Wo Perfektionismus anfängt, hört der Spaß auf - Benita Feller - E-Book

Wo Perfektionismus anfängt, hört der Spaß auf E-Book

Benita Feller

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  • Herausgeber: Humboldt
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Wir wollen die perfekte Karriere hinlegen, uns dabei perfekt ernähren und irgendwann mit der perfekten Strandfigur den perfekten Urlaub machen. Dabei orientieren wir uns an Vorbildern, die in Wahrheit gar nicht so toll sind, wie sie uns erscheinen. Dieses Buch hilft Menschen dabei, zu entdecken, wie wunderbar sie sind, auch wenn sie keine Modelfigur haben, kein Mandarin-Chinesisch sprechen und sich auch immer noch nicht für den Iron-Man-Wettbewerb auf Hawaii angemeldet haben. Denn wer ständig nach Perfektion strebt, verliert all das Gute in seinem Leben aus den Augen! Dazu hat die erfahrene Therapeutin eine Technik entwickelt, die uns hilft, einen gesunden Abstand zu äußeren Einflüssen zu entwickeln. Nicht perfekt, aber perfekt unperfekt.

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Seitenzahl: 164

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INHALT

Vorwort

Perfektion: Warum sie eine Illusion ist

Was heißt schon perfekt?

Ein Blick in die Historie

Der moderne Mensch im Perfektionswahn

Starkult – einmal schnell berühmt werden

Perfektion – ein Schrei nach Liebe?

Der perfekte Kandidat

Statussymbole sind keine Lösung

Vom Familienalbum zum Selfiewahn

Die perfekten Kinder

Generation Lebenslauf – nur gut auf dem Papier

Karriereturbo – höher, schneller, weiter

Essen als Zeichen eines Ungleichgewichts

Das perfekte Dinner

Wer will eigentlich, dass wir perfekt sind?

120 % ist gerade gut genug

Der schöne Schein in den sozialen Medien

Geht das: unperfekt und unoptimiert überleben?

Wie weit wollen wir uns noch perfektionieren?

Big Brother

Wenn Gefühle unterdrückt werden

Die Hochphase der Influencer

Zu viel Schönheit tut nicht gut

Alter und Gemeinschaft

Perfektionisten sind abhängig

Der innere Druck, perfekt zu sein

Der innere Widerstreit

Nobody is perfect

Plädoyer für eine neue Entspanntheit

Wieder zu sich selbst finden

Individualität

Perfektion

Optimierung

Selbstwert, Selbstbewusstsein und Selbstachtung

Wie Sie den perfekten Normalzustand finden

Innere und äußere Ebene

Die innere Ebene: Wie stehe ich zu mir?

Die Blasentechnik

Was macht mich aus?

Wer bin ich?

Den inneren Kritiker erkennen

Das innere Kind gut behandeln

Den inneren Kritiker zum Schweigen bringen

Wenn Schwierigkeiten auftauchen

Die äußere Ebene: Welche Rolle spielen die anderen?

Das Ich und die anderen

In Harmonie mit dem Außen

Anerkennung bei sich selbst suchen

Neue Perspektiven auf die anderen finden

Bestandsaufnahme: Wo stehe ich?

Was ist für mich perfekt?

Für wen möchte ich perfekt sein?

Was möchte ich mit dem Perfektsein erreichen?

Was macht mich individuell?

Wie steht es mit meinem Umfeld?

Sich treu bleiben

Runterschalten

Den Glücksort besuchen

Nein sagen

Sich nicht aus der Ruhe bringen lassen

Spazieren und im Gehen meditieren

Einfach mal blaumachen

Offline gehen

Den Körper pflegen

Bewusst im Jetzt sein

Sich nicht anstecken lassen

„Ziemlich gut” ist das neue „perfekt”

VORWORT

„When too perfect, lieber Gott böse.”

Nam June Paik, koreanischer Künstler  

Liebe Leserin, lieber Leser,

bevor ich vor einigen Jahren meine Praxis als psychotherapeutische Heilpraktikerin eröffnete, habe ich eine ganze Weile als Redakteurin bei einem Modemagazin gearbeitet. Darum kenne ich sämtliche Tricks und Kniffe der Branche, wie man Menschen perfekt inszeniert, um sie zu Vorbildern zu machen, die kein normaler Mensch jemals erreichen kann. Schon weil niemandem von uns ein ganzer Stab von Make-up-Artisten oder Stylistinnen zur Verfügung steht, die sich stundenlang um den perfekten Look kümmern.

Mit anderen Worten: Ganz viel von der Perfektion, die man uns vorgaukelt, ist nichts als Hokuspokus. Und das liegt nicht nur an Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop. Trotzdem vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Klient zu mir in die Praxis kommt, der unter der Vorstellung leidet, nicht perfekt genug zu sein. Und das kann ganz viele Ausprägungen haben. Es gibt zahllose Menschen, die sich im Job krank arbeiten, weil sie denken, sie müssten immer die perfekte Leistung bringen oder immer „die Extrameile gehen”. So lange, bis ihr Körper nicht mehr mitmacht und der Burn-out sie zur Strecke bringt. Nicht nur junge Mädchen hungern sich krank, um eine Figur wie „Germany’s Next Topmodel” zu bekommen, auch Frauen in den Vierzigern befinden sich im ständigen Krieg gegen ihren eigenen Körper. In der Paartherapie ist einer der häufigsten Sätze, die ich höre: „Ich wollte doch, dass alles perfekt ist.”

In meiner Praxis habe ich es mit unterschiedlichen Typen von Perfektionisten zu tun. Da gibt es die, die bei einem Thema absolut perfekt sein wollen, beispielsweise möchten sie mit allen Mitteln eine Traumfigur bekommen oder sie legen sämtliche Energie in den Job. Dann gibt es die Multiperfektionisten, die in allem immer herausragend sein möchten, zum Beispiel die perfekte Mutter, die eine Bilderbuchkarriere hinlegt und zusätzlich Yogameisterin werden will.

Die weitaus größte Gruppe aber bilden diejenigen, die immer nur das Gefühl haben, besser sein zu müssen, tatsächlich aber kaum etwas dafür tun. Sie liegen beispielsweise am Sonntag auf dem Sofa und denken darüber nach, dass sie eigentlich joggen gehen müssten, tun es aber nicht, haben ein schlechtes Gewissen und können deshalb ihr Leben nicht genießen. Und dann sind da noch diejenigen, die sich immer schlecht fühlen, weil sie meinen, etwas an ihnen müsste besser sein. Innerlich sind sie ständig mit sich im Konflikt, weil sie nicht die ideale Nase haben, nicht die perfekte Strandfigur, nicht den rundum erfüllenden Job und auch nicht den perfekten Look im Schrank.

Das große Problem bei all dem Perfektionswahn: Wer immer perfekt sein möchte, der wird sich niemals gut genug sein. Dieses Buch soll allen Menschen helfen, die meinen, sie wären nicht gut genug, so wie sie sind. Ich habe es für Sie geschrieben, damit Sie entdecken, was für ein wunderbarer Mensch Sie sind, auch wenn Sie keine Modelfigur haben, nicht fließend Chinesisch sprechen und sich auch immer noch nicht für den Iron-Man-Wettbewerb auf Hawaii angemeldet haben. Denn wer ständig nach Perfektion strebt, verliert all das Gute in seinem Leben aus den Augen!

Ihre

Benita Feller

PERFEKTION: WARUM SIE EINE ILLUSION IST

Immer perfekt sein, immer im Sonnenschein stehen – das kann auf die Dauer nicht gutgehen. Um zu verstehen, wie die Perfektionsfalle funktioniert, erfahren Sie in diesem Kapitel zunächst etwas über die Ursachen und Einflüsse, die uns dazu bringen, nie mit uns selbst zufrieden zu sein.

Was heißt schon perfekt?

Gibt man bei Amazon das Wort „perfekt” ein, bekommt man mehr als 600 000 Ergebnisse angezeigt. Perfektion ist sehr gefragt und lässt sich ganz ausgezeichnet vermarkten. Mehr als 10 000 deutsche Buchtitel benutzen dieses Wort, viele davon versprechen uns, dass wir mit ihrer Hilfe unser Denken und Handeln optimieren können. Es scheint, dass überhaupt alles perfekt sein müsse. Die Modemagazine präsentieren uns den perfekten Look, in dem wir uns auf die Suche nach dem perfekten Liebhaber machen, den wir mit einem perfekten Dinner bekochen. Haben wir ihn dann gefunden, wollen wir die perfekte Mutter sein und nebenbei auch noch perfekt in unserem Job performen. Natürlich dürfen wir uns zwischendurch auch mal etwas gönnen, einen perfekten Urlaub zum Beispiel – oder wenigstens einen perfekten Abend mit unseren perfekten Freundinnen.

„Perfekt” bedeutet wörtlich „frei von Mängeln, vollkommen”.

Aber was heißt eigentlich perfekt? Der Duden sagt: „frei von Mängeln, vollkommen”. Weil sich viele Menschen unvollkommen fühlen, greifen sie zu einschneidenden Maßnahmen, um sich zu perfektionieren. Ungefähr 400 000 Deutsche unterziehen sich jedes Jahr einer Schönheitsoperation. Doch auch im Alltag verfallen immer mehr Menschen dem Perfektionswahn. Eine App auf unserem Handy zählt jeden unserer Schritte und jedes Stockwerk, das wir erklommen haben. Die dabei verbrauchte Kalorienmenge können wir dann gegen die Kalorien aufrechnen, die wir zu uns genommen haben und über die natürlich auch Buch geführt wird, schließlich soll nichts unversucht bleiben, damit wir einen perfekten Body bekommen, in dem ein perfekt getaktetes Herz schlägt. Nur ist Perfektion ein Zustand, den die allerwenigsten erreichen, und das auch nur für eine kurze Zeit. Das mühsam antrainierte Sixpack verschwindet nach ein paar Pizzas und einigen Eisbechern ganz schnell und auf Nimmerwiedersehen unter einem gemütlichen kleinen Bäuchlein.

In meiner Praxis erlebe ich fast jeden Tag Menschen, denen die Suche nach der Perfektion zum Verhängnis geworden ist. Sie arbeiten zu viel und leben zu wenig. Ständig auf der Suche nach einem Zustand, von dem sie sich versprechen, dass er sie glücklich macht, verlieren sie sich früher oder später selber aus dem Blick.

Wer sich ständig verbessern will, tut das meist aus einem sehr traurigen Grund: Er fühlt sich so, wie er ist, nicht liebenswert und hofft, das würde sich ändern, wenn er sich ständig optimiert. Das ist ein

Mechanismus, der oft schon in der Kindheit in uns angelegt wurde: Wenn wir in den Augen unserer Eltern etwas Tolles vollbracht hatten, brachten sie ihre Liebe uns gegenüber am deutlichsten zum Ausdruck. Und so versuchen wir ständig, wieder etwas ganz Großartiges zu vollbringen, in der Hoffnung, dafür belohnt zu werden. Auf die Idee, dass wir genau so, wie wir sind, verdammt liebenswert sind, kommen viele nicht.

Ich muss nicht besser werden, um liebenswert zu sein.

Ein Blick in die Historie

Eine meiner Klientinnen stellte mir einmal seufzend die Frage: „Woran liegt das nur, dass heute jeder Mensch meint, er müsse etwas ganz Besonderes sein?” Historisch betrachtet ist das tatsächlich ein relativ neues Phänomen. Früher – und auch heute noch in manchen Ländern – sahen sich Menschen als Teil einer Gruppe, einer Gemeinschaft. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass das Interesse aller über den Interessen des Einzelnen stand, denn allein hat der Mensch kaum eine Überlebenschance: Unsere Vorfahren, die noch in Höhlen lebten, konnten nur im Verband erfolgreich sein. Als der Mensch sesshaft wurde, waren viele Hände nötig, um die Feldarbeit zu erledigen. Die Familie war darüber hinaus das einzige soziale Netz, das es gab und das einen auffing, wenn man krank oder zu alt war, um für sich selbst zu sorgen.

Das Zeitalter des Individualismus begann erst am Ende des 18. Jahrhunderts. Während mit der Erfindung der Dampfmaschine die Weichen für die industrielle Revolution gestellt wurden, machten sich Philosophen wie Immanuel Kant Gedanken über das Individuum und seine Rechte. Ab dieser Zeit wurden sich immer mehr Menschen ihrer Einzigartigkeit bewusst.

Geprotzt und geprunkt wurde natürlich zu allen Zeiten, doch in früheren Zeiten war das ein Privileg einer winzigen adligen Oberschicht. Im 19. Jahrhundert, als sich das Bürgertum entwickelte und zu Wohlstand gelangte, wollte man es dem Adel gleichtun. Das war die Geburtsstunde der Snobs: Der Begriff leitet sich ab von lateinisch „sine nobilitate”, ohne Adelstitel. Es war die Stunde der Dandys und Stutzer, die, nicht ganz unähnlich den Hipstern heute, sehr viel Wert auf ihr Äußeres legten und vor allem eines wollten: auffallen. Doch das konnten sich immer noch nur die wenigsten leisten. Der allergrößte Teil der Bevölkerung hatte damals ganz andere Sorgen, als aufzufallen: Wer 70 Stunden in der Fabrik arbeitet und kaum etwas verdient, hat anderes im Kopf als Selbstverwirklichung.

Perfektionismus ist ein relativ neues Phänomen.

Der moderne Mensch im Perfektionswahn

Wenn man einem Fabrikarbeiter vor 150 Jahren erzählt hätte, welche Probleme seine Nachfahren heute haben, wäre er aus dem Staunen kaum herausgekommen. Was wir auch unternehmen: Gut ist nicht gut genug, es muss immer noch besser werden. Kaum sind wir im Job befördert worden, beschleicht uns das ungute Gefühl, nicht gut genug für die neuen Herausforderungen zu sein und die neue Position wieder zu verlieren – oder wir denken schon über den nächsten Karriereschritt nach. Schaffen wir beim Joggen eine neue Rekordzeit, überlegen wir schon, wie wir die wohl noch übertreffen können. Und wenn wir uns für all unsere Mühen mal belohnen wollen, dann mit einem Urlaub, der aber so was von perfekt ist, dass es nur so kracht.

Wir sind beseelt von dem Gedanken, dass in unserem Leben immer alles größer, schöner und besser sein muss, schon damit wir uns aus der Masse der anderen herausheben. Dieses Streben hat in den letzten Jahren immer mehr zugenommen, besonders seit es die sozialen Netzwerke gibt. Denn dort kann man immer alles vergleichen, bis hin zum Mittagessen. Da wird dann womöglich nicht das Gericht ausgesucht, auf das man Lust hat, sondern etwas, das auf Facebook gut aussieht. Einmal gestand mir eine Klientin, dass sie im Café immer einen großen Eisbecher oder ein dickes Stück Kuchen bestellt, um sich damit abzulichten, und wenn das Foto gepostet ist, reicht sie die Kalorienbombe weiter an ihre Freundinnen.

Alles, was wir tun, soll möglichst einzigartig sein. Hat man dann tatsächlich durch monatelanges Hungern und pausenlose Work-outs die gewünschte Figur, geht es an die nächsten Veränderungen. Als Zeichen der Individualität lässt man sich ein Tattoo stechen, dann noch eins und noch eins. Dabei entsteht inzwischen der Eindruck, dass Menschen ohne Tattoo mittlerweile viel einzigartiger sind. Denn irgendwann werden die Symbole der Individualität zur Uniform, etwa die sündhaft teuren, mit Löchern übersäten Jeans, die aber aussehen, als hätte sie jemand aus der Altkleidersammlung gefischt. Medien und Industrie gaukeln uns vor, wir wären Individualisten, wenn wir nur das richtige Auto fahren, die richtigen Sachen tragen und an den richtigen Orten Urlaub machen – so wie all die anderen Individualisten auch.

Dabei ist jeder von uns von Geburt an einzigartig und perfekt! Doch egal was wir unternehmen, wir wollen uns immer wieder übertreffen und die anderen am besten gleich mit. Eine Klientin erzählte mir einmal folgende Geschichte: Seit ihrer Studienzeit traf sie sich regelmäßig mit drei Freundinnen, man lud sich einmal im Monat gegenseitig nach Hause ein. Doch meine Klientin meinte, sie könne sich diese Freundschaften bald nicht mehr leisten: Früher gab es bei ihren Treffen immer Salzstangen und Prosecco, inzwischen wurde aber von der Gastgeberin erwartet, dass sie Champagner und erlesene Leckerbissen auftrug. Als meine Klientin mal wie früher Salzstangen und Prosecco besorgte, fanden die Freundinnen das überhaupt nicht lustig. Außerdem bot der Umstand, dass meine Klientin nach zehn Jahren im Job immer noch in einer eher bescheidenen Wohnung lebte, immer wieder Anlass zu spitzen Bemerkungen. Sie selbst fühlte sich rundum wohl in ihrem Zuhause, doch geht eine solche Kritik an den wenigsten spurlos vorüber.

Weniger Perfektionismus bedeutet mehr Lebensfreude!

Nachdem wir ausführlich darüber diskutiert hatten, entschloss sie sich, ihren Freundinnen zu sagen, sie wären in ihrer kleinen Wohnung immer willkommen, solange sie sich dort bei Prosecco und Salzstangen wohlfühlten – und siehe da, die Stimmung drehte sich. Auf einmal musste es kein Champagner mehr sein, und die Treffen wurden für alle entspannter.

Der perfekte Wunsch – ein Märchen aus dem Morgenland

Eines Tages fand ein Mann bei einem Spaziergang am Meer zwischen Treibholz eine alte, merkwürdig geformte Flasche, die gänzlich von Korallen überwuchert war. Er befreite sie von ihrem Panzer und rieb an ihrer goldschimmernden Oberfläche. Da entwich ihr mit einem lauten Zischen ein Geist, der sich artig bei dem Mann bedankte und erzählte, er sei ein Prinz, der vor Kurzem von einem Magier in dieser Flasche gefangen gesetzt worden sei. Für seine Befreiung wollte er dem Mann jetzt einen Wunsch erfüllen.

Der Mann wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte, schließlich weiß man, dass einem für die Befreiung von Flaschengeistern eigentlich die Erfüllung von drei Wünschen zusteht. Der Geist konnte Gedanken lesen und erklärte dem Mann, dass er nur eine kurze Gefangenschaft durchgemacht habe und dass es dafür nur einen Wunsch gebe. Der Mann sah, dass es keinen Zweck hatte zu verhandeln. Nur – was sollte er mit dem einen Wunsch anfangen? Er wünschte sich gesund zu bleiben, wollte so glücklich werden wie möglich, vielleicht auch berühmt, aber das Allerwichtigste war ihm, geliebt zu werden, und ein großer Batzen Gold wäre auch nicht verkehrt. Aber wie das alles in einen Wunsch verpacken? Der Mann überlegte und überlegte, und der Geist wurde allmählich ungeduldig. Da sagte der Mann: „Lieber Geist, mach mich zu einem perfekten Menschen!”

Der Geist brach in schallendes Gelächter aus. Als er sich endlich wieder beruhigt hatte, klopfte er dem Mann auf die Schulter. „Leichter konntest du es mir nicht machen, denn du bist längst perfekt.”

„Ich – perfekt?”, protestierte der Mann. „So billig lasse ich dich nicht um den Lohn für deine Rettung kommen! Sieh mich doch an, ich ziehe mein rechtes Bein nach, mit einem Auge schiele ich!”

Wieder brach der Geist in dröhnendes Lachen aus. „Sag, hat dein hinkendes Bein dich nicht an diesen wunderbaren Ort gebracht?” Der Mann nickte. „Und kannst du mit deinem schielenden Auge die Sonne sehen, wie sie gerade im Meer versinkt?” Der Mann nickte wieder. „Und du willst behaupten, nicht perfekt zu sein? Jedes lebende Wesen ist perfekt.”

Starkult – einmal schnell berühmt werden

„In der Zukunft wird jeder weltberühmt sein – für 15 Minuten.” Besser als mit dem Zitat von Andy Warhol lässt sich das Medienphänomen der Jetztzeit kaum beschreiben. Die modernen Medien bieten heute jedem, der sich einer breiten Öffentlichkeit präsentieren möchte, ein weltweites Forum. Im klassischen Fernsehen kann man seine Einzigartigkeit in einer stets wachsenden Zahl von Formaten zur Schau stellen. Wer meint, singen zu können, bewirbt sich bei einer Castingshow, wer sich für einen verkappten Sternekoch hält, dem stehen die Kochshows offen, wer über keine besonderen Talente verfügt, kann sich bei einer Kuppelshow versuchen oder alten Krempel aus Uromas Nachlass einem mehr oder weniger geneigten Publikum präsentieren.

Und wenn man bei all den TV-Formaten nicht die passende Nische für sich findet, klappt es im Internet garantiert: Man kann einen eigenen YouTube-Kanal eröffnen und der Internetgemeinde seine Schnäppchen aus dem Schlussverkauf oder sein Erdbeereis aus dem Thermomix vorführen oder auf Facebook das perfekte romantische Abendessen präsentieren, während man auf Instagram zeigt, wie man sich abschuftet, damit der perfekte Body noch ein kleines bisschen perfekter wird.

Viele meiner Klienten haben sich ganz aus den sozialen Medien zurückgezogen, weil sie sagen, das aufregende Leben der anderen zu sehen mache sie unzufrieden mit dem eigenen. Sie fühlen sich im Vergleich wertlos, hässlich oder einfach nur langweilig. Merkwürdigerweise hinterfragt aber niemand, was da eigentlich präsentiert wird. Es ist ja immer nur ein klitzekleiner Ausschnitt aus dem Leben: Von dem zu Schwermut neigenden Miesepeter findet man bei Facebook nur fröhliche Fotos, wer einmal in der Woche etwas Schönes kocht und ein Bild davon postet, unterschlägt der Internetgemeinde die drei Tiefkühlpizzas, die er zwischendurch vertilgt hat, wer schicke Bilder aus der Muckibude versendet, verbringt vielleicht tatsächlich viel mehr Zeit auf dem Sofa als dort – nur werden davon natürlich keine Bilder gemacht. In der Welt der digitalen Medien gilt also: mehr Schein als Sein.

Man darf sich nicht vom schönen Schein blenden lassen.

Perfektion – ein Schrei nach Liebe?

Es gibt Menschen, die vollbringen Unglaubliches, um sich zu perfektionieren. Sie malträtieren ihren Körper über jede vernünftige Grenze hinaus. Sie schinden sich beim Sport, sie arbeiten bis zum Umfallen, sie legen sich beim Schönheitschirurgen unter das Skalpell und riskieren ihre Gesundheit. Und warum das alles? Sie wollen Anerkennung, sie wünschen sich den Applaus ihrer Umgebung und gieren nach Komplimenten. Oft spielt dabei ein geringes Selbstwertgefühl die entscheidende Rolle. Sie erhoffen sich von außen die Anerkennung, die sie sich selbst nicht geben können.

Natürlich ist das Feedback unserer Umwelt wichtig, um uns ein Bild von uns selbst zu machen und auch überprüfen zu können. Doch wenn Menschen uns immer nur Bestätigung geben, wenn wir etwas Außergewöhnliches vollbracht haben, wenn wir bis an unsere Grenzen oder darüber hinaus gegangen sind, dann läuft etwas schief. Darum sollten wir daran arbeiten, uns selbst anzuerkennen und zu akzeptieren – so wie wir sind, und nicht so, wie wir glauben, dass andere uns gerne hätten. Wie das geht, erfahren Sie im zweiten Hauptkapitel.

Der perfekte Kandidat

Es ist schon eine Weile her, als ein Mann „in den besten Jahren” mir seine Geschichte erzählte. Er hatte lange als freier Grafikdesigner gearbeitet, doch die Auftragslage ließ zu wünschen übrig, und er hatte es auch ein wenig satt, immer als Einzelkämpfer unterwegs zu sein. Lieber wollte er wieder zu einer festen Mannschaft gehören. Daher hatte er sich auf eine Stellenanzeige beworben. Der ausgeschriebene Job war recht anspruchsvoll: Es waren nicht nur seine kreativen Fähigkeiten gefragt, er sollte auch über Managementqualitäten verfügen und viele unterschiedliche Aufträge schnell abwickeln können. Kurz und gut, der neue Job stellte hohe Anforderungen. Obwohl mein Klient schon über 40 war, was in seiner Branche nicht mehr jung ist, wurde er eingestellt.

Doch die Freude über das feste Arbeitsverhältnis währte nur kurz. Schnell erfuhr er, was sich hinter Floskeln wie „Wir erwarten einen überdurchschnittlichen Einsatz” verbarg, nämlich, dass er seine Abende und möglichst auch Wochenenden opferte, und zwar unbezahlt. Als er in der Firma anfing, trennte man sich gleich von zwei anderen Mitarbeitern, deren Aufgaben er mit übernehmen sollte. Im Einstellungsgespräch hatte er auf Nachfrage versichert, belastbar zu sein, doch wie belastbar er tatsächlich sein musste, hatte er nicht geahnt. Der neue Chef schaute schon sehr kritisch, wenn mein Klient mal an einem Abend vor 20 Uhr seinen Schreibtisch räumte.