Der schwarze Joe - William Mark - E-Book

Der schwarze Joe E-Book

William Mark

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Beschreibung

"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! Trübes Dämmerlicht fiel durch die Scheiben des Long Branch Saloons in den großen Schankraum. An einem der mit grünem Samt bezogenen Spieltische saß ein Mann und starrte auf eine Zeitung. Es war ein großer schlanker Mann mit einem klugen, gutgeschnittenen Gesicht, das von blaßbrauner Haut bezogen und von zwei sehr intensivblickenden hellen Augen beherrscht wurde. Unter der geraden Nase saß ein sauber getrimmter Schnurrbart. Der schwarze Hut war weit nach vorn geschoben. Das blütenweiße Rüschenhemd wurde unterm Kragen von einer schwarzen Samtschleife gehalten. Der Anzug war dunkelgrau und aus feinstem Bostonstoff nach der neuesten Mode gefertigt. Der Mann hielt in der Linken ein halbvolles Brandyglas und in der rechten ein Zeitungsblatt. Der Salooner hinter der Theke hatte die Gazette gerade bekommen und sie seinem Stammgast sofort hingelegt. »Nun, Doc?« fragte der Salooner, »gibt's was Besonderes?« Mit einem Ruck stand der Doc auf, schnipste mit oft geübtem Griff ein Geldstück im Vorbeigehen auf die Theke und verließ mit harten Schritten den Saloon. »Merkwürdiger Mann, dieser Holliday...« Drüben im Marshals Office lehnte ein hochgewachsener breitschultriger Mann an der Schreibtischkante und studierte einen Bericht. Er hatte ein wetterbraunes kantiges Gesicht und tiefblaue Augen, die unter schwarzen geschwungenen Brauen lagen. Das dichte dunkle Haar war zurückgescheitelt und hatte einen blauschwarzen Schimmer. Er trug ein weißes Hemd und eine schwarze Samtschleife. Links auf seiner schwarzen Lederweste steckte der fünfzackige Dodger Marshalstern, der von einem silbernen Wappenkranz eingefaßt war.

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Wyatt Earp – 287 –

Der schwarze Joe

William Mark

Trübes Dämmerlicht fiel durch die Scheiben des Long Branch Saloons in den großen Schankraum.

An einem der mit grünem Samt bezogenen Spieltische saß ein Mann und starrte auf eine Zeitung. Es war ein großer schlanker Mann mit einem klugen, gutgeschnittenen Gesicht, das von blaßbrauner Haut bezogen und von zwei sehr intensivblickenden hellen Augen beherrscht wurde. Unter der geraden Nase saß ein sauber getrimmter Schnurrbart. Der schwarze Hut war weit nach vorn geschoben. Das blütenweiße Rüschenhemd wurde unterm Kragen von einer schwarzen Samtschleife gehalten. Der Anzug war dunkelgrau und aus feinstem Bostonstoff nach der neuesten Mode gefertigt.

Der Mann hielt in der Linken ein halbvolles Brandyglas und in der rechten ein Zeitungsblatt.

Der Salooner hinter der Theke hatte die Gazette gerade bekommen und sie seinem Stammgast sofort hingelegt.

»Nun, Doc?« fragte der Salooner, »gibt’s was Besonderes?«

Mit einem Ruck stand der Doc auf, schnipste mit oft geübtem Griff ein Geldstück im Vorbeigehen auf die Theke und verließ mit harten Schritten den Saloon.

Chalk Beeson, der Salooner, blickte verwundert hinter ihm drein

»Merkwürdiger Mann, dieser Holliday...«, murmelte er vor sich hin und ließ das Silberstück in die aufgezogene Geldlade fallen

*

Drüben im Marshals Office lehnte ein hochgewachsener breitschultriger Mann an der Schreibtischkante und studierte einen Bericht. Er hatte ein wetterbraunes kantiges Gesicht und tiefblaue Augen, die unter schwarzen geschwungenen Brauen lagen. Das dichte dunkle Haar war zurückgescheitelt und hatte einen blauschwarzen Schimmer. Er trug ein weißes Hemd und eine schwarze Samtschleife. Links auf seiner schwarzen Lederweste steckte der fünfzackige Dodger Marshalstern, der von einem silbernen Wappenkranz eingefaßt war. Die schwarze Hose war eng und lief unten über die blankgeputzten mit Steppereien besetzten Texasstiefel.

Es gab keinen Cowboy und keinen Rancher, keinen Richter und keinen Banditen zwischen Missouri, California, Texas und Montana, der diesen Mann nicht kannte. Es war der Marshal Wyatt Earp.

Mit ernstem Gesicht prüfte er den Bericht, den einer seiner Gehilfen abgefaßt hatte.

Aus dem Hintergrund des Offices tauchte die bärenhafte Gestalt eines Mannes auf, der auch einen Stern auf der linken Brustseite trug.

Er warf zwei Waffengurte über die Wandhaken und meinte:

»Spaß macht es den Männern nicht, ihre Gurte abzugeben.«

»Das verlangt auch niemand von ihnen«, gab der Marshal zurück. »Es ist so eine Art Medizin, die zwar nicht gut schmeckt, aber sehr heilsam ist!«

Der Deputy lachte.

»Well, ich sehe das heute auch so. Anfangs hatte ich ja eine Menge Sorgen, als wir die Schilder überall aushängen mußten. Aber jetzt sehe ich ein, daß Sie recht hatten. Es werden auf diese Weise doch eine ganze Menge Schießereien vermieden, Marshal.«

»Ganz sicher, Bat.«

Bat Matserson, der Chief-Deputy, machte eine kurze Eintragung in das Waffenbuch über die beiden Gurte mit den dazugehörigen Revolvern. Dann blickte er auf und fragte:

»Sie wollen also wirklich morgen früh weg?«

Der Marshal nickte.

»Wieder nach Colorado?«

»Yeah. Ich kenne da oben in den Bergen eine Menge Leute.«

Masterson drehte sich eine Zigarette, riß ein Zündholz an der Stuhlkante an und sagte:

»Sicher, hier ist ja den Winter über doch nichts los. Ich werde hinunter nach Texas reiten zu meiner Familie. Mein Bruder Ed kommt mit. Und wenn hier was lost ist – Bill Tilghman ist ein guter Mann, der wird schon für Ordnung sorgen.«

Wyatt nickte. Plötzlich blickte er auf.

Draußen ritt ein Mann vorüber.

Auf einem hochbeinigen Schecken. Unter dem schwarzen Sattel lag eine grellbunte Jacarilladecke. Im Lederschuh steckte die Winchester.

Masterson war neben seinen Boß getreten.

»Doc Holliday! Wo will er hin?«

Der Missourier zog die Schultern hoch.

»Aber er hat die Schlafdecke und das Gewehr dabei...«, murmelte der Deputy.

Da legte der Marshal den Bericht auf den Tisch und ging hinaus.

Holliday ritt die Frontstreet hinunter und bog unten in eine der Quergassen zum Fluß ab.

Der Marshal ging in den Long Branch Saloon hinüber.

Chalk Beeson stand hinter der gewaltigen Theke und polierte Gläser. Als er den Marshal erblickte, hielt er inne und fragte verblüfft:

»Nanu, Sie wollen doch nicht etwa zum Frühschoppen kommen, Mr. Earp?«

»Nein.« Wyatt sah sich im Schankraum um. »Doc Holliday ist nicht

hier –?«

»No.« Beeson wischte sich über den Schnurrbart. »Wissen Sie, das war eine ganz merkwürdige Sache. Er kam wie fast jeden Morgen, wenn er nicht gerade zu den Corrals am Bahnhof hinuntergeht, und setzte sich da an seinen Tisch. Mit einem Glas Brandy. Dann kam Jim Everett mit der Post und der Zeitung. Wie immer hab’ ich dem Doktor die Zeitung gleich auf den Tisch gelegt. Er blätterte einen Augenblick darin herum und stand dann ganz plötzlich auf. Da, sehen Sie«, Beeson wies auf den grünbezogenen Spieltisch, »da steht ja noch sein Glas. Nicht einmal ausgetrunken hat er. Ich kann Ihnen sagen, daß es so etwas noch nicht gegeben hat.«

»Kann ich mir vorstellen«, gab der Marshal zurück. Dann trat er an den Spieltisch heran und nahm die Zeitung auf. Plötzlich stutzte er.

Was stand da unter der fettgedruckten Schlagzeile?

Mord in Dallas.

Wieder schlug der schwarze Mörder zu. In der texanischen Stadt Dallas holte er sich sein drittes Opfer. Diesmal war es der in der Town beliebte Zahnarzt McNeil. Er wurde am gestrigen Morgen in seinem Arbeitszimmer tot aufgefunden. Patienten wollen einen großen dunkelhaarigen Mann in schwarzer Lederkleidung gesehen haben, der das Haus des Arztes durch den Hof verlassen hat. Der Beschreibung nach handelt es sich bei dem Täter um denselben Mann, der Bill Griffith und Hal Lester ermordete.

Wer ist dieser Mann?

Seit Wochen ist er der Schrecken von Dallas und Umgebung.

Der Town-Mayor hat eine Belohnung von tausend Dollar auf seine Ergreifung ausgesetzt.

Der Marshal ließ das Blatt sinken.

Forschend blickte der Salooner ihn an.

»Haben Sie was gefunden?«

Sinnend stand der Missourier da und starrte auf das grüne Laken des Spieltischs.

»Yeah, vielleicht...«

Er steckte das Zeitungsblatt in dieTasche, tippte an den Rand seines Hutes und verließ den Saloon.

Masterson blickte seinem Boß neugierig entgegen.

»Nun, haben Sie was erfahren können?«

»Yeah, ich glaube, er ist nach Texas geritten.«

»Nach Texas?«

»Ja. In Dallas ist ein Arzt ermordet worden, den Holliday kannte. Dr. McNeill. Ich glaube, Holliday hat damals längere Zeit dort gewohnt. Ich weiß nicht, ob er mit ihm befreundet war, aber jedenfalls verdankte er dem Alten eine ganze Menge.«

Masterson rieb sich das Kinn.

»Und Sie glauben, daß er tatsächlich so sang- und klanglos davongeritten ist?«

Wyatt nickte. »Doch, das glaube ich. Von wem hätte er sich auch verabschieden sollen?«

Der Hilfsmarshal antwortet nichts. Aber er dachte: Von dir hätte er sich doch verabschieden können. Schließlich seid ihr ja Freunde. Das weiß nicht nur die ganze Stadt, sondern der ganze Westen.

Wyatt ging zum Gewehrständer und nahm seine 73er Winchester heraus. Er lud sie durch, holte aus dem Munitionsschrank vier Patronenpäckchen und schob sie sich in die Tasche.

Masterson verließ indes wortlos das Office, ging durch den Hof in den Stall und sattelte den Schwarzfalben des Marshals.

Als der Missourier in den Hof kam, führte Bat drüben bereits das prächtig gewachsene Tier aufgesattelt aus der Stalltür.

Ein winziges Lächeln stand in den Augenwinkeln des Missouriers.

»Vielen Dank, Bat.«

Der Marshal reichte dem Deputy die Hand und zog sich in den Sattel.

Masterson riß das Tor zur Straße auf.

»Farewell, Wyatt! Alles Gute und viel Glück in Texas!«

»Danke, Bat.«

»Hoffentlich sehen wir uns im Frühjahr wieder.«

Wyatt lächelte.

»Sicher, weshalb nicht.«

»Na hören Sie, schließlich reiten Sie ja nicht in den Osten, sondern nach Texas –«

*

Holliday hatte die Stadt hinter sich gelassen. Im scharfen Trab hatte er Meile um Meile zurückgelegt. Sein Schecke war ein großartiger Läufer und schien sich an der scharfen Gangart zu freuen.

Mit hartem, verschlossenem Gesicht saß der Gambler im Sattel. Seine Gedanken eilten ihm um viele Meilen voraus. Nach Texas. In die Stadt Dallas.

Als er in der Ferne den Mulberry

Creek von einer Anhöhe aus schimmern sah, glaubte er, das Geräusch von Hufschlag hinter sich zu hören

Da er sich gerade hinter einer Buschgruppe befand, hielt er an, nahm den Schecken herum und blieb am Rand der Büsche stehen.

In der Mulde, die hinter ihm lag, war kein Reiter zu sehen.

Und doch hatte das scharfe Ohr des Spielers das dumpfe Geräusch von trommelnden Hufen gehört.

Sofort stieg er vom Pferd und kroch durch das Gebüsch zur anderen Seite, um das Gelände nach Westen hin überblicken zu können.

Auch nichts zu sehen.

Holliday zerrte den Schecken ins Gebüsch, und eben in dem Augenblick, als das Knacken der Äste und Zweige verebbte, sah er von Südosten her einen Reiter den Hügel hinaufsprengen, bei dessen Anblick ihm der Mund vor Verwunderung offenstehen blieb.

Der Gambler trat aus dem Gestrüpp.

Im leichten Trab kam der Reiter heran.

Holliday rieb sich das Kinn.

»Hallo, Marshal!«

»Hallo, Doc.«

Holliday nahm eine vorgedrehte Zigarette aus der Reverstasche, riß mit unnachahmlicher Geschicklichkeit ein Zündholz am Daumennagel an und sagte durch die blaue Rauchwolke hindurch:

»Waren Sie nicht gerade noch hinter mir?«

»Kann schon sein.«

»Hm, der Spaß ist Ihnen jedenfalls gelungen. Sie haben mich ganz schön hin und her gescheucht durch das Gestrüpp da.«

Wyatt wiegte den Kopf und entgegnete, während er sich auf das Sattelhorn aufstützte:

»Immerhin waren Sie auf der Hut. Einem Banditen wäre es kaum möglich gewesen, Ihnen ins Kreuz zu kommen.«

Der einstige Zahnarzt musterte den Missourier forschend.

»Sie sind schon so früh unterwegs?«

»Yeah – Sie waren es noch früher.« Wyatt ließ seinen Blick über die Jacarilladecke des Spielers und das im Lederschuh steckende Gewehr schweifen.

Holliday hatte die Winchester des Marhals sofort entdeckt.

»Wohin wollen Sie, Wyatt?«

»Sie werden es nicht raten – nach Texas.«

Das intelligente Gesicht des Gamblers sah plötzlich absolut nicht mehr intelligent aus. Er schob sich den Hut bis fast über die Augen und brummte:

»Das ist doch ein Scherz?«

»Keineswegs. Ich habe dringend in Dallas zu tun.«

»In – Dallas –?«

Holliday legte den Kopf ein wenig auf die Seite. Er hatte sich wieder gefaßt. In den Winkeln seiner scharfen Augen wetterleuchtete es. Er hatte begriffen. Zwar wußte er noch nicht, wie der Marhsal hinter den Grund seines Rittes gekommen war, aber daß er dahintergekommen war, das war ihm sofort klar.

»Wollten Sie nicht morgen mit Ihrem Highlander nach Colorado fahren?«

»Doch, das hatte ich ursprünglich vor, aber es gab plötzlich etwas Wichtigeres.«

Holliday zerrte sein Pferd aus den Büschen und zog sich in den Sattel.

»No, Wyatt, das hat keinen Zweck. Ich weiß, daß Sie Geld sparen für Ihre Eltern drüben in Missouri. Und da, wohin ich reite, gibt’s nichts zu verdienen.«

»Das hatte ich auch nicht angenommen.«

»Aber Sie wollten in die Rocky Mountains, um den Winter über Dollars zu machen.«

»Ja, wir sprachen ja öfter darüber.«

»Well, und unten in Texas finden wir keine Dollars. Im Gegenteil, da brauchen wir nur welche.«

Um die Mundwinkel des Missouriers lag ein sanftes Lächeln.

»Das ist sicher so, Doc. Aber ich reite nach Texas. War übrigens lange nicht mehr dort. Ich habe das weite Land und die braune Savanne gern...«

Holliday zog die Brauen zusammen.

»Wyatt, ich muß das ablehnen. Ernsthaft. Ich nehme Ihren guten Willen für die Tat. Aber Sie dürfen mich nicht begleiten. Sie brauchen die Dollars. Schließlich reiten Sie ja nicht umsonst in den sauren Monaten von Dodge weg irgendwohin, wo Sie Geld machen können.«

»Was Sie für Sorgen haben«, versetzte der Marshal, während er sich eine seiner geliebten schwarzen Riesenzigarren anzündete. »Ich habe mein Geld gespart...«

»Sicher. Ich weiß, Sie trinken nicht, rauchen wenig, essen mäßig und gönnen sich außer den paar Zigarren nichts. Und die paar Bucks, die Sie im Sommer aufeinandergelegt haben, gedenken Sie jetzt auf unserer Erholungsreise nach Texas zu verjubeln...«

»Etwa so ist es«, gab der Missourier ungerührt zurück und setzte seinen Falben in Bewegung. Holliday folgte ihm.

Als er neben ihm war, meinte der sonst so schweigsame und immer so selbstbewußte Mann:

»Wyatt, ich kann nicht dulden, daß Sie mich begleiten. Ich muß hinunter, weil, es geht nicht anders...«

»Ich weiß. McNeill war Ihr Freund.«

Holliday blickte auf.

»Ich sehe, Sie sind ja wieder mal genau im Bilde...«

Wyatts Gesicht verriet nichts.

Holliday rieb sich das Kinn. In hohem Bogen schnippte er die Zigarette weg und traf genau in ein kleines Wasserloch hinein.

»Ich wüßte doch gern, woher Sie das wissen, Marshal.«

»Ich habe die Zeitung auf Ihrem Tisch im Salon gefunden.«

Da lachte der Gambler leise in sich hinein.

»Sie sind wach, Wyatt. – Well, ich mußte sofort aufbrechen.«

»Sicher«, versetzte der Missourier, ohne den neben ihm reitenden Mann anzusehen. »So schnell, daß Sie sich nicht einmal verabschieden konnten.«

Der Vorwurf freute den Spieler.

Der Marshal hatte also mit einem Abschiedsgruß gerechnet?

Er legte also Wert darauf, von ihm, dem verfemten und aus fünf Städten ausgewiesenen Spieler, einen Händedruck zu bekommen?

»Ich konnte mich nicht verabschieden, Wyatt«, sagte er mit belegter Stimme.

»Weshalb nicht?« bohrte der Marshal nach, obgleich er die Antwort ahnte.

Holliday nahm den Kopf herum und sah ihn voll an.

»Weil Sie sonst vielleicht auf den Gedanken gekommen wären, mitzureiten. Und das durfte ich nicht annehmen.«

Da hielt der Missourier sein Pferd an und blickte dem Arzt in die Augen.

»John, ich verstehe Sie nicht. Sie sind so oft mit mir geritten, ohne daß ich Sie darum gebeten hätte. Ungefragt haben Sie sich in meine Kämpfe, in meine zahllosen Gunfights eingeschaltet, haben Ihr Leben riskiert, um mir den Rücken freizuhalten...«

Der Spieler unterbrach ihn mit einer wegwischenden Handbewegung.

»Sie machen es schlimmer, als es ist, Marshal. Das war weiter nichts als jeweils eine angenehme Unterbrechung meiner Dauer-Langeweile. Sie wissen doch selbst, daß man in den Saloons Kopfschmerzen kriegt. Nehmen Sie doch nur Beesons altes Orchestrion. Das Ding ist so verstimmt, daß man Zahnschmerzen kriegt...«

*

Sie ritten zusammen.

Und diesmal begleitete der Marshal Earp den Spieler Holliday.

Die stumme, schweigsame Freundschaft der beiden hatte sich wieder einmal bestätigt. Und heute war einer der seltenen Tage, da sie einmal Worte gebraucht hatte, diese Freundschaft.

Sie ritten nach Süden.

Als sie den Mulberry Creek überquert hatten, hielten sie hart nach Südosten zu.

Nach der ersten kurzen Unterhaltung schwiegen die beiden Männer stundenlang.

Als die Sonne schon tief im Westen stand, hielt Wyatt an.

Wortlos machten sie sich daran, ein Lagerfeuer zu entfachen und ein Mahl zu bereiten. Der kurze eiserne Dreifuß, den der Missourier schon seit vielen Jahren auf weiten Ritten bei sich führte, machte sich wie immer nützlich. Zwei große Fleischstücke brieten am Drehspieß.

Nach der Mahlzeit holte Holliday in einem glasklaren Rinnsal Wasser in den filzumwickelten Campflaschen, füllte drei Becher voll in den kleinen Kupferkessel und kochte Kaffee.

Bald zog der aromatische Duft um den kleinen Lagerplatz.

Sie rauchten und tranken.

Da erzählte Holliday:

»Tom McNeill ist einer der besten Menschen gewesen, die ich gekannt habe. Als ich 1869 drüben in England im alten Oxford studierte...«

Wyatt blickte auf.

»Sie haben Ihren Doktor in Oxford gemacht?« fragte er verblüfft.

»Yeah, ich habe Zahnheilkunde und Kiefer-Chirurgie studiert. War eine schöne Sache, die mir viel Spaß gemacht hatte. Damals füllte sie mein ganzes Leben aus.«

»Ich weiß«, unterbrach ihn der Missourier. »Dr. Villiers in St. Louis hat mir einmal von Ihnen erzählt. Er sagte, Sie seien einer der besten Zahnärzte und Kiefer-Chirurgen gewesen, die er gekannt hätte.«

Holliday winkte ab.

»Er übertreibt. – Jedenfalls hielt ich das damals für mein Leben.« Er lachte bitter auf. »Das ist nun lange her. Eines Tages kam Mr. Rattigan zu mir. Mr. James Rattigan. Er war reich und dumm. Dreißig Jahre alt. Hatte Zähne wie eine alte Frau, die zeitlebens Süßigkeiten geschnuppt hat. Er hatte einen scheußlichen Husten. Ich mußte ihm zwei Zähne herausnehmen und sieben andere reparieren. Er war der ungeduldigste Patient, der je in meiner Praxis war. Aber er zahlte nur in runden blanken Eagles. Trotzdem haßte ich ihn. Weil er gleichzeitig der unsympathischste und arroganteste Mensch war, den ich je gesehen hatte. Ich mußte ihn behandeln. Denn ich war noch nicht mein eigener Herr. Das Hospital, in dem ich vorher als Kiefer-Operateur gearbeitet hatte, war so freundlich gewesen, mir eine Menge von Instrumenten für meine junge Praxis zur Verfügung zu stellen... Und der Leiter des Hospitals war mit Rattigan befreundet. Mit Mr.

James Rattigan...« Heiser hatte der Arzt die letzten Worte ausgestoßen. »Er kam immer wieder, dieser lebende Tod. Eines Tages hustete ich auch...«

Wyatt blickte den Gambler ergriffen an. Jetzt endlich, nach Jahren, hatte er über seine Leidensgeschichte gesprochen.

»Er hat mich und mein ganzes Leben vernichtet, der steinreiche James Rattigan. Well, er starb dann bald, weil er rauchte, trank und mehr Freundinnen hatte als Finger an der Hand. Aber welch ein Trost, er war tot, und seine scheußliche Krankheit lebte in mir weiter, begann in meiner Brust wie ein Wurm zu nagen und schließlich wie ein Feuer zu wüten. Ich kämpfte wie ein Berserker dagegen an. Schließlich mußte ich doch aufgeben. Ich konnte das Leben oder doch jedenfalls die Gesundheit meiner Patienten nicht gefährden. Ich ging in ein Sanatorium achtzig Meilen nordwestlich von Boston. Ohne Erfolg. Zu tief saß die Krankheit bereits in meinen Lungen. Ich reiste von Spezialist zu Spezialist. Mein Vater hat sein ganzes Haus dafür verloren. Und weil ich nicht wollte, daß er sich völlig meinetwegen ruinieren mußte, verschwand ich eines Tages. Ein Arzt in New York hatte mir gesagt, daß die Luft im Westen heilsam für die kranke Lunge sei. Heilsam! Pah! Für eine angegriffene, aber nicht für eine verlorene Gesundheit...«

In einer kurze Gesprächspause hinein sagte Wyatt:

»Aber Sie sind doch ein eisenharter Mann, Doc. Sie können doch gesund werden.«

Holliday hob den Blick aus dem Feuer und sah in die Augen des Freundes.

»Ein Gaul, dem ein Fuß bricht, ist ein wertloser und unheilbarer Gaul, Marshal – und wenn es der schnellste, stärkste und prächtigste Mustang war, den man sich denken kann. – Ich ging nach Texas. Ohne besonderen Grund. Vielleicht nur, weil man im Osten an der Küste glaubt, daß Texas der Westen sei. In Dallas traf ich in einer Schenke Doc McNeill. Sie können sich nicht vorstellen, wie weit ich heruntergekommen war, als ich den Alten wiedertraf. Er war ein prächtiger Bursche, mit dichtem weißem Haar, mächtigen Schultern und dem Herzen und dem Gemüt eines Kindes. Er war damals längst wohlbestallter Stadtarzt, als er nach England fuhr, um in Oxford zu lernen, hinzuzulernen, wie er sagte. Er war überhaupt ein Mann, der immer weiterstrebte, der glaubte, viel zuwenig zu wissen und zu können. Er fischte mich aus einem Elendsquartier in der Bewerystreet und räumte mir am Lincoln-Platz ein kleines Haus ein. Ein richtiges Haus, mitten in der City. An der Tür prangte schon am nächsten Tag ein großes Schild: Dr. John H. Holliday, Zahnarzt. Und dann kamen die Patienten. Ich arbeitete mit einer weißen Mundbinde und sagte den Leuten, das sei eine neue Methode, die wir aus Europa übernommen hätten...«

Holliday brach ab und starrte wieder in die Flammen.

»Es ging nicht. Es ging einfach nicht. Ich fand nicht mehr zurück. Ich spürte das zerfressene Feuer in meiner Brust – und ging unter. McNeill hat um mich gekämpft wie ein Löwe. Mit Liebe, mit einer Liebe, die ich nie erwidern konnte, weil ich selbst keine in mir hatte. Er und seine Frau haben mich behandelt wie einen Sohn. Aber sie hatten nicht viel Freude an mir...«

Wieder war es eine Weile still. Dann sagte der Gambler dumpf: