Wohin die Liebe uns trägt - C. F. Schreder - E-Book
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Wohin die Liebe uns trägt E-Book

C. F. Schreder

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Beschreibung

Verlorene Erinnerungen, ein Familiengeheimnis und eine Liebe mit Hindernissen
Der berührende Liebesroman mit Gefühl und Tiefgang

Seit ihrer Kindheit hat Marie mit einer quälenden Sprachstörung zu kämpfen, die sie in Schweigen hüllt. Eine simple Konversation zu beginnen, scheint für sie ein unüberwindbares Hindernis zu sein. In einem verzweifelten Versuch, ihre Worte wiederzufinden, lässt sie sich von ihrer besten Freundin Louisa zu einer Hypnosetherapie überreden. Doch diese Therapie birgt Geheimnisse aus ihrer Vergangenheit, die lange im Dunkeln lagen. Die hochkommenden Bilder lassen Marie nicht mehr los und bringen sie dazu, in der Musik Zuflucht zu suchen und Halt zu finden. Diesen Halt hat sie dringend nötig, vor allem als sie dann auch noch Alexis kennenlernt, für den sie bald mehr empfindet als Freundschaft. Denn Alexis ist die große Liebe von Louisa, ihrer besten Freundin, und damit eigentlich tabu …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Romans Der Klang meiner Träume.

Erste Leser:innenstimmen
„Die Lovestory war super schön, emotional und sehr romantisch.“
„Die Autorin hat es geschafft, mich die berührende Liebesgeschichte hautnah miterleben zu lassen.“
„Ein toller Liebesroman, der einen etwas nachdenklich und doch lächelnd zurücklässt.“
„Ein äußerst bewegender Friends-to-Lovers-Roman!“

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Seitenzahl: 372

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Über dieses E-Book

Seit ihrer Kindheit hat Marie mit einer quälenden Sprachstörung zu kämpfen, die sie in Schweigen hüllt. Eine simple Konversation zu beginnen, scheint für sie ein unüberwindbares Hindernis zu sein. In einem verzweifelten Versuch, ihre Worte wiederzufinden, lässt sie sich von ihrer besten Freundin Louisa zu einer Hypnosetherapie überreden. Doch diese Therapie birgt Geheimnisse aus ihrer Vergangenheit, die lange im Dunkeln lagen. Die hochkommenden Bilder lassen Marie nicht mehr los und bringen sie dazu, in der Musik Zuflucht zu suchen und Halt zu finden. Diesen Halt hat sie dringend nötig, vor allem als sie dann auch noch Alexis kennenlernt, für den sie bald mehr empfindet als Freundschaft. Denn Alexis ist die große Liebe von Louisa, ihrer besten Freundin, und damit eigentlich tabu …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Romans Der Klang meiner Träume.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Februar 2024

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-859-8 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-832-1

Copyright © 2020, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2020 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Der Klang meiner Träume (ISBN: 978-3-96817-006-0).

Covergestaltung: Dream Design – Cover and Art unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Yevhenii Chulovskyi, © thekopmylife adobe.com: © Uwe, © Michael Lektorat: Janina Klinck

E-Book-Version 02.04.2024, 13:45:11.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Wohin die Liebe uns trägt

Vorwort der Autorin

Liebe Leserinnen und Leser,

Musik transportiert Emotionen und Erinnerungen. Wer kennt es nicht: Man hört einen Song und fühlt sich sofort in den Moment zurückversetzt, der von eben diesem Lied begleitet wurde. Für Marie, die Protagonistin dieser Geschichte, ist die Musik jedoch nicht nur Träger von Gefühlen, sondern Erzählinstrument. Seit ihrer Kindheit hat sie mit ihrer »gläsernen Mauer« zu kämpfen, die sich in den unpassendsten Momenten um ihre Stimme legt und es ihr unmöglich macht, laut zu sprechen. Wenn ihr die Worte fehlen, werden Töne und Melodien zu ihrer Sprache – und ebendiese Sprache der Musik begleitet sie im Verlauf der Geschichte, führt sie zurück in die Vergangenheit und zeigt ihr den Weg in ein ungewisse Zukunft.

Maries Geschichte ist für mich eine ganz besondere, zumal sie das erste Buch ist, unter das ich das Wort Ende gesetzt habe. So finden sich auch viele meiner eigenen Erlebnisse und Erfahrungen in Maries Reise wieder: Die Ruhe auf den verschneiten Gipfeln der Nordkette, die Musik, die einem sonnigen Herbstnachmittag in Innsbruck innewohnt, laute Abende im Irish Pub, vielstimmiges Geplauder mit guten Freunden im Café und das Gefühl, das alles möglich wäre, wen man sich nur entscheiden könnte, wohin der Weg in Zukunft führen soll … all diese Geräusche waren der Soundtrack sowohl von meiner als auch von Maries Zeit in Innsbruck.

Ich hoffe, dass ihr zwischen den Zeilen dieses Buchs Melodien findet, die euch träumen lassen und auf eine imaginäre Reise in die Berge, das Regenwald-Café, die Innsbrucker Innenstadt, auf eine ganze besondere Schaukel unter einem Apfelbaum und an Dutzende weitere Orte mitnehmen.

Viel Spaß beim Lesen!

Eure Christina

Für meine Großeltern Maria und Josef & Josef und Maria ♥

Prolog

18 Jahre zuvor

Das neue Mädchen jagte Louisa Angst ein. Es sprach nie, lachte nie, weinte nicht einmal, wenn es traurig war. Selbst seine Schritte waren lautlos. Es war, als ob das Mädchen nicht aus Fleisch und Blut bestünde, so wie andere Kinder, sondern aus purer, körperloser Luft, und manchmal fragte sich Louisa, ob sie sich die Existenz des Mädchens einbildete.

Louisa duckte sich hinter die Kiste mit Holzspielsachen und tat so, als würde sie nach einem bestimmten Bauklotz suchen, während sie Marie beobachtete. Das war der Name des lautlosen Mädchens. Marie. Gerade saß es an einem Tisch und malte, was es fast wie ein echtes Kind aussehen ließ. Louisa hatte jedoch ihre Zweifel.

»Und du glaubst echt, dass sie ein Geist ist?«, fragte Nicklas, ihr bester Freund, flüsternd.

Louisa nickte.

»Meine Mama sagt, Geister gibt es nicht.«

»Im Fernsehen habe ich aber einen Film über Geister gesehen«, entgegnete Louisa, und das sollte doch Beweis genug sein, dass es Geister sehr wohl gab.

»Meine Mama hat auch gesagt, wir sollen nett zu Marie sein, weil ihr etwas Schlimmes passiert ist.«

»Echt?«

»Ja«, sagte Nicklas.

»Was ist ihr denn passiert?«

»Weiß ich nicht. Aber Mama hat gesagt, ihr muss was Schlimmes passiert sein und von dem Schlimmen hat sie jetzt …«, er überlegte, »einen Trauma, ja, das hat Mama gesagt. Sie hat einen Trauma und wegen dem Trauma redet sie nicht.«

»Einen Traum«, korrigierte Louisa ihn augenrollend. »Ich hatte gestern auch einen schlimmen Traum. In dem Traum waren riesige Spinnen und eine Wespe und ich rede trotzdem.«

»Hmm«, machte Nicklas.

»Ich glaube, deine Mama weiß gar nicht, was Marie geträumt hat.«

Nicklas machte einen Schmollmund. »Vielleicht ist sie doch ein Geist«, gab er dann zu.

Natürlich. Louisa hatte wie immer recht gehabt. »Schau«, sagte sie und zog einen Zettel aus der Bauchtasche ihrer Latzhose. Es war ihre Geister-entdeck-Liste, vollgekritzelt mit kleinen Bildern und Symbolen. Zu den Bildern zählten ein Apfel, denn Geister essen bekanntlich nicht, ein Mond, weil Geister die Nacht lieben, und ein weißes Viereck, das ganz offensichtlich ein Bettlaken darstellte.

Marie trug kein Bettlaken, sondern ein hellgrünes Kleid, und durchsichtig war sie auch nicht. Das konnte Louisa von ihrem Beobachtungspunkt aus genau sehen. Aber das war kein Beweis. Geister waren gut darin, ihre wahre Gestalt zu verbergen. Das wusste Louisa mit Bestimmtheit, weil sie nämlich auch eine Lupe auf ihren Merkzettel gezeichnet hatte. Doch das würde Marie nichts nützen, denn Louisa hatte sich den ultimativen Geister-Test ausgedacht.

Sie schloss ihre Hand so fest um einen roten Bauklotz, dass es wehtat. Es war an der Zeit, die Wahrheit herauszufinden. Nicklas duckte sich noch tiefer hinter seinen Stapel aus Bauklötzen, während Louisa langsam und mit einer Trinkpackung Orangensaft bewaffnet auf das Mädchen zuschlich. Leise, jedoch nicht leise genug. Es kam ihr so vor, als müsste sie genauso lautlos sein wie Marie, um ihr Vorhaben erfolgreich durchzuführen, aber so sehr sie es versuchte, ihre Schritte waren viel zu laut.

Als sie vor dem Maltisch stand, räusperte sie sich, wie es die wichtigen Leute im Fernsehen immer machten. »Hallo.«

Es vergingen ein paar mit Herzklopfen gefüllte Sekunden, in denen nichts passierte. Dann, endlich, hob das Mädchen den Kopf und sah Louisa direkt an. Der gelbe Malstift, den es bis eben gehalten hatte, fiel ihm aus der Hand und landete mit einem leisen Klock auf der Tischplatte. Es war das erste Mal, dass Louisa das Mädchen ein Geräusch hatte verursachen hören. Aber der Gedanke erlosch in dem Moment, als sie das Bild sah, das Marie gezeichnet hatte.

Zwei kleine Mädchen, die Hand in Hand auf einer Blumenwiese standen. Eine mit braunen Zöpfen und einem grünen Kleid, so wie Marie, die andere mit langen blonden Haaren. Louisa hatte lange blonde Haare. Das war ein schlechtes Zeichen!

Am liebsten wäre Louisa zurück zu Nicklas und zu ihren Bauklötzen geschlichen, aber ein wahrer Geisterjäger war mutig, und wer mutig war, gab nicht so einfach auf.

»Möchtest du einen Saft?«, brachte Louisa mit viel zu hoher Stimme heraus.

Langsam ging sie noch einen Schritt näher. Es war ganz einfach. Sie musste nur aus Versehen ein bisschen Saft auf Marie verschütten, denn Geister konnten nicht nass werden. Das hatte ihre große Schwester ihr erzählt, und die wusste alles.

»Ich will ihn!«, rief da ein Junge und schnappte sich die Saftpackung aus Louisas Hand. Jonas, der idiotischste Junge im ganzen Kindergarten.

»Das ist nicht für dich!«

»Die da trinkt es sowieso nicht. Und wenn, dann sagt sie nicht einmal Danke. Weil sie nämlich nicht sprechen kann«, rief er und zog eine Grimasse in Richtung Marie. »Die ist nämlich zu dumm, um was zu sagen!«

Plötzlich überkam Louisa das merkwürdige Bedürfnis, das stumme Mädchen zu verteidigen. Wenn Jonas wüsste, dass Marie nicht dumm war, sondern vermutlich ein Geist, wäre er gleich ganz kleinlaut. Doch ehe sie etwas sagen konnte, beugte der sich nach vorn und riss Maries Zeichnung an sich. Die zuckte zusammen, ihre Lippen so fest aufeinandergepresst, dass sie zitterten. Fast schien es, als wollte sie etwas sagen, aber sie blieb still.

»Hey!«, rief Louisa. »Lass das!«

Jonas ignorierte sie. Stattdessen lachte er gehässig in Maries Richtung. »Was ist denn? Willst du’s wiederhaben? Dann frag mich doch! Ach, warte, das kannst du ja nicht. Dann hol’s dir!«

Damit rannte er davon. Marie sprang von ihrem Stuhl auf und lief ihm hinterher. Louisa sah ganz genau, wie ihre Füße den Boden berührten. Das war merkwürdig, Geister können nämlich fliegen, und im nächsten Moment flog Marie tatsächlich. Allerdings auf den Boden, weil sie über ein Spielzeugauto gestolpert war, und dort blieb sie auch liegen. Sofort kam eine Kindergärtnerin angerannt.

Louisa kam langsam näher. Sie sah Jonas, der sich am anderen Ende des Raumes hinter dem Puppenhaus versteckte, die Kindergärtnerin, die Marie leise flüsternd aufhalf, und Blut, das von Maries Knie tropfte. Marie hatte den Mund schmerzhaft verzogen, eine Träne lief über ihre Wange. Ihre kleinen Schultern zitterten, doch noch immer verließ kein Laut ihre Lippen. Es hatte etwas Faszinierendes und gleichzeitig Trauriges, dieses lautlose Weinen.

Die Liste blitzte durch Louisas Gedanken, vor allem ein bestimmtes Bild: ein roter, durchgestrichener Kreis. Da begriff sie, dass Marie gar kein Geist sein konnte, denn Geister bluteten nicht. Sie war auch kein Vampir und kein Zombie oder irgendetwas anderes Übernatürliches. Wie es schien, war sie tatsächlich ein Menschenmädchen.

Und noch etwas wurde Louisa klar. Nämlich, dass Marie jemanden brauchte, der sie beschützte. Allein, ohne Stimme und ohne Geisterkräfte, kam sie gegen solche Kerle wie Jonas nicht an.

An diesem Tag beschloss Louisa, auf sie aufzupassen.

Teil 1

Von gläsernen Mauern

Kapitel 1

Heute

Vor einigen Jahren erzählte mir meine beste Freundin Louisa die Geschichte eines Pantomimen, der verhungert war, nachdem er den Schlüssel zu seiner imaginären Kiste verloren hatte. Damals lachten wir. Wer starb schon in einem Fantasiegefängnis, umgeben von unsichtbaren Mauern? Was hatte ihn davon abgehalten, aufzustehen und zu gehen? Warum hatte er sich keinen imaginären Bulldozer erdacht, um die Mauern einzureißen?

Die Geschichte verliert ihren Witz, wenn man selbst an die Stelle des Pantomimen tritt. Er hat über seine Situation mit Sicherheit nicht gelacht, und auch mir verging das Lachen, nachdem ich begriff, dass ich sein Schicksal teilte. Zwar konnte ich gehen, wohin ich wollte, doch diese scheinbare Freiheit täuschte. Die unsichtbare Mauer gab es auch in meinem Leben, und obwohl andere sie als etwas belächelten, das nur in meinem Kopf existierte, fühlte sie sich schmerzhaft real an. Diese gläserne Wand, die sich um meine Stimme schloss und keinen noch so kleinen Ton passieren ließ.

Lange hatte ich geglaubt, dass sich hinter dieser gläsernen Mauer ein Geheimnis verbarg. Die Antwort darauf, warum ich mich zeit meines Lebens so gefühlt hatte, als würde etwas Wichtiges fehlen. Doch die Mauer hatte ich mittlerweile zumindest zum Teil eingerissen – und nichts auf der anderen Seite gefunden.

Ich ließ meine Finger auf der Suche nach der richtigen Stelle über die Buchrücken gleiten. Gelesene Bücher wieder einzuordnen, zählte zu den unbeliebtesten Aufgaben meiner Kollegen in der Bibliothek. Ich machte es gerne. Zwischen den endlos langen Regalreihen, umgeben von so viel Wissen, fühlte ich mich wohl, und die Ruhe behagte mir.

»Marie! Hier steckst du!« Die Stimme meiner Kollegin riss mich aus meinen Gedanken. Es war die mit dem rotgefärbten Haar, die immer eine Schicht Make-up zu viel auftrug, unser neuestes und jüngstes Teammitglied. Elena oder Elisa? Vielleicht auch Elli. Obwohl ich versuchte, mir ihren Namen zu merken, entfiel er mir immer wieder, und da sie schon seit mehreren Wochen bei uns arbeitete, wäre ich mir komisch vorgekommen, jetzt noch danach zu fragen.

»Ich muss dich um einen Riesengefallen bitten. Na ja, eigentlich ist er gar nicht so groß. Ich muss los, um meine Schwester aus dem Krankenhaus abzuholen. Keine Ahnung, was sie wieder angestellt hat. Kannst du für mich die Bibliotheksführung übernehmen?«

»Ähm.« Ich warf einen Blick auf den kleinen Stapel noch einzuräumender Bücher, den ich kaum als Ausrede benutzen konnte.

»Ich weiß, meine Bitte kommt sehr spontan. Es ist wirklich ein Notfall.«

Die Sekunden zogen sich wie tropfender Kleister in die Länge, während ich nach einer Entschuldigung suchte.

»Ich …« begann ich und ging in Gedanken alle möglichen Ausreden durch. Ich könnte so tun, als hätte ich Halsschmerzen. Oder sagen, dass ich in einer halben Stunde zu einem wichtigen Termin musste. Vielleicht sollte ich ihr auch einfach die Wahrheit sagen – dass ich lieber tausend Bücherstapel einräumen würde, als fünf Minuten vor einer Gruppe zu sprechen.

Doch in dem Blick meiner Kollegin lag eine unausgesprochene Dringlichkeit und schließlich war ich schon öfter bei solchen Führungen dabei gewesen und konnte den Text auswendig – nur war der Text das kleinste Problem. Wie so oft, wenn ich sie besonders brauchte, ließ mich meine Stimme im Stich. Wahrscheinlich sah ich aus wie eine Schauspielerin aus einem Stummfilm oder wie ein Fisch, der nach Luft schnappte. Sag etwas, Marie.

Nach weiteren, elendslangen Sekunden schaffte ich es nur, mit den Schultern zu zucken.

Elena, Elisa – oder wie auch immer sie hieß – strahlte. »Danke! Ich mache es wieder gut, versprochen!«

Na, wunderbar. Mein Magen verkrampfte sich beim Gedanken an meine bevorstehende Aufgabe. Meine Kollegin strahlte jedoch und hob die Arme, als wollte sie mich umarmen. In ebendiesem Moment war ich stolz, ihr helfen zu können. Doch dann eilte sie davon und ließ mich und meinen kleinen Bücherstapel zurück. Das Gefühl des Stolzes verschwand sofort.

Am Eingangsschalter wartete bereits eine Gruppe Studierende auf mich. Ganz vorne ein junger Mann in kariertem Hemd, der schon jetzt gähnte, obwohl die Führung noch gar nicht begonnen hatte. Der Student hinter ihm schaffte es kaum, seinen Blick von den zwei Mädchen zu lösen, die mit ihren übergroßen Brillen und identischen Frisuren wie Zwillinge aussahen. Dahinter vier weitere Studierende, die leise miteinander tuschelten. Keiner der Teilnehmer wirkte, als wäre er sonderlich interessiert, und ich fragte mich insgeheim, warum sie sich zur Bibliotheksführung angemeldet hatten. Wenigstens würde mich keiner von ihnen zu genau beobachten oder Fragen stellen. Hoffentlich.

Ich schloss kurz die Augen und blendete meine Zuhörer, so gut es ging, aus.

»Hallo. Willkommen zur heutigen Bibliotheksführung«, begann ich etwas zu leise. Die Gruppe schien erst jetzt zu bemerken, dass ich vor ihnen stand. Einer nach dem anderen schaute mich an, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. Schnell senkte ich den Blick. Sie zu lange anzusehen, war schlecht. Schon jetzt spürte ich ihre Blicke wie sengende Glimmstängel auf meiner Haut – jedes Augenpaar eine Schicht meiner unsichtbaren Mauer.

Zum Glück kannte ich ein paar Tricks. Ich stellte mir meine Gruppe als Blumenwiese vor. Klatschmohn, Sonnenblumen und Knabenkraut. Alle Studierenden wurden zu einer Blüte, die keine Fragen stellen, kein Urteil fällen würde. Ich versuchte etwas Schönes zu sehen, etwas Harmloses – Blütenblätter statt starrender Augen. Wogende Grashalme statt massiver Körper. Es war wichtig, dass ich vermied, über das Sprechen selbst nachzudenken und zu lange zu warten. Denn je mehr Zeit schweigend verstrich, desto schwieriger wurde es, überhaupt etwas zu sagen.

Heute half mir das Bild der Blumenwiese, um weiterzureden.

»Am Anfang erkläre ich euch, wie ihr ein Buch ausleihen und den Online-Katalog benutzen könnt, um einen bestimmten Titel zu finden. Danach schauen wir uns die verschiedenen Abteilungen an. Die Bibliothek ist ein Ort, an dem viele Leute lernen. Darum bitte ich euch, während des Rundgangs so leise wie möglich zu sein und höchstens zu flüstern.« Eigentlich hätte ich nun erwähnen sollen, dass ich bei Fragen jederzeit zur Verfügung stand. Den Teil ließ ich aus.

Wir marschierten los. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit ein Buch so fest umklammert hatte, dass meine Fingerknöchel weiß hervortraten.

»Zum Ausleihen der Bücher gibt es bei uns ein elektronisches System.«

Anstatt das Prozedere zu erklären, deutete ich auf einen der Computer, die zur Ausleihe verwendet wurden, und führte die Schritte manuell vor, wobei ich es vermied, irgendjemanden direkt anzusehen.

»Bei Interesse könnt ihr euch eine Bestätigung ausdrucken lassen. Ich zeige euch nun, nach welchem System wir die Bücher und Magazine sortieren.«

Diesen Teil mochte ich wesentlich lieber. Weil ich vor der Gruppe hergehen konnte und niemanden ansehen musste und weil die langen Bücherreihen der einzige Ort der Bibliothek waren, an dem ich mir echtes Interesse meiner Zuhörer erwartete.

Wir waren in der Abteilung für Pädagogik, als die ersten Fragen gestellt wurden.

»Wie viele Bücher können wir uns auf einmal ausleihen?«, wollte eines der Mädchen wissen.

Ich holte tief Luft. Kein Grund nervös zu werden. Du schaffst das, Marie!

»Bis zu fünfzehn.«

Die Antworten auf die meistgestellten Fragen hatte ich ausgearbeitet und auswendig gelernt, als ich anfing, in der Bibliothek zu arbeiten.

»Wie lange dürfen wir ein Buch behalten?«

»Das hängt vom Titel ab. Normalerweise drei bis vier Wochen.«

»Was passiert, wenn wir vergessen, das Buch zurückzugeben?«

»Einen Tag vor Ablauf der Frist bekommt ihr automatisch eine E‑Mail zugeschickt.«

»Und wenn wir’s trotzdem vergessen?«

Dann ist eine Strafe zu bezahlen, wollte ich sagen, doch plötzlich krachte es, als ein Student zwei Meter neben mir seine Bücher zu Boden fallen ließ.

»Oh, Entschuldigung«, nuschelte er und errötete.

Ich nickte, als wäre es kein Problem. In Wahrheit war es das doch, denn in ebendiesem Moment entglitt mir die Vorstellung einer Wiese und die Blumen verwandelten sich in einen Haufen Menschen zurück, die mich fragend anschauten. Plötzlich war ich wieder die junge Schülerin, die vor der Klasse stand und kein Wort herausbrachte, obwohl sie den Text für die Präsentation in- und auswendig wusste. Ich atmete tief ein, konzentrierte mich auf das Gefühl des Sauerstoffs in meinen Lungen.

Sag es, Marie. Komm schon, sag’s einfach! Dann ist eine Strafe zu bezahlen. Nur sechs kleine, einfache Worte, die sich weigerten, meinen Mund zu verlassen. Ich hob einen Zeigefinger in die Höhe, als wollte ich etwas Wichtiges erklären und müsste nur kurz darüber nachdenken.

»Oder wenn wir die Frist nicht verlängern können und das Buch trotzdem behalten?«, hakte der Student im karierten Hemd nach.

Ich spürte die Blicke förmlich auf meiner Haut, während die Sekunden verstrichen. Schon sah ich, wie das erste Gruppenmitglied die Augen verdrehte, während die anderen noch fragend oder verwirrt dreinschauten.

»Gibt es dann eine Strafzahlung?«, versuchte eines der Mädchen mit Brille mir zu helfen. Mehr als ein Nicken bekam ich als Antwort nicht zustande. Immerhin.

»Wir können die Führung auch selbst übernehmen«, meinte einer, und alle, bis auf die Studentin mit Brille, der ich offenbar leidtat, kicherten.

Mit aller Mühe brachte ich ein Lächeln zustande, bedeutete der Gruppe mit einer Handbewegung, mir zu folgen, drehte mich um und setzte den Weg zum Kopierraum fort. Während die Studierende hinter mir herliefen, hörte ich sie leise flüstern.

»Die Arme. Hast du gesehen, wie nervös sie ist?« und »Das ist sicher ihre erste Führung, was meinst du?«

Ich zwang mich, wegzuhören. Denk an Blumen, denk an Musik, an deinen Text, denk an irgendwas.

Bis wir den Kopier- und Druckerraum erreichten, hatte ich es mehr schlecht als recht geschafft, meine Stimme wiederzufinden.

»Das ist der Kopierraum«, flüsterte ich und starrte auf den Boden. »Danke für eure Zeit. Ich hoffe, die Führung hat euch gefallen.«

Bevor irgendjemand etwas sagen oder weitere Fragen stellen konnte, huschte ich davon. Ich würde zurück zu meinem kleinen Bücherstapel gehen und ausgelesene Titel einräumen. Zumindest konnte ich dabei nichts falsch machen. Irgendjemand kicherte, aber ich drehte mich nicht um, um zu sehen, wer es war.

***

Als ich das erste Mal über den Begriff Mutismus stolperte, war ich elf Jahre alt. Meine neue Sprachtherapeutin erwähnte ihn, und sofort stellten sich Herzklopfen und Aufregung ein. War es möglich, dass dieses Ding, diese unsichtbare Mauer, die weder mein Kinderarzt oder meine Eltern noch ich selbst erklären konnten, plötzlich einen Namen hatte?

Zuhause saß ich den ganzen Nachmittag vor dem Computer, um alles über dieses neuartige Wort herauszufinden. Auch wenn die Quellen begrenzt waren, hatte ich die grundlegenden Begriffe bald zusammen: absoluter Mutismus, selektiver Mutismus, Sprachlosigkeit. Die Unfähigkeit, in bestimmten Situationen oder mit bestimmten Personengruppen zu sprechen, obwohl der Sprechapparat eigentlich intakt ist. Die Berichte anderer Betroffener, die von Problemen in der Schule, beim Vorstellungsgespräch oder beim wöchentlichen Einkauf handelten.

Es hätte mir Angst machen können, doch das Gegenteil war der Fall. Endlich einen Namen für meine Mauer zu haben, verlieh ihr eine völlig neue Art der Legitimation. Erstens gab es andere, die unter demselben Problem litten, sogar eine Chance auf Heilung. Die Zeit, in der ich allein mit meinem Problem dagestanden hatte, war vorbei. Zweitens, und noch viel bedeutsamer, war ich nicht länger ein personifiziertes unerklärbares Phänomen. Wenn Leute mich anstarrten, weil sie mein Schweigen irritierte, konnte ich ihnen dieses neue Wort entgegenwerfen – oder zumindest hätte ich es gekonnt, wäre ich nicht sprachlos gewesen. Mutismus: ein einfaches Wort, das alles erklärte.

Es war wie bei einem Produkt mit Markennamen. »Es ist das Label, das zählt«, lernte ich Jahre später in einem Kurs über Marketing und begriff sofort, wie viel Wahrheit hinter dieser Aussage steckte.

Es ist kein überteuertes, schwarzes Kleid – es ist Chanel. Es sind keine vier Jungs mit merkwürdigen Pilzfrisuren, die gerne Gitarre spielen – es sind die Beatles. Es ist kein dunkles Wasser mit Unmengen an Zucker – es ist Coca Cola.

Ich war nicht dumm, zurückgeblieben oder komisch – ich war Mutistin.

***

Die Mittagspause nutzte ich, um mich mit meiner besten Freundin Louisa zu treffen.

»Ich hab dir schon einen Kaffee bestellt!« Lou strahlte, was weder am Kaffee noch an meiner Anwesenheit lag, sondern daran, dass sie verliebt war.

»Danke.« Ich schlängelte mich am Nachbartisch vorbei und ließ mich auf den Stuhl ihr gegenüber sinken. Das Universitätscafé war um die Mittagszeit immer recht voll.

»Hattest du einen schönen Tag?«, fragte Lou.

»Ja.«

»Sicher?«

»Ja.«

Louisa spürte sofort, wenn es mir schlecht ging. Das mochte daran liegen, dass wir uns schon so lange kannten, vielleicht aber auch an ihrem Psychologiestudium, seit dessen Beginn sie die Menschen ihres Umfelds noch genauer beobachtete, als sie es ohnehin schon immer getan hatte.

Lou und ich waren grundverschieden. Sie, die quirlige Frau mit der blonden Lockenmähne, die kaum jemals stillsitzen geschweige denn still sein konnte, und ich, ihre schüchterne Freundin.

Lou war fast einen Kopf kleiner als ich, fiel mit ihrer bunten Hippie-Kleidung, ihrem Nasenpiercing und den unzähligen Ohrlöchern trotzdem mehr auf. Ich hingegen bevorzugte unauffällige Kleidung in Pastelltönen und trug meine braunen Haare schulterlang.

Ich war lieber zuhause bei meiner Familie oder spielte Klavier, während Lou ständig unterwegs war. Manchmal ließ ich mich von ihr mit auf eine Party schleifen. Dann hielt ich mich im Hintergrund, während sie auf der Bar tanzte und flirtete, was das Zeug hielt.

Sie hatte vor nichts Angst. Darum hatte sie mich immer beschützen können. Hinter ihr versteckte ich mich, wenn mir alles zu viel wurde, und sie fand die Worte, die mir fehlten.

»Bist du aufgeregt wegen heute Abend?«, fragte ich.

»Oh ja! Aber es ist eine gute Art der Aufregung. Ich hoffe so sehr, dass du ihn magst.«

»Bestimmt. Er klingt nett.«

»Wir wissen beide, dass das keine Garantie ist.«

Louisa brachte ein schiefes Grinsen zustande. Sie hatte in ihrem Leben schon einige Frösche geküsst und auch wenn sie vorsichtiger geworden war, wurde sie die Vorstellung vom Traumprinzen, der auf seinem weißen Ross angeritten kam, nicht los. Heute Abend würde ich ihren neuen Freund Alexis kennenlernen. Er war Musiker, verdiente mit seiner Band allerdings zu wenig Geld, um sich über Wasser zu halten. Deshalb arbeitete er in einer Spedition, was ihn, Lous Erzählungen zufolge, maßlos langweilte. Die beiden hatten sich vor zwei Monaten in dem Irish Pub kennengelernt, in dem Lou an den Wochenenden kellnerte. Das war alles, was ich über ihn wusste, aber Lous Gesichtsausdruck, wenn sie über ihn sprach, und die Tatsache, dass sie seit genau acht Wochen morgens eine halbe Stunde früher aufstand und leise vor sich hin sang, reichten mir, um Alexis sympathisch zu finden.

»Kannst du dir die Einkaufsliste noch mal durchlesen? Ich gehe gleich nach meiner letzten Vorlesung los und will nichts vergessen«, meinte Louisa und reichte mir die Liste, die ich gestern für sie zusammengestellt hatte. Ich hatte sie schon zweimal überprüft. Lou zuliebe las ich sie mir noch einmal durch.

»Alles drauf.«

»Okay. Danke. Tut mir leid, dass ich so anstrengend bin. Ich möchte einfach, dass alles perfekt wird.«

Wir lächelten uns an. Lou hatte Alexis in unsere Wohnung zum Abendessen eingeladen – gebratener Ananasreis und Hühnerspießchen mit Erdnusssoße. Ein mutiger Schritt, wenn man bedachte, dass ihre Kochkünste bisher im Verborgenen geschlummert hatten. Vermutlich war ihr schon im Vorhinein klar gewesen, dass ich meine Hilfe anbieten würde, sodass ihre Aufgaben am Ende nur darin bestünden, den Einkauf zu erledigen und das Gemüse zu schneiden.

»Alexis kommt um acht. Ich decke schon mal den Tisch, solange du bei der Arbeit bist. Und ich muss aufräumen. Wir wollen den armen Jungen ja nicht gleich mit meinem kreativen Chaos verschrecken!«

In dem Moment wurde der Tisch neben uns frei und zwei neue Gäste quetschten sich durch die engen Reihen. Es waren die Mädchen mit den übergroßen Brillen von der Bibliotheksführung.

Wenn ich sie nicht anschaue, bemerken sie mich vielleicht nicht. Doch gerade, als sie sich niederließen, lachte Lou über ihr kreatives Chaos und zog die Blicke der Mädchen auf sich. Natürlich erkannten sie mich sofort. Die eine lächelte – ob schüchtern oder mitleidig konnte ich nicht sagen – und zeigte auf einen Stapel Bücher, den sie sich gerade ausgeliehen hatte. Eine Sammlung an Gesetzestexten ganz oben, darunter Einführung in die Rechtswissenschaften und einige weitere dicke Schwarten.

Lou bemerkte meinen Blick sofort, doch sie deutete ihn falsch. »Du könntest das auch, weißt du?«

»Hm.« Ich zuckte mit den Schultern.

»Ich meine es ernst. Du würdest das Studium locker schaffen und das weißt du!«

»Vielleicht«, entgegnete ich.

»Ein bisschen mehr Begeisterung, bitte! Ich finde, du solltest dich einschreiben.«

»Ich habe einen Job, Lou.«

Sie verdrehte theatralisch die Augen. »Ja – und wenn dich nicht irgendjemand zwingt, endlich aus deiner Komfortzone zu treten, wirst du noch in fünfzig Jahren Bücher einräumen. Du wolltest doch immer Anwältin werden. Während unserer gesamten Schulzeit hast du davon geredet. Was ist seitdem passiert?«

Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich mich zu einer Antwort durchrang. »Ich bin erwachsen geworden.«

»Und was soll das heißen?«

»Dass ich eingesehen habe, wozu ich in der Lage bin und wozu nicht«, sagte ich, wohl wissend, dass Lou es nicht darauf beruhen lassen würde.

»Für mich hört es sich eher so an, als hättest du eine Dosis Optimismus nötig. Du wolltest schon immer studieren, und wenn ich sehe, wie sehnsüchtig du die anderen Studenten anschaust, bin ich mir sicher, dass du es noch immer willst. Nenn mir einen guten Grund, warum du es nicht könntest.«

Ich nannte keinen. Stattdessen schaute ich Lou nur an. Sie kannte die Antwort, ohne dass ich ein Wort sagen musste. Weil es genau das war, was mich aufhielt. Ein Mangel an Worten.

»Du solltest es wenigstens versuchen.«

»Das wäre Zeitverschwendung. Ich würde es durch keine Präsentation und schon gar nicht durch eine Diskussion schaffen.«

»Das hast du in der Schule überwunden.«

»Habe ich das?«

Ich erinnerte mich noch genau daran, wie ich im Biologieunterricht das Verdauungssystem vorstellen musste und nach dem dritten Satz die Sprache verlor, als zwei meiner Mitschüler mich mit Furzgeräuschen aus dem Konzept brachten. Oder an die Gruppenpräsentation in Englisch, die ich nur überstand, indem ich mein Gesicht hinter meinen Karteikarten versteckte. Oder auch an das eine Mal, als meine Deutschlehrerin die grandiose Idee hatte, während meiner Rede zum Thema Klimawandel das Licht auszumachen, damit ich meine Mitschüler nicht sehen und nervös werden würde. Dass ich daraufhin schweigend im dunklen Klassenzimmer stand, während alle anderen kicherten, dürfte keine große Überraschung gewesen sein. Hätten die Lehrer keine Rücksicht auf meine besondere Situation genommen, würde ich jetzt ohne Abschluss dastehen. Louisa wusste, dass ich recht hatte, nur war das für sie kein Grund aufzugeben.

»Du solltest es mit einer Therapie versuchen.«

Wir hatten diese Diskussion schon mehrmals geführt. Lou, die mir erklärte, dass eine Therapie die Lösung meiner Probleme wäre, und meine Antwort, dass ich als Kind schon genug davon hinter mich gebracht hatte. »Ja«, sagte sie dann jedes Mal. »Aber nur weil du damals an einen Idioten von Therapeuten geraten bist, heißt das nicht, dass du es nicht wieder versuchen solltest.«

»Damit ich dem Ursprung meiner Sprachlosigkeit auf den Grund gehe, weil es da mit Sicherheit irgendein tiefer sitzendes Problem gibt«, wiederholte ich nun, was ich schon so oft von ihr gehört hatte. Seit wir uns im Kindergarten kennengelernt hatten, vertrat sie diese fixe Idee, dass irgendetwas Traumatisches passiert sein musste, das mir meine Stimme geraubt hatte. »Und eine Gesprächstherapie wird mit Sicherheit helfen, weil ich ja so toll von meinen Problemen erzählen kann.«

Lou starrte mich einen Sekundenbruchteil verwirrt an, bevor das Lachen aus ihr herausbrach. »Respekt, Frau Wolff. So viele Worte auf einmal bin ich von Ihnen gar nicht gewohnt – und dann auch noch sarkastisch.«

Nun musste auch ich kichern.

»Bist du mir böse, dass ich die Psychologin spiele und versuche dir zu helfen?«

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf.

»Hast du schon einmal an Hypnose gedacht?«

Diese Idee war neu.

»Es würde dir die Möglichkeit geben, einen Blick in deine Vergangenheit zu werfen; mehr über dich zu erfahren. Und du müsstest dafür nicht einmal reden, nicht aktiv zumindest. Was denkst du?«

»Ich weiß nicht.«

»Ich meine, es ist schon ungewöhnlich, dass du dich an nichts erinnerst, was vor deinem sechsten Lebensjahr passiert ist.« Ich fand das kein bisschen ungewöhnlich, schließlich konnte nicht jeder ein Elefantengedächtnis haben.

»Wenn ich einen Termin für dich organisiere, würdest du es versuchen? Rein theoretisch natürlich.«

»Ich … ähm … keine Ahnung. Vielleicht.«

»Ja?«

»Ja.«

Diese – wenn auch wenig begeisterte – Zusage schien genug für Lou zu sein.

»Okay! Ich sehe, wir machen Fortschritte.« Sie zwinkerte, als hätte sie einen guten Scherz gemacht. »Zeit, um zurück zu erfreulicheren Themen zu kommen. Was werden wir beide heute Abend anziehen?«

Da war es wieder: das Strahlen in Lous Gesicht. Es wurde Zeit, dass ich den Mann, der dafür verantwortlich war, endlich kennenlernte.

Kapitel 2

An diesem Abend ging ich zu Fuß nach Hause. Es war einer der wenigen lauwarmen Spätsommerabende, die wir in Innsbruck vor Herbsteinbruch bekommen würden, und ich wollte die letzten Sonnenstrahlen des Tages auskosten. In solchen Momenten liebte ich meine Stadt und mir wurde bewusst, dass ich den perfekten Platz für mich gefunden hatte.

Unzählige Menschen spazierten durch die Stadt oder saßen im Freien vor den Kaffeehäusern und boten ein lustiges Kontrastbild. Diejenigen, die in der Sonne saßen, hatten die Jacken geöffnet oder ausgezogen und hielten ihre Nasen ins Licht, die anderen, die bloß einen Platz im Schatten ergattert hatten, waren in Decken gewickelt. Ihr Geplauder und das Spiel eines Musikers, der vor einem Kaffeehaus an seinem Klavier saß, erfüllten die Luft mit Fröhlichkeit. Und zwischen all diesen Leuten entdeckte ich ein vertrautes Gesicht. David, einer meiner besten und ältesten Freunde, saß allein an einem Tisch, vor sich zwei Tassen. Schwarzer Kaffee, nur ein kleiner Spritzer Milch, kein Zucker. Schon komisch, welche Wissensdetails man sich in einer langen Freundschaft aneignete.

David war einer derjenigen, die es sich in der Sonne bequem gemacht hatten. Seine Jacke hing lässig über der Lehne seines Stuhls, sodass er nur ein kurzärmeliges, einfarbiges Shirt trug. Seine dunklen Haare waren brav zur Seite gekämmt, mit der einen Hand schirmte er seine Augen gegen die Sonne ab, was mich zum Schmunzeln brachte. Zu Beginn des Sommers hatte er beim Bergsteigen seine Sonnenbrille verloren und es anscheinend noch immer nicht geschafft, sich eine neue zu besorgen.

Ich winkte. Erst bemerkte David mich nicht, doch dann zeichnete sich ein breites Lächeln auf seinem Gesicht ab, während er gegen die Sonne blinzelnd die Hand hob. Den Rest des Abends kaffeetrinkend in der Innenstadt zu verbringen, hatte ich zwar nicht geplant, doch für einen kurzen Schwatz mit einem meiner besten Freunde lohnte es sich, einen Zwischenstopp einzulegen.

Da schob sich ein hellroter Lockenkopf vor Davids Gesicht. Eine junge Frau ließ sich ihm gegenüber auf dem freien Platz nieder, drehte sich um und schaute genau in meine Richtung. Ich stoppte mitten im Schritt, so abrupt, dass ich beinahe über meine eigenen Füße stolperte. Wie es aussah, hatte David ein Date. Ein Date mit einer besonders hübschen jungen Dame noch dazu. Lange Locken, Stupsnase und Sommersprossen. Während sie noch zu mir herübersah, bemühte ich mich, mich so unauffällig wie möglich umzudrehen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie David die Augenbrauen in die Höhe zog, als wäre es ihm peinlich, dass ich ihn beinahe bei seiner Verabredung gestört hatte.

Mittlerweile stand die Sonne so niedrig, dass ihre Strahlen die Gipfel der Nordkette leuchten ließen. Sattgrüne Berghänge luden zum Wandern ein. Vielleicht noch dieses Wochenende. Ich würde Lou oder David überreden, mich zu begleiten, wobei allzu viel Überredung bei beiden nie nötig war.

Als ich kurz darauf in unserer Wohnung ankam, war das Chaos bereits in vollem Gange. Der Tisch war für drei Personen eingedeckt und mit einigen Kerzen geschmückt. Das war allerdings der einzige ordentliche Bereich der gesamten Wohnung. Mindestens sechs verschiedene Outfits lagen auf dem Boden und der Couch verstreut. Ebenfalls auf der Couch befand sich die Hälfte von Lous Einkäufen, während die zweite Hälfte zumindest den Weg in die Küche gefunden hatte. Offensichtlich hatte Lou in einem Anfall von Motivation angefangen zu kochen oder zumindest die Vorarbeiten zu leisten. Sie musste die Lust jedoch schnell wieder verloren haben. Einige Töpfe waren aus den Schränken geräumt, jedoch unbenutzt. Auf der Anrichte lagen eine halb aufgeschnittene Paprika und eine Ananas, in der ein Steakmesser steckte, als hätte jemand versucht, sie zu erdolchen. Lous Aufregung war nahezu greifbar. Selbst unser WG-Hamster Alfred Adler hatte sich davon anstecken lassen und radelte wie wild in seinem Laufrad.

»Ich bin zu Hause!«, rief ich.

Die Erleichterung war Louisa anzusehen, als sie aus ihrem Zimmer gerannt kam. Sie trug ein grünes Kleid mit weißen Punkten. »Was sagst du dazu? Zu viel? Zu viel!«

Noch ehe ich eine Antwort geben konnte, landete das Kleid auf dem Boden, und Lou lief in Unterwäsche zurück in ihr Zimmer. Wenn sie eine Verabredung hatte, war sie immer nervös, allerdings hatte ich sie selten so aufgeregt erlebt wie heute.

»Na, Kleiner, alles in Ordnung bei dir?«, fragte ich unseren Hamster und steckte ein kleines Stück Karotte durch die Gitterstäbe. Sofort sprang Alfred Adler von seinem Laufrad und stürzte sich darauf. »Lass dich von Lou nicht nervös machen. Ich tu’s auch nicht.«

Schon kam sie wieder aus ihrem Zimmer gelaufen – immer noch in Unterwäsche – mit zwei Oberteilen in der Hand. »Das Weiße oder das Gemusterte?«

»Sind beide hübsch.«

»Du bist keine große Hilfe!« Sie drehte sich im Kreis, als suche sie nach einem rettenden Hinweis, und anscheinend fand sie ihn, denn sie entschied sich für das weiße Oberteil.

»Ich finde meine grauen Jeans nicht. Verdammt! Warum muss heute alles schieflaufen?«, fluchte sie und stolperte auf dem Weg zurück in ihr Zimmer beinahe über einen der Kleiderhaufen. Ich fing an, die einzelnen Kleidungsstücke aufzusammeln. Die grauen Jeans waren ebenfalls dabei.

»Ich nehme alles zurück! Du bist doch eine große Hilfe«, meinte sie, als ich ihr die Hose zuwarf.

»Ich fange schon mal in der Küche an, während du dich fertigmachst.«

Als Erstes schaffte ich etwas Ordnung und widmete mich dann der Paprika. Kurz darauf stieß Lou dazu.

»Ich habe schon mal angefangen«, meinte sie. »Gemüse geschnitten und so.«

»Und die Ananas erdolcht.« Ich grinste.

»Wir können alle froh sein, dass nur die Ananas meinem Wahnsinn zum Opfer gefallen ist. Ich verstehe selbst nicht, warum ich so nervös bin. Aber Alexis dir vorzustellen ist fast ein bisschen so, als würde er meine Eltern kennenlernen.«

»Interessante Sichtweise.«

»Merkwürdig?«, fragte sie.

»Sehr merkwürdig!«, bestätigte ich.

Nun, da die Kleiderfrage geklärt war, konzentrierten Lou und ich uns aufs Kochen. Wir waren ein beeindruckend gutes Team in der Küche. Die Zeit verging wie im Flug, während wir in der Küche werkten. Schon klingelte es an der Tür.

Und dann stand Alexis in der Wohnung. Er war ungefähr so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, und doch ganz anders. Er war über einen Kopf größer als Louisa, etwas blass und hatte dunkelbraune, glatte Haare, die ihm unordentlich in die Stirn fielen. Mit seinem weißen Hemd und der Anzugjacke wirkte er förmlicher als erwartet. In der Hand hielt er einen Strauß Gänseblümchen.

»Ich bin ein paar Minuten zu früh dran, ich hoffe, das ist okay.«

»Natürlich«, meinte Lou und gab ihm einen Kuss. »Das ist Marie.« Lous Nervosität war mittlerweile verflogen.

»Freut mich.« Er überreichte mir die Blumen.

»Oh … danke.«

»Gerne. Jemand«, er warf Louisa einen verschmitzten Blick zu, »hat mir eingeschärft, dass es wichtig sei, dich zu beeindrucken.«

Sie sind ein Mann, der weiß, wie man Frauen beeindruckt, hätte ich gerne gesagt. Oder irgendetwas anderes Lustiges. Stattdessen murmelte ich nur: »Gänseblümchen.«

Ich machte Alexis mit dem dritten und mit Abstand gefräßigsten Mitglied unserer Wohngemeinschaft, Alfred Adler, bekannt, während Louisa kurz in der Küche verschwand.

»Süßer Kerl«, meinte er und zog seine Jacke aus. »Louisa hat erzählt, dass du in der Universitätsbibliothek arbeitest?«

»Oh, ja. Ich mache das gerne«, sagte ich wie zur Verteidigung.

»Schön, wenn man etwas machen kann, das einem wirklich gefällt.« Seine Worte klangen überraschend aufrichtig. »Lou meinte auch, du würdest vielleicht nicht mit mir sprechen. Dass du«, er hielt kurz inne, wie um abzuwägen, ob es ein Fehler war, fortzufahren, »Mutistin bist.«

Es war ein kleiner Schock, diesen Begriff aus Alexis’ Mund zu hören, aber ich nickte.

»Ich hoffe, ich trete dir damit nicht zu nahe«, fügte er hinzu.

»Schon in Ordnung.«

Im nächsten Augenblick kam Lou mit dem angerichteten Essen zurück. »Okay, ihr zwei. Die Zeit der Völlerei ist angebrochen.«

Der Abend lief besser als erwartet. Lou plauderte über eines ihrer Seminare und über ihren Nebenjob in der Bar. Spätestens als sie bei den Anekdoten von betrunkenen Bargästen angelangte, war das Eis gebrochen. In Bezug auf seinen Job in der Spedition zuckte Alexis nur die Schultern und meinte, irgendwo müsse das Geld ja herkommen. Damit war das Thema Arbeit für ihn beendet. Dafür liebte er es, über seine Musik und seine Band The Great Anubis zu sprechen.

»Wir sind zu viert. Chris und ich an der Gitarre, Toni, unser Bassist, und Rich am Schlagzeug. Wir wohnen auch zusammen.«

»Oh, wow … Das ist … ähm.«

»Sehr eng?«, fragte Alexis schmunzelnd. »Ganz ehrlich, manchmal ist es ziemlich chaotisch. Chris bringt regelmäßig Frauenbekanntschaften mit nach Hause, Rich benutzt unsere Wohnung am Wochenende für politische Diskussionsrunden und Toni beschließt ungefähr einmal im Monat, dass er anfangen muss, Sport zu treiben, und turnt dann durch den Gang oder macht Yoga im Wohnzimmer. Aber ehrlich gesagt mag ich dieses Chaos.«

Aha. Ein Frauenheld, ein politischer Aktivist und ein Möchtegern-Sportler. Ich hätte gerne gewusst, welche Rolle Alexis in seiner Wohngemeinschaft übernahm, doch da wechselte Lou bereits das Thema.

»Du solltest sie spielen hören, Marie. Sie sind richtig gut!«

»Wir sind mittelmäßig«, winkte er ab.

»In Mittelmäßigkeit habe ich mich nicht verliebt, als ich dich zum ersten Mal habe singen hören«, meinte Lou und blies ihm einen Kuss zu.

Alexis schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich sollte froh sein, dass du keinen meiner ersten Auftritte gesehen hast. Wer weiß, ob du dich in einen von vier Jungs verliebt hättest, die stocksteif auf der Bühne standen und nervös in die Menge schauten.«

»Bestimmt!«

»Die Sache ist, wir covern nur Lieder anderer Bands. Darin sind wir gut, aber wenn ihr mich fragt, zeichnet sich ein richtiger Musiker vor allem durch seine eigenen Kompositionen aus, nicht dadurch, die Lieder anderer Leute zu spielen.«

»Habt ihr es schon mal versucht?«, wollte ich wissen und meinte damit, ob sie selbst schon einmal etwas komponiert hatten.

»Wir sind gerade dabei. Es läuft … okay. Meinen Eigenkompositionen fehlt leider irgendetwas. Momentan versuche ich herauszufinden, was dieses gewisse Etwas sein könnte.«

»Vielleicht könnte Marie dir beim Komponieren helfen«, schlug Louisa vor. »Sie ist eine talentierte Musikerin.«

Er zog die Augenbrauen in die Höhe. »Du spielst ein Instrument?«

»Ja, Klavier und Flöte.« Ich hatte mit acht Jahren angefangen, die Musikschule zu besuchen. Die Idee dafür war von meiner Sprachtherapeutin gekommen. Sie empfahl meinen Eltern, es mit der Flöte zu versuchen, da die speziellen Mundbewegungen und das Pusten in den Flötenhals mir helfen könnten. Früher bot die Musik mir die Möglichkeit, mich auszudrücken, wenn mir die Worte fehlten, und auch wenn ich mittlerweile weniger Zeit am Klavier verbrachte, war dieses Gefühl geblieben.

»Du solltest uns etwas vorspielen! Ich liebe es so sehr, dir beim Spielen zuzuhören. Es ist viel zu lange her, seit –« Sie wurde vom Klingeln ihres Handys unterbrochen. Sofort sprang sie auf und verschwand in die Küche. »Bin gleich zurück!«

»Da rede ich die ganze Zeit von meiner Musik und dabei sitzt die eigentliche Musikerin mir am Tisch gegenüber«, meinte Alexis schmunzelnd, und obwohl ich glaubte, dass er nur nett sein wollte, fühlte ich die Röte in meinen Wangen hochsteigen. Ich liebte meine Musik, ja wirklich, und trotzdem gehörte sie zu den Themen, über die zu reden es mir besonders schwerfiel. Mein Freund David meinte einmal, es liege daran, dass meine Musik mir zu persönlich wäre, um sie mit irgendjemandem zu teilen, und auch wenn ich damals abgewunken hatte, war das die beste Erklärung, die ich bisher gefunden hatte.

»Ich … ähm … ich spiele nur für mich. Also, ich bin keine Musikerin wie du. Ich meine …«

»Macht es denn einen Unterschied, ob man für andere oder für sich selbst spielt?«, fragte Alexis.

Einen großen, hätte ich gerne geantwortet. Das eine involvierte eine Bühne und Menschen, die einen anstarrten, das andere nur mich selbst, aber wie sollte ein Mensch wie Alexis, der das Bühnenleben atmete, das verstehen? Also zuckte ich nur die Schultern.

»Als ich angefangen habe, zu spielen, habe ich mich immer in meinem Zimmer eingeschlossen. Wenn mir damals jemand erzählt hätte, dass ich irgendwann in einer Band spiele, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt«, meinte Alexis, ganz so, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Damals war ich dreizehn und fühlte mich mit meinem Musikgeschmack allein. Ich liebte Pearl Jam und Nirvana, meine Freunde hörten Rapmusik. Mit dreizehn fühlt man sich so, als ob einen keiner versteht. Als ob man der allererste Mensch auf der Welt wäre, der so etwas wie Verliebtsein oder Angst oder … keine Ahnung, einfach alles fühlt. Aber diese Bands, die haben mich verstanden. Und dass ich mit keinem meiner Freunde über diese Art von Musik reden konnte, war hart für mich. Das klingt wahrscheinlich melodramatisch.« Er hielt inne.

»Es klingt gar nicht melodramatisch«, schaffte ich es, zu sagen. Mittlerweile war der Knoten in meinem Hals auf die halbe Größe geschrumpft. Es fühlte sich so natürlich an, mit Alexis zu reden, als ob ich mich mit einem alten Freund unterhalten würde.

»Jedenfalls hab ich damals beschlossen, selbst Musiker zu werden. Aber wechseln wir das Thema und kommen zu der wirklich wichtigen Frage«, sagte Alexis. »Wie habe ich abgeschnitten?«

»Wie bitte?«

»Na ja, meine Mission für heute war es, dich zu beeindrucken. Oder zumindest sicherzustellen, dass du mich für keinen Vollidioten hältst. War ich erfolgreich?«

Ach, das meinte er. Ich nickte.

»Dann bin ich erleichtert. Ich meine es ernst. Normalerweise kommt es darauf an, einen guten Eindruck bei der Familie zu hinterlassen, aber ich hatte das Gefühl, dass es für Lou viel wichtiger ist, was du von mir denkst.«

»Wir sind schon so lange befreundet. Wir sind wie Schwestern.«

»Das merkt man.«

Ich entschuldigte mich, um ins Bad zu gehen. In Wirklichkeit schlich ich mich zu Lou in die Küche. Bestimmt konnte sie es kaum erwarten, meine Meinung über Alexis zu hören. Bevor sie den Mund aufmachen konnte, sagte ich: »Alexis hat den Test bestanden. Ich finde ihn sehr nett und ihr passt gut zusammen.«

»Ja, findest du?« Ihre Miene hellte sich augenblicklich auf. »Aber es gibt etwas anderes, worüber ich mit dir sprechen möchte. Ich habe die besten Neuigkeiten! Der Anruf von vorhin, er kam von einer Bekannten, die Hypnosetherapie macht.«

Oh nein!

»Ich habe sie angerufen und ihr von deinem Fall erzählt. Sie konnte einen Termin für dich freimachen. Er ist schon in zwei Tagen. Am Mittwoch.«

Nein, nein, nein! Warum war ich heute Nachmittag nicht vehementer gewesen? Ich hätte wissen müssen, dass Lou mein »vielleicht« als fixe Zusage interpretieren würde.

»Das ist eine richtig gute Möglichkeit, einen Schritt nach vorne zu machen. Was sagst du?«

»Lou, ich … keine Ahnung.«

»Ich habe schon zugesagt.«

»Du hättest mich vorher fragen sollen.«