Worst Best Man - Mia Sosa - E-Book

Worst Best Man E-Book

Mia Sosa

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Beschreibung

Spicy Spring - Eine Romance mit Suchtfaktor.

Als Hochzeitsplanerin vor dem Traualtar stehen gelassen zu werden, ist nicht gerade optimal. Aber Lina Santos lässt sich nicht so einfach unterkriegen. Wenn es mit dem privaten Glück nicht klappt, dann mit dem beruflichen. So ergreift sie eine einmalige Karrierechance und bewirbt sich als hauseigene Weddingplanerin eines Sternehotels. Um den Job zu bekommen, gilt es allerdings noch eine letzte Bewerbungsrunde zu überstehen. Und dafür muss sie ausgerechnet mit dem Marketingexperten Max Hartley zusammenarbeiten – Bruder und Trauzeuge ihres Ex-Verlobten. Und derjenige, der damals ihre Hochzeit verhinderte. Lina sollte ihm ewige Feindschaft schwören, aber ohne seine Hilfe schwinden die Aussichten auf ihren Traumjob. Außerdem war er schon immer der charmantere der Hartley-Brüder. Vielleicht darf Rache in diesem Fall ja süß und heiß sein ...

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Buch

Ausgerechnet als Hochzeitsplanerin vor dem Traualtar stehen gelassen zu werden, ist nicht gerade optimal fürs Geschäft. Aber die temperamentvolle Lina Santos lässt sich nicht so einfach unterkriegen. Wenn es mit dem privaten Glück nicht klappt, dann eben mit dem beruflichen. So ergreift sie eine einmalige Karrierechance und bewirbt sich als hauseigene Weddingplanerin eines angesagten Luxushotels. Um den Job zu bekommen, gilt es allerdings, noch eine letzte Bewerbungsrunde zu überstehen. Und dafür muss sie ausgerechnet mit dem Marketingexperten Max Hartley zusammenarbeiten – Bruder und Trauzeuge ihres Ex-Verlobten. Und derjenige, der damals ihre Hochzeit verhinderte. Lina sollte ihm ewige Feindschaft schwören, aber ohne seine Hilfe schwinden die Aussichten auf ihren Traumjob. Außerdem war er schon immer der charmantere der Hartley-Brüder. Vielleicht darf Rache in diesem Fall ja süß und heiß sein …

Weitere Informationen zu Mia Sosa

finden Sie am Ende des Buches.

Mia Sosa

Worst Best Man

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Kerstin Winter

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »The Worst Best Man« bei Avon, an imprint of HarperCollins Publishers, New York.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Dataminings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstveröffentlichung März 2024

Copyright © der Originalausgabe 2020 by Mia Sosa

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Published by arrangement with Avon, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotive: FinePic®, München

Redaktion: Michelle Stöger

TK · Herstellung: ik

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN: 978-3-641-31186-5V001

www.goldmann-verlag.de

Es brauchte ein ganzes Dorf, um uns zu erziehen.

Diese Geschichte ist für die Dorfältesten: Mãe, Ivany und Reni.

Prolog

The Stockton Hotel, Washington, D.C.

Drei Jahre zuvor

Max

Mein Handy meldet die eingehende Nachricht mit einem lustigen Zwitschern – wodurch mich der Sprengstoff auf dem Display völlig unvorbereitet trifft:

Andrew: Alles, was du gestern gesagt hast, stimmt. Dank dir sehe ich endlich klar. Ich kann Lina nicht heiraten, und du musst es ihr sagen. Keine Sorge, sie wird damit klarkommen. Ich verschwinde ein paar Tage, um den Kopf frei zu kriegen. Sag Mom und Dad, ich melde mich bald.

Ich bin zu jung und zu verkatert für diesen Scheiß.

Mit den wenigen Hirnzellen, die das gestrige Barhopping überlebt haben, versuche ich, die kümmerlichen, mir zur Verfügung stehenden Informationen sinnvoll zusammenzufügen. Erstens: Mein großer Bruder Andrew, der Es-allen-Rechtmacher par excellence, bei dem immer alles nach Plan läuft, soll heute Morgen heiraten. Zweitens: Er ist nicht in unserer Hotelsuite, was bedeutet, er muss abgehauen sein, nachdem ich gestern Nacht eingepennt bin. Und drittens: Er macht niemals Witze, egal worüber – der Stock in seinem Arsch verhindert, dass er überhaupt je Spaß hat. Wie auch immer ich die einzelnen Puzzleteile hin und her schiebe, sie wollen einfach nicht zusammenpassen.

Oder könnte es sein, dass Andrew plötzlich doch einen – zugegeben fürchterlichen – Sinn für Humor entwickelt hat? Gott, ich kann es nur hoffen.

Ich kämpfe mich aus dem Laken, das sich um meinen Oberkörper gewickelt hat, setze mich auf und tippe eine rasche Antwort ein.

Ich: Das ist nicht witzig. Melde dich. Sofort.

Er reagiert nicht, also rufe ich ihn an. Als ich direkt auf der Mailbox lande, akzeptiere ich, dass er nicht erreicht werden will, und wünsche ihm eine gute und zügige Reise direkt in die Hölle.

Keine Sorge? Sie wird damit klarkommen? Mein Bruder ist ein Vollpfosten, falls er glaubt, Lina würde nicht ausrasten, wenn sie hört, dass er heute nicht auftauchen wird. Und während ich mir ihre Reaktion in den schönsten Farben ausmale, wird mir plötzlich bewusst, was Andrew noch geschrieben hat, und das flaue Gefühl in meinen Eingeweiden verstärkt sich: Alles, was du gestern gesagt hast, stimmt. Dank dir sehe ich endlich klar. Dummerweise kann ich mich kaum an gestern Abend erinnern – eine ganze Flasche Tequila kann das Kurzzeitgedächtnis durchaus beeinträchtigen –, ganz zu schweigen davon, mich an den Schwachsinn zu erinnern, den ich mit meinem Bruder in seinen letzten Stunden als Junggeselle verzapft haben mag. Wenn ich allerdings raten müsste, habe ich vermutlich verkündet, dass das Singledasein dem eines Ehemanns selbstverständlich vorzuziehen sei, und so getan, als sei ich ihm im Spiel des Lebens um Längen voraus.

Ich bin fünfundzwanzig. Er ist mein Bruder. So gehen wir eben miteinander um.

Herrgott. Ich lasse mich aufs Bett zurückfallen und überlege, was zu tun ist. Jemand muss die Braut aufklären. Meine Mutter ist keine Option. Sie ist taktlos. Auf dem zwanzigsten Hochzeitstag meiner Eltern hat sie meiner Großmutter – und einem ganzen Saal voller Gäste – erklärt, dass sie nur deshalb gezögert habe, meinen Vater zu heiraten, weil sie befürchtet hatte, er könne ein Muttersöhnchen sein, da Grandma Nola ihn viel zu lange an ihren Titten hatte nuckeln lassen. O-Ton. Mein Vater dagegen würde sofort den Investigativreporter herauskehren und sich auf eine übergriffige Wahrheitsfindungsmission begeben, um zu klären, wieso mein Bruder seine Verlobte sitzengelassen hat. Und, ja, dieses eher ungeschickte Verhalten würde die Lage noch schlimmer machen. Das weiß ich aus erster Hand – es ist einer der Gründe, warum unsere Eltern sich vergangenes Jahr haben scheiden lassen. Da meine große Klappe nun aber anscheinend mitverantwortlich dafür ist, die jetzige Verkettung unglücklicher Ereignisse ausgelöst zu haben, bin ich wohl derjenige, der in der Pflicht ist. Aber verdammt nochmal, ich will nicht.

Ich massiere mir meine pochenden Schläfen, dann quäle ich mich aus dem Bett und humpele zum Bad. Als ich mir Minuten später die Zähne putze und dabei tunlichst mein unrasiertes, rotäugiges Spiegelbild ignoriere, zwitschert mein Handy erneut. Andrew. Ich spucke das Mundwasser aus, stürze zurück ins Zimmer und schnappe mir das Handy vom Nachttisch – nur um enttäuscht zu werden. Eine Nachricht von meinem Vater.

Dad: Schwingt euern Hintern runter. Dein Bruder kommt zu spät zu seiner eigenen Trauung, wenn er nicht in fünf Minuten hier ist.

Alles in mir erstarrt. Atome, Blutfluss, das volle Programm. Vielleicht bin ich vorübergehend klinisch tot. Denn um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, habe ich offenbar verschlafen, wodurch ich mir jede Chance verbaut habe, die Gäste abzufangen, ehe sie ankommen, und ich diesen Kacktag noch eine Nuance bescheidener mache.

Das Plärren aus dem hoteleigenen Digitalwecker reißt mich aus meiner Betäubung und malträtiert meinen Schädel. Ich schlage auf die Austaste und starre mit verengten Augen auf das winzige Snooze-Icon am Rand des Displays, das mich verhöhnen will. Im Ernst jetzt? Nie wieder trinken! Ah, nein, Moment, das geht jetzt vermutlich ein bisschen zu weit. Besondere Gelegenheiten. Ja, genau. Das geht. Von jetzt an trinke ich nur noch zu besonderen Gelegenheiten. Gilt die Pflicht, eine Braut darüber zu informieren, dass der Bräutigam nicht zur Hochzeit erscheint, als so eine Gelegenheit? Vermutlich eher nicht. Wäre es mir anders lieber? Fuck ja.

Lina

Mitleid. Das ist es, was ich in Max’ whiskybraunen Augen erkenne. In seiner niedergeschlagenen Haltung. In seinem Versuch, nicht bedauernd die Lippen zusammenzupressen.

Ich bedeute ihm einzutreten. »Was ist los?«

Meine Stimme ist exakt so, wie sie sein sollte: Ruhig. Gleichmäßig. Tatsächlich überwache ich meinen täglichen emotionalen Output wie andere ihre Kalorienzufuhr, und da meine Mutter und ich soeben ein paar sehr tränenreiche Minuten miteinander verbracht haben, sind mir entweder gerade die Gefühle ausgegangen, oder ich stehe kurz davor, das heutige Pensum zu überschreiten.

Max marschiert bis in die Zimmermitte und wendet sich dann langsam zu mir um, wobei er am Kragen seines Button-down-Hemds herumfummelt. Das ist übrigens das deutlichste Anzeichen, dass etwas nicht stimmt: Er trägt nicht den hellgrauen Anzug, den Andrew für seine Trauzeugen ausgesucht hat.

Ich versuche es mit einer anderen Frage. »Ist mit Andrew alles okay?«

Wenn Max hier ist, kann es ja nicht so schlimm sein. Ich kenne ihn zwar nicht besonders gut – er wohnt in New York und war bei den meisten vorhochzeitlichen Feiern nicht dabei –, aber Andrew hat außer ihm keine Geschwister, und wenn etwas Schlimmes passiert wäre, wäre er doch jetzt bestimmt bei seinem großen Bruder, oder nicht? Na ja, wenn man bedenkt, dass Max erst Andrews dritte Wahl als Trauzeuge war (nachdem eins und zwei höflich abgelehnt haben), erschließt sich das vielleicht doch nicht zwingend.

Max zieht die Brauen zusammen, und die daraus entstehenden Falten auf seiner Stirn erinnern mich an kleine Kräuselwellen. »Ja, klar, Andrew geht’s bestens. Das ist es nicht.«

Ich presse mir die Hand auf den Bauch und atme bebend aus. »Okay, gut. Worum geht’s dann?«

Er schluckt. Hart. »Er kommt nicht. Zur Hochzeit, meine ich. Er meint, er kann das nicht.«

Ein paar Sekunden lang kann ich nur blinzeln und verarbeiten. Und das tue ich. Blinzeln und verarbeiten. Gott! Die ganze Vorbereitung. Die Gäste. Die Familie, die von nah und fern angereist ist. Ich male mir die Folgen aus und schaudere. Meine Mutter und meine Tanten werden toben. Ehe die Sonne untergeht, werden sie Suchtrupps zusammengestellt haben, um Andrew zu finden und ihm mit der präzisen Choreographie und der mühelos synchronen Eleganz einer Profishowtruppe in die Eier zu treten. Und bei ihrem unternehmerischen Geschick würde es mich nicht wundern, wenn sie das Ganze »Nussknacker« nennen und dafür Tickets verkaufen.

Max räuspert sich. Das abgehackte Geräusch unterbricht meinen Gedankenstrom, und nun wird mir das Ausmaß des Ganzen erst richtig bewusst.

Ich werde heute nicht heiraten.

Meine Kehle zieht sich zu, meine Brust verengt sich. O nein, nein, nein. Reiß dich zusammen. Du bist Profi darin, du kannst das. Ich ringe mit den Tränen und ramme sie in ihre Drüsen zurück.

Max rückt ein Stückchen näher an mich heran. »Was kann ich tun? Soll ich dich in den Arm nehmen? Brauchst du eine Schulter zum Ausweinen?«

»Ich weiß nicht, was ich brauche«, sage ich heiser und leider nicht so unerschütterlich, wie ich zu klingen gehofft habe.

Sein trauriger Blick begegnet meinem. Er breitet die Arme aus, und in meinem verzweifelten Wunsch nach menschlichem Kontakt lasse ich mich an ihn ziehen, um mich weniger … verloren zu fühlen. Er umarmt mich nur leicht, und ich spüre instinktiv, dass er sich zurückhält, als befürchte er, mich versehentlich in die Tiefe zu ziehen, anstatt mich über Wasser zu halten. Vage wird mir bewusst, dass Max sich feucht anfühlt, vermutlich kommt er gerade aus der Dusche, und erstaunt registriere ich, dass er nach nichts duftet. Einen kurzen Moment lang überlege ich, ob mein Geruch wohl an ihm haften wird, wenn er das Zimmer verlässt, und dann überlege ich einen ebenso kurzen Moment, ob ich wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank habe.

»Alles okay?«, flüstert er.

Ohne mich zu regen, denke ich über seine Frage nach. Eigentlich müsste ich zutiefst verletzt sein und über das, was Andrew mir antut, wüten und zetern. Aber nichts davon ist der Fall. Noch nicht zumindest. Im Moment bin ich nur wie betäubt – und mehr als nur ein bisschen verwirrt.

Andrew ist doch angeblich »the One«. Seit zwei Jahren verbinden uns interessante Gespräche, befriedigender Sex und Stabilität. Noch wichtiger aber, dass er mich noch nie zur Weißglut getrieben hat – kein einziges Mal –, und ich kann mir keinen geeigneteren Kandidaten als Lebenspartner vorstellen als jemanden, der nicht ständig meine schlimmsten Ängste triggert. Bis heute Morgen schienen Andrew und ich uns einig über die gegenseitigen Vorteile dieser Verbindung, doch damit ist es offenbar vorbei – und ich habe keine Ahnung, wieso.

Max füllt die Stille, indem er draufloszuplappern beginnt. »Ich habe keine Ahnung, was mit ihm los ist. Eben war doch noch alles okay. Und dann haben wir uns gestern Abend unterhalten. Wir sind um die Häuser gezogen, weißt du? Und zwischen dem einen oder anderen Tequila habe ich wohl ein paar blöde Sachen gesagt, und dann ist alles irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Es tut mir so leid, so verdammt leid.«

Etwas in seiner Stimme lässt mich aufhorchen. Er entschuldigt sich, anstatt mich zu trösten, was eigentlich keinen Sinn ergibt. Ich löse mich aus seiner Umarmung und weiche zurück. »Was soll das heißen, du hast ein paar blöde Sachen gesagt?«

Er senkt den Kopf und starrt zu Boden. »Eigentlich kann ich mich gar nicht so richtig erinnern. Ich war ziemlich betrunken.«

Ich gehe um ihn herum, um nicht vom Sonnenlicht geblendet zu werden, das durch das bogenförmige Erkerfenster hereinströmt – was erzählt er da für einen Bullshit? Oh, und der wolkenlose Himmel geht mir auch mächtig auf die Nerven; das perfekte Hochzeitswetter zu vergeuden, sollte mit Freiheitsentzug nicht unter ein paar Tagen bestraft werden. »Wie hat er dir das eigentlich gesagt? Hast du persönlich mit ihm gesprochen?«

»Er hat mir eine Nachricht geschickt«, sagt Max verzagt. Der Boden hat noch immer seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

»Zeig sie mir«, verlange ich.

Sein Kopf fährt hoch. Ein paar Sekunden lang sehen wir einander nur an. Seine Nasenflügel blähen sich. Meine … nicht. Sein Blick richtet sich auf meine Lippen, die sich ohne mein Zutun öffnen – bis ich merke, was ich da tue, und den Mund zuklappe.

Mir wird plötzlich heiß, und ich bin versucht, an der Spitze an Ärmeln und Dekolleté zu zerren. Plötzlich juckt es mich am ganzen Körper, als würden Millionen Feuerameisen zu Beyoncés »Formation« über meine Haut marschieren. Durch reine Willenskraft dränge ich das Unbehagen zurück und halte ihm auffordernd die Hand hin. »Zeig mir, was er geschrieben hat.« Als er sich nicht rührt, füge ich ein »Bitte« hinzu.

Max stößt den Atem aus, dann zieht er sein Handy aus der hinteren Hosentasche und tippt aufs Display. »Hier.«

Konzentriert lese ich das Gewirr an Sätzen, die mir bestätigen, dass ich, Lina Santos, fünfundzwanzig Jahre alt und aufstrebende Hochzeitsplanerin in Washington, D.C., offiziell eine sitzengelassene Braut bin. Wow. Okay. Einfach so. Ganz großartig. Schlechter könnte ich wohl nicht für meinen Job werben, selbst wenn ich mich richtig anstrengen würde.

Mit verengten Augen lese ich noch einmal den Satz, der mir am meisten aufstößt: Dank dir sehe ich jetzt endlich klar.

Ach, ernsthaft jetzt? Und was genau hast du zur Erhellung meines Verlobten beigetragen, Max, hm? Gott, ich sehe die beiden förmlich vor mir, wie sie in irgendeiner schmierigen Spelunke über mich lästern. Am liebsten würde ich schreien.

Ich drücke ihm sein Handy in die Hand. »Fassen wir zusammen: Du und Andrew habt euch gestern besoffen und über irgendwas gequatscht, an das du dich angeblich nicht mehr erinnern kannst. Das hat dazu geführt, dass er mich jetzt doch lieber nicht heiraten will, nur hat er leider nicht einmal den Anstand, es mir ins Gesicht zu sagen.«

Max scheint unwillig, mir zuzustimmen, doch schließlich nickt er. »Kommt so ungefähr hin, ja.«

»Er ist ein Schwein«, sage ich.

»Das kann ich nicht bestreiten«, erwidert Max, um dessen verlogenes Mundwerk sich ein winziges Lächeln zu bilden wagt.

»Und du ein Arschloch.«

Seine Miene fällt in sich zusammen, aber seine Gefühle kümmern mich einen feuchten Dreck. Was immer er gestern Abend für einen Schwachsinn rausgehauen hat – es hat meinen Verlobten dazu verleitet, unsere Hochzeit abzublasen. Ich war so nah dran, den richtigen Mann zu heiraten, und ein einziges alkoholisiertes Gespräch hat alles zunichte gemacht.

Ich straffe die Schultern, schnappe mir mein Handy von der Kommode und schicke ein SOS an meine Mutter, meine Tanten und meine Cousinen.

Ich:Eu preciso de vocês agora.

Ihnen zu sagen, dass ich sie brauche, wird sie hellhörig machen – es auf Portugiesisch zu tun, wird sie in Sekundenschnelle zu mir bringen. Ich hebe den Kopf und blicke den schlimmsten Trauzeugen, den man sich nur vorstellen kann, finster an. »Max, kannst du mir einen Gefallen tun?«

Er macht einen Schritt auf mich zu, und sein Blick fleht um Vergebung. »Selbstverständlich.«

»Verpiss dich.«

1

Heute

Lina

Die Tür der Limousine öffnet sich, und die Hochzeitsgäste schnappen kollektiv nach Luft.

Denn die Braut trägt Grün – Chartreuse, um es genau zu sagen.

Bliss Donahue steigt anmutig aus dem Wagen und bauscht den mehrlagigen Taftrock auf, der die untere Hälfte ihrer Gestalt verschluckt, ohne die offenen Münder der Leute wahrzunehmen, die ihre Ankunft vor dem Gasthaus in Northern Virginia, dem Veranstaltungsort, miterleben.

Wie ein altgedientes Mitglied der Royal Family bleibt Bliss vor ihren vermeintlichen Untertanen stehen und hebt, das Gesicht gerade so gen Sonne gerichtet, eine Hand zum Gruß. Nach einer dreißigsekündigen Pause um des maximalen Effekts willen tritt sie mit zierlichen Schritten über das Kopfsteinpflaster, während die Rückseite ihres gerüschten Kleids in der Aprilbrise flattert. Einige ältere Damen geben missbilligende Laute von sich. Andere verziehen schmerzlich das Gesicht. Diskret wie immer stehe ich etwas abseits, um jederzeit zur Stelle zu sein, falls etwas Bliss’ Tag zu ruinieren drohen sollte. Obwohl ich sie gewarnt habe, dass das Kleid das ansonsten elegant gestaltete Event etwas torpedieren könnte, hat sie darauf beharrt; sie war davon überzeugt, dass die ungewöhnliche Farbe ihre körperlichen Vorzüge zur Geltung bringt. In meinen Augen bringt das Kleid höchstens ihren fragwürdigen Modegeschmack zur Geltung, aber als Hochzeitsplanerin ist es meine Aufgabe, die Vision des Paares, und sei sie noch so abwegig, in die Realität umzusetzen. Fürs Protokoll: Ich habe keine Probleme damit, meine Bedenken zu äußern, wenn die Situation es erfordert, aber das ist nicht mein Tag, und wenn Bliss in einem Kleid auf den Altar zuschreiten will, das aussieht, als sei es für eine Next-Topmodel-Designer-Challenge mit unkonventionellen Materialien aus Post-its zusammengeschustert, dann werde ich sie nicht daran hindern.

Was nicht bedeutet, dass ich Unkonventionelles nicht zu schätzen wüsste. Ich habe großartige Erfahrungen mit zukunftsweisender Brautmode gemacht (die cremefarbenen dreiteiligen Hosenanzüge, in denen ein lesbisches Paar geheiratet hat, gehörten zu meinen persönlichen Favoriten), und ich freue mich immer, wenn ich Pläne unterstützen kann, die von der Norm abweichen – hauptsächlich, weil es mir lieber wäre, wenn wir überhaupt keine Norm hätten. Aber manchmal ist ein grünes Rüschenkleid einfach nur … geschmacklos.

Nun, da Bliss ohne Zwischenfall im Gasthaus verschwunden ist, ziehe ich mein Handy hervor und überfliege die Checkliste für die Zeremonie. Ich bin erst zwei Zeilen weit gekommen, als Jaslene, meine Assistentin und beste Freundin, hinter mir auftaucht.

»Lina, wir haben ein Problem«, sagt sie.

Die Worte schießen wie Adrenalin durch meine Adern. Natürlich haben wir ein Problem. Und deswegen bin ich hier. Angespornt davon, gebraucht zu werden, wende ich mich um und ziehe Jaslene vom Eingang fort. »Was ist los?«

Jaslenes Miene ist entspannt. Gut. Allerdings erkenne ich einen gewissen Übermut in ihrem Blick. Nicht gut.

»O nein, nein, nein«, sage ich. »Deine Augen funkeln. Wenn du es lustig findest, wird es für mich garantiert schrecklich.«

Breit grinsend packt sie meinen Arm und lotst mich zur Treppe. »Komm. Es geht um den Bräutigam. Das musst du dir anschauen.«

Ich folge ihr die Treppe hinauf zur Garderobe des Bräutigams und klopfe dreimal. Eine Hand vor den Augen, öffne ich die Tür einen Spalt. »Wenn Sie nicht gesellschaftsfähig sind, haben Sie jetzt genau fünfzehn Sekunden, um die entscheidenden Körperteile zu bedecken. Welche das sind, überlasse ich Ihnen. Eins, zwei, drei, vier, fünf …«

»Wir sind präsentabel, alles okay«, ruft Ian, der Bräutigam, aus der Suite.

Sein erstickter Tonfall warnt mich, dass absolut nicht alles okay ist, was sich bestätigt, als ich eintrete und meine Hand sinken lasse. Ich blinzele. Und schlucke. Und platze dann mit der naheliegenden, aber vollkommen unnötigen Frage heraus: »Wo zum Henker sind Ihre Augenbrauen?«

Ian stöhnt und deutet auf seine drei Begleiter. »Fragen Sie die Arschlöcher da. Sie sind diejenigen, die es lustig fanden, sie mir in der Nacht vor meiner Hochzeit abzurasieren.«

Alle bis auf ein Arschloch mustern den Boden. Mit verengten Augen starre ich das einzige Männchen an, das meinem Blick nicht auszuweichen versucht.

Er hängt in einem überdimensionalen Sessel, das schmutzig-blonde Haar zerzaust, rülpst und zuckt die Achseln. »Was soll ich sagen – wir waren besoffen.« Er richtet seine blutunterlaufenen Augen auf den Bräutigam. »Sorry, Mann.«

Die Fäuste vorsorglich geballt, marschiere ich schnurstracks auf den Höhlenmenschen zu und beuge mich auf Augenhöhe zu ihm herab. »Sorry? Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen? Da draußen wartet eine Braut, die seit Monaten von diesem Tag träumt. Sie will, dass er perfekt ist, und sie will auch noch in vielen, vielen Jahren in Erinnerungen schwelgen. Jetzt wird sie ihn aber ewig als den ›Tag der fehlenden Brauen‹ im Gedächtnis behalten – ihr Bräutigam über den Augen nackt wie ein neugeborener Hamster. Und Ihnen fällt nichts als Sorry dazu ein?«

Jaslene packt mein Kleid in meinem Rücken und zieht mich hoch. »Lina. Das nützt uns jetzt nichts.«

Ich beiße mir auf die Innenseite der Wange, um meine übliche kühle, gefasste Miene wiederherzustellen. »Du hast recht. Okay. Bin gleich zurück.«

Innerlich die weltweit agierende Bruderschaft völlig bescheuerter Trauzeugen verfluchend, verlasse ich die Suite, sause die Treppe hinunter und sprinte hinaus zu meinem Volvo. Auf der Rückbank krame ich nach meinem Notfallfallköfferchen, lasse den Deckel aufschnappen und durchstöbere rasch den Inhalt, um mich zu vergewissern, dass mein Make-up-Bestand vollständig ist.

So schnell es meine Beine und meine (vernünftigen!) Pumps zulassen, kehre ich zurück, wobei ich tunlichst Blickkontakt mit den Gästen unten im Foyer vermeide. Als ich die Suite wieder betrete, entdecke ich eine Frau, die sich dem Gefolge offenbar angeschlossen hat, während ich draußen war, aber ich frage nicht, wer sie ist oder was sie hier will. Müßiges Geplauder stellt die Augenbrauen des Bräutigams nicht wieder her, daher habe ich keine Zeit dafür.

Nachdem ich meine Make-up-Utensilien auf der Schminkkommode ausgebreitet habe, ziehe ich einen Stuhl vor den Standspiegel und klopfe auf die Sitzfläche. »Setzen Sie sich«, weise ich Ian an.

Er betrachtet mich misstrauisch. »Was haben Sie vor?«

»Was ich vorhabe? Den Blödsinn, den Ihre Trauzeugen angestellt haben, wieder auszubügeln, natürlich.«

»Und das klappt?«, fragt er.

Wahrscheinlich nicht, aber zu meinem Job gehört es, in herausfordernden Situationen Zuversicht zu verströmen. Ich halte ein kleines Fläschchen in die Höhe. »Das ist Streuhaar. Damit soll man Augenbrauen verdichten, nicht komplett zusammenbasteln, aber das kriegen wir schon hin. Hübsch wird es wohl nicht werden, aber Sie werden immerhin nicht oben ohne ›Ja, ich will‹ sagen müssen.«

Wie ein Rudel Hyänen mit heraushängenden Zungen wenden sich Ians Freunde einander zu und beginnen zu glucksen. Wer braucht noch Pappnasen, wenn man solche Freunde hat? Ich werfe ihnen meinen Auftragskillerblick zu, und sie richten sich auf und betrachten wieder den Boden.

Ian späht auf das Fläschchen und sieht mich entgeistert an. »Ich habe braune Haare. Das ist blond.«

»Tja, nun, Bräutigame, deren Kumpels ihnen in der Nacht vor der Hochzeit Haare entfernen, können leider nicht aus der ganzen Farbpalette wählen. Entweder das hier oder der Permanentmarker. Ich kann das Blond nachher mit Brauenpuder einfärben, damit es Ihrer natürlichen Haarfarbe näher kommt. Allerdings haben wir nicht mehr viel Zeit. Also? Sie haben die Wahl.«

Er fährt sich mit der Hand übers Gesicht. »Na schön. Tun wir es. Aber nicht, dass ich nachher wie Mister Spock aussehe.«

»Ich gebe mein Bestes.« Mit einem Kopfschütteln und einem Stoßgebet zu allen mir bekannten Hochzeitsgöttern mache ich mich an die Arbeit, wobei ich versuche, möglichst nicht zu lachen. Mäßig erfolgreich.

Man merkt es schon: Mein Job ist furchtbar chaotisch – und ich liebe ihn.

In dem beruhigenden Wissen, dass ich einmal mehr eine Krise habe abwenden können, stehe ich in einer Ecke des Zelts und beobachte, wie die Gäste plaudern und tanzen. Ja, der Bräutigam scheint Teppichreste über den Augen kleben zu haben, und, okay, vom Blumenmädchen kam der Spruch »Hey, der sieht ja aus wie von Angry Birds«. Aber meine Kunden sind happy, und letztlich zählt nur das. In Anbetracht der Tatsache, dass ich buchstäblich mit nichts arbeiten musste, ist aus dem Brauengrauen doch etwas recht Vernünftiges geworden.

Jetzt kann ich den Teil der Feier genießen, der mir am liebsten ist: die Phase, nachdem das Brautpaar das von ihnen ausgesuchte Zeremoniell hinter sich hat und ich nichts weiter tun muss, als potenzielle Störfaktoren im Blick zu behalten. In dieser Phase kann ich mich ein bisschen entspannen. Allerdings nicht zu viel. Viele Hochzeiten straucheln auf den letzten Metern durch zu viel Alkohol. Noch immer stellen sich meine Nackenhaare auf, wenn ich an den Bräutigam denke, der seiner frisch Angetrauten statt Strumpfband die Unterhose entfernte. Argh.

»Coole Rettungsaktion vorhin«, sagt eine Stimme zu meiner Linken.

Ich wende den Kopf, mustere die Person und erkenne sie sofort wieder. »Sie waren vorhin in der Umkleidesuite, richtig?«

»Genau«, sagt die Frau.

»Verwandt mit dem Bräutigam?«

Sie nickt, presst die Lippen zusammen und stößt dann resigniert den Atem aus. »Ian ist mein Cousin.«

»Netter Kerl«, sage ich.

Die Frau zieht eine perfekt geschwungene Braue hoch. »Ein netter Kerl, der seinen Reiz verliert, sobald er mit den Volldeppen von seinen Freunden zusammen ist.«

Wie aufs Stichwort bleckt einer der besagten Freunde seinen Oberbiss und lässt die Hüften kreisen, als er an uns vorbeikommt. Ein zweiter lässt sich zu Boden fallen und schiebt sich wurmartig über das Parkett, der dritte mimt den Roboter.

Ich sehe ungerührt zu, obwohl ihre Einschätzung sehr treffend ist. »Das kann ich nicht beurteilen.«

»Dazu muss man auch gar nichts sagen. Es ist offensichtlich.« Sie wendet sich mir zu und hält mir ihre manikürte Hand entgegen. Die Spitzen ihres exakt geschnittenen blonden Bobs streichen über ihre Wangen. »Rebecca Cartwright.«

»Lina Santos.«

Während wir uns die Hände geben, bewundere ich Rebeccas glattes Haar, etwas, über das ich nicht verfüge. Selbst in diesem Moment kämpft meine Naturkrause gegen die Millionen Haarnadeln an, die den Knoten im Nacken an Ort und Stelle halten sollen. Ich liebe die Vielseitigkeit meiner Locken, ich bin also überhaupt nicht neidisch, aber mich fasziniert die Symmetrie in der Erscheinung dieser Frau. Wenn ich sie längs halbieren und die beiden Teile spiegelverkehrt wieder zusammenfügen würde, sähe man garantiert keinen Unterschied.

»Das, was Sie da oben gemacht haben, hat mich beeindruckt«, sagt Rebecca. Mit einem verschwörerischen Lächeln neigt sie sich mir zu. »So etwas sehen Sie doch bestimmt nicht alle Tage, oder? Einen Bräutigam mit rasierten Augenbrauen?«

Unwillkürlich muss ich lächeln. »Glauben Sie mir, mich mit solchen schrägen Dingen auseinanderzusetzen, gehört zu den Highlights meines Jobs.«

Rebecca kommt noch näher. »Aber das Kleid. Dazu gibt es doch bestimmt eine Geschichte.«

»An diesem Punkt berufe ich mich auf mein Recht, zu schweigen.«

Ihre blauen Augen tanzen, dann nickt sie, als habe sie eine Entscheidung getroffen. »Auch noch diskret. Geraten Sie jemals aus der Fassung?«

Rebecca mustert mich mit solch einer Laserschärfe, dass ich mich nicht wundern würde, wenn ich den roten Punkt eines Scharfschützen auf der Stirn hätte. Aber es fühlt sich nicht beunruhigend an, nur sehr intensiv, daher ignoriere ich den komischen Vibe zwischen uns und konzentriere mich auf ihre Frage. Gerate ich jemals aus der Fassung? Selten. Dennoch kommt mir prompt der Moment in den Sinn, als ich den Trauzeugen erwürgen wollte. »Manchmal passiert mir ein Ausrutscher, aber meistens bin ich diejenige, die alles zusammenhält, denn wenn ich die Nerven verliere, tun meine Kunden das auch.«

»Wie lange planen Sie schon Hochzeiten?«, fragt sie.

Ah, ist es das, worauf diese Unterhaltung hinausläuft? Sucht sie vielleicht gerade jemanden? Verstohlen blicke ich auf ihre Hand.

»Ich bin nicht verlobt«, sagt sie und zeigt mir ihre ringlosen Finger. »Nur neugierig.«

Meine Ohren werden rot. »Sorry, Berufskrankheit. Ich bin seit gut vier Jahren im Geschäft. Dotting the I Do’s ist der Name meines Unternehmens.«

»Clever«, sagt sie, nickt und lächelt. »Das Tüpfelchen auf dem ›Ja, ich will‹. Und macht es Ihnen Spaß?«

Verdattert sehe ich sie an. Das hat mich noch keiner gefragt. Aber ich habe meinen Standardspruch für potenzielle Kunden, und er geht mir locker von den Lippen. »Ich liebe die Herausforderung, einem Paar dabei zu helfen, das richtige Hochzeitsmotto zu finden, und ich genieße es, den besonderen Tag meiner Kunden bis ins kleinste Detail stimmig zu organisieren. Falls etwas schiefgeht, und es geht immer etwas schief, finde ich eine Lösung, mit der jeder zufrieden ist. Schwierige Locations, überambitionierte Terminpläne, Cateringpfusch – das spornt mich eher an, als dass es mich abschreckt.«

Rebecca legt den Kopf schief und betrachtet mich; zwischen ihren Brauen bildet sich eine Falte. »Es muss aber eine Kehrseite geben. Oder etwas, das Sie ohne Ende frustriert. Kein Beruf, nicht einmal einer, den man leidenschaftlich macht, ist ohne Schattenseiten.«

Ich würde es nie zugeben, aber tatsächlich ist die Hochzeitsplanung eine zweite Chance. Ein beherzter Versuch, mich neu zu erfinden, nachdem meine Karriere als Anwaltsgehilfin spektakulär gescheitert ist. Ich bin die Tochter brasilianischer Einwanderer aus bescheidenen Verhältnissen. Und nachdem mein Vater uns verlassen hat, wuchs ich bei meiner alleinerziehenden Mutter auf, die unermüdlich schuftete, um meinem Bruder und mir eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Ich schulde es ihr und meinen Tanten, über meine Unzulänglichkeiten hinauszuwachsen und in dem von mir gewählten Beruf erfolgreich zu sein. Schließlich haben mir ihre hart erarbeiteten Ersparnisse dabei geholfen, mein Unternehmen auf die Beine zu stellen. Nun kann ich mir keinen Fehlschlag mehr leisten. Und dieses Wissen belastet mich. So sehr, dass ich Angst habe, diese Chance genauso zu verpatzen wie die erste. Und das ist die Kehrseite: Manchmal kann der Erfolgsdruck übermächtig sein. Aber ich werde einer Fremden sicher nichts von meinem persönlichen Dilemma erzählen. »Zeig niemals Schwäche« ist mein Mantra, und das leistet mir seit Jahren gute Dienste.

Im Geist gehe ich Banalitäten durch, die ich ihr ruhigen Gewissens erzählen kann, und entscheide mich für etwas besonders Unverfängliches. »Unentschlossene Kunden stellen meine Geduld manchmal auf die Probe, aber alles in allem ist der Job großartig.«

Rebecca deutet mit dem Kinn zur Tanzfläche. »Ich muss sagen, dass Sie hier wirklich Erstaunliches geleistet haben. Abgesehen von der Tatsache, dass die Braut aussieht wie ein Stangensellerie, ist das wirklich eine gelungene Hochzeit.«

»Ts, ts, ts«, mache ich kopfschüttelnd. »So spricht man doch nicht von jemandem, der den schönsten Tag seines Lebens feiert. Bliss ist in jeglicher Hinsicht eine entzückende Braut.«

Röte breitet sich auf Rebeccas Wangen aus. »Sie haben recht. Das ist sie.« Dann zuckt sie die Achseln. »Aber ab heute gehört sie auch zur Familie, was bedeutet, dass wir hinter ihrem Rücken über sie lästern werden, wann immer die Situation es erfordert. So sind wir einfach.«

Das kann ich, ehrlich gesagt, nachvollziehen. Im Laufe der Jahre haben meine Cousinen und ich eine Reihe von Hand- und Zwinkerzeichen entwickelt, mit der wir über Verwandte und ahnungslose Dates herziehen können. Weil wir sie oft bei Familienfeiern einsetzen, spielt meistens Musik im Hintergrund. Inzwischen glauben meine Mutter und meine Tanten, dass unser internes Kommunikationssystem eine aktualisierte Version vom Ententanz ist.

»Eine Frage muss ich Ihnen noch stellen«, fährt Rebecca fort. »Haben Sie je daran gedacht, Ihr Unternehmen zu erweitern? Einen Partner mit reinzunehmen zum Beispiel?«

O nein, ganz sicher nicht. Trotz der vielen Herausforderungen, die die Selbstständigkeit mit sich bringt, wächst mein Business kontinuierlich, und ich will nicht, dass das Gleichgewicht, das ich aufrechtzuerhalten versuche, durch irgendetwas gestört wird. Ich würde den Status quo nur ändern, wenn sich eine Gelegenheit böte, mein Unternehmen auf die nächste Stufe zu heben, und dass eine einzelne Person das bewerkstelligen kann, ist für mich schwer vorstellbar. Dies im Hinterkopf, spiele ich die Frage zurück. »Erzählen Sie mir doch ein wenig über sich, Rebecca. Haben Sie je eine Hochzeit geplant?«

Rebecca zieht verblüfft den Kopf zurück und blickt mich mit offenem Mund an. »Nein«, sagt sie schließlich. »Ich hatte noch nie das Vergnügen. Sieht aber nach Spaß aus.«

Ah, jetzt verstehe ich. So was höre ich pro Hochzeit mindestens einmal. Das fertige Produkt – atemberaubende Blumenarrangements, perfekt getimte Musik, umwerfende Tischdekoration, der berauschende Duft von Romantik in der Luft – haut die Leute um, und prompt sind sie überzeugt, dass sie auch könnten, was ich tue. »Es macht ja auch Spaß. Aber es braucht auch erstklassiges Organisationstalent und einen peniblen Blick für Details, um eine Veranstaltung wie diese auf die Beine zu stellen. Zum Glück haben meine Assistentin und ich ein gutes System entwickelt. Ich hoffe, dass sie sich bald dazu entschließt, Vollzeit bei mir einzusteigen.« Mit wie immer perfektem Timing erscheint Jaslene vor uns auf der Tanzfläche und steuert, das Klemmbrett unter dem Arm, das sie mir entwendet hat, schnurstracks auf den DJ zu. Und ich weiß warum: »Baby Got Back« steht definitiv nicht auf der Playlist des Paars. »Aber hören Sie, wenn Sie sich für den Beruf der Hochzeitsplanerin interessieren, ist ein Onlinekurs ein großartiger Anfang.«

Rebecca presst die Lippen zusammen und verkneift sich sichtlich ein Lächeln. »Um ehrlich zu sein, bringen Sie Pläne durcheinander, die ich bereits in Gang gesetzt habe, aber ich glaube, dass es Bestimmung war, Sie heute hier zu treffen.«

Was will die Frau von mir? Ich kann mir keinen Reim drauf machen. »Ich verstehe nicht.«

Sie seufzt und schüttelt den Kopf, als ärgere sie sich über sich selbst. »Tut mir leid, ich spreche in Rätseln, und Sie sehen sich wahrscheinlich schon heimlich nach dem nächsten Fluchtweg um. Also, im Grunde möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen, aber mir scheint, dass hier und jetzt kein guter Zeitpunkt ist, um darüber zu reden.« Sie holt etwas aus ihrer Clutch und hält es mir hin. »Hier ist meine Nummer. Wenn Sie mögen, treffen wir uns in den nächsten Tagen zum Lunch, okay?«

Und damit lässt Rebecca mich stehen und verschwindet in dem Gewühl der Gäste am Rand der Tanzfläche. Ich blicke auf die geprägte Visitenkarte aus luxuriösem Strukturpapier. Außer ihrer Telefonnummer mit der Vorwahl von Washington, D.C. steht da:

Rebecca Cartwright

Geschäftsführerin

The Cartwright Hotel Group

Der Moment, in dem man sich bewusst wird, dass man sich gerade zum Affen gemacht hat? Genau. Der ist es.

2

Max

Von ihrem Thron aus – okay, es ist bloß eine monströse Schreibtisch-Stuhl-Kombination, die strategisch über der Augenhöhe des sitzenden Durchschnittsmenschen platziert ist – lässt meine Mutter den Blick zwischen Andrew und mir hin und her schweifen. »Zu meiner Überraschung ist die Cartwright Hotel Group dabei, ihre Strukturen umzukrempeln. Rebecca Cartwright, die Enkelin des ursprünglichen Besitzers, hat vor Kurzem das Ruder übernommen und plant, eine andere Klientel anzusprechen. Sie will ihr Restaurant erweitern, attraktiver für Hochzeitsbuchungen werden und das Hotel zu dem Ort für Wellnesswochenenden in der Gegend machen. Sie hat viele Ideen und möchte für das Marketing unser Fachwissen. Und zwar sofort. Ich brauche meine besten Leute dafür, und ihr beide werdet euch – gemeinsam – mit genau der richtigen Mischung aus Charme und Know-how in diese Zusammenarbeit einbringen.«

Ich bin der Charme. Andrew das Know-how. So heißt es zumindest immer.

Fakt ist, dass meine Mutter eine gerissene Geschäftsfrau ist, die einem praktisch alles verkaufen kann. Dieses Mal ist ihre Erklärung jedoch absoluter Quatsch. Mir wäre es lieber, wenn sie es einfach deutlich sagen würde: Sie traut mir nicht zu, dass ich einen wichtigen Kunden allein handhaben kann.

Nicht, dass es mich besonders überrascht. Dummerweise ist das vertrautes Terrain, ein Nebenprodukt einer anderen Binsenweisheit, die ich inzwischen akzeptiert habe: Wenn mein Bruder und ich in Konkurrenz miteinander stehen – und ehrlich gesagt können wir gar nicht anders –, ist es immer er, der als Sieger daraus hervorgeht. Aber nicht, dass er sich dafür anstrengen müsste. Schlimmer noch, selbst wenn wir nicht wissentlich gegeneinander antreten, hat Andrew die Nase vorn. Meine Ex-Freundin Emily dachte das jedenfalls. Nachdem sie einen Tag in Gegenwart meines Bruders verbracht hatte, kam sie zu dem Schluss, dass sie keine Lust hatte, sich mit Mittelmaß – sprich: mit mir – zu begnügen. Sie war gekommen, um meine Mutter kennenzulernen. Sie ging mit einem neuen Datingvorsatz. Das war ein spaßiges Thanksgiving.

Andrew klopft mit dem Stift auf den Block auf seinem Schoß. »Wir haben ja schon mit Rebecca gearbeitet. Klingt gut.«

Am liebsten würde ich sein munteres Gebaren nachäffen, aber das wäre kindisch. Außerdem will ich mich professionell geben – ich habe es Mom schließlich versprochen.

Vor einem Jahr hat unsere Mutter uns in ihrer Firma, Atlas Communication, ein Dienstleister für Marketing, Werbung und Markenkonzepte in Alexandria, Virginia, eingestellt. Allerdings erst, nachdem wir die Grundlagen anderswo gelernt hatten – ich in New York, Andrew in D.C. und Atlanta. Sie hatte keine Zeit, sich mit Anfängern abzugeben, auch dann nicht, wenn es sich um ihre Kinder handelte. Als sie schließlich auf uns zukam, knüpfte sie ihr Angebot an zwei Bedingungen: Erstens mussten wir einwilligen, als Paket einzusteigen; dahinter stand die Hoffnung, dass wir das Beste aus dem jeweils anderen hervorholen und eines Tages den Laden gemeinsam übernehmen würden. Zweitens mussten wir versprechen zu vergessen, dass sie uns geboren hat, sobald wir die Geschäftsräume betreten würden.

Ich verstehe ja, dass sie sich keine Begünstigung vorwerfen lassen will, und falls ich Mist baue, finde ich es nur recht und billig, dass ich die Folgen genauso zu tragen habe wie jeder andere Angestellte hier auch. Aber was immer wir vorgeben, es ändert nichts an der unumstößlichen Tatsache, dass sie unsere Mutter ist. Außerdem behandelt sie uns jetzt nicht wesentlich anders, als sie es mit uns als Kinder getan hat. Bestes Beispiel: Sie hat sich nichts dabei gedacht, uns ohne Not an einem Sonntag ins Büro zu zitieren. Allein das ärgert mich, und ihr Drängen, dass mein Bruder und ich einmal mehr im Doppelpack aufzutreten haben, strapaziert meine Geduld über das üblicherweise durchaus großzügige Maß hinaus. »Weißt du, wir sind kein Set«, habe ich ihr einmal gesagt, »oder siamesische Zwillinge. Wir können tatsächlich ohne den anderen funktionieren, wenn du uns lässt.«

Denn Fakt ist: Andrew ist keinesfalls so perfekt, wie er zu sein vorgibt. Die meisten unserer großartigen Ideen kommen von mir. Ich will nicht angeben, ich sage nur, wie es ist. Und wenn meine Mutter mich jemals von dem Roboter, der sich als mein Bruder ausgibt, losgelöst betrachten würde, könnte sie das auch sehen. Aber wenn die Vergangenheit ein Maßstab ist, wird diese Erleuchtung wohl noch auf sich warten lassen. In ihren Augen bedeutet älter auch gleichzeitig weiser zu sein, und was immer ich tue – in dieser Hinsicht wird Andrew mir bis in alle Ewigkeit um zwei Jahre voraus sein.

»Spar dir diesen Gesichtsausdruck, Max«, sagt sie nun und starrt mich über dem Rand ihrer auffälligen roten Brille an. »Die Kundin hat etwas im Sinn, das zwei Leute für zwei verschiedene Projekte erfordert, deshalb schicke ich euch beide. Mehr musst du in diese Entscheidung nicht hineininterpretieren. Ich gehe hier ausschließlich auf Kundenwünsche ein, nichts weiter.«

Nun, das sind allerdings gute Nachrichten. Mein Verstand rattert bereits los und produziert Ideen, wie ich die Kundin davon überzeugen kann, dass sie mich will – als ihren Account Manager. Wenn ich aus Andrews Schatten treten und Rebecca beeindrucken kann, wäre das der nächste logische Schritt. Und falls das geschieht, wird meine Mutter vielleicht erkennen, welches Potenzial ich als Individuum in diese Firma einbringen kann.

»Falls ihr beide Zeit habt«, fährt meine Mutter fort, »würde sie sich gerne nächste Woche mit euch treffen, um euch ihre Pläne zu erläutern. Und angesichts des Auftragsvolumens muss ich vermutlich nicht erst betonen, dass ihr zu einem von ihr vorgegebenen Termin verfügbar sein solltet.«

Andrew nickt wie ein gehorsames Kind. »Selbstverständlich. Das kriegen wir hin. Nicht wahr, Max?«

Meine Mutter mustert mich mit zu Schlitzen verengten Augen, als würde sie nur darauf warten, dass ich Schwierigkeiten mache. Wie kommt sie bloß darauf?

Ich nehme einen gefälligen Tonfall an. »Selbstverständlich.«

Sie erhebt sich und klatscht in die Hände, womit wir praktisch entlassen sind. »Nun, meine Herren, ich danke euch, dass ihr am Wochenende hereingekommen seid. Die Kundin möchte das Projekt so schnell wie möglich in Gang setzen, daher wollte ich keine Zeit verlieren.«

Ich bin versucht anzumerken, dass sie uns auch per E-Mail hätte informieren können, aber ich habe heute einfach nicht die nötige Energie für leidige Diskussionen. Stattdessen winke ich auf dem Weg hinaus lediglich. »Bis morgen dann.«

Ich bin fast am Fahrstuhl, als Andrew hinter mir herantrabt. »Hey, M. Warte mal eben.«

Ich drossele mein Tempo. »Was ist?«

Er stellt sich breitbeinig vor mich und schiebt die Ärmel seines beigen Kaschmirpullovers hoch. Ich trage einen ollen Hoodie. Am liebsten würde ich ihn auf die Knötchen auf der linken Seite seines Pullis hinweisen, die vermutlich durch das Scheuern seiner Designerumhängetasche erzeugt worden sind, aber das sind pingelige Kleinigkeiten, die ihm den Tag versauen können, und ich habe mir vorgenommen, kein Arsch zu sein.

Andrew betrachtet mich einen Moment lang mit leicht geneigtem Kopf. »Hör zu«, sagt er schließlich. »Auch wenn die Kundin uns anscheinend für verschiedene Projekte einsetzen will, tun wir uns für die Ideenfindung doch zusammen, oder? Das ist für das Endprodukt, das wir nachher präsentieren, bestimmt besser.«

Idealerweise tun wir genau das Gegenteil von dem, was er vorschlägt. Ich will allein arbeiten und der Kundin zeigen, dass ich der Bessere von uns beiden bin. Wie sonst soll ich mich je von ihm abheben?

Wir beäugen uns schweigend, während er auf meine Antwort wartet, bis das Ping des Fahrstuhls uns aus der unbehaglichen Situation entlässt. Ich wende mich der Tür zu. »Ich schätze, wir werden abwarten müssen, was genau die Kundin will, und das erfahren wir ja bald genug. Kommst du mit?«

Er tritt einen Schritt zurück. »Nein, ich wollte noch rasch ein paar E-Mails beantworten.« Lächelnd tippt er sich mit dem Finger an die Schläfe. »Da ich schon hier bin, kann ich auch noch ein bisschen Arbeit wegschaffen.« Und weil er nicht anders kann, fügt er hinzu: »Das ist nicht so deins, nicht wahr? Fleißig zu sein, meine ich?«

Ich ignoriere die Spitze. Benimm dich erwachsen, Max. »Ich gehe noch ein paar Körbe werfen. Willst du nicht doch mitkommen?«

Seine Reaktion ist köstlich. Er schaudert und macht ein Gesicht, das einem Mops alle Ehre machen würde.

Ja, dachte ich mir schon, aber, hey, immerhin war ich so nett zu fragen, oder?

»Lass mal«, antwortet er mit einem Glucksen – ach was, eher einem schnaubenden Lachen. Andrew ist definitiv der Typ, der schnaubt.

»Na schön. Wir sehen uns dann in« – ich schaue auf meine Uhr – »weniger als vierundzwanzig Stunden.«

Er bedenkt mich mit einem halbherzigen Winken. »Klar, bis dann.« Als die Fahrstuhltür sich schließt, steht er noch immer dort.

Ich würde mir wünschen, dass Andrew und ich uns näherstünden, aber wir haben zu unterschiedliche Interessen, und Freunde sind wir nie gewesen. Es wäre großartig, wenn wir nicht immer miteinander konkurrieren würden, aber je mehr unsere Eltern uns aufeinander zugeschubst haben, umso stärker haben wir versucht, uns von dem anderen zu distanzieren. Okay, Letzteres ist hauptsächlich meine Schuld. Ich bin alt genug, um das auf meine Kappe nehmen zu können.

Aber wer weiß? Vielleicht bietet uns dieses Projekt die Abnabelung, die wir brauchen, um uns auf anderer Ebene anzunähern. Oder wir bringen einander um. Möglich ist beides.

3

Lina

Bliss und Ian befinden sich irgendwo über dem Atlantik auf dem Weg in ihre Flitterwochen, also habe ich offiziell den Rest des Wochenendes frei. Die heutige To-do-Liste ist kurz: Kühlschrank auffüllen, Jogginghose anziehen und Netflix bingen. Aber zuerst … Pão com manteiga und Cafezinho.

Nach einhelliger Meinung müssen Brasilianer jeden Tag zum Frühstück zwei – und nur zwei – Dinge zu sich nehmen: Butterbrot und Kaffee. Falls jemand von diesem Menü abweicht, plant er wahrscheinlich gerade einen Staatsstreich. Oder ist wie ich brasilianische Amerikanerin der ersten Generation, und in diesem Fall: Her mit dem Schinken-Ei-Sandwich. Heute Morgen jedoch bin ich mit Heißhunger auf ein traditionelles brasilianisches Frühstück aufgewacht, und das hole ich mir am liebsten im Rio de Wheaton, einem kleinen Supermarkt in einem Einkaufszentrum an der Georgia Avenue in Wheaton, Maryland, den meine Mutter und meine Tanten betreiben. Kleine Randbemerkung: Seit Jahren flehe ich sie an, den Namen zu ändern. Seit Jahren ignorieren sie mich.

Von meiner Wohnung in College Park aus ist es nicht weit bis zu ihrem Laden. Die Glocke an der Tür klingelt, als ich eintrete, und alle Anwesenden halten mitten in der Bewegung inne, um den Neuankömmling in Augenschein zu nehmen. Als ich an dem zwischen Cassava-Mehl und Malerkrepp eingezwängten Ständer mit den Havaianas vorbeigehe, atme ich den süßen, buttrigen Duft von frisch gebackenem Brot ein, der in der Luft hängt. Ein Drittel der Ladenfläche wird von einem winzigen Café eingenommen – das aus ganzen drei runden Tischen und nicht genug Stühlen besteht –, wo die Schwestern cafezinhobrasileiro, das Äquivalent zu Starbucks on dope, und pão, in diesem Fall warme, fluffige Brötchen, die den ganzen Tag frisch gebacken werden, servieren.

»Bom dia«, rufe ich. »Como vai?«

»Filha, um minuto«, sagt meine Mutter mit einem Lächeln, ehe sie sich wieder dem Kunden an der Kasse widmet. Als sie ihm das Wechselgeld reicht, zwinkert sie ihm zu. »Obrigada.«

Moment mal. Flirtet meine Mutter etwa? Das wäre etwas Neues, und davon will ich unbedingt mehr sehen. Ich glaube nicht, dass sie mit jemanden aus gewesen ist, seit sie sich vor über zehn Jahren von meinem Vater hat scheiden lassen. Aber die Röte auf ihren Wangen ist vielversprechend, und wie sie sich vorbeugt und den Kopf leicht zur Seite neigt, deutet darauf hin, dass sie auf den Kerl steht. Halleluja! Was mich betrifft, hat meine Mutter jeden One-Night-Stand, den ihr Herz begehrt, verdient, um wieder wettzumachen, was es mein Vater in ihrer Ehe an Zuneigung hat fehlen lassen.

Viviane, die älteste Schwester meiner Mutter und die Matriarchin unserer Familie, kommt mit vierundzwanzig Getränkedosen in den Armen auf mich zu und küsst mich im Vorbeigehen auf die Wange. Tia Viviane funktioniert in zwei Modi: »Viel beschäftigt« und »Auf Hochtouren«. Während ihr Körper bereits auf ihr nächstes Ziel zusteuert, wirft sie mir einen Blick über die Schulter zu. »Tudo bem?«

»Ja, alles gut, danke«, sage ich ihr. Ein paar Sekunden lang stehe ich einfach nur mitten im Gang, während die Kunden ohne echtes Ziel an mir vorbeischlurfen. Sie scheinen kein großes Interesse daran zu haben, etwas zu kaufen, sie sind einfach … hier. Jaslene hat mal erzählt, puerto-ricanische Geschäftsinhaber hielten sich streunende Katzen. Tja, brasilianische Geschäftsinhaber neigen dazu, streunende Leute anzuziehen. So wie der Kerl aus dem Viertel, der in meine kleine Cousine Natalia verliebt ist. Gegenwärtig tut er so, als würde er futebol im Fernsehen sehen, der in einer Café-Ecke an der Decke hängt, während das Objekt seiner unerwiderten Begierde, das übrigens bald heiraten wird, gerade die Theke wischt. Zufall? Ich glaub’s ja nicht.

»Oi mulher!«, sagt Natalia und wirft sich das Geschirrtuch über die Schulter. »Willst du mal wieder kostenloses Essen abstauben?«

»Respekt vor dem Alter, freche Göre.«

Blitzschnell zieht sie das Geschirrtuch von der Schulter, lässt es gegen meine Brust schnappen, beugt sich vor und senkt ihre Stimme, sodass nur ich sie hören kann. »Solltest du nicht lieber ein Tuch tragen? So sieht den Riesenknutschfleck ja jeder.«

Ich fahre zurück und wische mir hastig über den Hals, ehe ich bemerke, dass sie sich schon vor Lachen krümmt. »Haha. Urkomisch wie immer.«

»Wieso hast du überhaupt so erschreckt auf meine Bemerkung reagiert, prima?«, fragt sie immer noch lachend. »Ich meine, was zum Henker hast du in deiner Freizeit gemacht?«

Nichts. Absolut nichts. Falls ich einen Fleck am Hals hätte, dann würde es sich höchstens um einen Ausschlag handeln, da ich nämlich seit über einem Jahr mit niemandem zusammen gewesen bin. Und da ich meine Brötchen hauptsächlich an den Wochenenden von März bis September verdiene, habe ich auch kaum Zeit, potenziellen Partnern zu begegnen. Momentan sind meine Orgasmen selbst gemacht, batteriebetrieben und in unter fünf Minuten erreicht – wenn ich mich mal richtig verwegen fühle, komme ich vielleicht auf zehn. Also, nein, ein Knutschfleck ist es nicht. Die Krätze? Absolut möglich. »Vergiss es, Natalia. Mein Liebesleben – oder vielmehr mein nicht vorhandenes – wird nicht diskutiert.« Ich schnippe vor ihrer Nase mit den Fingern. »Und jetzt hol mir Kaffee und Brot, und zwar schnell.«

»Pff. Hol’s dir doch selbst. Ich hab jetzt Pause und muss Paolo anrufen.« Sie zieht die Schürze aus und reicht sie mir grinsend. »Du darfst gerne ein Weilchen meinen Platz einnehmen. Falls du dich nützlich machen willst, versteht sich.« Sie unterstreicht ihre Aussage mit einem ploppenden Laut ihrer gloss-glänzenden Lippen, dann winkt sie mir zum Abschied und schlendert auf die Tür zu.

»Vergiss nicht, dass wir am Mittwoch einen Termin haben«, rufe ich ihr hinterher.

»Es ist meine Anprobe. Die werde ich wohl nicht vergessen«, ruft sie zurück, ehe sie nach draußen entschwindet.

Ich streife mir die Schürze über den Kopf, binde sie in der Taille zu und … warte. Drei, zwei, eins …

»Wasch dir die Hände«, ermahnt meine Mutter mich.

Je. Des. Mal. Als ob ich das nicht wüsste. Aber fahre ich sie deswegen an? Natürlich nicht. Ich schätze mein Leben schließlich. »Mach ich, Mãe.« Ich blicke mich im Laden nach den kurzen Korkenzieherlocken meiner anderen Tante um. »Wo ist Tia Izabel?«

Die andere ältere Schwester meiner Mutter ist die Stillste von den dreien – und die, die am wenigsten Lust hat, einen Laden zu führen.

»Sie musste ein paar Dinge erledigen«, antwortet meine Mutter.

Mãe hat noch immer an der Kasse zu tun, daher drücke ich ihr ein Küsschen auf die Wange und gehe nach hinten. Nachdem ich mir die Hände anständig gewaschen und desinfiziert habe, kehre ich zur Theke zurück, schnappe mir mit der Zange ein Brötchen, stecke mir ein Stück davon in den Mund und seufze zufrieden. Das war die Fahrt hierher definitiv wert.

Endlich kann sich meine Mutter von der Kasse freimachen und legt mir einen Arm um die Taille. »Wie war die Hochzeit? Das war doch die mit dem grünen Kleid, oder?«

Sie liebt es, sich in die Leute, die mich buchen, hineinzuversetzen und sich deren Leben vorzustellen. Außerdem merkt sie sich jede Kleinigkeit.

Ich schlucke das Stück Brot herunter. »Es lief gut. Das Kleid war genauso interessant, wie du vorhergesehen hast. Oh, und Freunde haben dem Bräutigam in der Nacht vor der Hochzeit die Augenbrauen abrasiert.«

Meine Mutter sieht mich an, und ihre Augen werden groß wie Untertassen. »Oje. Das war nicht vorauszusehen. Aber du bist damit fertiggeworden?«

Ich bedenke sie mit einem »Was-glaubst-du-denn?«-Blick. »Selbstverständlich bin ich damit fertiggeworden.«

Sie nickt und zieht mich an sich. »Ich bin stolz auf dich, filha.«

»Danke, Mãe.« Bei ihren Worten richte ich mich automatisch etwas mehr auf. Das ist es, worum es mir geht – ich will, dass meine Mutter und meine Tanten stolz auf mich sind. Als ihre Ehen den Bach runtergegangen waren, taten sie sich zusammen, um ihre Kinder gemeinsam großzuziehen, sich mit Kochen und Babysitten abzuwechseln und uns zur Schule und zu anderen Aktivitäten zu fahren. In ihrer verbleibenden Zeit gingen sie putzen, bis sie genügend Geld zusammengespart hatten, um diesen Laden aufzumachen. Nur ihnen ist es zu verdanken, dass ich einen Collegeabschluss habe, mein Bruder Rey als Medizinischer Fachangestellter arbeiten kann und Natalia eine gefragte Maskenbildnerin ist. Nicht weniger beeindruckend Tia Izabels Tochter Solange, die gerade ihren Master macht, um anschließend die Welt zu verändern.

»Meinst du, dass diese Hochzeit dir weitere Aufträge einbringt?«, fragt meine Mutter.

»Weitere Aufträge? Möglich. Es hängt alles vom Timing ab. Wenn jemand schon verlobt war, aber noch niemanden gebucht hat, ruft er oder sie mich vielleicht an, um vorzufühlen.«

Und da wäre natürlich noch Rebecca Cartwright. Sie hat ja erwähnt, dass sie mir einen Vorschlag machen will, und ich bin neugierig, worum es wohl geht. Ich nehme mir vor, sie gleich Montagfrüh anzurufen und einen Termin mit ihr auszumachen. Zumindest kann ich sie auf meine stetig anwachsende Kontaktliste setzen. Selbst eine lockere Verbindung mit der Geschäftsführerin eines Hotels, das einen so guten Ruf hat wie das Cartwright, kann mir eines Tages nützlich sein.

Gerade steuert eine Kundin, die tatsächlich etwas kaufen will, auf die Kasse zu, und meine Mutter setzt sich in Bewegung, sodass ich mich wieder meinem köstlichen Brot widmen kann. Ich kaue noch zufrieden, als Marcelo hereinmarschiert, ein Freund der Familie und Besitzer von Something Fabulous, dem Brautmodengeschäft, in dem ich mein Büro habe.

»Olá, pessoal«, sagt er großspurig, und seine dröhnende Stimme übertönt das Jubeln der Zuschauer im Fernsehen. »Tudo bem?«

»Tudo«, antwortet Tia Viviane, die halb im Getränkekühlschrank steckt, den sie gerade auffüllt. »E você?«

Er machte eine »So-lala«-Geste und schlendert zu ihr, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben. Sie sind schon seit Jahren befreundet; kennengelernt haben sie sich durch das ausgedehnte soziale Netzwerk, das brasilianischen Immigranten dabei hilft, sich in Amerika einzuleben. Durch dasselbe Netzwerk haben alle drei Schwestern ihre Ehemänner kennengelernt, von denen keiner nach der Scheidung hiergeblieben ist.

Was Marcelo und Viviane angeht, vermute ich schon lange, dass ihre Freundschaft nicht rein platonisch ist, aber ich habe mich nie getraut nachzufragen. Tia Viviane kann gefährlich werden, wenn sie ein Paar Havaianas zu fassen kriegt.

Als Marcelo mich entdeckt, verdüstert sein Blick sich, wodurch ich den Wahrheitsgehalt seiner nächsten Worte anzweifle. »Carolina. Ich hatte gehofft, dich hier zu sehen. Es gibt Neuigkeiten.«

Ich kaue langsamer, lege den Brötchenrest auf einer Serviette ab und streiche mir die Krümel vom T-Shirt. »Was gibt’s?«

Er stützt sich locker auf die Theke. »Die Immobiliengesellschaft hat am Freitagnachmittag bekanntgegeben, dass sie die Miete erhöhen wird. Um sieben Prozent.« Seufzend tritt er zurück und tut, als würde er sich die Hände abklopfen. »Was für mich bedeutet, dass Schluss ist. Ich kann nicht mehr mithalten. Die meisten Leute kaufen ihre Brautkleider online. Oder mieten sie. Ich werde also zu meiner Tochter nach Florida ziehen, mir einen kleinen Laden suchen und ein paar weitere Jahre meinen Bestand abverkaufen. Und dann gehe ich in Rente und verbringe meine Tage mit Angeln. Es ist Zeit.« Marcelo umfasst meine Hand. »Ich weiß, dass das auch dich betrifft. Und wenn ich es mir leisten könnte, würde ich bleiben, aber ich hatte schon vorher zu kämpfen, und das jetzt macht es nicht einfacher.«

Ich zwänge meine Worte an dem dicken Klumpen in meiner Kehle vorbei. »Wann endet die Mietperiode nochmal?« Ich kenne die Antwort schon, aber sie ausgesprochen zu hören, wird mich dazu zwingen, mich mit der Situation auseinanderzusetzen, anstatt die Realität zu verdrängen.

»In sechzig Tagen«, sagt er seufzend.

Tja, das ist Realität genug für mich, und es ist keine Kleinigkeit. Ein Büro im District ist essenziell für mein Unternehmen. Die meisten meiner Kunden sind berufstätig und vielbeschäftigt und wissen es zu schätzen, wenn sie sich an einem Ort in Zentrumsnähe treffen können, wo sie im Rahmen ihrer Abendplanung gleich noch einkaufen oder essen gehen können. Ein Standort an der Connecticut Avenue vermittelt Stabilität und eine gewisse Seriosität, die selbsterklärend ist. Jeder Scharlatan kann sich im Copyshop eine Visitenkarte zusammenbasteln und sich Hochzeitsplaner nennen; eine eingetragene Geschäftsadresse gibt dem Paar die Sicherheit, dass ihr Wedding Planer nicht alle Zelte abbricht und mit ihrem Geld abhaut.

Ich brauche eigentlich nicht viel – ein Raum mit einem Arbeitsplatz reicht, weswegen mein Arrangement mit Marcelo für mich so perfekt war. Da ich nicht viele Quadratmeter in Anspruch nehme, konnte er es sich leisten, mir nicht die branchenübliche Miete zu berechnen. Ich weiß aus meiner vorherigen vergeblichen Suche nach Büroräumen, dass es mir fast unmöglich sein wird, meine Wohnung zu halten, wenn ich auch nur ein Kämmerchen im District anmieten muss. Und selbst wenn ich eine bezahlbare Alternative finde, wird es sich wohl um eine Verschlechterung meiner gegenwärtigen Adresse handeln, sodass mir der Umzug auch optisch keinen Gefallen tun wird.

Verdammt. Ich darf das nicht vermasseln. Nicht schon wieder.

Marcelos Ankündigung hat mich aus der Bahn geworfen, und ich weiß nicht, wie ich mich wieder fassen soll. Tränen brennen in meinen Augen, aber ein Blick zwischen meiner Mutter und Viviane, die einen strengen Gesichtsausdruck zur Schau trägt, dämmt die drohende Flut sofort wieder ein. Alles klar. Da ich als naive Unschuld bereits eigene harte Lektionen gelernt habe, kenne ich die Regeln inzwischen gut: Wir dürfen uns niemals von unseren Emotionen mitreißen lassen. Das ist entweder ein Zeichen von Schwäche, das den uns entgegengebrachten Respekt schmälert, oder wird als Streitlust interpretiert, wodurch man uns als irrational abstempelt. Und als Frauen – und dann noch als Women of Color – können wir uns schlichtweg nicht leisten, auf diese Art wahrgenommen zu werden.

Dummerweise bin ich ein Weichei. Jemand, der sofort zu schluchzen beginnt, wann immer man auch nur das kleinste Gefühl aus mir herauskitzelt. Als ich klein war, haben mein Bruder und meine Cousinen mich damit gnadenlos aufgezogen. Bebê chorão, hieß es immer. Heulsuse. Damals hat es mich nicht sonderlich gestört; wie viel Schaden konnte diese – okay, etwas nervtötende – Eigenschaft schon anrichten? Als Erwachsene musste ich allerdings feststellen, dass die Antwort »jede Menge« lautete – mehr jedenfalls, als ich verkraften konnte. Also habe ich mir im Laufe der Jahre eine Rolle antrainiert, hinter der ich meine Gefühle verstecke. Ich bin pragmatisch. Knallhart. Teflonbeschichtet und unempfindlich gegenüber kleineren Beleidigungen oder Angriffen. Nie wieder werde ich die Frau sein, die sich wegen eines Kerls zu einer flennenden Idiotin macht. Nie wieder die Frau, die im beruflichen Umfeld eingeknickt ist und den Respekt ihrer Kollegen verloren hat. Stärke ist ein Geisteszustand, und den lebe ich jetzt, verdammt nochmal.

Ich straffe die Schultern und lächle Marcelo verhalten zu. »Du kannst ja nichts dafür, Marcelo. Eine so gemeine Mieterhöhung hat niemand vorhersehen können. Ich werde schon etwas anderes finden, also mach dir um mich keine Sorgen. Das wird schon.«

Er mustert mein Gesicht – garantiert sieht er mir an, dass ich Unsinn verzapfe – und zieht die Brauen zusammen. »Bist du sicher, querida?«

Das Kosewort versucht, sich durch meine Abwehr zu zwängen, aber ich errichte einen mentalen Schutzwall dagegen. »Certa.«