Zambija - Dan Gronie - E-Book

Zambija E-Book

Dan Gronie

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Beschreibung

Die sechzehnjährige Kathrin Mitchell hat von ihrer Großmutter ein Medaillon geerbt. Von dessen Macht erfährt Kathrin erst, als sie den Zauberer Argon trifft, der sie und ihren Freund aus der Menschenwelt nach Zambija entführt. Um Zambija vor dem drohenden Untergang zu bewahren, muss sie sich dem einstigen Herrscher der Unterwelt stellen. Doch um ihn zu besiegen, müssen alle sieben Medaillons und ihre Träger vereint werden.

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Seitenzahl: 656

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Dan Gronie

Zambija

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Erweitertes Impressum

Bücher von Dan Gronie

Widmung

Zitat

Prolog

Völlig out

Mit Musik geht alles besser

Der mysteriöse Fremde

Teestunde mit Argon

Traue niemals einem Fremden

Auf die Folter spannen

Glotz nicht so dämlich!

Argon will alles erklären, aber dann ...

Zauberer gibt es nicht, oder?

Die letzte Hüterin

Ein Traum geht in Erfüllung

Peppi, der Pfeifenmacher

Das Geheimnis der sieben Medaillons

Wenn Kathrin schon sterben soll, dann bitte nicht so!

Die besondere Gabe

Hals über Kopf

Neue Freunde! Neue Liebe?

König der Zwerge

Wen liebt sie denn nun mehr?

Die Blutmoore

Der König der Elben

Schön, wenn man sich einig ist

Die Debatte der Zauberer

Der sagenumwobene Königsberg

Leovy hütet ein Geheimnis

Reise in die Vergangenheit

Flucht oder Kampf?

Wieder daheim

Der Held ist müde geworden

Ein fataler Fehler

Der Tod tut ihm nicht weh

Am Boden zerstört

Auf Augenhöhe mit Gaia

Das Göttertribunal

Selbst der Tod kann uns nicht trennen

War es Verrat?

Anführer der Riesen

Von Zweifeln geplagt

Jetzt kommt's drauf an

Der Verräter wird enttarnt

Ist nicht so schlimm!

Kathrin hat ihren eigenen Kopf

Abschied nehmen oder so

Wieder zu Hause, trotzdem nicht glücklich

Personen-, Orts-, und Sachverzeichnis

Danksagung

Impressum neobooks

Erweitertes Impressum

Alle Rechte liegen beim Autor. Die Verbreitung dieser E-Book-Ausgabe in jeglicher Form und Technik, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.

Titel: Zambija

Copyright © 2023 by Dan Gronie

Umschlaggestaltung: Dan Gronie

Bild Kathrin mit Wolf von Nusypanka auf Pixabay,

Bild Buchcover von Dorothe (Darkmoon Art) auf Pixabay,

Bild Einhorn von Silvia (P. Design) auf Pixabay

E-Book-Ausgabe: neobooks, München

Vollständige E-Book-Ausgabe März 2023 entspricht der im BoD Verlag erschienenen Buchausgabe 1. Auflage März 2023

Bücher von Dan Gronie

Band 1: Kaspar - Die Reise nach Feuerland

Band 2: Kaspar - Der magische Rubinschädel

Band 3: Kaspar - Das Geheimnis von Eduan

Band 1: ANDOR - Rätsel der Vergangenheit

Band 2: ANDOR - Reise durch das Weltentor

Band 3: ANDOR - Gestrandet auf Pelos

Estalor - Rückkehr der Höllenschlange

Denny entdeckt Köln

Widmung

Die Widmung dieses Buches ist aufgeteilt:

In ewiger Liebe meiner Frau Ursula,

die das Leben mit mir teilt

und mein Herz besitzt.

Für Doris und Steffen,

zwei lebenslustige Menschen,

die mir sehr am Herzen liegen.

Für Hanni,

die Lebensgefährtin meines Vaters,

die bis zur letzten Sekunde an seiner Seite stand.

Zum Gedenken an meine

Großmutter Katharina,

von ganzem Herzen.

Danke für eine unbeschwerte Kindheit.

Zum Gedenken an meinen

Vater Jakob,

der alle meine Bücher las.

Vielen Dank für alles.

Zitat

Es gibt viele Geschichten,

die uns unglaublich erscheinen,

aber steckt nicht in jeder dieser Geschichten

ein Funke an Wahrheit?

Dan Gronie

Prolog

Dichter Nebel zog am frühen Morgen über das Gras bewachsene, hügelige Land, auf dem ein hoher, steiler Berg wie der Thron eines Königs emporragte. Entsetzliche Schreie durchbohrten die Stille. Auf der Ostseite des Berges tobte eine wilde Schlacht zwischen Menschen und Zwergen. Die Zwerge verteidigten einen alten Stollen, der tief in den Berg hineinführte, aus dem sie unermessliche Bodenschätze ans Tageslicht gefördert hatten. Eines Tages wurde der König des Nachbarlandes neidisch auf den Reichtum der Zwerge und verlangte einen Teil des Schatzes, weil sich die eine Hälfte des Berges auf seinem Land befand. Die Zwerge aber wollten den Reichtum nicht teilen, und deswegen war diese blutige Schlacht entbrannt.

Garnisch Isonei, der Anführer der Zwerge, spaltete einem Menschen mit seiner doppelschneidigen Axt den Schädel. Garnisch atmete durch. Den Stiel der Axt hielt er mit seinen schwieligen Händen fest umklammert. Er war zwar erschöpft vom Kampf, dennoch spornte ihn der Hass auf die Menschen an, und er stürzte sich wieder ins Kampfgetümmel. Sein überaus finsterer Blick ließ manch einen Feind vor ihm zurückweichen, doch Garnisch war schnell, fliehen konnte niemand vor ihm. Seine Feinde mussten sich seinen Kampfkünsten stellen.

Früher einmal hatten alle Andersartigen gemeinsam mit den Menschen friedlich zusammengelebt. Doch diese Zeit war schon lange vorbei. Es war ein finsteres Zeitalter angebrochen, in dem die Welt völlig aus den Fugen geraten war. Die Könige der Menschen wurden größenwahnsinnig, sie strebten nach Macht und Reichtum. Ohne Rücksicht auf die zivilen Verluste, zettelten sie blutige Kriege an und verbündeten sich mit den Orks, den Ogern und den Trollen. Niemand war vor diesen Königen mit ihren Armeen mehr sicher. Sie führten Kriege gegen die Zwerge und Elben, aber auch gegen die Riesen. Sie jagten die Werwölfe und töteten sie, sie verbrannten Hexen und Zauberer – nur so zum Spaß.

Den Menschen kam zu Gute, dass sich Zwerge und Elben nicht sonderlich gut verstanden und sich in erbarmungslosen Schlachten gegenseitig dezimierten.

Garnisch stand einem kampferfahrenen Soldaten Auge in Auge gegenüber. Dann stieß Garnisch einen wütenden Schrei aus und schickte den Soldaten ins Jenseits, bevor er sich mit erhobener Axt und einem lauten Schrei gegen einen Ork warf, der an der Seite der Menschen kämpfte. Menschen hasste er wie die Pest, aber der Hass auf die Orks war noch größer. Bevor Garnisch zum Schlag ausholen konnte, griff der Ork ihn an und schleuderte ihn von sich weg wie eine Spielzeugfigur.

Garnisch traf hart auf dem Boden auf, und sein Kettenhemd drückte sich dabei in den Rücken. Er unterdrückte einen Schmerzensschrei und stellte sich wieder dem massigen Ork entgegen, der ihn mit seiner mächtigen Eisenkeule erwartete. Garnisch musterte die Plattenrüstung des Orks und kam zu dem Schluss, dass seine Axt sie nicht durchbrechen konnte. Aber die Beine und die Achseln des Orks waren ungeschützt.

Für einen kurzen Augenblick grinste Garnisch breit und griff mit eisiger Miene den Ork an. Garnisch duckte sich vor der mächtigen Eisenkeule, die wie ein Geschoss auf seinen Kopf zuraste, dann schlug er dem Ork seine Axt in die rechte Wade. Der Ork schrie gellend auf und sackte mit den Knien zu Boden. Garnisch fackelte nicht lange, wollte die Kehle des Orks zerschlagen, aber der Ork erhob seine Eisenkeule und schlug zu. Garnisch wich dem tödlichen Schlag aus, doch zuvor grub sich die Schneide seiner Axt in die rechte Achsel des Orks. Dunkelgrünes Blut rann aus der tiefen Wunde zu Boden. Der Ork fiel auf den Rücken. Garnisch war rasch über ihm und sah, dass der Ork sehr viel Blut verlor. Der Ork schlug mit seiner Eisenkeule nach Garnisch, der einfach nur zurückwich.

»Du hast dir die falschen Verbündeten ausgesucht, verfluchter Ork«, sprach der Zwerg mit finsterer Miene. »Den Menschen kann man nicht trauen.«

Der Ork schlug wieder nach dem Zwerg, doch der Versuch den Zwerg zu erwischen, war vergebens.

»Du wirst mit all den Menschen hier sterben«, sagte Garnisch aufgebracht und fuhr dann fort: »Genauso wie alle deine Artgenossen, Ork.«

Mit dem letzten Wort traf die Axt von Garnisch das linke Bein des Orks, und er schlug ihn damit zum Krüppel.

»Ein schneller Tod wäre viel zu milde für dich, Ork.« Die Stimme des Zwerges schwoll gefährlich an: »Du wirst langsam sterben ... verbluten. Und du wirst bei lebendigem Leib miterleben, wie die Geier und Krähen dein Fleisch fressen werden.«

Garnisch Isonei kehrte dem sterbenden Ork mit einem verächtlichen Blick den Rücken zu und stand schon seinem nächsten Feind gegenüber. Es war ein stämmiger Mann in einer Rüstung, der ein Breitschwert führte und gerade einem Zwerg eine Stichverletzung zugefügt hatte. Als der Mensch mit seinem Schwert zum Todesstoß ausholen wollte, schritt Garnisch dazwischen und attackierte ihn mit seiner doppelschneidigen Axt. Garnisch hieb zu, doch der Mensch wehrte den Axthieb gekonnt ab. Sofort drehte Garnisch sich herum und schlug mit der anderen Schneidseite seiner Axt zu, aber auch diesen Schlag wehrte der Mensch ab. Der Axthieb von Garnisch war aber so wuchtig, dass der Mensch dabei in die Knie ging. Hass funkelte in den dunklen Augen des Zwerges, als er die Axt auf den Kopf seines Gegners hinabsausen ließ. Doch der Mensch erhob das Breitschwert, und die beiden Waffen trafen klirrend aufeinander.

»Ich werde dir den Kopf spalten«, versprach ihm Garnisch.

»Du wirst Dreck fressen, wenn du sterbend auf dem Boden liegst, Zwerg«, entgegnete der Mensch und stand kampfbereit vor Garnisch.

»Na, dann komm her und versuch dein Glück, stinkender Mensch«, schimpfte Garnisch und hieb schwungvoll mit der Axt zu, doch der Mensch wehrte den Angriff abermals geschickt ab.

»Du, widerlicher Zwerg, wirst mich um dein Leben anbetteln, wenn du im Dreck vor mir liegst«, spottete der Mensch.

Garnisch wurde wütend und attackierte seinen Gegner und trieb ihn über das Schlachtfeld vor sich her, doch Garnisch konnte dessen Abwehr nicht durchbrechen. Dann stand das Schicksal auf der Seite von Garnisch, als der Mensch rücklings über einen Toten zu Boden stolperte.

Als Garnisch seinem Gegner den Todeshieb versetzten wollte, wurde er von einem anderen Menschen angegriffen und musste sich zur Wehr setzen. Garnisch duckte sich unter einem waagerecht geführten Hieb seines Gegners hindurch, wirbelte um die eigene Achse und schlug mit aller Wucht zu. Die Axt des Zwerges fand sein Ziel und schlug in den Magen seines Feindes ein, der sterbend zu Boden fiel.

Garnisch wandte sich sofort seinem ursprünglichen Gegner zu, der wieder auf den Beinen war und sich auf den Angriff des Zwerges vorbereitete. Zwerg und Mensch starrten sich an, die Zeit schien für Garnisch einen Augenblick stillzustehen. Garnisch konzentrierte sich auf den Angriff und horchte, und es schien ihm, als würde das Kampfgeschrei und das Klirren der Äxte und Schwerter mit einem Mal leiser werden.

Garnisch erkannte deutlich, dass sein Gegenüber verunsichert war. Er sah, wie das rechte Auge seines Gegners zuckte. Der Zwerg trat einen Schritt vor, und zugleich warf sich der Mensch mit einem Schrei gegen ihn. Der Zwerg duckte sich unter dem Schwerthieb hinweg und zerschmetterte mit seiner Axt den rechten Fuß seines Gegners; zugleich wandte der Zwerg sich rasch an seinem Feind vorbei, und seine Axt grub sich knirschend in dessen Rückenpanzer. Als der Zwerg die Axt aus dem Panzer zog, floss rotes Blut aus dem länglichen Loch und tropfte zu Boden.

Der Mensch war besiegt und versuchte humpelnd zu fliehen. Doch der Zwerg trat schnell an seine Seite und sagte spöttisch: »Mein Name ist Garnisch. Überbring deinem König einen schönen Gruß von mir, und sage ihm, dass ich auf seine Männer warten und jeden Einzelnen töten oder verstümmeln werde.«

Garnisch ließ den schwer verletzten Menschen ziehen und suchte sich einen neunen Gegner.

Die Schlacht tobte weiter. Garnisch brachte noch viele Feinde zur Strecke. Die Zwerge besiegten zwar die Menschen und die Orks in dieser Schlacht, aber die Verluste waren groß. Garnisch schlug dem König persönlich den Kopf von den Schultern und spießte ihn auf einer Lanze auf, die er in den Boden steckte, sodass jeder den Ausdruck des Schreckens im Gesicht des toten Königs sehen konnte.

Es war ein grausames Zeitalter, und nach dieser blutigen Schlacht folgten noch sehr viele Schlachten. Menschen gegen Zwerge. Menschen gegen Elben. Zwerge gegen Elben. So konnte es nicht weitergehen, und aus diesem Grund trafen sich heimlich acht hochrangige Zauberer, um einen Plan zu schmieden, damit das entsetzliche Blutvergießen ein Ende finden würde. Die Zauberin Urna war die Anführerin und besaß zwei außergewöhnliche Gaben: Sie konnte einen Schutzzauber aussprechen und sie konnte das Feuer beschwören.

Es war eine glasklare Herbstnacht, als sich die acht Zauberer, bei der alten Kultstätte trafen, die mitten im Wald auf einer kleinen Lichtung lag. Acht mächtige Obelisken standen in einem Kreis beisammen. Urna hatte eine Eingebung gehabt, die sie den anderen Zauberern persönlich mitteilen wollte.

Da die Zauberin von den Königen der Menschen als Verräterin entlarvt und auf sie und ihre Anhänger ein hohes Kopfgeld ausgesetzt worden war, war Urna immer besonders aufmerksam bei solchen Treffen.

Die Zauberin hob langsam die Nase nach Westen und schnüffelte wie eine Raubkatze. »Hier stimmt etwas nicht«, sagte Urna besorgt, als alle Zauberer eingetroffen waren. »Orks«, sagte sie kurz, und die Zauberer bildeten einen Kreis, damit ihnen niemand in den Rücken fallen konnte.

Eine Horde Orks hatte scheinbar Wind davon bekommen, wo sich die Zauberin und ihre Anhänger im Wald treffen wollten, und sie lagen bereits hier auf der Lauer.

Der Atem des massigen Orks, der aus dem Schatten eines mächtigen Laubbaumes auf die Lichtung trat, roch wie eine vollgelaufene Latrine. Er sah Urna in die Augen und zog die Riemen seines Brustpanzers enger um seinen muskulösen Körper. Dann nahm er mit der rechten Hand eine Streitaxt und mit der linken Hand einen Streithammer vom Waffengürtel ab.

»Ihr könnt leben oder sterben«, knurrte der Ork die Zauberer an. »Ist allein eure Entscheidung«, zuckte er gleichgültig mit den breiten, behaarten Schultern.

Eine Horde von etwa vierzig Orks trat hinter ihrem Anführer aus dem Wald heraus. Doch die Orks waren nicht die einzigen Feinde, denn aus östlicher Richtung kamen vierzig Soldaten der Menschen aus dem Laubwald auf die Lichtung, die sich auch das Kopfgeld verdienen wollten, das auf die Zauberer ausgesetzt war.

Die Hoffnung von Urna, dass sich die beiden Parteien in einem Streit gegenseitig vernichten würden, wurde mit dem Satz zerschlagen, den der Anführer der Orks zu den Soldaten der Menschen hinüberrief: »Das Kopfgeld reicht für uns alle.« Der Anführer der Soldaten nickte dem Ork einwilligend zu. Einige Soldaten nahmen ihre Schwerter zur Hand, andere wiederum spannten ihre Bögen und zielten damit auf die Zauberer.

Ein Kampf schien unvermeidbar, denn Urna und die anderen Zauberer wollten sich nicht den Königen unterwerfen. Die Zauberer hatten sich vorgenommen alle Andersartigen, die sich nicht mit den Menschen verbündet hatten, zu retten, und dafür wollte Urna ein Bündnis mit den Göttern eingehen.

Magie gegen Stahl. Eine Übermacht gegen acht Zauberer. Wer würde diese Schlacht gewinnen?

Urna wusste ganz genau, dass ihre Vision von einer friedlichen Welt, in der alle Andersartigen leben konnten, mit einem Schlag vernichtet wäre, wenn sie sich heute ergeben würden. Sie war sich sicher, dass alle acht Zauberer ihr Leben verlieren würden, wenn sie an die Könige ausgeliefert würden.

Also blieb nur eine Option übrig: Der Kampf!

»Verdammte Orks, verfluchte Menschen«, sagte Ombata hasserfüllt, der an Urnas rechter Seite stand und seinen langen Zauberstab, der einen knubbeligen Knauf besaß und ihm auch als Wanderstock diente, gegen die Orks erhoben hatte.

Weitere Orks traten aus dem Wald heraus.

»Es sind zu viele«, flüsterte Ronwald, an Ombata vorbei, Urna zu.

»Was willst du denn machen, Ronwald?«, wandte sich Ombata ihm zu. »Dich etwa ergeben?«, fragte er.

»Natürlich nicht«, sagte Ronwald erzürnt.

»Wir sollten alle Orks und Menschen vernichten«, fluchte Ombata.

»Nicht alle Menschen sind schlecht, Ombata«, mahnte Urna ihn zur Vernunft, »und auch nicht alle Orks. Wir müssen nur ihre törichten Anführer töten und sie durch kluge und friedfertige ersetzen«, ergänzte sie.

Ein kurzes Schweigen lag in der Luft.

»Ja«, knurrte Ombata nur.

Urna wandte sich wieder den Orks zu und wartete auf den Angriff.

»Eins sollst du noch wissen, Urna, falls ich heute hier sterben sollte«, sagte Ombata. »Es ist mir eine Ehre an deiner Seite zu stehen und für unser gemeinsames Ziel mein Leben zu geben.«

»Danke, für deine Loyalität, Ombata«, erwiderte Urna und ergänzte: »Aber niemand von uns wird heute hier sterben.«

Sie sagte das mit so einer Überzeugungskraft, dass Ombata kurz zusammenzuckte und sich schweigend den Orks zuwandte.

Dies waren kriegerische Zeiten, und deshalb hatte Urna auch kein Mitleid mit ihren Feinden. Überall in den Königreichen flammten Auseinandersetzungen zwischen den Menschen und den Andersartigen auf. Es gab Gerüchte, dass auch Vampire und Einhörner Opfer der menschlichen Gewalt wurden.

Urna konnte es genau spüren, der Angriff stand unmittelbar bevor. Sie schloss die Augen. Der Anführer der Orks brüllte und stürmte über die Lichtung hinweg, auf die Zauberer zu. Seine Horde von nun etwa sechzig Orks folgte ihm dichtauf.

»Mögen die Götter uns beistehen«, flüsterte Ombata, senkte kurz den Blick und sprach ein leises Gebet.

Die Zauberer beschworen Blitze mit ihren langen Zauberstäben herauf, die über die Lichtung wie Geschosse hinwegflogen und sich in das Fleisch und die Eingeweide der Orks bohrten. Doch der Ansturm war zu groß, als dass die Blitze sie alle aufhalten konnten.

Von der anderen Seite her, stürmten etwa zwanzig Soldaten auf die Zauberer zu. Etwa weitere zwanzig Soldaten spannten ihre Bögen, und im nächsten Moment flogen Pfeile über die Köpfe der heranstürmenden Soldaten hinweg, auf die Zauberer zu.

Urnas Körper leuchtete auf, und bevor die Pfeile in den Kreis der Zauberer einschlagen konnten, verbrannten sie in der Luft und verkohltes Holz rieselte wie Schneeflocken vom Himmel auf die Zauberer herab.

Die Orks stürmten heran und drohten die Zauberer einfach zu überrennen.

Urnas Augen glühten wie heiße Kohlen, und plötzlich stand ihr Körper in Flammen. Die Zauberer wichen erschrocken zurück, denn sie wussten nichts von Urnas besonderen Gaben.

Von Urnas Körper löste sich eine Feuerwalze und bewegte sich auf die heranstürmenden Orks zu, die keine Zeit mehr hatten zu fliehen. Sie verbrannten alle, bevor sie die Reihe der Zauberer erreichen konnten. Das gleiche Schicksal erwartete die heranstürmenden Soldaten. Die Bogenschützen flohen.

Urnas Körper kehrte wieder in den Normalzustand zurück.

»Du ... du besitzt eine Macht, mit der wir die Menschen vernichten können.« Ombata fand als erste die Worte wieder.

Urna schüttelte nur den Kopf. »Hört mir jetzt alle genau zu«, sagte Urna eindringlich. »Ich weiß, dass ich zwei mächtige Gaben besitze, aber ich werde sie nicht zur Vernichtung einer ganzen Rasse einsetzen«, sagte sie mit Nachdruck. »Meine Vision ist der Frieden!«

»Ja, aber ...«, fing Ronwald an und schwieg sofort, als Urna ihn mahnend ansah.

»Ich werde meine Gaben zur Verteidigung unseres Lebens nutzen, nicht für eine Massenvernichtung«, machte Urna nochmals deutlich.

Einen Tag später versuchten die Zauberer Kontakt zu den Göttern aufzunehmen, aber den Göttern schien es wohl egal zu sein, was aus den Andersartigen wurde, und Urna stand kurz vor einem Scheideweg und spielte mit dem Gedanken, Ombatas Vorschlag zu überdenken. Sie konnte die Kriege mit einem Mal beenden, in dem sie sämtliche Könige und deren Armeen tötete. Doch dann musste sie auch deren Familien, Frauen und Kinder töten, wenn sie sicher sein wollte, dass niemand aus Rache wieder Armeen gegen die Andersartigen aufstellen würde.

Urna und die Zauberer starteten einen letzten Versuch und fanden unerwartet Gehör bei Zeus und seinen Geschwistern. Die Zauberer erklärten ihre Situation und taten sich mit diesen Göttern zusammen und schufen eine neue Welt:

Z a m b i j a

Die Götter taten dies nicht aus purer Gutmütigkeit. Sie befürchteten ein Ungleichgewicht in der Welt und sahen ihre Zukunft gefährdet, denn die Menschen hatten viel Schlimmeres getan als sich mit Orks, Ogern und Trollen zu verbünden. Sie waren ein Bündnis mit den Dämonen eingegangen und erlaubten ihnen den Zutritt zur Menschenwelt. Nun mussten die Götter reagieren und konnten sich nicht mehr heraushalten. Die Göttin Gaia erschuf in dieser düsteren Zeit sieben goldene Halsketten mit silberweißen, göttlichen Medaillons, um die Dämonen aus der Menschenwelt wieder zu vertreiben.

Urna und die Zauberer bekamen, was sie angestrebt hatten, und ihre Vision von einer friedlichen Welt wurde fürs Erste erfüllt. In Zambija durften alle Andersartigen leben, die in der Menschenwelt nicht mehr zurechtkamen.

Zwerge und Elben schlossen nach Jahrzehnten kriegerischer Auseinandersetzung endlich Frieden. Auch Zauberer, Riesen, Werwölfe und Einhörner bekamen einen Platz in dieser neuen Welt. Auch die Vampire erhielten ein Gebiet für sich.

Aber auch all die Ungeheuer wie Orks, Oger und Trolle hatten die Menschenwelt verlassen müssen und lebten von nun an in Zambija, in der Verbotenen-Zone, auch das Dunkel-Land genannt. Dieses Land wurde vom restlichen Zambija mit einer magischen Barriere getrennt.

Die Welt der Menschen und Zambija existieren seitdem parallel zueinander, und somit sind beide Welten eng miteinander verbunden.

Die Könige der Menschen bekriegten sich wieder untereinander und der Frieden in der Menschenwelt kehrte erst ein, als die Könige begriffen hatten, dass Krieg nur Tod, Elend und Zerstörung brachte.

Lange, lange Zeit herrschte Frieden in Zambija, aber Frieden ist nichts für die Ewigkeit.

Völlig out

Drei Jahre waren nun schon vergangen, seitdem Kathrin Mitchell mit ihrer Mutter und ihrem Bruder von Würzburg an den Ammersee umgezogen waren. Kathrins Vater war ein Jahr zuvor durch einen Autounfall ums Leben gekommen, und in dem gleichen Jahr hatte Kathrin noch einen Schicksalsschlag zu verkraften gehabt, als ihre Großmutter unerwartet verstorben war.

An einem sonnigen Nachmittag saß Kathrin auf einer Bank im Uttinger Summerpark und ließ ihren Blick gedankenvoll über den herrlichen Ammersee schweifen. Nach der Schule kam sie gerne hierher, um auszuspannen. Sie wandte den Blick nach links, als das Horn des Schaufelraddampfers ertönte, der gerade vom großen Steg ablegte. Kurz danach kehrte wieder Ruhe ein, und sie beobachtete, wie ein Schwarm Enten über den See, in Richtung Südufer flog, wo sich ein Vogel- und Naturschutzgebiet befand.

Kathrin dachte an die verflixte Schule. Auf dem Gymnasium lief nicht alles so gut, wie sie es sich erhofft hatte. Mit dem Lernen klappte es schon, aber mit ihren Mitschülern kam sie nicht zurecht. Die einzigen guten Freunde, die sie in der Klasse hatte, waren Patrick Noske und Ben Krämer, Patricks bester Freund. Es gab zwar auch den ein oder anderen Mitschüler mit dem Kathrin mal ein Wort wechselte, aber das war selten. Vielleicht lag es daran, dass sie manchmal launisch war. Das war dann der Fall, wenn sie an ihren Vater und an ihre Großmutter dachte. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie kein Handy besaß und oft Klamotten anzog, die total out waren. Rolf Eschbach und Juliane Bauer waren die Schlimmsten in ihrer Klasse, die Kathrin oft damit aufzogen.

»Ah, hier steckst du wieder«, sprach Patrick sie von der Seite an.

Kathrin zuckte vor Schreck zusammen.

»Hast du dich erschrocken?«, fragte Patrick und grinste breit, sodass seine weißen Zähne zum Vorschein kamen.

»Ja«, nickte Kathrin und zeigte ihr erstes Lächeln an diesem Tag.

»Noch ein Platz frei bei dir?«

»Klar doch.«

»War mal wieder ein doofer Schultag«, bemerkte Patrick und verzog leicht die Mundwinkel.

»Ja«, brummte Kathrin und das Lächeln in ihrem Gesicht verschwand.

»Was war denn los zwischen dir und Rolf?«, fragte Patrick neugierig.

»Er ist ein Arsch«, schimpfte Kathrin.

»Ja, das ist er«, bestätigte Patrick und musste leicht lächeln.

Okay, dachte Kathrin und versuchte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Patrick war umwerfend. Kathrin könnte sich vorstellen, mit ihm eine intimere Beziehung einzugehen, aber das wollte sie jetzt noch nicht. Sie wollte im Augenblick einen Freund, mit dem sie etwas unternehmen konnte, der sie respektierte und ihr zuhörte.

Patrick war sechzehn Jahre, so alt wie sie, und er war ein kluger, charmanter und gutaussehender Junge, der bei den Mädchen in ihrer Klasse total angesagt war, aber Patrick machte sich nichts aus ihnen, sondern hing gerne mit ihr ab, und das machte Kathrin total glücklich.

»Tja, also das mit Rolf heute ...«, fing Kathrin an, und Patrick fiel ihr ins Wort: »Wenn du's mir nicht erzählen möchtest, ist das schon okay, Kathrin.«

Kathrin schwieg und beobachtete die vielen kleinen Segelbote auf dem See. Ein Motorboot fuhr nahe am Ufer vorbei, kurz darauf rollten kleine Wellen ans Ufer. Wo hat der denn seinen Bootsführerschein gemacht?, dachte Kathrin.

»Wirklich, es ist okay«, wiederholte Patrick und fragte: »Was hast du heute noch ...«

»Ich will es dir aber erzählen, Patrick«, unterbrach Kathrin ihn mit fester Stimme und sagte dann: »Ich finde nur manchmal nicht sofort die richtigen Worte.«

»Geht mir manchmal auch so«, sagte er, obwohl das eine Lüge war, wie Kathrin wusste. Sie hatte nämlich noch nie erlebt, dass Patrick die Worte ausgegangen wären oder er keine vernünftige Antwort auf eine Frage gehabt hätte.

Kathrin senkte leicht den Blick. »Rolf hat zu mir gesagt, dass meine Jeans so aussähe, als stamme sie aus den achtziger Jahren und dass mein T-Shirt mir viel zu groß wäre ...«

»Aha«, sagte Patrick nur.

»Na ja«, sagte Kathrin und hob den Blick.

»Das war ja nicht so schlimm. Das war aber noch nicht alles, oder?«, hakte Patrick nach.

Kathrin sah ihm fest in die Augen.

»Er hat über meine Mutter gelästert und gesagt, dass sie mir und meinem Bruder noch nicht einmal anständige Kleidung kaufen könnte und dass sie die Kleidung für uns im Secondhandshop kaufen würde«, brummte Kathrin zornig.

»Fieser Typ«, sagte Patrick.

»Ja.«

»Und er hat außerdem noch gesagt, dass meine Mutter eine Versagerin wäre und deswegen jedes Wochenende als Putzfrau arbeiten müsste«, ergänzte sie.

»Wow, das ist aber krass«, sagte Patrick. »Und was hast du darauf geantwortet?«, wollte er wissen.

Kathrin zog die rechte Augenbraue hoch.

»Oha«, sagte Patrick und sah ihr ernst in die Augen. Vielleicht ahnte er ja schon, was Kathrin nun sagen würde.

»Nun ja, ich habe ihm eine blutige Nase verpasst«, antwortete Kathrin.

»Gut so, das hat er verdient«, nickte Patrick, »aber du solltest vielleicht demnächst nicht so impulsiv reagieren.«

»Und was stellst du dir so vor, was ich tun sollte?«, fragte sie aufgewühlt.

Sie sahen sich schweigend an. Kathrin war sich sicher, richtig gehandelt zu haben. Rolf hatte sich das selbst eingebrockt. Da sie mit Worten manchmal nicht so geschickt umgehen konnte wie Patrick, waren halt die Fäuste ihre Argumente. Ihre Mutter hatte es nämlich nicht leicht gehabt, nach dem Tod ihres Vaters. Sie arbeitete als Verkäuferin im Supermarkt. Finanziell kamen sie so gerade eben über die Runden, aber auch nur, weil ihre Mutter noch einen zweiten Job ausübte. Jeden halben Samstag arbeitete sie als Reinigungskraft bei einer großen Firma. Niemand hatte das Recht, ihre Mutter dermaßen zu beschimpfen.

»Entschuldigung, Patrick«, sagte Kathrin aufrichtig und unterbrach damit das Schweigen. »Ich wollte dich nicht anschnauzen.«

»Ist schon okay, Kathrin ...«, fing Patrick an, und Kathrin sagte: »Ist es nicht. Es tut mir leid, Patrick. Du bist ein sehr guter Freund, den besten den ich habe, und ich ...«

»Was hat denn Rolf danach getan?«, lenkte Patrick das Gespräch in eine andere Richtung.

»Dieser kleine ... er hat ...«, Kathrin kniff wütend die Augen zusammen, doch dann lächelte sie vergnügt, »... geflennt und ist weggerannt«, doch kurz darauf verfinsterte sich ihre Miene wieder. »Dann musste ich zum Rektor und hab mir eine lange Predigt von ihm anhören müssen.«

»Was?«, sagte Patrick erzürnt und ein Ruck ging durch seinen Körper. »Rolf hat dich beim Rektor verpfiffen? Dieser fiese Schei... Dafür wischen wir ihm noch eins aus.«

»Okay«, lachte Kathrin fröhlich. »Hm, tja Patrick, jetzt hast du dich aber nicht im Griff.«

Sie sahen sich in die Augen und lachten laut los. Kathrins Herz schlug schnell. In diesem Moment hätte sie Patrick gerne geküsst.

»Bald sind ja wieder die Ritterspiele auf Schloss Kaltenberg«, lenkte Patrick das Gespräch in eine völlig andere Richtung. »Gehen wir dieses Jahr wieder zusammen dorthin?«, fragte er vorsichtig.

»Klar. Wird bestimmt wieder super«, freute sich Kathrin.

Patrick lächelte sie an. »Ja, das denke ich auch.«

»Siehst du den Typen da drüben?« Kathrin zeigte auf den See. »Der fällt gleich von seinem Paddelbrett ins Wasser.« Kaum hatte Kathrin den Satz beendet, plumpste der junge Mann kopfüber in den See.

Beide lachten wieder drauflos. Kathrin warf wieder einen Blick zum Dampfersteg und fragte Patrick: »Sollen wir am Wochenende ins Strandbad gehen?« Das Strandbad lag kaum zwei Minuten Fußweg vom Steg entfernt.

»Gerne«, antwortete Patrick.

Patricks Smartphone summte. Er nahm es aus der Hosentasche und warf einen Blick auf das Display.

»Oh, es ist meine Mutter. Da muss ich mal eben rangehen«, entschuldigte er sich bei Kathrin.

Kathrin nickte ihm zu.

»Hallo, Mom«, meldete sich Patrick freundlich. »Ich bin mit Kathrin am See«, sagte er. »Ah, okay. Kann ich machen ... also, Butter und Milch ... ja, und Mehl«, wiederholte er, legte auf und wandte sich Kathrin zu: »Meine Mutter will heute noch einen Kuchen backen, und ich soll dafür noch etwas besorgen.«

»Musst du sofort gehen?«, fragte Kathrin.

Patrick schüttelte den Kopf. »Ein bisschen Zeit habe ich noch. Tja, manchmal kann das Ding hier auch ein Fluch sein«, sagte er und hob sein Smartphone empor, bevor er es in der Hosentasche verschwinden ließ.

»Damit habe ich kein Problem«, lächelte Kathrin vergnügt. »Ich habe nämlich keins.«

»Ist manchmal gar nicht so verkehrt«, kam es von Patrick.

»Juliane hat mich auf dem Schulhof mal gefragt, ob ich mich noch mit Rauchzeichen verständigen würde.« Kathrin kicherte hinter vorgehaltener Hand. An ihrem Armgelenk schimmerte ein bronzenes Armband, das sie auch oft auf Mittelalterfesten trug. »Bevor ich antworten konnte, summte ihr Handy, und sie ging ran, dann kamen ein paar SMS, und sie musste sie sofort beantworten. Dann kamen noch Meldungen von Facebook, WhatsApp, Instagram und so 'n Zeug, und sie kam in der Pause gar nicht mehr dazu mit ihren Mitschülern zu reden.«

»Von dem ganzen Kram halt ich auch nicht so viel«, bestätigte Patrick ihr.

»Als Juliane, die Schickimicki-Zicke, den ganzen Mist beantwortet hatte, hackte sie wieder auf mir herum: Rauchzeichen und so ...«, erzählte Kathrin.

»Du hast ihr doch hoffentlich keine blutige Nase verpasst?«, fragte Patrick vorsichtig.

»Na ja, ich habe ...«, Kathrin machte eine Pause und ihr fiel auf, das Patrick erstarrte. Damit es spannender wurde, verlängerte Kathrin die Pause, bevor sie ihr Geheimnis preisgab: »Ich habe ihr gesagt, dass meine Mutter mir Kleingeld für die Telefonzelle gegeben hätte, und ich im Notfall immer anrufen könnte.«

Patrick sah verdutzt aus.

»Sie hat es mir abgenommen«, sagte Kathrin ernst.

»Fast hättest du mich auch überzeugt, Kathrin.«

»Hey, du ...«, sagte Kathrin fröhlich und verpasste Patrick einen leichten Hieb mit dem Ellenbogen.

»Rolf und Juliane sind schon ein eigenartiges Paar«, schmunzelte Patrick. »Wie bist du denn auf Schickimicki-Zicke gekommen?«

Kathrin zuckte nur mit den Schultern.

»Schlecht sieht sie ja nicht aus«, zwinkerte Patrick ihr zu.

»Ja, wenn man auf Latino-Frauen mit seidigen, langen, blond gefärbten Haaren, makelloser Haut und langen, lackierten Fingernägeln und langen Beinen steht, dann ja.« Kathrins Stimme hatte bedrohlich liebenswürdig geklungen. »Stehst du etwa auf so etwas?«, fragte sie.

»Ich muss schon zugeben ... Juliane sieht wirklich extrem gut aus.« Patrick machte eine Pause, während er Kathrin genau beobachtete. »Aber, nein, auf so eine Art Mädchen steh ich nicht«, gab er offen zu.

»Okay«, sagte Kathrin, und ihr fiel ein Stein vom Herzen. Der milde Ausdruck in Kathrins Gesicht kehrte zurück. »Und auf was für eine Art Mädchen steht du?«, fragte sie.

Patrick lachte. Dann wechselte er das Thema. »Und dieser Rolf ist ein Möchtegernmacho und Angeber, der wegen seines Charmes und Aussehens bei den Mädchen total angesagt ist«, lästerte Patrick, »und eigentlich, ja, er hat eine blutige Nase verdient.«

Ein Windstoß kam auf, und Kathrins lange, lockige, rotbraune Haare wedelten vor Patricks Gesicht. Patricks braunes Haar flatterte im Wind, und seine blonde Strähne, die von Geburt an vorhanden war, fiel ihm in die Stirn.

»Ups«, sagte Kathrin.

Wieder fingen beide an zu lachen. Kathrin nahm ein Lederband aus ihrem Schulrucksack und band damit ihre Haare zusammen.

»Wie geht es eigentlich Charly?«, fragte Patrick interessiert und ergänzte: »Wir hatten ja mal zusammen etwas Gitarre gespielt, und er wollte sich deswegen noch mal bei mir melden.«

»Im Moment hat mein Bruder ziemlich viel um die Ohren, mit der Schule und so«, antwortete Kathrin. »Er ist mir auch noch einen Kinobesuch schuldig, aber er kommt im Moment einfach nicht dazu.«

»Du kannst Charly mal Grüße von mir bestellen«, sagte Patrick.

»Mach ich«, nickte Kathrin.

»Hab' gestern noch neue Musik downgeloadet.« Patrick zückte sein Smartphone aus der Hosentasche und tippte auf dem Display herum. Mittelalterliche Musik mit rockigem Rhythmus erklang.

»Cool«, sagte Kathrin begeistert. »Gefällt mir!« Sie hob den Daumen.

»Diese Band gibt nächsten Monat in München ein Konzert«, sagte Patrick vorsichtig. »Hast du Lust mit mir dort hinzugehen?«, tastete er sich heran.

»Tja, eigentlich ...«

»Es ist am Wochenende, und mein Vater fährt uns hin und holt uns wieder ab«, erzählte Patrick begeistert.

»Hast einen tollen Vater«, sagte Kathrin daraufhin.

»Ja.«

»Weiß noch nicht.« Kathrin zögerte. »Muss erst mal mit meiner Mutter darüber reden.«

»Okay.«

Sie wandten sich schweigsam dem See zu.

»Also, was kostet das ... Ticket denn?«, unterbrach Kathrin die Stille.

»Ich hatte vor, dich einzuladen.«

»Kommt nicht in Frage.«

»Warum nicht?«

»Ich kann mein Ticket selber bezahlen.« Kathrins Stimme hörte sich verärgert an.

»Weiß ich doch«, nickte Patrick, »aber ich will dich halt dazu einladen. Du kannst mir ja bei dem Konzert ein Bier ausgeben«, schlug er vor.

»Hm«, sagte Kathrin nur.

»Ach, komm schon, Kathrin«, sagte Patrick mit fester Stimme. »Sei nicht immer so hartnäckig, was das angeht.«

»Was was angeht?«, stutzte Kathrin und kniff die Augen gefährlich zusammen. »Und was soll das heißen, ich sei immer so hartnäckig?«

»Ich will mich nicht mit dir darüber streiten, Kathrin«, fing Patrick behutsam an. »Ich hatte nur gedacht, du würdest dich über eine Einladung freuen. Also, ich würde gerne mit dir dahingehen.«

Kathrin überlegte.

»Ja, okay«, fing Kathrin langsam an und sagte dann voller Reue: »Es tut mir leid, Patrick. Ich wollte dich nicht anschnauzen.«

»Ist schon okay«, winkte Patrick ab.

»Ist es nicht.« Kathrin senkte den Kopf. »Gibt es denn überhaupt noch Karten für das Konzert?«

»Nein«, schüttelte Patrick den Kopf. »Ausverkauft!«

Kathrin sah Patrick verdutzt an, doch bevor sie etwas sagen konnte, gab Patrick zu: »Hab die Karten für uns schon besorgt.«

»Du hast ...«, sagte Kathrin streng, doch dann lächelte sie Patrick lieb an: »Danke für die Einladung«, sagte sie schließlich. »Ich freue mich schon drauf.«

»Ich auch«, grinste Patrick zufrieden. »Hoffentlich hat deine Mutter nichts dagegen.«

»Ach, nein, glaube ich eigentlich nicht«, schüttelte Kathrin wissend den Kopf. »Wenn sie hört, dass dein Vater uns hin und wieder zurück bringt, wird sie dem zustimmen.«

»Super, freue mich schon auf den Abend«, lächelte Patrick glücklich.

»Ich auch«, nickte Kathrin und bedankte sich nochmals für die Einladung.

»Oh«, seufzte Patrick und warf einen kurzen Blick auf sein Smartphone. »Jetzt muss ich aber gehen, sonst ruft mich meine Mutter wieder an. Muss ja noch für sie einkaufen. Wenn ich das vergesse, bekomme ich heute Abend bestimmt Ärger mit meinem Vater.«

»Dein Vater ist schwer in Ordnung. Er nimmt sich sehr viel Zeit für dich«, stellte Kathrin fest.

»Ja.«

»Finde ich gut.«

»Dein Vater hat doch auch viel Zeit mit dir und deinem Bruder verbracht«, fing Patrick an. »Hast du mir zumindest so erzählt.«

»Das hat er getan«, nickte Kathrin zufrieden, »und meine Großmutter hat sich auch sehr viel um uns gekümmert«, ergänzte sie leise. »Aber darauf wollte ich eigentlich nicht hinaus, Patrick.«

»Trotzdem geht mir mein Vater manchmal auf den Wecker«, gab Patrick zu.

»Ja, das ist halt so«, sagte Kathrin betrübt. »Mit den Eltern gerät man schnell in Streit. Das war bei mir und meinem Vater genauso.«

»Worauf willst du denn hinaus, Kathrin?«, fragte Patrick direkt.

»Wenn du eines Tages jemanden verlierst, den du sehr geliebt hast, dann macht dich das ein ganzes Leben lang traurig«, klärte Kathrin ihn auf. »Und wenn du da etwas verbockt hast, kann es sein, dass du keine Möglichkeit mehr bekommst, es wieder in Ordnung zu bringen.«

»Ja, das ... aber ... ich hatte.« Patrick kam tatsächlich mal ins Stottern. »Du sprichst von deinem Vater, nicht wahr?«

»Ja, und von meiner Großmutter«, gab Kathrin zu. »Mit meinem Vater hatte ich mich vor seinem Tod gestritten und konnte ihm nicht mehr sagen, dass es mir leid tat. Und meine Großmutter wollte ich immer mal sagen, dass ich sie ganz toll finde, weil sie sich so um mich gekümmert hat, aber dann war sie auch schon tot.«

»Das tut mir leid, Kathrin.«

»Muss es nicht. Das waren bis jetzt die größten Fehler in meinem Leben, Patrick«, seufzte Kathrin schwer, »also, mach nicht die gleichen Fehler wie ich, Patrick.«

»Okay, werde ich nicht tun«, nickte Patrick ihr zu. »Danke, Kathrin«, ergänzte er noch.

»Schau, der Typ auf dem Paddelbrett.« Kathrin deutete auf den See, und schon fiel der junge Mann von eben wieder wie ein Kartoffelsack kopfüber ins Wasser.

Sie lachte wieder laut.

»Sollen wir gehen?«, fragte Kathrin.

Patrick nickte ihr zu und steckte das Smartphone in die Hosentasche zurück.

Kathrin zögerte.

»Was hast du?«, fragte Patrick.

»Nichts.« Kathrin schüttelte sich leicht.

»Jetzt sag schon, was du hast«, hakte Patrick nach.

»Das klingt vielleicht verrückt, aber es kam mir gerade so vor, als hätte mich jemand an der Schulter berührt.«

»Vielleicht war es der Wind«, stellte Patrick fest, als wieder ein Windstoß aufkam.

»Vielleicht.« Kathrin berührte das Medaillon, das sie an einer goldenen Halskette trug und von ihrer Großmutter geerbt hatte.

»Komm, wir gehen!«, sagte Kathrin schnell.

Mit Musik geht alles besser

Kathrin tröpfelte Schweiß den Rücken hinunter. Sie zupfte sich das feuchte T-Shirt, das wie aus den Achtzigern aussah, von der klebrigen Haut. Kathrin atmete wieder die schwüle Luft ein, und es kam ihr so vor, als würde sie in einem Dampfbad sitzen.

Verfluchte Hitze, dachte Kathrin. Ich hoffe, dass bei den Ritterspielen nicht so eine verdammte Hitzewelle herrscht.

Ein Schrei durchbohrte die Stille in der Wohnung, und im gleichen Augenblick erklangen rockige Rhythmen auf einer E-Gitarre. Es klingelte an der Haustür. Kathrin ging hin und öffnete sie.

»Hi, Kathrin«, sagte Kathrins Mitschüler Ben, der eine akustische Gitarre in der rechten Hand hielt und etwas verlegen dreinblickte.

»Hallo, Ben«, begrüßte Kathrin ihn freundlich und zog leicht die Augenbrauen dabei hoch. »Hallo, Patrick«, sagte sie fröhlich und wandte sich wieder Ben zu: »Hast du wieder Schokolade genascht?« Sie deutete mit einem kleinen Lächeln auf den Fleck neben dem auffälligen Muttermal auf Bens linker Wange.

»Ähm ... tja, also ... ich hatte Hunger und ...«, stotterte Ben verlegen und wischte mit dem linken Handrücken den Schokoladenfleck weg.

Kathrin atmete tief ein und zwinkerte ihm zu.

»Wir sind mit deinem Bruder verabredet«, sagte Patrick, der seine original kubanischen Bongos mitgebracht hatte und neben Ben stand. »Wir haben uns auf dem Schulhof unterhalten und sind auf die Idee gekommen, zusammen etwas Musik zu machen.«

»Ja, weiß ich schon«, nickte Kathrin.

»Ist das denn okay für die Nachbarn?«, fragte Ben vorsichtig, als er die wilden Klänge der E-Gitarre hörte.

»Ja«, bestätigte Kathrin. »Wir haben den Nachbarn schon gesagt, dass es eine Stunde etwas lauter werden kann.«

»Kommt«, winkte Kathrin die beiden herein.

»Hier, Kathrin«, sagte Patrick und überreichte ihr einen Pfeil mit einer handgeschmiedeten Metallspitze.

»Oh«, staunte Kathrin. »Warum denn das?«

»Habe zwei Pfeile auf dem Flohmarkt ergattert«, erzählte Patrick impulsiv. »Einen für dich und einen für mich.«

Kathrin freute sich über das Geschenk, das sie beim nächsten Bogenschießen mit Patrick ausprobieren wollte. Kathrin ging voraus. Patrick und Ben folgten ihr dichtauf. Kathrin öffnete eine Zimmertür und sagte: »Deine Kumpels sind da, Charly.«

»Super«, freute sich Charly, der mit seiner E-Gitarre auf dem Bett saß und einen Rhythmus zupfte.

Charly ging auf die gleiche Schule wie Kathrin, Ben und Patrick, aber er war eine Klasse weiter, denn Charly war ein Jahr älter als seine Schwester.

»Stehst wohl auf Rockmusik«, bemerkte Patrick.

»Nicht wirklich«, winkte Charly ab, stand auf und legte die E-Gitarre beiseite.

»Ich geh dann mal«, verabschiedete sich Kathrin.

»Kannst bleiben«, sagte Charly.

»Was soll ich hier?«, fragte Kathrin. »Hab's nicht so mit Instrumenten.«

»Vielleicht brauchen wir ja eine Sängerin, und da könnte ich mir vorstellen, dass du die Richtige dafür bist«, zwinkerte Charly ihr zu.

»Auwei, nein, bloß das nicht«, murmelte Kathrin.

»Warum nicht?«, wollte Charly wissen.

»Kann nicht singen«, antwortete Kathrin.

»Also, ich finde«, fing Ben langsam an, »dass du eine schöne Stimme hast.«

Kathrin wurde verlegen.

»Finde ich auch«, bestätigte Patrick und nickte.

Kathrin überlegte.

»Komm schon!«, forderte Patrick sie auf. »Wir sind unter uns. Was soll schon passieren? Hast du Angst dich zu blamieren?«

»Nein«, fuhr Kathrin ihn erbost an.

»Na, also, dann kannst du ja bleiben«, sagte Patrick.

»Okay«, brummte Kathrin ihn an, und zugleich warf sie ihm einen finsteren Blick zu.

Patrick war irritiert. »Ich wollte dich jetzt nicht ...«, wollte sich Patrick bei Kathrin entschuldigen, doch Kathrin sagte: »Ist schon gut, Patrick, vielleicht macht es ja doch Spaß.«

Kathrin unterdrückte ihre Scheu.

»Sollen wir einen Blues spielen?« Charly ergriff die Initiative. »Oder fangen wir mit etwas rockigerem an, zum Aufwärmen?«

Ben kratzte sich am Kopf. Patrick überlegte noch, und Kathrin machte einen Vorschlag: »Sollen wir mittelalterliche Musik spielen?«

Charly verzog leicht die Miene.

»Okay«, sagte Patrick begeistert.

»Bin auch dafür«, nickte Ben und fuhr sich dabei langsam mit der linken Hand durch sein lockiges, dunkelbraunes Haar.

»Von mir aus«, stimmte Charly zu. »Okay ... okay«, überlegte Charly, dann schlug er vor: »Wie wäre es, wenn du Geige spielst?«, fragte er Ben.

»Ich habe meine Gitarre mitgebracht«, antwortete Ben.

»Ich habe noch eine Geige«, sagte Charly und ergänzte schnell: »Also, dann spiele ich Geige, und du«, Charly zeigte auf Ben, »spielst Gitarre, und du Patrick, setzt die Bongos ein.«

»Was macht Kathrin?«, fragte Ben.

»Ich höre euch zu.«

»Nix da! Du machst mit«, befahl Charly.

»Ähm ... Ich weiß nicht ...« Kathrin fühlte sich wie eine Maus im Zimmer, in dem es von Trollen nur so wimmelt und andauernd die Gefahr bestand, von einem der mächtigen Füße zertrampelt zu werden.

»Kathrin?«, sagte Patrick, und seine Stimme schwoll an: »Patrick an Kathrin, melde dich.«

Kathrin fuhr vor Schreck zusammen.

»Hast du einen Tagtraum?«, lächelte Charly seine Schwester an.

Kathrin kniff die Augen zusammen und giftete stumm ihren Bruder an.

»Wir sind doch hier unter uns«, fing Patrick an. »Brauchst dich nicht zu schämen, wenn etwas nicht sofort klappt.«

»Tue ich ja auch nicht«, brummte Kathrin.

»Du kannst doch Flöte spielen«, sprach Charly seine Schwester an.

Kathrin nickte leicht.

»Hast du Lust dazu?«, fragte Charly.

Kathrin nickte wieder und ging ihre Flöte holen.

Als Kathrin zurückkam, saß Ben mit der Gitarre auf dem Bett. Patrick hatte es sich auf einem Hocker bequem gemacht und die Bongos vor sich aufgebaut. Charly stand mit der Geige neben Patrick und blickte erwartungsvoll in Richtung Kathrin.

»Was ist los, Kathrin?«, fragte Charly besorgt. »Du siehst so deprimiert aus. Ist es wegen der Musik? Also, wenn du absolut nicht mitspielen willst, dann hör einfach nur zu.«

Kathrin winkte ab. »Das ist es nicht. Mutter hat gerade angerufen, als ich meine Flöte geholt habe. Sie muss heute etwas länger arbeiten.«

»Hm, schon wieder«, sagte Charly.

»Ja«, nickte Kathrin und dachte daran, wie schwer es doch ihre Mutter hatte. Anderseits bewunderte Kathrin ihre Mutter, weil sie so taff war, sich ihre Sorgen nicht anmerken ließ und sich immer aufopfernd um sie und Charly kümmerte. Kathrin dachte wieder an ihren Vater, der vor vier Jahren tödlich verunglückt war und daran, dass in dem selben Jahr auch ihre Großmutter gestorben war. Es war wirklich ein hartes – ein beschissenes Jahr für alle Familienmitglieder gewesen. Besonders für ihre Mutter, nicht nur die Trauer musste sie bewältigen, sondern sie hatte auch zwei Kinder großzuziehen.

»Entschuldigt, Leute, aber ich musste gerade an meine Mutter denken und daran, wie schwer sie es hat«, gab Kathrin zu.

»Na, komm, Kathrin«, sagte Charly fröhlich. »Wir machen etwas Musik zusammen.«

»Jaja«, leierte Kathrin herunter.

»Du musst wissen, Kathrin«, wollte Charly sie trösten. »Mit Musik geht alles besser.«

Kathrin lächelte wieder leicht.

»Na, siehst du«, lächelte Charly zurück.

»Okay«, nickte Kathrin ihm zu.

Kathrin schloss die Tür und stellte sich an die Seite ihres Bruders, der sie mit einem breiten Grinsen ansah.

»Ben, du kannst ein paar rockige Klänge mit der Gitarre einbringen«, schlug Charly vor.

Ben nickte einverstanden.

»Und ich trommele mittelalterliche Rhythmen dazu«, sagte Patrick.

»Okay«, nickte Charly.

Patrick schlug ein Musikstück vor, das oft auf mittelalterlichen Festen gespielt wurde. Kathrin kannte das Lied und bekam von ihrem Bruder noch Anweisungen, wie und wann sie ihre Flöte einsetzen sollte. Und schon fingen sie an zu spielen. Kathrin hatte ihren Spaß beim Flöte spielen und später beim Singen. Patrick lobte Kathrins Stimme, und auch Ben war begeistert von ihr, und als Charly seine Begeisterung ausdrückte, bemerkte Kathrin, dass ihr warm wurde, und sie vermutete, dass ihr die Röte ins Gesicht stieg.

Nach weiteren zwei mittelalterlichen Liedern, denen sie rockige Rhythmen verpassten, stellte Kathrin fest, dass ihr Bruder Recht hatte: Mit Musik geht alles besser.

Dann kam Charly auf eine Idee, die alle begeisterte: »Wir gründen eine Band.«

Der mysteriöse Fremde

Kathrin hatte an diesem Abend noch die ganze Hausarbeit erledigt und war hundemüde. Sie ging früh zu Bett, schlief sofort ein und fing an zu träumen.

Kathrin stand am Ortsrand auf einer verlassenen Straße, die an einem Moor vorbeiführte. In der Ferne sah sie ein Meer, über dem in dieser Nacht ein leuchtender Mond stand. Ein Sturm wütete. Heftige Windböen schüttelten die Laubbäume am Straßenrand. Als Kathrin den Ort betrat, schien er verlassen zu sein. Bunte Häuser säumten ihren Weg, die Fenster waren zum größten Teil zerstört. Kein Licht brannte, keine Menschenseele war zu sehen.

Eine Geisterstadt, dachte Kathrin, und als sie um die nächste Ecke bog, flüsterte ihr eine Stimme sanft ins Ohr: »PARM – BLUTMOORE.«

War Parm etwa der Name dieses Ortes, der, wie es Kathrin nun erschien, einer Naturkatastrophe zum Opfer gefallen sein musste?

Sie schrak zusammen, als hinter ihr Hufe über das Straßenpflaster klapperten. Kathrin fuhr herum, aber niemand war zu sehen. Als sie sich wieder umwandte, stand sie vor einem schneeweißen Pferd, auf dem ein silberhaariger Elb saß und stumm auf sie herabblickte. Der Elb hatte zwar weiche Gesichtszüge, aber die Verächtlichkeit, mit der er Kathrin ansah, ließ sie vor ihm erschaudern. Der Elb trug einen feinen, ledernen Kampfanzug und einen Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken. Kathrin warf einen Blick auf den Bogen, der an der rechten Sattelseite des Pferdes befestigt war.

Kathrin bemerkte, wie der Elb einen Blick auf ihre ausgebeulte Jeans warf und dann ihre bunte Bluse betrachtete.

»Du bist nicht von hier«, sagte er mit einer sanften, aber bestimmenden Stimme.

»Ähm ... tja, also ...«, stotterte Kathrin und wusste nicht, was sie sagen sollte. »Also, ich komme von ...«

»Ist auch egal, woher du kommst«, winkte der Elb ab. »Hier gehörst du auf jeden Fall nicht hin.«

»Okay«, leierte Kathrin herunter und dachte: Du kannst mich mal!

Der Elb kniff die Augen zusammen. Kathrin dachte für einen Augenblick, dass der Elb ihre Gedanken gelesen hätte. Dann schoss ihr ein nächster Gedanke durch den Kopf: Ein Traum. Es ist ein Traum.

Kathrin atmete erleichtert aus und war sich sicher, dass es sich hier um einen Traum handelte. Der Elb wandte sich im Sattel um. Kathrin kam es so vor, als würde er nach etwas Ausschau halten. War der Elb etwa nicht allein? Wurde er verfolgt? War er auf der Jagd oder wurde er gejagt? Der Wind nahm an Stärke zu, und ein markerschütterndes Knurren übertönte plötzlich den Sturm.

Kathrin blickte an dem Elb vorbei, und am Ende der Straße ragte eine schattenhafte Gestalt auf. Kathrin trat einen Schritt zurück und stolperte dabei.

»Er ist also hier«, murmelte der Elb und wandte sein Pferd der finsteren Gestalt zu.

Kathrin konnte die Gestalt nicht genau sehen, aber sie konnte dieses Etwas knurren hören. Das Ding machte ihr eine höllische Angst. Der Elb wandte sich Kathrin zu: »Los!«, sagte er barsch. »Verschwinde von hier! Schnell!«

Das brauchte der Elb ihr kein zweites Mal zu sagen. Kathrin jagte um eine Straßenecke davon. Außer Atem erreichte sie einen Platz, der von Läden gesäumt und eine Sackgasse war. Sie wollte umkehren, doch als sie ein lautes Wolfsheulen hörte, machte sie kehrt und rannte auf die nächstgelegene Tür zu, die eben vom Sturm aufgeweht worden war. Das Schild über der Tür trug die Aufschrift: Handgeschmiedete Waffen.

Kathrin stürzte hinein und ließ sich hinter ein Regal fallen, auf dem lange und kurze Dolche und Armbrüste ausgestellt waren. Kathrin bemerkte, dass sie am ganzen Leib zitterte. Instinktiv griff sie nach einem Dolch mit gezackter Klinge. Ihr Leben wollte sie so teuer wie möglich verkaufen.

Sie hörte ein Knurren. Der Schatten des Ungeheuers bewegte sich am Ladenfenster vorbei. Dann stand das Etwas in der Tür, und Kathrin konnte dieses Etwas riechen – eine Übelkeit erregende Kombination von nassem Fell und vergammeltem Fleisch.

Kathrin kauerte zitternd hinter dem Regal und hatte den Dolchgriff fest umklammert. Der Schatten des Ungeheuers zog an ihr vorbei. Sie hob den Kopf und erhaschte einen Blick auf eine wolfsähnliche Kreatur, die abrupt stehenblieb und sich Kathrin zuwandte.

Es herrschte mit einem Mal Totenstille. Nur das Regal trennte sie von diesem Ungeheuer. Kathrin und die wolfsähnliche Kreatur sahen sich durch das Regal hindurch an.

Kathrin holte tief Luft. Es ist ein Traum, sagte sie sich immer wieder vor, doch der beißende Geruch, ihr zitternder Körper und der faulige Atem der Kreatur, ließ sie daran zweifeln.

»Was willst du von mir? Was?«, schrie Kathrin und hob den Dolch zur Abwehr.

Da loderte ein Blitz vor dem Laden auf. Sekunden später explodierte die Frontseite des Ladens, und eine dunkle Stimme rief: »Lass sie in Ruhe!«

Der Wolf wandte sich der Stimme zu, während ein alter Mann mit langen, grauen Haaren und grauem Bart den Laden betrat. Der Wolf knurrte ihn leicht an.

Kathrin zitterte am ganzen Leib, während die Umgebung vor ihren Augen langsam verblasste. Der alte Mann trat vor und sagte ärgerlich: »Los, komm her, Dawin! Wir müssen von hier verschwinden.«

Kathrin nahm die Gestalten nur noch schemenhaft wahr, aber sie bekam noch mit, dass der Wolf plötzlich verschwunden war und der alte Mann einem jungen Mann gegenüberstand.

»Sie ist es«, sagte der jüngere Mann aufgebracht. »Sie ist es«, wiederholte er.

»Ja, ich weiß«, nickte der alte Mann ihm zu.

Zitternd fuhr Kathrin in ihrem Bett hoch. Ihre rechte Hand hielt immer noch den imaginären Dolchgriff umklammert. Sie atmete hastig und versuchte sich zu orientieren.

Es gab keinen Sturm. Es gab auch kein Ungeheuer. Der Elb und der alte Mann waren auch verschwunden. Das morgendliche Sonnenlicht fiel durch das Fenster neben ihrem Bett.

Kathrin glaubte einen Schatten über das Fensterglas huschen zu sehen– eine menschliche Gestalt mit langen Haaren und Bart. Doch dann wurde an ihrer Schlafzimmertür geklopft, und ihre Mutter rief: »Kathrin, du kommst zu spät zur Schule!«

»Ja, Mom«, rief Kathrin. »Ich komme gleich.«

»Sofort!«

»Bin schon unterwegs«, brachte sie müde heraus.

Kathrin war erleichtert die Stimme ihrer Mutter zu hören. Erst jetzt bemerkte Kathrin, dass sie mit der rechten Hand immer noch den imaginären Dolchgriff umklammerte. Langsam löste sie den Griff, atmete erleichtert ein und wieder aus, dann stand sie auf.

Nach der Dusche saß Kathrin zusammen mit ihrer Mutter am Frühstückstisch. Charly war schon fertig und aus dem Haus gegangen.

»Was ist heute mit dir los, Kathrin?«

»Nichts.«

»Du wirkst so abwesend.«

»Hatte einen blöden Traum.«

»Oh«, sagte ihre Mutter nur.

»Nach der Schule geh ich zu Frau Dorfner, in den Buchladen«, sagte Kathrin. »Muss mir noch ein Buch über griechische Geschichte besorgen.«

»Ist gut«, sagte ihre Mutter. »Heute arbeite ich mal nicht so lange.«

»Das ist schön«, freute sich Kathrin.

Heute hatte ihre Mutter ihre langen, braunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden.

»Steht dir gut«, sagte Kathrin.

»Was?«

»So wie du dein Haar trägst.«

»Danke«, lächelte sie vergnügt.

Kathrins Mutter servierte eine frisch gemachte Waffel zum Frühstück – dies war eines von Kathrins Lieblingsspeisen. Die Waffel schmeckte wie immer großartig, doch Kathrin verschlang sie nicht wie sonst. Ihre Mutter sah sie mit gerunzelter Stirn an und fragte: »Ist wirklich alles in Ordnung?«

Kathrin nickte stumm, doch dann antwortete sie: »Ja ... wirklich, Mom. Brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen.«

Kathrin war bewusst, dass ihre Mutter wie immer wusste, wenn ihr etwas zu schaffen machte. Kathrin musste immer wieder an ihren verrückten Traum denken, der ihr so realistisch vorkam, dass sie davon noch jede Szene und sogar noch jedes Wort im Kopf hatte.

»Dann bin ich mal weg«, sagte Kathrin und trank ihre Tasse Tee aus. »Bis nachher«, verabschiedete sie sich von ihrer Mutter.

Heute war es total easy in der Schule gewesen – keine Hausaufgaben, kein Referat zum Vorbereiten. So konnte Kathrin sich Zeit für den Buchladen nehmen. Patrick hatte seiner Mutter versprochen, dass er mit ihr zum Einkaufen fahren wollte, deswegen machte er sich auf den Heimweg. Ben wollte auch nach Hause, um Gitarre zu spielen. Kathrin machte sich also auf den Weg zum Bus, um ins Nachbardorf zu fahren, wo der Buchladen war. Kathrin hatte Glück, der Bus war pünktlich, sodass sie bereits eine Viertelstunde später im Buchladen war.

Als Kathrin den Buchladen betrat, schreckte sie unwillkürlich zusammen. Es stand ein graubärtiger Mann vor ihr, der sie an den alten Mann aus ihrem Traum erinnerte.

»Guten Tag«, begrüßter der Mann sie höflich, der ein graues Gewand und eine dunkelgraue Hose trug. Kathrin fielen die halbhohen, mittelalterlichen Schuhe ins Auge.

»Hallo«, sagte Kathrin zaghaft.

Sie blickten sich schweigend an.

»Wo ist Frau Dorfner?«, wollte Kathrin wissen. »Sie ist doch nicht krank?«, fragte Kathrin erschrocken und machte sich ernsthafte Sorgen um die sechzigjährige Hildegard Dorfner. Kathrin dachte an Frau Dorfner mit ihrer großen Hornbrille und ihrer kunterbunten Kleidung.

»Nein ... nein. Sie ist wohlauf«, sagte der Mann und beruhigte Kathrin sofort: »Ich bin ein guter Freund von Hildegard und vertrete sie hier nur solange, bis sie wieder zurück ist. Sie besucht ihre Kinder.«

»Gut«, sagte Kathrin mit einer erleichterten Stimme. »Ich suche ein Buch über griechische Mythologie.«

»Ah«, hauchte der Mann. »Hast du ein bestimmtes Buch im Sinn?«

»Nein«, sagte Kathrin sofort.

»Dann schau dich mal dort ein wenig um«, sagte der ältere Mann und deutete auf ein Regal in der Ecke. »Wir haben nicht viele Bücher über dieses Thema auf Lager. Kann dir aber auch eins bestellen. Du kannst auch den Computer dort für deine Suche nutzen.«

»Danke!«

»Wenn du Hilfe brauchst, sag mir Bescheid.«

»Ja.«

Kathrin tat es Leid, dass die Ladenbesitzerin nicht da war, denn sie war immer so nett, und meistens – na ja, eigentlich immer, wenn man Zeit mitbrachte – bereitete sie einen Tee zu und erzählte einen Schwank aus ihrem Leben. Kathrin ging zum Bücherregal.

»Übrigens, mein Name ist Argon«, rief der fremde Mann ihr hinterher.

Kathrin wandte sich ihm zu. »Ich heiße Kathrin. Kathrin Mitchell.«

»Dann viel Erfolg beim Stöbern, Kathrin«, sagte Argon freundlich.

»Danke«, sagte Kathrin und musterte Argon noch einmal kurz. Er sah aus, wie man sich einen Zauberer vorstellte.

Teestunde mit Argon

Kathrin fluchte leise, weil sie kein passendes Buch über griechische Mythologie entdeckt hatte. Sie wusste eigentlich nicht genau, welches Buch sie überhaupt suchte, aber von denen hier war keines das Richtige. Argon hatte ihr ja erlaubt, den Computer zu benutzen. Ob sie dort das richtige Buch fand? Sie schlenderte zum Computer und nahm auf einem Hocker Platz. Argon hatte die Webseite aufgerufen, womit er die Bücher orderte. Kathrin legte los.

»Soll ich dir helfen?«, fragte Argon.

»Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich schau mich erst Mal alleine um«, gab Kathrin zurück.

Argon ging seiner Beschäftigung nach und räumte Bücher ins Regal ein.

»Hm«, grübelte Kathrin und klickte eine Reihe von Büchern durch. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass es so viele Bücher über griechische Götter- und Sagengeschichten gab. Da konnte doch niemand einen Durchblick behalten.

Kathrin war so vertieft in ihrer Suche, dass sie die Stimme an ihrer Seite zwar wahrnahm, aber nicht darauf reagierte. Aber dann packte Kathrin eine Hand an der Schulter, und sie quiekte wie eine verschreckte Fledermaus.

»Oh! Entschuldigung, Kathrin«, sagte Argon. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Schon gut«, winkte Kathrin ab.

»Hast du schon ein passendes Buch gefunden?«, wollte Argon wissen.

»Nein«, schüttelte Kathrin deprimiert den Kopf.

»Möchtest du einen Tee?«, fragte Argon unerwartet. »Ich kann uns eine Kanne aufschütten.«

»Oh, ja ... gerne«, nickte Kathrin begeistert. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Nein«, sagte Argon. »Hast du einen Teewunsch?«

Kathrin schüttelte leicht den Kopf.

»Dann geh ich mal nach hinten und bereite den Tee zu«, sagte Argon. »Du kannst dich ja schon mal dort an den Tisch setzen.« Argon deutete in die rechte Ecke, wo der kleine, runde Holztisch stand, an dem Frau Dorfner auch immer den Tee servierte. Kathrin nahm auf einem Stuhl Platz und wartete geduldig, bis Argon mit einem Tablett wiederkam.

»So, dann wollen wir mal«, sagte Argon, stellte das Tablett auf den Tisch und verteilte die Tassen. Das Milchkännchen und den Zuckertopf stellte er mittig auf den Tisch. Dann ging er mit dem Tablett nach hinten und kam mit einer Keramikkanne Tee und einem Stövchen zurück. Schweigsam goss Argon den Tee in die Tassen ein.

»Danke«, sagte Kathrin.

»Hoffentlich schmeckt er dir.«

Kathrin nahm einen Schluck zu sich.

»Er ist sehr gut«, lobte Kathrin den Tee.

Argon lächelte zufrieden.

Kathrin nahm noch einen Schluck zu sich. Der Tee hatte genau die richtige Temperatur für sie. Er war grün und wohlriechend. Sie blickte in die Tasse, in der Flüssigkeit wirbelten Bruchstücke von Teeblättern.

»Mmm«, sagte Kathrin, als sie die Tasse abstellte.

»Freut mich, dass er dir schmeckt.«

»Es ist lange her, dass ich einen Oolong getrunken habe«, stellte Kathrin fest.

Argon nickte und strahlte Kathrin an. »Du kennst dich mit Tee gut aus«, lobte er sie.

»Ja, ich trinke gerne Tee«, erzählte Kathrin, »aber ohne Zucker und auch ohne Milch.«

»Das brauche ich auch nicht«, schüttelte Argon den Kopf. »Verfälscht nur den guten Geschmack des Tees.«

»Ja, so ist es«, bestätigte Kathrin.

»Da hast du aber ein schönes Medaillon«, bemerkte Argon.

»Ja, es ist wunderschön«, sagte Kathrin stolz und berührte kurz das runde Medaillon, das sie an einer goldenen Halskette trug. »Ich habe es von meiner Großmutter geschenkt bekommen.«

»Ein schönes Geschenk«, erwiderte Argon.

»Ja.«

Kathrin legte die Halskette ab und betrachtete sich den Haken-Ösen-Verschluss. Auf der Öse waren drei und auf dem Haken vier symbolische Schriftzeichen zu erkennen.

»Weißt du, was die Zeichen auf dem Verschluss für eine Bedeutung haben?«, fragte Argon interessiert.

»Nein«, schüttelte Kathrin den Kopf. »Das ist auch einer der Gründe, warum ich ein Buch über griechische Mythologie suche.«

»Ach ja«, sagte Argon.

»Meine Großmutter hat vor ihrem Tod noch gesagt, dass dieses Medaillon aus Griechenland stammt.«

»Oh, aus Griechenland also.«

»Ja«, bestätigte Kathrin und sah Argon direkt in die Augen. »Genaues habe ich über das Medaillon leider nicht mehr erfahren.« Kathrin fühlte sich plötzlich elendig. »Meine Großmutter ist vorher gestorben.«

»Oh, das tut mir leid, Kathrin.«

»Es sind jetzt schon über vier Jahre vergangen, dass meine ...« Kathrin schluckte und legte die Halskette wieder an.

»Wie ist sie denn gestorben?«, wollte Argon wissen.

Kathrin stutzte, aber dann antwortete sie: »An Herzversagen.«

»Du hast sie sehr gern gehabt, nicht wahr?«

»Ja, sehr sogar.«

»Deine Großmutter wird immer bei dir sein«, sagte Argon und deutete auf sein Herz. »Und zwar genau hier, Kathrin«, sagte er. »Außerdem hat sie dir ein mächtiges Medaillon vermacht, dass dich beschützen soll ...« Argon verstummte.

»Als so eine Art Talisman?«, fragte Kathrin.

»Ja«, nickte Argon, leicht »als so eine Art Talisman«, bestätigte er ihr mit einem ernsten Gesicht.

Kathrin trank die Tasse aus.

»Möchtest du noch eine Tasse Tee?«, fragte Argon.

»Gerne«, sagte Kathrin direkt. »Falls sie noch etwas Zeit haben«, ergänzte sie.

»Natürlich«, sagte Argon, trank seinen Tee aus und schenkte Kathrin und sich noch eine Tasse Tee ein.

»Danke«, sagte Kathrin.

Argon nickte freudig.

Argon griff nach der Teetasse und sagte: »Mal überlegen, was für ein Buch ich dir empfehlen könnte.« Kathrin trank einen Schluck Tee und hörte Argon aufmerksam zu, der sagte: »Ah, ja, da hätte ich ein paar Buchtipps für dich. Nach dem Tee setzen wir uns gemeinsam an den Computer und sehen nach, ob es die Bücher noch neu zu kaufen gibt. Ansonsten könntest du sie ja auch gebraucht kaufen«, schlug Argon vor. »Da kenne ich eine tolle Webseite für gebrauchte Bücher. Wie hieß sie bloß?«, murmelte er.

»Vielen Dank.«

»Noch haben wir ja kein Buch gefunden.«

»Ja, aber trotzdem. Sie geben sich viel Mühe ...«

»Mach ich doch gerne«, fiel Argon ihr ins Wort, trank seinen Tee aus und blickte in die Tasse. »Hm«, sagte er.

»Was haben sie?«

»Die Teeblätter ...«

»Ach, sie lesen aus dem Teesatz?«, lächelte Kathrin.

»Ja, das tue ich, manchmal.« Argons Stimme klang ernst.

Kathrin wurde ebenfalls ernst. Sie wollte nicht, dass Argon auf falsche Gedanken kam und dachte, dass sie sich lustig über ihn machen würde. Obwohl Argon einen mysteriösen Eindruck auf Kathrin machte, fand sie ihn sehr sympathisch. Er war sehr freundlich und hilfsbereit.

»Woher wissen Sie darüber bescheid?« Kathrin wurde neugierig.

»Es wird bei mir von einer Generation zur nächsten weitergegeben«, antwortete Argon.

»Können Sie mir aus meinem Teesatz lesen?«, fragte Kathrin.

»Aber sicher«, nickte Argon vergnügt, »dann zeig mal her.«

Kathrin überreichte Argon die Teetasse. Er stellte sie behutsam vor sich auf den Tisch und blickte in die Tasse hinein. Sein Blick wirkte überrascht, und als er sagte: »Oh!«, zuckte Kathrin zusammen.

Kathrin beobachtete, wie Argons Falten zu beiden Seiten seines Mundes tiefer geworden waren.

»Was haben Sie denn?«, fragte Kathrin.

Argon hatte die Augenbrauen zusammengezogen.

»Also ...«, sagte Argon schließlich. »Das ist schon seltsam«, murmelte er.

»Was?« Kathrin sah ihn fordernd an.

»Du wirst schon bald eine Reise antreten ...«, sagte Argon.