Der Mann im Eis - William Mark - E-Book

Der Mann im Eis E-Book

William Mark

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Beschreibung

"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! Es war noch früh. Mountains, dem Hancock Krater und den Gros Ventre Ranges lag. Von Südwesten her ritt ein Reiter auf das Seeufer zu. Es war ein hochgewachsener Mann mit dunklem Haar, wetterbraunem gutgeschnittenem, kantigem Gesicht, das von zwei tiefblauen Augen beherrscht wurde. Er trug schwarze Lederkleidung und ein rotes Berghemd. Um seine Hüften saß ein breiter schwarzlederner Büffelgurt mit zwei großen Revolvern. Das Pferd war ein hochbeiniger Schwarzfalbe, dem jeder Cowboy seinen Wert mühelos auf hundert Schritt hätte ansehen können. Der Mann hatte die Zügelleinen kurz gefaßt und hielt jetzt im leichten Trab über die dünne verwehte Schneedecke der Berghalde auf das nahe Seeufer zu. Vorm Uferrand blieb er stehen, sah einen Augenblick einer Tierfährte im Schnee nach und blickte dann über den See, der sich mit seiner Riesenfläche in gleißendem, blendendem Weiß vor ihm ausbreitete. Vorsichtig setzte das Pferd seine Hufe über das dicke Ufereis. Das Eis war stark genug, die Last zu tragen. Langsam entfernte sich der Reiter vom Ufer. Dennoch behielt er den Blick fest auf dem Eis. Er mochte vielleicht zwanzig Yards auf den See hinausgeritten sein, als der Falbe plötzlich scheute, vorn hochstieg und heftig schnaubte. Der Reiter hatte seinen Schrecken schnell überwunden, zügelte das Tier und glitt dann rasch aus dem Sattel. Das tänzelnde Pferd konnte immerhin eine Einbruchsgefahr herbeiführen, denn das Eis ist vor allem in Ufernähe niemals gleichmäßig dick. Der Mann hatte das Tier beruhigt, ließ es stehen und ging zu der Stelle, an der es hochgeschreckt war. Plötzlich verhielt er den Schritt, stand wie versteinert da und starrte auf den gläsernen Seespiegel. Nur wenige Handbreit unter der Oberfläche lag ein Mann. Ein Toter.

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Wyatt Earp – 293 –

Der Mann im Eis

William Mark

Es war noch früh. Ein eisiger Bergwind kräuselte die Wellen des Jacksonsees, der tiefeingebettet zwischen den Teton

Mountains, dem Hancock Krater und den Gros Ventre Ranges lag.

Von Südwesten her ritt ein Reiter auf das Seeufer zu.

Es war ein hochgewachsener Mann mit dunklem Haar, wetterbraunem gutgeschnittenem, kantigem Gesicht, das von zwei tiefblauen Augen beherrscht wurde.

Er trug schwarze Lederkleidung und ein rotes Berghemd. Um seine Hüften saß ein breiter schwarzlederner Büffelgurt mit zwei großen Revolvern.

Das Pferd war ein hochbeiniger Schwarzfalbe, dem jeder Cowboy seinen Wert mühelos auf hundert Schritt hätte ansehen können.

Der Mann hatte die Zügelleinen kurz gefaßt und hielt jetzt im leichten Trab über die dünne verwehte Schneedecke der Berghalde auf das nahe Seeufer zu.

Vorm Uferrand blieb er stehen, sah einen Augenblick einer Tierfährte im Schnee nach und blickte dann über den See, der sich mit seiner Riesenfläche in gleißendem, blendendem Weiß vor ihm ausbreitete.

Vorsichtig setzte das Pferd seine Hufe über das dicke Ufereis.

Das Eis war stark genug, die Last zu tragen.

Langsam entfernte sich der Reiter vom Ufer. Dennoch behielt er den Blick fest auf dem Eis.

Er mochte vielleicht zwanzig Yards auf den See hinausgeritten sein, als der Falbe plötzlich scheute, vorn hochstieg und heftig schnaubte.

Der Reiter hatte seinen Schrecken schnell überwunden, zügelte das Tier und glitt dann rasch aus dem Sattel. Das tänzelnde Pferd konnte immerhin eine Einbruchsgefahr herbeiführen, denn das Eis ist vor allem in Ufernähe niemals gleichmäßig dick.

Der Mann hatte das Tier beruhigt, ließ es stehen und ging zu der Stelle, an der es hochgeschreckt war.

Plötzlich verhielt er den Schritt, stand wie versteinert da und starrte auf den gläsernen Seespiegel.

Nur wenige Handbreit unter der Oberfläche lag ein Mann.

Ein Toter.

Wie gebannt starrte der Reiter durch die bläuliche schimmernde Masse auf den Mann im Eis. Endlich riß er sich von dem makabren Anblick los und sah nach seinem Pferd. Doch dann drehte er sich wieder um, sah genauer hin und kniete sich nieder.

Well, der Schwarzlederne wäre weitergeritten, wenn der Tote nicht auf seiner linken Brust einen blinkenden silbernen Stern getragen hätte.

Der Reiter richtete sich wieder auf und blickte den Toten unter der Eisdecke so gründlich an, prägte sich sein Aussehen so fest ein, daß er es so leicht nicht mehr vergessen konnte.

Es war ein großer Mann, der da lag. Er hatte ein dunkles, hartes Gesicht, und seine starren Augen spiegelten trotz der Bläue des Himmels ein kaltes Schiefergrau wider. Viele scharfe Falten hatten dieses Gesicht gezeichnet. Unter dem schwarzen Hut, der noch fest auf dem Kopf des Toten saß, blickte strähniges Grauhaar hervor. Das blaue Kattunhemd wurde oben am Hals von einem roten Tuch zusammengehalten. Die Fellweste war verwaschen grau und trug links über dem Herzen den Stern. Und genau unter dem Stern war ein fingerdickes schwarzes Loch in der Weste, dessen Ränder dunkelrot gefärbt waren.

Er trug noch seinen Waffengurt, und rechts im abgegriffenen Halfter steckte ein alter Colt vom Kaliber 44.

Ganz klar und deutlich konnte der Reiter den Toten sehen, sein Bild in sich aufnehmen. Die dünne Eisdecke, die sich über ihn zog, ließ ihn wie durch ein Fenster oder eine dünne Wasserschicht erscheinen.

Endlich wandte sich der Schwarzlederne ab, ging zu seinem Pferd und führte es vom Eis. Am Ufer zog er sich in den Sattel, wandte sich um und warf noch einen Blick zurück, nahm dann die Zügel auf und ritt im scharfen Trab am Seeufer entlang nach Osten.

Gegen elf Uhr am Vormittag erreichte er Moran. Eine Kistenholzstadt wie all die anderen in den Middleweststaaten.

Der Reiter trabte durch die breite

Mainstreet und hielt vor dem kleinen Holzbau, der oben ein weit in die Straße hineinhängendes Schild mit der Aufschrift »Sheriffs Office« trug.

Als er die Tür des Sheriff-Büros öffnete, schlug ihm eine dicke, überhitzte, von einem scheußlichen Tabak verdorbene Luft entgegen.

Ein Gesicht, das eine frappierende Ähnlichkeit mit einem Seehund hatte, sah ihm entgegen.

»Morning!«

»Morning!«

Der Seehundskopf senkte sich wieder und vergrub sich in eine alte, vergilbte Gazette.

»Was gibt’s?« kam es hinter der Zeitung hervor.

»Ich suche einen Sheriff...« Und nun beschrieb der Falbreiter den Toten, den er im Eis gefunden hatte.

Der Mann mit dem Seehundschnäuzer schüttelte den struppigen Kopf. Ohne aufzublicken knurrte er: »Kenne ich nicht.«

»Sind Sie hier der Sheriff?«

»Yeah.«

»Haben Sie keinen Deputy?«

»Doch.«

»Und auf den paßt die Beschreibung nicht?«

»Nein.«

»Sie wissen es sicher?«

Unwillig hob sich der Kopf des Seehundmannes. »He, was wollen Sie? Ich werde doch noch Jim Bliff kennen! Er ist seit drei Jahren mein Deputy, mißt eins-sechzig und das auch nur mit doppelten Hacken. – Sonst noch was?«

»Kennen Sie sonst keinen Sternträger in der Umgebung, auf den die Beschreibung paßt?«

»Nein«, unterbrach ihn der Sheriff grob. »Und nun will ich Ihnen was sagen, Mister. Diese Zeitung ist fünf Wochen alt. Zuerst hatte sie der Bankier, weil er sie in Sheridan gekauft hat. Er hat nämlich das meiste Geld.

Yeah, und dann bekam sie der Mayor, weil er eben der Mayor ist. Sie müssen zugeben, daß ich naturgemäß dann an der Reihe gewesen wäre. Aber nichts da, Mister Dull kam mir zuvor und schwatzte sie dem Mayor ab. Ich mußte hinter dem verdammten Krauter herlaufen, und heute morgen, vor knapp einer Stunde erst, habe ich sie gekriegt. Sie werden zugeben, daß ich nun ein heiliges Anrecht darauf habe, sie zu lesen.«

Der Fremde wandte sich ab.

Hart fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.

Drüben, schräg gegenüber, war ein Saloon.

Palace-Bar, stand in großen roten Lettern über der Balustrade.

Der Fremde ging auf die Schenke zu.

Es war ein enger, muffiger, schlauchartiger Raum, dessen vier Tische restlos besetzt waren.

Vorn rechts an der Theke lehnte ein halbes Dutzend Männer.

Der Schwarzlederne schob sich zwischen sie und wandte sich an den triefäugigen Keeper. »Mister, ich hätte eine Frage...«

Als er nach einigen Minuten die muffige Schnapshöhle verließ, war er nicht klüger als vorher.

*

Der Reiter hatte sich nach Süden gewandt.

Nur wenige Stunden später, an Nachmittag, ritt er in Elk ein.

Der Reiter hielt auch hier sein Pferd vor dem Office des Mannes an, der in dieser Stadt das Gesetz vertrat.

Jereboam Connidge hatte in den Sezessionskriegen die Zehen beider Füße verloren. Das gab ihm einen etwas sonderbaren Gang. Auch sein linkes Auge war auf »dem Felde der Ehre« geblieben. Aber jeder, der geglaubt hatte, ein Sheriff mit nur einem Auge sei eben kein Sheriff, der hatte sich gründlich geirrt. Connidge war einer der ganz scharfen Sternträger, die der Rinderstaat Wyoming damals hatte.

Als der Fremde jetzt ins Office trat, war Connidge damit beschäftigt, seine Blumen zu gießen.

»Was gibt’s?« fragte er über die Schulter.

Der Falbreiter trug ihm sein Anliegen vor.

»So, Freundchen, du suchst also einen Mann?« Ehe der Fremde noch etwas erwidern konnte, schnarrte der Sheriff: »Ich will dir mal was sagen, Amigo. Du bist hier in Elk. Und in Elk ist Jerry Connidge Sheriff. Was das bedeutet, solltest du wissen. Daß du es nicht weißt, beweist mir deine Quasselei. Du suchst also einen Mann?« Er stemmte die Arme in den Rücken und schob den kleinen Bauch vor. »Sieh mal an, was du nicht sagst! Das ist ja mal was ganz Neues: Eine prächtige Sache, nicht wahr? Vielleicht könnte Nat Buntline eine hübsche Story daraus machen.«

Der Fremde wollte zum Ende kommen und sich erklären, aber Connidge machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Ruhe! Jetzt rede ich! Hör zu, Freund, ich habe dir bereits erklärt, daß hier in der Stadt seit einem vollen Jahrhundert Jerry Connidge den Stern trägt. Das bedeutet, daß hier niemand macht, was er will. Schon gar nicht sucht hier jemand einen Mann.

Hier wird kein Mann gesucht. Weil hier keiner ist, den Sie zu suchen haben, Mann. Scheren Sie sich raus, schwingen Sie sich auf Ihren Klepper, und sehen Sie zu, daß Sie einen dicken Fetzen Land zwischen sich und mich bringen.«

»Hören Sie, Sheriff, lassen Sie mich doch wenigstens aussprechen. Ich habe oben im...«

»Was Sie oben haben, Brother, will ich nicht wissen. Sie machen jetzt lange Beine, kriechen auf Ihren Gaul und machen blanke Hufe!«

»Well, Sheriff. Aber daß Sie ein Hammel sind, das möchte ich nicht für mich behalten. So long!«

Die rechte Hand des Mannes zuckte zum Colt. Ehe der Sheriff sein Schießeisen aus dem Halfter hatte, war der Mann drüben an der Tür in einer halben Pirouette herumgefahren; in seiner linken Faust blinkte ein langläufiger, sechskantiger Revolver.

»Aber, Sheriff, Sie wollten mir doch keine Kugel in den Rücken schicken?«

Connidge starrte den Mann verblüfft an.

Endlich öffneten sich seine Lippen. »He, Sie, was war denn das?«

Der Schwarzlederne ließ den übergroßen Revolver mit dem Bügel um den Mittelfinger rotieren, um die Waffe gleich darauf mit einem eleganten Handsalto ins Halfter gleiten zu lassen.

»Aha, so ist das? Ich habe mich also nicht geirrt. Sie sind Revolverschwinger! Ich habe es mir ja gedacht. Männer Ihresgleichen erkenne ich schon an der Nasenspitze!«

Der Fremde hatte die Arme über die Brust gekreuzt. Das Lächeln um seine Lippen hatte fast etwas Mitleidiges, als er jetzt sagte: »Sie sind ein netter Kerl, Connidge, aber leider etwas zu schrullig!«

»Was –«

Der Fremde sagte hart: »Jetzt rede ich! Was ich Ihnen zu sagen habe, ist –«

Flammende Zornesröte überflutete das Gesicht des Sheriffs. »Sie haben mir gar nichts zu sagen!«

Da geschah es wieder. Und diesmal schien es dem Sheriff noch schneller gegangen zu sein.

Der große Revolver lag wieder in der Linken des Fremden.

»Sie werden mir jetzt zuhören, Connidge! Ich habe keine Zeit, Ihrem Starrsinn nachzulaufen.«

Der Hüter des Gesetzes der Stadt Elk stand wie ein begossener Pudel da und starrte auf den Revolver, hob dann den Blick in die Augen des Fremden, die plötzlich etwas von der Eiseskälte eines zugefrorenen Bergsees zu haben schienen.

»Ich habe heute morgen oben im See einen Mann gefunden«, erklärte der Fremde, während er den Revolver zurück ins Halfter schob. »Er liegt nur ein paar Inches unter der Eisdecke und ist deutlich zu erkennen. Links auf seiner Weste steckt ein Stern.«

Connidge schien plötzlich die letzten Minuten völlig vergessen zu haben. »Ein Sheriff? Heavens! Wo liegt er? Weit von hier?«

»Yeah. Ich habe in kurz nach fünf gefunden. Seitdem bin ich geritten, über Moran hierher.«

»Teufel auch, das ist ja ein gewaltiges Ende! Und das sind Sie seit dem Morgengrauen geritten?« Connidge warf einen Blick durch das Fenster auf die Straße. Als er den Falben sah, putzte er sich geräuschvoll die Nase. »Heavens, welch ein Pferd!« Er ging zur Tür, stieß sie auf und starrte den Falben an. »Damned, das ist der prächtigste Gaul, den ich je gesehen habe! By gosh. Wo ist Ihnen der denn zugelaufen?«

Der Fremde ging auf das enthusiastische Gerede des Sheriffs nicht ein. Statt dessen gab er Connidge einen ausführliche Beschreibung des Toten. Am Schluß sagte er noch einmal: «Er hatte graues Haar, ein dunkles, faltiges Gesicht. Seine Augen waren grau und...«

Connidge wandte sich um. »Kenne ich nicht«, sagte er. »Hören Sie, Mann, was wollen Sie sich wegen eines Toten verrückt machen? Sind Sie ein US-Marshal oder ein Staatenreiter, daß Sie sich um einen Mann kümmern mußten, der im See erfroren ist?«

»Er ist nicht erfroren, Sheriff«, versetzte der Fremde schroff, »er ist erschossen worden.«

»Was?« Wie eine Viper fuhr Connidge zurück. Seine Augen wurden klein und lauernd. »Woher wissen Sie das?«

»Weil er ein Loch in der Jacke hat.«

»Ein Loch in der Jacke! Was besagt das? Jeder kann ein Loch in der Jacke haben. Sehen Sie sich meinen Frack an. Der hat mehr Löcher, als ich Dollars in der Tasche habe.«

»Ich sage Ihnen, daß er erschossen worden ist.«

»Yeah«, knurrte der Sheriff und legte den Kopf auf die Seite. »Sie verstehen ja etwas davon, nicht wahr, Mister.«

»Ja, ich verstehe etwas davon.« Der Fremde hatte plötzlich eine steile Falte auf der Stirn. »Sie kennen den Mann also nicht?« fragte er schroff.

Connidge schüttelte den Kopf. »Nein, ich kenne den Mann nicht, der so aussieht. Und sicher keinen Sheriff. Und da, wo der Tote im Eis liegt, ist McNallys County. Er ist ein wacher Bursche und ständig auf dem Ritt und wird sich um die Sache kümmern...«

Der Falbreiter hatte nicht weiter zugehört. Er war hinunter zu seinem Pferd gegangen, hatte die Zügelleinen wortlos freigemacht und sich in den Sattel gezogen.

Grußlos war er davongeritten.

Das letzte Haus der Stadt war eine Schmiede. In der offenen Werkstatttür stand der Blacksmith und hämmerte auf einem glühenden Eisenstück herum.

Der Fremde ritt an die Schmiede heran. »Hallo!«

Der Schmied hob seinen Kopf. Sein rußiges Gesicht war trotz der Dezemberkälte schweißglänzend.

»Nur eine Frage, Mister. Wo sitzt Sheriff NcNally?«

Der Schmied wischte sich mit dem schwarzbehaarten Unterarm über die Stirn. »Jim McNally?« Ein Lächeln kroch in seine Augenwinkel, dann musterte er den Reiter von oben bis unten. »Ich an Ihrer Stelle würde mich erst gar nicht nach ihm erkundigen, Mann.«

Das Gesicht des Fremden gefror.

Und der Schmied spürte es. Der Blick, der ihn aus den stahlblauen Augen traf, ließ ihn erschaudern. Deshalb beeilte er sich zu erklären: »Nichts für ungut, Mister. Er wohnt oben in Survey...«

Der Schwarzlederne tippte auf den breiten Rand seines schwarzen, flachkronigen Hutes und trabte davon.

Gegen Abend begann es zu schneien.

Der Mann machte nur einmal eine kurze Pause, zündete sich in einer winzigen Talmulde oben am Westrand des Jacksonsees ein kleines Campfeuer an, machte sich Kaffee und verzehrte einen Teil des Proviants, den er noch bei sich hatte.

Kurz vor Morgengrauen sah er dicht am Seeufer, geschützt in einer Einbuchtung der hier nahe ans Wasser herantretenden Felsen liegend, die Stadt vor sich.

Survey.

Die Stadt schlief noch.

Der Fremde ritt in die Mainstreet und machte vor einem im Stein erbauten Haus, das die Aufschrift »Boarding­house« an der Front trug, halt.

Auf sein Klopfen erhielt er keine Antwort. Statt dessen drang plötzlich ein Geräusch an sein Ohr, das er genau kannte und auf das er zahllose Male in seinem Leben hatte reagieren müssen.

Irgend jemand hatte den Hahn eines Gewehres gespannt.

Der Fremde flog nicht herum, riß nicht seinen Colt aus dem Halfter.

Ganz langsam wandte er sich um.

Drüben, in der Gasse zwischen zwei Häusern, stand ein Mann. Er war mittelgroß, untersetzt, hatte einen vierkantigen Schädel und zu weit auseinanderliegende grünliche Augen.

In der schweren Pelzjacke wirkte er noch massiger als er war. Alles an ihm war breit. Sein Schädel, seine Nase, sein Mund, sein Kinn, seine Schultern, seine Haltung, alles.

Das Gewehr hatte er schußbereit vorm Brustbein liegen.

Unverwandt blickte der Fremde ihn an.

Endlich brach der Mann mit dem Gewehr die Stille. »Nun, Mister, wo fehlt’s?«

»Ich habe da an der Tür des Boardinghouses geklopft.«

»Yeah!«

Der Fremde sah ihn an. »Was wollen Sie mit dem Gewehr?« fragte er gelassen.

»Einem Tramp Beine machen.«

Der Schwarzlederne ging langsam von dem flachen Vorbau auf die Straße. Mit vom Reiten noch steifen Beinen überquerte er die Straße.

Er hielt genau auf den Mann mit der Pelzjacke zu.

Der war ruhig stehengeblieben. Das Gewehr immer so haltend, daß der Lauf auf die Brust des Falbenreiters zeigte.

Der kam näher.

Plötzlich bellte er kehlig: »Bleib stehen!«

Der Fremde ging weiter.

»Du sollst stehen bleiben.«

Sein Gesicht wurde fahl und seine Augen weit. Er wich mit dem Gewehr einen halben Schritt zurück.

Da endlich blieb der Fremde stehen. »Nehmen Sie das Gewehr runter.«

Er hatte es nicht laut gesagt. Auch nicht drohend. Ganz ruhig und sachlich. Und dennoch lag etwas in seiner Stimme, das auch dem rauhen Burschen in der Pelzjacke unter die Haut ging.

»Was soll das?« knurrte er, ohne jedoch das Sharpsgewehr zu senken. »Du bildest dir doch nicht ein, hier kommandieren zu können!?«

Heavens, hatte der Mann da tatsächlich einen Colt in der Hand? Wie war denn das zugegangen?

Der Plezjackenmann fing sich jedoch rasch. »Trotzdem steht das Spiel noch für mich, Junge.«

»So?«

»Das Gewehr ist gespannt!«

»Aha!«

Ganz langsam hob der Fremde die linke Hand mit dem Revolver, so daß der Pelzjackenmann deutlich sehen konnte, daß der große Hahn des Revolvers zurückgezogen war.

»Trotzdem –!« stieß der Vierschrötige rauh hervor und hielt wieder inne. Völlig verblüfft starrte er auf den Revolver, den der Mann in der anderen Hand hatte. Er mußte die Waffe also im gleichen Augenblick gezogen haben, als er den großen Revolver in der linken Hand hob.

»Der ist auch gespannt«, versetzte der Fremde ruhig.

»Well, Sie sind ein verteufelter Bursche! Das muß ich Ihnen lassen.«

Die beiden Revolver tanzten wie von Geisterhand bewegt zurück in ihre Lederhüllen.

Der Falbreiter schob die Hände hinten in den Waffengurt. »Wollen Sie nicht auch Ihr Gewehr herunternehmen, Mister?«

Sofort erstarrte das Lachen des Vierschrötigen. Sein Mund verzog sich zu einer breiten Fratze. Er stieß das Gewehr vor.

»So, du hast Pech gehabt, Junge! Vorwärts, Hände hoch!«

Der Schwarzlederne warf dem Pelzjackenmann einen langen verächtlichen Blick zu, drehte sich dann ohne jede Hast um und ging über die Straße zu seinem Pferd.

»Stehenbleiben!«

Der Mann ging ungerührt weiter.

»Stehenbleiben!«

Fenster und Türen flogen auf.

»Bleib stehen, oder ich schieße!«

Da wandte sich der Fremde um. »Schieß nur, Boy!«

»Boy! Ihr habt es gehört, Leute. Dieser Tramp spielt verrückt! Er hantierte an Lodigans Tür herum, als ich dazukam!«

Der Fremde zog sich in den Sattel.

Als er sein Pferd in Trab setzte, rissen dem Vierschrötigen die Nerven.

»Halt! Ich schieße!« brüllte er.

Und schon heulte der röhrende Schuß über die Straße.

Gleichzeitig mit ihm mußte der große sechskantige Revolver des Fremden losgegangen sein.

Das Gewehr war dem Pelzjackenmann aus den Händen gestoßen worden.

Pulverrauch kroch über die Straße.

Als er sich verzogen hatte, stand der Vierschrötige breitbeinig da und sah sein Gewehr auf dem festgetretenen Schnee hinter sich liegen.

Und drüben, mitten auf der Straße, hielt der Fremde. Er hatte sich mit der Rechten auf den Sattelknauf gestützt, und mit der Linken steckte er sich gerade eine große schwarze Zigarre zwischen seine blitzenden weißen Zähne.

Der Vierschrötige starrte ihn an. Plötzlich brach eine gellende, unbändige Lache aus ihm heraus. »Das ist ja toll! Damned! Der Satan soll mich holen, wenn das nicht toll war!« Prustend vor Lachen kam er auf den Reiter zu. »Steig ab, Junge. Wenn du vielleicht auch ein Landstreicher bist – der Schuß war Extraklasse! Dafür gebe ich Ihnen einen aus! He, Lucky, alte Schleiereule, mach deinen Stall auf, die Stadt ist sowieso wach!«

Doch der Fremde lehnte den Drink ab.

Er verlangte vom Salooner einen Kaffee, Brot, Käse und drei gebratene Eier.

Der Pelzjackenmann stand vor seinem Tisch und sah ihm schweigend zu.

»Du gefällst mir, Junge«, meinte er dann. »Jetzt wüßte ich aber doch gern, weshalb du so früh hier in der Stadt herumgepoltert hast.«

Der Fremde wischte sich den Mund ab, nahm eine große schwarze Zigarre aus der Innentasche seiner Lederjacke, zündete ein Streichholz an der Stiefelsohle an und blies eine blaue Rauchwolke vor sich hin.

»Herumgepoltert hast du ja wohl, Kleiner«, versetzte er lächelnd.

Zwischen den Augen des Pelzjackenmannes stand urplötzlich eine harte Falte. »Eins wollen wir klarstellen, Junge, ich bin Jim McNally...«

Der Fremde zog die Brauen hoch. »Das trifft sich gut. Ich habe dich nämlich gesucht.«

Jetzt erst schlug der vierschrötige, untersetzte Mann seine Pelzjacke auseinander, und auf seiner linken Brustseite konnte man den silbernen Fünfzack erkennen.

»Du hast mich gesucht?« fragte er mit einem Ton, der dem Fremden fast lauernd vorkam.

»Yeah – und ich will es kurzmachen, Sheriff, damit du an die Theke kommst.«

»Was soll das heißen?«

»Reg dich nicht auf. Und wenn ich die Frage an dich gestellt habe, kann unsere unterhaltsame Bekanntschaft schon zu Ende sein.«

Nun erzählte er dem etwas eigenartigen Sheriff, was er bereits den beiden anderen Sternträgern erzählt hatte.

McNally rieb sich die Nase. Offensichtlich dachte er nach, was ihm nicht wenig Mühe zu machen schien.