Wissen, Bildung und Schule neu denken - Udo F. Schmälzle - E-Book

Wissen, Bildung und Schule neu denken E-Book

Udo F. Schmälzle

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Beschreibung

Bildung wird zur entscheidenden Ressource des 21. Jahrhunderts. Dabei wird Bildung, die nur Wissen vermittelt und fachlich qualifiziert, nicht genügen. Was junge Menschen brauchen, sind vor allem soziale Kompetenzen und die Fähigkeit, eine humane und schöpfungsgerechte Zukunft zu gestalten. Udo F. Schmälzle zeigt auf, dass sich bei Franz von Assisi Impulse zu einer modernen Pädagogik finden lassen. Der Heilige aus Umbrien war gewiss kein ausgewiesener Erzieher, aber sein Gottes- und Menschenbild, seine Einstellung zur Schöpfung und nicht zuletzt sein Umgang mit Menschen fremder Kulturen geben hilfreiche Impulse für eine tragfähige Erziehungs- und Bildungsarbeit. Das in diesem Buch dargelegte franziskanische Bildungskonzept bleibt nicht in der Theorie, es ist durch die Praxiserfahrung des Autors im Schulalltag und in der Bildungsarbeit gedeckt.

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Udo F. Schmälzle

Wissen, Bildung und Schule neu denken

Zugänge zu einemfranziskanischen Bildungskonzept

Franziskanische Akzente

herausgegeben von Mirjam Schambeck sfund Helmut Schlegel ofm

Band 19

UDO F. SCHMÄLZLE

Wissen, Bildungund Schule neu denken

ZUGÄNGE ZU EINEMFRANZISKANISCHENBILDUNGSKONZEPT

echter

Herzlicher Dank geht an Eva Kasper für die Zuarbeit bei den Korrekturen sowie an die Deutsche Kapuzinerprovinz für die finanzielle Unterstützung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2018

© 2018 Echter Verlag GmbH, Würzburg www.echter.de

Umschlag: wunderlichundweigand.de (Foto: shutterstock)

Satz: Crossmediabureau – http://xmediabureau.de

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN

978-3-429-05324-6

978-3-429-05001-6 (PDF)

978-3-429-06411-2 (ePub)

Inhalt

1. Einführung

War Franziskus ein „Bücherstürmer”?

Warum solche Abgrenzungen?

Was steht hinter seiner„Hermeneutik des Verdachts”?

Zugänge zu einer franziskanischen Pädagogik

2. Welche Bedeutung hatten Wissen, Lernen und Bildung im Leben von Franziskus?

„Als ich noch in Sünden war…”:Kindheit und Jugend

„Was willst Du, Herr, dass ich tun soll?”Bekehrung und Neuaufbruch

„Nachdem mir der Herr Brüder gegeben hatte…”Vom Gottsucher zum Ordensgründer

„Wer innehält, erhält Innen Halt!” (Laotse):Grundlagen einer franziskanisch inspiriertenPädagogik

„ Entbildung“ als pädagogisches Prinzip

Die Gottesbeziehung als spiritueller Glutkern

Auf der Suche nach der „wahren Wissenschaft“

3. „Man kann nicht nicht erziehen!”:Das franziskanische Paradox

Verzicht auf Angst, Zwang und Gewalt

Teilhabe ermöglichen

Ermutigung zur spirituellen Subjektwerdung

Klara: Mehr als „die kleine Pflanzedes heiligen Vaters”!

Integrieren und Resozialisieren

„Bruder Wolf” und die Frage nach den„Rechten der Tiere”

Leiten, ohne zu demütigen

Frieden durch Begegnung und Dialog

„Zuerst handeln, dann lehren”

Ergebnis

4. „Der Mönch macht aus Dreck Gold!” (Pestalozzi):Bildung und Erziehung in der weiteren Geschichteder franziskanischen Bewegung

Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen

Die franziskanische Bewegung als „Sollbruchstelle“ in der Geschichte der Kirche

Ortbestimmung christlicher Schulen in der postsäkularen Gesellschaft

Haltungen und Erziehungsziele auf der Grundlage franziskanischer Spiritualität: Schulprofil des Franziskanergymnasiums Kreuzburg

Suchen

Staunen

Glauben

Andere achten

Anteil nehmen

Einander begegnen

Schöpfung bewahren

Chancen geben

Rückmeldungen

5. Anmerkungen

6. Abkürzungsverzeichnis

1. Einführung

War Franziskus ein „Bücherstürmer”?

Die Biographen des hl. Franz von Assisi (1182-1226) lassen keinen Zweifel: Das Streben von Brüdern nach Wissen und Bildung und der Besitz von Büchern haben ihn wenig interessiert. Brüder, die Bücher haben wollten, waren ihm verdächtig und erhielten meistens eine kräftige Abfuhr. „‚Viele‘, sprach er, ‚macht Wissen ungelehrig“‘ (2C 194,2; FQ 404). Beim Mattenkapitel 1218, an dem sich eine große Zahl von Brüdern, auch auf Betreiben des mächtigen Kardinals Hugolin, an der Regel des hl. Benedikt orientieren wollte, kontert er mit einer nicht zu überbietenden Schärfe: „Durch eure Wissenschaft und Weisheit aber wird euch Gott zuschanden machen!“ (Per 18,6, FQ 1106). Was ist das für ein „Wissen“, vor dem Franziskus warnt? Welche „Wissenschaft“ macht „ungelehrig“? Wir treffen auf seltsame Widersprüche. Franziskus ermahnt die Brüder, jedes Fitzelchen Papier zu retten, auf dem auch nur ein Wort aus dem Munde Jesu zu lesen war. Auf der anderen Seite versperrt er mit dem Bücherverbot den Analphabeten unter den Brüdern den Zugang zur eigenständigen Urteilsbildung mit der Bibel. „Den anderen [Laien], die des Lesens unkundig sind, soll es nicht gestattet sein, ein Buch zu haben“ (NbR 3,9; FQ 72). Lediglich die Bücher zum Beten des Stundengebetes wollte er unter seinen Brüdern wissen. Dem hl. Antonius von Padua erlaubte er zwar, Brüdern die heilige Theologie vorzutragen, ermahnte ihn jedoch ausdrücklich, „durch dieses Studium [nicht] den Geist des Gebetes und der Hingabe auszulöschen“ (Ant 2; FQ 108).

Warum solche Abgrenzungen?

Wenn Franziskus bestimmte Formen der Wissenschaft und Bildung von seinen Brüdern fernhalten wollte, hat dies vermutlich mehrere Gründe.

Immer wieder warnt er vor der „Weisheit dieser Welt“, vor „jeglichem Stolz und eitlem Ruhm“, einer Grundhaltung, die alles Können und Wissen sich selber zuschreiben will und damit blind wird für die Erkenntnis, dass wir alles Wissen und Können Gott verdanken. Dazu kommt, dass die „Weisheit dieser Welt“ dazu verführt, nur „Worte zu machen, weniger aber zum Wirken“ (NbR, 17,9–11; FQ 83).

Mit seinen klaren Anweisungen in der Regel wollte er ferner verhüten, dass sich seine Brüder den „Minores“, den Ungebildeten, Analphabeten und Armen, entfremden und unfähig werden, als Arme unter den Armen zu leben. Deshalb seine Hermeneutik des Verdachts gegen die geltende Bildungs- und Wissenschaftspraxis seiner Zeit, die er sicher in seiner Jugend selbst erlebt hatte. Franziskus war jedoch kein Bücherstürmer! Ihm ging es um ein anderes und neues Bildungsverständnis, um eine neue Sinn- und Zielbestimmung für die Ausbildung seiner Brüder. Er verlangte von seinen Brüdern, dass sie die Lebensform der Menschen in Armut und Bildungsferne teilen, um dann an der Seite der Armen Gott zu finden und mit ihnen Kirche und Gesellschaft neu zu gestalten. Er wollte Arme und Analphabeten seiner Zeit jedoch an Bildung und Kultur teilhaben lassen, deshalb dichtete er nicht in Latein, der Sprache der Literaten, sondern in der Sprache der Illiteraten, des einfachen Volkes. „Il cantico del sol“, der Sonnengesang, gilt unter Romanisten als das älteste altitalienische Sprachdokument.

Franziskus ist also kein kleingeistiger und naiver Analphabet! Er kannte die Bibel, schuf mit dem Sonnengesang Weltliteratur, entwickelte für seine Brüder ein völlig neues Regelwerk, ermahnte in Briefen alle „Lenker der Völker“ und „Kleriker“ und scherte sich nicht um die Meinung von Papst und Bischöfen, wenn er sich nur auf sein Gewissen, die Bibel und die Offenbarungen „seines allerhöchsten Herrn“ berufen konnte! Wissen, das ihm und den Brüdern half, die Bibel besser zu verstehen, war ihm heilig. Für Helmut Feld wurde der Orden der Franziskaner bereits hundert Jahre nach Franziskus zur „Domäne der exegetischen Wissenschaft“.1 Nicht erst Martin Luther hat aus der Unmittelbarkeit seiner Gotteserfahrung gelebt und sich auf sein Gewissen berufen. Dass wir es bei Franziskus mit einem höchst gebildeten Menschen zu tun haben, der sicher mehrere Sprachen beherrschte, messerscharf denken und urteilen konnte und über ein Höchstmaß an Empathie und Einfühlungsvermögen verfügte, zeigt sich in seinem Umgang mit den Gelehrten und Mächtigen seiner Zeit, aber noch mehr in seinen Verhaltenskonzepten, die wir aus den Berichten und Erzählungen zu seinem Leben, Denken und Handeln erschließen können. Weshalb kommt es dann zu diesen heute unverständlichen Attacken gegen Bücher, Studium, Wissenschaft und Bildung?

Was steht hinter seiner„Hermeneutik des Verdachts”?

Eins ist ganz sicher: Franziskus grenzt sich klar und unmissverständlich von dem ab, was die Menschen seiner Zeit als, Wissen“ suchten und wofür sie in Kirche und Welt dieses „Wissen“ einsetzten. Damit opponiert er gegen die damalige Wissenschaftspraxis und tut alles, um seine Brüder von diesen Strukturen fernzuhalten. Diese Abgrenzung ist wissenssoziologisch für das Verständnis seines Denkens und Handelns von größter Bedeutung. Er steigt aus den Formen aus, wie Menschen damals zu Wissen und Erkenntnis und damit auch zu Macht und Geltung kommen konnten. Jahrhunderte später stellt Michel Foucault fest, „dass sich Macht immer an Wissen und Wissen immer an Macht anschließt. Es genügt nicht zu sagen, dass die Macht dieser oder jener Entdeckung, dieser oder jener Wissensform bedarf. Vielmehr bringt die Ausübung von Macht Wissensgegenstände hervor, sie sammelt und verwertet Informationen.“2 Franziskus hat in seiner Zeit und auf seine Weise auch Macht ausgeübt. Was sind nun die „Wissensgegenstände“, die für ihn verbindlich sind und auf die er in seinen Briefen an die „Lenker der Völker“, die „Gläubigen“ und die „Kustoden“ Bezug nimmt?

Hat Franziskus Jahrhunderte vor Lyotard und Foucault bereits diesen verhängnisvollen Interessenmix von Wissen und Macht erkannt und durchschaut und bereits für seine Zeit nach Alternativen gesucht? Wenn ja – und vieles spricht dafür –, dann ist zu klären, wann und wo er diese Alternativen anspricht und wie er sie begründet. Damit stellt sich definitiv die Frage, wie Franziskus sich selbst in den damaligen Wissens- und Gesellschaftsstrukturen verstand und wie er sich mit seiner Bruderschaft in diesen Strukturen neu positionieren wollte. Es geht um alternative Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, um die Schaffung einer neuen Ordnung und eines neuen Zugangs, um sich selbst, die Menschen, die Welt und die Kirche zu verstehen. Mit der Abgrenzung von den scheinbar objektiv gültigen und das Leben der Menschen bestimmenden Weltsichten, Menschenbildern und Ordnungen macht sich Franziskus an die Arbeit, die Wirklichkeit neu zu denken und zu konstruieren. Wenn sich ein Mensch oder eine Gruppe in dieser Weise abgrenzt, wenn er aussteigt und sich gegenüber den geltenden kulturellen Standards seiner Zeit neu zu positionieren versucht, kann er nach Bourdieu3 gar nicht anders, als neue Haltungen – er spricht dabei von einem „Habitus“ – zu entwickeln, die ihm helfen, mit der Welt und den Menschen zurechtzukommen. In der Sozialforschung sprechen wir in diesem Zusammenhang von Transformationsprozessen. Genau darum geht es in den weiteren Ausführungen. Es wird interessant, diesen Prozess bei Franziskus weiterzuverfolgen.

Die Tatsache, dass uns Franziskus eine wunderbar ausformulierte Begründung zum Leben in Armut, aber kein Bildungskonzept hinterlassen hat, erlaubt aus wissenssoziologischer Perspektive nicht, die Frage nach Zielen und Inhalten einer franziskanischen Pädagogik ad acta zu legen. Wenn wir uns die Wirkung seines Denkens und Handelns auf Menschen bis heute vergegenwärtigen, dann zwingt uns diese Lücke, in seinen Schriften und in all den Erzählungen und Berichten über sein Leben uns auf die Spurensuche zu begeben und aufmerksam die Berichte zu Einstellungen und Verhaltensweisen aufzugreifen, in denen er „pädagogisch“ tätig wurde und bis heute die Menschen zur Nachfolge motiviert. Es ist doch erstaunlich, wie viele Schulen, Kindertagesstätten und Bildungseinrichtungen sich mit Franziskus beschäftigen und ihre Häuser nach ihm benennen. Was fasziniert die Menschen in diesen Einrichtungen an Franziskus?

Zugänge zu einer franziskanischen Pädagogik

Während die Armutsfrage als entscheidende Leitkategorie die Franziskusforschung durch all die Jahrhunderte bestimmte, blieben Aspekte franziskanischer Bildung und Erziehung eher ein Randthema. Es entsteht sehr schnell der Verdacht, dass Bildungseinrichtungen und Schulen nichts mit den ursprünglichen Intentionen des Gründers zu tun haben und ein Beispiel dafür sind, wie sich der Orden für die Rekrutierungsinteressen der Kirche instrumentalisieren ließ.

Könnte es sein, dass die seit Sabatier dominierende Hermeneutik zur franziskanischen Bewegung als „Verfallsgeschichte“ nicht doch eine Engführung darstellt? Franziskus wird heroisiert und zum Advokaten gegen eine korrupte und machtbesessene Kurie hochstilisiert, der es am Ende aber doch gelingt, die franziskanische Reformbewegung für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren.

Wenn wir wissenssoziologisch Bourdieu folgen, der klar feststellt, dass jemand, der in dieser Radikalität wie Franziskus aus einem Gesellschaftssystem mit seiner Wissenskultur aussteigt, geradezu gezwungen ist, sich neu zu erfinden, um in Welt und Kirche überhaupt wieder zurechtzukommen, wie hat sich Franziskus dann diesen Herausforderungen gestellt? Welche Lösungen haben die folgenden Generationen gefunden? Bevor wir von einer „Verfallsgeschichte“ sprechen, lohnt es sich, im Leben dieses großartigen Menschen auf Spurensuche zu gehen, um herauszufinden, zu welchen Lösungen er bereits in seinem Leben gekommen ist.

Dabei richtet sich unser Blick zunächst einmal auf die religiöse Entwicklung von Franziskus. Auf welche Traditionen und Wissensbestände hat er zurückgegriffen, kurzum: was hat ihn „gebildet“ und sein Denken geprägt? Wer waren seine „Vorbilder“, an denen er sich orientierte oder von denen er sich abgrenzte? Wer war der geheime „Erzieher“, der hinter dem Leben und Werk von Franziskus steht? Wie hat er den Weg zu den Armen gefunden? Wozu wollte er seine Brüder „erziehen“? Das sind spezifisch pädagogische Fragen, auf die man in seinen Schriften und Biographien eine Antwort finden kann. Lassen sich aus solchen Erkenntnissen Prinzipien ableiten, die es uns erlauben, von einer eigenen franziskanisch ausgerichteten Pädagogik zu sprechen, die vielleicht genauso viel Sprengstoff und Konfliktpotential enthält wie sein Armutsverständnis? Was ist aus seinen pädagogischen Prinzipien in der weiteren Organisationsentwicklung des Ordens geworden?

Jedenfalls lohnt es sich, Franziskus und die Geschichte der Ordensgemeinschaften, die sich auf seine Regel berufen, einmal aus dieser Perspektive zu betrachten, gerade weil Franz von Assisi in den vergangenen acht Jahrhunderten dieser sogenannten „Verfallsgeschichte“ Generationen von Frauen und Männern in- und außerhalb des Ordens mit seinen Ideen prägte und ihr Leben formte. Wir finden in seinen Schriften sicher keine explizite franziskanische Bildungstheorie, genauso wenig, wie wir in der Bibel auf eine ausformulierte Theorie zur christlichen Katechetik