Zehn gute Jahre Teil 5 - Friedrich Haugg - E-Book

Zehn gute Jahre Teil 5 E-Book

Friedrich Haugg

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Beschreibung

Vor kurzer Zeit, als Ihre Eltern jung waren (oder Ihre Großeltern), galt Fliegen noch als Menschheitstraum für Wagemutige. Niemand wusste, dass der größte Technologiesprung der Geschichte bevorstand. Er wurde von einer Wissenschafts- und Ingenieurelite geschaffen, vielfach verstärkt für die Zwecke eines verbrecherischen Krieges. Alles, was wir heute so selbstverständlich nutzen hat da seinen Ursprung. Fritz Kleins Alltag ist wie der seit Generationen. Aber Auto, Telefon, Radio, Kühlschrank, Kino, bald sogar vom Sofa aus, und vor allem Flugzeuge lassen eine völlig neue Lebensweise ahnen. Gemeinsam mit Eva, seiner ersten und wahren Liebe genießt er ein Deutschland, in dem es nach der Not und der unfähigen Demokratie steil aufwärts geht. Jeder hat Arbeit, alle sind gleich und ziehen an einem Strang. Nie war die Zukunft besser. Teil 5 Afrika: Eine fremde Welt. Erbarmungslos die endlose Sahara. Großartige Freundschaften machen das Leben dennoch reizvoll.

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Inhaltsverzeichnis
Kap. 29 Tripolis
Kap.30 Derna 1

Friedrich Haugg

Zehn gute Jahre – Teil 5

Afrika

Über Friedrich Haugg

Friedrich Haugg, geboren 1945, ist Diplom-Mathematiker und Ex - Manager. Er hat 25 Jahre in der Luft- und Raumfahrtindustrie gearbeitet und den Umgang mit Computern von der Pike auf gelernt. Nach der Veröffentlichung von fünf Sach- und Fachbüchern bei Hanser und Franzis und von Softwareprogrammen für das Gehirntraining bei United Soft Media hat er beschlossen, sich zum Schreiben von Romanen zu begeben, um zu unterhalten, aber auch um die Ambivalenz der Menschen im Umgang mit der rasanten Technologieentwicklung zum Thema zu machen.

Von Friedrich Haugg sind folgende Romane erschienen:

Das schmale Fenster - Ein Thriller über die Pharmaindustrie,ISBN 9783844253658

Fortschritt - Ein Thriller über die Überwachungsindustrie,ISBN 9783844290356

Mehr unter www.haugg.peds.de

Über Zehn gute Jahre

Vor kurzer Zeit, als Ihre Eltern jung waren (oder Ihre Großeltern), galt Fliegen noch als Menschheitstraum für Wagemutige. Niemand wusste, dass der größte Technologiesprung der Geschichte bevorstand. Er wurde von einer Wissenschafts- und Ingenieurelite geschaffen, vielfach verstärkt für die Zwecke eines verbrecherischen Krieges. Alles, was wir heute so selbstverständlich nutzen hat da seinen Ursprung.

Erleben Sie diese aufregende Zeit und verstehen Sie ganz nebenbei die Technik, die die Welt veränderte.

Fritz Klein gab es wirklich unter anderem Namen. Er stammt aus einer bürgerlichen Bildungsfamilie, sieht gut aus, ist tolerant und bei den zunehmend emanzipierten Frauen sehr beliebt. Vor allem aber ist er Jagdflieger, den Superstars von damals.

Als junger Lehrer sitzt er neben seiner ersten großen Liebe Eva auf einer warmen, duftenden Bergwiese und bewundert einen majestätisch kreisenden Adler. 'Apila non captat muscas', bezieht er auf sich. Er entkommt den Intrigen kleingeistiger Parteifunktionäre und erfüllt sich seinen Traum vom Fliegen, indem er in die neue, schillernde Luftwaffe eintritt. Dass er dazu erst einmal Soldat werden muss, nimmt er in Kauf.

Der Krieg überrascht ihn, weil der Führer doch keinen Krieg wollte. Die Abenteuer werden lebensgefährlich. Die Verbohrtheit seiner näheren Umgebung nimmt er mit Humor, Berichte von fernen Gräueltaten hält er für wenig glaubhaft. Gegen aufkommende Erschöpfung und Depression hilft die Göring – Schokolade. Die Amphetamine haben fatale Wirkungen. Aber sie helfen ihm, sich übermütig immer wieder aufs Neue in scheinbar ausweglose Situationen zu stürzen.

Für Teile dieses Buchs, das auf Erzählungen, alten Dokumenten und Bildern meines Vaters basiert, wäre ich noch vor kurzer Zeit in Deutschland und heute noch an anderen Orten von der Obrigkeit erschossen, von der Kirche exkommuniziert und verbrannt oder vom aufgebrachten Mob gelyncht worden.

Heute sorgt es für keinerlei Erregung, was übrigens für die Verkaufszahlen ungünstig ist.

Vorsorglich distanziere ich mich aber von den Ansichten des Helden aufs Entschiedenste. Man kann nie wissen.

Aufgrund der großen Seitenzahl habe ich den Roman in sieben Teile zerlegen müssen. Sie sind aber nicht als unabhängige Bücher zu verstehen.

Teil 1: Friedliche Zeiten

Teil 2: Der Rausch des Fliegens

Teil 3: Privilegiert

Teil 4: Nordlicht

Teil 5: Afrika

Teil 6: Verwirrung

Teil 7: Auflösung

Über Teil 5: Afrika

„Klein, sie nerven. Ihr fliegt jetzt los und macht gute Fotos. Wo schauen sie eigentlich hin?“

„Ich finde, dass der Himmel da hinten komisch aussieht. Er ist trüber als sonst.“

„Blöder Versuch. Ab mit ihnen.“

In diesem Augenblick ertönte eine Sirene mit langem, gleichmäßigen Ton.

„Was ist das denn?“, fragte Paul. „Fliegeralarm geht doch anders.“

„Ich rauch' noch eine und denke darüber nach“, sagte Werner.

Ein Graurock rief schon von weitem. „Ich weiß ja nicht, was ihr machen müsst, aber ich denke, eure Kisten brauchen noch mehr Schutz als unsere.“

„Was für einen Schutz?“

„Gegen den Sand, ihr Einfaltspinsel.“

Im Südosten war der Himmel dunkelgraubraun geworden. Er sah aus wie wabernde Wolken. Oben bildete sich ein fransiger Rand, darüber war friedlicher, blauer Himmel.

Eine fremde Welt. Erbarmungslos die endlose Sahara. Großartige Freundschaften machen das Leben dennoch reizvoll.

Impressum

Ungekürzte Ausgabe

August 2020

Texte:© copyright by Friedrich Haugg

Umschlaggestaltung: © copyright by Friedrich Haugg

Verlag:

Friedrich Haugg

Jägerstraße 3

82347 Bernried

[email protected]

Druck und Vertrieb:

epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Friedrich Haugg

Zehn gute Jahre

Teil 5

Afrika

Biografischer Roman

für Katharina,

und

für Yvonne,

die ihren Großvater

nicht kennengelernt hat.

Die leichte Taube, indem sie im freien Fluge die Luft teilt, deren Widerstand sie fühlt,

könnte die Vorstellung fassen,

dass es ihr im luftleeren Raum

noch viel besser gelingen werde. (Kant)

Kap. 29 Tripolis

Afrika. Jetzt würden sie wirklich in Afrika sein. Und Kurt endlich auch. Kurt. Wie hatte der sich doch darauf gefreut. Ich verspreche hiermit hoch und heilig, dass ich ihm Afrika zeigen werde. Ich werde ihn mit dem Auto herumfahren und wo es nicht anders geht, in seinem Rollstuhl schieben. Das ist das Mindeste, was ich ihm schulde.

„Staffel, in Reihe antreten“, schrie Elmann, drehte sich zu Jung, salutierte und sagte. „Eins eff 121 vollzählig angetreten.“

„Danke Stabsfeldwebel. Wo ist Brauner?“

„Der kann doch nicht...“

„Was? Was kann der nicht? Holt ihn sofort hierher.“

Rudi spurtete los und kam wenig später, den Rollstuhl schiebend, wieder zurück. Er ordnete Kurt am Ende der Reihe ein. Fritz konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen. Er trat möglichst unauffällig nach hinten und schlich sich ans Ende.

„Hallo, Kurt. Schön, dass du da bist“, flüsterte er. „In Afrika. Ich verspreche dir...“

„Ist schon gut, Herr Fähnrich“, sagte Kurt ebenso leise und ohne den Blick von Jung abzuwenden. „Keine Sorge. Mir geht es gut. Manchmal tut der Unterschenkel weh.“ Jetzt drehte er den Kopf zu Fritz. „Der, der gar nicht mehr da ist. Komisch, oder? Macht wohl das Gehirn. Sie könnten das bestimmt erklären. Aber ich habe ja gute Tabletten. Mit denen ist alles nicht so schwer.“

„Kurt. Es tut mir so leid...“

„Es ist Krieg. Da passiert so etwas schon einmal. Sie können nichts dafür. Sehen wir es einmal so: Ich hätte ja am Kopf verwundet sein können oder gleich tot. Was ist schon ein blöder Unterschenkel? Unwichtig.“

„Wieso bist du nicht sauer auf mich?“-

„Weil sie zufällig mein Pilot waren? Das ist Blödsinn. Gehen sie lieber wieder in die Reihe. Da kommt jemand.“

Fritz schlich zurück und fühlte sich extrem unwohl. So souverän konnte man nicht sein. Nach so einem Vorfall.

„Sind sie wieder zurückgekehrt in den Kreis der Kameraden, Klein? Das ist sehr zuvorkommend von ihnen und trifft sich gut“, sagte Jung. „Elmann, lassen sie stillstehen. Da kommt der graue Major. Mein temporärer Vorgesetzter sozusagen.“

Major Hübner hatte einen Sklaven, nein, Adjutanten dabei.

„Hier neben mir ist Unteroffizier König.“ Hübner deutete mit dem durchgestreckten Zeigefinger auf ihn. „Für sie ist er ein König. Was der zu ihnen sagt, kommt von mir. Verstanden?“ Er machte eine Pause, verschränkte die Hände auf dem Rücken und wippte auf den blanken Stiefeln, so dass das Ritterkreuz um seinen Hals ins Wackeln geriet.

„Ich habe den Feldmarschall gebeten, sie hierher zu bekommen. Nicht, weil ihr so eine Elitetruppe seid, ihr seid alles andere als das, sondern weil wir zu wenig wissen, was der Feind in der großen Wüste so treibt. Wir wissen nicht einmal, ob er uns hier schon umzingelt hat. Glaube ich zwar nicht, so wie der bei El Agheila stehen geblieben ist. Luft ausgegangen, nehme ich an. Aber Glauben heißt Nichtwissen. Und das ist tödlich. Aber davon habt ihr keine Ahnung.“ Er machte eine Pause und verzog sein Gesicht zu größtmöglichem Ekel.

„Ihr braucht auch nicht ins Zelt zu unseren Leuten. Die würdet ihr nur verderben. Für so tolle Gäste, wie ihr es seid, haben wir ein Luxushotel ausgesucht mit allem Komfort. Damit ihr nicht sagen könnt, das Heer wäre nicht gastfreundlich. Ich wollte das nicht, solltet ihr wissen, aber höherenorts... egal.“ Eine halbe Sekunde lang verzog sich sein Gesicht zu etwas, was man eventuell lachen nennen könnte.

„Was? Sie denken, ich habe keinen Humor und bin kein guter Mensch? Sie werden es noch herausfinden. Alles zu seiner Zeit. Aber meinen Wahlspruch sollten sie jetzt schon kennen: 'Arbeit dehnt sich in genau dem Maße aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.' Ist nicht von mir. Aber gleichwohl richtig. Was das für sie bedeutet, werden sie merken. König wird ihnen die Details geben. Zurück zum Wesentlichen. Ihr arbeitet für uns. Und mit uns meine ich die richtigen Soldaten. Und bei mir benehmt ihr euch auch wie richtige Soldaten. Ihr klärt so lange und so oft auf, bis ihr ins Gras beißt, der Sprit ausgeht oder eure komischen Mühlen vom Himmel fallen. Eher hört ihr nicht auf. Weiber und Alkohol schlagt ihr euch lieber aus dem Kopf. Dafür ist keine Zeit. Wenn wir gewonnen haben, könnt ihr mal einen trinken und eure Schwänze versorgen. Bis dahin werden sie nur zum Wasserlassen herausgeholt. Was bedauerlicherweise die Arbeit unterbricht. Aber die Natur hat noch immer keine perfekten Menschen hervorgebracht. Meine Meinung. Euer Hauptmann hier, hat sich bereit erklärt, auch zu fliegen. Wir haben nicht genug von euch. Das rechne ich ihm hoch an. Noch etwas: Es wird in den nächsten Wochen nicht nett für unsere Leute. Ich will niemals hören, dass sich einer von uns über euch beschwert, weil ihr zu arrogant, zu faul oder zu feige seid. Denn genau dafür halten die euch, arrogant, faul und feige. Überzeugt sie schnellstens vom Gegenteil, dann werden wir gut miteinander auskommen. Lagesprechung und Befehlsausgabe sind jeden Morgen sechs Uhr. Da steht ihr da wie aus dem Ei gepellt und voll ausgeschlafen, verstanden? Jetzt könnt ihr ins Hotel. Lassen sie wegtreten. Hauptmann Jung und sorgen sie bitte dafür, dass ihre Kisten klar sind. Wir haben wenig Zeit.“

Jung quittierte mit einem zackigen Stiefelzusammenklappen und einem vorbildlichen Gruß. Auch er hatte einmal Formalausbildung gehabt.

Rudi kam heran und sagte, dass drei Autos bereitstünden, sie ins Hotel zu bringen. Ihr Gepäck wäre schon unterwegs. Abendessen gäbe es im Hotel um 19 Uhr.

Es war ein monumentaler Bau, die Albergo Uaddam. Die verschachtelten Quader erinnerten Fritz an den mittlerweile im Reich unerwünschten Bauhausstil. Ein viereckiger Turm überragte das elegante Ensemble. Wenn es eine Moschee gewesen wäre, hätte der Muezzin auf der Balustrade ganz oben zum Gebet rufen können. Nun ja, es hieß Albergo, aber vielleicht waren es erst die Italiener, die ein Hotel aus der Kirche gemacht hatten.

Innen war es kühl, der Rezeptionstresen stand an der Wand in einem großen Raum mit Sesseln und Tischen, heute würde man das Lobby nennen. Aber auch damals nutzte man diese Räumlichkeit schon für konspirative Gespräche. Ihre Zimmer waren in einer der kubischen Schachteln und hatten ein Fenster auf einen Innenhof, der nicht weiter gestaltet war. Das vergebliche Anpflanzen von Grün hatte man sich geschenkt. Ein leise plätschernder Brunnen wäre für den Orient angemessen gewesen, dachte Fritz. Die Einrichtung war europäisch, ein einfaches Stahlrohrbett, ein kleiner Tisch mit einem Holzstuhl und ja, einem Spind, offensichtlich aus alten Militärbeständen. Wenigstens kein Bild irgendeines aktuellen Führers an der kalkweißen Wand. Und es war angenehm kühl im Raum.

Der Speiseraum befand sich in einer anderen Schachtel. Beim Essen wurde Fritz auch nicht in die Geheimnisse Arabiens eingeweiht. Spaghetti Bolognese mit genügend geriebenem Parmesan und Radicchiosalat zusammen mit einem recht ordentlichen Rotwein sorgten für eine heimelige Stimmung, die sie angesichts des vielen Neuen nicht unangenehm empfanden.

Werner saß in der Lobby bei einem Bier, als Albi und Fritz dazu kamen.

„Wir gehen ein bisschen die Stadt anschauen, bevor es ganz dunkel wird. Kommste mit, Wernerchen“, sagte Fritz.

„Nö.“

„Gut. Ich hol' mal Kurt.“

Kurt saß in seinem Rollstuhl vor dem gleichen Tisch wie der in Fritz' Zimmer und brütete über einer Zeitung. „Hallo, Kurt. Kommst du mit? Spazierengehen?“

Kurt drehte den Kopf, etwas verwirrt, zu Fritz. Dann lachte er. „Scherzbold.“

„Nein. Ich meine das ernst. Ich schiebe dich herum. Kein Problem.“

„Und macht ihnen das nichts aus?“

„Du spinnst wohl. Jetzt komm schon. He, da sind ja auch Krücken. Kannst du das schon?“

„So ein bisschen. Ich hab mir als Kind mal das Bein gebrochen. Da habe ich es schon geübt. War aber das andere. Also, das, das immer noch da ist.“

„Weißt du was? Die Dinger nehmen wir mit. Wenn wir sie nicht brauchen, auch in Ordnung.“

Sie gingen die erstbeste Straße entlang. Das Schieben war leicht, weil hier in Tripolis alles sehr flach und die Wege ganz ordentlich gepflastert waren. Barrierefrei sozusagen.

Die Häuser waren weiß, manchmal auch ein bisschen lehmfarben. Auffallend war, dass sie keinerlei Fenster hatten und flache Dächer. Die einzigen Öffnungen waren kleine Türen, unterschiedlich kunstvoll gearbeitet. Nach hundert Metern öffnete sich ein Platz und mittendrin stand ein römischer Triumphbogen.

„Ihr werdet lachen“, sagte Kurt. „Ich habe noch nie einen in echt gesehen.“

„Ich auch nicht“, sagte Fritz. „Doch, vielleicht in Taormina. Da war einer. Hab' ich aber nicht beachtet.

„Der Marc Aurelius Bogen“, sagte Albi.

„Gut, dass wir dich dabei haben“, sagte Fritz. „Dafür darfst du jetzt den Kurt schieben.“

Sie wählten die nächste Abbiegung und kamen in ein Viertel mit mehr Menschen. Fremdartigen Menschen. Viele mit einem weiten, weißen Mantel und einem Tuch um den Kopf, das mit einem Strick festgebunden war. Alle hatten Bärte.

„Frauen sind da nicht“, bemerkte Kurt.

„Tatsächlich. Haben die keine hier?“

„Ihr seid echte Banausen.“ Albi schüttelte den Kopf vor so viel Unwissen.

„Ah, die kochen gerade. Wie in Schwäbisch - Gmünd.“

„Das ist es nicht.“

„Ach so. Mohammedaner. Verstehe. Schau mal, ist das ein Café?“

„Sieht fast so aus. Wollen wir?“

„Ein Bierchen wäre nicht übel.“

„Schon wieder Banause.“

„Ach so. Mohammedaner. Wohl keine Italiener hier.“

Kurt stemmte sich mit den Krücken hoch und humpelte zu einem kleinen Tisch, um den einige Polster gruppiert waren.

„Warte, ich helf dir. Die Sitze sind hier ein wenig niedrig.“

„Scheiße“, sagte Kurt. „Ja, besser du hilfst. Sonst falle ich um wie ein Käfer. Das wird schon, wenn ich mein neues Bein habe.“

„Klar, Kurt. Die anderen werden nichts mehr merken, wenn du dein neues Bein hast“, sagte Fritz.

„Wird schon, Kamerad“, sagte Albi.

Ein Mann kam näher mit einem preisverdächtigen schwarzen Vollbart. „Tarhib. Ma akhbarakh. Sajjid. Suffi qawha?“

„Das ist nicht norwegisch, oder?“, sagte Fritz.

„Aber sizilianisch auch nicht“, meinte Albi.

Kurt sagte zu dem Herren: „Kaffee?“

„Na cam“ oder so etwas Ähnliches, sagte der Herr und ging.

„Jetzt bin ich gespannt“, sagte Albi.

Der Herr kam mit drei Tassen und drei metallenen Kännchen wieder. Zucker war in einer Schale auf dem Tablett.

„Sisa?“, sagte der Herr.

„Nehmen wir“, sagte Albi und nickte. Der Herr ging wieder.

„Was? Was hast du da bestellt?“

„Keine Ahnung.“

„Na hoffentlich ist es nicht teuer. Ich habe nicht mehr viel Geld“, sagte Kurt.

„Du bist doch eingeladen. Au weia.“ Fritz stöhnte. „Ich habe nur italienisches Geld bei mir.“

„Das geht schon“, meinte Albi.

Der Wirt kam mit drei Wasserpfeifen wieder. Schöne Geräte mit viel Silber und Mundstücken aus Horn. Gut, dass der Wirt sie ihnen anzündete. Sie hätten nur die schönen Formen bewundern können.

„Shokran sahhib“, sagte Kurt. Der Wirt nickte freundlich und lächelte überlegen.

„Was hast du dem gesagt?“, fragte Albi.

„Danke.“

„Ah. Das ist gut. Ein wichtiges Wort. Woher weißt du?“

„Gefragt.“

Ihre Laune war prächtig, als sie sich wieder zum Hotel aufmachten. Das Zahlen war problemlos gegangen. Fritz hatte dem Wirt sein ganzes Geld gereicht. Der hatte etwas behalten und ihm den Rest zurückgegeben. Es schien ganz angemessen zu sein. Und er hatte noch etwas wie 'maca salama' gesagt. Es klang recht zufrieden.

„Der Kaffe war köstlich“, sagte Fritz.

„Haben die Türken mitgebracht“, sagte Albi.

„Ach ja. Die Türken.“

„Ich möchte wissen, was in dem Tabak noch war. War irgendwie süßlich, findet ihr nicht?“, sagte Kurt.

„Ja, stimmt. Die werden schon wissen, was sie reintun.“ Albi schien richtig vergnügt zu sein. „Da gehen wir wieder hin, Leute, oder?“

„Aber sicher“, sagte Fritz.

Sie hatten sich wecken lassen. Um 5 Uhr. Ein Frühstück hatte es tatsächlich auch schon gegeben. War gar nicht so schlecht gewesen. Allerdings mehr so italienisch knapp. Um halb sechs kam Rudi wohlgelaunt in den Speisesaal. „Ihre Kutschen stehen bereit, meine Herren.“

Der Versammlungsraum war wie in Catania. Nur die Karte an der Wand war anders. Sie reichte von Tripolis über die Cyrenaika bis Kairo. Ihr neuer Spielplatz eben. Rauchen durfte man auch. Was richtig gut gewesen wäre, wenn die Uhrzeit gestimmt hätte. Schon stand Major Hübner da.

„Guten Morgen, Kameraden.“ Fritz schaute sich um. Jede Menge Portepee – Unteroffiziere und Offiziere in grauen Klamotten saßen hier versammelt. Passt zu uns, fand er, wir sind ja auch Portepee – Unteroffiziere.

„Guten Morgen, Herr Major“, tönte es im Gleichklang.

„Wir werden uns noch ein paar Tage hier einrichten, bis wir vollzählig sind. Kammler, wie ist die Wasserversorgung?“

„Heute Vormittag sind zwei Tankwagen zugesagt. Bisher waren sie immer zuverlässig.“

„Gibt es eine Möglichkeit, die Zuverlässigkeit auf Dauer sicherzustellen?“

„Wir haben vorgeschlagen, dass zwei Gefreite die Araber auf Schritt und Tritt begleiten. Aber die wollen das nicht. So habe ich darauf verzichtet. Wenn sie nicht gutwillig sind, könnten sie uns empfindlich stören.“

„Das ist mir zu unsicher. Stellen sie einen Trupp zusammen, der die Wasserstellen beobachtet. Aber vorerst bleiben die unsichtbar für die Araber.“

„Jawoll, Herr Major.“

„Wie steht es mit den Latrinen? Werden genügend gebaut? Wir werden bald tausend Kameraden hier haben.“

„Wird rechtzeitig fertig, Herr Major“, sagte ein Stabsfeldwebel.

„Und sie wissen, was rechtzeitig ist?“

„Jawoll, Herr Major.“

„Und denken sie daran, dass immer genug Zeitungen da sind. Zerreißen können die Kameraden sie selber. Hygiene ist das Wichtigste im Krieg. Für das Fressen ist gesorgt, Hauptfeldwebel Häring?“

„Die Lieferanten aus Tripolis sind die, die die Italiener auch haben. Das klappt gut.“

„Und wir verlassen uns auf die Spaghettis?“

„Im Moment schon.“

„Die könnten spielend dafür sorgen, dass wir den Krieg schon verloren haben, bevor wir ihn beginnen. Das gefällt mir nicht. Bis übermorgen will ich Alternativen hören.“

„Jawoll, Herr Major.“

„Ist die Anforderung für den Sprit nach Cagliari raus, Leutnant Mahrzahn? Da die Tommies mit ihren Nadelstichjägern mehr als die Hälfte unserer Vorräte abgefackelt haben, wird’s eng. Wie eng, Leutnant?“

„Wir haben noch für vierzehn Tage, so lange wir hier nur rumsitzen.“

„Vierzehn Tage. Hmm. Die sollen sich in Cagliari mal lieber beeilen.“

„Jawoll, Herr Hauptmann.“

„Was ist mit dem Funk?“

„Funkstationen in Betrieb. Funktionieren reibungslos. Genügend Enigma auch da.“

„Macht ja keinen Scheiß mit Klartext, Kameraden. Feldlazarett. Meldung bitte?“

Ein Stabsarzt stand auf. „Feldlazerett komplett eingerichtet. Kontakt zum Krankenhaus in Tripolis hergestellt. Dort ist italienisches Personal.“

„Danke, Stabsarzt. Leutnant Möller. Gestern hatten sie mir berichtet, dass es an Werkzeug und Ersatzteilen für die Panzer III fehlt. Karren die uns Eimer her ohne Werkzeug. Ist das erledigt?“

„Nein, noch nicht, Herr Major. Wir haben bei den Panzerleuten in Rom schon die vollständige Ausrüstung nachgefordert. Noch keine Antwort von denen.“

„Machen sie denen Feuer unterm Arsch. Wenn sie sich bis morgen nicht positiv gemeldet haben, gehe ich zum Feldmarschall. Mache ich nicht gerne. Aber der will schließlich eine Schlacht gewinnen. Sind die Stellungen fertig? Meldung bitte.“

„Die Stellungen schon, Herr Major“, meldete sich ein Oberleutnant. „Aber die FLA ist nach wie vor unzureichend.“

„Ja, ist mir bewusst. Da kommen 20er und 37er mit der Norderney. Sollen morgen da sein. Fahren lieber nachts, die blauen Jungs.“

„Keine Achtacht, Herr Major?“

„Doch, aber nicht für die FLA. Aber das wissen sie ja.“

„Mist.“

„Ruhe, Oberleutnant. Das ist höhere Strategie. So, Kameraden. Wir verzichten bis auf weiteres auf Schießübungen. Munition sparen. Deswegen fügen wir mehr Sport in den Dienstplan. Oberfeld Mogrich, planen sie für die nächsten Tage, bis ich anderen Befehl gebe, einen Waldlauf ein. Na ja, sollte wohl mehr Felsen – und Sandlauf heißen. Strecke fünf Kilometer. Können wir neben den Startbahnen aufbauen. Und nur morgens oder abends. Die Temperatur. Wollen unsere Muttersöhnchen doch nicht unnötig strapazieren.“

„Wird gemacht, Herr Major.“ Mogrich grinste teuflisch, was beim Major ein nettes Lächeln hervorrief.

Fritz staunte, um was es bei den Grauen alles ging. Aber sie hatten schon recht damit. Ohne das würde nichts funktionieren. Sie hatten sich darüber nie Gedanken gemacht. Es hatte einfach funktioniert. Interessant.

„So, jetzt zu den Aufgaben unserer speziellen Freunde von der Luftwaffe. Hier sind wir.“ Er zeigte auf den Flughafen. „Und hier ist El Agheila und hier, weiter oben, Agedabia. Das ist kurz vor Bengasi. Bengasi wird bald wichtig werden. Sie klären, wo sich die Engländer mit was versteckt haben und wie sie sich bewegen. Hauptmann Jung, bitte teilen sie ihre Leute ein und geben mir morgen Abend ein Bild der Landschaft und ihrer temporären Bewohner von Agedabia bis hier. Morgen machen wir das noch einmal. Und dann wieder. Ich muss genau wissen, was die Tommies vorhaben.“

„Jawoll, Herr Major.“ Mehr sagte Jung nicht.

„Und Jung. Ihre Leute sind herzlich eingeladen, am täglichen Waldlauf teilzunehmen. Kann ihnen nicht schaden. Während die laufen, würde ich mich gerne mit ihnen gesondert besprechen.“

„Jawoll, Herr Major.“

Ach du Scheiße, dachte Fritz. Das war keine Einladung im herkömmlichen Sinne. Es holt einen immer wieder ein.

Er beschloss, den Waldlauf nicht zu gewinnen. Er würde es so machen, dass er nicht Letzter würde. Letzter würde unangenehm auffallen. Aber Vorletzter oder Vorvorletzter wäre schon akzeptabel.

„Guten Morgen, meine Herren Kameraden. Gestern haben wir wertvolle Informationen bekommen, über das, was unsere Feinde so alles treiben. Dank Hauptmann Jung wissen wir jetzt schon wesentlich mehr, als wir vorher wussten.“ Hübner nickte Jung zu, der still neben ihm stand. „Die sechs Aufklärerflugzeuge der Staffel 1 eff 121 haben sternförmig das befohlene Gebiet abgeflogen und dabei gute Aufnahmen geschossen. Ich fasse zusammen: Die Engländer haben sich in kleinen Gruppen an verschiedenen Stellen eingeigelt. Ich habe das auf der Karte hier eingekreist. Auffallend ist die Verstreutheit und die geringe Menge an Soldaten und Gerät, die wir hier vorfinden. Der Grund ist wohl darin zu suchen, dass sie viele ihrer Leute abgezogen haben nach Griechenland, um lieber dort von uns einen auf die Mütze zu kriegen. Jeder, wie er will, sage ich immer. Jedenfalls sind sie im Moment nicht in der Lage, über uns herzufallen. Unsere Bereitstellungsräume sind also recht sicher. Im Augenblick. Sie wissen aber bestimmt, was wir machen, da gebe ich mich keiner Illusion hin. Aber es nützt ihnen nichts. Sie sind zu schwach, etwas Vernünftiges dagegen zu tun. So, wie sie da liegen, haben sie auch keine große Angst vor uns. Ihre Aufklärung ist nämlich gut. Ultra heißen die. Und sie können unsere Enigma hie und da entschlüsseln. Das waren übrigens ein paar Polen, die das konnten. Erstaunlich. Aber sie brauchen noch immer mehrere Tage und schaffen höchstens 30 Prozent. Woher ich das weiß? Ja, das möchten sie gerne wissen.“ Hübner lachte richtig schelmisch. In diesem kurzen Augenblick fand ihn Fritz recht sympathisch. Das sollte sich jedoch gleich ändern

„Dann noch eine Kleinigkeit. Wissen sie, was ein Befehl ist, Feldwebel Klein?“

„Jawoll, Herr Major.“ Fritz war automatisch aufgesprungen und knallte die Hacken zusammen.

„Und? Würden sie es mir auch sagen?“

„Ein Befehl ist eine Anweisung eines Vorgesetzten, der ohne Verzug zu folgen ist.“

„Gut formuliert, Feldwebel Klein.“ Ich bin Fähnrich und keiner deiner Subalternen, dachte Fritz. „Was fällt ihnen noch zu einem Befehl ein?“ Fritz sah, wie Jung zu Boden blickte und bemerkte, dass Albi, Ulrich, Manz, Bertram und Werner ihn besorgt ansahen. Er hatte keine Ahnung, worauf das hinauslief.

„Ich helfe ihnen. Darf man einen Befehl interpretieren oder ausweiten, wenn man meint, das wäre im Sinne des Befehls?“

„Das kommt darauf an, Herr Major.“

„Blödsinn. Sie haben wunderschöne Bilder von Bengasi gemacht. Habe ich Recht?“

„Ja. Wir haben da den Flugplatz erwischt und einige Stellungen.“

„Hatten sie dazu den Befehl?“

„Nein, Herr Major. Ich habe gedacht, wenn wir schon da sind, kann das nichts schaden. Sprit hatten wir auch noch genug. Und Film auch.“

„Aber ich habe das nicht befohlen.“

„Nein, nicht explizit, Herr Major.“

„Das ist dummes Gerede, Fähnrich. Merken sie sich eines: Wenn ich einen Befehl erteile, gilt das, was ich nicht sage als etwas, was man in keinem Falle machen darf. Merken sie sich das in Zukunft, wenn sie keine Schwierigkeiten mit mir haben wollen.“

„Jawoll, Herr Major. Darf ich eine Frage stellen?“

„Ich bin heute gut gelaunt und habe noch ein paar Minuten. Also, nur zu.“

„Was ist denn daran falsch, mehr fotografiert zu haben?“

Der Gesichtsausdruck Hübners wurde ausgesprochen finster. „Ich erkläre das nur einmal und nur heute. Und ich lege Wert darauf, dass ich das nie mehr machen muss. Wenn sie in großer Höhe über die Stellungen fliegen, bemerken es die Tommies wahrscheinlich gar nicht. Und wenn doch, sind da mehr oder weniger kleine Leute, die nicht viel verstehen. Ganz anders in Bengasi. Da sind die hellwach. Die haben euch gesehen und werden gleich die anderen fragen. Und zumindest einige werden berichten, dass da schon etwas hoch über sie geflogen ist. Also reimen die sich ganz schnell zusammen, dass wir mit einer Aufklärungsarmada losgezogen sind. Und was werden die dann denken? Mist, werden die denken. Die haben etwas vor, die Krauts. Da müssen wir doch etwas dagegen tun. Meinen sie nicht, dass das so sein könnte, Feldwebel Klein?“

Fritz wurde sehr kleinlaut. „Möglicherweise schon.“

„Dann hoffen wir mal, dass es nicht so ist. Wegtreten zum Sport. Das ist doch die nächste Aufgabe, oder Mogrich?“

„Jawoll, Herr Major.“ Mogrich fand die Besprechung viel lustiger als Fritz.

Fünf Kilometer, das waren knapp drei Runden auf dem von Mogrich abgesteckten Kurs. Werner, der Schweinehund, war suspendiert worden, weil er behauptet hatte, er müsse Kurt bei einem Arztbesuch betreuen. Damit war er Fritz zuvorgekommen. Fritz hatte noch einen müden Versuch unternommen, indem er Jung fragte, ob das mit dem Waldlauf denn wirklich ein Befehl sei und nicht nur eine Anregung. Jung hatte ihn angeblafft, er habe schon genug Unheil angerichtet.

Die erste Runde ging erstaunlich gut, ja er fühlte sich sogar am Ende ganz euphorisch. Es tat einfach gut, sich einmal ordentlich zu bewegen. Einige waren schon weit voraus, aber er hielt sich in der Gruppe, in der die meisten liefen ganz komfortabel. Nach der Hälfte der zweiten Runde musste er feststellen, dass er das Rennen viel zu schnell angegangen war. Die linke Wade verkrampfte sich. Das war nicht gut. Und das Seitenstechen auch nicht. Er reihte sich am Ende der Gruppe ein. Zusammen mit drei Kameraden der grauen Zunft ließen sie aus taktischen Gründen etwas abreißen. Die ersten waren schon kurz vor dem Ziel als die letzten vier, darunter Fritz, die Schlussrunde einläuten konnten. Offensichtlich setzten diese gewieften Männer zu einem langen Schlussspurt an, was dazu führte, dass sie Fritz entschwanden. Nun war er alleine. Die Einsamkeit des Langstreckenläufers ergriff ihn. Er würde das Ziel erreichen, obwohl es jetzt schon verdammt heiß war. Der Tropenhelm wäre ganz hilfreich. Aber Laufen mit dem Tropenhelm? Wäre komisch. Die letzten zweihundert Meter standen vor ihm. Er würde nicht aufgeben, niemals. Was würde Mandi jetzt sagen? Gut, dass er mich nicht sehen kann.

Wasser ist das Beste, was einem Menschen begegnen kann. Fritz fühlte sich erfrischt und schüttete es über und in sich. Er war sehr stolz, als er dasaß und in die heiße Sonne blinzelte. Mogrich kam zu ihm. „Na, Fähnrich? Alles in Ordnung? War keine Glanzleistung. Ist ihnen schlecht? Nein. Prima. Sie sind ja auch kerngesund. Habe ihre Akte gesehen. Sonst hätte ich sie gar nicht laufen lassen. Morgen wird das schon besser. Der Faulvirus ist schnell besiegt bei uns.“

Morgen wird es besser. So ein Quatsch, dachte Fritz. Ich bin stolz auf meine Leistung und ich habe sie alleine vollbracht. Das muss man nicht immer wieder machen.

Musste man doch. Die Lagebesprechung ergab nichts Neues. Sie mussten nicht einmal fliegen an diesem Tag. Aber laufen. Missmutig zog er seine Sporthose an und schlenderte zum Start. „Na, Fritzi?“ Albi grinste ihn an. „Ist doch schön, oder? Eine herrliche Abwechslung.“

„Herrlich. Wirklich herrlich. Idiot.“

„Lauf mit mir. Das wird lustig.“

„Einen Teufel werd' ich tun.“

Die ersten dreihundert Meter fielen ihm schwerer als am Vortag. Aber dann ging es plötzlich ganz gut. Wie schnell sich doch der Körper auf solche Herausforderungen einstellt. Rätselhaft und unerklärlich, ging ihm durch den Kopf, als ihn ein schriller Pfiff aus den Gedanken und dem Rhythmus riss. Was bedeutete denn das? Gleich darauf begann unheilvoll eine Sirene zu heulen.

„Alarm, Alarm, Alarm“, tönte es von allen Seiten. „Flieger. Alle Mann in Deckung.“

Im Nu stoben alle auseinander und rannten, was das Zeug hielt, wohl zu ihren Stellungen. Fritz stand unschlüssig da. Ein Graumann zog ihn am Arm und schrie: „Komm mit. Träumen kannste später.“

Jetzt rannte Fritz auch und ließ sich zusammen mit dem netten Kameraden in das Erdloch fallen. Ein anderer Kamerad machte blitzartig und gekonnt, die 37 mm Flak bereit. Fritz' Retter schaffte aus einer Kiste Granaten heran, hübsche kleine stromlinienförmige Metallzylinder mit einer kegelförmigen Spitze. Fritz hatte die noch nie in Wirklichkeit gesehen. Diese Dinger sind dazu da, englische Flugzeuge zu ermorden.

Das vielfältige, tiefe Brummen am ostwärtigen Horizont machte ihm klar, dass es tatsächlich Ernst war. Jetzt hatte der Krieg für ihn wirklich begonnen. Der echte Krieg. Können die das nicht endlich lassen?

„Kannste Flak? Nee. Nimm die Mußspritze da. Besser als gar nichts machen.“ Er drückte Fritz einen Karabiner 98 in die Hand.

„Nicht dein Ernst, oder?“

„Quatsch nicht. Pass lieber mit auf.“

„Da. Da in 90 Grad. Der ist zu tief. Der muss gleich hoch ziehen. So kann er uns aber nicht treffen“, schrie Fritz.

„He, du bist vom Fach. Wie hoch wird der gehen?“, fragte einer der beiden.

„Höchstens hundert Meter. Sonst ist er ja umsonst gekommen. Aber pass auf den anderen da oben bei 100 Grad auf. Der stürzt sich direkt auf uns. Schieß erst, wenn er ganz nahe ist. Dann bemerkt er uns vielleicht nicht rechtzeitig.“

„Ah. Schlau, der Flieger. Hast du ihn, Max?“

Anstatt zu antworten, feuerte Max mit der Flak. Rattatatatt. Es war ein Höllenlärm und gleich hüllte sie dichter Pulverqualm ein, der aber schnell wieder verschwand, als er aufhörte zu schießen.

„Daneben. Scheiße. Der dreht bestimmt um.“

„Nimm lieber den Dritten ins Visier“, schrie Fritz. „Der kommt genau auf uns zu.“ Fritz sah die kleinen Rauchwölkchen aus der Mündung der beiden MG's. Es waren Hurricanes, die, die nicht nach vorne schießen können. Hahaha. Hinter ihnen spritzte die Erde in einer langen Linie auf. Also nicht getroffen. Ein gewaltiger Knall ließ Fritz trotz aller Vorsicht nach hinten schauen. Eine gelborange Feuersäule stieg nach oben, gekrönt von einem schwarzen Rauchpilz. Daneben flogen schwarze Teile durch die Luft. Das ist nicht gut, dachte er nur.

„Die kommen wieder zurück“, schrie ihm sein Nachbar ins Ohr. „Ich kriege euch, ihr Schweine“, brüllte Fritz, lud den altertümlichen Karabiner mit dem gekrümmten Eisenhebel und dem dicken Knopf am Ende, durch, Ratsch, Klack und hielt, wie er es gelernt hatte, deutlich über die im Tiefflug heranstürmende Hurricane. Der Karabiner hatte einen ordentlichen Rückstoß. Fritz lud sofort wieder durch und schoss und dann noch einmal. Er drehte sich zu dem Kameraden neben ihm und sah, wie der lachte.

„Was ist?“, fragte er wütend.

„Vorbei. Die sind weg. Das war's.“

„Und? Hab ich ihn runtergeholt?“

„Klar, hast du ihn runtergeholt. Mit deinem ersten Schuss schon. Das hat ihn so gekitzelt, dass er die Kontrolle verloren hat. Vor Lachen. Komm, lass uns mal sehen, was die anderen so machen.“

Sie kletterten aus dem Schützengraben und besuchten den Nachbarstand. Die Menschen darin waren unversehrt und hatten auch nur ein paar Pulverrückstände im Gesicht. Zusammen gingen sie hinüber zu den abgestellten Panzern und Geländewagen. Außer ein paar Kratzern und Löchern in den Planen der LKW's war nichts zu sehen. Der dichte Rauch weiter rechts zog sie an. Da war die Feuerwehr beschäftigt, einen Brand zu löschen. Sie fragten einen Gefreiten, der zusah, was da brennen würde.

„Die Ärsche haben schon wieder einen Tankwagen getroffen. Wo wir eh nur wenig Sprit haben. Gar nicht nett von denen.“

„Und, ist jemand verletzt worden?“, fragte Fritz.

„Nein, hier nicht. Aber an den Stellungen am Ende da hinten gab es wohl ein Gemetzel.“

„Da geh' ich lieber nicht hin“, sagte einer seiner Grabengenossen.

„Wie heißt du eigentlich?“, fragte Fritz.

„Kanonier Müller, Herr Fähnrich.“

„Hast du auch einen Vornamen?“

„Jawoll, Herr Fähnrich. Claudius.“

„Ah. Schöner Name. Römisch. Darf ich dich beim Vornamen nennen. Ich bin Fritz.“

„Angenehm, Herr Fähnrich. Habe nichts dagegen.“

„Was ist eigentlich ein Kanonier?“

„Der letzte Arsch.“

„Ah so.“ Fritz wandte sich an den anderen. „Und du?“

„Max Barhaus. Gefreiter, Herr Fähnrich.“

„Also noch einmal. Ich bin Fritz und ich werde euch jetzt beim Vornamen nennen, wenn ihr das auch tut.“

„Flieger sind komische Leute.“

„Nicht alle, Kollege. Nicht alle.“

Ein Unteroffizier kam ihnen entgegen. „Das ist unser Gruppenführer“, murmelte Max und beide salutierten. Fritz grüßte zurück.

„Meldung, Kameraden“, sagte der.

„Keine Ausfälle, Herr Unteroffizier. Dreißig Schuss der 37er verbraucht und zwei, nein drei 7,92er Gewehrpatronen.“

„Treffer?“

„Nein, Herr Unteroffizier. Keinen.“

„Na gut. Füllt die Bestände auf und dann Feierabend.“

„Jawoll, Herr Unteroffizier.“

„Eine Frage, Unteroffizier“, sagte Fritz. „Hat es Verletzte gegeben?“

Er knallte die Hacken zusammen und sagte: „Jawoll, Herr Fähnrich. Im Unterstand 23 drei Tote und im Unterstand 22 ein Bein getroffen. Wird aber wieder.“

„Ich möchte mein tiefstes Bedauern ausdrücken.“

„Es ist Krieg, Herr Fähnrich. Darf ich wegtreten?“

„Selbstverständlich. Sie haben wohl Wichtigeres zu tun, als mit mir zu quatschen.“

„Der ist schon in Ordnung“, sagte Claudius. „Die von 23 und 22 sind auch nicht von seiner Gruppe.“

'Das macht die Sache weniger schlimm, oder?', dachte Fritz und versuchte sein Zittern zu verbergen. Dann gab er sich einen Ruck. „Kameraden. Euer Boss hat Feierabend gesagt. Darf ich euch zum Abendessen einladen?“

„So richtig? In einem Restaurant? Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Stimmt's Max?“

„Ich hol uns einen Ausgehschein. Wo soll's denn hingehen, Herr Fähnrich?“

„Nach Tripolis.“

„Oh. Das ist aber 20 Kilometer von Bin Gashir. Wird ein ordentlicher Marsch.“

„Nix Marsch. Wir fahren.“

„Jou. Das ist ein Wort.“

Fritz beschaffte sich von Elmann einen VW Kübel. Elmann hatte wenig Zeit zu widersprechen. Es seien Fetzen von Manz' 88 heruntergeflogen. Er müsse die Reparatur organisieren. Kurt und Paul müssten das machen. Aber Kurt sollte doch mit ihm kommen. Fritz sagte lieber nichts, um die Ausleihe des Kübels nicht zu gefährden.

Die rasante Fahrt mit dem offenen Kübelwagen war eine reine Sinnesfreude. Als sie bei der Albergo ankamen, waren sie ziemlich verstaubt. Fritz bot ihnen sein Bad an, was sie mit großen Augen und grinsend annahmen.

Sie trafen sich im Restaurant des Hotels. Der italienische Ober schaute ein wenig indigniert, weil die beiden im grauen, leicht verschmutzten Feldanzug am weiß gedeckten Tisch saßen oder weil er niemand zusätzlich erwartet hatte. Aber er sagte nichts.

Werner und Albi kamen bald dazu und wenig später auch Ulrich und Wernerzwo.

„Wo ist Manz und Co?“, fragte Fritz.

„Die sind bei ihrer Kiste geblieben bei Stoppelhopserfraß“, sagte Albi. „Entschuldigung. Stellst du uns deine neuen Freunde vor?“

Max und Claudius waren vor allem von der eleganten Erscheinung des Adligen beeindruckt und waren sehr still. Das Essen wurde kaum durch Gespräche gestört.

Ulrich wischte sich den Mund ab, nahm einen Schluck aus dem Glas, was Fritz sehr an die Auftritte in Wiener Neustadt erinnerte. „Sagt mal, Kameraden. Ich habe wenig Ahnung von eurem Geschäft. Vergeht man da nicht vor Angst. Ich meine, wenn das so nah kommt?“

„Hmmm.“ Claudius wischte sich ebenfalls den Mund ab. „Das ist reine Gewohnheit, Herr Fähnrich. Wenn ich das so sagen darf.“

„Erst einmal das: Hier sitzen wir alle zusammen und haben gerade etwas Wildes erlebt. Da schlage ich doch vor, dass wir uns alle duzen. Ich bin Ulrich.“

Claudius und Max schluckten synchron. „Jawoll, Herr Fähnrich“, sagte Max.

„Mann, Kamerad. Jetzt hör schon auf damit.“ Ulrich lachte. „Wir sind doch alle im selben Boot. Ich bestell jetzt mal was Hochprozentiges. Dann wird’s leichter.“

Als der Ober angeekelt eine Flasche Grappa und sechs Gläser hinstellte, sagte Werner: „He Ober. Signore: Du haben ein Bier? Birra? Du verstehen?“

„Si, Signore. Abbiamo Birra. Italiano? Bene?“

„Egal. Her damit. He, Jungs. Wollt ihr nicht auch ein Bier? Das ist doch besser als die weißgelbe vergorene Traubenpisse, oder?“

Claudius und Max sahen sich an. „Ja, Herr Fähnrich. Das ist besser. Viel besser.“

„Muss ich das jetzt auch noch extra sagen. Ich bin Werner und das ist Wernerzwo, weil wir zwei Werners sind. Der eine ist ein bisschen lädiert im Gesicht, also nicht ich, der andere, aber das wird schon wieder und der Stille da ist Albi. Alles klar?“

„Ihr Flieger seid komische Leute.“

„Das kannste laut sagen. Prost, Kameraden. Auf uns und unseren Anführer.“

„Heil Hitler“, sagte Max.

„Den habe ich jetzt nicht gemeint. Aber egal, von mir aus auch auf den.“

„Jetzt sagt doch mal“, sagte Albi. „Wie ist euer Tag oder eure Woche so. Ich meine, ihr könnt doch nicht dauernd kämpfen. Ist ja auch nicht immer jemand da zum Kämpfen.“

„Die meiste Zeit hängen wir rum, um ehrlich zu sein. So eine erweiterte Putz- und Flickstunde, damit das Ding einen Namen hat“, sagte Max. „Wir werden praktisch zu perfekten Hausfrauen ausgebildet.“

„Und hin und wieder kommt einer von den Wichtigeren, der Gruppenführer oder so, und meint, wir sollten uns mehr anstrengen und Sport wäre jetzt angesagt“, sagte Claudius.

„Aha, der Waldlauf“, sagte Fritz.

„Genau. Und manchmal kommt so ein Oberhirsch, Verzeihung, so war's nicht gemeint und macht mit uns Formalausbildung.“

„So war's schon gemeint“, sagte Ulrich. „Und ihr habt recht. Das ist so etwas von unnötig. Aber keine Sorge, mit uns machen sie das auch manchmal.“

„Das stärkt den Zusammenhalt“, sagte Wernerzwo und grinste.

„So ein Quatsch, Zusammenhalt. Das soll die Ausrichtung und Konditionierung stärken. Ein Volk, ein Reich, ein Führer. Das ist gemeint.“

„Ihr traut euch aber was“, sagte Claudius.

„Wir sind ja unter uns“, meinte Wernerzwo.

„Hoffentlich“, sagte Fritz. „Müsst ihr eigentlich zur Front noch marschieren? Wäre bei der Hitze nicht angenehm, oder?“

„Fritz ist nämlich eine faule Sau. Das müsst ihr wissen“, sagte Werner.

„Sprecht ihr immer so untereinander?“

„Ihr nicht?“

„Doch schon. Wenn kein höherer Dienstgrad dabei ist.“

„Also wie hier.“

„Kann man nicht sagen, wenn ich mich so umschaue.“

„Ach, das meinst du? Das ist nur Lametta, weiter nichts. Also müsst ihr jetzt marschieren oder nicht?“

„Ja schon. Wird aber weniger. Die haben erkannt, dass es schneller geht mit den Fahrzeugen.“

„Und es bleibt mehr Energie fürs Eigentliche“, sagte Fritz. „Das ist wie mit dem Skilift.“

„Versteh' ich jetzt nicht ganz.“

„Hör nicht auf ihn. Wir verstehen ihn auch oft nicht“, sagte Albi. „Das ist unheimlich schlau mit dem Fahren. Das sind diese Pritschenlaster mit den Holzlatten zum Festhalten, oder?“

„Ja. Ist aber auf Dauer auch nicht angenehm.“

„Besser schlecht gefahren als gut gegangen“, sagte Max.

„Und dann, wenn ihr angekommen seid?“

„Putzen und Flicken. Und eingraben, natürlich.“

„Und Schießen.“

„Nee. Machen wir kaum noch. Sonst ist die Munition gleich alle.“

„Sehr sinnvoll“, meinte Ulrich. „Mit dem Nachschub wird es ohnehin immer schlimmer.“

„Vor allem, wenn die uns immer mit ihren Flugzeugen ärgern und Tanks in die Luft jagen.“

„Ja, das war schon apokalyptisch, heute“, sagte Ulrich.

„Wenn du damit schlimm meinst, Ulrich“, sagte Claudius. „Dann muss ich dir sagen, das war nicht so besonders, heute.“

„Wo wart ihr eigentlich vorher?“, fragte Albi.

„In Frankreich und in Belgien und in Holland.“

„Dünkirchen auch“, sagte Max.

„Schlimm?“, fragte Albi.

„Nö. Wir haben ja einfach aufgehört. Ich weiß nicht, warum, aber für uns war es ganz angenehm. Ein paar Wochen nicht wirklich was zu tun.“

„Putz- und Flickstunde, oder?“

„Auch. Am besten war die Versorgung durch die Franzosen.“

„Französinnen“, korrigierte Werner.

Max lachte. „Ja, hauptsächlich.“

„Jetzt will ich aber auch was wissen“, sagte Claudius. „Wie hält man das aus, jeden Tag so alleine im Flugzeug, weit ab von der Welt am Boden und immer in Gefahr, abgeschossen zu werden.“

„So kann man das schon sehen“, sagte Fritz. „Aber fliegen ist einfach wunderschön...“

„Na, ich weiß nicht. So weit weg von den Kumpels. Ich würde mich zu Tode ängstigen.“

„Aber am Boden wirst du erschossen.“

„In der Luft auch.“

„Auch wieder wahr. Ich denke da nicht viel nach.“

„Wir haben ein gutes Leben. Meist im Offizierskasino oder bei Empfängen und hie und da ein ritterliches Duell in der Luft“, sagte Wernerzwo.

„Das mit dem Kasino ist schon gut. Besser als die olle Verpflegung aus der Gulaschkanone und dem Henkelmann. Trotzdem, ich fühle mich wohl mit den Kameraden.“

„Wie ist denn das so“, sagte Ulrich. „Dauernd mit so vielen Männern auf so engem Raum.“

„Versteh' ich jetzt nicht, was du meinst, Ulrich“, sagte Claudius.

„Na ja. Wenn man mal muss zum Beispiel, ist man nicht alleine.“

„Musst halt ein bisschen weiter in die Wüste gehen. Dann biste alleine. Ist aber meist nicht unser Wunsch. Wir machen alles gemeinsam. Das ist echte Kameradschaft.“

„Auch Scheißen?“

„Auch Scheißen.“

„Kein Ärger untereinander?“

„Doch schon. Mit den Arschlöchern.“

„Die gibt es überall. Stimmt's Freunde?“

„Du meinst Paul?“, sagte Werner.

„Keine Namen“, meinte Ulrich. „Aber klar mein' ich den. Habt ihr auch so einen Paul?“

Claudius lachte. „Unser Paul heißt Friedrich. Aber keine Namen, oder?“

„Kann da nicht einmal im Eifer des Gefechts eine Kugel daneben gehen und ausgerechnet das Arschloch treffen?“

„Also nee. So was gibt es bei uns nicht. So tief in der Kacke sitzen wir nicht.“

„Noch nicht Jungs, noch nicht“, sagte Ulrich.

„Was Ulrich meint“, sagte Fritz, „ist folgendes: Das treibt mich auch um. Ich stell mir vor, ich habe einen Arschloch - Anführer, einen Zugführer zum Beispiel, der befiehlt einen Sturmangriff oder wie das heißt. Und ich wüsste ganz genau, dass das nicht funktioniert, weil der Gegner viel zu gut aufgestellt ist. Der Zugführer hält sich fein heraus und bleibt im Hintergrund, um das ganze zu leiten, wie er sagt. Und dann soll ich einfach losrennen? Da hätte ich schon Mühe, oder?“

„Wir sind so erzogen worden. Außerdem, wenn wir nicht rennen, sind wir auch tot. Standrechtlich erschossen.“ Claudius lächelte säuerlich. „Und wir haben gelernt, dass unsere Vorgesetzten gute Menschen sind und den besseren Überblick haben.“

„Und das glaubt ihr auch?“

„Also unserer ist super. Für den geh' ich durch dick und dünn.“

„Glück gehabt.“

„Wie ist den eurer?“

„Für den geh' ich durch dick und dünn. Der ist schwer in Ordnung.“

„Glück gehabt.“ Alle lachten.

„Wir haben alle Glück gehabt“, sagte Ulrich. „Sonst könnten wir nicht so zusammensitzen. Darauf einen Grappa.“

„Und ich finde es auch toll, dass wir so bei euch sitzen dürfen.“

„Darauf noch einen Grappa“, sagte Werner. „Und ein Bierchen. Wie ist es eigentlich mit den Frauen. Bei euch so, mein' ich.“

„Da sind nicht viele. Eher wenig. Eher gar keine.“

„Doch“, widersprach Max. „Weißt du noch, letzte Woche. Als der Kameltreiber mit dem Wasser kam. Da waren doch ein paar Weiber dabei. Tuaregs waren das, glaube ich. Die haben da vielleicht heiße Bräute. Nicht verschleiert. Sieht man nicht oft hier. Vielleicht wäre Verschleiern sogar besser, wegen der vielen Männer hier, die dicke Eier haben.“

„Und?“

„Was und?“

„Ja, wie war's mit denen?“

„Nichts war. Die kamen angeritten und dann waren sie wieder weg.“

„Auf Kamelen?“

„Nein, natürlich nicht. In so einem Bus.“

„Und wo sind die hin?“

„Keine Ahnung.“

„Wie konntet ihr?“ Werner schüttelte den Kopf.

„Ich bin verlobt, Werner“, sagte Max. „Kein Interesse.“

„Ach, da kenn' ich aber andere. Die sind verlobt und haben trotzdem...“

„Werner, Schnauze“, sagte Fritz.

„Ihr redet genauso wie wir untereinander. Und ich habe immer gedacht, bei Offizieren wäre das anders.“

„Bei den meisten schon“. Ulrich grinste dabei. „Aber manche...“

„Hallo, Höchstwürden, jetzt werd' hier nicht rufmordend. Sonst fordere ich sie zum Duell.“

„Stimmt“, sagte Claudius. „Bei Offizieren gibt es das. Von wegen der Ehre.“

„Gab es das“, verbesserte Ulrich.

„Heute nicht mehr?“

„Nur noch manchmal“, sagte Wernerzwo. „Aber der Edle von Thann kennt das noch.“

„Das will ich sehen“, sagte Max. „Ihr bringt euch dabei doch nicht um. Heutzutage.“

„Nein. Es gibt nur einen auf die Mütze.“

„Dann macht doch mal.“ Albi grinste, auch schon ein wenig unter Alkoholeinfluss. „Ich mache den Sekundanten von Ulrich.“

„Und ich sekundiere Werner.“ Auch Fritz lallte ein bisschen.

„Au ja, au ja“, riefen Max und Claudius.

„Die meinen das ernst, oder?“, meinte Werner. „Okay. Du hast mich beleidigt, Allerwertester. Ich wähle die Waffen.“

„Nur zu, Bürgerlicher. Ich weiß allerdings nicht, ob du überhaupt satisfaktionsfähig bist.“

„Scheiß Fremdwort. Also, die Waffen. Ich bin für Tomaten. He Ober, du haben schöne große Tomaten?“

„Pomodori“, sagte Albi. Und der Ober brachte tatsächlich eine Schüssel voll mit Tomaten.

„Die sind ja schon ziemlich weich und ein bisschen verfault“, sagte Albi.

„Macht nichts“, meinte Werner. „Dann verletzt sich Hochwürden nicht.“

Sie marschierten im Gänsemarsch auf die Straße. „Ein Lied“, rief Werner. „Zu einem Duell gehört ein Lied. Die Panzerplatte eins zwei drei.“

Es war ein fürchterliches Gekröle. Die Eingeborenen mussten denken, dass die deutsche Musik doch nicht so überlegen war, wie ihnen erzählt wurde. Die Schlange bewegte sich sehr schlangenartig die Straße entlang. Einige Glieder stolperten, reihten sich aber schnell wieder ein.

„Halt“, rief Albi. „Hier ist der Duellplatz.“ Niemand war auf der schwach beleuchtete Straße und das war auch gut so.

„Folgende Regel. Jeder hat fünf Würfe. Es wird abwechselnd geworfen. Der Gegner darf sich nicht bewegen. Gewonnen hat der, der… ist egal, wer gewinnt. Stellt euch auf. Halt, nicht so weit voneinander. Mein Werner kann das nicht so gut. So jetzt. Werner fängt an. Er ist der Beleidigte.“

Werners Wurf traf Max voll auf der Brust. „Tschuldigung, oberster Heereskämpfer. War nicht so gemeint.“ Der lachte am lautesten und wischte sich den Saft von der Uniform.

Ulrich traf Werner nicht. Der schaute der Tomate nach. „Oh schau mal, Blut an der weißen Wand. Da werden die aber ganz schön sauer, die Araber. Hoffentlich gibt es keinen Konflikt. Aber so kommen sie mit dem Krieg hautnah in Berührung.“ Blitzartig und heimtückisch warf er nach Ulrich und traf ihn am Bein.

„Nicht die Uniform. Bloß nicht die Uniform. Nimm lieber das Gesicht, Werner“, rief Fritz.

Diesmal wurde Werner voll auf die Nase getroffen. „Ja so“, rief Fritz. „So musst du das auch machen.“

Werner landete einen Glückstreffer. Ulrichs Auge war knallrot. Gottlob hatte er es vorher geschlossen.

Im allgemeinen Grölen wurden die Regeln gebrochen. Alle griffen in den Kampf ein und es entstand eine ungeheure Schlacht mit vielen Verletzten. Leider war der Munitionsvorrat in Kürze erschöpft.

„Der Nachschub ist das wirkliche Problem“, sagte Ulrich, während er versuchte, seine Uniform wieder ins Lot zu bringen.

„Fritz.“ Max war zu Fritz getreten. „Ich glaube, wir sollten jetzt wieder zurück. Sonst kriegen wir Ärger. Zapfenstreich, du verstehst.“

„Oh ja, Du hast recht. Habe ich ganz vergessen. Lasst uns losfahren.“

„Ich komm mit“, sagte Werner. „Ich bin nämlich Fritz' Navigator. Ohne mich ist er verloren.“

Zwanzig Kilometer durch die Sternennacht wäre ein sehr schönes Erlebnis gewesen, wenn die Wüste nicht so kalt werden würde. Die Temperatur war auf wenige Grade über Null gesunken, was die Freude an der Fahrt im offenen Auto sehr schmälerte. Der Kübel hatte schon eine Heizung, aber eben kein Dach.

Der Trott hatte sie wieder und hier insbesondere der Waldlauf. Fritz war mit fadenscheiniger Begründung der Beerdigung der Kameraden aus dem Luftangriff ferngeblieben. Dass der Waldlauf trotzdem nicht abgesagt wurde, machte ihn beinahe depressiv.

Er lief los. Gleich schon am Ende der Gruppe, diesmal. Es dauerte kaum eine Minute, als schon wieder der Alarm ertönte. Wieder rannten sie in alle Himmelsrichtungen davon. Fritz strebte diesmal dem Hangar zu, vor dem seine 88 stand. Als ob er sie beschützen könnte. Schon hörte man im Osten das tiefe, bekannte Brummen.

Es war eine einzelne Hurricane, die ein paar Salven verschoss, ohne etwas Großes anzurichten und wieder verschwand. Man konnte sich keinen Reim daraus machen.