Zahltag - Katrin Fölck - E-Book

Zahltag E-Book

Katrin Fölck

4,5

  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Nachdem Kommissar Jan Renner von einem Jäger und dessen Hund aus seinem Erdgrab gerettet wird, findet er sich im Krankenhaus wieder, in dem er sich von seinem Martyrium und einer Lungenentzündung erholt. Dort muss er erfahren, dass sein Kumpel Adrian, der mit ihm entführt wurde, tot ist. Dies ist ein Schock für ihn, doch nicht nur das, er erkennt, dass er während der Zeit seiner Entführung unter Drogen gesetzt wurde. Wieder zu Hause sucht Jan Renner aufgrund starker Zahnschmerzen die Zahnarztpraxis von Dr. Reichel auf und trifft überraschenderweise seinen Partner Thomas Hübler und einige Kollegen der Spurensicherung an. Ganz Ermittler interessiert ihn der Grund dafür: Dr. Reichel ist keinen natürlichen Todes gestorben. Schon bald kehrt Renner in seinen Dienst zurück und versucht, den Tod des Zahnarztes aufzuklären. Es gibt einige Verdächtige. Doch dann nimmt die Aufklärung eine nicht erwartete Wendung.

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Seitenzahl: 93

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Zahltag

Die Vermutung

Katrin Fölck

Zahltag

Die Vermutung

Copyright: © 2016 Katrin Fölck

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN:

Titelbild: © Fotolia/INFINITY

1

Das Erste, dessen ich mir bewusst werde, ist die Erkenntnis, dass ich atme.

Herrlichen, wundervollen Sauerstoff. Ich nehme ihn in mir auf.

Fülle meine Lungenflügel.

Spüre, wie sie sich aufblähen, wie sich mein Brustkorb hebt und beim Ausatmen ganz langsam wieder senkt. Es ist ein wunderbares Gefühl, am Leben zu sein.

Immer und immer wieder wiederhole ich das Szenario, so, als wäre es ein Spiel. Was es für mich auch ist, denn ich habe nichts anderes zu tun. Einatmen, ausatmen.

Auch, wenn es wehtut.

Einatmen, wieder ausatmen.

Ein ganz natürlicher Reflex. Uns angeboren. Der es uns erst möglich macht, zu leben und uns am Leben hält. Und uns dabei so selbstverständlich ist wie unser Herzschlag, der den Saft des Lebens durch unsere Adern pumpt.

Ich habe das gleichmäßige Piepen der Apparaturen, die meinen Herzschlag, meinen Puls und meinen Blutdruck überwachen, im Ohr, während ich, weich und warm gebettet in einem Krankenzimmer liege.

Infusionen tropfen, langsam wie die Zeit, durch meine Venen. Zum völligen Nichtstun verurteilt, liege ich nur so da und folge meinen Gedanken. Doch, es

sind immer die gleichen Fragen, die sich mir stellen:

Welche Rolle kam Adrian bei meiner Entführung zu? Hatte er mich in eine Falle gelockt? Mich verraten? Um sich selbst zu retten?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Dennoch, wenn er all das nur inszeniert hatte, um mich in Sicherheit zu wiegen? Dann hätten sie ihn doch aber nicht mit einer Waffe bedroht und aus seinem Wagen gezerrt… Oder doch?

Was war mit Adrian passiert?

Wieder und wieder spielen sich die vergangenen Szenen vor meinem geistigen Auge ab. Der Überfall…

Die Hütte.

Das Erdloch, in dem ich liege.

Die Dunkelheit. Die Kälte.

Die Angst, zu sterben.

2

Hübler ist der Erste, der auftaucht, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Da werde ich gerade eingeliefert.

Mein Aussehen schockiert ihn sichtlich, das kann ich ihm ansehen, ist jedoch nicht wirklich verwunderlich, wenn man bedenkt, dass ich gerade meinem Grab entstiegen bin.

Susanne erwischt mich gerade noch auf den letzten Metern, bevor ich ins Untersuchungszimmer geschoben werde. Doch, als ich von da zurückkehre, ist sie bereits wieder weg.

Hübler dagegen ist noch da. Von ihm erfahre ich dann auch, dass es ein Jäger war, der mich gefunden hat. Doch im Grunde genommen war es dessen Hund. Rambo.

Ich erinnere mich. … das Kratzen und Scharren über mir.

Die Untersuchung ergibt, dass ich nicht ganz unversehrt aus meinem kalten Erdloch wiederauferstanden bin. Ich habe mir eine satte Lungenentzündung eingefangen, die nicht nur das Atmen schwer macht und mir Schmerzen in der Brust bereitet, sondern immer wieder zu Hustenanfällen und darauf folgende Panikattacken führt, weil ich fürchte, zu ersticken.

Damit kommt dann die Erinnerung an die kaum zu ertragenden Stunden wieder hoch, die ich hilflos unter der Erde zubringen musste. Allein mit dem Gedanken, immer damit rechnen zu müssen, dass der Sauerstoff zur Neige geht. Mit der ständigen Gewissheit vor Augen, sterben zu müssen und nicht zu wissen, wann es soweit sein würde. Und dieser Fakt startet den Kreislauf wieder von neuem.

3

Sobald es dunkel ist, bin ich nicht mehr allein. Etwas lauert in der Finsternis, um von mir Besitz zu nehmen, Macht und Kontrolle über mich zu bekommen. Und, obwohl weder sicht-, noch greifbar, kann ich es fühlen.

Besser gesagt, s p ü r e n. Und dieses Etwas kenne ich nur zu gut. Es heißt:

A n g s t.

Die Furcht, im Dunkeln alleine zu sein, kenne ich bereits aus meinen Kindertagen. Nur, dass die Kinderjahre inzwischen Jahrzehnte vorbei sind.

Dennoch kann ich mich daran erinnern, wie ich Nacht für Nacht, die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen, ängstlich und mit klopfendem Herzen in die hinterste Ecke meines winzigen Kinderzimmers starrte, wo sich, in der Nische hinterm Schrank, eine dunkle Gestalt befand, dieda natürlich nicht wirklich lauerte, sondern nur in meiner Einbildung existierte, meiner kindlichen Phantasie entsprang. Dennoch war meine Angst vor ihr real.

Ich habe mich nie getraut, mit jemandem darüber zu sprechen, denn, wie sollte ich erklären, dass bei Licht dieses Phantom stets verschwunden war? In meiner kindlichen Naivität glaubte ich wirklich, es würde bei Licht entschwinden und in der Dunkelheit zurückkehren.

Ich erinnere mich, wie mir mein Herz jedes Mal bis zum Hals schlug, während ich versuchte, möglichst flach und geräuschlos zu atmen, damit dieses Etwas nicht auf mich aufmerksam wurde. So bildete ich mir weiterhin ein, wenn ich mich nur ganz mit der Bettdecke zudeckte, könne mich das Etwas vielleicht nicht sehen. Dann kniff ich die Augen zusammen und lauschte panisch, ob das, was da hockte, näher kam, mich zu holen.

Irgendwann schlief ich dann doch immer ein. Auch, wenn ich am Morgen aufwachte und merkte, dass ich noch da und gar nichts passiert war, blieb meine Angst dennoch präsent. Und jede Nacht wiederholte sich dieses Szenario aufs Neue, immer dann, wenn ich alleine in der Dunkelheit zurückblieb.

Diesen Schatten meiner Vergangenheit habe ich erst im Alter von elf Jahren verloren. Und schließlich vergessen. Bis zu dem Tag, als ich mit Adrian zum Wettrennen in die Wüste startete. Seitdem verfolgt er mich wieder, in jeder Nacht und mit jedem Albtraum, den ich wieder und wieder wie in einer Endlosschleife erlebe. Mit einem Unterschied: Hatte ich früher von einem Sandgrab geträumt, finde ich mich jetzt in einem erdigen wieder. Dem Geruchvon Moder ausgesetzt und der Nässe. Hilflos.

Ausgeliefert.

Lebendig dem Tod geweiht.

Im ständigen Kampf mit den Dämonen der Vergangenheit und denen der Gegenwart, kann ich nur verlieren.

4

Eine Tür öffnet sich.

Jemand kommt näher.

Der Boden knarrt.

Ich werde gepackt, versuche, mich einigermaßen zu wehren, sehe die Spritze, fühle den Einstich.

Dann… Filmriss.

Immer und immer wieder drängt sich diese Abfolge in meine Träume. Ich jedoch weiß längst, dass dies Erinnerungsfragmente meiner Entführung sind und keine Hirngespinste.

Doch müssten sich dann nicht auch Spuren davon an mir finden lassen?

Also suche ich meine Arme nach verdächtigen Einstichen und Blutergüssen ab. … und werde fündig. Es gibt sogar eine ganze Menge davon.

Jedoch, wer kann mir sagen, dass diese tatsächlich aus der Zeit meiner Entführung stammen? Mit wem könnte ich darüber reden? Wem meinen Verdacht anvertrauen?

Die ständige Unruhe in mir, das Zittern, der Schüttelfrost und das Schwitzen, genauso wie der trockene Mund und mein übermäßiger Durst könnten Anzeichen dafür sein. Und als ich weiter in mich hineinhorche, packt mich blankes Entsetzen.

War es nicht so, dass mein Körper etwas einforderte, wonach es ihm verlangte, ihm jedoch jetzt versagt blieb?

Für mich wird es langsam zur Gewissheit. Die Zeichen sind eindeutig: Das sind unverkennbar Symptome einer Abhängigkeit.

Meine Entführer hatten mich definitiv unter Drogen gesetzt. Und jetzt war ich auf Entzug.

Große Scheiße, denke ich. Ich bin am Arsch.

5

Auch jetzt lässt mich das Geräusch der sich öffnenden Tür hochschrecken. In Anbetracht des zurückliegenden Martyriums beginnt mein Herz sofort wieder panisch zu schlagen. Der Schweiß bricht mir aus.

Der spärliche Lichtstrahl, der von außen hereindringt, vermag es nicht, meine Umgebung auszuleuchten. Jemand kommt näher. Ich erkenne die Umrisse einer Gestalt. Sehe einen Arm. Die Spritze.

„Nein!“, schreie ich. Doch da werde ich bereits sanft wieder zurück in meine Kissen gedrückt.

Ich höre die Stimme einer Frau, die beruhigend auf mich einredet: „Jetzt schlafen Sie erstmal …“, während das von ihr verabreichte Medikament bereits zu wirken beginnt: „Hat man mich gefunden?“, frage ich matt.

„Es ist alles gut. Sie sind im Krankenhaus.“

Ich schließe die Augen. Um mich ist Finsternis.

Dunkelheit bedeutet Tod.

„Bitte, das Licht anlassen…“ murmele ich, während sich die Tür schließt und ich alleine zurückbleibe.

6

„Sie haben Besuch.“, vernehme ich die Stimme der Krankenschwester, die gerade dabei ist, das Essgeschirr des Frühstücks von meinem Nachtschrank abzuräumen.

Ich öffne die Augen und schließe sie blitzschnell wieder.

Viel zu hell.

Das Licht schmerzt.

Ich bin nicht mehr an Helligkeit gewöhnt. Ich überlege, wie lange ich in völliger Dunkelheit habe zubringen müssen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir das jemand gesagt hat.

Welcher Tag ist heute?

„Renner?“

Ich werde aus meinen Gedankengängen gerissen.

Susannes Stimme erkenne ich, noch bevor ich in ihr ernstes Gesicht sehe.

„Welcher Tag ist heute?“, frage ich.

„Donnerstag.“

„Donnerstag…“, sinniere ich.

„Dann war ich wirklich drei Tage von der Bildfläche verschwunden?“, grinse ich meiner Wortfindung wegen.

Wie passend.

Mit meinem Grinsen bringe ich meine Chefin, Susanne Widmann, völlig aus dem Konzept.

„Renner, ich bin so froh… gefunden worden… am Leben sind … Es ist unfassbar… angetan hat… Tut mir leid… nicht geschafft… wollte vorbeikommen… gratulieren…“, höre ich Susannes Stimme bruchstückhaft zwischen meinen Gedankengängen.

Ich weiß, dass sie einen plausiblen Grund gehabt haben musste, nicht noch am Abend meines Geburtstages bei mir vorbeigekommen zu sein. Um ihr das schlechte Gewissen zu nehmen, versuche ich es auf die spaßige Tour: „Chefin, wenn Sie wollen, dann gratulieren Sie mir eben zu meinem gestrigen Geburtstag. Meinem zweiten der besonderen Art, sozusagen…“

Ich finde mich witzig. Sie jedoch lacht nicht. Dafür kann ich sehen, wie sich ihre Augen mit Tränen füllen.

Ich wende mich ab. Tränen sind das, was ich gerade nicht gebrauchen kann. Ich will kein Mitleid.

Mittlerweile hat sie ihre Sprache wieder gefunden: „Immer einen Scherz auf den Lippen…, was Renner?

Gott… Ich bin so froh, dass Sie leben… Wir holen die Feier nach. Versprochen.“

Dass ich nicht auf große Feiern stehe, behalte ich besser für mich.

Ich fange an zu husten. Das steigert sich bis zum Krampf.

Meine Brust wird eng. Wie zugeschnürt. Ich bekomme keine Luft.

Susanne drückt den Notruf.

Eine Krankenschwester stürzt ins Zimmer und legt mir eine Nasensonde an, durch die ich reinen Sauerstoff atme.

„Ganz ruhig. Langsam atmen. Ja, so ist es gut.“, versucht sie, mich zu beruhigen.

„Ich hatte Ihnen doch gesagt, nur fünf Minuten!“, weist sie meinen Besuch zurecht.

Susanne guckt schuldbewusst.

Ich versuche ein Grinsen. Das entartet.

Wieder muss ich husten. Und alles beginnt von neuem.

Die Schwester scheucht meine Chefin aus dem Zimmer. Diese fügt sich. Jedoch nicht wortlos. Sie schickt mir noch ein: „Renner, ich komme wieder, bald.“ in meine Richtung, bevor sie geht.

Die Krankenschwester bleibt so lange, bis sich meine Atmung wieder stabilisiert hat.

„Falls was ist, Sie wissen ja, einfach klingeln…“

7

Susanne und Hübler sitzen links und rechts von mir. Irgendwie sind sie seltsam. Als ich sie frage, was es Neues gibt, drucksen sie herum.

Hübler beginnt, auf seinem Stuhl hin- und herzurutschen. Das macht er immer, wenn er nervös ist. Susanne sieht auf den Boden.

„Es ist wegen Adrian.“, beginnt Hübler.

„Was ist mit ihm?“, frage ich, während ich zu ihm hin sehe.

„Sie haben ihn gefunden.“, sagt Susanne.

„Was heißt gefunden?“, frage ich, während ich nun die Blickrichtung wechsle.

Sie sieht unsicher zu Hübler, so, als wüsste sie nicht, wer von Beiden mir die unliebsame Nachricht mitteilen sollte. Dann tut sie es: „Renner, es tut mir außerordentlich leid … Er ist tot.“

Ihre Worte schlagen ein wie eine Bombe. Sie treffen mich völlig unvorbereitet.

Ich erstarre, unfähig, noch irgendeine Gefühlsregung zu zeigen.

Irgendwie ist es gerade wie sterben.