Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist - Nadine Olonetzky - E-Book

Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist E-Book

Nadine Olonetzky

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Beschreibung

Die Familie ihrer Mutter hinterlässt Erinnerungen, Erbstücke und Geschichten. Von der jüdischen Familie des Vaters bleibt lediglich ein kleines Foto. Nur ein einziges Mal erzählt ihr der Vater von dem, was während der Shoah mit ihm und seiner Familie geschehen ist. Da ist sie fünfzehn, und ihr Vater mittlerweile Grafiker und Amateurfotograf, der alles festhalten muss, bevor es verschwindet. Jahrzehnte später stößt sie auf Berge von Akten und erfährt, was ihre Eltern so lange vor ihr geheim gehalten hatten. »Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist« erzählt unsentimental und poetisch davon, wie man Verlust nicht wiedergutmachen, aber behutsam sichtbar machen kann. »Dass diese Familiengeschichte aus mehr Fragen als Antworten besteht, macht sie so universell und lässt uns darin auch unsere eigenen Familien erkennen.« Peter Stamm

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 506

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Nadine Olonetzky

Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist

 

 

Über dieses Buch

 

 

Nur ein einziges Mal, da ist sie 15, erzählt Nadine Olonetzkys Vater Benjamin von dem, was während der Shoa geschah: Ihr Großvater und eine Tante wurden 1942 ermordet, dem Vater selbst gelang mit viel Glück die Flucht in die Schweiz. Alles, was ihm blieb, war eine kleine Fotografie.

 

Jahrzehnte später setzt sich Nadine Olonetzky auf die ausradierten Spuren ihrer Familie. Sie reist nach Stuttgart, wo der aus Odessa stammende Großvater einen Tabakhandel aufgebaut hatte, nach Polen und Israel. In Archiven findet sie mehr als 2000 Seiten Dokumente, die den Kampf des Vaters um Entschädigung belegen, zwanzig Jahre lang. Erst jetzt kann sie die Fragen stellen, die sie ihrem Vater nicht stellen konnte. Und erst jetzt kann sie erzählen: von den Schatten, die das Geschehene auf die Überlebenden legte, von den Schwierigkeiten, mit dem Unsichtbaren zu leben. Von der tröstlichen Magie der Fotografie und der stillen Kraft eines Gartens im Jahreslauf.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Nadine Olonetzky, geboren 1962 in Zürich, ist Autorin, Redaktorin und Herausgeberin von Büchern über Fotografie. Sie schreibt für diverse Verlage und Publikationen zu Themen aus Fotografie, Kunst und Kulturgeschichte, hat Sachbücher und mehrere literarische Bücher geschrieben sowie zahlreiche Fotobücher herausgegeben und mehrere Auszeichnungen erhalten. Nadine Olonetzky lebt in Zürich. Sie ist Mitglied von Kontrast in Zürich und Projektleiterin/Lektorin im Schweizer Verlag Scheidegger & Spiess. 2020 fand sie heraus, dass der jüdische Teil ihrer Familie mit der Bundesrepublik Deutschland jahrzehntelang um Entschädigung rang.

Inhalt

[Motto]

Prolog

Teil 1 In alle Winde zerstreut

Schnee

Dunkelkammer

Kuchen

Alphorn

Skelette

Lesen

Lungenflügel

Sucher

Auslöser

Schatz

Parkbank

Odessa

Tabak

Israel

Karotten

Morast

Hügel

Koffer

Klavier

Züge

Haselnüsse

Hecken

Motorräder

Marktplatz

Kaffeehaus

Silberbesteck

Asche

Fragebögen

Altar

Radio

Seele

Hand

Wunden

Schreibmaschine

Sehen

Scherben

Mehretagenbetten

Hochzeit

Sprung

Stuhl

Feuer

Pyjama

Heu

Hunde

Teil 2 Wann, wenn nicht jetzt

Anfang

Sardinen

Katzen

Talboden

Zeichnungsblöcke

Australien

Schwarzweiß

Glocken

Herzrasen

Rock

Werkbank

Lächeln

Allein

Maskottchen

Schweizermacher

Küche

Trophäen

Spatz

Fragen

Erzählen

Heimatlosigkeit

Hunger

Kunstperle

Erbschein

Tür

Massel

Epilog

Dank

Quellen

»There is a crack, a crack in everything, that’s how the light gets in.«

Leonard Cohen

Prolog

Dass ich diese Geschichte erzählen kann, verdanke ich der Ausdauer meines Vaters. 1943 gelang ihm die Flucht vor den Nationalsozialisten in die Schweiz. Sieben Jahre später begann er mit den Geschwistern, die auch überlebt hatten, um Entschädigung zu kämpfen. Sie kämpften 24 Jahre lang.

Das wusste ich nicht.

 

Nur ein einziges Mal erzählte er mir von seiner Flucht und der Ermordung seines Vaters und seiner Schwester. Und dass alle Dinge, mit denen sie gelebt hatten, vernichtet waren. Alle außer einer kleinen Fotografie, die heute in meinem Schreibtisch liegt.

 

Viele Fragen blieben offen.

In diesem Buch erzähle ich von den Antworten, die ich fand. Und von den Fragen, auf die es keine Antwort gibt. Ich erzähle davon, wie sich das Geschehene auf die Überlebenden, auf unsere Familie und auf meine Kindheit auswirkte und welche Rolle die Fotografie in unserem Leben bekam.

Mit einem Tagebuch und den Fotoalben, die mein Vater nach seiner Flucht zusammenzustellen begann, nimmt diese Geschichte ihren Anfang.

Mein kleiner Garten, in dem die Jahreszeiten kommen, gehen und wiederkommen, ist für alle da, die diese Geschichte lesen.

Teil 1In alle Winde zerstreut

Schnee

Wann hörte ich zum ersten Mal, dass mein Großvater Moritz umgekommen war?

 

Mein Vater hatte ein Buch mit leeren Seiten vorbereitet. An dem Tag, an dem ich zur Welt kam, begann er zu schreiben. Es ist ziemlich kalt, schrieb er. Ein frischer Wind bläst. Am Samstag hat es Neuschnee gegeben und heute, am Sonntag, scheint die Sonne. Vereinzelt fliegen Schneesterne vom Himmel, hell glitzernd in der Sonne und auf die Erde tanzend. Alle Dächer sind voller Schnee, der Himmel ist blau, in der Ferne stehen klar und rein die Berge. Das ist doch ein richtiges Wetter, um auf die Welt zu kommen.

Das Buch war schön gebunden wie die Fotoalben, die er da auch schon zusammenstellte. Als ich endlich geboren war und blutig, mit vielen schwarzen Haaren auf dem Kopf dalag, fotografierte er mich. Und er begann Tagebuch zu schreiben. Über mich, für mich. Bis du selbst weiterschreiben kannst.

 

Wie der Schnee bestehe ich aus Wasser. Und aus Mineralien, aus Milliarden von Bakterien, Molekülen. Ich bin kein flüchtiger Kristall, der schmilzt, sobald es wärmer wird, sondern eine wimmelnde Wolke, die kompakt daherkommt. Die auf der Straße herumspaziert oder auf den Bus wartet. Die frisch geduscht und schick gekleidet ausgeht oder im Trainingsanzug auf dem Sofa liegt. Die ihr Glück findet in der Arbeit, auf dem Waldspaziergang und in einer fremden Stadt. Die ihre Katze geliebt hat bis an ihr Ende und sie seither schmerzlich vermisst. Die manchmal krank ist, fast auseinanderfällt und dann wieder kräftig wird. Die mit Kochlöffeln in Töpfen rührt, an großen Tischrunden isst und glücklich ist, von Freunden umgeben zu sein. Die weiß, dass die Welt ein Ort sein kann von größter Dunkelheit und Angst.

Jetzt ist wieder Winter, im Garten liegt Schnee. Immer häufiger bleibt er aus, oder es fallen zwar Schneeflocken von einem hellgrauen Himmel, doch sie zergehen sofort auf der nassen Straße. Zu warm ist es und nicht nur um Weihnachten, wenn Föhneinbrüche Tradition haben. Dass es wärmer geworden ist, beobachte ich auch in meinem Garten. Im Sommer bekommt der Knöterich vorzeitig braune Blätter, und die Erde ist gegen Abend voller Risse, auch wenn ich am frühen Morgen gewässert habe.

Früher lag eindeutig mehr Schnee. Ich sehe das in den Fotoalben.

Die ersten Alben, die mein Vater machte, sind quadratische Ringbücher, zehn mal zehn Zentimeter klein. Seine schwarzweißen Fotos entwickelte er selbst und reihte sie sorgfältig zu einer Abfolge, in die er schwarze, weiße oder farbige Glanzpapiere und Transparentfolien einschob. Die Ringbindung ist aus buntem Plastik, brüchig heute und etwas ausgebleicht.

Meine Mutter ist die Hauptfigur, natürlich. Auch Freunde sind dabei; wer es ist, weiß ich nicht, denn niemand und nichts ist mit einer Bildlegende versehen. Mein Vater fotografierte auch seine Geschwister, meine Tante Paula und meinen Onkel Efrem. Beide strahlen in den Fotos übers ganze Gesicht.

Beim Weiterblättern färbt die Folie schon das nächste Bild ein. Ein Hafen hinter Grün, meine Mutter mit Hut hinter Blau oder ein Stillleben mit Kieseln hinter Orange. Immer wieder fügte er auch Menükarten, Stadtpläne und Weinetiketten ein, die er zum Quadrat zurechtgeschnitten hatte. Und auf die Farbpapiere hatte er mit Schreibmaschine ein Ferientagebuch getippt, einige Sätze bloß.

 

Wie leidenschaftlich er die erste Zeit mit meiner Mutter, ihre gemeinsamen Ausflüge und Reisen festhielt! Wie sehr er sich auch als Grafiker verstand, der gestalterische Ideen hatte und umsetzte, sorgfältig und voller Liebe. Auf ausgebleichtes Rot schrieb er: Der erste April 1952! Dicke Schneeflocken. Ein Feuerwerk, alles kreist, und wir versinken in einem Meer von Glück!

Auf Blau dann: Unsere erste Fahrt ins Blaue … Du hattest keine Ahnung, wohin es ging, ich hoffte nur, es ginge ins Glück. Es ging! Am Zürcher Künstlermaskenball hatte er meine Mutter tanzen sehen, sich aber nicht getraut, sie anzusprechen. Da tanzt meine Frau, soll er gedacht haben. Das erzählten mir dann beide. Als sie zusammenfanden, 1952, war er außer sich. Oder vielleicht ganz bei sich, ein neuer Mensch.

 

Wie sie sich fühlte, kann ich nicht genau erkennen. Erzählt hat sie es mir nie. In den ersten Fotos ist sie noch so jung und weich, offen. Vielleicht überwältigt? Fasziniert und gleichzeitig unsicher, vorsichtig? In allen Bildern leuchtet es aus ihnen beiden heraus. Sie heirateten im April 1954.

 

Ein Jahr später schrieb er auf Orange: Ein Jahr verheiratet!!!! Es war nicht immer leicht mit mir, verzeih mir alle meine Fehler, denn ich liebe dich über alles. Hab tausend Dank für deine Liebe und Treue. Das muss gefeiert werden. Und wieder ein Jahr später auf Senfgelb: Spanien 1956! Nach einem arbeitsreichen, harten Sommer machen wir endlich Ferien. Es schneit bereits in den Bergen, ist kalt und nass. Aber wir fahren ja in den Süden. Wir sind glücklich und sehr fro. Das h von froh ist abgeschnitten.

In dem Foto, das er fürs Album auswählte, trägt meine Mutter einen trägerlosen Badeanzug und er ein weißes Hemd und Anzughosen. Das Bild ist mit Selbstauslöser gemacht, und sie picknicken auf einer ausgebreiteten Decke irgendwo auf dem Land. Auf der nächsten Seite liegen sie am Strand und lesen in Büchern. Sie tragen Sonnenhüte und Sonnenbrillen. Dann gehen sie durch eine Stadt, welche, ist nicht ersichtlich, und durch eine orange Folie hindurch taucht wieder ein Hafen mit Fischerbooten auf; große Säcke werden gerade verladen.

Das waren bis jetzt unsere schönsten Ferien, tippte er auf ein beiges Papier, schnitt es zurecht und fügte es ein. Glücklich, ausgeruht und braun kehren wir in die Schweiz zurück. In Genf schneit es bereits, es ist bitterkalt, wir müssen im Auto heizen. Aber all dies macht uns nichts aus.

 

Statt alles abzuzeichnen, was ihn Stunden oder Tage gekostet hätte, fotografierte er. Zeichnen war die Domäne meiner Mutter. Sie hatte die Metallklasse der Kunstgewerbeschule Zürich besucht, wie die Ausbildung zur Goldschmiedin damals genannt wurde. In einem kleinen Foto aus dieser Zeit sehe ich sie in einem weißen Arbeitsmantel an einer Schmiedebank sitzen. Sie feilt an einem winzigen Gegenstand herum. Wurde daraus eine ihrer wunderschönen Emaillearbeiten? Sie zeichnete aber lieber; es verlangte ihr weniger Geduld ab. Bald hatte sie Erfolg mit Textilentwürfen und Illustrationen.

Ihm passte das Technische der Fotografie, ihr Tempo. Er drückte den Auslöser, und sofort war alles festgehalten. Die steinharte Felswand und der hauchzarte Schatten, den meine Mutter an einem heißen Sommertag einen Moment lang auf den Felsen warf – im Bild haben sie das gleiche Gewicht. Sie verwandelten sich beide in Formen, in schwarze und verschieden graue Flächen, die bleiben. In der Fotografie ist alles blitzschnell miteinander verbunden und aufbewahrt. Zu einem Ding gemacht, das bleibt.

 

In einem nächsten Bild steht meine Mutter vor einem Zerrspiegel und lacht. Ihr Gesicht ist dünn und hoch, ihre Augen sind Ovale mit einem langgezogenen dunklen Kern. Ich blättere um, und die Seiten, die aneinanderkleben, so lange hat niemand mehr das Album angeschaut, geben mit einem reißenden Geräusch nach.

Nun ist sie extrem breit. Sie steht mit kurzen dicken Beinen da, und alles, was sie trägt, die weißen Handschuhe, der Matrosenpullover mit Bateau-Ausschnitt, die kleine Uhr am Handgelenk, ist in die Horizontale gezerrt. Sie lächelt, sehr breit. Ich blättere weiter. Da kommt sie mir auf einem Platz entgegen. Wie jung sie ist! Blühend, mit einer wunderbaren Weichheit um die Lippen, immer lächelnd; sie hat dunkles Haar und einen feuchten Schimmer in den Augen. Im Hintergrund ragt der Eiffelturm aus dem Großstadtdunst.

Weshalb hatte sie sich in meinen Vater verliebt? Waren es sein Charme und seine Unverfrorenheit, die sie anzogen? Bestimmt brachte er sie zum Lachen. War es die Fremdheit, die er ausstrahlte? Das Dunkle, das in ihm saß? War es also das, was er erlebt hatte? Sie war verlobt, als sie ihn kennenlernte; der andere Mann hatte keine Chance.

In diesem Album ist sie mit meinem Vater in einem sonnigen Paris mit regennass glänzendem Straßenpflaster unterwegs. In einem Paris mit neuen Autos, dem Glanz der Cocktailgläser, die in den Straßencafés auf runden Tischchen stehen, und mit funkelnden Lüstern in den Galeries Lafayette. In einem Paris mit festlichen Laternen in der Nacht. In einem Paris ohne Trümmer, Einschusslöcher. Sie macht auf Audrey Hepburn, die Frisur, die Hose, das Lächeln. Alles glänzt und schimmert. Und er nimmt sie auf. Nur in den Fotos mit Selbstauslöser kommt er vor; er trägt wieder einen Anzug mit Krawatte und strahlt.

 

Sie besaßen ein Auto, einen Simca Vedette, in Weiß. Und fuhren mit ihm auch nach Milano, Modena, Piacenza. Die Landschaft spiegelte sich in seinem Lack. Nach Genua und Portofino. Die Chromstahleinfassung der Fenster glänzte mondän. Sie fuhren ans Meer und in die Berge. Wirklich oft in die Berge. Auf Gelb schrieb er: Diesmal gingen wir nach Arosa, aber wir haben es nicht gut getroffen. Schneesturm von zwei Wochen. Nur einige Tage Sonne. Nachkur an Ostern, wieder nach Zuoz, aber diesmal ins Hotel Concordia. Großartiges Essen, nur schade, der Schnee war schon fast weg, aber sonst hatten wir es lustig.

Immer wieder sind sie auf dem Weg nach Hause. In einem Bild lehnt meine Mutter während eines Stopps am Kühlergrill des Simca und trägt einen dünnen weißen Rollkragenpullover; sie fahren über Genua unserem heimatlichen Zürich zu.

Unterwegs, tippte er dann fürs Album auf oranges Papier, ging uns das Benzin aus, und der Gotthard war tief verschneit. Wir freuten uns auf unser schönes Heim und auf unser gemeinsames Leben. Beide waren wir sehr gespannt, wie sich unser Leben gestalten würde. Müde, aber glücklich, mit 5.– im Sack kamen wir zu Hause an. Wir waren so froh, wieder Schweizerdeutsch zu hören.

 

Und dann schrieb er auf Blau: Reisen nach Stuttgart, Hohenzollern, Schwarzwald, Titisee. Ich zeige dir die Häuser der Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin! Wie fremd ist mir alles hier. Die Menschen, die Häuser, die Sprache.

 

Was zeigte er ihr bloß in Stuttgart? Es stand doch kein einziges Haus mehr, in das er einmal ein und aus gegangen war. Sie flanierten jetzt durch neue Straßen, sahen neue Häuser und saßen in neuen Cafés. Glich er fortwährend die Eindrücke mit seinen Erinnerungen ab? Was wühlten sie in ihm auf? Ich freue mich, schrieb er weiter, wieder in Zürich zu sein.

Dunkelkammer

Überall sind die Gärten jetzt winterlich leergeräumt. Kahle Beete mit nackter Erde, aus der die handbreit abgeschnittenen Stängel der Stauden ragen, die Blätter sauber weggewischt. Nicht so in meinem Garten. Mir sind die Skelette der Pflanzen genauso wichtig wie die Blumen im Sommer. Die Stängel sind geknickt und dürr, die müden Blätter des Knöterichs lasse ich kreuz und quer am Boden liegen, wo sie dunkel modern. Dazwischen faulen leere Samenkapseln.

In das Tagebuch, das mein Vater für mich führte, schrieb auch meine Mutter ab und zu ein paar Sätze. Mit ihrer schwungvollen, großzügigen Schrift füllte sie locker eine halbe Seite. Sie nannte mich beim Namen, beschrieb mich in der dritten Person. War ich ein fremdes, unverständliches Wesen, das sie beobachtete? Zeichnend fiel es ihr leichter, mich kennenzulernen. Zeichnen war ihre Sprache.

Zuerst hielt sie mich fest, während sie mich stillte. Die Rundung ihrer Brust, darunter meinen Kopf. Anschließend folgt eine Aufsicht: Wie ich im Stubenwagen liege, fest eingepackt wie eine Larve im Kokon. Dann die ersten Kleidchen, ausgebreitet auf einem Bett. Die Schlüttli, kleinen Jäckchen, die Strampelhosen, Söckchen und Pantöffelchen und die Käppchen. Später die Tiere, die sie auf einem Spaziergang mit mir im Kinderwagen antraf. Einen Dackel, einen riesigen Pudel, eine dreifarbige Katze.

Sie schrieb tapfer ein paar Beobachtungen auf, so als hätte sich das mein Vater von ihr gewünscht. Das Buch war seine Domäne. Er erzählte mir von mir, und er erzählte mir von der Welt. Draußen ist wieder alles voller Schnee, schrieb er. Ein Schneesturm fegt ums Haus, aber du bist mein Sonnenschein, dein Lächeln hat mir den ganzen Tag verschönt. Immer wieder Schnee, Schneeflocken, Schneestürme, tiefverschneite Landschaften. Er hatte es wirklich mit dem Schnee.

 

Dass meine Mutter elegant war, Witz hatte und Phantasie, wird in den frühen Fotos sofort klar. Es ist auch in ihren letzten Bildern noch zu erkennen, obwohl sie da schon sehr krank war und wirklich alles schwierig geworden war.

In den ersten Alben lächelt sie auf jeder Seite, später weniger, in den letzten fast nicht mehr. In den ersten Alben ist sie fortwährend auf Ausflügen, in Städten, am Meer, in den Bergen. In den ersten Alben stehen Blumen auf dem Fenstersims, und sie liegt auf dem Sofa und liest. In den ersten Alben sitzt oder steht sie auch an ihrem Arbeitstisch und zeichnet. In manchen Bildern beugt sie sich über den Tisch und ist vollkommen vertieft.

Mein Vater umkreiste sie dauernd mit der Kamera, seine Blicke tasteten sie ab. Wie sie das wohl fand? Störte es sie nie? Davon erzählte sie mir nichts. Er nahm auch ihre Pinsel auf, die Stifte und das Glas mit dem farbtrüben Wasser. Die Stapel mit weißem Papier. Das Lineal und die Schere. Er bewunderte ihre Arbeit, ihr Talent und feierte sie mit seinen Bildern. Und band das alles in die Alben ein.

 

Später schlich ich mich manchmal an, wenn sie zeichnete, und stellte mich neben ihren Stuhl. Meine Augen, nur leicht höher als die Platte ihres Arbeitstischs, verfolgten, wie sie den Stift übers Blatt führte, sicher und ruhig. Sie wanderten mit ihren Bewegungen mit, während meine Mutter ihre Zungenspitze über die Oberlippe hinausstreckte. Das tat sie immer, wenn sie etwas gespannt verfolgte. Und sie verfolgte ja auch, was ihre Hand auf dem Blatt da tat. Sie zog die Linien mit Tusche oder Bleistift und füllte die Flächen mit Pinsel und Wasserfarbe aus, sauber und genau. Es schien, als wüsste ihre Hand vor ihrem Kopf, was sie zeichnen wollte. Ich bewunderte das.

Die Zeichnungen verschickte sie per Post oder brachte sie in Kartonmappen weg. Dann erschienen sie in Modezeitschriften oder wurden als Buchumschläge gedruckt. Später malte sie auch Bilder, verfuhr aber gleich. Es sind präzise, oft symmetrisch komponierte Landschaften mit einem einzelnen auf einem Hügel thronenden Baum. Oder menschenleere Interieurs mit einem Fenster, in dessen Ausschnitt wieder eine Landschaft zu sehen ist. Die Landschaft im Fenster malte sie als Bild im Bild.

 

Ihr Leben lang arbeitete meine Mutter von zu Hause aus. Manchmal kamen die Autorin, für deren Romane sie die Umschläge zeichnete, und der Verleger, der sie dann herausbrachte, zu Besuch und aßen mit uns. Die Schriftstellerin war eine Respekt heischende Dame mit runzligem Hals, deren Röcke vor meinen Augen schimmerten und knisterten. Ich blickte zu ihr auf und verdrückte mich hinter einen Stuhl. Von dort aus beobachtete ich sie und hörte zu, was sie mit meiner Mutter besprach. Es waren geschäftliche Treffen. Doch dieses Arbeiten hatte nichts Quälendes oder von Zeitdruck Belastetes. Es wirkte heiter und ungezwungen.

Die Zeichnungen gingen hinaus in die Welt, während sie selbst im Haus blieb; fast immer war sie zu Hause. Nie musste sie frühmorgens an einer Tramhaltestelle frieren oder zum Bus rennen, im Gedränge stehen, pünktlich anfangen und viele Stunden bis Arbeitsschluss durchhalten. Sie war da, das war gut, und sie war gleichzeitig in einer Welt, in die ich ihr nicht folgen konnte.

Im Garten liegen die Stängel und Blätter der Stauden erschöpft auf der Erde und sind von dunkler Schönheit. Mit der Zeit werden sie sich in ihre Bestandteile auflösen. In Wasser, Mineralien, Bakterien, in Moleküle und langsam in die Erde übergehen. Auch das ist Winter. Das Stillleben im Beet ist das Gegenbild zur Üppigkeit des Sommers, genauso notwendig. Die Stängel und Blätter schimmern in der tiefen Wintersonne in Braun- und Grautönen. Und die Schilfgräser ragen wie trockene Besen auf. Im Modern verströmt alles Ruhe.

Nach den kleinen quadratischen Ringbüchern begann mein Vater größere Fotoalben zu machen. Sie sind auch quadratisch, fast doppelt so groß und sehr dick. Er fotografierte, dauernd fotografierte er. Meine Mutter, mich, und sobald mein Bruder auf der Welt war, auch ihn und uns alle zusammen. Dann verzog er sich in die Dunkelkammer, entwickelte die Filme, vergrößerte die Barytabzüge und stellte die steifen Fotopapiere in einer Reihenfolge zusammen. Was ging ihm durch den Kopf dabei? Durchlebte er die Szenen noch einmal? Sah er den Unterschied zwischen seinem Bild und dem, was er in jenem Moment erlebt hatte? Und welche Geschichte wollte er mit dem Album erzählen? Plante er das oder folgte er gedankenverloren seinen Stimmungen, während er die Bilder herumschob? Wieder reihte er schwarze und weiße Glanzpapiere ein, aber keine bunten Transparentfolien mehr.

Die Bilder, alle randabfallend, brachte er zum Buchbinder. Der verklebte sie zu Seiten, fügte feste eierschalenfarbige Vorsatzpapiere ein. Dann nahm er ein breites Fälzelband und die mit Leder kaschierten Kartons für den Umschlag und band die Bilder zu Alben. Auf Rücken und Umschlag prägte er Titel ein: Mai bis Juli 1962 zum Beispiel oder November 1968 bis Dezember 1969.

Für meinen Bruder und mich ließ mein Vater eine Folge von Bildern binden, in der nun wir jeweils die Hauptrolle spielten. Während er in den kleinen Alben meine Mutter feierte, zelebrierte er in den großen uns und unser Familienleben. Viele Stunden aufmerksamer Arbeit im Labor, auf seinem Arbeitstisch und in der Buchbinderei stecken in ihnen.

 

Lange lagen meine Alben – sie sind in weißes Leder gebunden, während mein Bruder rote bekam – schwer auf dem Boden des Kleiderschranks. Zog ich um, verfluchte ich sie, warf einen Blick zwischen die Seiten und klappte sie sofort wieder zu. Doch jetzt erzählen sie mir Geschichten. Mit ihnen eile ich Jahr um Jahr zurück auf der Zeitachse, und mit den kleinen Alben auch in die Zeit, in der ich noch nicht lebte.

Die Alben sind heute Brocken unter Brocken. Brocken mit Gesichtern, Brocken mit Gegenständen, Brocken mit belanglosen Szenen und feierlichen Momenten. Und auch Brocken mit Wiesen, weiten Landschaften mit Wald oder Bergen. Und mit Schnee.

 

Im Schnee bin ich in meinem Element. Im Schwarzweißbild ist er weiß, das Holzchalet im Hintergrund ist dunkelgrau. Es hieß Bergfrieden. Auf den Knien rutsche ich herum, im warmen Anorak schwitzend, so wirkt es, und glücklich. Liegt mir die Verzauberung durch Schnee in den Genen wie die Sommersprossen, die Haarfarbe, die Angst?

Mit beiden Händen schiebe ich den Schnee zusammen, die weiße Pracht, wie mein Vater schwärmte. Eine Seite weiter klopfe ich die Pracht an den Bauch des Schneemanns; schön dick soll er werden. Wieder eine Seite weiter lacht er mit seinem Steinmund, die Rübennase reckt er in die Luft, und er trägt einen großen Weidenkorb als Hut.

An diesem längst vergangenen Tag wird der Himmel in ein helles Grau verwandelt; es ist ein klarer, kalter Wintertag, beruhigend hell. Wieder warm eingepackt in Hose und Jacke, macht mir die Kälte nichts aus. Ich liebe es auch heute noch, wenn ich im Winter viele Kleider tragen kann. Schichten aus T-Shirt, dünnem und dickem Pullover und darüber eine Jacke. Dazu Handschuhe, eine Kappe. Stiefel. Lauter Dinge, die mich schützen, die ein Gewicht haben, das ich am Körper spüre. Lauter Schichten, die mich zusammenhalten, umfassen.

Kuchen

Die Kamera war ein Familienmitglied, ein seltsames. Es war still, metallisch kühl, immer präsent. Nicht so wie der Hund, der laut war, haarig, gut gelaunt, immer hungrig und darum manchmal bei den Nachbarn. Die Kamera war unvermeidlich.

Doch wenn sie mein Vater in die Hand nahm, ging er auch auf Abstand. Er machte einen Schritt zurück, suchte, nach links und nach rechts tretend, einen guten Standort und die passende Perspektive. Was war der beste Blickwinkel? Von höher oder tiefer aus gesehen? Von weiter weg oder noch näher heran? Das, so erinnere ich mich heute, arbeitete in seinem ernsten Gesicht. Er konzentrierte sich und war nicht mehr beteiligt. Als Beobachter, nein, Richter entschied er, wann der Augenblick glücklich genug war für ein Bild. Dann drückte er den Auslöser.

Er nahm uns am Esstisch auf. Ich warf da gerade die Arme in die Höhe und lachte, denn vor mir stand der Geburtstagskuchen. Fünf Kerzen, Geschenke, schönes Geschirr. Und auf dem Fenstersims hinter mir hockten die beiden Katzen; sie schauten in sich hinein. Wenn sie da waren, war eigentlich alles gut.

Oder er fotografierte uns alle. In einem Bild lehnen wir am Geländer einer Aussichtsplattform, hinter uns sind Bäume und ein See zu erkennen; über allem spannt sich ein weiter Himmel mit Schäfchenwolken. Meine Mutter betrachtet gerade die Landschaft im Rücken der Familie, statt in die Kamera zu blicken, wie es sich gehört. Mein Bruder hält sich an ihrem Bein fest, während ich daneben stehe und meine dünnen, bleichen Beine unter dem Saum des Röckchens hervorkommen; es war wahrscheinlich der erste Ausflug in luftigen Sommerkleidern. Ich hatte nackte Knie, um die der Wind strich, und das ist ein Gefühl, das blieb.

Eigentlich spotteten meine Eltern über Familien, die am Sonntag in schönen Kleidern spazieren gingen. Wie steif die aussahen, also nein. Vom Parkplatz gingen die doch tatsächlich nur die wenigen Meter bis zum Restaurant! Zwängten ihre Bäuche hinter die Wirtshaustische und stürzten sich dann auf ein Schnitzel und einen Coupe Romanoff! Wie faul! Füße wären doch zum Gehen da und nicht nur fürs Gaspedal und so weiter. Schnitzelzeit nannten sie die ruhigen Mittagsstunden, in denen wir über die staubigen Feldwege trotteten oder auch rannten und hüpften; und danach waren höchstens unsere Knie paniert.

Ein paar Seiten weiter. Da erwischte er mich, als ich mich in der prallen Sonne über einen fremden Hund beugte. Der hatte sich vor mir auf den Rücken gelegt und alle viere von sich gestreckt. Ich erinnere mich jetzt, dass es mittagsheiß war, drückend, und der Streuner gekrault werden wollte. Im Bild fällt der Schatten seiner Vorderpfoten auf meine Schuhe. Der Schatten und die Pfoten, die Schuhe und das Straßenpflaster, alles ist im Bild verbunden und eigentlich nur der Widerschein des Lichts.

 

Du bist mein Sonnenschein, sagte mein Vater immer wieder. Das war eine klare Aufgabe.

Die Luft riecht nach Kälte, alle Gerüche und Geräusche der Stadt sind heruntergedimmt und gekühlt. Hinter dem Zaun liegen der unkrautfreie Rasen und die pflegeleichten Polster der Nachbarn im Winterschlaf. In der Nacht hat es ein wenig geschneit. Die immergrünen Bodendecker sind jetzt halb unter dem frischgefallenen Schnee begraben. Ihr Kirschbaum wirkt so kahl, dass kaum zu glauben ist, dass je wieder auch nur ein einziges Blatt aus seinen Zweigen wachsen wird.

Die Alben erzählen die Familienereignisse in Fragmenten. Zuerst kommen Fragmente aus der Liebesgeschichte meiner Eltern, und es ist gut, dass ich sie heute bei mir habe. Dann kommen Fragmente aus ihrer jungen Ehe, aus ihren Reisen, manche brüchig geworden und ausgebleicht. Sie berichten von der Zeit, als ich noch nicht geboren war, von der Zeit, als sie glücklich waren miteinander. Dann kommen Fragmente, die von meinem Bruder erzählen und damit Fragmente, in denen die Familie ganz geworden ist. Es sind Fragmente mit Ausflügen, Sonntagen, Geburtstagen. Sie sind zuerst fröhlich, dann gewöhnlich und sogar langweilig, zum Schluss melancholisch und geradezu verstört, denn da war schon alles in Schieflage. Und als dann alles wirklich kippte, fotografierte mein Vater nicht mehr. Und es war niemand mehr da, der Alben machen wollte.

 

Von Album zu Album werden wir alle größer oder einfach älter. Auch meine Tante Annette, die Schwester meiner Mutter, und ihr Mann; er ist der Musiker. Sie lebten in Wien, fuhren jeden Sommer mit der Ente 700 Kilometer gegen Westen und kamen komplett verschwitzt bei uns an. Er schwitzte eigentlich immer, nicht nur nach einer langen Autofahrt im Hochsommer. Er schwitzte beim Stehen und Gehen, beim Reden und beim Essen. Perlen standen ihm auf der Stirn, und Bäche liefen seinen Hals entlang in den Kragen. Schwitzen, das gehörte einfach zu ihm. Annette war Klavierlehrerin, hatte einen steifen Gang und den üppigen Busen, den alle Frauen in der Familie haben.

Sobald die Ente zu hören war, rannte ich ihnen entgegen, wie verrückt, in offene Arme. Dann halfen alle, die Koffer und Taschen von den Sitzen und aus dem Kofferraum zu holen. Die Ente schaukelte gutmütig, und zuletzt und mit großer Vorsicht kam der Kasten mit der Bratsche ans Licht. Auch das hielt mein Vater fest und fügte es ins Album.

 

Während ich die steifen Seiten umblättere, steigt mir der trockenmuffige Geruch nach altem Leim und Jahren im Dunkeln in die Nase. Ich höre, wie diese Fotos, die ich lange nicht mehr angeschaut habe, aufreißen wie schlecht verheilte Wunden, wenn man das Pflaster abzieht. Ich blättere weiter, und da sind sie, Onkel Efrem, Tante Paula, mein Vater. Die Überlebenden. Sie sitzen um einen Gartentisch, es ist Sommer, und sie lächeln. Weshalb wohnten die Geschwister meines Vaters nicht wie wir in der Schweiz? Warum wohnten wir nicht wie sie in Jerusalem? Mein Vater sagte: Wenn du alt genug bist, erzähle ich dir das einmal.

 

Onkel Efrem trug seine Leica immer bei sich. Ihr silbriges Metallgehäuse baumelte vor seinem Bauch und wippte auf und ab, wenn wir spazieren gingen. Ein Bild, auf das ich stoße, beweist es. Das rehbraune Kameraetui ist wie immer nach unten geklappt, und auch der Lederriemen hebt sich von seinem Rollkragenpullover ab; die Brauntöne sind in ein unbestimmtes Grau übersetzt. Neben seiner Kamera trug mein Onkel an einer feinen Kette auch den Belichtungsmesser, stets griffbereit. Und auch in diesem Bild hängt er um seinen Hals. Onkel Efrem, immer schief und immer schiefer, der Fotograf. Er ist der richtige Fotograf. Ein Fotograf im Fotoalbum, fotografiert von meinem Vater, dem Hobbyfotografen.

 

Von Zeit zu Zeit packte mein Onkel die Leica und hob sie vor sein Auge. Klick. Das Geräusch ist immer noch in meinem Ohr. Es gehört zu den Geräuschen meiner Kindheit. Wie das Schnurren der Katzen, das Klappern des Geschirrs und die schabenden Schritte auf dem Berberteppich im Wohnzimmer.

Wenn Efrem zu Besuch war, fotografierten auch beide, mein Vater und mein Onkel. Klick, klick. Sie hatten es wirklich mit den sichtbaren Dingen. Steht mal da hin! Schaut zu mir!, riefen sie, wenn sie uns fotografierten. Ja, so ist es gut.

Die Kamera war die Maschine zu ihrem Lebensgefühl. Sie wollten alles festhalten, in Bilder verzaubern. Es war ihr magisches Spiel, und wie alle Spiele war es ernst. Das Haus und der Garten, das Ballspiel und das Essen, der Ausflug und die Wanderung. Zuerst im Kasten der Kamera eingefangen, dann in der Silbergelatineschicht des Papiers fixiert und schließlich ins Album gebunden. Nur so schien alles sicher genug aufbewahrt.

Mein Onkel fotografierte natürlich noch weit mehr als nur die Familie. Er war ja ein Fotograf. Er reiste, er arbeitete für die Zeitung, das wusste ich schon früh. Er war nicht einer, der nur Geburtstage aufnimmt.

In dem Foto ein paar Seiten weiter gehe ich mit ihm eine Straße entlang zum Rheinfall; wir sind fröhlich, und mein Bein setzt zu einem Hüpfen an. Diesen Moment hat mein Vater festgehalten. Der flüchtige Schwung ist auf Dauer fixiert.

 

Tante Paula und Onkel Efrem kamen jeden Sommer zu Besuch.

Efrem kam zuerst mit seiner ersten Frau. Ilse trug eine riesige Brille und rauchte Kette in unserem Wohnzimmer. Immer saß sie in einer grauen Wolke und wirkte unglücklich. Als er geschieden war, kam er mit Peggy, einer kugelrunden Amerikanerin mit großem Toches, die enge Hosen und quergestreifte Pullover liebte. Mit ihren üppigen Lippen lächelte sie mich breit an. Auch wenn ich nicht so richtig mit ihr sprechen konnte, mochte ich sie viel lieber als die Kettenraucherin.

Paula hingegen war klein, schlank und elegant; so musste eine echte Dame sein, fand ich. Sie war mit Paul verheiratet; es war ihre zweite Ehe. Paula und Paul Apfelbaum waren immer schon uralt gewesen, fand ich, sehr lieb und sehr fremd. Sie brachten Datteln mit, Talismane mit Thoraspruch und mehrere Schachteln mit Halva. Sie sprachen ein lustiges Deutsch, und Paula nahm mich auf ihren Schoß, wo ich durch den Stoff des Kostüms ihre Knie spüren konnte. Vor meinen Augen schimmerten die feine Goldkette an ihrem Hals und die elfenbeinfarbigen Zähnchen in ihrem Mund.

Im Sommer füllte sich das Haus, das im Winter zu leer war.

 

Mit Vorliebe installierte sich Paula für die Dauer ihres Aufenthalts im Wohnzimmer. Sie saß im Lehnstuhl oder in der Ecke des Sofas und kam fürs Essen an den Tisch. Sie ließ sich verwöhnen oder, das war Ansichtssache, auch bedienen. Sie las viel, und manchmal kaufte sie sich im vornehmsten Schuhgeschäft der Stadt Damenpumps in Kindergröße; sie trug 34. Und sie redete mit meinem Vater. Der freute sich riesig. Er lachte mit ihr, und sie zogen sich zurück.

 

Auch mein Onkel Efrem reiste an, der wie seine Schwester Paula früh genug weggegangen war; das hatte ich meinen Vater sagen hören. Efrem hatte eine fatale Vorliebe für gesalzene Erdnüsse. Obwohl er herzkrank war, verschlang er ganze Büchsen davon allein. Auch er besetzte das Wohnzimmer, sah stundenlang fern, und eines Abends schlief er in der vollen Badewanne ein, wo wir ihn am nächsten Morgen schnarchend und unterkühlt auffanden. Dein Onkel ist komplett meschugge, sagte mein Vater, meine Mutter schwieg. Efrem lachte verlegen und setzte sich zu uns an den Frühstückstisch. Und als er wieder abgereist war, lachten wir alle.

Sehr viel später wurde er, der auf mich zeitlebens etwas heimatlos gewirkt hatte, in New York von einem Auto überfahren. Er starb, statt an seinem vierten oder fünften Herzinfarkt, wie wir alle gedacht hatten, an den Verletzungen, die ihm das Auto einer sehr jungen Frau zugefügt hatte. Die Nachricht, die er mir noch auf den Telefonbeantworter gesprochen hatte und die wie immer mit Mein Schätzchen anfing und aufhörte, konnte ich lange nicht löschen.

Eine kniehohe Mauer grenzt den Garten zur Straße und Kreuzung hin ab; einen Zaun gibt es nicht. Manchmal setzen sich Leute auf die Mauer und plaudern miteinander. Sie ruhen sich ein wenig aus, bevor sie weiter den Hang hinaufgehen. Auch im Winter. Häufig finde ich leere Bierdosen oder Zigarettenkippen zwischen den Stauden. Es ist eben ein Garten in der Stadt.

Ich schaue das ganze Jahr zu, was in ihm passiert, wie die Pflanzen leben. Es geht nicht nur um schöne Blumen, schon gar nicht um bunte Farben. Jetzt ohnehin nicht; es ist immer noch Winter. Der Schnee ist geschmolzen, doch es ist kalt. Am frühen Morgen überzieht Raureif die dürren Stängel und faulenden Blätter.

Die Zeit vergeht und kann nicht zurückgedreht werden. Erinnere ich mich heute nur, weil es die Alben gibt? In einem der Bilder sitze ich tatsächlich auf Paulas Schoß, und sie trägt eine Goldkette. Woher sollte ich das sonst noch wissen, es ist so lange her. Mein Gesicht ist ihrem Gesicht ganz nah. Aus ihrem Pullover stieg der zarte Duft ihres Parfüms in meine Nase. Daran kann ich mich erinnern, oder meine ich es nur?

Indem ich in den Alben von Bild zu Bild blättere, mache ich für Augenblicke große Sprünge auf der Zeitachse, während aber natürlich die Zeit weiter ungerührt vergeht, unaufhörlich läuft.

 

Was ist nicht alles zwischen die schweren Deckel geklemmt! Gesichter, Arme, Beine, Röcke, Blusen, Hosen, Hemden, auch Möbel, Geschirr, Häuser, ganze Landschaften. Große Landschaften. Dazwischen lungern immer wieder unsere beiden Katzen herum, sphinxhaft, an ausgewählten Orten im Haus; die beiden hatten eindeutig Stil.

Oder unser Hund. Er steht da, struppig, wedelnd und mit heraushängender Zunge bereit für seine nächste Schandtat. Einmal hatte er den frischgebackenen Früchtekuchen der Nachbarin aufgefressen; wir lachten uns krumm. Ein anderes Mal riss er ins nächste Dorf aus und kam tagelang nicht zurück. Mein Bruder und ich konnten auf ihm reiten, so gutmütig war er, und wenn mein Vater Platz! rief, purzelten wir herunter. Doch bei einem seiner Abenteuer kam er ums Leben. Er war auf den Bahngleisen Richtung Zürich gelaufen, der dumme Hund; wir weinten, weinten.

Die Geburtstagskuchen wiederholen sich wie der Refrain in einem langen Lied. Der erste Kuchen mit einer Kerze; ich mustere ihn skeptisch. Dann fünf Kerzen und die vor Freude in die Höhe geworfenen Arme. Dann sieben Kerzen und das Ausblasen, jetzt! Eins, zwei, drei! Es ist der Kuchen, den meine Mutter immer an Geburtstagen buk, obwohl sie fürs Backen nichts übrig hatte. Kein Talent, wie sie behauptete, keine Lust, wie ich irgendwann dachte. Aber sie hat ihn doch immer gebacken!

 

Zu einem Rezept für einen Zitronenkuchen hatte sie das Wort dubbelsicher notiert. Alle Deppen, Trottel und Schlemihlswohnen im Reich der Blödheit und Unfähigkeit, das wusste ich schon. Das hatte ich in den Geschichten von Isaac B. Singer gehört, die mir meine Eltern immer vorlasen, und das war offenbar der Kuchen für sie. Nicht aber die Geburtstagstorte! Die war nicht dubbelsicher, die konnte schrecklich missglücken, meine Mutter wurde nervös. Doch immer wieder ist sie ihr geglückt; das beweisen die Alben. In einem Bild sehe ich die Torte, die Kerzen stecken schief im Schokoladenguss, und vor dem Fenster liegt Schnee.

Beides hat es wirklich gegeben, die Torte und den Schnee. Und im Bild ist das Licht, das von der Torte und vom Schnee zurückgeworfen wurde, heute erhalten.

 

Schnee, Schnee, Schnee, in allen Variationen ist Schnee zwischen die weißen Deckel der Alben gepresst. Auch die schaumig weiß blühenden Kirschbäume neben unserem Haus, die im Frühling noch etwas von Schnee ausstrahlen. Dann: Wie mein Bruder und ich im Garten Primeln pflücken und später, im Sommer, wie wir Pusteblumen wegpusten. Die Bilder rufen den Duft nach der würzig-süßen Luft wach, nach frischgemähtem Gras. Dann spüre ich die Wärme des Wohnzimmers im Herbst wieder, wenn das Feuer im Kamin brannte. Und die kalte Nässe des Schnees. Alles ist in Formen und Flächen übersetzt.

Was bedeuten sie? Was fehlt? Wo verbergen sich die kellerdunklen Stimmungen? Und waren die Landschaften in den Bildern nicht immer zu groß für uns kleine Menschen?

Alphorn

Im Bus betrachte ich manchmal die anderen Passagiere. Gesicht um Gesicht. Ich sehe Hände, die Taschen und Telefone halten, die in Jacken stecken und dort Beulen machen. Ich sehe Blicke, die sich in der vorbeiziehenden Stadtlandschaft verlieren. Eine alte Frau, im Sitz am Fenster zusammengesunken. Junge Männer wie Hunde, die zum Raufen aufgelegt sind. Und zwei Freundinnen, die aussehen, als wären sie schon zu lange verheiratet, aber die Kinder noch nicht aus dem Haus.

Und alle wollen doch jeden Tag umarmt sein und umarmen. Alle haben Sex oder vermissen ihn und träumen davon. Alle putzen die Zähne oder sitzen auf dem Klo, ausgerechnet dann, wenn das Handy klingelt, das im Wohnzimmer auf dem Sofa liegt. Was ist ihnen allen gelungen, misslungen, widerfahren? Sind sie vielleicht geflohen und haben sich ein neues Leben aufgebaut? Sehe ich Spuren davon in ihren Gesichtern? Welche Geschichten, welche schweren Brocken tragen sie dann mit sich herum? Und was gelingt oder misslingt ihnen an diesem Tag?

 

Die Vorgeschichte meiner Mutter beginnt um 1450; es gibt ein schwarzes Buch mit dem Titel Stammfolge. Darin ist ein Hof erwähnt, Baltensberg bei Embrach im Kanton Zürich, über dessen Besitzer, die Edlen dieses Namens nichts Näheres bekannt ist. Es ist nur eine dünne Spur, die sich sofort wieder verliert. 1485 dann wurde einer ihrer Vorfahren für den Diebstahl einer sidenen binden zum Tod verurteilt. So steht es in dem Buch, an dessen Schluss mein Name von Hand dazugeschrieben wurde. Von wem, ist unklar, und er wirkt hier fremd.

Danach folgen die Namen ihrer Vorfahren und der Ehefrauen; die meisten starben früh. In Stichworten sind ihre Berufe genannt, die Kinder und Kindeskinder aufgezählt, bis im Februar 1773 im Dorf Hochfelden, wo ihre Ahnen damals lebten, Feuer ausbrach. Es war verheerend. Zehn Häuser wurden auf eine erbarmungswürdige Weise in die Asche verwandelt, steht in dem Buch. Es starben vier Personen, darunter eine 25-jährige Weibsperson, und das alles nur, weil eine Frau Fasnachts-Chüechli backen wollte und das Feuer in den Anken, in die Butter, kommen ließ.

 

Hundert Jahre später, im Mai 1855, wird in der Stammfolge der erste Name notiert, den ich aus Erzählungen kenne. Es ist mein Urgroßvater Johann-Jakob, genannt Jean; auch Jean starb früh. Er war der erste Goldschmied der Familie. Dass aber seine Frau, meine Urgroßmutter Judith, die Geschäftstüchtigere der beiden war, erzählten mir meine Mutter und Tante Annette immer, wenn die Rede auf sie kam. Deine Urgroßmutter war die Geschäftstüchtige!, sagten sie bewundernd, als ginge es um ein seltenes Talent.

Es ist eine Familiensaga, wie Jean und Judith oder vielmehr Judith und Jean 1878 in Bülach, einer ländlichen Kleinstadt, ihr Goldschmiedegeschäft gründeten. Wie sie fünf Jahre später nach Baden umzogen; die elegante Bäderstadt bot die besseren Chancen. Wie sie knapp zehn Jahre danach den Sprung nach Zürich wagten, ans Limmatquai, und nur kurze Zeit darauf schon an die Bahnhofstraße wechselten. Es war Judith, die merkte, dass die Bahnhofstraße nobel wurde; sie war eben die Geschäftstüchtige.

 

In einer Kartonschachtel bewahrte meine Mutter ein paar Fotos auf. Darin herrschte ein sorgloses Chrüsimüsi, ein Durcheinander aus steifen Bildchen mit gezackten Rändern. Mein Großvater Ernst an seinem Arbeitstisch; er zeichnet, und hinter ihm an der Wand hängen die Porträts seiner Eltern Jean und Judith. Ich sehe nur Jeans Frisur und Augen, denn sein großer schwarzer Bart verdeckt sein halbes Gesicht. Ich sehe Judith, streng, in einem dunklen Kleid mit hohem Stehkragen. Meine Mutter wurde nach ihr benannt.

Dann entdecke ich Ernst in Wanderhosen und Bergschuhen; er sitzt auf einer Wiese, hinter ihm liegt Schnee. Weiter unten im Chrüsimüsi Ernst am Tag, als er meine Großmutter Thérèse heiratet. Er im Frack, sie in einem Kleid mit tiefgesetzter Taille, dazu ein Bubikopf; sie sind beide in fadem Schwarzweiß erhalten.

In einem anderen Bild stehen sie auf einer Treppe, das Licht ist milchig. Weiter: ihr großes Haus mit Garten, wieder schneebedeckte Berge. Meine Großmutter mit Baby und dann meine Mutter mit ihren Geschwistern. Die drei sitzen in Reih und Glied auf einer Treppe. Onkel Pierre trägt kurze Hosen, Tante Annette und meine Mutter Faltenröcke, und alle haben dicke, handgestrickte Socken um die Waden.

Meine Mutter schaut scheu und mit kritischem Blick zum Fotografen. Ihr glattes Haar ist auch zum Bubikopf geschnitten, und auch dieses Bild ist in kontrastarmem Schwarzweiß gehalten. Zwischen den Fotos finde ich Ernsts abgegriffenen Mitgliederausweis des Schweizer Alpen-Clubs. Pickel, Gämse, Schweizerkreuz. Er war ein passionierter Bergsteiger und mehrmals auf dem Matterhorn, wie meine Mutter und meine Tante immer sagten.

 

Ernst musste den Laden in der eleganten Bahnhofstraße dann übernehmen. Das tat er nicht freiwillig. Sein Bruder Walter hatte das Geschäft geführt, während er mit dem ausbezahlten Erbe in Paris malen und das Leben eines gutbürgerlichen Bohemiens führen konnte. Doch Walter lebte wie der König von Ägypten, erzählte Tante Annette, wer immer der König von Ägypten gewesen war.

Als er 1931 plötzlich an einem Herzinfarkt starb, früh wie die meisten seiner Vorfahren, hinterließ er eine Ehefrau und Kinder samt einem Haufen Schulden. Ernst musste nach Zürich zurückkehren und das Goldschmiedegeschäft übernehmen. Auf einer Bergtour entschied er sich zu heiraten, und zwar genau in dem Moment, erzählten meine Mutter und meine Tante auch immer, als er von weitem ein Alphorn hörte. Thérèse hatte er in Paris kennengelernt.

Da sind sie wieder, die Flocken. Sie wirbeln durch die Luft, der Wind bläst sie um die Hausecken, über die Straße, hebt sie hoch und lässt sie über dem Garten tanzen. Das Weiß verwandelt die dürren Pflanzen ums Haus und die ganze Stadt in eine schwarzweiße Fotografie. Der Verkehr rollt langsamer, der Lärm ist gedämpft. Bis der Schnee seine Reinheit verliert, zum braunen Pflotsch, zum Matsch am Straßenrand verkommt, ist er reine Poesie. In der Stadt hat er nichts Bedrohliches.

Paris! Meine Mutter und meine Tante seufzten sehnsüchtig. Thérèse war dort zur Welt gekommen, aber als Kind mit ihren Eltern nach Zürich gezogen. Später ging sie an die Kunstgewerbeschulen in Genf und Zürich. Und auch das erzählten meine Mutter und meine Tante immer mit Stolz: Deine Großmutter hat bei Sophie Taeuber-Arp studiert! Ihre bedruckten Seidenstoffe, die mit bunten Perlen bestickten Beutel, die avantgardistischen Collagen und Linolschnitte sehen auch genauso aus; sie sind wunderschön.

Das marode Goldschmiedegeschäft führte Ernst zu neuer Blüte. Er ließ ein großes Haus am Zürichsee bauen, auf einem riesigen Grundstück am linken Ufer, der weniger sonnigen Seeseite. Er fuhr im Auto herum, nahm aber jeden Morgen das Schiff über den stillen, glatten Zürichsee zur Arbeit; der Laden lag nicht weit von der Schiffstation entfernt. Die Malerei hatte er aufgegeben.

Thérèse blieb zu Hause. Sie zeichnete, stickte und machte Collagen. Sie brachte kurz hintereinander drei Kinder zur Welt, doch nach ihrem dritten Kind, meiner Tante Annette, erkrankte sie an Multipler Sklerose. Und als der Zweite Weltkrieg ausbrach, musste Ernst einrücken. Er musste an der Grenze stehen, erklärten mir meine Mutter und Tante Annette auch immer wieder; Onkel Pierre schwieg dazu. Sie waren mit der kranken Mutter und einer Hausangestellten in dem großen Haus zurückgeblieben. Sie hatten Angst um den Vater, und abends verdunkelten sie die Fenster. Bald wuchsen beim Zürcher Bellevue, mitten in der Stadt, Kartoffeln und Raps.

Die Bedrohung war diffus, unfassbar, weit weg und gleichzeitig zu nah. Der Vater fehlte. Wie sehr fehlte er! Kaum war der Krieg vorüber, starb Ernst an einem Herzleiden; meine Mutter war erst siebzehn. Es war eine Katastrophe. Ich war siebzehn, als mein Vater starb, sagte sie ihr ganzes Leben immer wieder. Sie sagte es auch, als mein Vater starb. Ich war 37, die Scheidung meiner Eltern war da schon lange vorbei, und sie sprachen nicht mehr miteinander.

Es schneite an diesem kalten Dezembertag, Zürich lag unter einer dicken Schicht Neuschnee.

 

Die kranke Thérèse überlebte ihren bergsteigenden Ehemann um fast zwanzig Jahre. Paris, eine glückliche Zeit!, rief der Pfarrer an ihrer Beerdigung in den Kirchenraum und verschwieg, dass sie schon kaum mehr hatte gehen können, als ihre Kinder noch klein waren. In einem Foto, das ich auch in der Schachtel finde, steht sie im Garten und stützt sich auf einen Stock. Fast scheint es, als wäre der Stock ein elegantes Requisit.

Der Pfarrer hätte eine Geschichte von Glück und Unglück in einer gutbürgerlichen Familie mit Kunstsinn erzählen können. Eine Geschichte mit Paris und mit einem Alphorn. Eine Geschichte von Malerei, Schmuck und handgeschmiedetem Silberbesteck. Eine Geschichte von Ruin und neuem Geschäftserfolg. Eine Geschichte vom Leben einer privilegierten Familie in einem vom Krieg verschonten Land.

Und dann hätte er auch von Krankheit und verschwiegenen Schmerzen berichten müssen, von Enttäuschungen und Einsamkeiten und darum auch von lebenswichtigen Phantasien und Zurechtbiegungen der Wirklichkeit. Das alles sagte er nicht.

Gab es denn gar keine Sprache, die allen geholfen hätte, das Geschehene in eine Form zu bringen, die tragbar war? War es ganz einfach nicht üblich, die Dinge beim Namen zu nennen? Und hatte meine Mutter in jener Zeit gelernt, die Wirklichkeiten zu verschweigen, die unter der Oberfläche verborgen waren?

 

Ernst hatte eine Liebschaft mit einer seiner Angestellten, behauptete mein Vater einmal. Doch darüber sprach meine Mutter nie. Sie wiederholte schöne Anekdoten und die immer gleichen Sätze zum Krieg. Dass ihr Vater an der Grenze stand. Dass das Hitler abschreckte. Dass beim Bellevue Raps und Kartoffeln wuchsen. Wie bitterkalt es war. Dass die Schokolade knapp wurde. Und wie schwer es war, dass ihre Mutter an Multipler Sklerose litt.

Als Thérèse starb, hinterließ sie ihre Bilder und Stickereien, ihren Schmuck und das Geschirr, ein paar Lehnstühle, ein kleines Pult und das Sofa, das nun in meinem Wohnzimmer steht. Es ist ein Einzelstück, vom Architekten entworfen, der auch das große Haus an der schattigeren Seeseite baute; es ist einfach und grazil. Vor Jahren ließ ich es neu aufpolstern und frisch beziehen, und seither baumeln meine Füße in der Luft, wenn ich auf dem Sofa sitze. Deshalb liege ich meistens; es passt in der Länge genau. Gut umfangen von seinen Lehnen, die mich wie Arme halten, liege ich und lese oder schaue aus dem Fenster und betrachte den Himmel. Es ist ein Sofa mit einer Geschichte. Es flüstert mir dann zu, woher ich komme. Auch.

Das eine Sofa gibt es, das andere nicht.

 

Die Vorgeschichte meiner Mutter reicht bis ins Mittelalter zurück. Stühle, Geschirr, Schmuck und das Sofa erzählen mir von einer Zeit, in der du noch als Stern in der Milchstraße herumgesaust bist, wie mein Vater sagte. Seine Vorgeschichte liegt bis zu der Zeit, als mein Großvater Moritz in Odessa zur Welt kam, im Dunkeln. Die Namen seiner Eltern fehlen. Und es fehlen alle Dinge von diesem Teil der Familie. Außer einer kleinen Fotografie, einem Porträt meines Vaters als Kind, gibt es nichts. Keine Möbel, kein Geschirr, keinen Schmuck. Sie haben alles fortgenommen. Ich verstummte. Hatte ich meinen Vater doch einmal gefragt, wo das Sofa war, das seinen Eltern gehört hatte? Ich erinnere mich nur an einen Satz. Wenn du alt genug bist, erzähle ich dir das einmal.

Jetzt schneit es schon wieder. Die Flocken wirbeln durcheinander, treiben durch die Luft. Milchig weiß ist der Himmel und weiß gezuckert sind die Dächer, die Stauden im Garten und die Äste der Bäume. Die Eiskristalle, Eissterne, wie fragil und flüchtig sie sind! Wie stark sie dennoch alles in ihr Weiß hüllen und verändern, auch die Kreuzung vor dem Haus. Jetzt ist sie eine helle Fläche mit ein paar Schuhspuren und zwei feinen Linien; ein Fahrradfahrer kam den Hügel hoch. Die nächsten vorbeifahrenden Autos werden breite Linien in die weiße Fläche ziehen.

Wie viele Weiß gibt es? Weiß wie die Flocken, die vom grauen Himmel fallen. Weiß wie Reis und wie das Porzellan der Schale, in der er dampfend liegt. Weiß wie Sommerblusen. Wie Margeritenblütenblätter. Wie das Fell eines Eisbären, wie die Haare eines alten Menschen. Weiß wie die Wolke, in der sich das Sonnenlicht bricht. Und Weiß wie das Leder meiner Alben. Oder Weiß wie helle Angst.

Skelette

Im November 1962, ich war neun Monate alt, bekam mein Vater ein Schreiben vom »Landesamt für die Wiedergutmachung«. Natürlich erfuhr ich nichts davon. Und auch später nicht. Es wurde nie darüber gesprochen.

»23.11.1962, an die Herren Rechtsanwälte – Zustellung erfolgt. Bescheid wegen Schadens an Eigentum, hier: Imstichlassen von Hausrat, hat das Landesamt für die Wiedergutmachung Stuttgart entschieden: Die Antragsteller begehren noch Entschädigung für Schaden an Eigentum durch Imstichlassen des Hausrats seitens des Erblassers. Der Antrag ist teilweise begründet.«

 

Zu der Zeit überlegten meine Eltern, ein Haus zu bauen. Das Geld dafür hatten sie durch den Verkauf des großen Hauses beisammen, in dem meine Mutter aufgewachsen war. Es war ihr Erbe, das »Frauengut«. Und auch, weil sie als Illustratorin und er als Grafiker erfolgreich waren. Aufstrebend, glaubwürdig, kreditwürdig. Sie hatten sich etwas aufgebaut. Sie bauten sich weiter etwas auf.

Über den Bau des Hauses machte mein Vater ein eigenes Album. Es ist in gelbes Leder gebunden und trägt den Titel Bauzeit 20. September 1964 bis Juni 1965. Für ihn war es erneut ein Anfang.

Zuerst ist das Gestrüpp auf dem Grundstück und die Wiese zu sehen, in der alte Obstbäume stehen. Dann die Holzlatten, mit denen das Haus ausgesteckt ist. Ein paar Seiten weiter kommen die ersten Bagger, der große Kran, dann Schubkarren, Stapel mit Brettern und Bündel mit Armierungseisen. Darauf folgen Holzverschalungen und aufgestellte Armierungseisen, dazu die Betonmischmaschine.

Das alles ist in weiße, graue und schwarze Formen übersetzt. Dann folgen die ersten Wände und die erste fertige Decke; es ist der Boden des späteren Wohnzimmers. Dort steht der Architekt, hält den ausgebreiteten Plan vor sich und redet mit dem Vorarbeiter. Mein Vater hielt auch ihn fest, doch versah er kein einziges Bild mit einer Legende. Er nannte keinen einzigen Namen.

Zwischen den betonierten Wänden entdecke ich meine Mutter. Sie steht in Gummistiefeln und in einem schicken, dunklen Mantel auf der Baustelle und besichtigt ihre Zukunft. Wird sie das Haus glücklicher machen? Sie wirkt verloren und scheint in Gedanken versunken zu sein. Im Hintergrund, unscharf, stehen zwei neue Einfamilienhäuser.

Es war ein aufstrebendes Dorf am rechten Ufer des Zürichsees, an der sonnigen Goldküste. In den Sechzigerjahren begannen die Bauern, ihre Grundstücke zu verkaufen, und wurden reich. Der Gärtner, der gleich neben dem Bauplatz Salate und Blumen anpflanzte, wartete noch länger zu, und auch der Bauer hinter unserem Haus. Heute ist alles zugebaut. Es ist eine gutbetuchte Agglomeration mit Gärten, die von Gartenarchitekten entworfen und gepflegt werden. Große Steine liegen in den Beeten und machen auf Findling. Eiben, Zypressen und japanischer Ahorn sind gesetzt. Auf der Nordseite der Häuser sind Moorbeete mit Rhododendren und Azaleen angelegt; sie flankieren die Eingänge in Pink, Lila und Gelb.

 

Ein paar Seiten weiter stehen schon die Wände des ersten Stocks, und dann klettern die Zimmermänner auf dem Dachstock herum. Schließlich steckt das mit Bändern geschmückte Tännchen zur Aufrichte auf dem First; die Bänder zeigen sich in verschiedenen Grautönen. Es liegt Schnee auf den Balken, die Ziegel fehlen noch.

Meine Mutter ist im ganzen Album viel ernster, als ich mir das für sie wünschen würde. Was ging in ihr vor, wenn sie durch den Rohbau stapfte? Sie hat mich an die Hand genommen, ich stecke in einem dicken Anorak, du siehst ja aus wie ein Eskimo! Ein Haus bauen, das war doch die Zukunft entwerfen, sich freuen. Hatte sie Bedenken, sogar Angst? Meine Eltern kannten sich schon fast fünfzehn Jahre, da waren die Illusionen weg. Doch im glücklichen Fall sind dann Vertrauen, Großzügigkeit und Humor für die Schwächen des anderen gewachsen. War es so? Meine Mutter erzählte mir nie davon, wie es für sie gewesen war, dieses Familienzuhause zu bauen.

Auf den letzten Seiten des Albums ist aus einiger Entfernung das fertige Haus und die Sicht auf den See abgebildet. Die beiden alten Kirschbäume blühen, es ist Frühling. Wir zogen ein, im Sommer 1965.

 

In dem Haus geisterte es. Das Haus war schön, aber es war gleichzeitig zu leer und zu voll. Es gab zu viele Zimmer, die bevölkert waren. Es waren Skelette. Natürlich sagte ich niemandem, dass sie da waren. Auch an sonnigen Sommertagen warteten sie in der Ecke hinter der Treppe oder im oberen Stock in dem Zimmer, in dem das Klavier stand. Ich wagte nur aus dem Augenwinkel kurz zu ihnen hinüberzusehen. Das aber tat ich immer wieder, denn vielleicht waren sie beim nächsten Hinschauen ja weg? Aber sie standen da einfach. Grausig steif mit grauen, eingetrockneten Fleischfetzen an ihren Knochen. Weshalb waren sie zu uns gekommen? Sie hatten wahrscheinlich nichts Böses vor, sagte ich mir. Aber warum waren sie dann da? Sie wollten zuschauen, so kam es mir vor. Ja, sie konnten zusehen, obwohl sie doch längst tot waren! Und mehr noch, sie konnten jederzeit zum Leben erwachen, herumgehen und ihre Knochenhände auf meinen Rücken legen. He, was wollt ihr hier?! Hätte ich rufen wollen, brachte aber keinen Ton heraus, kein Sterbenswort. Lasst mich in Ruhe! Schauer liefen mir über den Rücken.

Die Skelette waren ohne Namen. Sie waren anwesend, ich sah sie vor mir, ich spürte sie. Und gleichzeitig waren sie unerreichbar. Wollten sie einfach gesehen werden? Ich fürchtete sie, ich hasste sie, ich wollte sie nicht haben. Und ich schämte mich, denn niemand außer mir nahm sie wahr. Oder alle taten nur so, als gebe es sie nicht. Was zum Teufel sah und spürte ich denn die ganze Zeit? War ich von einem Dibbuk besessen, wie ich in Isaac B. Singers Geschichten gehört hatte? Oder waren gleich mehrere Dibbukim in mich gefahren? Ich fühlte mich umklammert. Ich hatte in dem stillen Raum Klavier zu üben.

Und nachts warteten die Skelette in meinem Zimmer auf mich.

 

In einem Foto, das mein Vater in einem der ersten Jahre dort machte, stapfe ich im kurzen Faltenrock durch den noch recht kargen Garten. Die weißen Kniesocken leuchten aus der grauschwarz gestrichelten Fläche, die der Rasen ist, und in der Hand trage ich vorsichtig einen Korb mit Ostereiern. Dass der Hase eben noch da gewesen war, roch ich förmlich. Ich war sicher, dass er hinter einem Busch hockte, unsichtbar trotz seines großen Korbs auf dem Rücken.

Bestimmt wartete er ab, bis ich die Eier fand, die er so sorgsam versteckt hatte, dachte ich. Einmal, abends, hatte ich ihn nämlich schon gesehen. Ich lag im Bett, da tat sich die Tür auf, und er trat herein; im Türrahmen waren die langen Ohren klar zu sehen. Er war groß wie ein Mensch, und anderntags lagen zwei bunte Eier im Büchergestell.

Als er sich in mein Zimmer schlich, tat ich natürlich so, als würde ich schlafen. Ich rutschte unmerklich tiefer unter die Decke, hielt die Luft an, machte mich ganz flach. Wie schön, dass der Hase zu mir kam! Er brachte mir bunte Eier, und bestimmt würde er die Skelette verscheuchen! Nur durfte er nicht merken, dass ich noch nicht schlief. Ich war wieder lange wach gewesen. Denn ich sah sie. Sie standen um mein Bett und in den Ecken des Zimmers, die Skelette, ich konnte sie deutlich sehen. In der tintenschwarzen Dunkelheit, von der alle sagten, dass in ihr nichts sei, leuchteten sie.

 

Kamen die Geschwister meines Vaters zu Besuch, Tante Paula mit ihrem Paul und Onkel Efrem mit seiner Leica und der gerade aktuellen Frau, oder fuhren Tante Annette und ihr Mann in der Ente vor, belebte sich das Haus. Sie brachten Koffer voller Kleider und Geschenke mit, die Bratschenmusik und die großen Stücke Halva, mit denen wir uns vollstopften, bis der Bauch weh tat.

Ich liebte sie nicht nur deshalb. Sie brachten auch die Luft einer fremden Welt mit. Sie bevölkerten das Haus und vertrieben so die Skelette eine Zeitlang in die hintersten Mauerritzen. Mit ihnen war mehr fassbar gegenwärtiges Leben im Haus, das stark genug war, den unfassbar gegenwärtigen Tod zu verscheuchen, denn das waren die Skelette, nur wusste ich das erst viel später. Annette und ihr Mann kamen aus Wien. Er war Musiker, und Annette war zu ihm nach Wien gezogen, als sie geheiratet hatten. Das war einfach.

Aber Paula und Paul? Oder Efrem? Sie erzählten nicht, warum sie in Jerusalem wohnten. Sie erzählten nicht von der Zeit, als sie auswandern mussten, wie ich einmal aufgeschnappt hatte. Sie erzählten nicht, weshalb sie auswandern mussten. Sie hatten doch alle ihre Wurzeln in der Ukraine, in Odessa, der Hafenstadt am Schwarzen Meer. In Odessa, der Stadt mit der berühmtesten Treppe der Welt, wie mein Vater sagte. In Odessa, wo es einmal vierzig Synagogen gegeben hatte, wie ich heute weiß. Davon erzählten sie nicht. Und ich fragte nicht, wie es kam, dass sie nun aus Jerusalem anreisten. Als sie starben, verschwand ihr Wissen wie zu Boden bröselnde Halva in die Unerreichbarkeit.

Bald überlagert von Sand, Gestein, Erde, bald von Gras überwachsen. Auch ihr im Schweigen aufbewahrtes Wissen war ein Teil des Trümmerbergs, auf dem wir wohnten.

Ich schwieg mit. Ich fragte nicht. Ich erzählte niemandem, dass ich Verwandte in Israel hatte.

Ruhig liegt der Garten da. Zwei Rabenkrähen landen mit ausgebreiteten, schwarz schwingenden Flügeln. In einem letzten Schwung schmiegen sie ihre Flügel an die Körper, hüpfen ein paar Mal im Schnee. Eine weiche weiße Schicht liegt über allem. Die Stängel der Herbstanemonen ragen wie dürre schwarze Finger heraus. Niemand setzt sich auf die niedere Gartenmauer, um kurz auszuruhen oder zu plaudern. Der Himmel hält sich ausdauernd an ein fades Hellgrau.

Eines Abends lief das »Gespenst von Canterville« mit Charles Laughton im Fernsehen. Eine Komödie! Mein Vater freute sich darauf, und wir durften aufbleiben. Es war ein Film in Grautönen, leicht unscharf. Ein Schloss in England kam vor, ein düsteres Gemäuer, und amerikanische Soldaten, die dort untergebracht waren. Die Geschichte spielte mitten im Zweiten Weltkrieg; die Männer bekämpften Hitler.

Warum sie dafür in England waren, verstand ich zwar nicht. Doch in dem Schloss gab es einen Familiengeist, das verstand ich sofort. Simon de Canterville war bei lebendigem Leib eingemauert worden, und nun trieb er als Geist sein Unwesen. Ohne Frieden irrte er herum, ließ Blutflecken auf dem Boden wachsen und machte seltsame Geräusche. Er erschien, wann immer es ihm passte. Er wollte den Alltag der Soldaten und Bewohner stören. Er wollte erlöst werden.

Ich fand das überhaupt nicht lustig. Wochenlang hielt mich das Grauen noch mehr umklammert als ohne Simon de Canterville, ich war wütend auf ihn und auf meinen Vater, ich war in heller Angst. Das war keine Komödie! Geister gab es, das wusste ich. Sie gingen herum, die Lebenden sollten sie wahrnehmen, auch wenn niemand sie sah.

 

Was sichtbar war, konnte fotografiert werden. Aber das, was anscheinend nicht für alle sichtbar war? Die Angst konnte nicht fotografiert werden, sie war überall und nirgends. Sie war durchsichtig, wie gar nicht da. Und erzählte ich doch von dem, was ich sah? Ich kann mich nicht an Antworten erinnern, die mich beruhigt und befreit hätten. Ich sah etwas, was andere nicht sahen. In der tintenschwarzen Dunkelheit ist nichts, sagten meine Mutter und mein Vater hilflos. Da ist nichts! Ich lasse die Tür einen Spalt offen. Schlaf jetzt!

Wochenlang standen nicht nur die Skelette in der Zimmerecke. Vor meinem Bett sah ich auch einen Blutflecken im Teppich wachsen. Doch vor Simon de Canterville Angst zu haben war lächerlich, das wusste ich auch. Das galt ganz einfach nicht; alle lachten ja darüber. Ich schämte mich. Ich fürchtete mich vor dem Abend.