Zehn gute Jahre Teil 4 - Friedrich Haugg - E-Book

Zehn gute Jahre Teil 4 E-Book

Friedrich Haugg

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Beschreibung

Vor kurzer Zeit, als Ihre Eltern jung waren (oder Ihre Großeltern), galt Fliegen noch als Menschheitstraum für Wagemutige. Niemand wusste, dass der größte Technologiesprung der Geschichte bevorstand. Er wurde von einer Wissenschafts- und Ingenieurelite geschaffen, vielfach verstärkt für die Zwecke eines verbrecherischen Krieges. Alles, was wir heute so selbstverständlich nutzen hat da seinen Ursprung. Fritz Kleins Alltag ist wie der seit Generationen. Aber Auto, Telefon, Radio, Kühlschrank, Kino, bald sogar vom Sofa aus, und vor allem Flugzeuge lassen eine völlig neue Lebensweise ahnen. Gemeinsam mit Eva, seiner ersten und wahren Liebe genießt er ein Deutschland, in dem es nach der Not und der unfähigen Demokratie steil aufwärts geht. Jeder hat Arbeit, alle sind gleich und ziehen an einem Strang. Nie war die Zukunft besser. Teil 4 Nordlicht: Der erste Kriegseinsatz beschert ihm wunderbare Flugerlebnisse im Traumland Norwegen und erste Kontakte mit der grausamen Realität. Die Verlegung nach Sizilien ist wie ein ersehnter Urlaub, wenn da nicht der dumme Krieg wäre.

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Inhaltsverzeichnis
Kap.21 Stargard
Kap.22 Stavanger - Sola
Kap.23 Sola 2
Kap.24 Sola 3
Kap.25 Sola 4
Kap.26 Catania
Kap.27 Catania 2
Kap.28 Catania 3

Friedrich Haugg

Zehn gute Jahre – Teil 4

Nordlicht

Über Friedrich Haugg

Friedrich Haugg, geboren 1945, ist Diplom-Mathematiker und Ex - Manager. Er hat 25 Jahre in der Luft- und Raumfahrtindustrie gearbeitet und den Umgang mit Computern von der Pike auf gelernt. Nach der Veröffentlichung von fünf Sach- und Fachbüchern bei Hanser und Franzis und von Softwareprogrammen für das Gehirntraining bei United Soft Media hat er beschlossen, sich zum Schreiben von Romanen zu begeben, um zu unterhalten, aber auch um die Ambivalenz der Menschen im Umgang mit der rasanten Technologieentwicklung zum Thema zu machen.

Von Friedrich Haugg sind folgende Romane erschienen:

Das schmale Fenster - Ein Thriller über die Pharmaindustrie,ISBN 9783844253658

Fortschritt - Ein Thriller über die Überwachungsindustrie,ISBN 9783844290356

Mehr unter www.haugg.peds.de

Über Zehn gute Jahre

Vor kurzer Zeit, als Ihre Eltern jung waren (oder Ihre Großeltern), galt Fliegen noch als Menschheitstraum für Wagemutige. Niemand wusste, dass der größte Technologiesprung der Geschichte bevorstand. Er wurde von einer Wissenschafts- und Ingenieurelite geschaffen, vielfach verstärkt für die Zwecke eines verbrecherischen Krieges. Alles, was wir heute so selbstverständlich nutzen hat da seinen Ursprung.

Erleben Sie diese aufregende Zeit und verstehen Sie ganz nebenbei die Technik, die die Welt veränderte.

Fritz Klein gab es wirklich unter anderem Namen. Er stammt aus einer bürgerlichen Bildungsfamilie, sieht gut aus, ist tolerant und bei den zunehmend emanzipierten Frauen sehr beliebt. Vor allem aber ist er Jagdflieger, den Superstars von damals.

Als junger Lehrer sitzt er neben seiner ersten großen Liebe Eva auf einer warmen, duftenden Bergwiese und bewundert einen majestätisch kreisenden Adler. 'Apila non captat muscas', bezieht er auf sich. Er entkommt den Intrigen kleingeistiger Parteifunktionäre und erfüllt sich seinen Traum vom Fliegen, indem er in die neue, schillernde Luftwaffe eintritt. Dass er dazu erst einmal Soldat werden muss, nimmt er in Kauf.

Der Krieg überrascht ihn, weil der Führer doch keinen Krieg wollte. Die Abenteuer werden lebensgefährlich. Die Verbohrtheit seiner näheren Umgebung nimmt er mit Humor, Berichte von fernen Gräueltaten hält er für wenig glaubhaft. Gegen aufkommende Erschöpfung und Depression hilft die Göring – Schokolade. Die Amphetamine haben fatale Wirkungen. Aber sie helfen ihm, sich übermütig immer wieder aufs Neue in scheinbar ausweglose Situationen zu stürzen.

Für Teile dieses Buchs, das auf Erzählungen, alten Dokumenten und Bildern meines Vaters basiert, wäre ich noch vor kurzer Zeit in Deutschland und heute noch an anderen Orten von der Obrigkeit erschossen, von der Kirche exkommuniziert und verbrannt oder vom aufgebrachten Mob gelyncht worden.

Heute sorgt es für keinerlei Erregung, was übrigens für die Verkaufszahlen ungünstig ist.

Vorsorglich distanziere ich mich aber von den Ansichten des Helden aufs Entschiedenste. Man kann nie wissen.

Aufgrund der großen Seitenzahl habe ich den Roman in sieben Teile zerlegen müssen. Sie sind aber nicht als unabhängige Bücher zu verstehen.

Teil 1: Friedliche Zeiten

Teil 2: Der Rausch des Fliegens

Teil 3: Privilegiert

Teil 4: Nordlicht

Teil 5: Afrika

Teil 6: Verwirrung

Teil 7: Auflösung

Über Teil4: Nordlicht

Die Ju88 wackelte und scherte aus, dass es eine Freude war.

„Wirbelschleppe. Von dem Edlen da vorne.“

Kammhuber nickte verkrampft.

„Start und Landung sind das Gefährlichste. Die Höhe.“

Kammhuber starrte auf seine Geräte.

„Nun entspann dich, Telefunken. Sehen sie ihn schon?“

„Nein. Ich muss meine Geräte erst starten.“

„Da. Da ist er. Sehen sie ihn jetzt?“

„Ja.“

„Prima. Das Gerät funktioniert. Großartig.“

„Nein, nein. Ich seh' ihn halt. Wie sie auch… Da, da, ein Lichtpunkt auf dem Schirm. Jetzt ist er wieder weg. Es geht um die Einstellung der Empfindlichkeiten.“

„Man kann die Empfindlichkeit einstellen? Sehr gut. Da vorne ist er. Das menschliche Auge ist doch recht zuverlässig. Bei guter Sicht. Bei schlechter Sicht sehen wir beide nichts. Prima Gerät.“

„Seien sie nicht so ungeduldig. Wir entwickeln doch noch.“

„Klar. Ich könnte mir vorstellen, dass es einige Schwierigkeiten zu überwinden gilt.“

„Viele.“

„Eben.“

Der erste Kriegseinsatz beschert ihm wunderbare Flugerlebnisse im Traumland Norwegen und erste Kontakte mit der grausamen Realität. Die Verlegung nach Sizilien ist wie ein ersehnter Urlaub, wenn da nicht der dumme Krieg wäre.

Impressum

Ungekürzte Ausgabe

August 2020

Texte:© copyright by Friedrich Haugg

Umschlaggestaltung: © copyright by Friedrich Haugg

Verlag:

Friedrich Haugg

Jägerstraße 3

82347 Bernried

[email protected]

Druck und Vertrieb:

epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Friedrich Haugg

Zehn gute Jahre

Teil 4

Nordlicht

Biografischer Roman

für Katharina,

und

für Yvonne,

die ihren Großvater

nicht kennengelernt hat.

Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt noch nie angeschaut haben. (Alexander von Humboldt)

Kap.21 Stargard

Sie, das waren Fritz, Werner, Albi, Ulrich von Thann und Theodor Walter, der vor zwei Wochen dazu gestoßen war, ein Oberfähnrich aus Hagen, quasi ein Nachbar von Werner, dessen leises und zurückhaltendes Wesen ihnen auf Anhieb sympathisch war, also sie lagen in voller Arbeitsmontur am Seeufer, die Krägen offen und die Ärmel hochgekrempelt, und genossen den schönen und heißen letzten Sonntagnachmittag im Juni. Fritz kaute an einem Grashalm herum, Werner nahm, ohne hinzusehen, die letzte Zigarette aus der Schachtel, schaute die leere Hülle kopfschüttelnd an, zerknüllte sie, holte aus, hielt inne und steckte sie dann in die Hosentasche.

„Nichts Bess'res weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen.“

„Was ist denn das für ein Fluss von Worten, werter Kamerad von und zu Thann?“, sagte Werner nach einigen Sekunden Stille. „Ihre Geografie- und Geschichtskenntnisse sind jedoch mangelhaft. In der Türkei ist gar nichts, jedenfalls weiß ich nichts davon, Frankreich muss es heißen, Frankreich.“

„Sie sind der Ignorant, Herr Baumann, ich habe Goethe zitiert, falls es nicht allgemein bekannt ist. Und da darf man nicht einfach Wörter verändern.“

„Euch ist wohl die Sonne nicht bekommen, Kameraden“, sagte Albi. „Immerhin sterben unsere Leute gerade und wir spaßen hier herum.“

Fritz wurde es ein wenig mulmig. Er hatte seit dessen Abreise aus Epfach nichts mehr von Hermann gehört. Er wusste nicht einmal, ob er an den Kampfhandlungen beteiligt war.

„Niemand stirbt mehr“, sagte Ulrich mit der Überlegenheit des besser Informierten.

„Außerdem sterben nur die Heiligen“, sagte Werner.

„Wie kommst du denn auf diesen Unsinn?“ Albi schüttelte den Kopf.

„Hast du schon mal bei einer Grabrede gehört, dass der Verblichene ein Hurenbock war, der seine Freunde ausgenommen und sich einen Scheiß um andere gekümmert hat? Also.“

„Hahaha.“

„Es ist vorbei, Jungs. Ihr hört einfach nicht zu.“ Ulrich schnaubte verächtlich.

„Was? Wieso vorbei? Die haben doch noch gar nicht richtig angefangen.“ Fritz war neugierig geworden.

„Tja, werte Knaben. Hättet ihr mal, wie befohlen, den Wehrmachtsbericht regelmäßig gehört, dann wüsstet ihr es. In Kurzfassung: Wir haben gesiegt.“

„Sag bloß“, sagte Werner.

„Ruhe bitte. Hört zu, damit ihr auch mal etwas wisst. Frankreich besteht jetzt aus zwei Teilen. Der Norden ist von uns besetzt und der Süden und die Teile der französischen Kolonien wie Marokko, Casablanca, ihr wisst schon, und Algerien steht unter einer Regierung, die uns wohlgesonnen ist, hahaha, und gemeinsame Sache mit uns macht. Vichy heißt die. Weil die Stadt so heißt, aus der Petain die südlichen Franzosen regiert.“

„Petain, Petain. Das ist doch so ein Franzosenheld aus dem Weltkrieg, oder?“, sagte Albi.

„Gute Kenntnisse, Herr Pflüger. Wenigstens einer mit Bildung hier. Theo natürlich ausgenommen.“

„Und der hat sich mit uns verbündet?“

„Das hat unser geliebter Führer aber wieder toll hingekriegt. Ich bewundere dich, Ulrichlein, dass du das alles weißt“, sagte Werner mit todernstem Gesicht.

Sie hatten tatsächlich schon etliche Tage den Radiobericht versäumt. Fritz, weil er an den Krieg nicht erinnert werden wollte und seine Freunde, weil sie fanden, Besseres zu tun zu haben. Außerdem ginge ihnen Liszt mit den Les Préludes auf den Geist, hatte Werner gesagt. Diese Gehorsamsverweigerung wurde von den Vorgesetzten stillschweigend geduldet, weil es sie offensichtlich auch nicht interessierte. Es war gemütlich in Stargard.

Viel spannender fanden sie alle die unvergleichliche Ju88, denn in den letzten zwei Wochen waren sie tatsächlich mit ihr geflogen. Schon die Glasschnauze hatte Fritz begeistert. Zwischen den Pedalen der Seitenrudersteuerung glitt die Landschaft unter einem dahin. So sieht es der Adler, dachte Fritz. Meine Schuhe sollte ich besser putzen. Gedacht war die gute Sicht für die Bombenabwerfer, aber das hatte Fritz nicht gestört. Sie warfen ja nichts herunter. Auch für das weiche Aufsetzen beim Landen war das ungemein hilfreich. Fast so gut wie im SG38. In der Pilotenkanzel ging es allerdings etwas eigenartig zu. Eng und voll von Instrumenten, Hebeln und Schaltern, nichts abgedeckt, nichts dem Design geopfert. Pure Funktionalität. Erst hatte er sich gewundert, dass die Griffe alle verschiedene Knöpfe hatten. Dann wurde ihm der Sinn klar. Man konnte sie blind erfühlen. Ein Versehen war weitgehend ausgeschlossen. Genial, unsere Ingenieure. Sein Sitz war als einziger mit einem Schutz gegen Einschläge geschützt, was ihm sehr unangenehm war, weil er es für unkameradschaftlich hielt und ihm der Gedanke gekommen war, dass denen da oben das Flugzeug wichtiger war als die Menschen. Der Pilot musste nur deswegen unversehrt bleiben, damit er das wertvolle Stück wieder nach Hause bringen konnte. Er wollte gar nicht wissen, was so ein Wunderwerk der Technik kostete. Etwas seitlich nach hinten versetzt, auf einem einfachen Schalensitz, saß neben ihm der Navigator, also Werner und mit dem Rücken zu ihnen der Funker und Techniker. Albi fand das gut, weil er nicht dauernd die Gesichter der anderen sehen musste, sagte er.

Der Funker hatte auch noch die Aufgabe, mit Hilfe des Maschinengewehrs Angriffe von hinten abzuwehren. Als ob jemand von vorne angreifen würde, hatte Albi gemeint. Er sei damit der einzig wahre Verteidiger ihrer Festung. Werner hatte auch ein Maschinengewehr in Reichweite, fand das aber eher lästig, weil es die freie Sicht störte. Eigentlich sollte noch ein vierter Kamerad die Besatzung vervollständigen. Aber die Fernaufklärer verzichteten darauf. Was für den vierten Mann sehr angenehm war. Der hätte nämlich den ganzen Flug auf dem Bauch liegend in der Bodenwanne verbringen müssen, um mit seinem MG nach unten zu sichern. Leider war der Fernaufklärer auf diese Weise nicht nach allen möglichen Seiten geschützt. Auch nicht weiter schlimm, hatte Werner gemeint, sie würden ja ohnehin nichts treffen. Ob er dabei den Feind oder sich meinte, hatte er offen gelassen.

'He, Werner. Siehst du das? Da ist doch tatsächlich eine Zuckanzeige, wie daheim in Wien', hatte Fritz bei der Begutachtung der Instrumente gesagt. 'Und jede Menge Kompasse, toll. Und der ganze Kram für Knickebein und so. Und schau mal hier: Ein Funkhöhenmesser, Wahnsinn. Und zwei Dinger für die Funknavigation. Die versteh' ich noch nicht. Musst du mir erklären.' 'Frag doch Albi', hatte Werner mürrisch gesagt, immer noch unzufrieden wegen der Benachteiligung beim Sitzen. 'Außerdem, möchte ich mal sagen, die W34 und die 52 waren moderner. Die hatten nämlich einen Aufenthaltsraum und eine Toilette. Die spinnen doch, ich soll da in so einen Beutel pinkeln und was mach' ich, wenn ich AA muss?' 'Vorher auf Toilette gehen', hatte Albi gemeint. 'Du Arsch. Als ob du schon vorher weißt, wann du musst.' 'Tja, ich weiß es. Ich muss jeden Tag um halb sieben und dann nicht mehr. Alles eine Frage der Disziplin. Kennst du nicht das Wort, oder?' 'Mein Bruder Hermann macht das auch so', hatte Fritz gesagt und sich gleich wieder darüber geärgert, weil seine Gedanken vom schönen Flugzeug abgelenkt worden waren.

Das Fliegen mit der Ju88 war ein wahrer Traum. Sie lag mit ihren breiten Schwingen adlergleich in der Luft, gehorchte feinfühlig dem Steuer und ihre beiden gewaltigen Motoren trieben sie mit sonorem Brummen zupackend und freudig an. Es waren Tage der fast reinen Lust für Fritz.

„Schau mal den Schäferhund. Siehst du, wie perfekt er die Schafe zusammentreibt. Wenn eines ausbricht, folgt er ihm nicht, sondern umkreist es und bellt es von der anderen Seite an. Schau mal, da, jetzt weicht das Schaf rechts aus. Schau, schau, bringt ihm nichts. Er treibt es gnadenlos wieder in die Gruppe. Und wo die Gruppe sein soll, bestimmt er auch. Wahnsinn.“ Fritz war richtig eifrig geworden.

„Das ist wirklich bemerkenswert“, sagte Albi. „Ich bewundere den Schäfer, der es ihm beigebracht hat. Ich hätte keine Ahnung, wie ich einem Hund sagen soll, wie er es machen soll.“

„Der kann das eben“, meinte Werner.

„Erleuchtender Beitrag“, sagte Albi. „Überanstreng' dich bloß nicht.“

„Ich will euch was sagen“, mischte sich Theodor ein. „Ich möchte ja nicht besserwisserisch klingen. Aber die Hütehunde können das von Geburt an.“

„Wirklich?“

„Ich hab' das bei einem ganz jungen Hund gesehen, so einem strubbeligen, kleinen Hütehund. Auf einem Bauernhof. Der hatte das bestimmt noch von niemandem gelernt. Und der machte es perfekt. Kein Huhn hatte eine Chance, aus der Ecke herauszukommen, in der er alle getrieben hatte.“

„Ja, aber“, sagte Fritz. „Dann ist das schon in den Genen verankert.“

„Wird wohl so sein“, meinte Theo.

„Aber, aber“, Fritz stockte. „Nein, das kann doch nicht sein. Wie soll das denn gehen. Und außerdem: Es ist ja eine sehr komplexe Handlung. Man muss ja schon vorher eine Vorstellung davon haben, wie das am Ende aussehen soll, das Gelände richtig beurteilen und auf Überraschungen richtig reagieren, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Das kann doch eigentlich nur ein vernunftbegabtes, bewusstes Großhirn leisten.“

„Wahnsinn“, sagte Werner.

„Und dann kommt noch etwas hinzu.“ Fritz war jetzt begeistert. „Irgendein Vorfahre muss es ja einmal gelernt haben. Von mir aus viele Vorfahren. Und das Verfahren hat sich laufend verbessert. Ohne Schulbücher und Lehrer.“

„Ja schon. Aber grundsätzlich ist das Hüten ähnlich dem Jagen der Wölfe. Die zingeln ihre potentielle Nahrung auch ein, bevor sie angreifen. Die Hütehunde dürfen dann nur nicht zubeißen. Wenn du genau beobachtest, zwicken die die Schafe schon mal ins Bein, um sich Nachdruck zu verschaffen. Aber es gibt keine Verletzungen.“

„Und selbst das wurde ihnen nicht beigebracht. Aber noch einmal zurück: Auch die Wölfe mussten das ja lernen. Wir verschieben das Problem nur weiter nach hinten.“

„Du hast recht, Fritz“, sagte Theo. „Die Einzeller haben das sicher nicht gekonnt. Die Saurier? Vielleicht. Das würde ich gerne erforschen.“

„Es geht also um die Frage, wie vererbt man erworbene Eigenschaften.“

„Eigenschaften ist vielleicht das falsche Wort. Werte müsste es heißen.“ Karl – Otto Manz, ein weiterer Pilot, der gerade hinzugekommen war, setzte sich und sah abwechselnd Fritz, Albi, Theo und Werner an. „Endlich habt ihr mal ein interessantes Thema. Nicht immer nur Fliegen, Technik und Frauen.“

„Da kannst du mal sehen, Karl – Otto“, sagte Fritz. „Du hast uns immer falsch eingeschätzt.“

„Worum geht es also bei euch? Sagt mal, ich kann bestimmt etwas Wichtiges beitragen.“

„Bestimmt“, sagte Werner.

„Es geht um die Vererbung. Und zwar, wie wird etwas vererbt, was zu Lebzeiten des Elternteils erst erworben wurde“, erklärte Fritz.

„Ah ja. Das ist eine durchaus interessante Frage. Ich habe mich intensiv damit befasst. Und ich nehme an, ihr meint damit nicht Geld, oder? Das wäre nämlich einfach.“

„Hä?“

„Der ist lustig“, sagte Werner.

„Ja klar kann ich auch lustig sein“, meinte Karl – Otto. „Auch bei einer wissenschaftlich seriösen Diskussion kann ein kleiner Scherz das Gespräch durchaus beleben. Wenn es nicht vom Gegenstand der Betrachtung zu weit weg führt.“

„Seht ihr“, sagte Werner. Alle außer ihm sahen etwas betreten nach unten.

„Gut. Haben wir verstanden“, sagte Albi. „Und was ist jetzt deine Meinung dazu, Karl – Otto der Große?“

„Das ist keine Frage der Meinung. Hier geht es um streng wissenschaftliche Überlegungen. Vererbung ist schließlich keine Lappalie.“

„Das eben versuchen wir die ganze Zeit schon zu vermitteln. Dein Beitrag sollte jetzt folgen.“

„Also gut. Ich versuche es mal so zu formulieren, dass ihr Laien es verstehen könnt. Vererbung ist ein Akt mit wohl und zu jedem Zeitpunkt definierter Auswirkung auf den Erben.“

„Und auf den, der gevögelt hat“, sagte Werner.

„Was? Was meinst du? Du hast wirklich nichts anderes im Kopf, Fähnrich Baumann. Wo schaust du eigentlich dauernd hin?“

„Zu den Schafen“, sagte Fritz. „Weil wir darüber geredet haben.“

„Auch“, sagte Werner.

„Der schaut gar nicht zu den Schafen, der interessiert sich fürs Einbringen des Heus weiter rechts“, präzisierte Albi.

„Auch“, sagte Werner.

„Lass dich nicht stören, Karl – Otto, mach weiter.“

„Also der Staat hat ein fundamentales Interesse an der Vererbung...“

„Ja, ja, schon gut“, Theo wurde ungeduldig. „Wir meinen das hier im Augenblick gar nicht rassistisch, sondern einfach nur wissenschaftlich.“

„Dann unterbrecht mich doch nicht dauernd. Ich zitiere jetzt mal: 'Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, das ist der Netto-Wert des erworbenen Vermögens abzüglich der Freibeträge. Die Bewertung aller Vermögensarten orientiert sich in allen Fällen einheitlich am gemeinen Wert, dem sogenannte Verkehrswert.“

„Hä? Was redet der denn“, fragte Fritz in die Runde.

„Er ist ein Jurist“, sage Werner.

„Aber, aber, wir reden doch von etwas ganz anderem.“

„Wieso?“, sagte Karl – Otto. „Jetzt lasst uns doch einmal beim Thema bleiben. Endlich mal eine intellektuell hoch stehende Unterhaltung.“

„Ich geh' schwimmen“, sagte Albi. „Kommt jemand mit.“

Werner stand auch auf, startete aber in Richtung des Heuwagens.

„He, Alter. Das Wasser ist da hinten.“

„Kann schon sein. Ich werde denen aber mal helfen. Etwas Sinnvolles, wenn ihr versteht. Bevor es ein Gewitter gibt und das Heu nass wird.“

„Wieso gehst du nicht schwimmen? Täte dir gut.“

„Lass ihn, Albi. Du hast nicht richtig hingeguckt.“

Albi blinzelte in Richtung des Heuwagens. „Au weia. Jetzt versteh' ich.“

„Ihr seid mir zu flatterhaft und oberflächlich. Ich gehe wieder zurück in meine Stube. Vielleicht wird es das nächste Mal was. Wenn es nicht mehr so heiß ist.“

„Servus, Karl – Otto. Und studier' schön.“

„Worauf du dich verlassen kannst. Sonst halte ich das hier nicht mehr lange aus.“

„So ein Idiot“, sagte Albi, als er weg war.

„Juristen haben ein anderes Gehirn. Ist euch das noch nie aufgefallen?“, sagte Theo.

„Unbrauchbar. In dieser Welt“, meinte Fritz. „Und mir fehlt der Zugang komplett.“

„Wenn die sagen, grundsätzlich, dann heißt das, es gibt mit Sicherheit eine Ausnahme. Komisch, findet ihr nicht?“

„Doch, sehr komisch. Trotzdem sehen sie aus wie wir. Sie essen genauso, sie machen eigentlich alles genauso wie wir. Aber es ist dennoch eine andere Spezies.“

„Würde mich interessieren, ob sie mit normalen Menschen überhaupt fortpflanzungsfähig sind. Das geht doch nur innerhalb der gleichen Art, oder?“

„Ich will's gar nicht wissen“, sagte Fritz. „Was macht Werner da?“

Ein großer Heuwagen mit zwei vorgespannten Ackergäulen, die eifrig in ihrem Futtersack nach Leckerbissen stöberten, war schon bis auf mehrere Meter Höhe beladen. Männer schleuderten unablässig mit großen Heugabeln Büschel nach oben und einige Mädchen ganz oben, halb verdeckt vom ständigen Nachschub brachten die Ladung durch Stampfen und Rupfen in eine transportierbare Form. Ein Mädchen war ganz zu sehen, weil sie gerade unten war. Sie hatte ein vergleichsweise kurzes Kleid an, das ihre nackten, braun gebrannten und muskulösen Beine sichtbar ließ. Sie war barfuß und hatte sich wohl gerade an etwas Spitzem weh getan. Deswegen war wohl Werner hilfreich hingeeilt. Er bot ihr seinen Rücken als Stütze an und erklärte sich offensichtlich bereit, den Schaden zu untersuchen und gegebenenfalls zu beseitigen. Das Anheben Ihres Beins, um an ihren Fuß zu gelangen, führte nicht dazu, dass ein weiteres Kleidungsstück sichtbar wurde. Nur noch mehr von der braunen Haut war zu sehen, bis alles im optischen Dunkel des weiten Rocks verschwand. Werner hatte wohl einen etwas besseren Standpunkt, um die Gesamtlage zu beurteilen. Dass das Urteil zu Werner's Gefallen ausfiel, sah man an einer schelmischen Kopfbewegung des Mädchens und einem rituellen Zupfen am Rock. Das Vorhaben, damit den Sichtbereich einzuengen, misslang jedoch.

Dann sah man Werner, wie er ihr ritterlich von unten half, wieder auf den oberen Arbeitsbereich zu gelangen. Natürlich musste er dafür konzentriert nach oben schauen.

„Man muss die Gelegenheit ergreifen, wenn sie sich bietet“, sagte Albi.

„Du bist verheiratet, mein Freund“, sagte Fritz lachend.

„Und du hast eine feste Freundin“.

„Ja, schon Aber du musst zugeben, dass die Mädchen da schon einen gewissen Reiz ausüben.“

„Ich geh' jetzt heim“, sagte Albi.

„Pass auf, dass du nicht für Nachwuchs bei der Heuernte sorgst. Du hast doch nicht, oder?“

Die Frage schien durchaus berechtigt, weil Werner etwas derangiert wirkte und selig lächelte.

„Die hat Haare, sag ich euch, Haare, unglaublich.“

„Ja klar, haben wir gesehen. Blond eben, wie es sich für ein richtiges deutsches Mädel gehört.“

„Ganz schwarz, tief schwarz sozusagen.“

„Farbenblind, der Gute. Trink was.“

„Von wegen. Sowas von schwarz. Das sieht vielleicht toll aus.“

„Ach du meine Güte. Du hast doch nicht etwa...“

„Der Kavalier genießt und schweigt. Aber die Haare. So dicht, so was habe ich noch nie gesehen. Da verschwindet man richtig darin.“

„Brrrr. Keine Details. Werner, mir graut vor dir.“

„Elender Spießer. Es gibt Vergnügungen, die sind dir endgültig vorenthalten. Du dauerst mich, Albi, mein Freund. Vielleicht versteht Fritzchen mich. Oder? Fritzchen?“

„Ich hab nur Sorge, weil ich an Roswitha denken muss.“

„Kein Grund, mein Lieber. Es passiert nichts.“

„Weil sie es gesagt hat, oder?“

„Genau.“

„Alle mal herhören.“ Sie waren gerade zweckdienlich versammelt, weil sie wieder einmal eine Stunde Formalausbildung hatten. Das ließen die sich nicht nehmen. Selbst Singen stand dabei auf der Tagesordnung. Die Freunde absolvierten diese Zeitverschwendung stoisch und mit einem gewissen Humor bei der Variation der Liedtexte, die den Inhalt ein wenig ins Sexistische verschoben hatten. Keiner wusste, wer der Autor war, aber die Texte verbreiteten sich blitzartig über Orts- und Organisationsgrenzen hinweg. Fritz konnte dabei genüsslich von den Mädchen auf dem Heuwagen träumen. Er beneidete Werner ein wenig, weil er so unkompliziert war. „In einer Stunde im Unterrichtsraum B, alle. Wegtreten.“

„Das mit dem Film – MG ist schon stark. Findest du nicht, Werner? Verbraucht keine Munition. So könnte man Krieg führen. Wir zeigen dem Gegner den Film und der muss sich dann ergeben. Sehr menschlich...“

„Fritz, du sollst zuhören.“

„Sagt ja keiner was.“

„Aber jetzt. Schnauze.“

„Kameraden.“ Es klang richtig feierlich. „Die Zeit des Spielens und des Vergnügens ist jetzt vorbei. Das Vaterland braucht uns. Darauf haben wir lange freudig gewartet und dafür haben wir mit ganzem Herzen jahrelang geübt. Ihr seid jetzt bereit für höhere Aufgaben.“

Was meint er nur, was meint er nur, dachte Fritz beunruhigt.

„Aus uns ersteht jetzt eine echte Einsatztruppe. Unsere Flugzeuge und mit ihnen ihre Führer, Beobachter und Funker werden in eine Aufklärungsgruppe als achte Staffel eingegliedert. Es ist die Aufklärungsgruppe 1 Punkt Klammer auf Eff Klammer zu Schrägstrich Einhunderteinundzwanzig. F steht für Fernaufklärer. Diese Gruppe hat schon erfolgreiche Dienste geleistet, für die Luftflotte 1 über Nordpolen, noch mit der Do17, und im Mai im Westen bei der Luftflotte 2 für das IV. Flieger-Korps über Belgien und Nordfrankreich, auch mit der Do17 und der He111. Unsere Staffel wird verlegt nach Norwegen. Sie untersteht dem X. Fliegerkorps der Luftflotte 5, die jetzt in Oslo stationiert ist.“

Moment mal, dachte Fritz, wieso Norwegen? Und eine ganze Luftflotte in Oslo? Da ist doch nichts mehr los.

„Von da aus unterstützen wir den Kampf um England. Unsere Flugzeuge, also die, die wirklich kämpfen, sorgen für die Luftherrschaft, bevor Bodentruppen die englische Insel erobern werden. Eine Staffel besteht aus acht Flugzeugen. Uns sind aber vorerst nur vier zugeteilt. Dennoch werden wir unsere Aufgabe vorbildlich erfüllen. Abmarsch nach Sola ist am 10. August, also übermorgen acht Uhr. Wegtreten. Halt: Ihr Staffelführer ist Hauptmann Thomas Jung, ihr Kompaniefeldwebel Stabsfeldwebel Heinrich Moltke, für die Logistik ist Unteroffizier Karl - Otto Bendlinger zuständig. Empfang der Ausrüstung ist morgen um 17 Uhr. Bis dahin normaler Dienst. Jetzt wegtreten.“

Fritz ging gedankenverloren hinaus zu 'seiner' Ju 88. Nun ja, seine war es nicht, aber mit der war er bisher geflogen. Zwei Gefreite machten sich am Rumpf zu schaffen. Einer malte etwas unter das Glasdach der Pilotenkanzel. Die Umrisse konnte man schon sehen. Es wurde ein weißer Schwan im Flug mit lang gerecktem Hals. Oder war es mehr eine weiße Gans. Aber hübsch war sie allemal.

Der andere war mit einer Beschriftung an der Seite zwischen Flügel und Höhenleitwerk befasst.

Es wurde eine '7' und ein 'A' deutlich. Dann kam das schlichte, schwarze Balkenkreuz und danach die Buchstaben 'B' und 'H'. Auch schön.

„Gefreiter, was bedeuten die Buchstaben und die '7'?“

„Was? Darf ich fragen, Herr Fähnrich, wer sie sind? Und ob sie autorisiert sind?“

„Ich denke, ich werde mit dem Vogel da längere Zeit zu tun haben.“

„Ach so. Jetzt seh' ich es. Entschuldigung. Sie haben ja das Flugzeugführerabzeichen. Ist das ihre Maschine?“

„Könnte man so sagen.“

„Ist eine gute Maschine. 7A steht für die Aufklärungsgruppe 1.(F)/121. Ich kann ihnen nicht sagen, warum das so ist. Ist aber so. Das 'B' steht für das zweite Flugzeug in der Staffel und das 'H' für die Staffel. Das wäre die achte Staffel. Aber so viele sind es, glaub' ich, gar nicht. Soll den Feind verwirren, denk' ich. Der kann das System nämlich auch nicht durchschauen. Die Wildgans ist das Wappen der Fernaufklärergruppe 121.“

Irgendwie machten die Beschriftung und die Wildgans Fritz stolz. Er spürte plötzlich eine familiäre Beziehung zu seinem Flugzeug. Es war jetzt nicht mehr ein beliebiges Gerät, sondern ein Individuum, ein fester Bestandteil seines Daseins, eingebunden in ein großes Ganzes.

„He, Werner, wieso ist dein Adler an der Brust mehr von der Seite zu sehen. Und ich glaub', er landet gerade, meiner fliegt weg, ganz deutlich.“

„Mann, du hast wirklich keine Ahnung. Du hast das Flugzeugführerabzeichen. Ich bin nur Beobachter, da landet der Adler. Navigation, du verstehen? Du fliegen, ich sagen, da landen, sonst verloren im Universum. Der Albi, der hat ein scharfes Zeichen. Schau mal. Die Blitze des Zeus.“

„Wieso Zeus?“

„Hör nicht auf ihn“, sagte Albi. „Das sollen Funksignale sein. Ich bin, zumindest sagt mein Abzeichen das, Funker und Bordmechaniker. Wenn es so sein soll, warum nicht. Ihr könntet das ja sowieso nicht hinkriegen.“

„Habt ihr schon die Wildgans gesehen. Sieht toll aus, nicht?“

„Kein Adler, Fritzchen. Tut mir leid. Aber du hast ja genügend davon auf der Brust und am Kopp.“

„Sach mal, Wernerchen, wo ist das eigentlich, das Sola?“

„In Norwegen.“

„Danke. Und was machst du jetzt?“ Werner war dabei, aus der Stube zu gehen.

„Ich gehe meiner Wege.“

„Und lässt mich dumm zurück.“

Werner winkte nur mit der rechten Hand und verschwand.

Wer statt seiner herein kam, war ein Hauptgefreiter. Hauptgefreite sind Menschen, die es nicht in den Unteroffiziersstand geschafft hatten oder es gar nicht schaffen wollten. So wie Fritz dieses Exemplar deutete, war wohl das Letztere der Fall. Millionen von Sommersprossen tarnten sein Gesicht, nur die blitzenden Augen aus schmalen Augenschlitzen verrieten ihn.

„Haben sie einen Namen, Hauptgefreiter. Ich möchte das Wort nicht immer komplett aussprechen müssen. Und welches ist ihr Begehr?“

Die Stiefel klappten zusammen und die ganze Gestalt versteifte sich und nahm an Höhe erstaunlich zu. Er hatte in seinen langen Dienstjahren verinnerlicht, automatisiert und gelernt, dass der korrekte Auftritt so manches übertünchen kann. „Hauptgefreiter Köstinger, Rudi Köstinger, Herr Fähnrich.“

„Und darf ich fragen, woher sie kommen?“

„Jawoll, Herr Fähnrich.“

„Gut, danke. Dann möchte ich sie fragen, woher sie kommen.“

„Nehme ihre Frage gerne entgegen, Herr Fähnrich.“

Woher kommen Sie, Hauptgefreiter Rudi Köstinger?“

„Aus dem Lager im Hangar 3, Herr Fähnrich.“

Er war Fritz auf Anhieb sympathisch. „Dort geboren?“

„Nein, Herr Fähnrich.“

„In welchem schönen deutschen Ort ist das Kind Rudi Köstinger aufgewachsen?“

„In Essen, Herr Fähnrich.“

„Na, dann weiß ich ja schon eine ganze Menge über sie. dass sie bei der Luftwaffe sind, sehe ich, weil ich die Uniformen und Abzeichen studiert habe. Aber ob sie zur Wildgans gehören, das weiß ich nicht und daher meine Frage: Gehören sie zur Wildgans und was ist ihre Aufgabe?“

„Jawoll, Herr Fähnrich. Gehöre zur Wildgans. Ich gehöre zum, nein, ich bin der Stab des Staffelkapitäns. Ich habe schon unter ihm im Weltkrieg gedient. Ganz am Schluss, versteht sich, bei meinem Alter.“

„Dann sind sie jetzt, sagen wir mal, so vierzig, oder?“

„Neununddreißig, Herr Fähnrich.“

„Prima, ich bin Fritz Klein und erst 29, angenehm.“

„Angenehm, Herr Fähnrich.“

„Was ist denn hier los?“, sagte Werner, der gerade um die Ecke kam. „Plauderstündchen?“

Rudi stand sofort wieder stramm.

„Brauchst du nicht, Rudi, der ist auch aus Westfalen“, sagte Fritz.

„Mit Verlaub, Essen ist nicht Westfalen. Essen ist Rheinprovinz.“

„Auch recht“, sagte Fritz. „Ist mir egal, alle gleich da oben im Norden. Kommen wir zurück zur Frage, was ihr Auftrag ist, Rudi.“

„Ich soll ihr Gepäck abholen.“

„Ah ja? Brauch' ich das nicht mehr selber tragen? Schon einmal ein Vorteil. Ist dafür nicht unsere Logistikabteilung zuständig?“

„Ja nee is kla. Aber der ist gerade mit Papierkram beschäftigt.“

„Wo wollen sie denn hin mit unserem Gepäck, Rudi?“

„In'n Flieger, sonst seid ihr ja ohne in Norwegen.“

„Hat die Ju88 einen Gepäckraum?“, fragte Werner.

„Hat sie, Herr Fähnrich. Aber nur die Aufklärer. Die Bomber nicht, sie verstehen?“

„Ach du grüne Neune. Dann müsst ihr aber den Hebel für den Abwurfschacht festzurren.“

„In den Aufklärern ist kein Hebel dafür, Herr Fähnrich.“

„Wie beruhigend.“

„Ich stopf dann mal die Sachen in den Seesack“, sagte Fritz.

„Ich stopf dann mal die Sachen in den Seesack“, sagte Werner und verschwand wieder.

„Albi auch“, rief Fritz ihm nach.

„Danke Rudi. Wie kommen sie nach Sola.“

„Ich flieg mit dem Kapitän. Wir haben 'ne Tante dafür.“

„Beneidenswert. So mit Aufenthaltsraum. Mit Kaffee und Zigaretten.“

„Der Chef raucht nicht.“

„Oh je, sie Armer.“

„Ich soll noch was ausrichten, vom Unteroffizier Bendlinger. Sie müssen noch ihre Pistolen abholen.“

„Ah, der Krieg. Wissen sie, welche wir kriegen?“

„Ich glaube, die Walther PPK.“

„Keine Parabellum?“

„Si vis pacem..., ich weiß schon, Herr Fähnrich.“

„Mit Munition?“

„Nee. Die gibt's erst an der Front.“

„Ja klar.“

„321 Grad, 846 Kilometer.“

„Was willst du mir sagen, Werner?“

„Ich hab geschaut und weiß jetzt, wo Sola ist.“

„Sagst du mir's auch?“

„Ist der Flughafen von Stavanger. Haste sicher schon mal von gehört.“

„Ah? Stavanger. Gehört schon, aber mehr weiß ich nicht.“

„Schön da. Viel Wasser und ein paar Hügel.“

„Du hast dich aber sauber vertan.“

„Wieso?“

„321 Grad ist der Kurs nach Peenemünde, falls du dich erinnerst.“

„Ja, stimmt schon. Wir fliegen genau über Peenemünde.“

„Ist nicht wahr.“

„Doch. Vielleicht haben sie deswegen Sola gewählt. Brauchen das Knickebein nicht umstellen.“

„Absurde Begründung.“

„Alles ist absurd. Schon wieder weg, diesmal von Euphrosynia.“

„Was heißt das denn? Ist das deine Isabella von hier?“

„So könnte man das nennen. Euphrosynia ist ein stolzer, alter ostpreußischer Name. Also keine Witze, bitte.“

„Nein, wie käme ich dazu? Phrosi könnte man zu ihr sagen oder Eufi. Wie heißen die denn in Norwegen?“

„Keine Ahnung. Man wird sehen. Schöne Scheiße.“

„Wie wird das Wetter sein?“

„Also, zwei Achtel Quellwolken, Bodentemperatur mittags 12 Grad, in 3000 Meter Höhe 6 Grad, trocken, bei 760 Torr Luftdruck, leichter Wind aus Südsüdost, am Boden 1 Beaufort, in 1000 Meter 2 Beaufort.“

„Torr, Torr. Nimm doch die richtige, neue deutsche Einheit.“

„1020 Bar, wenn du willst, also schönes Wetter.“

„Die ganze Strecke?“

„Weiß ich nicht. Das gilt für den Harz.“

„Spinnst du jetzt komplett?“

„Haben die mir auf Anfrage so gefunkt. Kann ich doch nichts dafür.“

„Und wie ist es, da wo wir hinfliegen?“

„Keine Ahnung. Du fliegst.“

Fritz lag mit verschränkten Armen unter dem Kopf und wartete auf den Schlaf. Es war keine Furcht, die er spürte, nicht das fürchterliche Grauen, das ihn immer überkam, wenn der Tod in seine Nähe gerückt war. Er war nur sehr wach. Die Gedanken kamen von selbst. Mit welchen Flugzeugen bin ich schon geflogen? Erst einmal ist da der Schulgleiter SG38, dann das Grunau Baby, das waren noch Zeiten, dann die herrliche Minimoa, dann der Stieglitz, die FW44, ach vorher noch bei Henschel die HS126, das war lustig, mit dem Testpiloten, der Albers kannte, aus Russland, komische Sache. Ich habe nie erfahren, was da wirklich war. Und werde es auch nie mehr erfahren. Was Albers wohl jetzt macht? Immer noch am Hornberg? Ursula und Albi hatte es da ja festgehalten. Ursula, das war eine. Ob sie das mit den zwei Männern einmal geschafft hat? Ich muss Albi mal fragen. Nein, besser nicht. Könnte ein empfindlicher Punkt sein. Mit wie vielen Mädchen habe ich schon richtig geschlafen? Also, so richtig, mit dem Penis in ihr drin. Susi natürlich. Aber nicht bis zum Ende und so. Und dann? Roswitha, keine gute Erinnerung. Dann erst wieder in Wien, damals auf dem Ball. Das war gut. Dann mit der Hure, Chantal, kann man vergessen. Und sonst? Mehr ist da nicht. Ist das gut oder ist das ein Zeichen von fehlender Männlichkeit? Auf jeden Fall ist es nicht nennenswert, nichts was man zum Angeben nutzen konnte. Würde ich auch nicht machen, darüber reden. Geschlafen habe ich ja auch mit Eva. Er musste lachen, als er sich an das Hotel am Eibsee erinnerte. So etwas bleibt besser in Erinnerung als ein fader Geschlechtsverkehr. Luise. Verdammt, ich kann ihr jetzt gar nicht mitteilen, dass ich versetzt wurde. Von Sonthofen wusste sie auch nichts. Da kannte ich sie ja noch gar nicht. Die Ordensburg. Skifahren wäre jetzt schön, er schoss einen Hang hinunter und plötzlich war da kein Boden mehr, nur eine riesige Schlucht. Weit unten sah er ein kleines Bergdorf und gleich unter ihm eine Schotterhalde, auf der sich Kurt Brauner weinend gerade noch festhielt. Ich kann ihm nicht helfen, ich fliege gerade durch die Luft und kann mir selber nicht helfen. Er öffnete die Augen und sah nur Dunkelheit. Aber er fiel nicht mehr, sondern lag sicher auf seiner Matratze. Sein rasender Puls beruhigte sich langsam. Verdammt, ich muss jetzt in den Krieg ziehen. In den richtigen, ernsten Krieg. Den unser geliebter Führer doch nie wollte. Der sitzt jetzt bestimmt sorgenvoll, mit der Hand an der Schläfe, in seinem weichen Sessel auf dem Obersalzberg, starrt aus dem Panoramafenster die Berge an und denkt darüber nach, was er falsch gemacht hat. Das mit Polen, das verstehe ich ja noch, aber Frankreich und vorher Norwegen, das hätte es doch nicht gebraucht. Andererseits, wenn er so eine gewaltige, hoch technisierte Streitmacht aufgebaut hatte, diente das wirklich nur der Friedenssicherung? Si vis pacem, para bellum. Aber gleich so viel teure Abschreckung war doch nicht nötig. Vielleicht haben die alten Säcke von adligen Militärs einfach losgeschlagen. Aber nein, das würde er doch nie zulassen. Also hat er es schon selber gewollt. In 'Mein Kampf' kann man das schon herauslesen, wenn man ehrlich ist. Aber mit den Engländern wollte er doch kooperieren. Die haben es nicht gewollt. Versteh' ich nicht. Jetzt haben wir den Salat. Jetzt müssen wir den Kopf hinhalten. Wenigstens fotografieren wir nur, das ist schon viel angenehmer als Bomben werfen oder schießen. Ausrede, Ausrede. Unsere Fotos geben die Ziele ab. Menschen werden getötet, wo wir fotografiert haben. Liebe Leute, lasst euch bloß nicht von uns fotografieren. Wir sollten gleichzeitig Zettel abwerfen, auf denen steht: 'Haut bloß ab! Wir haben Fotos von euch.' Mehrsprachig versteht sich. Fritz überlegte noch, für welche Sprachen man solche Zettel erstellen müsste, als er endlich einschlief. Kein Albtraum störte den Rest seines Schlafs. Der Weckruf schreckte ihn hoch. Er fühlte sich ausgesprochen missmutig. Nur noch ein bisschen schlafen, dann machen wir gerne Krieg. Aber nicht sofort.

Als er endlich mit dem neuen Knochensack, ein Kleidungsstück, das viel wärmer war, weil pelzgefüttert, zum Hangar eilte, war schon emsiges Tun zu erkennen. Vier Ju88 standen stolz davor, Techniker wuselten um die Maschinen herum, bei einer hing noch der Tankschlauch am Flügel. Ein großartiger Anblick diese riesigen Wunderwerke unserer Technik mit den disziplinierten Menschen, die wussten, was zu tun war. Davor stand eine kleine Versammlung von Leuten, aus denen einer Fritz hektisch winkte, Werner.

„Befehlsausgabe. Du bist zu spät. Mann, Penner.“

„Ruhe, da hinten“, rief ein Hauptmann, der vor der Gruppe stand. Er sah richtig gut aus und erinnerte Fritz ein wenig an Albers. Das könnte ihr Staffelkapitän sein, Thomas Jung. Richtig. Rudi stand in 'Rührt euch' – Stellung stoisch daneben und wartete auf Befehle, die ihn betrafen.

„Jungs. Wir fliegen im Verband. Kettenkeil. Kettenkeil ist eigentlich für drei Flieger. Führer ist von Thann, links in Flugrichtung fliegt Walter, rechts Klein. Klein ist auch der erste Katschmarek für die Kettenreihe rechts, die mit Manz abschließt. Verstanden? Es gibt keinen Namen für vier Flugzeuge. Also läuft das so.“

„Wenigstens ist der Jurist der Letzte. Gefällt mir“, sagte Werner.

„Aber wir sind eingeklemmt. Als einzige. Gefällt mir nicht“, sagte Fritz. „Gefällt mir gar nicht.“

„Heulsuse, sei still“, sagte Albi.

„Start von Thann in zehn Minuten, danach im Minutenabstand Klein, Walter und Manz. Von Thann dreht eine Platzrunde während sich die anderen einsortieren. Die Formation steigt dann auf 3000 Meter Marschflughöhe. Wegtreten.“

„Mein Güte, lass uns doch einfach nach Sola fliegen. Jeder, wie er kann“, seufzte Fritz. „Außerdem hätte es heißen müssen, 'Start von von Thann' oder er hätte im zweiten Teil des Satzes das 'von' weglassen müssen...“

„Bist du jetzt völlig bescheuert?“ Werner schüttelte den Kopf.

Fritz wartete noch ein bisschen. Den Anblick konnte er sich nicht nehmen lassen. Drei Maschinen hatten gerade ihr Motoren gestartet. Das Geräusch war mehr ein Donnern als das übliche Brummen. Die großen Flügel der Adler, nein Wildgänse, zitterten erwartungsvoll. Sie waren zum Leben erwacht und scharrten mit den Hufen, nein, den Krallen, um endlich loszulegen.

Fritz kletterte die kleine Leiter mit den Stahlsprossen in den Bauch und zwängte sich vor zu seinem Sitz. Werner musste sich dabei ein wenig an die Wand drücken. Fritz führte die Vorflugprüfung aus und bekam ein Handzeichen vom Wart, der schräg vor seiner Nase stand und alles beobachtet hatte. Himmel, jetzt hatte Fritz vergessen, das Flugzeug nach äußeren Schäden abzusuchen. Eine Pflichtaufgabe des Piloten, gleichwohl ziemlicher Unsinn. Denn wenn es Schäden zu sehen gäbe, hätten die Warte das Flugzeug längst aus dem Verkehr gezogen und repariert. Die Vorschrift hatte er aber verletzt. Na und, kein Problem, wenn man es besser weiß.

Das Anlassen der Motoren erzeugte Gänsehaut. Fritz spürte ihre unbändige Kraft, als sie langsam auf Touren kamen. Er ließ sich Zeit, mit den Gashebeln gefühlvoll die Schwebung zu beseitigen, bis ein absoluter Einklang herrschte. Das erzeugte bei Werner nur ein Kopfschütteln, der richtig erkannt hatte, dass diese Übung zum jetzigen Zeitpunkt ziemlich sinnlos war.

Er reihte sich beim Rollen hinter Theo ein, der sich an Ulrich angeheftet hatte. Ob der Jurist folgte, war ihm eigentlich egal. Dann standen sie wieder. Vor der Startpiste. Sie spürten geradezu, wie Ulrich den Gashebel nach vorne geschoben hatte und sahen den Ausschlag am Seitenruder. Die Ju88 drehte sich majestätisch und zeigte Fritz erst die Wildgans und dann das Zeichen. 7A + AH. Schon wieder lief Fritz Gänsehaut den Rücken hinunter und das Kribbeln im Magen war in diesem Fall dem Kribbeln angesichts eines begehrten Weibes ähnlich. Genauso elegant folgte Theo mit der 7A + CH. Werner gab Fritz einen Stoß in die Seite, weil der fasziniert zusah, wie die Maschinen vor ihm Fahrt aufnahmen, sich dann waagrecht stellten und schließlich steil nach oben in den Himmel zogen.

Fritz trat beide Pedale fest durch und gab Vollgas. Das Zittern der Maschine beunruhigte in wie jedes Mal, weil er an den Verschleiß durch Vibrationen denken musste. Er zog die Pedale wieder zurück. Immer schneller flog der Boden nach hinten und dann hörte das Rappeln des Fahrwerks auf. Sofort betätigte er den Hebel für das Einfahren der großen Räder, was ihm ein Kopfschütteln von Werner eintrug. Wie Albi schaute, konnte er gottlob nicht sehen. Aber das frühe Manöver erlaubte ihm einen gewagteren Steilflug und das genoss Fritz. Schon wurde die Landschaft langsam, aber leider musste er jetzt den Kontakt zu Theo suchen. Er nahm das Gas nicht zurück und so schloss er schnell auf, musste aber nach rechts wegschmieren, weil er ihn sonst gerammt hätte. Schon nach kurzer Zeit war Theo aber wieder schneller als er und schob sich grinsend und mit dem Finger drohend an ihm vorbei.

„Weiß der Ulrich, dass er 321 Grad fliegen muss?“, sagte er durch des Mikrofon, das vor seinem Mund hing.

„Ja, der Ulrich weiß das“, krächzte es aus der Hörmuschel. „Der Kurs hat sich herumgesprochen.“

Fritz schaltete wieder zurück auf die Ei - V. „Sach mal, Werner, hast du's auch gemütlich? Wie lange werden wir unterwegs sein?“

„Schon gut. Bemüh' dich nicht, verehrter Flugzeugführer. Na, so zwei Stunden wird es wohl sein.“

„Dann sind wir ja um zehn schon da. Was machen wir denn da den ganzen, lieben Tag?“

„Früher war alles besser.“

„Was war besser?“

„Früher war der Beobachter der Chef, der Flieger war nur der Kutscher.“

„Bitte, bitte. Kein Problem. Ich gebe die Verantwortung gerne ab.“

„Geht nicht. Ist Vorschrift. Was sollen die Leute denken?“

„Na gut. Also, was ist für uns vorgesehen, wenn wir da sind.“

„Erst einmal ausforschen, was es da alles gibt, denk' ich.“

„Meinst du, wir haben Zeit dazu? Es ist doch Krieg.“

„Was können wir denn dazu beitragen? Außerdem, wo wir hinfahren, ist überhaupt kein Krieg mehr.“

„Wie findest du den Schwan, nein die Gans?“

„Hab noch nie im Leben eine weiße Wildgans gesehen. Und ob die Hausgänse fliegen können, weiß ich auch nicht.“

„Du hast recht, ich hab' noch nie eine Hausgans richtig fliegen gesehen.“

„Ich habe überhaupt noch nie eine weiße Hausgans gesehen.“

„Ich schon. Ich bin auf dem Lande aufgewachsen.“

„In München! Klar.“

„Meine Großeltern mütterlicherseits kommen von einem Hof, in Epfach. Wirst nicht wissen, wo das ist. Brauchst du auch nicht zu wissen. Wenn wir mal hinfahren, führ' ich dich herum.“

„Was gibt es in Epfach?“

„Na Bauern. Sagte ich doch schon.“

„Wird da auch Heu gemacht?“

„Na klar. Es gibt ja auch Kühe.“

„Und wie machen die da das Heu?“

„Das macht die Natur.“

„Ich meine, wie bringen sie es nach Hause?“

„Fürwahr, mein Freund. Ich verstehe deine Fragen. Aber du kannst ganz beruhigt sein. In Bayern ist es wie in Ostpreußen, wenn dir das weiter hilft. Nur Euphrosynia heißt dort Resi.“

„Macht nichts. Wann fahren wir nach Epfach?“

„Wenn ich eure strategisch wertvolle Erörterung einmal unterbrechen darf. Da unten ist Peenemünde. Wir sind genau darüber. Hättet ihr nicht gedacht, oder?“ Die Stimme kam auch aus der Muschel, aber sie war von Albi, den sie fast vergessen hätten.

„Wie kannst du das sehen, mein Freund? Du sollst nach hinten sichern. Hoffentlich verwechseln die uns nicht mit ihren Übungszielen“, sagte Werner.

„Ab jetzt betreten wir unbekannte neue Welten. Mal sehen, was auf uns zukommt“, sagte Fritz mit Ehrfurcht in der Stimme.

„Rügen unbekannt, oder? Also ich war da noch nie, aber es ist noch immer die deutsche Scholle. Übrigens, der Jurist hinter uns ist irgendwie sauer. Er wackelt ständig mit den Flügeln.“

„Ich schalt mal auf die Rudelkommunikation“, sagte Fritz. „He, Rechtsanwalt, was ist los? Hast den Paragrafen nicht gelesen, wie man die Mühle ruhig hält?“

„Hier Sieben Anton Dora Heinz. An Sieben Anton Berta Heinz.“

„Hier sind wir. Aber es muss Bruno heißen.“

„Was? Wieso Bruno? Ich seh mal nach. Ja, du hast recht. Berta ist veraltet.“

„Klingt aber schöner, findest du nicht“, sagte Werner.

„Hallo. Nur der Flugzeugführer darf sprechen.“

„Verbiete dem Beisitzer hier mal den Mund“, sagte Fritz. „Kannst du vergessen. Also, was gibt’s?“

„Ihr ändert dauernd die Geschwindigkeit. So kann ich niemals vorschriftsmäßig dran bleiben.“

„Der vor mir, der von ändert sie dauernd.“

„Der von hat den Gashebel nicht berührt“, erklang die Stimme von Ulrich. „Das liegt vielleicht an den Verwirblungen, oder?“

„Albi, was meinst du?“, sagt Fritz. „Machen wir zu viel Wirbel?“

„Was ihr macht, ist zu viel quatschen. Aber das wirkt sich nicht auf Karl - Otto, den Rechtsgelehrten aus, denk' ich.“

„Was meinst du mit quatschen?“

„Wen interessiert Epfach, wen wir über der Ostsee sind?“

„Was ist mit Epfach? Ist das ein Codewort, das ich nicht kenne“, krächzte Karl – Otto.

„Hat bestimmt etwas mit Mädchen zu tun. Der mittlere Teilnehmer ist voll von solchen Typen“, sagte Ulrich. „Lasst das alles bloß nicht unseren Anführer hören. Der hält euch sonst für komplett bescheuert.“

„Der Anführer hört alles“, klang eine fremde Stimme. „Nur damit es klar ist, ihr habt die Vorschriften für den Funkverkehr so was von verletzt. Hat man das euch nicht beigebracht? Na wartet, wenn wir wieder am Boden sind, Kindsköpfe.“

Fritz sah zu Werner hinüber, nahm das Kinn zurück und zog den Mund in die Breite, wie ein kleines charmantes Kind, das bei einer Ungehörigkeit ertappt wurde. Werner grinste. „Der ist gar nicht so übel, oder? Scheiße, die Kommunikation ist ja noch an.“

„In einem Punkt haben sie recht, Baumann. Die Kommunikation ist an“, sagte der Staffelkapitän. „Schluss jetzt mit dem Unfug. Sie haben ein Problem mit dem Abstände einhalten?“

„Ich denke, der Fähnrich Manz muss genau beobachten und mit dem Gashebel nur ganz feinfühlig reagieren. Dann geht das schon. Aber ich finde auch, wenn wir etwas weiter auseinander fliegen würden, könnte man den Flug besser genießen.“

„Ersparen sie mir jetzt einen Kalauer, Fähnrich Klein. Aber ich habe nichts dagegen, wenn sie die Formation etwas lockern. Jetzt sind sie gerade unter mir durch. Die alte Tante Ju kann ja mit euch nicht mithalten. Wir sehen uns in Sola, Ende.“

Alle sahen angestrengt nach oben, konnten die Ju52 ihres Kapitäns aber nicht entdecken.

„Achtung. Rechtspfleger. Ich geh' jetzt ein wenig langsamer und rechtser.“ Fritz ließ sich von Ulrich ein wenig seitlich abfallen, ganz vorsichtig wegen Karl – Otto natürlich. Aber der reagierte ganz ordentlich.

„Wie ist der befohlene Abstand jetzt?“, sagte der.

„Der befohlene Abstand ist 'jeder, wie er mag'. Ich hoffe, damit kannst du leben“, sagte Ulrich. „Ende jetzt. Ich will schauen.“

Fritz schaltete wieder auf Bordkommunikation.

„Da unten ist viel Wasser. Ostsee, oder? He, schaut mal den weißen Strich. Da fährt ein Schiff. Wird doch kein Feind sein, oder?“

„Feind in der Ostsee. Ich glaub's ja nicht“, sagte Albi.

Werner kramte doch tatsächlich ein Fernglas heraus. „Ich kann's sehen. Ist ein Vergnügungsdampfer, wahrscheinlich so ein KdF – Schiff. Die machen jetzt Urlaub und da sagen die immer, Deutschland müsse es noch besser gehen.“

„Werner. Was ist das für Land da vorne?“

„Lass mal sehen. Ist Seeland.“

„Was soll das jetzt heißen?“

„Seeland. Heißt so, du Simpel.“

„Gehört das auch zu uns. Nie gehört.“

„Meine Güte, diese Bayern“, sagte Albi. „Ist Kopenhagen drauf. Du jetzt verstehen?“

„Huch. Das ist dann ja Feindesland.“

„Jetzt nicht mehr.“

„Na, hoffentlich. Wenn du so kleine Wölkchen siehst, dann ist das aber doch Feindesland. Das nennt man dann FLA. Da sind kleine Wölkchen. Werner, sag was.“

„Und die werden immer mehr. Pass auf, dass sie dich nicht treffen. Kumuli sind äußerst gefährlich. Wegen der Böen. Denk an Siegfried.“

„Ach so. Aber die sahen schon komisch aus. Keine Flugzeuge zu sehen?“

„Doch. Drei.“

„Drei ist in Ordnung. Aber bitte nicht noch mehr. Schade, die Wolken nehmen zu. Da vorne ist eine geschlossene Wolkendecke, oder?“

„Ich bewundere deine scharfen Augen.“

„Die ist aber etwas höher als wir. Sollen wir da hinein?“ Fritz schaltete den Funk wieder ein. „He, Edler von Tannengrün. Sollten wir nicht etwas höher? Oder willst du Blindflug üben?“

„Unser Befehl lautet 3000 Meter“, sagte der Jurist in die Muschel.

„Also, ich geh höher“, meinte Ulrich.

„Ich auch“, sagte der, der bis jetzt noch schweigsam war, Theo. „Jetzt kommt der Jurist in eine Zwickmühle, weil Formationsflug auch befohlen war.“

„Ich folge dem Anführer und der ist jetzt gerade Oberfähnrich Ulrich von Thann. Ich erwarte ihre Befehle.“

„Seht ihr, Leute“, sagte Ulrich. „So funktioniert das. Ich befehle eine Höhe von, na sagen wir mal, einhundert Meter über den Wolken. Jeder entscheidet für sich, wie hoch das ist. Guter Befehl, oder?“

Plötzlich befanden sie sich einer unwirklichen Märchenlandschaft. Gleißendes, weißes Sonnenlicht auf einer weichen Wattefläche unter ihnen. Darüber ein tiefblauer, unendlicher Himmel. Fantasiewelten aus Eisbergen, dunkelgrauen Schluchten und Rinnen, weißen Vulkanblasen von unten aus der Watte drückend, alles schien in Bewegung, aber nichts bewegte sich. Streng den Kurs einhaltend, durchstießen sie immer wieder Wolkenwände, jedes Mal ein Prickeln, weil das Gehirn sagte, hier ist ein Hindernis. Graue Leere, keine Geschwindigkeit, dann plötzlich der Überfall des Lichts und das Eintauchen in eine völlig neue, unbekannte Landschaft.

Fritz ließ einen Juchzer heraus, der bei Albi und Werner nur Kopfschütteln erzeugte. „Das ist Fliegen, Freunde. Deswegen habe ich das alles gemacht. Wie ein Adler über den Wolken schwebend. Grenzenlose Freiheit.“

„Ja, ist ja gut, Fritzchen. Ist hübsch. Aber der Adler wär' schön blöd hier zu fliegen. Sieht ja nichts, was für ihn wichtig wäre.“

„Ich möchte jetzt ein bisschen um die Wolken kurven. Darf ich?“

„Bloß nicht. Du verirrst dich ganz schnell.“

„Werner, du bist ein Banause. Du hast nur die irdischen Vergnügungen im Sinn.“

„Und das hier ist himmlisch, oder?“

„Ja natürlich.“

„Ist Wasserdampf, kondensiert zu Tröpfchen und 1000 Meter bis vier Kilometer über dem festen Boden. Liegt an der Temperatur und dem Luftdruck, das Kondensieren. Im Verhältnis der Entfernung zum Mond ist das nichts, gar nichts. Von wegen himmlisch. Das ist nach wie vor sehr irdisch, selber Banause“, sagte Albi.

„Ihr habt eben keinen Sinn dafür, arme Kreaturen. Wo sind wir eigentlich, Werner?“

„Wir jagen durch die Lüfte wie Wotan's wildes Heer, wir schau'n in Wolkenklüfte und brausen übers Meer. Hoch tragen uns die Schwingen wohl über Berg und Tal, wenn die Propeller singen im ersten Morgenstrahl.“ Albi war das, der das ziemlich falsch sang, was das Lied aber nicht noch schlechter machte. „Genug Romantik?“, fragte er.

„Hör auf mit dem widerlichen Dünnschiss. Das verdirbt die Stimmung. Werner, ernsthaft, wo sind wir?“

„Wir verlassen gerade Seeland bei Knabstrupper und stoßen bei Ebeltoff wieder aufs dänische Festland.“

„Du verarschst mich wieder einmal. Ich sag' nur Annarotte und Lunz am See.“

„Meinst du, Epfach klingt für andere Ohren nicht genauso komisch“, meinte Albi.

„Hmm. Hast vielleicht recht.“

„Nur zu deiner geneigten Information. Wir sind jetzt über dem Kattegat, links der Große Belt und wenn wir wieder aus Dänemark heraus sind, traversieren wir den Skagerrak.“

„Traversieren, traversieren. Was ist denn das für eine Sprache?“

„Aber du verstehst, was ich meine.“

„Ist ja nicht so schwer.“

„Eben.“

Der Himmel war wieder wolkenlos. Unter ihnen glitzerte das Wasser der Nordsee. Skagerrak. Widrige, unberechenbare Winde und Strömungen, Kreuzseen, nicht schön zu segeln. Ort schrecklicher Seeschlachten, erinnerte sich Fritz. Jetzt war kein einziges Schiff zu sehen. Drüber fliegen ist einfach.

„Hallo, Jungs“, meldete sich Ulrich. „Das da vorne ist Norwegen. Ich würde jetzt gerne noch etwas höher gehen. Muss ja nicht jeder wissen, dass wir kommen.“

„Gute Entscheidung“, sagte Fritz.

Sie waren jetzt auf beruhigenden 4500 Metern. Hie und da benutzte Fritz die Sauerstoffmaske, weil ihm ein wenig schwindlig wurde. Aber es war kein Vergleich zu den panischen Gefühlen, die er am Großglockner gehabt hatte.

Die Landschaft, die jetzt unter ihnen hinwegglitt, war ganz nach seinem Geschmack. Scheinbar menschenleer, eine Unmenge von kleinen Seen in einer teils moosgrünen, teils graubraunen Hügelwelt, hie und da Einschnitte vom Meer. Das heißt Fjorde, erinnerte er sich, aber seine Vorstellung davon war ein wenig anders. Größer die Berge, steiler die Abhänge. Na, die richtigen Fjorde sind wohl noch nicht hier. Die Gegend wirkte auf Fritz einladend und ausgesprochen friedlich.

„He Kameraden“, tönte Ulrich. „Wir müssen runter, wir nähern uns Sola.“

„Recht hat er, der Adlige“, sagte Werner.

Fritz nahm den Gashebel zurück und langsam drehte sich der Höhenmesser zurück. Das Variometer zeigte gleichmäßig nach unten. Sie konnten mehrere Ansiedlungen sehen, die Gegend war jetzt landwirtschaftlich genutzt und sah aus wie in Bayern. Abrupt endete sie vor dem Meer, kurz davor eine Piste, die nach Nordnordwest zeigte. Sie drehten noch eine Schleife, nachdem sie sich angemeldet hatten, in gutem deutsch, das war praktisch, und setzten dann zur Landung an. Ganz ohne Instrumente. Fritz rollte hinter Ulrich her und alle stellten ihre Maschinen nebeneinander vor dem ersten Hangar ab.

Es sah aus, wie es auf jedem Flughafen aussah, den sie kannten. Nur die etwa 20 Panzer, die neben dem Hangar ebenfalls in Reih' und Glied geparkt waren, störten das friedliche Bild.

Als sie ausstiegen, merkten sie erst einmal, dass es sommerlich warm war. Eigentlich genauso wie in Stargard. Die leere Piste verschwamm in der flimmernden Luft weit draußen, wo die Nordsee begann. Es war still.

„Kommt, Mannen, sehen wir uns ein bisschen um“, sagte Werner unternehmungslustig.

Wenn keiner was von uns will, warum nicht, dachte Fritz. Sie gingen um den Hangar herum und stießen auf das erste andere Flugzeug. Fritz war begeistert, neben einem VW Kübelwagen parkte ein echter Fieseler Storch. Ob der für Ausflüge gedacht war? Bei dem Wetter wäre das eine sehr sinnvolle Verwendung.

Fünf weitere Hangars waren nach hinten versetzt ins Blickfeld gekommen. Offensichtlich gerade errichtet. Es sah etwas provisorisch aus. Sie strebten neugierig zum Nächsten. In der Halle standen eine He111 und eine Ju88. Nicht mit dem Schwan, sondern mit einem stattlichen Löwen als Zeichen. Das waren wohl keine Aufklärer. Ein paar Mannschaftsdienstgrade waren an ihnen beschäftigt.

„Hallo, Leute. Was macht ihr da?“, sagte Fritz.

Der am nächsten Stehende schaute kurz um, salutierte lässig und machte weiter. „Na, was wohl?“, sagte er ohne Fritz anzusehen.

„Ich meinte, äh, ist etwas nicht in Ordnung mit der Ju?“

„Nein, wir polieren sie nur ein bisschen auf. Was soll man sonst damit machen?“

„Ihre Einheit, Obergefreiter?“, fragte Albi.

„Was? Neu hier, oder? Wir sind das Kampfgeschwader 26, Herr Fähnrich.“

„Und was kämpft das Kampfgeschwader so? Ich meine, wenn es nicht rumsteht?“, sagte Albi.

Der Gefreite sah sie an, als wüsste er nicht, ob er sauer werden soll oder nur amüsiert. „Sagen euch eure Chefs bei der heutigen Nachbesprechung, nehme ich an. Was seid ihr denn, wenn ich fragen darf?“

„Eins Eff 121“, sagte Albi stolz.

„Ah, die Neuen. Na denn, viel Spaß. Gibt jede Menge hier.“

„Hab' ich schon gesehen“, sagte Fritz. „Sogar ein Storch ist hier.“

Jetzt hatte sich der Obergefreite endgültig ein Bild gemacht. „Da müssen sie den Standortkommandanten fragen. Gehört nämlich zu seinem Stab, der Storch. Aber der verleiht ihn bestimmt. Gegen eine geringe Gebühr.“

„Ah, danke für den Tipp.“

Der Obergefreite schüttelte den Kopf und machte sich weiter an der Ju88 zu schaffen.

„Noch eine Frage, Obergefreiter“, sagte Fritz. „Gibt es noch mehr Flugzeuge hier?“

Dem Soldaten blieb der Mund offen. Dann raffte er sich zusammen, der Dienstgrad war zu weit über ihm. „Da hinten, da stehen auch noch ein paar 109's herum. Auch nicht ganz klar.“ Und er grinste dabei. „Aber sehen sie sich das selbst an. Und wenn sie ans Wasser gehen, da in Westnordwest, da haben wir noch ein paar Wasserflugzeuge am Pier. Alles für den großen Spaß hier.“

„Motorboote auch?“, fragte Werner.

„Klar, Motorboote auch. Ist ein richtiges Ferienparadies hier.“

Ein tiefes mehrstimmiges Brummen kam von der Seite der Nordsee.

„Was'n das?“, sagte Werner.

„Das ist nicht nur eine“, meinte Fritz und lauschte.

Der Gefreite und seine Kameraden schauten nicht hin. Einer sagte: „Was wollen die denn schon hier. Und ich wollte heute eher Feierabend machen.“

Dann sahen sie es, ein paar schwarze Punkte, sehr tief und sich schnell vergrößernd. Fritz zählte fünf, dann sieben, acht und es war noch nicht zu Ende.

Der erste setzte zur Landung an. Wie auf einer Perlenschnur kamen die anderen hinter ihm. Bei einem war nur ein Burgrad zu sehen.

„Mein Gott“, schrie Fritz. „Dem muss man doch ein Zeichen geben.“

Der Gefreite war hinzugekommen. „Der weiß es schon. Der geht in die Wiese. Das klappt schon. Nur den Propeller nicht zerfleddern. Wir haben kaum noch welche.“

Fritz wusste nichts zu sagen. Einer nach dem anderen setzte auf, der mit dem einen Bugrad steuerte doch tatsächlich auf die Wiese und setzte dort unspektakuär auf, die Motoren waren schon vorher abgeschaltet. Erst ganz zum Schluss kippte die Ju, die linke Flügelseite wirbelte die Erde auf und mit einem lauten Krachen, das man erst Sekunden später hörte, flog der Propeller in Fetzen durch die Luft.

„Ich hab's geahnt, Scheiße“, sagte der Gefreite.

„Wer war das?“, fragte Fritz. „Ich meine, was ist das für eine Einheit? Da kommen ja auch noch Me110.“

„Das war die dritte und die vierte Staffel, beziehungsweise, was von ihr übrig geblieben ist. Man wird sehen.“

Fritz hatte noch nicht begriffen. „Und die Me110?“

„Die sind vom Zerstörergeschwader 76, die eskortieren die Bomber.“

„Für was eskortieren die?“

Der Gefreite sagte nichts und wendete sich wieder seiner Arbeit zu.

Kap.22 Stavanger - Sola

Die Flugzeuge rollten in einer langen Reihe heran. Ihr tiefes Brummen füllte gleichmäßig den Raum. Eines nach dem anderen drehte sich auf der Stelle und stoppte. Stille. Die großen Räder unter den Flügeln waren wie mit dem Lineal ausgerichtet. Eine gute Formalausbildung war schon immer das A und O, fand Fritz. So kann man sie viel leichter kaputt schießen. Mit einem einzigen Anflug eines kleinen Jagdflugzeugs. Chaotisch abstellen wäre erheblich sicherer. Sähe aber undiszipliniert aus. Nicht im Stil des herrschenden deutschen Geistes. Geistes. Ha.

Die Mannschaften verließen gerade ihre Maschinen und strebten gelassenen Schritts sternförmig dem einzigen festen Gebäude zwischen den Hangars zu. Ihnen entgegen strömte eine Horde von Warten, die kurz anhielten, um sich mit den Fliegern zu unterhalten und sich dann in Gruppen von Zweien auf die Maschinen verteilten.

Es waren schöne Ju88 und auch ein paar He111. Je näher sie kamen, desto mehr fiel auf, dass nicht alles stimmte. Es sah aus, als ob bei einigen ein paar Stofffetzen herunterbaumelten, bei einer schien ein Seitenruder kürzer. Sie erreichten die Erste und was Fritz da sah, ließ ihn erstarren. Eine gerade Linie von ausgefransten Löchern lief von der Flügelvorderseite bis zum Querruder und hatte dessen Ende zersplittert. Großartige Ingenieurskunst, die das Flugzeug immer noch manövrierfähig gehalten hatte. Wie weit ist das möglich, überlegte er und fand dann, dass er darüber besser nicht nachdenken sollte.

Bei der nächsten Maschine fehlte einfach ein kurzes Stück des Flügels, die Spantenkonstruktion war neben einem Wirrwarr von Kabeln und ausgefransten Drähten deutlich zu sehen, dann kamen ein paar anscheinend Unversehrte, aber die nächstfolgende erschütterte Fritz endgültig. Die Wand unter der Pilotenkanzel war regelrecht aufgerissen, das Glas der Schnauze völlig zersplittert und er glaubte sogar, dass da etwas Rotes heruntergelaufen war. Da war doch einer, links und rechts von Kameraden gestützt, wie besoffen in Richtung Kantine gegangen.

„Ich will jetzt sofort zu den Kameraden“, sagte Fritz.

„Wohin?“, meinte Albi.

„Na, da dort. Da gibt es doch sicher einen Kaffee.“

Es war tatsächlich das Offizierskasino. Zumindest deutete der Name über der Tür darauf hin. Das Innere ähnelte einer lieblos eingerichteten Dorfkneipe mit Holztischen und -stühlen. Das Lokal musste sich aber keine Sorgen um eine Kundschaft machen, der das Interieur herzlich egal war. Es war voll und eine Ordonnanz, nicht im feinen weißen Anzug, sondern feldgrau, balancierte ein Tablett mit vollen Biergläsern durch die lärmenden Menschen. Feiner, frischer Zigarettenrauch wallte bereits wie dünner Nebel über den Köpfen. Man hörte Sprachfetzen.

„Wo ist denn der Baumeister?“

„Keine Ahnung, er war doch hinter dir.“

„Baumeister, Baumeister“, schrie einer, sich reckend, in die Runde. Keine Antwort.

„Die Scheiß Hurricanes. Kein Problem für unsere 109, aber die 110 holen sie locker runter.“

„Ich hab sogar ein paar Spuckfeuer gesehen.“

„Die sind hier doch gar nicht.“

„Doch, da waren welche.“

„Hab' einfach alles vorher schon runtergeschmissen und nichts wie weg, die Nordsee hat gekocht. Da haben's die Fischer dann leicht.“

„Spinnst du, das erzählt man doch nicht.“

„Wir sorgen für die Ernährung der Tommies, gut nicht?“

„Den Herzog hat's voll erwischt. Hab' genau gesehen, wie die 110 aufklatschte. Kein Fallschirm, nichts. Scheiße, Scheiße, Scheiße.“