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Aly Martinez

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Beschreibung

Vielleicht hat er recht. Wir sind durch die Hölle gegangen - wenn es zwei Menschen gibt, die ein Happy End verdient haben, dann sind das wir.

Charlotte kann es nicht glauben: Sie steht ihrem Sohn Lukas gegenüber, der vor zehn Jahren als Baby spurlos verschwand. Jahre voller Selbstvorwürfe, Trauer und Leid liegen hinter ihr - doch wie soll es jetzt weitergehen? Für Lukas ist sie eine Fremde, kennt und liebt er doch nur die Familie, in der er aufgewachsen ist. Zugleich muss Charlotte einsehen, dass sie ausgerechnet von dem Mann hintergangen wurde, dem sie zum ersten Mal seit Jahren ihr Herz geöffnet hat. Sie dachte, dass Porter und sie einander verstünden - war alles für ihn wirklich nur ein Spiel?

"Mit Abstand der beste Roman, den ich 2017 gelesen habe!" Brittainy C. Cherry über "Broken Like Me"

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Seitenzahl: 330

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Inhalt

TitelZu diesem BuchProlog12345678910111213141516171819202122EpilogDie AutorinAly Martinez bei LYX.digitalImpressum

Aly Martinez

You Fix Me

Roman

Ins Deutsche übertragen von Michaela Link

Zu diesem Buch

Charlotte kann es nicht glauben: Sie steht ihrem Sohn gegenüber, der vor zehn Jahren als Baby spurlos verschwand. Jahre voller Selbstvorwürfe, Trauer und Leid liegen hinter ihr – doch wie soll es jetzt weitergehen? Für Lucas ist sie eine Fremde, kennt und liebt er doch nur die Familie, in der er aufgewachsen ist. Zugleich muss Charlotte einsehen, dass sie ausgerechnet von dem Mann hintergangen wurde, dem sie zum ersten Mal seit Jahren ihr Herz geöffnet hat. Sie dachte, dass Porter und sie einander verstünden – war alles für ihn wirklich nur ein Spiel?

Prolog

Porter

»Catherine, warte«, rief ich meiner Frau nach, die mit unserem Sohn aus der Praxis des Kardiologen gerannt war und bereits in ihr Auto stieg. Ich eilte ihnen im Laufschritt mit Hannah, unserer Tochter, im Kindersitz hinterher. Die Kleine gluckste und schien den ungewöhnlichen Transport zu genießen.

»Schnall dich an, Travis!«, befahl Catherine unterdessen mit hoher aufgeregter Stimme.

»Warum kann ich nicht mit Dad fahren?«, jammerte er und schlug die Tür auf seiner Seite zu.

Ich zwängte mich zwischen den geparkten Autos hindurch und stieß zum Rest meiner Familie, als Catherine gerade den Gang einlegte. Bevor sie rückwärts aus ihrer Lücke setzen konnte, klopfte ich auf die Motorhaube ihres Wagens.

Sie zuckte zusammen und richtete den Blick ihrer schokoladenbraunen Augen auf mich.

Ich hob Hannah in ihrem Kindersitz hoch und trommelte mit den Fingern auf die Windschutzscheibe: »Hast du nicht jemanden vergessen?«

Ihre Augen blitzten, und von ihren Lippen las ich das Wort »Scheiße«. Nachdem sie das Auto wieder auf Parken geschaltet hatte, schwang sie ihre Tür auf und kam heraus. »Ich dachte, du hättest sie.«

»Ich habe sie ja auch. Aber ich muss zurück in mein Büro.«

Sie nahm mir den Babysitz aus der Hand und machte sich daran, ihn mit Hannah darin auf dem Beifahrersitz anzuschnallen. Dann ging sie zum Wagen zurück, riss die Autotür auf und verfrachtete Hannah hinein.

»Dad! Darf ich mit dir nach Hause fahren?«, brüllte Travis durch die offene Wagentür.

Ich beugte mich so tief nach unten, dass ich ihn sehen konnte. »Tut mir leid, Kumpel. Ich muss wieder zur Arbeit.«

Er machte ein langes Gesicht, und prompt regten sich bei mir Schuldgefühle.

»Aber wir können zusammen ein paar Videospiele machen, wenn ich nach Hause komme?«, bot ich zum Trost an.

Seine Miene hellte sich auf. »In Ordnung!«

Unser Gespräch wurde abrupt beendet, als Catherine die Beifahrertür zuschlug. Sie wollte wieder auf die Fahrerseite zurückgehen, aber ich hielt sie am Arm fest.

»Willst du den ganzen Tag so sauer sein?«

Sie legte den Kopf in den Nacken, um mich anzusehen, und die Antwort stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Ja, Porter. Davon kannst du ausgehen, ich werde den ganzen Tag so sauer sein.«

Ich stöhnte. »Mein Gott, Chatherine. Er ist mit deinem Plan nicht einverstanden. Ich finde, wir sollten auf ihn hören. Schließlich ist er der Arzt.«

Ihr Blick war vernichtend. »Und er ist mein Sohn!«

Niemand wollte hören, dass sein Kind eine Herztransplantation benötigte, aber wir hatten gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Travis war vier gewesen, als ich in Erscheinung getreten war, und da hatte die Diagnose bereits festgestanden. Catherine hatte mir damals erzählt, dass es ihm mit den richtigen Medikamenten und Behandlungen besser gehen würde. Aber eine einzige Recherche bei Dr. Google hatte mir klargemacht, dass sie sich irrte. Dilatative Kardiomyopathie ließ sich nicht heilen.

Behandeln? Ja. Kontrollieren? Ja. In Ordnung bringen? Nur mit einer Transplantation.

Aber vier Jahre lang hatte sie sich etwas anderes eingeredet. Sie hatte unzählige Stunden damit verbracht, das Internet nach Informationen zu Travis’ Zustand zu durchforsten, und wie besessen Berichte über Erfolge und Misserfolge bei Kindern mit einem ähnlichen Leiden in sich aufgesogen. Und gerade eben hatte sie dem Kardiologen einen kompletten Behandlungsplan unterbreitet mit Präparaten, von denen sie glaubte, sie könnten unseren Sohn heilen. Es war nicht gut angekommen, dass ich sie nicht unterstützt hatte.

»Du hast ja keine Ahnung, wie weh es tun wird, ihn zu verlieren. Ich werde mit ihm sterben. Ich kann nicht …« Sie verstummte, ihr Kinn begann zu zittern, und sie schaute nervös über die Schulter zu Travis, der auf der Rückbank saß.

»He«, flüsterte ich und nahm sie in die Arme. »Es wird alles gut.«

»Wirklich?«, krächzte sie.

»Ja. Wirklich«, log ich.

»Das glaube ich nicht.« Ihre Schultern zitterten, als sie in meinen Armen schluchzte.

Es war selten, dass Catherine solche Gefühle zeigte. Aber andererseits hatte sie seit Hannahs Geburt nicht gut geschlafen. Während mein kleines Mädchen gesund war wie ein Fisch im Wasser und tief und fest schlief, wachte Catherine nachts oft auf, um nach ihr zu sehen. Ich hatte ein kleines Vermögen für mindestens ein Dutzend verschiedene Babyfone ausgegeben, die angeblich Alarm auslösten, wenn das Kind aufhörte zu atmen, aber nichts konnte Catherines Ängste beschwichtigen.

Am Anfang hatte ich mir nicht viel dabei gedacht, aber je älter Hannah wurde, umso schlimmer war es mit Catherine geworden. Wann immer ich mitten in der Nacht aufwachte, war Catherine auch schon wach und starrte in den Stubenwagen, die Hand auf Hannahs Brust, als warte sie darauf, dass sie aufhörte, zu atmen. Sie lächelte dann und spielte die Sache herunter, sagte, sie beobachte das Kind gern im Schlaf, aber ich wusste, dass mehr dahintersteckte. Doch jedes Mal, wenn ich versuchte, mit ihr darüber zu reden, war sie abweisend und fand einen Vorwand, das Thema zu wechseln.

»Was ist, wenn er stirbt, bevor sie einen Spender gefunden haben?«, flüsterte sie dicht an meinem Hals.

Ich drückte meinen Arm fester um sie. »Catherine, Schatz. Er braucht jetzt noch keine Transplantation. Wir haben immer noch andere Möglichkeiten.«

Sie stieß einen zittrigen Atemzug aus. »Ich darf ihn nicht noch einmal verlieren, Porter.«

»Niemand wird ihn verlieren«, flüsterte ich entschieden. »Ich schwöre bei meinem Leben, dass Travis bei uns bleibt. Lass uns auf die Ärzte hören und versuchen, optimistisch zu sein, bevor wir uns wegen einer Transplantation Gedanken machen.«

»Du verstehst nicht«, rief sie. »Wenn ihm irgendetwas zustößt …«

Ich lehnte mich ein Stück zurück, um ihr in die Augen sehen zu können. »Nichts wird ihm zustoßen. Du musst aufhören, so zu tun, als sei die Transplantation ein Todesurteil. Sie könnte ihm das Leben retten.«

»Sie könnte ihn auch umbringen. Und was wird dann aus mir?«

Was würde aus ihr? Das war es, worauf all diese Gespräche hinausliefen. Wie sein Tod sich auf sie auswirken würde. Egal wie es dem Rest von uns damit erging. Oder dass Travis tatsächlich sein Leben verlieren könnte.

Es drehte sich alles immer nur um Catherine.

Ich stöhnte frustriert und ließ sie los. »Wir werden alle klarkommen.« Ich schaute über ihre Schulter und stellte fest, dass Travis uns beobachtete, daher lächelte ich und zwinkerte ihm beruhigend zu, damit er es mir abkaufte. Dann flüsterte ich Catherine zu: »Du musst dich zusammenreißen. Er beobachtet uns. Wir können nicht von ihm erwarten, stark zu sein, wenn wir selbst daran zerbrechen.«

»Oh, Gott bewahre, dass er erfährt, dass seine Mutter nicht perfekt ist.«

Zähneknirschend stieß ich hervor: »Das habe ich nicht gemeint. Niemand sagt, dass du perfekt sein musst.«

»Ich muss los«, erwiderte sie schnippisch und riss ihre Autotür auf. Mist. Jetzt war sie wieder sauer und aufgeregt obendrein.

Ich wagte es nicht, noch etwas zu sagen, als sie einstieg. Ich hatte sie bereits in Wut gebracht; nicht nötig, es auch noch schlimmer zu machen.

Ich kramte die Schlüssel aus meiner Tasche hervor und ging zu meinem Wagen, von Schuldgefühlen geplagt. Ich hasste es, dass sie unglücklich war, aber es war nahezu unmöglich, mit ihr umzugehen, wenn sie in dieser Verfassung war.

Unsere Beziehung hatte sich im Laufe der Jahre drastisch verändert. Ich sagte mir, dass das normal sei in einer Ehe. Vor allem, wenn man den Stress bedachte, den ein krankes Kind und eine ungeplante Schwangerschaft mit sich brachten, und schließlich die Erschöpfung, die sich einstellte, wenn man sich rund um die Uhr um einen Säugling kümmern musste.

Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst war, hatten wir uns schon früher auseinandergelebt.

Ich liebte meine Frau, doch es war nicht mehr so, wie es zu Anfang unserer Beziehung gewesen war. Liebe war jetzt eher eine bewusste Entscheidung als ein Gefühl.

Ich stieg mit einem beklemmenden Gefühl im Magen in meinen Wagen.

Ich musste zurück zur Arbeit, aber mein Gewissen ließ das nicht zu.

Meine Familie brauchte mich.

Meine Frau brauchte mich.

Als sie also vom Parkplatz fuhr, folgte ich ihr.

Es herrschte nicht viel Verkehr, und wir brauchten nicht mehr als zehn Minuten, um die Abfahrt von der Autobahn zu erreichen.

»Hallo, Karen. Hier ist Porter. Ich werde heute nicht zurückkommen«, sagte ich meiner Sekretärin, während ich Catherine hinterherfuhr.

»Oh nein«, murmelte Karen leise. »Der Arzttermin ist nicht so gut gelaufen?«

»Nicht wirklich, und ich halte es für das Beste, wenn ich mir den Rest des Tages frei…«

Die Worte erstarben auf meinen Lippen, während ich voller Entsetzen mit ansah, wie Catherines Wagen an den Straßenrand driftete. Alles in mir kribbelte, während ich darauf wartete, dass sie gegensteuerte. Ich vermutete, dass sie nur für einen Moment weggeschaut oder sich vielleicht umgedreht hatte, um dem Baby etwas zu geben.

Aber nicht einmal ihre Bremslichter leuchteten auf, als sie auf die Leitplanke zuraste. Das Geräusch von Metall auf Metall ging durch Mark und Bein; aber zu wissen, dass meine Familie in diesem Wagen saß, machte es ohrenbetäubend. Mein Magen krampfte sich zusammen, als das Auto über den Rand der Brücke schoss und aus meinem Blickfeld verschwand.

Das alles ging so schnell, dass ich es beinahe nicht für real hielt. Ich machte eine Vollbremsung, und mein Telefon flog mir aus der Hand, als ich schlitternd zum Stehen kam.

Ich schoss aus meinem Wagen und rannte auf die Betonbrüstung zu. Ich fuhr seit über zwei Jahren jeden Tag über diese Brücke, aber in dem Moment konnte ich mich nicht daran erinnern, was darunter war. Ich konnte nur an meine Familie denken, die in den Gegenverkehr raste oder auf den Felsengrund darunter. So verkorkst es war, eine Woge der Erleichterung schlug über mir zusammen, als ich ihren Wagen sinken sah. Wasser schien immer noch das günstigste Szenario zu sein.

Catherine konnte schwimmen.

Travis ebenfalls.

Aber Hannah …

Ich raste wie von Sinnen das steinige Ufer hinab. Auf halbem Weg nach unten rutschte ich aus und schlitterte den Rest des Weges auf dem Hintern hinunter, ohne zu bremsen.

»Catherine!«, brüllte ich, als ich in voller Montur in das eisige Wasser sprang.

Adrenalin hatte mich im Griff.

Ich brauchte mindestens siebenhundert Jahre, um zu dem Wagen mit meiner Familie darin zu gelangen. Und mit jeder Sekunde, die verstrich, ohne dass einer ihrer Köpfe an der Oberfläche auftauchte, starb ein Teil von mir. Ich bekam vage mit, dass Menschen von der Brücke mir etwas zuschrien, und dann erblickte ich einen Mann, der von der gegenüberliegenden Seite des Ufers ins Wasser sprang. Aber ich war zu konzentriert auf die nicht enden wollende Reise zu meiner Familie, als dass die Hilfe von anderen Menschen mir Erleichterung brachte.

Als ich den Wagen erreichte, befand sich der vordere Teil unter Wasser, das Dach war nur teilweise sichtbar, und die Stoßstange ragte in die Luft wie eine Boje.

Mein Herz hämmerte so stark, dass ich befürchtete, es würde explodieren. Und es hätte mir nichts ausgemacht, wenn es sich nur lange genug hielt, um sie zuerst in Sicherheit zu bringen.

»Travis!« Ich versuchte verzweifelt, seine Tür aufzuziehen, doch ohne Erfolg. »Ich komme, Kumpel. Halt durch!«, brüllte ich und hatte keinen Schimmer, ob er mich hören konnte oder nicht. Aber er musste wissen, dass ich da war. Ich schlug mit den Fäusten gegen die Scheibe, aber das Einzige, was riss, war das Fleisch auf meinen Knöcheln.

Meine Gedanken überschlugen sich bei der Suche nach einem Weg, wie ich ins Wageninnere gelangen konnte, als ich seinen verzerrten Schrei hörte.

»Dad!«

Mir blieb das Herz stehen, und die Welt um mich herum brach in Stücke.

»Ich bin hier! Ich hole dich raus!« Mit den Händen schirmte ich links und rechts die Sonne von meinem Gesicht ab, und spähte durch das Rückfenster.

Catherine hielt ihn fest, mit dem Rücken an ihre Brust gedrückt, und Blut quoll aus ihrer Augenbraue. Travis reckte den Hals, drosch mit den Händen gegen die Decke, und der Mund stand ihm offen. Er schnappte nach Luft, während das Wasser um sie herum stieg.

»Catherine!«, brüllte ich und schlug gegen das Glas. »Schließ die Tür auf. Gib ihn mir!«

Aber sie bewegte sich nicht. Sie starrte mich nur mit kalten glasigen Augen an, während ihr Kinn unter der Wasseroberfläche verschwand.

»Nein! Nein! Nein!«, rief ich immer wieder. Ich schaute in den Wagen und bemerkte, dass die vorderen Fenster etwa daumenbreit geöffnet worden waren und Wasser zu ihnen hineinströmte.

Nachdem ich tief Luft geholt hatte, tauchte ich unter. Das Wasser war trüb, und ich konnte nur Umrisse erkennen, keine Details, aber es gelang mir, die Vordertür zu erreichen. Ich hakte die Finger am Rand der Scheibe ein und zog, so fest ich konnte, benutzte die Füße, um die Hebelwirkung zu verstärken. Das Fenster zersplitterte in meinen Händen, aber wegen des vielen Adrenalins bemerkte ich die Schnitte nicht einmal.

Nachdem ich mich in den sinkenden Wagen gezwängt hatte, bewegte ich mich direkt nach oben in die Luftblase.

»Raus hier!«, schrie ich Catherine zu und stieß sie und Travis zum Fenster hin.

Panik überkam mich, als ich sah, dass Hannahs Kindersitz vollkommen untergetaucht war. Hektisch machte ich mich ans Werk, sie mit zitternden Fingern zu befreien. Jeder gelöste Riemen und jede geöffnete Schnalle waren ein Erfolg.

Dann zog ich Hannah mit in die Luftblase. Sie war nicht bei Bewusstsein, aber ich betete, dass ein Wunder geschah und ihre Lungen sich mit Luft füllten. Mein Magen überschlug sich, als ich entdeckte, dass Catherine immer noch da war. Sie hielt Travis umklammert, der um sich trat und schlug und dessen Gesicht fast vollkommen unter Wasser war.

»Komm!«, befahl ich, packte sie vorn an der Bluse und zog sie mit mir, während ich so schnell ich konnte mit meiner reglosen Tochter in der Armbeuge hinausschwamm.

Als ich die Oberfläche durchstieß, hob ich Hannah hoch und trat Wasser, während ich mich im Kreis drehte und darauf wartete, dass Catherine und Travis auftauchten.

In diesen Sekunden stand alles still.

Nichts um mich herum spielte noch eine Rolle.

Nicht das eisige Wasser.

Nicht die in der Ferne gellenden Sirenen.

Nicht die Galle, die in meiner Kehle aufstieg.

Nichts als diese beiden, von denen ich mir so verzweifelt wünschte, dass sie endlich auftauchten.

»Komm schon, komm schon, komm schon«, betete ich, während ich mit dem, wie ich befürchtete, leblosen Körper meines kleinen Mädchens zurück ans Ufer schwamm.

Ich schaute die Person nicht einmal an, der ich sie übergab, bevor ich zum Auto zurückschwamm, mit hämmerndem Herzen und einer zentnerschweren Last auf meiner Brust.

Nur die Stoßstange ragte noch aus dem Wasser, und es fühlte sich so an, als entgleite mir mein Leben zusammen mit diesem Wagen.

Wo zum Teufel waren sie?

Ich tauchte wieder hinab und schwamm zurück in den Wagen.

Und dann erübrigte sich plötzlich jede weitere Frage, auf die ich nie eine Antwort hatte bekommen wollen, als ich beide immer noch in diesem Wagen vorfand.

Ich konnte nicht viel erkennen, aber ich sah Catherines Arme um seine Schultern, während seine Arme im Wasser trieben. Ich packte ihn zuerst und stieß mich hart von der Sitzfläche des Autos ab, aber er wurde mir plötzlich entrissen. Meine Lungen brannten, aber ich hatte keine andere Wahl, als die beiden herauszuholen. Ich würde eher in diesem Wagen sterben, als sie ihrem Schicksal zu überlassen.

Und während ich gegen Catherines Griff ankämpfte, mit dem sie Travis festhielt, befürchtete ich, dass genau das geschehen würde.

Es gab keine Luftblase mehr, nur noch ein sinkendes Auto, in dem meine Frau und mein Sohn in ein wässriges Grab gezogen wurden.

Ich brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, was geschah. Zuerst dachte ich, sie sei orientierungslos gewesen, vielleicht verletzt durch den Unfall.

Aber mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde es schwerer, die Wahrheit zu übersehen.

Ihre Hände, die meine zerkratzten. Ihre Füße, die mir in den Bauch traten.

Ihr unerschütterlicher Griff, mit dem sie Travis festhielt.

Es war kein Unfall; jede Bewegung, die sie machte, hatte das Ziel, ihn bei sich zu behalten – in diesem sinkenden Auto. Als ich merkte, dass der Sicherheitsgurt um die beiden geschlungen war und sie auf dem Sitz festhielt, gab mir das den Rest. Sie war nicht angeschnallt gewesen, als ich das erste Mal versucht hatte, die beiden herauszuziehen. Es war unmöglich, das nicht für eine vorsätzlich geplante Tat zu halten.

Ich erstarrte. Der Tag, an dem ich sie auf dem Bauernmarkt unserer Stadt kennengelernt hatte, blitzte vor meinem inneren Auge auf. Ich war dorthin gegangen, um Tomaten zu kaufen, und mit einer Familie nach Hause gekommen.

Ich bekam einen Tunnelblick, Dunkelheit umfing mich, und mein Körper schrie nach Sauerstoff. Aber meine Hände zitterten nicht länger, und meine Angst verwandelte sich in Zorn. Ich verfluchte Catherine und schrie, dass ich sie hasste, doch die Mitteilung löste sich in nichts als ein paar Bläschen auf. Aber ich ließ nichts unversucht, bis es mir gelang, ihr meinen Sohn aus den Armen zu reißen.

Ich schaute nicht zurück, als ich in Richtung Sauerstoff schwamm und sie dort zum Sterben zurückließ.

Nur dass sie nicht allein war. Porter Reese, der Mann, der geschworen hatte, sie in guten wie in schlechten Tagen zu lieben, der Mann, der sie in den Armen gehalten hatte, wenn sie weinte, und der sie angelächelt hatte, wenn sie lachte, der Mann, der ihr ewige Liebe versprochen hatte, starb neben ihr in diesem Fluss.

Und es mussten drei dunkle hasserfüllte Jahre vergehen, bevor er überhaupt gefunden wurde.

1

Charlotte

Ich konnte nicht atmen.

Ich konnte nicht reden.

Ich konnte nicht einmal einen vernünftigen Gedanken fassen.

Purer Instinkt übernahm die Kontrolle.

Das Blut in meinen Adern fing Feuer, als ich aus Porters Armen wirbelte. Lucas – mein Sohn, Lucas – schrie, als ich ihn an mich zog. Der angeborene Drang zu fliehen überkam mich.

Doch Porter war schneller. Mit einer Hand packte er mich über dem Ellbogen, so fest, dass er die Schmerzgrenze überschritt. »Charlotte, halt!«, knurrte er. »Tu das nicht. Er ist nicht Lucas.«

Ich hörte seine Worte, aber sie klangen wie hohle Silben, widerhallend von wochenlangem Verrat.

Tom erschien neben mir, seine Stimme leise und finster. »Lassen Sie sie los, Reese.«

»Gib mir meinen Sohn zurück«, stieß er hervor, und seine Finger bohrten sich in meinen Bizeps.

Trotzig hielt ich seinem Blick stand. »Er ist mein Sohn.«

»Dad!«, rief Lucas und setzte sich gegen mich zur Wehr. Aber es gab keine Macht auf der Welt, die ihn mir hätte nehmen können.

Nicht dieses Mal.

Nicht schon wieder.

Nie wieder.

Porter ließ einen Arm sinken, um die ausgestreckte Hand seines Sohnes zu ergreifen, und bildete damit einen Kreis um uns drei. »Ist schon in Ordnung, Kumpel. Das Ganze ist nur ein großes Missverständnis.« Er schaute mich wieder an, sein Blick war hart. Er sah gar nicht aus wie der Mann, in den ich mich verliebt hatte.

Wahrscheinlich, weil es diesen Mann gar nicht gab. Dies war der echte Porter. Der, der mir meinen Sohn während der letzten zehn Jahre vorenthalten hatte.

»Geh weg!«, verlangte ich, die Beine schulterbreit aufgestellt, den Arm um Lucas’ Brust geschlungen, von Kopf bis Fuß auf Kampf eingestellt.

»Er ist nicht Lucas«, erklärte er mit zusammengebissenen Zähnen.

»Geh …«, setzte ich erneut an, aber die Worte blieben mir in der Kehle stecken.

Seine Züge wurden weicher. Ebenso seine Hand, als der Betrüger, den ich immer für meinen Porter gehalten hatte, zum Vorschein kam. »Lass ihn los, und wir werden eine Lösung finden. Es wird alles gut.«

Es war verrückt, aber als Reaktion auf seine vertrauten Worte zog sich mein Herz zusammen, auch wenn mein Verstand mir sagte, dass ich ihn hassen sollte. »Warum nur tust du mir das an?«

»Warum ich dir das antue?«, fragte er, und sein Gesicht zeigte eine merkwürdige Mischung aus Ungläubigkeit und Erstaunen. »Charlotte, ich habe keine verdammte Ahnung, was hier gerade abläuft. Ich weiß nur, dass du die Hände auf meinem Kind hast und dass du ihn mit dem Namen deines toten Sohnes ansprichst. Liebling, es gibt nicht viel auf dieser Welt, was ich nicht für dich tun würde. Aber wenn es um meine Kinder geht, ziehe ich die Grenze.«

Wir starrten einander an.

Der ultimative Showdown.

Mutter gegen Vater.

Vererbung gegen Umwelt.

Herz gegen Verstand.

Keiner von uns war bereit, zurückzustecken.

Nicht, wenn es darum ging, an dem einzigen Sonnenstrahl festzuhalten, den wir jemals bekommen würden. »Ich gebe Ihnen eine letzte Chance, Reese. Lassen Sie sie los«, knurrte Tom hinter mir.

Porter sah mir fest in die Augen. »Wenn sie Travis loslässt, werde ich sie loslassen.«

Travis.

Sein Sohn.

Schwachsinn. Dies war mein Sohn.

Der Klang seines Namens entzündete ein Pulverfass in mir. Jahre aufgestauter Qual explodierten plötzlich und nährten einen weißglühenden Zorn, wie ich ihn noch nie zuvor empfunden hatte.

Er kam aus dem Bauch heraus und war hässlich.

Aber der Zorn kam auch von der schönsten Stelle in meinem Herzen.

Die Stelle, die an dem Tag der Geburt meines kleinen Sohnes ins Leben gerufen und ausgefüllt worden war.

Die Stelle, die ich nicht vergessen konnte, ganz gleich, wie sehr ich es in den vergangenen zehn Jahren versucht hatte.

Die Stelle, die den quälendsten Schmerz beherbergte, den ein Mensch erleben konnte. Und der die Qual wie ein abscheuliches Tier auf mich losließ, um mich an jedem Morgen zu vernichten, an dem ich ohne meinen Sohn erwachte.

Die Stelle, die seit zehn verdammten Jahren zum ersten Mal heil war.

Alles an mir vibrierte, als ich aus Leibeskräften schrie: »Sein Name ist Lucas!«

Bei meinem Ausbruch musste meine Hand weggerutscht sein, denn plötzlich riss mein Sohn sich aus meinen Armen los. Er lief direkt zu Porter, der sich schützend vor ihn stellte.

»Nein!«, brüllte ich und stürmte los. Porter hob die Hand und drückte sie mir mitten auf die Brust, um mich zurückzuhalten.

Und dann brach um uns herum die Hölle los.

Tom packte mich um die Taille und zerrte mich nach hinten, während Charlie sich um Porter kümmerte.

»Geh hinein, Travis«, ächzte Porter, als sein Gesicht grob gegen die Ziegelsteine neben der Tür gestoßen wurde.

Mein kleiner Junge stand wie erstarrt da, das bleiche Gesicht vor Entsetzen verzerrt, als er zu Porter hinaufsah. Die Frau an der Tür bewegte sich schnell in seine Richtung. Sie fasste ihn an den Schultern, umarmte ihn und verbarg sein Gesicht an ihrer Brust, während sie ihn rückwärts ins Haus zog.

»Lucas!«, schrie ich, trat um mich und befreite mich gewaltsam aus Toms Griff.

»Er ist nicht Lucas!«, schoss Porter zurück, während Charlie ihm Handschellen anlegte.

Aber er war es.

Und ich hatte ihn gerade von Neuem verloren.

»Nein. Nein. Nein!«, schrie ich, als die Tür sich hinter ihm schloss. »Lucas!«

»Charlotte, sieh mich an«, sagte Porter, während Charlie ihm seine Rechte vorlas. »Er ist es nicht. Ich schwöre bei Gott, er ist es nicht.«

»Halten Sie den Mund, Reese«, blaffte Tom und zog mich fest an seine Brust.

Porters Körper wand sich in dem verzweifelten Versuch, zu mir zu gelangen. »Charlotte, bitte, sieh mich an, Liebling«, flehte er mit einer solch süßen Stimme, dass ich tatsächlich glaubte zu hören, wie mein Herz in Scherben zersprang.

Nicht einmal zehn Minuten zuvor hätte ich mich glücklich bis in alle Ewigkeit im Meer seiner blauen Augen verlieren können.

Aber das war, bevor es etwas gegeben hatte, wofür ich kämpfen musste.

»Lucas«, stieß ich mit erstickter Stimme hervor, und Tränen tropften mir vom Kinn hinunter.

Tom hielt mich mit aller Macht fest und drückte mir die Arme an die Seiten, aber meine Finger streckten sich immer noch aus in dem vergeblichen Versuch, zur Tür zu gelangen.

»Bitte«, bettelte ich leise. »Bitte, gib ihn mir zurück.«

»Charlotte!«, schrie Porter weiter, aber ich hielt den Blick auf die hölzerne Tür gerichtet, die das Paradies von der Hölle trennte.

Mein Sohn war dort drin.

Mein Kind.

Und er lebte.

Meine Knie gaben plötzlich unter mir nach, und aller Kampfgeist schwand mit einem rauen Schluchzen. »Oh Gott. Er ist es wirklich.«

Tom hielt mich fest umfangen. »Wir müssen aufs Revier fahren.«

»Wie … wie ist das möglich?«, stammelte ich.

»Ich habe keinen blassen Schimmer, aber du musst dich zusammenreißen. Je eher wir es herausfinden, um so eher kannst du ihn zurückbekommen.«

Ich zitterte am ganzen Leib, aber bei diesen Worten beruhigte sich mein Herzschlag, und meine Lungen füllten sich mit Luft.

Ich würde ihn zurückbekommen.

Er würde heimkehren.

Er würde wieder mir gehören.

Ich hatte seit vielen Jahren nicht den Mut aufgebracht, von diesem Moment zu träumen.

Und da war er – in Wirklichkeit.

Und aus irgendeinem mir völlig unverständlichen Grund schmerzte meine Brust noch immer.

Als ich mich umdrehte, bekam ich die Antwort.

Porter saß auf der Rückbank des Streifenwagens, die Hände auf dem Rücken gefesselt, die großen Augen auf mich gerichtet. Furcht stand ihm ins Gesicht geschrieben, während seine Lippen meinen Namen formten.

Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir nur geglaubt hatten, die Dunkelheit zu kennen.

»Charlotte!«, rief Brady, als er durch die Tür zum Konferenzraum gestürzt kam, mit Stephanie, seiner Frau, dicht auf den Fersen.

Ich hatte über zwei Stunden gewartet und war im Raum auf und ab gegangen. Mein Körper war taub und mein Gehirn ein einziges Tohuwabohu. Nichts fühlte sich mehr real an. Im Laufe eines einzigen Tages war ich neben Porter aufgewacht – dem Mann, in den ich mich immer mehr verliebte –, hatte erfahren, dass mein Sohn tot war, hatte neben einer Brücke um meinen Sohn getrauert, um dann herauszufinden, dass mein Sohn nicht tot war, und ihn dann zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt wiederzusehen. Und dann musste ich auch noch erfahren, dass der Mann, neben dem ich aufgewacht war, die ganze Zeit über gewusst hatte, wo mein Sohn war.

Ja, nichts hätte mich auf einen solchen Tag vorbereiten können. Ich ließ ihn Revue passieren und blickte immer noch nicht durch.

Es fühlte sich an wie ein Albtraum mitten im süßesten aller Träume.

Mir brach das Herz, während es mir gleichzeitig überlief.

»Hey«, flüsterte ich und verschränkte die Arme vor der Brust, um die Kälte abzuwehren, die Brady normalerweise umgab.

Er blieb ein paar Schritte von mir entfernt stehen, griff sich in den Nacken und schaute zu Boden. »Tom sagt, du hättest ihn gesehen.«

Ich schluckte hörbar und versuchte mit aller Kraft zu verhindern, dass meine Stimme zitterte. »Das stimmt.«

Er hob die Augen, und sein Blick spiegelte eine Million widersprüchlicher Gefühle wider. Sein üblicher wütender Gesichtsausdruck blieb aus, als er fragte: »Wie sieht er aus?«

Mein Herz wurde weich. Brady war ein Mistkerl, aber es war auch sein Sohn, der am Leben war, daher schob ich unsere gemeinsame Geschichte für einen Moment beiseite und antwortete ihm.

»Wie du. Wie ich. Wie jeder.« Ich hielt inne, und mein Kinn zitterte. »Wie niemand sonst.«

Im nächsten Moment hielt er mich in den Armen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann wir uns das letzte Mal berührt hatten. Wir hatten beide unseren Sohn geliebt, aber Lucas war das Ergebnis eines One-Night-Stands. Brady und ich waren nie ein Liebespaar gewesen. Freunde? Vielleicht früher einmal. Aber auch das seit Langem nicht mehr.

Die Umarmung war bestenfalls unbeholfen. Brady war unleugbar ein attraktiver Mann, und er hatte sich gut gehalten. Aber von ihm umarmt zu werden fühlte sich total falsch an.

Zwar hielt er mich fest, aber er war nicht warmherzig wie Porter.

Meine Güte, warum dachte ich immer noch an Porter?

Oh, richtig, weil ich alles dafür gegeben hätte, wenn er mit mir in diesem Raum gestanden hätte. Und mich beschützend in seine Arme genommen hätte. Seine Lippen an meinem Ohr, während er mir versprach, dass alles gut werden würde. Sowie ich alles dafür gegeben hätte, wenn seine Dunkelheit die Welt zum Verstummen gebracht und dass nichts mit dem Verschwinden meines Sohnes zu tun gehabt hätte.

Mit anderen Worten: naive Wunschträume.

Ich hätte ihn nicht so vermissen dürfen, wie ich es tat. Das war mein größter Fehler: dass ich mich auf Porter verlassen hatte, wenn die Realität zu hart wurde. Aber ich hatte es nur zu bereitwillig getan. Wenn jemals ein Etikett auf mein Leben gepasst hätte, wäre es im Moment das mit der Bezeichnung »zu hart« gewesen.

Mein Verstand begriff immer noch nicht, wie er an Lucas geraten war. Das Naheliegende war, dass er ihn entführt hatte. Und das nicht so Naheliegende? Zur Hölle, dafür hatte ich immer noch keine Erklärung.

Ich schob die Hände unter Bradys Arme und erwiderte seine Umarmung.

»Ich … ähm «, stammelte Stephanie. »Wie wär’s, wenn ich im Flur warte und euch eine Minute allein lasse?«

Brady ließ mich los, beugte sich zu seiner Frau vor und strich ihr die blonden Locken aus dem Gesicht, bevor er sanft ihr Kinn umfasste. Er flüsterte ihr leise etwas ins Ohr, und ihre Lider schlossen sich flatternd. Als er fertig war, neigte sie leicht den Kopf und bot ihm ihre Lippen dar.

Er gab ihr einen flüchtigen Kuss. Und dann noch einen, bevor er ihr zuraunte: »Ich liebe dich.«

Es war so sensibel und so anders als alles, was ich von Brady kannte, und zwar in einem Ausmaß, dass ich mich für einen Moment unbehaglich fühlte.

Er beobachtete mit warmen Augen, wie sie zur Tür ging, und dann war sie mit einem letzten Blick über ihre Schulter verschwunden.

Brady wandte sich wieder mir zu und stieß einen rauen Atemzug aus.

Er sah mich an.

Und ich sah ihn an.

Keiner von uns sprach ein Wort, aber es war so weit entfernt von dem behaglichen Schweigen mit Porter wie nur irgend möglich. Schließlich sagte er mit zittriger Stimme: »Es ist vorbei. Es ist wirklich vorbei.«

Aber es fühlte sich für mich nicht so an, als sei es vorbei. Ich hatte schreckliche Angst, dass es gerade erst anfing.

Und ich hatte niemanden, der dieses Gefühl verstehen konnte. Ich bekam alles, was ich mir jemals gewünscht hatte, und es jagte mir trotzdem eine Höllenangst ein.

Und aus Gründen, die nur die lähmende Einsamkeit erklären konnte, die Porters plötzliches Verschwinden aus meinem Leben verursacht hatte, ließ ich mich Brady gegenüber zu einem Geständnis hinreißen.

»Ich habe Angst.«

Seine Brauen zogen sich zusammen. »Was? Warum?«

Fragen.

Ich schaute über seine Schulter zur Tür. »Ich weiß es auch nicht.«

»Das ist Unsinn, Charlotte. All die Jahre haben wir dafür gebetet. Und endlich wird es wahr. Du musst keine Angst haben.«

Urteile.

Ich wappnete mich und ignorierte den Schmerz in meiner Brust, dann ließ ich ein gepresstes Lächeln aufblitzen. »Du hast recht.«

Verstellungen.

Er rückte ein klein wenig näher heran und senkte die Stimme, aber es war nicht die zärtliche Stimme, mit der er zu seiner Frau gesprochen hatte. Es war, als zischelte er über Kieselsteine. »Du musst diesen Unsinn aus deinem Kopf bekommen. Ich will nicht, dass er damit konfrontiert wird. Er soll das Gefühl haben, dass das etwas Gutes ist. Denn es ist etwas Gutes. Lucas kommt nach Hause.«

Ich schluckte hörbar. »Richtig. Tut mir leid. Ich werde mich zusammenreißen.«

Entschuldigungen.

Ein Geräusch an der Tür erregte meine Aufmerksamkeit. Mom kam herein, mit zwei Tassen Kaffee in den Händen.

»Hallo, Brady«, sagte sie und schaute argwöhnisch zwischen uns beiden hin und her.

Sie war bei mir, seit ich hier angekommen war, und hatte den Raum nur zweimal verlassen. Einmal, um sich mit Tom zu besprechen und herauszufinden, was los war. Und das andere Mal vor ungefähr zehn Minuten, um Kaffee zu holen – und, so argwöhnte ich, sich abermals mit Tom zu beraten, weil er ihr jetzt folgte.

Er kam direkt auf mich zu. »Hat Brady es dir erzählt?«

»Ich hatte noch keine Gelegenheit«, erwiderte er und trat einen Schritt zurück.

Alarmiert sträubten sich mir die Nackenhaare. »Was soll er mir erzählt haben?«

Toms Züge wurden weicher, und er flüsterte: »Er ist es.«

»Ich weiß«, antwortete ich.

Ich hätte ihm das schon vor Porters Haus sagen können. Ich hatte nicht den leisesten Zweifel daran gehabt. Ich weiß nicht, woher ich es gewusst hatte, aber sobald ich ihn mit anderen Augen sah, war mir klar gewesen, dass er zu mir gehörte. Doch Toms nächste Worte trafen mich härter, als ich mir das jemals hätte vorstellen können.

»Nein, Charlotte. Er ist es wirklich. Erinnerst du dich an die Abdrücke, die wir von seinem Spielzeug genommen haben, als er entführt worden war? Sie passen. Er gehört zu dir.«

Bewiesen. Unleugbar. Endgültig.

Ich blinzelte abermals, doch diesmal schoss Panik durch meinen Körper und trübte meine Sicht.

»Oh, Schätzchen«, hauchte meine Mom und glitt an meine Seite, bevor sie mich an sich zog.

»Also, wann bekommen wir ihn zu sehen?«, fragte Brady, der meinen drohenden Zusammenbruch vollkommen ignorierte.

»Nun«, begann Tom. »Er ist auf der anderen Seite des Flurs. Ich schätze also, es liegt bei euch. Ich habe den ganzen Papierkram Bradys Anwalt übergeben, der die Unterlagen zu Richter Gratham nach Hause bringt. Vorausgesetzt, er hat alles, was er braucht, würde er ein einstweiliges Sorgerecht erlassen, bis eine offizielle Anhörung festgelegt wird. Das Jugendamt wird mit euch beiden reden wollen, bevor du ihn mit nach Hause nehmen kannst, aber du kannst ihn jederzeit sehen, wenn du willst.«

»Einstweiliges Sorgerecht?«, knurrte Brady.

»Es ist eine reine Formsache«, versicherte Tom ihm.

Ich fand den Mut, mit leiser Stimme zu fragen: »Was ist mit Porter?«

Toms Gesicht wurde hart. »Was soll mit ihm sein?«

»Ja«, blaffte Brady. Er tat einen Riesenschritt in meine Richtung und wiederholte Toms Worte, allerdings noch ungehaltener. »Was soll mit ihm sein?«

Ich fuhr mir mit der Zunge über meine trockenen Lippen und schaute zwischen den beiden Männern hin und her. »Ich meine … was ist mit ihm los? Inwiefern ist er darin verstrickt?«

»Er hat unseren Sohn entführt!«

Tom hob die Hand, um Brady Einhalt zu gebieten. Sein Gesicht blieb hart, aber seine Stimme wurde sanft. »Unsere Leute verhören ihn noch und versuchen herauszufinden, welche Rolle er bei alledem spielt.« Er schaute demonstrativ kurz zu Brady hinüber, bevor er den Blick wieder auf mich richtete. »Er macht nicht den Eindruck, als hätte er bei der eigentlichen Entführung eine Rolle gespielt. Lucas war bereits vier Jahre alt, als er Catherine Reese kennenlernte. Wir glauben, dass ihr Kind gestorben ist, auch wenn wir noch keine Todesursache haben. Es scheint eines natürlichen Todes gestorben zu sein. Vielleicht plötzlicher Kindstod oder eine andere Grunderkrankung. Wer weiß? Sie war wahrscheinlich verwirrt, hat Lucas in dem Park gesehen und ihn mitgenommen, um einen Ersatz für ihren Sohn zu haben. Sie hat ihn einfach in Travis’ Leben schlüpfen lassen.«

Ich hob eine zittrige Hand, um sie mir vor den Mund zu halten, und hauchte: »Also hat Porter nichts davon gewusst?«

»Du willst mich wohl auf den Arm nehmen«, schäumte Brady.

Tom warf Brady, der neben mir förmlich vibrierte, einen finsteren Blick zu. Doch da meine alte Freundin, die Hoffnung, mir einen Besuch abstattete, scherte ich mich nicht den Teufel darum.

»Antworte mir«, verlangte ich.

»Wir wissen es nicht«, entgegnete Tom. »Ich weigere mich zu glauben, dass er nicht dahintergekommen ist, bevor er angefangen hat, mit dir anzubändeln. Die Tatsache, dass er mit der leiblichen Mutter des Kindes ausgegangen ist, das seine Frau entführt hat, gefällt hier niemandem. Viel zu viele Zufälle, um nicht verdächtig zu sein. Aber wir gehen der Sache auf den Grund. Vertrau mir, Kleines. Du brauchst dir um Porter Reese keine Sorgen mehr zu machen.«

Das tat ich aber sehr wohl, denn mein Herz fühlte sich an, als sei es durch ein Sieb gepresst worden.

Brady stemmte sich eine Faust in die Hüfte, kniff sich mit der anderen Hand in den Nasenrücken und zischte: »Ich kann nicht glauben, dass du mit diesem Scheißkerl ausgegangen bist.«

Meine Kehle schnürte sich zusammen, und ein kalter Schauder überlief mich, aber ich hatte mich gerade genug in der Gewalt, um hervorzustoßen: »Es kümmert mich nicht besonders, was du glaubst oder nicht, Brady.«

Meine Hände zitterten, daher legte Tom mir seine Hand in den Nacken, zog mich an sich und richtete das Wort an Brady. »Betrachten wir es einmal so. Es hat sich alles zum Besten gefügt. Wir haben ihn gefunden, okay? Kümmern wir uns also für den Moment um Lucas.«

Ich nickte, holte tief Luft und hoffte, dass es irgendwie den Aufruhr und die Panik in mir besänftigen würde.

Das war nicht der Fall.

Aber ich konnte mich besser verstellen als irgendjemand sonst auf dem Planeten.

Und während die Stunden sich in die Länge zogen, musste ich genau das tun.

2

Porter

Ich saß auf der falschen Seite des Einwegspiegels auf dem Polizeirevier, die Arme auf einen kleinen Tisch gestützt, das Gesicht zwischen ihnen begraben.

Meine Brust war leer.

Mein Kopf ein einziges Durcheinander.

Mein Magen verkrampft.

Mein ganzes verdammtes Leben nicht wiederzuerkennen.

Ich hatte gedacht, dass mir an dem Tag, an dem Catherine von dieser Brücke gestürzt war, der schlimmste Verrat widerfahren war.

Mann, hatte ich mich geirrt!

»Beantworten Sie die Frage, Porter.«

»Nein!«, fauchte ich und hob den Kopf, um in die Augen des dritten Cops zu starren, der hereingekommen war, um mir die gleiche verdammte Frage zu stellen wie in den vergangenen zwei Stunden. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

»Also, Catherine …«

»Nein!«, blaffte ich, stieß mich vom Tisch ab und erhob mich von meinem Stuhl.

Ich war völlig entnervt.

Die Fingerabdrücke passten. Weitere DNA wurde untersucht, aber ich hatte die Hoffnung aufgegeben, dass diese zu einem anderen Ergebnis führen würde.

Travis war Charlottes Sohn.

Und niemand im ganzen verdammten Polizeirevier von Atlanta würde mir abnehmen, dass ich nichts damit zu tun gehabt hatte.

»Catherine hat mir einen Scheißdreck erzählt. Okay? Ich habe sie nicht einmal gekannt, als Lucas entführt wurde. Travis war vier Jahre alt, als wir uns kennenlernten, viereinhalb, als wir geheiratet haben, fünf, als ich ihn adoptiert habe, und acht, als sie sich umgebracht hat. Und all die Jahre hat sie niemals, nicht ein einziges Mal, erwähnt, dass sie das Baby von einem verdammten Spielplatz entführt hat.«

Er schaute zu mir auf mit undurchdringlicher Miene und öffnete langsam einen Aktenordner. »Okay. Jetzt, da Sie es erwähnen, lassen Sie uns über den Tag reden, an dem Ihre Frau gestorben ist.«

Mein Kinn zuckte zur Seite, als hätte er mich geschlagen. »Was?«

Er trat gegen meinen Stuhl und schob ihn zu mir hin, dann bedeutete er mir mit einer Kinnbewegung, dass ich mich setzen sollte. »Hier steht, dass Sie am Tag des Unfalls am Tatort waren. Sie waren die erste Person, die im Wasser war, und die letzte, die herausgekommen ist. Sie haben es geschafft, ihre beiden Kinder zu befreien, aber ihre Ehefrau war immer noch in diesem Wagen, als man ihren Leichnam geborgen hat?« Er wippte zurück, faltete die Hände vor sich und sah mich erwartungsvoll an.

Mir gefror das Blut in den Adern. »Ja. Genauso war es, verdammt noch mal«, stieß ich hervor. Ich beugte mich Unheil verkündend nach vorn und stieß mit dem Finger auf die Akte, aus der er vorlas. »Steht da auch, dass ich in diesem Wagen beinahe ertrunken wäre, als ich versucht habe, sie zu retten? Dass sie bis zum letzten Atemzug gegen mich gekämpft hat? Was steht darüber, dass es überhaupt kein Unfall war? Sie ist absichtlich von dieser Brücke gefahren. Also, lassen Sie uns eins klarstellen: Meine Frau ist nicht gestorben – sie hat sich umgebracht.«