Kerben  im Zügelholm - William Mark - E-Book

Kerben im Zügelholm E-Book

William Mark

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Beschreibung

"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! Sil Nakya lag in der nordöstlichen Ecke des Pima Countys an den flachen Hängen der Santa Rosa Mounts, inmitten des großen Sandes von Arizona. Vereinzelte Turmkakteen und rote Sandsteinpyramiden, die der Wind der Jahrtausende zu skurrilen Formen verschliffen hatte, die Quijotoa Mounts und die Silberberge des unsterblichen Apachenhäuptlings Cochise bildeten die Umgebung. Eine winzige Kistenholzstadt, siebzehn Häuser, ein paar Scheunen, zwei Schenken und ein Post Office, das war das Sil Nakya von 1882. Ein eigenes Sheriffs Office gab es damals noch nicht. Hanc Baldwyn, der den Stern von Sil Nakya trug, war zugleich Postmaster und obendrein noch Black-smith. Um es genauer zu sagen: Schmied war er vor allen Dingen; die beiden anderen Jobs hatte er gewissermaßen nur ehrenamtlich übernommen. Sie brachten ihm so gut wie gar nichts ein. Im Gegenteil: Er hatte seine Wohnstube zur Hälfte als Post Office eingerichtet, und zur anderen Hälfte diente sie ihm als Sheriffs Bureau. Obgleich Sil Nakya eine sehr kleine Stadt war, brachten ihm die Ämter doch eine ganze Menge Arbeit ein. Aber Baldwyn verrichtete sie mit großer Beharrlichkeit und solchem Eifer, als würde er tatsächlich dafür bezahlt. Es gab sogar Leute in der Stadt, die ihn um diesen Posten beneideten. Ein Unsinn, denn wenn man jene Menschen ernsthaft vor die Frage gestellt hätte, ob sie denn die Jobs übernehmen wollten, hätten sie sich höchstwahrscheinlich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Für den Postmaster-Job gab es immer vielerlei Schreibereien zu erledigen, und der Stern gar verlangte den Umgang mit dem Colt und brachte immer Gefahr mit sich. Das alles wußte man in Sil Nakya, dennoch waren die Neider da. Baldwyn machte sich allerdings nichts aus ihnen. Er war ein rauher, kerniger Mann von neunundfünfzig Jahren, hatte sein ganzes Leben hart für sich und seine Familien arbeiten müssen und im Grunde wußte jeder in der Stadt, daß er alle seine Posten besser versah, als es sonst irgend jemand in Sil Nakya hätte tun können und wollen. Vor sieben Jahren waren die Piebers hier gewesen, mehrere Banditen, die wie die Wilden in der Stadt gehaust hatten. Baldwyn hatte sich ihnen furchtlos entgegengestellt, war aber von ihnen überfallen und in den Raum gesperrt worden, der in der kleinen Stadt das Jail darstellen sollte: Im Dachgeschoß der City Hall. Vor fünf Jahren hatten betrunkene Kreolen die Stadt heimgesucht, zwei Scheunen niedergebrannt und damit die Stadt in die allergrößte Gefahr gebracht, denn das pulvertrockene Holz der Häuser hätte gebrannt wie Zunder. Baldwyn hatte die Tramps nacheinander festgesetzt.

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Wyatt Earp – 285 –

Kerben im Zügelholm

William Mark

Sil Nakya lag in der nordöstlichen Ecke des Pima Countys an den flachen Hängen der Santa Rosa Mounts, inmitten des großen Sandes von Arizona. Vereinzelte Turmkakteen und rote Sandsteinpyramiden, die der Wind der Jahrtausende zu skurrilen Formen verschliffen hatte, die Quijotoa Mounts und die Silberberge des unsterblichen Apachenhäuptlings Cochise bildeten die Umgebung. Eine winzige Kistenholzstadt, siebzehn Häuser, ein paar Scheunen, zwei Schenken und ein Post Office, das war das Sil Nakya von 1882. Ein eigenes Sheriffs Office gab es damals noch nicht. Hanc Baldwyn, der den Stern von Sil Nakya trug, war zugleich Postmaster und obendrein noch Black-smith. Um es genauer zu sagen: Schmied war er vor allen Dingen; die beiden anderen Jobs hatte er gewissermaßen nur ehrenamtlich übernommen. Sie brachten ihm so gut wie gar nichts ein. Im Gegenteil: Er hatte seine Wohnstube zur Hälfte als Post Office eingerichtet, und zur anderen Hälfte diente sie ihm als Sheriffs Bureau. Obgleich Sil Nakya eine sehr kleine Stadt war, brachten ihm die Ämter doch eine ganze Menge Arbeit ein. Aber Baldwyn verrichtete sie mit großer Beharrlichkeit und solchem Eifer, als würde er tatsächlich dafür bezahlt.

Es gab sogar Leute in der Stadt, die ihn um diesen Posten beneideten. Ein Unsinn, denn wenn man jene Menschen ernsthaft vor die Frage gestellt hätte, ob sie denn die Jobs übernehmen wollten, hätten sie sich höchstwahrscheinlich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt.

Für den Postmaster-Job gab es immer vielerlei Schreibereien zu erledigen, und der Stern gar verlangte den Umgang mit dem Colt und brachte immer Gefahr mit sich.

Das alles wußte man in Sil Nakya, dennoch waren die Neider da.

Baldwyn machte sich allerdings nichts aus ihnen. Er war ein rauher, kerniger Mann von neunundfünfzig Jahren, hatte sein ganzes Leben hart für sich und seine Familien arbeiten müssen und im Grunde wußte jeder in der Stadt, daß er alle seine Posten besser versah, als es sonst irgend jemand in Sil Nakya hätte tun können und wollen.

Vor sieben Jahren waren die Piebers hier gewesen, mehrere Banditen, die wie die Wilden in der Stadt gehaust hatten.

Baldwyn hatte sich ihnen furchtlos entgegengestellt, war aber von ihnen überfallen und in den Raum gesperrt worden, der in der kleinen Stadt das Jail darstellen sollte: Im Dachgeschoß der City Hall.

Vor fünf Jahren hatten betrunkene Kreolen die Stadt heimgesucht, zwei Scheunen niedergebrannt und damit die Stadt in die allergrößte Gefahr gebracht, denn das pulvertrockene Holz der Häuser hätte gebrannt wie Zunder.

Baldwyn hatte die Tramps nacheinander festgesetzt.

Vor drei Jahren hatten sich die Garetty Brothers hier drei böse unvergeßliche Tage lang aufgehalten, geraubt, geplündert und sogar Blut vergossen. Der siebzigjährige Benedict Tills war von ihnen angeschossen worden, weil er ein sechzehnjähriges Mädchen vor ihnen hatte schützen wollen. Baldwyn, der gerade von einem Ritt auf die Wilbert Ranch, wo Vieh gestohlen worden war, zurückkam, übernahm den weiteren Schutz des Mädchens, indem er Joe Garetty und seinen Bruder Red aus dem Sattel schoß. Berry und der herkulische Lewt warfen sich auf Baldwyn, hatten damit aber ganz und gar die falsche Behandlung gewählt, denn was sie von dem grobschlächtigen Schmied an Schlägen einstecken mußten, war mehr, als ihnen bekam.

Seit diesen Tagen hatte sich eigentlich nichts Nennenswertes in der Stadt ereignet.

Die Zeit war weitergegangen.

Und Baldwyn war älter geworden.

Es war Mitte Mai, 1882.

Die Luft flirrte vor Hitze.

Sengend wie eine glühende Fackel stand die Sonne am tiefblauen Arizonahimmel.

Über dem gelben Sand waberte der Sonnenglast.

Die breite Mainstreet lag wie ausgestorben da.

Schläfrig hockte der dicke Calli Ingas vor seiner Schenke, der Apache Bar, und döste vor sich hin.

Gegenüber, in Rod Parkers
schlauchengem Arizona Saloon, hing ein alter knochiger Mann über der Theke und schlief im Stehen. Der Butcher Jerry Anderson war es. Er nahm häufig schon am Vormittag hier seinen Abendtrunk, denn er glaubte, ihn nie unnötig lange hinausschieben zu dürfen.

Der Wirt kauerte auf einem winzigen Hocker hinter der Theke, verjagte zum hundertsten Male eine lästige große Schmeißfliege von den vorgebratenen Steaks, die ungeschützt neben dem großen Aschenbecher auf dem Schanktisch standen, und hüstelte asthmatisch.

Ronny Wißbar, ein flachsblonder Bursche von etwa fünfundzwanzig Jahren, lehnte an einem Vorbaupfeiler des ›Tonsoriol Palaces‹, wo sich sein siebenundsiebzigjähriger Vater eben mit dem wildwuchernden Haarschopf des krummbeinigen Brotbäckers Jonathan Daugherty befaßte.

Ein ältliches Mädchen mit welken Lippen und müden Augen, in denen etwas verzweifelt Entsagendes lag, wischte lustlos mit einer fast haarlosen Bürste die große Scheibe des General Stores ab.

Nebenan in der Haustür von Marvel Goldsteins Tuchhandel schnurrte ein gewaltiger schwarzer Kater in der Mittagssonne und behielt doch unmerklich einen großen zottigen Hund im Auge, der neben der Vorbautreppe lag und sich ab und zu an einer schon sichtbar abgewetzten Stelle am Leib juckte.

Drüben in der Toreinfahrt von Carol Hennybeers Ranchers Tool hockte ein dicker Mann auf einem dreibeinigen Stuhl und hatte sich eine vergilbte Gazette übers Gesicht gelegt. Seinen massigen Schädel lehnte er gegen den Torpfosten. Lautes Schnarchen kam aus seinem zahnlosen Mund.

Schräg gegenüber in Jorim Lollfus’ Mietstall beluden zwei Greise einen Wagen mit landwirtschaftlichen Geräten, die für die Longreen Ranch bestimmt waren.

Im Schatten des großen Scheunendaches von William Nedheks Bäckerei saß die kleine rundliche Caterine Nedhek, die Tochter des verstorbenen Bäckers, die den krummbeinigen Bäckergesellen Jonathan Daugherty aus Norstate Falls geheiratet hatte, einen ewig unwirsch dreinschauenden Burschen mit schlechten Zähnen und vom Mehlfraß aufgerissenen und angeschwollenen Handknöcheln.

Mit gebeugtem Rücken watschelte die alte Mary Reet durch ihren Hof auf das Waschhaus zu, das sie seit anderthalb Jahrzehnten in Sil Nakya betrieb und aus dem wie eigentlich immer dicke schwere Dampfschwaden quollen.

Frank Burton, der schwindsüchtige Schuhmacher, saß hinter dem offenen Fenster und starrte mit entzündeten Augen, zusammengekauert und hüstelnd auf einen so schiefgelaufenen Weidereiterabsatz, daß es einen hätte erbarmen können.

Auf der Treppe der City Hall, einem einstigen Scheunenbau, dem diese Bezeichnung ob seiner Baufälligkeit selbst am wenigsten zu behagen schien, saß ein kleiner barfüßiger Junge und malte mit einer leeren, plattgedrückten Revolverpatronenhülse kleine Figuren in den Sand.

Sil Nakya schien zu schlafen.

Zumindest aber zu dösen.

Eigentlich tat es um diese Zeit – und auch die übrige Zeit – sonst kaum etwas anderes.

Wäre nicht das laute, harte, dröhnende Gehämmer gewesen, das aus der einzigen Quergasse kam, die die Stadt aufzuweisen hatte.

Der Lärm kam aus Baldwyns Schmiede. Und es war ganz deutlich der Lärm, den harte, anstrengende Arbeit verursachte.

Die Leute wußten es.

Und dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – störte das Gehämmer.

Baldwyn arbeitete vom frühen Morgen bis in den späten Abend hinein. Seine neunköpfige Familie wollte schließlich leben.

Zwar hatten auch die anderen Leute kaum weniger als sieben Kinder, aber mit der Arbeit überschlug sich sonst niemand in der Stadt.

»Die Hitze!«

Das war das große Abwehrwort.

Nur nicht totarbeiten.

Letztlich hatten Indianer und weiße Banditen einem schon Schweres genug gebracht in all den vergangenen Jahren.

Seit drei Jahren war es endlich still geworden in Sil Nakya.

Fast zu still, aber doch noch nicht still genug für die Menschen, die hier lebten.

Die ärgerten sich über den lauten Blacksmith.

Auf dem anderen Ende der Querstraße, die Shortstreet genannt wurde, lag in einem windschiefen Bau Ernie Talbots Western Bank. In großen verblichenen Lettern ragte ein Schild weit vom Vorbau in die Straße hinein und verkündete völlig unnötigerweise, daß man dort das Geld zu finden hatte. Unnötig deswegen, weil die Leute aus Stadt und Umgebung wußten, wo die Bank lag, und die anderen, die ging es ja nichts an.

Jack Sheeker war anderer Ansicht.

Ganz anderer!

Sheeker hatte ein langes, schmales Gesicht und kalte pulvergraue Augen, die wenigstens einen halben Inch zu weit auseinanderstanden. Sein faltiger Hals verriet, daß er älter war, als sein Gesicht vorgab. Das rechte Ohr, dem die obere Hälfte fehlte, war seltsam blaßgelb und stand unnormal weit vom Kopf ab. Der offensichtlich zu weite Hut schien auf diesem Ohr den einzigen Halt gefunden zu haben, der ihn daran hinderte, ins Gesicht zu rutschen.

Kurz und spitz stach die Nase hervor. Schmal wie ein Strich, dessen linkes Ende nach unten gezogen war, klebte der Mund unter der Nase. Und wie so vieles an diesem Mann, schien auch das Kinn ein Eigenleben zu führen. Es sprang weit vor, war in der Mitte gespalten und war von wildwuchernden rötlichen Stoppeln besetzt.

Der Mann trug ein verwaschenes graues Kattunhemd, eine einstmals rote Halsbinde, braune kurze Weste und enganliegende Levishosen, die starke Verschleißspuren aufwiesen.

Auch die mit texanischen Steppereien besetzten Stiefel waren schon sehr mitgenommen.

Nur eines an diesem Mann schien funkelnagelneu und doch jedenfalls von seinem Besitzer sehr gepflegt zu werden: der patronengespickte Waffengurt und der schwere schwarzknäufige Revolver vom Kaliber fünf-undvierzig, den der Mann tief über dem linken Oberschenkel trug.

Jack Sheeker war Linkshänder, dieser Umstand paßte zu dem reichlich unheimlich wirkenden Burschen.

Sein Pferd war ein abgetriebener Fuchs, dessen Alter sich nicht allzu sehr von dem seines Herrn unterscheiden konnte.

Vor Dan Hornbys Körnerhandlung rutschte der Reiter aus dem Sattel, führte seinen Klepper an die Pferdetränke und sah sich dann auf der Straße um.

Nebenan kippte eine junge Frau eine Schüssel Wasser aus dem Fenster. Sie hatte blondes, angedunkeltes Haar und wache Augen; ein gutgeschnittenes lebensfrohes Frauengesicht.

Der Fremde hob die Rechte und rieb sich mit dem Daumen über das Kinn, was ein seltsam unangenehmes schabendes Geräusch verursachte.

Dann setzte er sich in Bewegung. Staksig, mit ausgebogenen Reiterbeinen und hölzernen Schritten.

Das leise Klirren seiner großen angerosteten Sternradsporen drang über die Straße.

Die Frau blickte auf – und traf auf den Blick des kieselharten Augen des Mannes.

Sheeker tippte mit der behandschuhten Rechten an die staubige zerfranste Krempe seines mißfarbenen Stetsons.

Die Frau blickte auf diesen Handschuh.

Wo gab es in diesem Lande einen Mann, der Handschuhe trug? Sie hatte diese Utensilien eines weltenfernen Lebens seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Damals, als die hübsche junge Frau Egni Greve aus der Falstreet aus Westrand von St. Louis mit dem großen schaukelnden Prärieschooner in den fernen Westen aufbrach, ahnte sie sicher nicht, was ihr dieses Land bringen würde. Der Vater, ein lebenslustiger Bursche, war ein Spieler, der es vorgezogen hatte, sich mit einer dunkelhäutigen Mexikanerin in den Süden abzusetzen, anstatt seine Frau und die vier Kinder zu erhalten.

Egni war die älteste. Die anderen drei starben auf dem harten Weg nach Westen. Bei einem Indianerüberfall kamen die Zwillinge Arno und Achim ums Leben, und wenig später stürzte der sechsjährige Joel vom Wagen und erlag nach qualvollen Stunden seinen Verletzungen.

Das Mädchen und die Mutter hatten fürchterliche Monate durchzustehen, ehe sie hierher in diese kleine Stadt kamen, wo der vierschrötige Baldwyn den Bitten der Frau nach-gab und ihr das Haus des verstorbenen Indianeragenten Faubert Jenkins gab.

Seit diesem Tag wohnten sie hier.

Die Mutter lebte noch; aber sie war blind geworden. Mit lichtlosen Augen hockte sie den ganzen Tag in der dunklen Küche, lauschte auf die Geräusche, die sie umgaben, während ihre gichtigen Finger immer mit einer Stickerei oder einer Näharbeit beschäftigt waren.

Das Mädchen hatte in St. Louis-West die Schule besucht, damals noch voller Träume und großer Lebenshoffnungen. Tänzerin hatte sie werden wollen. Wahrhaftig ein Traum in diesem Lande. Mehrere Jahre hatte sie die Gymnastikschule besucht, bis dann alles, nach Vaters Flucht über die Grenze, zusammenbrach.

In der kleinen Stadt hier gab es nichts, was sie an ihre Träume erinnerte.

Sie war inzwischen einunddreißig geworden, und der Mann, der sie hätte heimführen können, war auch nicht gekommen.

Längst hatte Egni es aufgegeben, nach einem Mann Ausschau zu halten. Wer wollte denn eine arme Näherin heiraten, die eine blinde, sieche Mutter mit in die Ehe brachte?

Die Boys hatten andere Sorgen. Weiß Gott.

Und da stand nun ein Mann und starrte sie unverwandt an.

Ein scheußlich aussehender Bursche – aber ein Mann!

Die junge Frau riß sich von seinen hypnotischen Augen los und wollte sich umwenden.

Da sprangen die Lippen des Mannes auseinander. Krächzend drangen Laute aus seiner Kehle:

»Hallo, Lady…«

Lady!

Egni hielt den Atem an.

Der Mann kam langsam näher, stieg die beiden Vorbaustufen hinauf und kam bis auf anderthalb Yard vor das Fenster.

»Mein Name ist Sheeker, Jackson Sheeker. Komme aus California…«

Er kam aus Lombardy und hatte California nie gesehen.

Das Mädchen stand aufrecht da, die Schüssel an den Leib gepreßt, mit weitoffenen Augen.

»Well…«, krächzte der Fremde weiter, »ich suche ein Zimmer. Ein einfaches Zimmer mit einem Bett und einer Decke, verstehen Sie. Nichts Besonderes…«

Egni Greve hätte drüben auf Calli Ignas Apache Bar weisen können; Ingas vermietete immer zwei, drei Räume seines Obergeschosses, wenn sich mal durchreisende Händler eine Nacht in der Stadt aufhielten. (Später machte sein Sohn ein Boardinghouse aus der Spelunke, und 1904 gelang es ihm, ein Hotel daraus zu zaubern, noch heute existiert es und trägt den Namen Apache Hotel.) Yeah, das hätte sie tun können, aber wenn der Fremde ein Boardinghouse gesucht hätte, würde er sich wahrscheinlich an den Salooner gewandt haben.

»Wir haben ein Zimmer!« hörte ihre Mutter sie bis in die Küche mit unsicherer heiserer Stimme antworten. »Es ist oben im Obergeschoß, zur Straße hinaus. Bett, Tisch, zwei Stühle – und Waschwasser.«

Sheeker rieb die Daumen an den Mittelfingerkuppen.

»Wer bringt das Wasser…?« fragte er lauernd.

»Meine Mutter!« lag ihr auf den Lippen zu antworten, aber sie konnte es sich nicht leisten. Jeder rote Cent mußte in diesem grausamen Land mit dem Holzhammer erkämpft werden.

»Ich. Mister – wenn es Ihnen recht ist.«

Sheeker nickte, und ein übles Grinsen kroch über sein Gesicht. »Well, Lady – wie war doch Ihr Name…?«

»Greve.«

»Nur Greve?«

Yeah, hätte sie am liebsten in dieses rüde Gesicht geschrien, aber sie sagte statt dessen: »Egni, Mister…«

»All right.«

Sheeker sah sich nach seinem Fuchs um.

»Gibt’s so etwas wie einen Stall hinterm Haus?«

Welch eine Frage! Zu jedem Haus in einer Westernstadt gehörte eine Stallung. Aber das Grevehaus hatte keinen Stall, da der alte Scout den Hof an den Nachbarn abgegeben hatte und die Greves auch keine Pferde besaßen.

Eine Blutwelle schoß über sein Gesicht bis hinauf zu dem Haaransatz.

Sheeker war brutal genug, ihre Verlegenheit auszukosten, obgleich er längst begriffen hatte.

»Nicht! Keinen Stall?«

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

Vom Generalstore kam die verwachsene Ireen Fortsyde herübergehumpelt und blieb neben der Vorbautreppe stehen. Neugierig stierte sie den Fremden an.

»Was will er, Egni?«

»Er sucht ein Zimmer.« Und um der Neugierigen die sichere Antwort abzuschneiden, fuhr sie fort: »Er hat schon eines.«

»So? Ich habe ihn gar nicht in den Saloon gehen sehen.«

»Das kommt todsicher noch«, sagte Sheeker feixend und befreite Egni so aus der Klemme.

Aber das Mädchen vom Generalstore gab sich damit nicht zufrieden.

»Du hast ihm doch nicht etwa das dunkle Loch oben unter eurem morschen Dachboden gegeben?«

Egnis Augen blitzten.

»Was geht es dich an?«

»Du nimmst den anderen das Brot weg! Weißt ganz genau, daß Ingas Zimmer vermietet und davon lebt…«

»Ingas!« zischte Egni Greve wütend zurück. »Der hat mehr Geld als sonst irgend jemand im County.«

Die Verwachsene sah den Fremden aus den Augenwinkeln an, musterte ihn erneut kurz und warf den Kopf dann wieder zurück.

»Raffig seid ihr, nichts weiter. Aber was kann aus dem dreckigen St. Louis schon Gutes kommen!«

Egni wurde aschgrau.

Aber der Mann stand ihr nicht bei, im Gegenteil: Er beobachtete sie amüsiert.

Die Verwachsene kläffte, während sie sich fast den Kopf nach dem Mann verrenkte.

»Hast du vielleicht vergessen, daß vor zwei Jahren deine Kusine hier ankam, die süße Evi, mit Hedda, diesem Kanubauer aus Giwsehls? Sie waren abgerissen wie du und kamen auch aus der großen Stadt am Missouri…«

Die gekränkte junge Frau schluckte vor Verzweiflung.

Sheeker wurde das Ganze zu langweilig.

»Well, Miß Greve, ich hole meinen Sattel, dann bringe ich den Gaul hinüber zum Mietstall.«

Die beiden Frauen sahen ihm nach.

Kaum war er im Mietstall verschwunden, als die verwachsene Tochter des Generalstore Owners fauchte:

»Willst ihn dir wohl angeln, he? Wirst wenig Glück haben, das ist ein Gentleman, der sich nicht mit solch armseligem Pack behängt…«