Wunder sind möglich - Herbert Kappauf - E-Book

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Herbert Kappauf

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Beschreibung

Herbert Kappauf begleitet seit Jahrzehnten krebskranke Menschen - und er hat selbst erlebt, dass entgegen aller Wahrscheinlichkeit die Erkrankung "verschwand". Kappauf nimmt uns mit auf eine spannende und realistische Reise durch die medizinische Forschung und macht deutlich: So wie es keine Krebspersönlichkeit gibt, gibt es auch keine Spontanremissionspersönlichkeit. Denn jeder Mensch ist einzigartig. Wunder sind zwar nicht machbar - aber man kann sie einladen und man kann eine Menge Hilfreiches für sich tun.

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Herbert Kappauf

Wunder sind möglich

Spontanheilung bei Krebs

KREUZ

Gewidmet

Prof. Dr. med. Walter Michael Gallmeier (1937–2004) meinem langjährigen ärztlichen Lehrer und Freund, er hat maßgeblich die wissenschaftliche Diskussion über das Phänomen Spontanremissionen bei Krebs angeregt. Seine Fragen in der Medizin und an die Medizin fehlen.

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: [rincón]2medien gmbh, Köln

Umschlagmotiv: © Masterfile

Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-33682-9

ISBN (Buch) 978-3-451-61007-3

Hoffnung

Hoffen

Die Hoffnung gibt mir Kraft.

Da ist ein Ziel, auf das ich zuarbeiten will.

Und es ist ein langer Weg bis dahin.

Aber dort angelangt:

Zerstörte Hoffnung.

Es hat nicht geholfen.

Es hat nicht gereicht.

Was habe ich nur falsch gemacht?

Absturz.

Fallen ins Bodenlose.

In die Dunkelheit.

Doch dann. Wieder ein Lichtblick.

Es gibt noch etwas.

Eine neue Methode, ein neues Medikament, ein anderer

Ansatz … Nahrung für neue Hoffnung.

Ein neues Ziel. Doch dort angelangt, erneut die schreckliche Gewissheit.

Schon wieder nicht geschafft. Das darf doch nicht wahr sein.

Das gibt es einfach nicht.

Ich habe doch so hart gearbeitet.

Was kann ich denn noch tun?

Hoffnungslosigkeit macht sich breit.

Schwarze Dunkelheit.

Aber nein.

In jede Dunkelheit kommt etwas Licht.

Frau muss es nur erkennen.

Und da: Tatsächlich, da ist doch was.

Habe ich denn vergessen, wie das Licht aussieht?

Es ist ganz anders, als Frau dachte.

Aber es ist da. Ganz hell.

Wunderschön.

Die Hoffnung ist zurückgekehrt.

Und mit ihr das Leben.

Susanne Szentandrási (1996)

Vorwort Spontanremission bei Krebs – Zwischen Ablehnung, Banalisierung und zentraler wissenschaftlicher Diskussion

»Die Hoffnung ist zurückgekehrt. Und mit ihr das Leben.« Diese letzte Zeile von Susanne Szentandrásis Gedicht wird von Krebspatienten oder ihren Angehörigen immer wieder sinngemäß zitiert, wenn sie im Wartezimmer meiner onkologischen Praxis neben schönen Bildbänden das Buch Wunder sind möglich finden und darin zu lesen beginnen. Sie erwarten deshalb von mir kein Wunder, sondern fühlen sich erleichtert, dass auch bei einer unerbittlichen Diagnose eine ärztlicherseits bisweilen sehr forsch formulierte und dann vernichtend erlebte Prognose keineswegs immer Wirklichkeit werden muss. Die Krebsbetroffenen fühlen sich zudem durch die Tatsache, dass sich Ärzte mit den »medizinischen Wundern« von Spontanheilungen ernsthaft befassen, in ihrem legitimen »Hoffen trotz alledem« ernst genommen und gewinnen Vertrauen in die Medizin zurück.

Die Hoffnung von Menschen bewegt sich ja immer zwischen der Sicherheit zu sterben einerseits und andererseits der Unsicherheit, was im Leben bis zum Tode – und danach – konkret passiert. Und dieses letztliche Nicht-sicher-Wissen macht Hoffnung als Erwartung von positiven Erfahrungen und somit Zukunft möglich.

Nach acht Jahren seit Erstauflage des Buchs Wunder sind möglich im Verlag Herder war es an der Zeit, eine Neubearbeitung zu unternehmen, um neue Erkenntnisse zu diesem spannenden Phänomen Spontanheilung bei Krebs zu berücksichtigen und dem im Geleitwort von Professor Gallmeier 2003 formulierten Anspruch von »stets verlässlichen, breit fundierten und trotzdem immer verständlichen Informationen« zu genügen.

Der als herausragender Krebsspezialist und Vordenker in der Medizin renommierte Professor Walter Michael Gallmeier ist 2004 selbst viel zu früh einem Krebsleiden erlegen. Seine Aussagen in seinem Geleitwort zum Buch Wunder sind möglich sind immer noch aktuell. Deshalb soll das Geleitwort auch diesem Buch erhalten bleiben:

Spontane Rückbildungen von Tumoren (sogenannte Spontanremissionen), ein ungewöhnlich günstiger Verlauf bösartiger Erkrankungen, das sind Beobachtungen, die Kliniker und theoretische Wissenschaftler seit Langem faszinieren. Die Tatsache, dass sich Erkrankungen auch ohne die »ärztliche Kunst« rückbilden können, ist als »medizinisches Wunder« seit Jahrhunderten in Legenden überliefert. Es ist erstaunlich, wie wenig systematisch-wissenschaftliche Aufmerksamkeit dieses seltene Phänomen bisher in der Medizin erhalten hat. Führt uns doch die Natur bei Spontanremissionen vor, was wir als Krebsärzte mit und bei unseren Patienten erreichen wollen: ein Verschwinden der Krebserkrankung.

Seit Rudolf Virchow lag der Schwerpunkt der modernen wissenschaftlichen Medizin in der Erforschung der Prinzipien der Pathogenese und ihrer therapeutischen Beeinflussung. Sie erforschte also, wie sich der Körper und seine biologischen Funktionen in der Krankheit verändern und wie sie wieder normalisiert werden können. Die Gesundheitsforschung im Sinne der Salutogenese hat erst jüngst an Bedeutung gewonnen. Sie versteht Gesundheit nicht als etwas Festes, das in der Krankheit verloren geht, sondern als ein Lebensmerkmal, das genauso wie die Körpertemperatur ständig aktiv aufrechterhalten werden muss. Durch die Analyse von Spontanremissionen können wir möglicherweise mehr über die Prozesse und Abläufe im menschlichen Körper lernen, die gesund erhalten und gesund machen.

Auch wenn Spontanremissionen wegen ihrer Seltenheit kein praktisch gangbarer Weg aus einer Krebskrankheit sind, sind sie doch für uns Ärzte ein wichtiger Anlass, uns diesen neuen Gedanken intensiver zuzuwenden. Sie zeigen aber auch, wie bescheiden wir mit unserem vorhandenen Wissen umgehen müssen und wie vorsichtig wir mit Prognosen sein müssen. Für mich ist die eigene Erfahrung mit Spontanremissionen ein Trost und ein Grund zum Staunen.

Ich habe an der von mir geleiteten Nürnberger Medizinischen Klinik 5 bei mehreren Patienten sehr eindrucksvolle Spontanremissionen ihrer fortgeschrittenen Krebserkrankungen erleben dürfen. Dabei wurden diese Spontanremissionen selten direkt in der Klinik beobachtet. Die Patienten waren oft nach Hause entlassen oder in andere Krankenhäuser verlegt worden. Genauso erstaunlich wie das Phänomen der Spontanremission selbst war, wie wenig derartige Krankheitsverläufe als »Wunder der Medizin« überhaupt wahrgenommen wurden.

Ende der 1980er Jahre habe ich die Verbindung geknüpft zu kleinen Forschergruppen in Kalifornien, die versuchten, das Phänomen »Spontanremission bei Krebs« wissenschaftlich zu erhellen. Dadurch konnte dieses Phänomen 1990 bei einer von der Deutschen Krebshilfe ermöglichten internationalen Expertenkonferenz zum Thema »Psychoneuroimmunologie und Krebs« in Deutschland diskutiert werden.

Die Deutsche Krebshilfe hat von Anfang an erkannt, wie viele Hoffnungen Krebsbetroffene mit dem Phänomen Spontanremission verbinden. Sie hat ermöglicht, dass im Rahmen eines Förderprojektes »Biologische Krebstherapie« auch Spontanremission dokumentiert und untersucht werden können. 1997 hat die Deutsche Krebshilfe ein Symposium zum Thema »Spontanremissionen bei Krebs« ermöglicht, die weltweit zweite Konferenz überhaupt, die sich mit diesem Phänomen beschäftigte.

Mit dem Autor dieses ungewöhnlichen Buches verbinden mich mehr als zwei Jahrzehnte gemeinsamer Arbeit und intensiver Diskussionen an der von mir geleiteten Nürnberger Klinik. Frucht dieser gemeinsamen Arbeit ist bereits das von der Deutschen Krebshilfe herausgegebene Buch Nach der Diagnose Krebs – Leben ist eine Alternative, das seit Jahren von Krebsbetroffenen als verlässlicher Ratgeber geschätzt wird.

Dr. Kappauf – mit seinem fachlichen Hintergrund als erfahrener und bis heute praktisch tätiger Onkologe und gleichzeitig als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin – versteht es nicht nur, komplexe biologische Vorgänge, die bei dem heiklen Thema Spontanremission eine Rolle spielen, verständlich zu erklären, sondern er anerkennt auch die jeweilige Einmaligkeit im Erleben und in den Geschichten der Patienten.

Das Buch ist die erste umfassende Darstellung des Phänomens Spontanremission bei Krebs, die sich primär an Krebsbetroffene und ihr mitbetroffenes Umfeld wendet. Ich wünsche diesem Buch mit seinen stets verlässlichen, breit fundierten und trotzdem immer verständlichen Informationen auch im Namen der Deutschen Krebshilfe einen breiten Leserkreis.

Professor Dr. med. Walter Michael Gallmeier

Mitglied des Medizinischen Beirats der Deutschen Krebshilfe

Präsident der Bayerischen Krebsgesellschaft

Ich bin 2003 nach fast 25 Jahren Tätigkeit an der Medizinischen Klinik 5 des Nürnberger Klinikums nach Starnberg gegangen, um dort eine onkologische Praxis als Kooperationsmodell mit der dortigen Kreisklinik aufzubauen.

Auch als niedergelassener Krebsspezialist habe ich inzwischen mehrere Fälle von Spontanremissionen bei Patienten mit Tumorerkrankungen erleben dürfen. Die wissenschaftliche Befangenheit im Umgang mit dem Thema Spontanremission ist geringer geworden. Bei einer Recherche im November 2010 in der medizinischen Datenbank PubMed, die lediglich seriöse, international zugängliche medizinische Fachzeitschriften umfasst, fanden sich zum Suchwort »spontaneous remission in cancer« 8846 Hinweise auf Artikel in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Nach wie vor gilt jedoch Professor Gallmeiers Aussage: »Es ist erstaunlich, wie wenig systematisch-wissenschaftliche Aufmerksamkeit dieses seltene Phänomen bisher in der Medizin erhalten hat.«

Deshalb ist es auch möglich, dass dieses Thema Spontanheilung und Spontanremission im unkonventionellen Medizinsektor gegen eine wissenschaftlich fundiert Medizin instrumentalisiert werden kann.

So wird unter www.spontanheilung.com ein Buch Heilungswunder sind für alle da beworben und behauptet: »Kaum einer weiß, dass Heilungswunder (med. Bezeichnung »Spontanheilung« oder Spontanremission) wenigstens tausendmal öfter ›passieren‹ als die Öffentlichkeit erfährt. Die Medizin will es nicht wissen, spricht davon so wenig wie möglich und wir sollen es vermutlich nicht wissen! Könnten doch zu viele Hilfesuchende daraus lernen, aus einem »Unheilbar« ein Heilbar machen und die Aussagen der Medizin noch mehr hinterfragen.« In seinen weiteren Ausführungen hält der Autor des Buches Unterscheidungen zwischen Heilungswundern, Spontanremissionen und Spontanheilungen für eine »Haarspalterei, die nichts am Urgrund jeglicher Heilung ändert«.

Und ein Experte für »Geobiologische Untersuchungen« schrieb mir 2005:

»Mir wurden Ihre Erkenntnisse und Fragezeichen bezüglich Krebs-Spontanheilungen über Internet bekannt. Mich drängt es daher, Sie auf die eigentlichen Ursachen der vermeintlichen Spontanheilungen aufmerksam zu machen. Kompetenten »Rutengängern« sind die Ursachen schon längst bekannt. Leider ist es der Radiästhesie bisher, trotz verzweifelter Bemühungen und nachweislicher Beweise von Krebsheilungen, nicht gelungen, eine Hinwendung der Ärzteschaft zu diesen Erkenntnisfeldern zu erreichen. Zum unsäglichen Leid unzähliger Menschen.

Die Schulmedizin verharrt stur auf das, in den allermeisten Fällen, erfolglose Behandlungsschema: Bekämpfung der Symptome statt der Ursache.«

Als Krebsspezialist frage ich mich immer bei derartigen Aussagen, warum es noch Krebskranke gibt, wenn doch vielen der Schlüssel bekannt sei, um sie zu heilen und es dafür auch gar keiner Ärzte bedürfe.

Eine derartige dogmatische Banalisierung des Phänomens Spontanremission und Spontanheilung von Krebserkrankungen im unkonventionellen oder alternativen Medizinbereich steht dann auf gleicher Stufe mit der langjährigen Negierung des Phänomens im Bereich der sogenannten Schulmedizin: Auf der einen Seite sei eine tiefere Beschäftigung mit dem Phänomen nicht notwendig, weil es dazu keine Fragen mehr gebe, und auf der andern Seite sei die Beschäftigung mit dem Phänomen unsinnig, weil das Phänomen nicht existiere.

2008 war ein Jahr in dem das Thema Spontanremission bei Krebs in den Mittelpunkt einer wissenschaftlichen, immer noch anhaltenden Diskussion rückte.

Am 22. Januar 2008 gab die Fachhochschule Gießen-Friedberg eine schnell und weit von den Medien verbreitete Presseerklärung heraus: Der an ihr tätige Professor für Bioinformatik Dr. Uwe Hobohm, habe sich jahrelang mit der Fallanalyse von Spontanheilungen bei Krebs beschäftigt und jetzt eine Erklärung gefunden.1 Durch bakterielle Produkte, sogenannte PAMP (pathogen associated molecular patterns) finde eine Stimulation des angeborenen Immunsystems statt, die zu einer starken antitumorösen Wirkung führe. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der Universität Gießen solle nun an Mäusen geprüft werden, ob die Verabreichung von PAMP-Substanzen unter gezielter Fiebererzeugung tatsächlich die Wirkung dieser Krebstherapie verbessern könne.2

Am 24. November 2008 veröffentlichten dann in der angesehenen Fachzeitschrift Archives of Internal Medicine die Professoren Dr. Per-Hendrik Zahl und Dr. Jan Maehlen aus Oslo und Dr. Gilbert Welch aus den USA eine Untersuchung zur Häufigkeit von durch Screening-Mammografien diagnostizierten Mammakarzinomen in Norwegen. Sie belegten eine anhaltend gesteigerte Häufigkeit von diagnostizierten Brustkrebsfällen bei Frauen, die sich alle zwei Jahre einer Mammografie unterzogen, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe von Frauen, die nur einmalig am Ende des Beobachtungszeitraums eine Mammografie erhalten hatten. Erwartet war, dass zu Beginn des Mammografie-Screenings die Rate an Brustkrebs durch die erhoffte frühzeitigere Diagnose ansteigen, dann nach einigen Jahren aber absinken würde. Mittelfristig sollte dann die Häufigkeit an zur Metastasierung fähigen invasiven Mammakarzinomen in der Gruppe von Frauen, die am regelmäßigen Mammografie-Programm teilnahmen durch das rechtzeitige Aufdecken von noch nicht invasiven Krebsvorstufen (in-situ-Karzinome) sogar niedriger sein als in der Kontrollgruppe. Die Häufigkeit von diagnostizierten invasiven Karzinomen blieb aber im gesamten Beobachtungszeitraum in der Mammografie-Screening-Gruppe deutlich höher – initial um 57 Prozent am Ende immer noch um 22 Prozent – als in der Kontrollgruppe. Die Wissenschaftler schlussfolgerten, dass offensichtlich etwa jedes vierte, lediglich durch eine regelmäßige Screening-Mammografie diagnostizierte invasive Mammakarzinom in einer alleinigen Mammografie am Ende des sechsjährigen Beobachtungszeitraums offensichtlich nicht mehr erkennbar gewesen wäre, und somit die Möglichkeit einer spontanen Rückbildung diskutiert werden müsse.3

Diese Publikation führte zu einer heftigen anhaltenden Diskussion in den Fachzeitschriften und zu verharmlosenden Medienschlagzeilen wie »Jeder fünfte Brustkrebs heilt von selbst«.4

Durch viele Studien unstrittig ist inzwischen das Problem der durch Screening stattfindenden »Überdiagnose« (overdiagnosis)5. Mit Überdiagnose ist keine Fehldiagnose gemeint, sondern ein in der Reihenuntersuchung festgestellter verdächtiger Knoten erweist sich in der Gewebsprobe wirklich als bösartiger Tumor und wird entsprechend behandelt, während er sich ohne diese Screening-Diagnose auch später nicht zu einer behandlungsbedürftigen Krebserkrankung entwickelt hätte.

Um Strategien zu entwickeln, das Phänomen »overdiagnosis« von Krebserkrankungen zu minimieren, veröffentlichte das National Cancer Institute der USA 2010 eine größenordnungsmäßige Abschätzung des Phänomens: 25 Prozent der durch Mammografie-Screening entdeckten Mammakarzinome, 50 Prozent der durch routinemäßige Röntgenuntersuchungen und/oder durch mikroskopische Untersuchung von abgehustetem Schleim diagnostizierte Bronchialkarzinome und 60 Prozent der durch Bestimmung des PSA-Wertes diagnostizierten Prostatakarzinomen.6

Mit den verbesserten Möglichkeiten der Krebsfrüherkennung und ihrer kritischen Analyse ist Überdiagnose und damit auch das Phänomen Spontanremission plötzlich in den Mittelpunkt einer Diskussion getreten, die das derzeitige wissenschaftliche Verständnis von Krebserkrankungen berührt.

Diese Entwicklung war noch nicht abzusehen als ich vor acht Jahren ein Manuskript für das damals im Verlag Herder herausgegebene erste Buch Wunder sind möglich. Spontanheilung bei Krebs schrieb.

Ich hatte kurz nach Erscheinen des Buches das Nürnberger Klinikum verlassen und in Starnberg eine Onkologische Schwerpunktpraxis aufgebaut. Das Buch fand reges Interesse bei Krebsbetroffenen, recht wenig Widerhall dagegen in der wissenschaftlichen Medizin.

Ich betrachte auch dieses Buch als Dank an die sehr vielen Menschen, die mich in den letzten drei Jahrzehnten bei der Beschäftigung mit dem Thema Spontanremission konkret unterstützt, stimuliert und ermutigt haben: Ein Dank an all die ärztlichen und psychologischen Kollegen, die mir Krankheitsverläufe mitgeteilt haben und zu kritischen Rückfragen bereit waren. Ein besonderer Dank an die Pathologen, die stets auf meine Bitte eingegangen sind, doch ihre Gewebsproben unter Kenntnis des Krankheitsverlaufes nochmals zu beurteilen oder einem Kollegen zur Zweitbeurteilung zu überlassen. Ein inniger Dank an meinen 2004 verstorbenen früheren Chef, onkologischen Lehrer und letztlich Freund, Herrn Prof. Dr. Walter Michael Gallmeier, der sich wie niemand sonst als Wissenschaftler und als am Patientenbett tätiger Arzt für das Phänomen Spontanremission faszinieren ließ. Mit dem entwaffnenden Zitat »Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist« stellte er sich auch bei den nicht seltenen bösartigen Anfeindungen seiner »Arbeitsgruppe Biologische Krebstherapie« stets vor sie.

Das Buch ist aber vor allem ein Dank an die Patienten vieler Jahre, die mir ihre Gedanken und Geschichten offenbart haben: Lebendige Geschichten ihres Lebens mit der Krankheit Krebs und dem drohenden Tod. Geschichten von Angst, Lähmung und dann wieder unbändigem Mut, von Verzweiflung und Hoffnung, von Depression und »Trotz alledem«, von Trauer, Freude, Sinnsuche und unstillbarem Lebenshunger. Ich hatte Krankengeschichten erwartet und habe Lebensgeschichten geschenkt bekommen. Manche dieser Menschen – mit oder ohne Spontanremission ihrer Krebserkrankung – sind inzwischen verstorben. Die lebendigen Begegnungen mit ihnen machen dieses Buch auch zum Vermächtnis für jetzige Krebsbetroffene. Ein besonderer Dank gilt den Eltern von Frau Susanne Szentandrási, die mir erlaubt haben, Gedichte ihrer Tochter in dieses Buch einzuflechten. Sie ist 1997 im Alter von 32 Jahren ihrer Krebserkrankung erlegen, 13 Jahre nach der Diagnose. Die Telefonate mit ihr über ihren mutigen Umgang mit ihrer Krankheit erinnere ich dankbar.

Verlässliche Information über das Phänomen Spontanremission möge – jenseits einer Realitätsverkennung – die Hoffnung Krebskranker im Leben zu bleiben stärken. Alle Namen von Patienten sind verändert, ihre Geschichten sind ohne Abstriche real. Mögen Sie sich als Leser mitreißen lassen von der Banalität des Wunders und mögen Sie in Ihrem – mit oder ohne Spontanremission immer begrenzten – Leben die Wunder des Banalen neu entdecken.

Wunder in der Medizin – staunen und sich wundern trauen

»Kinderkriegen wie das Bücherschreiben sind Fahrten in das eigene Innere, wo der Körper, der Geist und die Seele die Richtung wechseln, zurückkehren zum Mittelpunkt des Daseins selbst.«

Isabel Allende (Paula, 1995)

An diese Zeilen der chilenischen Schriftstellerin, mit ihrer bewundernswerten Fähigkeit innere und äußere Realitäten zu Lebensgeschichten zu verschmelzen, musste ich beim Schreiben dieses Buches denken. Nun bin ich zwar stolzer aber – wie viele meiner engagierten Berufskollegen – eher vernachlässigender Vater zweier Töchter, das Kinderkriegen kann ich aber nicht für mich beanspruchen. Trotzdem schweifte mein innerer Blick beim Schreiben immer wieder zurück, blieb hängen an manchmal schon fast vergessenen Begegnungen der letzten, inzwischen mehr als 30 Jahren mit Patienten, mit Kollegen, mit Wissenschaftlern und Journalisten.

Ich erinnerte mich an meine erste Beobachtung einer Spontanremission bei einem Mann mit Lungenmetastasen eines Nierenkrebses. Obwohl ich damals bereits meine Weiterbildung als Internist und Krebsspezialist abgeschlossen hatte, war mir das Phänomen einer Spontanremission bei Krebserkrankungen nicht bekannt. Als ich geschätzten Kollegen an der Klinik, an der ich bereits seit zehn Jahren tätig war, die Röntgenbilder dieses Mannes demonstrierte, erntete ich freundliches Gelächter. Ich hätte wohl die Röntgenbilder vertauscht, die zu einem Zeitpunkt viele Lungenmetastasen zeigten, die dann auf weiteren Bildern nicht mehr zu sehen waren. Die Röntgenaufnahmen waren nicht vertauscht, sondern belegten ein Phänomen, das nicht zum alltäglichen Erfahrungsschatz von Krebsärzten zählt.

Nun machen Ärzte immer wieder neue Beobachtungen. Beispielsweise fallen ihnen bei einem Patienten Beschwerden auf, die sie in Zusammenhang mit der Einnahme bestimmter Medikamente bringen. Dann weisen diese Ärzte Arzneimittelkommissionen auf derartige, bisher nicht bekannte Nebenwirkungen hin. Meist unbemerkt von der Öffentlichkeit werden diese Beobachtungen sehr ernst genommen. Alle Ärzte werden informiert, beim Einsatz des entsprechenden Medikaments auf Anzeichen der unerwünschten Wirkung zu achten. Danach kommt es in der Regel zu weiteren Berichten der gleichen, bisher nicht registrierten Nebenwirkung. Die Beobachtung unterstreicht die Erfahrung, dass seltene Nebenwirkungen oft nur auffallen, nachdem bereits sehr viele Patienten behandelt worden sind und Phänomene eher erkannt werden, wenn sie bekannt sind, sie also mit bereits vertrauten Denk- und Wahrnehmungsmustern übereinstimmen. Sternschnuppen am Nachthimmel werden von Menschen eher gesehen, die das Phänomen kennen.

Das Phänomen von Spontanremissionen bei Krebs gehört in der Medizin offensichtlich zu einer viel komplexeren Kategorie von Beobachtungen. Zu einer Kategorie von fast tabuisierten Beobachtungen, die immer wieder gemacht werden, bei denen aber Meinungsmacher in der medizinischen Welt eher misstrauisch und achselzuckend mit dem Hinweis abwinken, es handle sich um ein unwichtiges oder gar unwissenschaftliches Randphänomen. Die Beobachtungen werden Sammlungen von medizinischen Skurrilitäten zugeordnet, skeptisch abgelegt, eher ratlos ignoriert und nicht selten schlicht bestritten oder in Zweifel gezogen.

Es drängt sich mir der irritierende Vergleich zum Phänomen des sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Amts- und Würdenträger auf. Die erste Reaktion aus der betroffenen Berufsgruppe ist in der Regel ebenfalls der Verweis auf einen doch insgesamt sehr seltenen Einzelfall, aus dem deshalb keine allgemeineren Schlussfolgerungen gezogen werden dürften. Und so reihen sich dann über Jahrhunderte »Einzelfälle« an »Einzelfälle«, bis schließlich eine umfassendere Diskussion des Phänomens möglich wird. Wie beim Thema Spontanremissionen übersteigt auch bei diesem innerkirchlichen Thema das Interesse der öffentlichen Medien bei Weitem das der geforderten Berufsgruppe. Diejenigen die sich mit dem Phänomen mehr beschäftigen, geraten nicht selten unter Beschuss aus den eigenen Reihen.

Als ich vor über 20 Jahren diesem oben geschilderten Patienten gegenüberstand, der eine Spontanremission seiner Lungenmetastasen erfahren hatte, war mein erster Gedanke, ich könne unmöglich der erste Arzt sein, der eine derartige, mir bisher nicht bekannte Beobachtung gemacht hat. In der Tat stieß ich dann bei meiner neugierigen Suche in der medizinischen Fachliteratur auf viele Berichte von Spontanremissionen. Ich war irritiert. Warum waren mir – und vielen meiner kompetenten Kollegen an der Klinik – diese Hinweise bisher entgangen? Hatten wir einfach darüber hinweg gelesen? Spontanremission, war das nicht ein Phänomen, das ich doch vom Studium als Fußnote aus Lehrbüchern der Kinderheilkunde erinnerte? Der Hinweis hatte sich auf Säuglinge mit Neuroblastomen bezogen, aber ich hatte noch nie ein derartig krankes Kind gesehen. Hier stand ein älterer Erwachsener mit einem völlig anderen Krankheitsbild vor mir, das diese Lehrbücher der Kinderheilkunde sicher nicht meinten.

Ich hatte Glück. An der Klinik, an der ich als Oberarzt arbeitete und in der ich mich als kritischer Denker sehr aufgehoben fühlte, fand ich nach den anfänglichen scherzhaften Kommentaren große Aufgeschlossenheit und Interesse an dem Phänomen. Plötzlich erinnerten sich Kollegen an schon fast vergessene »unerklärliche« Krankheitsverläufe. Der Chefarzt der Klinik, der renommierte Krebsspezialist Prof. Walter Michael Gallmeier, trommelte wenige Monate nach meiner Beobachtung einer Spontanremission selbst die Ärzte der Klinik zusammen, um ihnen den Krankheitsverlauf eines Mannes mit metastasierendem Lungenkrebs vor Augen zu führen, den er selbst schon tot geglaubt hatte und der jetzt sichtlich gesund vorbeigekommen war, um frühere Röntgenbilder abzuholen. Prof. Gallmeier nahm Kontakt mit Brendan O’Regan auf, der in Kalifornien das ehrgeizige Projekt gestartet hatte, die gesamte verfügbare medizinische Fachliteratur nach Berichten über Spontanremissionen bei Krebs zu durchforsten. Brendan O’Regan berichtete über seine bisherige Recherche auf einer Internationalen Expertenkonferenz zum Thema »Psychoneuroimmunologie und Krebs«, zu der die Deutsche Krebshilfe im Juni 1990 auf Initiative von Prof. Gallmeier nach Tutzing am Starnberger See eingeladen hatte. Nur wenige am Krankenbett tätige Krebsspezialisten zeigten damals Interesse an dieser interdisziplinären Expertendiskussion. Allein das Wortteil »Psycho-« reichte offensichtlich aus, um bei vielen medizinischen Meinungsmachern wissenschaftliche Neugierde in reserviert freundliche Entschuldigungen zu verwandeln.

Zwei Jahre später bestätigte mir in San Francisco Brendan O’Regan etwas ratlos und ernst die gleiche Erfahrung. In seinem Institute of Noetic Sciences zeigte er auf die prall gefüllten Archivschränke seiner Literaturrecherchen. Er wisse nicht, was er mit diesem mühsam weltweit gesammelten Material anfangen solle. Er sei ja kein Mediziner, aber niemand in der medizinischen Fachwelt scheine eigentlich wirkliches Interesse daran zu haben. Gerade was die weiter zurückliegenden Fallberichte betreffe, so fänden sich darunter viele deutschsprachige Arbeiten.

Die Begegnungen mit Brendan O’Regan, diesem intelligenten, tiefsinnigen Freund mit seinen verschmitzten irischen Augen, kamen mir beim Schreiben dieses Buches häufig dankbar in den Sinn. Er starb zu jung an einer Krebserkrankung, wenige Monate bevor das dicke Buch seiner Literaturrecherche über Spontanremissionen gedruckt vorlag und als neues Standardwerk die weitere ernsthafte Diskussion des Themas befruchtete. Damals füllten schon andere Bücher, die ebenfalls aus den USA kamen, die Verkaufsregale in Buchhandlungen, und vereinnahmten das Thema Spontanremissionen für Krebsbehandlungsmethoden mit unbelegter Wirksamkeit. Eines der Bücher versprach sogar mit seinem Titel und einem mehrwöchigen Übungsprogramm »Spontanheilung«.

Das Thema Spontanremissionen bei Krebs ist schwierig und bringt oft denen Schwierigkeiten, die sich damit ernsthaft beschäftigen wollen. Groß ist die Angst von Wissenschaftlern in den Augen der Kollegen mit diesem Thema in die Unwissenschaftlichkeit abzudriften und die berufliche Karriere zu gefährden. In der Tat überwiegen unkritische bis gelegentlich offen wissenschaftsfeindliche Diskussionen des ungewöhnlichen Phänomens. Damit wird es umso interessanter für die Medien, die sich ihm mit eher schillerndem Sensationsgeheische zuwenden, das sich oft mehr an Auflagen und Quoten orientiert anstatt an sachlicher Information.

Als ich das erste Mal auf einer medizinischen Fachtagung in einem Vortrag von einem Patienten berichtete, der mein Interesse an dem Phänomen Spontanremission bei Krebs geweckt hatte, empörte sich der renommierte Tagungsvorsitzende laut: »Das ist doch keine Wissenschaft!« Dieses Thema gehöre nicht auf eine wissenschaftliche Konferenz. Als ich dermaßen abgekanzelt in die anschließende Kaffeepause ging, trat ein altehrwürdiger Professor, der noch immer als kreativer und führender Querdenker seines Fachbereichs anerkannt war, schmunzelnd auf mich zu: Der verehrte Vorsitzende habe wohl noch nicht verstanden, was Wissenschaft sei, dass sie nämlich mit Fragen beginne.

Einige Zeit später war ich von einer Fachgesellschaft eingeladen, die sich mit Hypnose in der Medizin beschäftigte und die auf ihrer jetzigen Jahrestagung das Thema Krebs in den Mittelpunkt stellen wollte. Ebenfalls zu einer Podiumsdiskussion eingeladen war der amerikanische Arzt Dr. Carl Simonton. Seine Visualisierungsmethode hatte ihn – gerade auch wegen der daran geübten Kritik – weltweit berühmt gemacht. Inzwischen hatte er längst die konventionelle Medizin aufgegeben und bevorzugte bei seinen Auftritten im avantgardistischen Zeitgeist die Schamanentrommel und ein Didgeridoo, das Zeremonieninstrument australischer Aborigines. Dr. Simonton sprach auch das Thema Spontanremissionen an, das damals von den amerikanischen Medien bereits sehr aufgegriffen worden war. Nach der Diskussion kam ein dynamischer Hypnosetherapeut mit grau melierten Schläfen auf mich zu: Er verstehe nicht meine Fragen, Spontanremissionen bei Krebs seien für ihn überhaupt kein Problem. Er bewerkstellige sie bei Hunderten von Patienten. Das interessiere mich sehr, antwortete ich neugierig. Wie und bei welchen Krebsarten? Was ich damit meine, eben bei Krebs, war die genervte Antwort. Da konnte ich nur noch gratulieren und meine Unfähigkeit eingestehen.

In der Wissenschaft sind Themen und Phänomene dann in der Fachdiskussion »ungefährlich« und »erlaubt«, wenn darüber bereits etwas in kritisch prüfenden, möglichst englischsprachigen Fachzeitschriften veröffentlicht ist. Also setzte ich mich abends hin, tippte einen ausführlichen Fallbericht einer Spontanremission, die ich gründlich recherchiert hatte und schickte das Manuskript an die renommierteste europäische onkologische Fachzeitschrift, die Annals of Oncology. Wenige Wochen später erhielt ich einen handschriftlichen, sehr freundlichen Brief des zuständigen englischen Spartenherausgebers, eines herausragenden Wissenschaftlers und Wegbereiters der Evidenz-basierten Medizin. Er finde das Manuskript sehr interessant, es solle veröffentlicht werden. Dann stellte er sehr konstruktive Fragen und gab dienliche Anregungen. Einige Monate später war der überarbeitete Fallbericht in der Fachzeitschrift zu lesen. In der Folgezeit waren Diskussionen zum Thema Spontanremission leichter. Der Herausgeber eines verbreiteten Lehrbuches der Krebsmedizin wünschte sogar ein eigenes Kapitel zu dem Thema.

Prof. Gallmeier hatte Ende der 1980er Jahre von der Deutschen Krebshilfe den schwierigen und undankbaren Auftrag übernommen, unvoreingenommen Krebsheilungen zu überprüfen, die durch den Einsatz »alternativer« oder »unkonventioneller« Behandlungsmethoden zustande gekommen seien. Schnell wurde der Nürnberger »Arbeitsgruppe Biologische Krebstherapie« klar, dass etwaige unkonventionelle Therapieerfolge von spontanen Tumorrückbildungen abzugrenzen seien, um die behauptete Wirksamkeit unkonventioneller Methoden richtig einzuschätzen. Ich arbeitete in dieser kleinen Arbeitsgruppe neben meinen Aufgaben in der Patientenbehandlung mit. Meine Kollegen und ich waren sehr interessiert, mehr über das Phänomen Spontanremission zu lernen. Somit gingen wir an die Öffentlichkeit und baten, uns mögliche Fälle von Spontanremissionen bei Krebs zu berichten. Wir bekamen nur wenige verwertbare Krankheitsberichte, jedoch wöchentlich jede Menge Anfragen von Fernsehsendern und Zeitschriftenjournalisten, die unbedingt ehemalige Patienten mit einer Spontanremission ihrer Krebserkrankung interviewen wollten. In Absprache mit den ehemaligen Patienten erfüllten wir diese Wünsche in der Regel nicht. Wir waren auch im Umgang mit Journalisten vorsichtiger geworden. Da entschuldigte sich beispielsweise die Journalistin einer großen Frauenzeitschrift, dass ihre unhaltbaren Schlussfolgerungen eines Interviews mit mir über Spontanremissionen nicht wie von mir gefordert korrigiert worden seien. Ihre Chefredakteurin fände, die jetzige – wenn auch falsche – Darstellung käme bei den Lesern einfach besser an.

Uns war aus dem Behandlungsalltag mit Krebspatienten sehr klar, mit welchen Hoffnungen bei ihnen das Phänomen von Spontanremissionen verknüpft war – und wie diese Hoffnungen manchmal naiv, manchmal schlicht schamlos missbraucht wurden. Die Briefe von Krebskranken oder ihren Angehörigen, die von unserer Arbeitsgruppe und ihrer Untersuchung des Phänomens Spontanremission Hilfe in aussichtslos erscheinender Situation erhofften, füllten Aktenordner um Aktenordner. Eine verlässliche Information der Krebsbetroffenen und der Öffentlichkeit war uns somit immer ein großes Anliegen. Vorträge vor Krebsbetroffenen und die Zusammenarbeit mit Medienleuten, die unser Anliegen teilten, lagen uns sehr am Herzen. Die Begegnung mit der Fernsehjournalistin Monika Kirschner war ein Glücksfall. Sie hatte ein ernsthaftes Interesse an dem Phänomen Spontanremission, arbeitete als freie Journalistin für die Wissenschaftsredaktion des WDR, hatte keine vorgefasste, unverrückbare Meinung zu dem Phänomen und sie konnte vor allem Menschen interessiert und zugewandt zuhören, sowohl Patienten als auch Fachleuten. Die Zusammenarbeit mit ihr und ihrem Team hat Freude gemacht, trotz aller zusätzlichen Arbeit. Denn unsere Hauptaufgabe bestand ja unvermindert darin, die uns im Krankenhaus anvertrauten Patienten möglichst gut zu behandeln. Ein kurzer Beitrag im Wissenschaftsmagazin des WDR wurde sehr positiv bewertet. Es folgte mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe ein 45-Minuten-Film im Abendprogramm mit dem Titel »Wunder sind möglich«. Dieser Film erhielt die Goldmedaille des Journalistenpreises der AOK Rheinland. Frau Kirschner realisierte aber in unseren Diskussionen und in den Gesprächen mit Krebsbetroffenen: Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit verdienen nicht nur die Menschen, die eine Spontanremission ihrer Krebserkrankung erfahren durften, sondern auch die Patienten, die ohne diesen ungewöhnlichen Krankheitsverlauf bewundernswert versuchen, mit und trotz ihrer Krebserkrankung zu leben und im Leben zu bleiben. Ein gemeinsam konzipierter Fernsehfilm »Leben mit Krebs« hat viel zur Entstigmatisierung der Krankheit Krebs in der Öffentlichkeit beigetragen.

Die von Prof. Walter Michael Gallmeier geleitete Nürnberger Medizinische Klinik 5 wurde inzwischen überregional mit dem Phänomen Spontanremissionen bei Krebs assoziiert, mal ernsthaft, mal hämisch. Da ruft ein hochrangiger Wissenschaftler eines Max-Planck-Institutes an, mit der Frage: »Mal ehrlich, gibt es Spontanremissionen wirklich?« Dann unterzieht sich ein Arzt der Klinik vor der Landesärztekammer der Facharztprüfung. Ein Prüfer stellte eine Frage zur Behandlung maligner Melanome, die ein anderer Prüfer umgehend kommentierte: »Ich weiß, Sie in Nürnberg machen das mit Spontanremissionen.« Dann wieder der Brief einer von Krebs betroffenen Familie: »Zu welchen Heiligen haben Ihre Patienten, die eine Spontanheilung erfahren haben, gebetet?« Und es fehlen auch nicht besorgte Äußerungen von Meinungsmachern der Krebsmedizin, das häufige Thema Spontanremission in den Medien führe möglicherweise dazu, dass die Öffentlichkeit zukünftig weniger Geld für die Entwicklung neuer Krebstherapien spenden würde. Deshalb solle die Deutsche Krebshilfe zukünftig besser vermeiden, mit diesem Thema in Zusammenhang gebracht zu werden …

Manchmal ist es schon befremdlich, wie wissenschaftliche Neugier im Kalkül eines Forschungsmanagements verloren geht. Geht es doch darum, ein Phänomen, das bei Patienten mit sehr viel Hoffnung verbunden ist, für sie mit kritischer wissenschaftlicher Kompetenz zu untersuchen und es nicht der naiven oder unlauteren Instrumentalisierung durch Gurus und Scharlatane zu überlassen.

Wenn die Krankheit plötzlich verschwindet

»Weiß man denn, was einen gesund gemacht hat? Die Heilkunst, das Schicksal, der Zufall oder Omas Gebet?«

Michel de Montaigne (1533–1592)

Frau Winter ist eine starke Raucherin. Sie ist 56 Jahre alt, als bei ihr 1984 Lungenkrebs festgestellt wird. Es handelt sich um einen sogenannten kleinzelligen Typ, der in der Regel schnell wächst und nur selten heilbar ist. Diese Krebsart spricht zwar in der Regel auf Chemotherapie-Medikamente gut an. Das heißt, durch die Behandlung verschwinden die Tumorknoten oder sie werden zumindest kleiner. Bei dieser Krebsart dauern derartige Tumorrückbildungen – die Ärzte sprechen von Remissionen – aber nur in seltenen Ausnahmen länger als einige Monate an. Selbst wenn die Krebserkrankung zum Zeitpunkt der Diagnose noch auf die Lunge begrenzt ist und die Behandlung anfangs gut wirkt, ist erfahrungsgemäß nach fünf Jahren allenfalls noch einer von 20 Patienten am Leben, nach zehn Jahren kaum noch einer von hundert. Eine Behandlung durch Krebsspezialisten ist in der Regel nur palliativ. Das heißt, eine dauerhafte Heilung ist bei dieser vorrangig durch Tabakrauch verursachten Krebsart nicht möglich. Die Therapie soll aber ein längeres Leben mit weniger Beschwerden gewährleisten, auch wenn ein langzeitiges Überleben die große Ausnahme darstellt.

Bei Frau Winter raten die erfahrenen Krebsspezialisten zu sechs »Kursen« einer Chemotherapie mit drei Medikamenten. Dabei umfassen in diesem Fall die »Kurse« der Chemotherapie jeweils einen Zeitraum von vier Wochen, in denen die Medikamente nach einem gewissen Plan verabreicht werden. Frau Winter lehnt bereits nach zwei Behandlungskursen wegen der verspürten Nebenwirkungen die weitere Chemotherapie ab. Genauso verzichtet sie auf eine prophylaktische Schädelbestrahlung. Sie wurde ihr vorgeschlagen, da bei dieser Krebsart frühzeitig Metastasen im Gehirn zu befürchten sind. Sechs Monate später wird die Patientin tatsächlich mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und erheblichen Hirnleistungsstörungen auffällig. Das durchgeführte Computertomogramm zeigt zwei eindeutige Hirnmetastasen in beiden Gehirnhälften. Weitere Tumorzeichen finden sich nicht. Die Symptome der Hirnmetastasen bilden sich unter einer Kortisonbehandlung und einer niedrig dosierten Gehirnbestrahlung, die nicht in der Lage ist, derartige Metastasen auszumerzen, zunächst erwartungsgemäß zurück.