Witch & Wizard (Band 3) – Verborgenes Feuer - James Patterson - E-Book

Witch & Wizard (Band 3) – Verborgenes Feuer E-Book

James Patterson

4,9

Beschreibung

Whit und Wisty sind dem Einen zwar entkommen, doch dieser lässt sie nun das ganze Ausmaß seiner Bosheit spüren: Eine grauenhafte Seuche ist ausgebrochen und nur Whit und Wisty können die Menschheit vor dem Untergang bewahren. Zudem verdichten sich Hinweise, dass ihre Eltern gar nicht tot sind. Doch um sie zu retten, müssen die Geschwister erneut ins Schattenland reisen. "Verborgenes Feuer" ist der dritte Band der Witch & Wizard-Trilogie von Bestsellerautor James Patterson. Spannende Action und Nervenkitzel garantiert! Mehr Infos rund um Buch und Autor findest du hier: www.witchandwizard.de

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Beliebtheit




Für Jack, ohne den ich diesen langen, verschlungenen, magischen Weg nie beschritten hätte. Eines Tages wirst du König sein – und zwar ein sehr guter. – J. P.  

Willkommen in deinem schlimmsten Albtraum –

in einer Welt, die du dir vielleicht nicht mal vorstellen kannst.

Es ist eine Welt, in der sich alles verändert hat.

Es gibt keine Bücher, keine Filme, keine Musik,

keine Redefreiheit mehr.

Alle Menschen unter achtzehn Jahren gelten als verdächtig.

Man könnte dich und deine Familie

jederzeit verschleppen und einsperren.

Du bist vollkommen überflüssig.

Unerwünscht.

Was ist das für eine Welt?

Wo könnte so etwas passieren?

Darum geht es nun wirklich nicht.

Es geht darum, dass es passiert ist.

Bei uns passiert es genau jetzt.

Und wenn du nicht die Augen aufmachst und achtgibst,

WHIT

Ihr wollt ein Märchen hören, was? Ich fürchte, damit kann ich nicht dienen.

Dabei habe ich so einige Abenteuer erlebt. Abenteuer voller Magie, Mord und dunkler Machenschaften – und mit einem Bösewicht, der gemeiner und skrupelloser ist als jedes Monster, das je unter einem Bett gelauert hat.

Aber leider kommen in meiner Geschichte keine Helden vor. Ich kann nicht den Helden spielen. Nicht mehr. Dafür ist schon zu viel passiert.

Und so ist es gelaufen …

Es war einmal ein brillanter Redner, ein intelligenter und charmanter Mann. Die Leute strömten aus allen Ecken der Oberwelt herbei, um sich von seinen Versprechungen hypnotisieren zu lassen. Sie nannten ihn Den Einen, Der Der Einzige Ist, und das hatte einen guten Grund – er war der eine Mensch, der die Welt verändern sollte. Erst als er den Leuten alles genommen hatte, begriffen sie, was sie verloren hatten.

Zunächst mussten wir zusehen, wie unsere Bücher brannten. Die grauen Rauchschwaden erstickten unsere Klagen. Dann mussten wir uns von Kunst und Musik verabschieden, kurz darauf von unseren Menschenrechten. An den Fassaden der höchsten Gebäude wurden rote Banner entrollt. Als die Bomben fielen, regnete es Asche. In den Gefängnissen wimmelte es von Kindern, und die, die schließlich wieder freigelassen wurden, waren keine Kinder mehr, sondern Krieger mit toten Augen. Folterknechte.

All das diene dem Wohl der Allgemeinheit, erklärte Der Eine. All das sei die »Neue Ordnung«.

Doch die Prophezeiungen behaupten, dass zwei Menschen den Lauf der Geschichte noch in eine andere Richtung lenken könnten: ein Junge und ein Mädchen, eine Hexe und ein Zauberer. Das sind wir, meine Schwester und ich, Wisty und Whit Allgood. Glaubt mir, wir waren genauso überrascht wie alle anderen. Wir waren schockiert.

Aber wir taten unser Bestes, die Helden zu spielen und unserem Schicksal gerecht zu werden. Wir entdeckten neue Kräfte und schenkten den Leuten Hoffnung, wir schlossen uns der Widerstandsbewegung an und schlichen uns in die Gefängnisse der Machthaber. Wir demonstrierten gegen die Neue Ordnung. Wir warben für Frieden.

Doch nach den letzten Bombenangriffen verstreute es uns in alle Himmelsrichtungen. Meine Schwester und die anderen Freiheitskämpfer verschwanden wie Samen im Wind, der Widerstand zerfiel und unsere Eltern verglühten zu Asche. Ich höre ihre Schreie bis heute.

Ich hatte niemanden mehr. Ich fühlte mich so nutzlos, so ausgelaugt und leer – bis die Seuche über uns hereinbrach. Die Seuche war meine letzte Chance, Gutes zu tun. Ich wagte mich in Häuser, die nach Tod stanken. Ich watete durch Bazillen, um blutende Kinder in Lazarette und Krankenlager zu tragen. Und in einem dieser Lazarette begegnete ich meiner Schwester. Sie arbeitete als Krankenschwester. Sie wollte helfen, genau wie ich. Noch hofften wir beide auf eine bessere Zukunft.

Dann wurde auch Wisty krank.

Nun blicken die amüsierten, grausamen Augen Des Einen von den Plakatwänden auf mich herab, als wollten sie mich verspotten. Ich dachte, wir könnten ihn besiegen. Ich dachte, wir hätten eine Chance. Irrtum. Wisty und ich können die Hoffnung auf eine andere Zukunft, auf einen anderen Lauf der Geschichte nur gemeinsam aufrechterhalten.

Und Wisty liegt im Sterben.

So sieht’s aus. Wir sind am Ende angekommen. Das hier ist kein Märchen. Es gibt kein Und wenn sie nicht gestorben sind … Unsere Welt verschwindet nicht, wenn ihr dieses Buch zuklappt. Unsere Welt ist echt, viel zu echt. Sie klingt wie Kinderschreie in der Dunkelheit und donnernde Soldatenstiefel in den Straßen. Sie riecht nach Abwasser, Krankheit und Verzweiflung. Sie fühlt sich an wie das schwache Zucken meiner Schwester in meinen Armen.

Sie schmeckt nach Blut.

Erstes Buch

EIN BLUTIGER

WHIT

Meine Lunge macht gleich schlapp. Aber wenn Wisty stirbt, sterben wir beide.

Wir preschen durch die engen, feuchtkalten Gassen der Hauptstadt, dicht gefolgt von den N.-O.-Polizisten und ihren abgerichteten Wölfen. Meine Oberschenkel brennen, meine Schultern schmerzen, meine Seele hat längst vor der Realität kapituliert.

Es gibt keine Freiheit mehr. Und damit auch kein Entkommen.

Ich stolpere durch die seltsame, schreckliche Welt, die uns geblieben ist, durch die Heerscharen der Kranken. Die Menschen zittern nicht nur vor Kälte. Ein Mann bricht vor meinen Füßen zusammen, eine Frau mit Baby im Arm packt mich an der Hand, deutet auf meine Brust und kreischt: »Der Eine hat sein Urteil gesprochen! Auch über dich!«

Und das viele Blut. Mütter wühlen in offenen Pusteln, Kinder husten in dunkelrote, tropfende Lumpen. Die Hälfte aller armen Leute dieser Stadt erliegt langsam der Blutseuche.

Auch Wisty.

Sie ist noch blasser als sonst. Meine kleine, schmale, verkrümmte Schwester schmiegt sich an meinen Rücken, die dürren Arme um meinen Hals geschlungen. Wisty leidet unter quälenden Schmerzen, sie schnappt keuchend nach Luft. Als sie irgendetwas über Mom und Dad murmelt, reißt es mir das Herz in tausend Stücke.

Währenddessen machen sich die braven Angestellten auf den Weg zur Arbeit. Sie huschen mit leerem Blick durch die Straßen, wie Blutkörperchen durch ein Netz aus Adern. Ein Typ im Anzug rempelt mich fast vom Gehsteig. Ein alter Mann scheint mich zu erkennen – er lallt eine abfällige Bemerkung über die »dunklen Künste« und spuckt mir einen Speichelklumpen auf die Wange. Die Bevölkerung wurde durch Gehirnwäsche und Folter gezielt auf Linie gebracht. Einige Meter hinter uns, wo sich die Handlanger der N. O. durch die Massen fräsen, höre ich wehrlose Menschen schreien.

Unsere Verfolger holen auf.

Ich sehe die Wölfe schon vor mir: wie sie an ihren Ketten reißen, wie ihnen der Schaum von den spitzen Zähnen tropft, während sie ihre »Herrchen« hinter sich herschleifen. Ihr löchriges Fell, ihr fauliges Fleisch. Als wären die Wachhunde des Teufels zum Leben erwacht. Ich habe so ein Gefühl, dass die Tierchen keine Gnade walten lassen werden, falls – oder wenn – sie uns erwischen.

Irgendwo hier muss es doch eine offene Tür geben, hinter der wir verschwinden könnten. Vielleicht ein Geschäft? Aber ich sehe nur schroffe Häuserwände, tapeziert mit imposanten knallroten Propagandabannern. Wir sind buchstäblich eingekreist von der Neuen Ordnung.

Und gleich haben sie uns. Ganz vorne rennt ein kleiner Fanatiker mit feuerrot angelaufenem Frettchengesicht und einer Kappe mit offiziellem N.-O.-Emblem. Der Typ brüllt meinen Namen und schwingt einen stählernen Schlagstock. Es wäre sicher kein angenehmes Gefühl, das Ding gegen die Schienbeine zu kriegen.

Oder auf den Schädel.

Nein. So darf es nicht enden. Wir haben doch die Macht. Ich denke an Mom und Dad, an ihre Gesichter, als der schwarze Rauch auf sie zuraste. Wir werden sie rächen. In meinen Gedanken vermischt sich das donnernde Trampeln der Polizistenstiefel mit Zeilen aus einem verbotenen Gedicht – ein unerwarteter Anflug rebellischer Inspiration.

»Erhebt Euch wie Löwen vom Schlummer in unbesiegbarer Zahl!« Ich beiße die Zähne zusammen, schiebe Wisty auf dem Rücken nach oben und sprinte mit neuer Kraft durch das Gewühl der Kranken. Ich gebe nicht auf.

»Schüttelt wie Tau die Ketten ab, die Euch im Schlafe gebunden!« Am Ende der Gasse scheint der Weg frei zu sein. Ich lasse die Menschenmenge hinter mir. »Jener sind wenige, Ihr seid viele!« In den besten Tagen des Widerstands waren wir tatsächlich viele. Ihre Gesichter ziehen an mir vorüber: Janine, Emmet, Sasha, Jamilla und natürlich die arme Margo. Aber unsere Freunde sind schon lange fort.

Nur wir sind noch übrig.

Die Gasse mündet in einen riesigen Platz. Ich stolpere in eine größere Ansammlung von Bürgern. Die Leute schauen sich erwartungsvoll um – und im nächsten Moment leuchten Dutzende HD-Videotafeln auf, jede davon fünfzehn Meter hoch. Die N.-O.-Nachrichten fangen an. Wäre das nicht der perfekte Moment, um aus dieser Todesfalle zu fliehen? Die braven Bürger sind abgelenkt.

Doch diese Nachrichtensendung fesselt mich mehr als jeden N.-O.-Anhänger.

Es ist eine Wiederholung der Hinrichtung unserer Eltern.

Von allen Seiten blicken Mom und Dad auf uns herab. Sie haben ihre tapfersten Gesichter aufgesetzt – so sind sie der hasserfüllten Masse entgegengetreten. Mir wird schwindlig. Und als ich zum zweiten Mal zusehen muss, wie die wichtigsten Menschen in meinem Leben in Rauch aufgehen, höre ich Wistys hysterisches, wahnsinniges Brabbeln.

»Nein!« Sie bäumt sich auf und versucht, unsere Eltern festzuhalten, wie damals an diesem schrecklichen Tag. »Wir müssen sie retten, Whit! Tu doch was!«

Sie denkt, wir würden ihre echte Hinrichtung miterleben. Schon wieder.

Ich will meine Schwester beruhigen, doch sie hat sich bereits in einen Hustenanfall hineingesteigert. Sie würgt. Etwas Heißes, Feuchtes fließt über meine Schultern und in meinen Nacken. Mir kommt die Galle hoch – der Brei, der über meine Arme und Beine läuft, ist voller Blut.

Wisty macht es nicht mehr lange.

WHIT

Ich muss meine Schwester in Sicherheit bringen. Sofort. Und wir haben Glück: Die Arschgesichter mit den Schlagstöcken scheinen vorübergehend in der Menschenmenge festzuhängen. Doch als ich mich panisch nach der nächsten dunklen Gasse umschaue, renne ich fast gegen mein eigenes Gesicht. Ich stolpere zurück …

… und sehe die Plakate. Ein eisiger Schauer kriecht über meinen Rücken. Es sind Hunderte Plakate, vielleicht sogar Tausende, an jedem Laternenmast und in jedem Fenster. Plakate mit Fotos von Wisty und mir.

Atemlos drehe ich mich um die eigene Achse. Ich spüre sie schon – die Blicke der Passanten. Eine verhutzelte Frau grinst zahnlos zu mir herauf. Ein paar Anzugträger schreiten die Marmortreppe des Kapitols hinunter und paffen Zigarren. Etwas abseits steht ein kleines Mädchen und starrt mich mit großen, grauen, bohrenden Augen an. Sie weiß Bescheid.

Sie wissen alle Bescheid.

Passenderweise wird der Platz genau in diesem Moment von dem Bullentrupp gestürmt. Die Köpfe der Polizisten schnellen hin und her. Gleich werden sie uns entdecken. Die Zombiewölfe heulen schon wie Bestien in einem Horrorfilm.

Doch in einer Nebenstraße erspähe ich ein kleines, teilweise zerbombtes Gebäude. Das sieht doch vielversprechend aus. Jedenfalls vielversprechender als die Zähne der untoten Kläffer. Möglichst unauffällig schlendere ich hinüber und husche durch einen Seiteneingang.

Ein überlebensgroßes Bildnis Des Einen, Der Der Einzige Ist, heißt mich willkommen. Sein kahler Kopf und seine vielfarbigen Augen schweben bedrohlich über mir und daneben hängt ein Schild: WER SEINE VERBRECHEN BEICHTET, WIRD VON DER NEUEN ORDNUNG VERSCHONT. DER EINE WEISS OHNEHIN ALLES. Auf dem Boden liegen Patronenhülsen.

Mir wird mulmig. Verdammt mulmig.

Aber das Gebäude ist leer. Wir sind in Sicherheit. Vorerst.

Erleichtert lasse ich meine Schwester auf den Boden gleiten. Meine Schulter- und Rückenmuskulatur brüllt vor Anstrengung. Doch Wisty sieht aus wie der Tod selbst. Ich ziehe sie auf meinen Schoß und wische ihr mit meinem Shirt über das Gesicht. »Komm schon, Wisty. Bleib bei mir.«

Ihr rotes Haar klebt vom Schweiß, während ihre Zähne klappern, als wäre ihr kalt. Ich halte ihre feuchte Hand, flüstere alle meine todsicheren Heilzauber und gebe jedes bisschen Hoffnung dazu, das ich noch auftreiben kann.

Es hilft alles nichts.

Warum sind meine Kräfte plötzlich so ausgetrocknet wie eine Sandwüste? Ich bin ein Zauberer, der nicht mal seine eigene Schwester retten kann! Meine beste, verlässlichste Freundin! Aber ich kann doch nicht hier rumsitzen und zusehen, wie sie langsam verwelkt. Wie das einsickernde Blut ihre Augen aufquellen lässt. Wie sie manchmal noch kurz aus ihrer Ohnmacht erwacht, um gleich wieder darin zu versinken, bis ihre Welt endgültig erlischt. Ich kann nicht immer wieder zusehen, wie meine Liebsten sterben.

Das habe ich schon zu oft getan.

Schon zweimal.

Als ich an Mom und Dad denke, erschaudere ich. Wieso haben sie mir nie beigebracht, wie meine Kräfte funktionieren? Dann könnte ich vielleicht …

Ich kann den Gedanken nicht zu Ende denken.

Andererseits bin ich mir sicher, dass es nicht nur an meinen Kräften liegt. Mit der Luft in der Hauptstadt stimmt irgendetwas nicht. Wurde sie vom Einen vergiftet? Ich weiß es nicht, aber die Luft verwandelt die Anhänger der N. O. in hohle, ewig nickende Robotermenschen – und die Armen, die möglicherweise rebellieren könnten, in zuckende und wimmernde Opfer der Blutseuche.

Die Überlebensrate ist sehr niedrig.

»Warum musstest du dich auch freiwillig für den Job in dem verdammten Seuchenlager melden? Sonst hättest du dich nie angesteckt …«, zische ich Wisty an, wütende Tränen in den Augen. »Wir wissen doch, wozu Der Eine fähig ist. Wenn er will, dass jeder Freigeist im Getto krank wird, kannst du dich mit keinem Heilzauber der Welt dagegen impfen!«

Sie kann eine gewaltige Nervensäge sein, aber ich brauche meine Schwester. Ich brauche Wisty, die kleine Klugscheißerin, die Widerstandsheldin, die größte Bedrohung der N. O., die Eins-a-Hexe, das Punk-Talent, das aus dem Nichts kam … Ich schaffe es nicht allein. Genauer gesagt: Ich schaffe es nicht ohne Wisty. Sie war alles, was ich noch hatte.

Mir stockt der Atem. Habe ich gerade in der Vergangenheitsform über Wisty nachgedacht?

Mein Frust explodiert. Ich ramme die Faust gegen das Bildnis Des Einen. Doch die Leinwand scheint aus Stahl zu sein. Meine Hand vibriert vor Schmerz.

»Das ist keine gute Idee«, sagt eine Stimme an der Tür.

Ich wirble herum – und sehe einen jungen Soldaten, den man offenbar in die XXL-Uniform seines Daddys gesteckt hat. Der Kleine hält ein Gewehr auf mich gerichtet.

Dieser Wicht soll mich einlochen? Ich muss fast lachen.

»Danke für die Info, aber das dachte ich mir grad schon selber«, antworte ich, während ich meine kribbelnde Hand massiere. Dabei spähe ich durch die Tür ins Freie. Der Typ ist allein.

»Im Namen der Neuen Ordnung und auf Befehl Des Einen, Der Der Einzige Ist …«, er wirft einen ehrfürchtigen Blick auf das Gemälde, »… fordere ich dich auf, deine Kräfte aufzugeben und Die Eine, Die Die Gabe Besitzt, auszuhändigen.«

Er spricht von Wisty. Der Eine will ihr Feuer. Als ich mich schützend vor meine Schwester schieben will, wandert der Gewehrlauf mit. Der Typ zielt zwischen meine Augen.

»Keine Bewegung, Zauberer!« Die Stimme des Kleinen zittert. »Noch ein Mucks, und ich puste dich in die nächste Dimension.« Als hätte er seine coolen Sprüche zu Hause an Actionfiguren ausprobiert.

»Meinst du das Schattenland?«, erwidere ich. »Da war ich schon. Ist gar nicht so übel da.« Den Typen könnte ich selbst mit einer Hand ohne Weiteres k.o. hauen. Ich müsste bloß an ihn rankommen …

Meine Gelassenheit regt ihn auf. Er schneidet eine Grimasse und beschließt, noch einen draufzusetzen. »Oder soll ich einfach deine Schwester umbringen?« Das Gewehr richtet sich auf Wisty. »Dafür würden sie mir vielleicht sogar ’ne Medaille verleihen.«

Von wegen. Seine Bosse wären absolut angepisst, sollte der Junge Wistys gigantisches Machtpotenzial zerstören. Wahrscheinlich würden sie ihn auf der Stelle hinrichten. Aber das erkläre ich ihm nicht. Ich konzentriere mich auf seinen ungeduldig zuckenden Abzugsfinger.

»Hey, hey. Nur die Ruhe!« Ich hebe die Hände und versuche, meine Stimme zu kontrollieren. »Kein Grund zur Aufregung.«

Ein Soldatenjunge frisch aus der Gehirnwäsche. Der erste tödliche Schuss fühlt sich noch an wie ein Spiel. Als würde das Opfer danach wieder aufstehen und Revanche fordern.

Aber Wisty würde nicht wieder aufstehen.

Eine erdrückende Stille entsteht. Der Junge ist hin und her gerissen zwischen seinem Gewissen und seinem Stolz. Aber ich weiß, welche Seite gewinnen wird. Dieselbe wie immer. Seine Augen visieren das Ziel an, sein Finger krümmt sich immer weiter. Mir bricht der Schweiß aus. Ich will mich vor meine Schwester werfen und –

Doch dazu komme ich nicht mehr. Die Augen des Soldatenjungen verdrehen sich nach oben. Er sinkt zu Boden.

Langsam atme ich aus. Was war das denn? Sind meine Kräfte doch noch aufgeflammt? Haben sie sich einfach verselbstständigt – ein perfekt gezieltes Zucken?

Nein. Dem Typen ist irgendwas auf den Hinterkopf geknallt. Ich sehe, wie ein Gegenstand über den Boden rollt. Es ist eine … Schneekugel?

In der Tür steht das winzige Mädchen mit den großen, grimmigen Augen, das mich schon auf dem Platz beobachtet hat. Sie starrt mich genauso wütend an wie vorhin, die Mundwinkel entnervt herabgezogen.

Ihr Gesichtsausdruck erinnert mich an Wisty. So sieht Wisty mich an, wenn sie mich zum Davonlaufen findet. Aber das Mädchen winkt mich zu sich, in die Gasse.

»Wie lange willst du mich denn noch anglotzen, Zauberjunge? Bist du müde? Wenn du ein Nickerchen machen willst – ich hätte noch eine Menge Munition auf Lager …«

WHIT

»Es ist deine Entscheidung«, sagt die Dreikäsehoch-Freiheitskämpferin.

Ich beäuge sie skeptisch. Ist sie wirklich auf unserer Seite? In der Hauptstadt sind kaum noch Rebellen übrig und es wäre nicht das erste Mal, dass die N. O. uns mit Kindern ködern will. Außerdem gibt es für uns sicher ein sattes Kopfgeld. Wer weiß, was für Hintergedanken das Mädchen hat …

Obwohl sie verdreckt und abgemagert ist, wirkt die Kleine seltsam selbstbewusst. Aber am seltsamsten ist das Plüsch-Rentiergeweih auf ihrem Kopf.

Da fällt es mir wieder ein. Es ist Weihnachten.

In meiner Panik sind mir die vielen kleinen Hinweise entgangen. Auf Weihnachtsfeierlichkeiten steht zwar die Todesstrafe, doch als ich aus dem Fenster blicke, sehe ich sie überall: bunte Schleifen, mit Sicherheitsnadeln an N.-O.-Bannern befestigt; flackernde Kerzen auf den Fensterbrettern; Eisskulpturen, die Wisty und Mom hervorragend gefallen hätten. Oder auch nicht – es sind alles Statuen Des Einen, in schimmernden Kristall gehauen.

»Es ist deine Entscheidung.« Die Kleine wird langsam ungeduldig. »Deine und nur deine allein.«

Sie stemmt die Hände in die Hüften, reckt das winzige Gesicht in die Höhe und blickt mich mit ihren kreisrunden silbrigen Augen an. Ich schätze sie auf sieben oder acht, aber ihre Augen wirken viel älter. Wie die der verhutzelten Elfen in den Necklace King-Büchern, die Wisty und ich verschlungen haben, als wir noch nicht wussten, dass wir echte magische Kräfte haben.

»Du kannst entweder mitkommen – oder das rothaarige Mädchen sterben lassen. Mir ist’s egal«, sagt die kleine Menschenfreundin. Als wäre sie dem Tod schon so oft begegnet, dass er sie nur noch langweilt. Dann mustert sie Wisty und runzelt die Stirn. »Aber ich an deiner Stelle würde sie hierlassen und meinen eigenen Arsch retten.«

WHIT

»Pearl Marie Neederman«, grummelt die Kleine. Sie macht sich nicht die Mühe, mir die Hand zu schütteln. »Ich wohne nicht weit von hier.«

Obwohl ich ahne, dass es ein Fehler ist, folge ich ihr hinter das Gebäude in eine schmale, abgesperrte Gasse, vorbei an einem Warnschild: QUARANTÄNEZONE. Die Alternative wäre, meine sterbende Schwester durch das Bullengewimmel auf dem Hauptplatz zu schleppen, und das ist keine Alternative.

Trotz der riesigen Tasche über ihrer Schulter ist die kleine Pearl Marie schnell wie ein Blitz. Mit Wisty auf den Armen kann ich kaum Schritt halten, während sie mit wippendem Rentiergeweih unter Zäunen hindurchhuscht und Imbissstände umkurvt.

Abgesehen von den Opfern der Blutseuche ist die Straße leer. Sobald wir auftauchen, werden Türen zugeschlagen und Rollläden heruntergelassen. Die Menschen sind misstrauisch. Aber das nehme ich nicht persönlich. Vermutlich liegt es daran, dass mir immer noch Wistys Erbrochenes runterläuft.

Kaum sind wir einen knappen Kilometer gerannt, ist uns die Polizei wieder auf den Fersen. Sie prügeln sich mit ihren Schlagstöcken durch die verlassenen Imbissstände und brüllen uns Beleidigungen hinterher. Doch dabei trampeln sie auch über die Seuchenopfer hinweg – und die wollen Rache. Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie ein ganzes Rudel über einen Bullentrupp herfällt. Die Schreie der Männer verstummen, als sie in eine dunkle Grube gezogen werden.

Immer mehr panische Rufe hallen durch die Gasse und lassen die Tauben aufflattern. Bald sind hinter uns keine stampfenden Stiefel mehr zu hören. Die meisten Polizisten haben den Rückzug angetreten. Andere sind nun selbst infiziert.

Wir schlängeln uns durch ein schwindelerregendes Labyrinth. Wisty lastet immer schwerer auf meinen Armen. Aber obwohl wir die Bullen vorerst abgeschüttelt haben, wird Pearl keinen Deut langsamer. Sie rennt wie ein blindwütiger Windhund auf der Jagd nach einem Kaninchen.

Moment. Sind wir hier nicht eben schon mal vorbeigekommen?

Doch als ich gerade abwinken und die kleine Nervensäge laufen lassen will, dreht sie sich um und sagt: »Hier.« Sie deutet auf einen Trümmerhaufen.

»Äh … tut mir ja leid, Pearl Marie, aber wie’s aussieht, sind uns die N.-O.-Bomben zuvorgekommen.«

Da seufzt Pearl, als wäre sie schwer enttäuscht von mir. »Du bist gar kein echter Zauberer, was? Hier drüben, du Dummkopf!«

Ich folge ihr und quetsche mich mit Wisty durch den engen Seiteneingang einer trostlosen Einzimmer-Kellerwohnung. Die Tür ist so niedrig, dass ich den Kopf einziehen muss, und drinnen ist es fast stockdunkel. Es riecht nach Mottenkugeln und Desinfektionsmittel.

Pearl Marie stellt die Tasche ab und zuckt mit den Schultern. »Leg die Hexe einfach irgendwohin. Ist eigentlich egal, wo.« Als wäre meine Schwester ein Mantel oder ein Paar Schuhe.

»Und wo sind … die anderen?«, frage ich, als ich die zerschlissenen Laken und Bettdecken auf dem Boden entdecke. Hier unten müssen mal deutlich mehr Menschen gehaust haben.

Pearl stößt ein verbittertes Lachen aus. »Ach, die sind unterwegs. Die tun, was wir tun müssen, damit unsere Familie überlebt. Du weißt schon, plündern und so. Die machen was wirklich Sinnvolles, statt irgendeinen Hokuspokus zu flüstern und mit den Händen rumzuwedeln, als würden da Blitze rauskommen oder so.«

Ich kneife die Augen zusammen. Ich weiß, ich bin momentan nicht in Topform – aber was denkt die Kleine sich eigentlich? »Hör mal, wir können auch gerne wieder verschwinden …«

»Nein, nein.« Pearl blickt mich ein wenig freundlicher an. »Die anderen kommen ja bald heim. Und ich wollte dir noch was zeigen. Ich war den ganzen Tag unterwegs. Ich habe nämlich die wichtigste Aufgabe von allen bekommen.« Jetzt strahlt sie sogar.

Wahrscheinlich war sie Lebensmittel sammeln. Oder Decken klauen. Oder sie hat den N.-O.-Maschinenmenschen ein paar Bohnen aus der Brieftasche stibitzt, damit ihre Familie Medi-Salben kaufen und Polizisten bestechen kann. Doch Pearl öffnet ihre Tasche so ehrfürchtig … vielleicht ist es etwas wirklich Wichtiges, noch wichtiger als Geld? Vielleicht ein Baby oder ein Welpe oder …

Nein. Es ist Weihnachtsdeko. Kaputte Weihnachtsdeko.

Aber das hätte ich mir eigentlich denken können. Erst die Schneekugel, dann das Rentiergeweih …

»Ist das nicht … wunderschön?«, flüstert Pearl bewundernd.

Ich nicke. Die schimmernden Glasscherben und bunten Glühbirnensplitter sind wirklich erstaunlich hübsch.

Aber egal wie hübsch sie sind, was soll das jetzt? Die Kleine hat sie wohl nicht mehr alle. Meine Schwester liegt im Sterben! Wisty wirft sich auf dem Boden hin und her und zerrt verzweifelt an den Laken – und Pearl starrt gebannt auf ihren Dekokram, als hätte das Zeug geheime Kräfte.

Erst nach Ewigkeiten merkt sie, wie nervös ich bin, und lässt die Tasche vorsichtig sinken. Sie zieht ein paar gammelige Lumpen hervor, tunkt sie in einen der Eimer, die die Tropfen von der undichten Decke auffangen, und legt die kalte Kompresse auf Wistys Stirn.

»Mama«, wimmert Wisty. »Lass mich doch einfach sterben. Bitte, lass mich sterben.«

Ich kann die Tränen kaum noch zurückhalten.

Und Pearl Marie flüstert: »Keine Sorge, du stirbst schon bald. Ganz bald.«

WHIT

Wie kann man so etwas nur sagen?

Doch als ich Pearl ausschimpfen will, fliegt die Tür auf und ich gehe instinktiv in Verteidigungsposition.

Es sind keine N.-O.-Schergen. Es ist Pearls Familie, eine große Familie, und bevor ich auch nur Piep sagen kann, verschwindet die Kleine in einem Gewühl aus Umarmungen.

Eine kräftige Hand packt mich an der Schulter und wirbelt mich herum. Es ist ein älterer, grauhaariger Mann, der mich ausgiebig mustert – und den Kopf schüttelt. »Mama May wird ausrasten…« Er macht ein ernstes Gesicht, aber seine Augen funkeln fröhlich.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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