht der Kräftigste, seine kärgliche Ration heimlich den Enkelkindern zugesteckt hatte. Morgen würde sie mit Illicia auf den Markt gehen, nahm sie sich vor, denn insgeheim teilte sie die Befürchtung ihrer Freundin, die vielen Menschen würden nicht lange versorgt werden können. Illicia und sie hatten einige Ersparnisse, eine Zuwendung von Marcus Antonius, dem sie einmal eine Gefälligkeit erweisen konnten. Eine Gefälligkeit, die zu einer tiefen Freundschaft – und mehr – zwischen Illicia und dem Feldherrn geführt hatte. Und zwischen ihr, Laelia, und Antonius’ Gefolgsmann Silvanus Rhodius. Laelia seufzte innerlich. Obwohl ihre Beziehung mit Silvanus nun schon seit mehreren Monaten zu Ende war, sehnte sie sich manchmal doch noch nach ihm. Jetzt, zum Beispiel. Sie schob die Gedanken von sich. Morgen würde sie Illicia vorschlagen, in die Stadt zu gehen, um Lebensmittel zu kaufen. Laelia schaute den Burgberg hinauf, suchte die Gebäude, die ihnen ein freundlicher Nachbar gezeigt hatte. In der untergehenden Sonne strahlte der blendend weiße Marmor des weithin sichtbaren Theaters, dessen steile Sitzreihen sich in eine Bergmulde schmiegten, links neben der Bühne erhob sich der anmutige Tempel des Dionysos. Ein wenig höher zur Rechten lag der Athenatempel, in dessen Umfriedung sich die berühmte Bibliothek befinden sollte, und gleich daneben der viel gerühmte Zeusaltar, über dem eine kleine Rauchwolke aufstieg.

Ja, morgen wollte sie mit Illicia in die Stadt gehen, auch um auf andere Gedanken zu kommen.

Monoculos kam von der Latrine zurück, langsam und vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Erleichtert ließ er sich am Feuer nieder und rieb die Hände über den wärmenden Flammen. »Wir sollten vorsichtig sein«, mahnte er mit leiser Stimme. »Eben hörte ich, man hätte eine Tote gefunden, eine junge Frau, drüben in dem kleinen Wäldchen bei den Tongruben. Wohl eine von den Flüchtlingen, übel zugerichtet. Man munkelt, sie sei ermordet worden oder auch wilden Tieren zum Opfer gefallen. Hütet euch also davor, zu weit vom Lager wegzugehen, es soll Wölfe hier geben, Bären und Berglöwen. Besonders den Kindern solltest du das einschärfen, Herrin Offilia.« Seine Hände über dem Feuer zitterten leicht.

»Oh, ihr Götter, was soll nur aus uns werden!« Offilia zog die Kleinen schützend an sich. »Bedroht von Mördern, wilden Tieren, dem Hungertod und dann noch diese parthischen Barbaren auf den Fersen. Wo bleibt denn dein göttlicher Antonius, Illicia, der uns alle retten kann, wo bleibt er? Oh, Apollon, steh uns bei!«

Illicia erhob sich wortlos und ging in das Zelt. Laelia warf ihrer Schwester einen vorwurfsvollen Blick zu, schob mit einem Stock zwei Steine aus dem Feuer, wickelte sie in eine Decke und folgte ihrer Freundin. Bei all dem Kummer in dieser trostlosen Situation sollte sie wenigstens nicht frieren.

Kapitel II

Am frühen Morgen erschien ein Sklave bei Silvanus mit der Botschaft, man habe für ihn und seine Gattin ein Haus gefunden, nahe der unteren Agora, einem der beiden Marktplätze der Stadt. Leander hatte Wort gehalten. Lucida machte sich sofort mit ihrem Haussklaven Nasutus auf den Weg, das neue Heim in Augenschein zu nehmen. Offensichtlich hielt es ihrer strengen Inspektion stand, denn bald schickte sie den Befehl, ihre Habseligkeiten hinüberzuschaffen. Viel war es nicht, das meiste war in Ephesos geblieben, hatten sie doch nicht mit einem längeren Aufenthalt gerechnet.

Unlustig überwachte Silvanus die Sklaven beim Packen. Obwohl ihr neues Domizil in einer guten Wohnlage Pergamons lag, mit Blick über die gesamte Ebene, hätte er doch die gemütliche Herberge nahe dem Asklepieion vorgezogen, in der er sich eingemietet hatte, um sich ganz seiner Kur zu widmen. Doch seit Lucida mit den Sklaven zu ihm gestoßen war, war es ohnehin aus mit Ruhe und Gemütlichkeit, und sein Amt als Flüchtlingsbeauftragter erforderte eine repräsentative Unterkunft. Der Umzug ließ sich nicht vermeiden. Lieber jedoch hätte Silvanus in der Nähe des Regierungsviertels gewohnt, ganz oben auf dem Berg, wenn es denn schon sein musste, aber man konnte natürlich keinen der dort ansässigen Bewohner auf die Straße setzen. Sein neues Haus dagegen war vor kurzem frei geworden, so hatte Leanders Sklave berichtet. Bestimmt war es laut an der unteren Agora, und auch die Nachbarschaft der reichen Geschäftsleute und Händler behagte Silvanus nicht. Eingebildet waren die und verschlagen.

Nachdenklich sah er den Sklaven mit den zwei Eseln hinterher, die sich mit dem Gepäck auf den weiten Weg in die Stadt machten – das Asklepieion lag eine gute Meile vor den Toren Pergamons. Er verabschiedete sich wehmütig von seiner Wirtin, einer gutmütigen älteren Dame, die ihn mit Tränen in den Augen auf beide Wangen küsste – nun, er hatte sie auch gut bezahlt – beteuerte, ab und zu auf einen Becher Wein hereinzuschauen und folgte der schon in der Ferne verschwindenden kleinen Karawane mit seinen Habseligkeiten. Er würde seine Therapie auf jeden Fall fortsetzen, tröstete er sich, mindestens jeden zweiten Tag. Wollte er sein Rückenleiden nicht wieder aufleben lassen, brauchte er das bei so einer anstrengenden Aufgabe unbedingt. Die Bäder, die Schlafkuren, die Trancezustände, in die ihn die Ärzte versetzt hatten, diese Fürsorge, die er in den letzten Monaten tagtäglich erfahren hatte, all das mochte er nicht mehr missen.

Vor einem der zahlreichen Geschäfte, die die Heilige Straße säumten, blieb er stehen und betrachtete die Auslage: Nasen, Ohren, Hände, Füße – Opfergaben für das Asklepieion. Für jedes erkrankte Körperteil gab es das passende künstliche Gegenstück. Doch auch kleine Statuen des Asklepius, kostbaren Weihrauch und fein verzierte Opfermesser konnte der Käufer erwerben und dem Gotte weihen, sei es als Dank nach erfolgter Heilung, sei es als Bitte, die Gesundung zu beschleunigen – die Priester nahmen alles dankbar entgegen. Eine kleine Skulptur zog seinen Blick auf sich, eine Schlafende mit langen, braun bemalten Locken. Die Leiche der jungen Frau kam ihm in den Sinn. Er musste sie noch untersuchen, das war unumgänglich, und sie befand sich hier in der Nähe, im Totenhaus des Asklepieions. Er sollte es jetzt hinter sich bringen, Lucida und das neue Haus konnten warten.

Kurz vor dem Tor zum Asklepieion fand er das Gebäude, in das die Toten gebracht wurden – Verstorbene innerhalb des Heiligtums waren undenkbar, der Tod hatte dort keinen Platz. Ein seltsamer Geruch schlug ihm entgegen, als er die Tür öffnete – sein Klopfen war ungehört verhallt – eine Mischung aus Weihrauch, Kräutern und Verwesung, die ihm auf den Magen schlug. Er schluckte. Noch während er sich in dem säulenumstandenen Innenhof umblickte und sich fragte, hinter welcher der vielen Türen die Tote wohl auf ihn wartete, näherten sich Schritte. »Ave Silvanus, was führt dich hierher?« Ein schlanker, gut aussehender Mann mit vollem, dunkelblonden Haar und regelmäßigen Gesichtszügen trat aus dem Raum zu seiner Rechten.

»Ave Nessos, welch eine Überraschung, dich hier anzutreffen!« Silvanus kannte ihn gut, er war einer der Ärzte, die ihn im Asklepieion behandelt hatten. Dass Nessos sich auch mit der Forschung an Toten befasste, war Silvanus neu, er hatte ihn als Experten der konservativen Therapie – Diäten, Bäder, Trancen – kennen gelernt und die Sitzungen bei ihm sehr genossen. Wie er gehört hatte, entstammte der Arzt einer alteingesessenen pergamenischen Familie, sein Vater Imbrassos war der oberste Sicherheitsbeamte der Stadt.

Nessos blickte ihn mit wachen tiefblauen Augen an. »Nun Silvanus, man lernt nie aus, und unser Heiligtum bietet beste Möglichkeiten, meine Kenntnisse zu vertiefen. Du weißt, die führenden Kapazitäten aller Fachrichtungen praktizieren hier. Ich hoffe, bald ebenfalls dazuzuzählen und einer der besten Ärzte am Ort zu sein. Doch hast du mir noch nicht gesagt, was du hier suchst. Ist es reine Neugierde? Soll ich dich herumführen?«

»Nein, nein, vielen Dank, lieber Freund«, Silvanus hob abwehrend die Hände, »ich bin nicht freiwillig hier. Man hat mich beauftragt, den Tod der jungen Frau zu untersuchen, die gestern gefunden wurde. Man hat sie hierher gebracht, weißt du etwas darüber?«

»Ja natürlich. Ich habe sie mir gemeinsam mit Sozomenos, dem Obersten unserer Ärzte, angesehen. Er hat das Sezieren in Ägypten gelernt und ist auf diesem Gebiet ein Experte, der seinesgleichen sucht. – Sie bietet keinen schönen Anblick.« Betroffen rieb sich Nessos die Nase. »Schade um die junge Frau. Ich bringe dich zu ihr, sie liegt nebenan.«

Silvanus zögerte. »Äh, Nessos, vielleicht kannst du mir vorab schon einige Informationen geben. Und – hättest du einen Becher Wein für mich?«

»Selbstverständlich. Nimm Platz, ich werde welchen holen lassen.«

Während Nessos nach einem Sklaven suchte, setzte sich Silvanus im Innenhof auf eine Bank und wischte sich die Stirn. Er fühlte sich schlecht, schon jetzt. Sein Magen hob sich. Wie sollte das erst werden, wenn er die Leiche ansehen musste? Ob er Nessos nach einem Mittel gegen Übelkeit fragen sollte? Konnte er sich diese Blöße geben?

Doch er wurde der Entscheidung enthoben. Nessos war zurückgekommen, hatte sich neben ihn gesetzt und ihm besorgt eine Hand auf den Arm gelegt. »Du bist blass, Silvanus, es ist der Magen, nicht wahr? Ich habe befohlen, spezielle Kräuter in den Wein zu mischen, das wird dir gut tun.«

Ein junger Sklave brachte den Wein. Dankbar nahm Silvanus den Becher entgegen und trank einen tiefen Schluck. Doch, er konnte dem Arzt vertrauen, das fühlte er. »Danke, Nessos. Es sind die Leichen, weißt du, allein der Gedanke, eine ansehen zu müssen, lässt mir den Magen steigen.« Wieder trocknete er sich den kalten Schweiß von der Stirn. Nein, er würde sich die Tote nicht ansehen, es reichte, wenn Nessos ihm die wesentlichen Fakten mitteilte. Der war Arzt, hatte offensichtlich Erfahrung in diesen Dingen und das Mädchen schon untersucht. Warum also sollte er sich das antun? Ihm war elend. »Berichte mir von euren Ergebnissen«, brachte er hervor. Erneut nahm er einen tiefen Schluck von dem Wein. Langsam fühlte er sich besser, die Kräuter begannen zu wirken.

Nessos betrachtete ihn prüfend, nickte dann. »Gut. Ich helfe Sozomenos schon seit einigen Jahren bei den Leichenöffnungen. Dieses Mal hat er mir die Untersuchung der Toten überlassen und war sehr zufrieden.« Ein stolzes Lächeln überflog sein Gesicht. »Sozomenos ist jetzt über siebzig, seine Augen sind nicht mehr die besten, und auch das Herz macht ihm zu schaffen. Ich fürchte fast, er wird nicht mehr lange unter uns weilen, obwohl wir uns alle die größte Mühe geben, seinen Zustand zu bessern. Aber du weißt ja, Heilkundige sind immer die schwierigsten Patienten.« Nessos hatte den richtigen Ton getroffen, Silvanus atmete wieder freier.

Der Arzt fuhr fort: »Wollen wir hoffen, dass dieser geniale Mann uns noch lange erhalten bleibt. Übrigens hat er mich auch gelehrt, was im Falle eines unnatürlichen Todes wichtig und zu beachten ist. So kann ich dir einiges über das Opfer sagen, obwohl der Körper schon Zeichen fortgeschrittener Verwesung aufweist. Sie hatte sieben Einstiche im Unterleib, ein weiterer Stich traf das Herz und führte zum Tode. Ich gehe davon aus, dass man der Frau die Verletzungen im Unterleib nach ihrem Tod zufügte, denn ich fand keinerlei Hautabschürfungen oder Blutergüsse, die auf eine Fesselung hindeuten, oder sonstige Hinweise darauf, dass sie sich zur Wehr setzte. Auch nichts unter den Fingernägeln, ebenso keine anderen Verletzungen, Schlagwunden oder Ähnliches.«

»Kannst du mir sagen, wann sie gestorben ist?«

»Schwer zu sagen.« Nessos überlegte einen Moment. »Ich schätze, vor mindestens zwei Wochen. Das feuchte, kühle Wetter hat natürlich den Fortgang der Verwesung verlangsamt. Aber für diesen Zeitraum spricht auch das Entwicklungsstadium der Maden, die ich fand. Sie sind noch recht klein, kaum auszumachen. Nun, es gibt noch nicht viele Fliegen, und die Witterung ließ sie langsam wachsen.«

Maden – bei deren Erwähnung stieg Silvanus ein saurer Geschmack in die Kehle, er bekämpfte ihn mit einem Schluck Wein. Dennoch, die sachkundigen und präzisen Ausführungen des Arztes beeindruckten ihn; erleichtert stellte er fest, dass der Mann, nahezu im gleichen Alter wie er selbst, umfassende Kenntnisse besaß. Von der leidigen Last der Leichenschau befreit, erwachte in ihm der Ermittler. Diesen Teil der Arbeit mochte er, Schlüsse ziehen, einzelne Mosaiksteinchen zu einem Gesamtbild des Verbrechens zusammenfügen, den Täter einkreisen – wenn es denn genug Anhaltspunkte gab. »Fandest du Hinweise, dass sie vergewaltigt wurde?«

»Schwer zu beurteilen.« Nessos scheuchte eine frühe Fliege von seinem weißen Chiton, bevor er weitersprach. »Der Genitalbereich wies keine sichtbaren Verletzungen auf, das ist das Einzige, was ich sagen kann.«

»Und das Tatwerkzeug?«

»Ein scharfer, spitzer Gegenstand, ein großes Messer wahrscheinlich, aber auch ein Schwert oder eine Lanze wäre denkbar. Nicht leicht zu sagen, Silvanus, wäre die Leiche frischer gewesen, hätte ich es eher eingrenzen können. Die Wunden verändern sich mit der Zeit, in kalter Witterung ziehen sie sich zusammen, infolge einsetzender Fäulnis weiten sie sich wieder. Doch so viel ist sicher, es war keine kleine Waffe, denn die Stiche gehen tief, und sie hatte eine gerade, nicht gezahnte Klinge.«

Silvanus nickte. Ein Messer oder ein Schwert, darauf hatte er auch geschlossen, als er die Verletzungen der Toten sah. Und dass sie mindestens zwei Wochen gelegen hatte, wie Nessos sagte, deckte sich mit seinen Beobachtungen des Untergrundes, wenn er auch vom Zustand des Leichnams her die Zeit nicht ganz so lange angesetzt hätte. Dem kalten Frühjahr war es zu verdanken, dass der Arzt überhaupt einige Angaben machen konnte, wenn sie auch mit Vorsicht zu betrachten waren, wie Silvanus wusste. Doch immerhin gab es Anhaltspunkte. »Die fehlenden Fesselungs- und Abwehrspuren deuten darauf hin, dass sie ihren Mörder gekannt hat«, sinnierte er. »Erwartete sie ein Kind, hast du das untersucht, Nessos? Vielleicht wollte sich jemand einer unangenehmen Verpflichtung entledigen.«

»Natürlich habe ich das untersucht, nein, sie war nicht schwanger.«

»Hm, sieht dennoch nach einer Beziehungstat aus, wie die meisten Morde. Wenn wir wissen, wer sie ist, dürfte es nicht schwierig sein, den Täter zu fassen.« Silvanus erhob sich. »Du hast mir sehr geholfen, Nessos. Darf ich dich noch bitten, mich sofort zu verständigen, sollte sich bei euch jemand melden, der sie kennt?«

»Auf jeden Fall. Ich werde mein Bestes tun, dir zur Seite zu stehen, Silvanus. Ein solch blühendes Leben auszulöschen ist eine unaussprechliche Untat. Doch noch etwas anderes: Ich hörte, du bist mit der Organisation des Flüchtlingslagers beauftragt. Warst du schon dort?«

Silvanus zog die Augenbrauen in die Höhe. So schnell hatte sich die Neuigkeit verbreitet? »Nein, ich war noch nicht dort, bekam ich doch erst gestern den Auftrag und musste mich in die Unterlagen einlesen, mit den bisher Verantwortlichen sprechen. Ich wollte nachher dorthin, um mir einen Überblick zu verschaffen. Warum fragst du?«

»Ich mache mir Sorgen. Noch scheinen die Verhältnisse recht gut geordnet, aber erfahrungsgemäß wird es nicht mehr lange dauern, bis sich Krankheiten ausbreiten. Meist wird ja erst gehandelt, wenn es bereits zu spät ist, deswegen hätte ich gern von dir die Erlaubnis, im Lager nach dem Rechten zu sehen. Ich möchte den Leuten erklären, worauf sie achten müssen, welche Kräuter sie sammeln können, um sich vor Krankheiten zu schützen, und diejenigen, die schon erkrankt sind, sofort behandeln. Wenn wirklich eine Seuche ausbräche, könnten alle Ärzte von Pergamon zusammen ihr keinen Einhalt gebieten, unsere Medikamente würden nicht reichen, auch die Einwohner der Stadt wären gefährdet. Habe ich deine Unterstützung?«

Beeindruckt von der Umsicht und Sorge des Arztes reichte Silvanus ihm die Hand. Tatsächlich hatte er sich über solche Gefahren noch keinerlei Gedanken gemacht. »Natürlich. Ich bin dir sehr zu Dank verpflichtet, Nessos.«

»Gut, dann werde ich am Nachmittag meinen ersten Besuch im Lager machen.« Nessos begleitete ihn hinaus. »Und vergiss über all der Arbeit nicht, dass du noch nicht vollständig genesen bist. Wirst du morgen den Termin bei mir einhalten können?«

»Nichts wird mich von der Therapie und ihrer wohltuenden Entspannung fern halten können.«

Erleichtert schritt Silvanus die Heilige Straße entlang. Den Göttern sei Dank für diesen Arzt, der ihm die leidige Leichenuntersuchung erspart hatte und sich nun auch noch um die Gesundheit der Flüchtlinge kümmern wollte, ein Punkt, der ihm, Silvanus, sicher positiv angerechnet würde.

An der Brücke über den Selinos hielt er inne. Die reißenden Fluten des Flusses umspülten bereits die Sträucher und Bäume am Ufer. Es hatte viel geregnet in den letzen Wochen, ob wohl mit Überschwemmungen gerechnet werden musste? Das wäre eine potenzielle Gefahr für das Flüchtlingslager, das ein gutes Stück westwärts den Fluss hinunter lag. Nicht auszudenken, was passierte, sollte der Selinos dort wirklich über seine Ufer treten. Doch die einheimischen Beamten hatten sicherlich nicht ohne Bedacht diesen Platz ausgewählt. Sie kannten das Wetter im Frühjahr, sie kannten den Fluss. Hoffentlich. Silvanus zog seinen Mantel enger um sich und setzte seinen Weg fort. Bald passierte er das Tor in der Stadtmauer, dann ragten die zweigeschossigen Hallen der unteren Agora vor ihm auf. Zur Linken lag sein neues Heim. Sollte er wirklich jetzt dorthin gehen, wo Lucida ihre Habseligkeiten einräumen ließ, die Sklaven geschäftig hin und her eilten und er gewiss mit diversen Aufgaben betraut werden würde? Er könnte natürlich seinen Rücken vorschieben, der ja noch immer nicht so belastbar war wie einst. Lucida würde dann wahrscheinlich seinen stattlichen Bauch mit skeptischen Blicken mustern und spitz bemerken, dass sein Rücken nie heilen würde, wenn er immer solch immenses Gewicht mit sich herumschleppte. Wann hatte ihm seine Frau eigentlich das letzte Mal etwas Nettes gesagt?

Nein, er würde sein neues Domizil jetzt noch nicht aufsuchen. Es gab Wichtigeres zu tun, er war Flüchtlingsbeauftragter und musste einen Mord aufklären. Die Töpfer zu befragen hatte jetzt Vorrang.

Viel erfuhr er nicht. Keiner von Demetrios’ Arbeitern hatte in dem entsprechenden Zeitraum etwas Außergewöhnliches bemerkt, niemand kannte ein Mädchen, auf das die Beschreibung passte, keiner hatte sie je hier gesehen. Auch in den anderen Werkstätten erfuhr er nichts Neues. Man habe Besseres zu tun, als auf Passanten zu achten, so wurde er belehrt, man müsse arbeiten, seinen Lebensunterhalt verdienen. Die hübsche Verkäuferin von neulich war auch heute nicht da, stellte Silvanus enttäuscht fest, als er die Verkaufsstätte betrat. Ein junger Mann, der statt ihrer aus einem der hinteren Räume trat, klärte ihn auf, dass sie auch nicht wiederkäme, der Meister habe sie entlassen, als sie seine Zudringlichkeiten abwehrte. Könne er helfen? Silvanus bejahte und befragte ihn nach etwaigen Beobachtungen. Nein, er habe nichts bemerkt, was mit dem Mord in Zusammenhang stehen könne, antwortete der junge Mann bereitwillig, die Verkäufer hätten die Aufgabe, die Tonwaren zu bemalen, wenn keine Kunden zu bedienen seien, man säße nicht den ganzen Tag im Laden, wie oben in der Stadt. Ob er Bichairos kenne? Natürlich kenne er den, jeder kenne ihn, ein rechter Tunichtgut sei der, seine Frau habe es nicht leicht mit ihm. Er lachte. »Wenn die Götter je einen Schürzenjäger geschaffen haben, dann den. Doch er hat seinen Preis bezahlt, erst seit drei Tagen kann er wieder arbeiten. Es heißt, er hat sich etwas bei den Prostituierten geholt.« Der Jüngling plauderte weiter, genoss offensichtlich die Aufmerksamkeit, die ihm von einem römischen Magistraten zuteil wurde. Ob er auch Demetrios kenne, fragte Silvanus. Allerdings, der sei ein schwieriger Mann, stelle aber die besten Tonwaren Pergamons her, das müsse man ihm lassen. Oh nein, verheiratet sei der nicht, er liebe Knaben, mache daraus keinen Hehl. Was man hier im Töpferviertel über den Mord denke? Die Sache sei doch klar, einer der Kerle aus dem Flüchtlingslager sei es gewesen, wer sonst. »Das Mädchen stammt bestimmt auch von dort, da solltest du einmal nachforschen. Wer wie die auf Kosten anderer lebt, schreckt auch vor Verbrechen nicht zurück, das weiß doch jeder.«