Zehn gute Jahre Teil3 - Friedrich Haugg - E-Book

Zehn gute Jahre Teil3 E-Book

Friedrich Haugg

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Beschreibung

Vor kurzer Zeit, als Ihre Eltern jung waren (oder Ihre Großeltern), galt Fliegen noch als Menschheitstraum für Wagemutige. Niemand wusste, dass der größte Technologiesprung der Geschichte bevorstand. Er wurde von einer Wissenschafts- und Ingenieurelite geschaffen, vielfach verstärkt für die Zwecke eines verbrecherischen Krieges. Alles, was wir heute so selbstverständlich nutzen hat da seinen Ursprung. Fritz Kleins Alltag ist wie der seit Generationen. Aber Auto, Telefon, Radio, Kühlschrank, Kino, bald sogar vom Sofa aus, und vor allem Flugzeuge lassen eine völlig neue Lebensweise ahnen. Gemeinsam mit Eva, seiner ersten und wahren Liebe genießt er ein Deutschland, in dem es nach der Not und der unfähigen Demokratie steil aufwärts geht. Jeder hat Arbeit, alle sind gleich und ziehen an einem Strang. Nie war die Zukunft besser. Teil 3: Privilegiert Fritz Klein genießt das privilegierte Leben der Piloten in einem der wichtigsten Standorte der Luftwaffe: Wiener Neustadt

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Table of Contents

Kap.13 München - Oberwiesenfeld

Kap.14 Wiener Neustadt

Kap.15 Wiener Neustadt 2

Kap.16 Wiener Neustadt 3

Kap.17 Wiener Neustadt 4

Kap.18 Wiener Neustadt 5

Kap.19 Dresden - Großenhain

Kap.20 Epfach

Friedrich Haugg

Zehn gute Jahre – Teil 3

Privilegiert

Über Friedrich Haugg

Friedrich Haugg, geboren 1945, ist Diplom-Mathematiker und Ex - Manager. Er hat 25 Jahre in der Luft- und Raumfahrtindustrie gearbeitet und den Umgang mit Computern von der Pike auf gelernt. Nach der Veröffentlichung von fünf Sach- und Fachbüchern bei Hanser und Franzis und von Softwareprogrammen für das Gehirntraining bei United Soft Media hat er beschlossen, sich zum Schreiben von Romanen zu begeben, um zu unterhalten, aber auch um die Ambivalenz der Menschen im Umgang mit der rasanten Technologieentwicklung zum Thema zu machen.

Von Friedrich Haugg sind folgende Romane erschienen:

Das schmale Fenster - Ein Thriller über die Pharmaindustrie,ISBN 9783844253658

Fortschritt - Ein Thriller über die Überwachungsindustrie,ISBN 9783844290356

Mehr unter www.haugg.peds.de

Über Zehn gute Jahre

Vor kurzer Zeit, als Ihre Eltern jung waren (oder Ihre Großeltern), galt Fliegen noch als Menschheitstraum für Wagemutige. Niemand wusste, dass der größte Technologiesprung der Geschichte bevorstand. Er wurde von einer Wissenschafts- und Ingenieurelite geschaffen, vielfach verstärkt für die Zwecke eines verbrecherischen Krieges. Alles, was wir heute so selbstverständlich nutzen hat da seinen Ursprung.

Erleben Sie diese aufregende Zeit und verstehen Sie ganz nebenbei die Technik, die die Welt veränderte.

Fritz Klein gab es wirklich unter anderem Namen. Er stammt aus einer bürgerlichen Bildungsfamilie, sieht gut aus, ist tolerant und bei den zunehmend emanzipierten Frauen sehr beliebt. Vor allem aber ist er Jagdflieger, den Superstars von damals.

Als junger Lehrer sitzt er neben seiner ersten großen Liebe Eva auf einer warmen, duftenden Bergwiese und bewundert einen majestätisch kreisenden Adler. 'Apila non captat muscas', bezieht er auf sich. Er entkommt den Intrigen kleingeistiger Parteifunktionäre und erfüllt sich seinen Traum vom Fliegen, indem er in die neue, schillernde Luftwaffe eintritt. Dass er dazu erst einmal Soldat werden muss, nimmt er in Kauf.

Der Krieg überrascht ihn, weil der Führer doch keinen Krieg wollte. Die Abenteuer werden lebensgefährlich. Die Verbohrtheit seiner näheren Umgebung nimmt er mit Humor, Berichte von fernen Gräueltaten hält er für wenig glaubhaft. Gegen aufkommende Erschöpfung und Depression hilft die Göring – Schokolade. Die Amphetamine haben fatale Wirkungen. Aber sie helfen ihm, sich übermütig immer wieder aufs Neue in scheinbar ausweglose Situationen zu stürzen.

Für Teile dieses Buchs, das auf Erzählungen, alten Dokumenten und Bildern meines Vaters basiert, wäre ich noch vor kurzer Zeit in Deutschland und heute noch an anderen Orten von der Obrigkeit erschossen, von der Kirche exkommuniziert und verbrannt oder vom aufgebrachten Mob gelyncht worden.

Heute sorgt es für keinerlei Erregung, was übrigens für die Verkaufszahlen ungünstig ist.

Vorsorglich distanziere ich mich aber von den Ansichten des Helden aufs Entschiedenste. Man kann nie wissen.

Aufgrund der großen Seitenzahl habe ich den Roman in sieben Teile zerlegen müssen. Sie sind aber nicht als unabhängige Bücher zu verstehen.

Teil 1: Friedliche Zeiten

Teil 2: Der Rausch des Fliegens

Teil 3: Privilegiert

Teil 4: Nordlicht

Teil 5: Afrika

Teil 6: Verwirrung

Teil 7: Auflösung

Über Teil 3 Privilegiert

Das Auto war hellgrau, die obere Hälfte etwas dunkler lackiert und die Wänder der Reifen stachen strahlend weiß ins Auge.

Aber vor allem war es zweierlei: Ein Mercedes und ein Cabriolet. Mit beiger Lederausstattung und einem Faltdach in gleicher Farbe, der verchromte Klappmechanismus eine Augenweide. Der an jedem Scheibenwischer oben befestigte Elektromotor mit Kippschalter sowie ein Mechanismus, das gesamte Frontfenster auszustellen, vervollständigten den Komfort. Ein Blick auf die elfenbeinfarbig hinterlegten, großen Armaturen sagten Fritz, dass es halb zehn Uhr war und dass das Auto möglicherweise über 100 km/h schnell sein könnte. Wahnsinn.

Die Me 109, dieses Auto und die Aussicht auf einen sehr erfreulichen Nachmittag mit Luise bescherten ihm ein Hochgefühl. Er fand, gerade einen Höhepunkt in seinem Leben erreicht zu haben. Es war die einzig richtige Entscheidung gewesen, zur Luftwaffe zu gehen.

Es gab nichts Schöneres.

Impressum

Ungekürzte Ausgabe

August 2020

Texte:© copyright by Friedrich Haugg

Umschlaggestaltung:© copyright by Friedrich Haugg

Verlag:

Friedrich Haugg

Jägerstraße 3

82347 Bernried

[email protected]

Druck und Vertrieb:

epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Friedrich Haugg

Zehn gute Jahre

Teil 3

Privilegiert

Biografischer Roman

für Katharina,

und

für Yvonne,

die ihren Großvater

nicht kennengelernt hat.

Um ein ein tadelloses Mitglied einer Schafherde zu sein, muss man vor allem ein Schaf sein. (Albert Einstein)

Kap.13 München - Oberwiesenfeld

Diesmal würde er den Fehler von Braunschweig nicht machen, sich zu früh in der Kaserne zu melden. Die im Marschbefehl angegebene Zeit war erst übermorgen. Was die Zwischenzeit offiziell war, wusste er nicht. Es war keine Dienstzeit, aber ein Urlaub war es auch nicht, denn das würde sonst irgendwo stehen. So sehr er das Fliegen auch vermisst hatte, es wurde ihm klar, dass die völlige Bewegungsfreiheit ohne ständige Handlungsanweisungen durch Pläne oder Vorgesetzte für immer vorbei war. Ein Anflug von Panik überfiel ihn und er zwang sich, an die große Freiheit Fliegen zu denken. Aquila non captat muscas. Es gelang, einigermaßen.

Beim Informationsschalter am Hauptbahnhof erkundigte er sich nach dem Hotel Adler. Er hielt das für einen netten, kleinen Scherz, der die vorschriftsmäßig lächelnde Bahnbeamtin hinter der Glasscheibe mit dem ovalen, zellophanbespannten Sprechloch ein wenig in Verlegenheit bringen würde oder zumindest zu aufwändigem Suchen in ihren Unterlagen.

„Für wie viele Nächte wollen sie ein Zimmer?“

„Das gibt es wirklich?“

„Was? Dass sie den Wunsch haben zu übernachten?“

„Nein, das Hotel Adler.“

„Danach haben sie gefragt. Ich nehme an, sie wissen nicht, wo das ist?“

„Stimmt.“

„Ledererstrasse 8. Und jetzt wollen sie wissen, wo die Ledererstrasse ist?“

„Stimmt.“

„Sie fahren mit der Straßenbahn, Linie acht, bis ins Tal. Tal ist der Name eines Platzes, der nach dem Marienplatz kommt. Da gehen sie nach Norden in die Hochbrückenstrasse. Die erste links ist die Ledererstrasse. Soll ich für sie reservieren. Eine Nacht?“

Fritz nickte, beeindruckt von der perfekten Organisation. „Halt. Zwei Nächte. Das wäre großartig.“

Sie telefonierte, fragte zwischendurch nach seinem Namen und legte wieder auf.

„Das Hofbräuhaus ist ganz in der Nähe. Falls sie touristische Interessen haben, Herr Soldat.“

„Vielen herzlichen Dank. Sie waren sehr freundlich.“

„Das ist mein Beruf. Der Nächste bitte.“

Außer dem Namen hatte das Hotel wenig Gemeinsamkeiten mit dem stolzen Herren der Lüfte. Doch, im Flur hing der goldgerahmte Druck eines mäßig gelungenen Öladlers auf einem Ast sitzend und wie alle unsere Heroen, heldenhaft in die Ferne blickend. Das Zimmer war ordentlich und sauber, hauptsächlich lindgrün lud es aber nicht zum Verweilen. Er hatte sich vorgenommen, die freie Zeit mit dem Besuch der Großen Kunstausstellung im Haus der deutschen Kunst zu nutzen.

Beim Umherstreifen in der Stadt zog ihn eine spontane Idee in ein Antiquariat. Der Mann im Raum erfüllte das erwartete Erscheinungsbild eines Antiquars, umrahmt von den Tausenden alter Büchern, die sich in Regalen bis zur Decke stapelten.

„Ich weiß, das ist eine schwierige Sache“, begann Fritz und meinte die Außergewöhnlichkeit seines Wunsches. „Haben sie von Kandinsky 'Über das Geistige in der Kunst'?“

Der Mann sah ihn aus schmalen Schlitzen an, die eingeschnitten waren in die papierfarbene, faltige Gesichtshaut. Seine Miene verfinsterte sich. „Wollen sie mich testen, Soldat, oder was soll diese Frage?“

„Wie meinen sie das?“

„Sie wissen doch, dass Kandinsky nicht erwünscht ist. Aber das brauche ich ihnen ja wohl nicht zu sagen. Habe ich den Test bestanden?“

„Ach du meine Güte. Ich will sie doch nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich dachte nur, dass in ihrem Geschäft vielleicht noch ein paar Bücher sein könnten, die rechtzeitig der Verbrennung entkommen sind.“

„Wissen sie, was ein Agent Provocateur ist?“

„Ja, eigentlich schon.“

„Na also. Ich für meinen Teil halte mich strikt an die bestehenden Gesetze, wie sie ihre Leute gemacht haben.“

„Das tue ich selbstverständlich auch.“

„Also dann, guten Tag, Herr Soldat.“

„Nein, nein. Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.“

„Ich werde die Polizei rufen, wenn sie nicht gleich den Laden verlassen.“

„Meine Güte, was haben sie denn für Vorstellungen, wer ich bin?“ Fritz war das Getue lästig.

„Das weiß ich nicht und es interessiert mich auch nicht.“

„Ich bin Lehrer auf der Adolf Hitler – Schule in Sonthofen.“ Das war ein glänzender Einfall.

„Na und?“

„Wir dürfen, ja, wir sollen sogar verbotene Autoren lesen. Damit die Schüler lernen, warum sie verboten sind.“

„Wie außergewöhnlich fortschrittlich. Dann tun sie das.“

„Woher sollen wir denn verbotene Bücher bekommen, wenn nicht über so gut sortierte Geschäfte, wie sie es haben?“

„Zeigen sie mir ihren Ausweis.“

„Hmmm. Ich habe nur die Ergebnisliste von unserem Skirennen dabei. Da stehe ich drauf. Fritz Klein ist mein Name.“ Fritz zeigte sie ihm.

„Fritz Klein, so so. Und wer ist das?“

„Na ich.“

„Können sie sich ausweisen?“

„Kann ich.“ Fritz zeigte ihm seinen Fluglehrerschein.

„Was sind sie jetzt wirklich? Skirennfahrer, Schullehrer oder Fluglehrer? Bitte verstehen sie, dass mir das ziemlich merkwürdig vorkommt.“

Fritz lachte. „Sie haben wirklich recht. Meine Güte, ist das alles kompliziert heutzutage. Ich versuche es jetzt mit Offenheit. Ich schätze die Bilder von Kandinsky, sie berühren mich und die Bilder, wie sie auch in der deutschen Kunstausstellung hängen, berühren mich nicht. Und ich will wissen, warum das so ist. Vielleicht hat Kandinsky dazu etwas aufgeschrieben. Das würde mir sehr helfen.“

Wieder schaute der Mann ihn lange an. Dann verschwand er durch eine Hintertür und schlurfte wenig später wieder hervor.

„Das war sehr, sehr mutig, junger Mann. Außerdem haben sie eine Luftwaffenuniform. So sind Geheimpolizisten im Allgemeinen nicht verkleidet. Ich hoffe, dass sie diesen Mut niemals verlieren und ihn auch nie bereuen müssen. Hier, ich schenke ihnen das Büchlein. Aber erzählen sie niemandem, von wem sie es haben. Alles Gute.“

„Ihnen auch. Herzlichen Dank. Es hat mich sehr gefreut, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.“

Er kaufte sich als Erstes den Katalog zur 'Großen deutschen Kunstausstellung' und entdeckte zwei Seiten nach dem heroischen Foto des ubiquitären Schirmherren, abgelichtet von Foto Hoffmann, München, der alle exklusiven Rechte an den Führerfotos besaß, die Raumpläne mit der Führungslinie. Das war praktisch. Er ging zum Start. Als erstes fixierte ihn Goebbels, sitzend im grauen Zweireiher und modisch schräg gestreifter Krawatte, eine stark geäderte, große Hand auf den Unterarm der Linken gelegt und mit einem Blick, der einen unbändigen Willen, aber auch eine gehörige Portion Verbitterung und Menschenverachtung ahnen ließ. Der Maler, Wilhelm Otto Pitthahn, hatte Goebbels durchschaut. Er erinnerte sich an sein Gespräch mit Deutscher. Goebbels war ein Beweis, dass man alleine durch Willen und Fokussierung nahezu alles erreichen kann. Das mit dem arischen Aussehen und der Rasse war einfach nur Quatsch. Auch bei uns funktioniert es so, wie es überall und seit undenklichen Zeiten immer funktioniert hat.

Es folgten unzählige, langweilige Portraits, von alten Haudegen, die wohl irgendwann Bedeutung hatten und von Menschen aus dem Volk, hart arbeitend, teilweise ausgezehrt, aber stolz auf das Erreichte. Vergnügte, freudige Menschen waren eher nicht dabei, sieht man von ein paar Darstellungen bierseliger, bayrischer Gebirgsbewohner im Malstil des vorigen Jahrhunderts ab. Dann kamen gemalte Illustrationen der Land- und Industriearbeit im gleichen Stil und eine Menge Landschaftsbilder, wie er sie schon aus vielen vergangenen Epochen seit der Renaissance und der Erfindung der Perspektive gesehen hatte. Sie waren nicht schlechter gemalt als viele der alten Werke und sie dokumentierten einen Zustand. Immerhin. Aber Fotos hätten das heute auch weniger mühevoll gekonnt.

Ein Bild von Hermann Gradl fiel ihm angenehm auf. Es hieß 'Mosellandschaft bei Mesenich'. Es war eine ganz ordentliche Komposition, gemalt mit einem lockeren, fast impressionistischen Pinselstrich. Das war doch eigentlich hart an der Grenze des Erlaubten, wo doch Manet, Monet, Turner und vor allem Cezanne mit ihrem Gedankengut nicht in den vorgegebenen Kunstbegriff passten. Andererseits war das Bild brav und korrekt in der Farbwahl, der lockere Strich diente mehr dem Effekt, die Gegebenheit möglichst naturnah darzustellen. Das Bild erinnerte ihn sehr an das Hitlerbild, das ihm beim Besuch in Murnau gezeigt wurde. Vielleicht war diese Ähnlichkeit der wahre Grund, dass der Führer Gradl so schätzte. Vielleicht war es sogar so, dass der Führer all diese hier ausgestellten Werke nur deshalb mochte, weil sie auch nicht besser als seine eigenen waren.

Das Bild berührte ihn nicht. Er holte aus dem Gedächtnis das Landschaftsbild von Kandinsky hervor. Und er wusste wieder nicht, warum es mit diesem Bild anders war. Auch die damaligen Erläuterungen der alten Dame halfen ihm nicht weiter. Moment mal, es war gar nicht die Dame, es war Eva. Keine gute Erinnerung, um seine Stimmung zu verbessern.

Er wusste nicht, warum er Kandinsky's Bild gut fand. Fritz war davon überzeugt, dass es einen allgemeingültigen Grund dafür geben musste. Und dass dahinter auch die Erklärung steckte, warum solche Kunst vom Regime nicht geschätzt, ja sogar verboten wurde. Die landläufige Begründung, dass solche Kunst primitiv sei und von minderwertigen Menschen stamme, konnte nicht die Vehemenz und Aggressivität der Ablehnung erklären. Man hätte sie ja auch einfach nur ignorieren können. Wie immer, wenn ein Verbot erlassen und fanatisch durchgesetzt wurde, steckte etwas ganz anderes dahinter.

In den Sälen wurden die Plastiken immer präsenter. Die unzähligen nackten Figuren, die Thorak, Breker, Kolbe oder Klimsch aus Ton geformt und in Bronze gegossen oder gleich aus dem Marmor gehauen hatten, mussten ihnen ein lang anhaltendes Vergnügen beschert haben. Und das Vergnügen war auch ganz auf der Seite der männlichen Betrachter, wie die Haufenbildung bewies. Sie hatten ausnahmslos ernste und beflissene Gesichter, die mit großem künstlerischen Verstand die Qualität der Werke in Augenschein nahmen. Sie umrundeten die Figuren gründlich und ließen sich viel Zeit, um nur ja kein künstlerisches Detail zu verpassen. Fritz fiel auf, dass die meisten der Werke so auf einem Podest standen, dass deren Genitalien praktisch auf Augenhöhe der Betrachter lagen. Das war natürlich keine Absicht, sondern ein zufälliges Resultat der Präsentation, die die lebensgroßen Vorbilder über dem gemeinen Volk stehend zeigen sollten. Diese Bildhauer und auch der Maler Gradl standen unter Absegnung des Führers in der Liste der 'gottbegnadeten Künstler'. Ob Gott das auch so sah? Aber der äußert sich ja recht individuell den Menschen gegenüber. Als er vor einem der großen Gemälde Zieglers stand, der übrigens nicht gottbegnadet war, dessen nackte, weibliche Figuren aber dennoch hinter dem Schreibtischstuhl des Führers Platz gefunden hatten, wusste er gleich, warum der unter vorgehaltener Hand 'Meister des deutschen Schamhaars' genannt wurde.

Die unbekleideten Frauen in allen, außer rein sexuellen Posen, schienen ihm auf eine gewisse Verlogenheit hinzudeuten, in einem Land, in dem Pornografie verboten war. Aber nicht so schlimm verlogen wie die sadistischen Gewaltfantasien vieler alter Meister, deren Grausamkeiten an weiblichen und natürlich ebenfalls nahezu unbekleideten, heiligen Märtyrerinnen auch noch die Kirchen schmückten. Diese Ausstellung zeigte stolze, ihrer Würde nicht beraubte Frauen. Ein Fortschritt. Aber beeindruckt oder gar erregt war er von den Darstellungen nicht. Bis auf ein einziges Bild. Es zeigte ein ansehnliches, sehr junges und nacktes Mädchen, das unter dem Schutz eines Busches dabei war, in einem See schwimmen zu gehen. Dann fiel ihm auf, dass nicht das Bild gut war, sondern seine Erinnerung an Susi.

Er kam zu einem Kupferstich, der aussah wie eine Illustration aus einem mittelalterlichen Buch. Er passte irgendwie nicht zur Ausstellung. Abgebildet war der Kopf König Heinrichs des Ersten. Darunter war ein Text, gestochen in gotischer Schrift. 'Er war der Erste unter Gleichen, und es wurde ihm eine größere und wahre menschliche Ehrfurcht entgegengebracht, als später Kaisern, Königen und Fürsten, die sie nach volksfremdem byzantinischen Zeremoniell forderten, je zuteil wurde – er hieß Herzog und König und war ein Führer vor tausend Jahren.' Darunter stand, ebenfalls in gotischer Schrift, der Name des Autors dieser Zeilen: 'Reichsführer SS – Heinrich Himmler'.

Heinrich und Heinrich. Deutscher hatte einmal von einem Gerücht berichtet, Himmler halte sich für die Reinkarnation Heinrichs des Ersten. Und Himmler nannte Heinrich den Ersten einen Führer. Ob das dem derzeitigen Führer gefällt, wenn er den Text aufmerksam liest? Andererseits war König Heinrich der, der Deutschland vor den heranstürmenden Ungarn und weiteren, niederen Ostmenschen beschützt hat. Die hießen jetzt russische Bolschewiken. Hoffentlich kommt da niemand auf dumme Ideen.

Als er vom feisten, in bayrische Tracht gekleideten Reichsjägermeister Göring angeschaut wurde, die Unterschrift hieß wirklich so, ohne feist, hatte er genug und er beschloss, den Rundgang im Katalog fortzusetzen.

Die erste Seite nach dem Bildteil war eine ganzseitige Werbung der Allianz. Mit Kunst hatte das nichts zu tun, aber Versicherungen hatten viel Geld für die Werbung und waren deshalb bei allen Medien sehr willkommen. Die Allianz verkündete Erfolgszahlen: 6.316.660 Versicherungsverträge, 390.683.230 Reichsmark Prämieneinnahmen, 521.102 Schadensmeldungen, 146.268.909 Reichsmark Schadenzahlungen und 55.416.043 Reichsmark Reserven für schwebende Schäden. Zwischen Einnahmen und Zahlungen klaffte eine Lücke von sage und schreibe 244 Millionen Reichsmark. Hat wohl keiner gemerkt. Der Gesamtbestand an Lebensversicherungen hat 4,25 Milliarden Reichsmark überschritten. So, so, dachte Fritz. Das war also das Geschäftsjahr 1937. Dann standen da noch kleingedruckt die einzelnen 'Sicherheitsmittel und Reserven' für die Gesellschaften Allianz Versicherungs - AG, Allianz Lebensversicherungsbank AG, Badische Pferdeversicherungs – Anstalt AG, Bayerische Versicherungsbank AG, Globus Versicherungs - AG, Hammonia Allgemeine Versicherungs - AG, Kraft Versicherungs - AG, Neue Frankfurter Allg. Versicherungs – AG und Union Allgemeine Deutsche Hagel – Versicherungs – AG.

Je länger er die Anzeige betrachtete, desto merkwürdiger fand er sie. Wer sich für die Geschäftszahlen wirklich interessierte, also ein Aktionär zum Beispiel oder ein Bankier, der wird sich den Bericht besorgen. Diese Anzeige lasen aber größtenteils 'normale' Bürger. Bürger, die sich allenfalls gegen ein Risiko versichern wollten. Dazu fanden sie aber hier nichts. Nicht einmal eine Adresse oder eine Telefonnummer.

Versicherungen waren ihm eigentlich egal, weil sie so furchtbar langweilig waren. Aber er begann zu ahnen, was die Schöpfer der Werbung beabsichtigten. Was im Gedächtnis bleibt, ist das Staunen vor der Größe der Summen. So erscheint die Allianz als mächtige und erfolgreiche Institution. Eine Institution, der man sich getrost anvertrauen kann. Das war es. Wann immer der Mensch ein Türschild sieht, auf dem 'Allianz – Vertreter' steht, erinnert er sich an den großartigen Eindruck und er geht dahin und nicht zu einem Namenlosen. (Fritz kannte damals noch nicht den Begriff Image – Werbung.) Wie gut die Versicherungen mit ihren Kunden umgehen, davon steht hier nichts. Nur die schiere Größe zählt und zieht den Menschen an. Unterlag er nicht demselben Mechanismus? Wohin war er gegangen? In eine unabhängige, kleine, nette Flugschule mit ein paar klapprigen Maschinchen oder zur unbändigen, mitreißenden Stärke der deutschen Wehrmacht, in der sich die Besten der Besten, Entwickler, Techniker und Flieger zusammengefunden hatten? Schon klar. Da kann man ein paar Unannehmlichkeiten schon in Kauf nehmen.

Bedenklich fand er, dass Größe alles anzog und sie immer nur noch stärker machte. Nur einer würde übrig bleiben. Einen Konkurrenten als Korrektiv gäbe es am Ende nicht mehr. Ach so, so war das ja jetzt schon.

Er verließ sehr nachdenklich die Ausstellung. Sie hatte einiges in ihm aufgerührt. Das eben war der Sinn der Kunst.

Eigentlich wollte er ja nur wissen, warum ihm Kandinsky besser gefällt als die anerkannten Maler. Vielleicht war es ja nur Eva und die Atmosphäre in Murnau, die er mit diesen Bildern assoziierte. Vielleicht hätte er jeden Schund, jedes Geschmier gut gefunden, nur weil er es mit wunderbaren Augenblicken verband. Könnte ja so sein. So, wie man die Musik gut findet, die man in den Tagen der ersten Liebe gehört hatte. Ein Geschmack, der sich niemals mehr im Leben verändern wird. (Beim Autor waren das die Beatles, die Kinks und die Rolling Stones. Aber die waren ja auch wirklich gut und nicht der Scheiß, den die Jugend heute als Musik bezeichnet.) Also alles nur Lug und Selbsttäuschung? Kandinsky selbst musste helfen. Er schlug das Büchlein auf.

'Nur die gewohnten Gegenstände wirken bei einem mittelmäßig empfindlichen Menschen ganz oberflächlich. Die aber, die uns zum ersten Mal begegnen, üben sofort einen seelischen Eindruck auf uns aus. So empfindet das Kind die Welt, in der jeder Gegenstand neu ist. Allmählich wird auf diesem Wege die Welt entzaubert. Man weiß, dass Bäume Schatten geben, dass Pferde schnell laufen können, dass Hunde beißen, dass der Mond weit weg ist, dass der Mensch im Spiegel kein echter ist.'

Etwas weiter: 'Mit kalten Augen und gleichgültigem Gemüt bewundern Kenner die 'Mache'. Die große Menge schlendert durch die Säle und findet die Leinwänder 'nett' und 'großartig'. Mensch, der was sagen könnte, hat zum Menschen nichts gesagt.'

Mensch, der was sagen könnte, hat zum Menschen nichts gesagt! Das brachte Fritz auf den Punkt. Neugierde und Wissensdurst gehen zunehmend verloren. Die erwachsenen Menschen erstarren in ihrer gewohnten Welt im sicheren Glauben, alles Lebensnotwendige bereits zu wissen. So verschließen sie sich dem Neuen, weil es anders ist, unbequem, möglicherweise nutzlos und potentiell gefährlich. Fortschritt gibt es aber nur, wenn man aufgeschlossen und neugierig bleibt. Das ist der eigentliche Sinn echter Bildung. In diesem Sinne werden die Menschen immer ungebildeter. Und das war vom Regime offensichtlich so beabsichtigt. Er dachte dabei an seine arroganten Eliteschüler, die durch kein noch so großes Wunderwerk aus der überlegenen Ruhe zu bringen waren. Über etwas staunen, seine Bewunderung zugeben oder etwas darüber wissen wollen, würde ja bedeuten, dass man von gestern wäre (uncool wäre das im derzeit aktuellen Sprachgebrauch).

Diese Menschen glauben, etwas von Kunst zu verstehen. Sie reduzieren die Kunst auf die Maltechnik und nehmen die Dimensionen darüber gar nicht wahr. Sie leben wie eine Made, für die der Speck die ganze Welt ist. Dass da noch außerhalb etwas vorzufinden ist, interessiert die Made nicht. 'Kunst kommt von Können', ein berüchtigter Satz, der alles zunichtemacht, der alles zertrampelt und keinen Raum für andere Sichtweisen lässt, die den Blick öffnen für das Andere, das Überraschende, das Neue. Ja, sie lehnen es sogar als primitiv und dilettantisch ab, weil der Schmierer nicht einmal fähig zu einer korrekten Darstellung wäre.

Kunst muss nicht 'gut' sein, sie muss nicht einmal gefallen. Es reicht, wenn sie den Menschen zum Denken anregt. Eine weiße, unbemalte Leinwand aufhängen ist eine Provokation und schon beginnt man zu reflektieren, zu kritisieren, vielleicht zu verstehen. Das mit der weißen Leinwand geht nur einmal, aber sie wäre in einer 'normalen' Kunstausstellung sicher der Hauptanziehungspunkt.

Die politische Gefahr der Kunst liegt darin, dass sie den Menschen herausreißen kann aus dem gewohnten Trott. Die Bevormundung durch undiskutierbare Vorgaben engt das eigene Denken und damit den Fortschritt in diesem Land ein. Jeder Fortschritt in der Welt war aber ausnahmslos durch Andersdenkende entstanden, die sich über geltende Regeln und Denkgewohnheiten hinwegsetzten. Das hat der Führer nicht anders gemacht. Nach einiger Zeit hat sich dann jeweils das Neue durchgesetzt und wurde zur Norm. Und die legitimierte wiederum die Verfolgung der nächsten Andersdenkenden. Es war grotesk. Die Menschen sind dumm, einfach nur dumm und engstirnig. Wie viel stärker wären wir doch, wenn wir uns diesen Gedanken öffnen würden.

'Unter Spott und Hass zieht er die sich sträubende, schwere Karre der Menschheit mit sich immer vor- und aufwärts.' Das las er bei Kandinsky. Der hatte es gewusst. Und es war nicht auf die Kunst beschränkt.

Und er sagte zu der augenblicklichen Kunstrichtung auch tröstliches: 'Diese Kunst, die keine Potenzen der Zukunft in sich birgt, ist eine kastrierte Kunst. Sie ist von kurzer Dauer und stirbt in dem Augenblicke, wo die Atmosphäre sich ändert.'

„Ab jetzt seid ihr richtige Soldaten. Als Erstes lest ihr jetzt die Regeln für uns, die wir in Zukunft die wichtigste Waffengattung sind. Vorbei die Zeiten, wo uns die Infanterie belächelte als Salonhelden. Die wahren Helden seid ihr. Allein und ohne Hilfe der Etappe gegen den Feind. Stolz und ungebrochen kämpft ihr für den großen und ruhmreichen Sieg. In der Walhalla werden dereinst nur die Helden der Lüfte ihren Platz finden.“

Aha. Fritz nahm das ausgehändigte Blatt entgegen und las:

'Regeln für die Luftwaffe:

1. Der deutsche Soldat kämpft ritterlich für den Sieg seines Volkes. Grausamkeiten und nutzlose Zerstörung sind seiner unwürdig.

2. Der Kämpfer muss uniformiert sein oder mit einem besonders eingeführten, weithin erkennbaren Abzeichen versehen sein. Kämpfen in Zivilkleidung ohne ein solches Abzeichen ist verboten.

3. Es darf kein Gegner getötet werden, der sich ergibt, auch nicht der Freischärler und der Spion. Diebe erhalten ihr gerechte Strafe durch die Gerichte.

4. Kriegsgefangene dürfen nicht misshandelt oder beleidigt werden. Waffen, Pläne und Aufzeichnungen sind abzunehmen. Von ihrer Habe darf sonst nichts abgenommen werden.

5. Dum-Dum-Geschosse sind verboten. Geschosse dürfen auch nicht in solche umgewandelt werden.

6. Das rote Kreuz ist unverletzlich. Verwundete Gegner sind menschlich zu behandeln. Sanitätspersonal und Feldgeistliche dürfen in ihrer ärztlichen bzw. seelsorgerischen Tätigkeit nicht behindert werden.

7. Die Zivilbevölkerung ist unverletzlich. Der Soldat darf nicht plündern oder mutwillig zerstören. Geschichtliche Denkmäler und Gebäude, die dem Gottesdienst, der Kunst, Wissenschaft oder Wohltätigkeit dienen, sind besonders zu achten. Natural- und Dienstleistungen von der Bevölkerung dürfen nur auf Befehl von Vorgesetzten gegen Entschädigung beansprucht werden.

8. Neutrales Gebiet darf weder durch Betreten oder Überfliegen noch durch Beschießen in die Kriegshandlungen einbezogen werden.

9. Gerät ein deutscher Soldat in Gefangenschaft, so muss er auf Befragen seinen Namen und Dienstgrad angeben. Unter keinen Umständen darf er über Zugehörigkeit zu seinem Truppenteil und über militärische, politische und wirtschaftliche Verhältnisse auf der deutschen Seite aussagen. Weder durch Versprechen noch durch Drohungen darf er sich dazu verleiten lassen.

10. Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Befehle in Dienstsachen sind strafbar. Verstöße des Feindes gegen die unter 1 – 8 aufgeführten Grundsätze sind zu melden. Vergeltungsmaßregeln sind nur auf Befehl der höheren Truppenführung zulässig.'

So richtig fliegerspezifisch schien das nicht zu sein. Da hat sich einer nicht viel Mühe gemacht und von irgendwo abgeschrieben. Doch, im Punkt acht steht das Wort 'Überfliegen'. Der Zettel war also kein Versehen. Ansonsten konnte er sich mit den Regeln gut identifizieren. Hoffentlich fällt Kandinsky unter die Denkmäler, die der Kunst dienen, fiel ihm ein. Die Chancen standen nicht gut.

Nur der letzte Satz von Punkt 10 machte ihn stutzig. Wer ist die höhere Truppenführung, die Vergeltungsmaßregeln anordnen kann? Und was könnten diese sein? Da fehlten wichtige Ausführungsbestimmungen. Und wie sehen solche Maßregeln aus, damit die anderen Punkte nicht verletzt werden. Da war eindeutig ein Hintertürchen. Oder war es nur juristische Schlamperei?

Formalausbildung war in den nächsten Tagen neben dem Unterricht das Thema schlechthin. Die absolute Gleichschaltung der Körper und der Geister schien den Militärs besonders wichtig zu sein. Dabei sind Flieger doch Individualisten. Oder täuschte sich Fritz in diesem Punkt? Gottlob hatten alle schon Gehen gelernt und das Grüßen nicht verlernt. Flugzeuge waren vom Exerzierplatz aus nicht zu sehen. Wie in Braunschweig, dachte Fritz. Nur dort waren wirklich keine Flugzeuge.

„Wir sind eine Schulstaffel. Das ist in etwa vergleichbar mit einer Kompanie, nur kleiner. Bei uns nennt man das sinnvollerweise anders: Die fliegenden Einheiten der Luftwaffe sind in Geschwader, Gruppen und Staffeln organisiert: Ein Geschwader besteht in der Regel aus einem kleinen Stab mit vier bis sechs Maschinen und zwei bis vier Gruppen mit 30 bis 40 Flugzeugen. Die Gruppe ist in der Regel in drei bis vier Staffeln von üblicherweise zwölf Flugzeugen unterteilt. Ungefähr 150 Mann arbeiten im Hintergrund dafür, dass die Staffel auch wirklich fliegen kann. Kleinere taktische Verbände sind die Kette mit drei, der Schwarm mit vier und die Rotte mit zwei Flugzeugen, vor allem bei den Jagdfliegern.“

Fritz merkte sich nur, dass er jetzt in einer Staffel war. Und er war sich nicht sicher, ob die Ausführungen Organisation und Flugfiguren vermischten.

„Der oberste Anführer der Luftwaffe ist unser Fliegerheld Hermann Göring.“ Der auch noch Reichsjägermeister ist. Fritz grinste möglichst unsichtbar. „Ihm ist das Reichsluftfahrtministerium unterstellt. Dazu gehört auch das OKL, das Oberkommando der Luftwaffe, das ist zur Zeit der Reichsminister der Luftwaffe. Darunter befinden sich die operativen Luftflotten und die geografisch organisierten Luftgaue. Wir sind der Gau römisch sieben. Dazu gehört die gesamte Flieger – Boden – Organisation, die leichten Jagdverbände, die Flugabwehr, der Flugmeldedienst, der Luftschutz und der Nachschub mit den Fliegerschulen und den Flieger – Ersatz – Abteilungen.“

Über den letzten Begriff musste Fritz nachdenken. Das klang auch wie Nachschub, aber Nachschub von Menschen. Kein gutes Gefühl, dass es so etwas gab. Das sind wohl die, die nachrücken, wenn vorne einer ausfällt. Gemeint kann doch aber nur ein Ausfall durch Krankheit, Unfall oder Versetzung sein. Wir machen ja keinen Krieg. Dafür eigene Abteilungen zu haben, merkwürdig.

„Ein Fliegerkorps wird zusammengestellt aus verschiedenen Einheiten für spezielle Aufgaben.“

Spezielle Aufgaben konnte sich Fritz jetzt gerade nicht vorstellen. Er würde da einmal jemanden fragen müssen.

Bergfürst legte nach, weil er eine gewisse Verwirrung spürte. „Unsere Organisation ist sehr flexibel und wird laufend an neue Anforderungen angepasst. Außerdem entscheidet das im Detail nicht nur einer.“

Aha, dachte Fritz, das Streben nach Macht und Einfluss ist allerorten und auf jeder Ebene sichtbar. So funktioniert Evolution. Aber die kann sich schlechte Ergebnisse leisten, weil sie unendlich viel Zeit hat. Niemand drängt sie. Sie hat keinen Anführer, der alles zu Lebzeiten erledigt haben will.

„Unser Geschwaderkommandeur ist General Ortwig, ihr Staffelführer ist Oberleutnant Hans – Joachim Bergfürst, also ich, ich bin gleichzeitig ihr Fluglehrer.“

Es folgte eine Einweisung in die Unterrichtsfächer. Die Themen hießen Formalausbildung, natürlich stand das auf der Liste an erster Stelle, dann Waldlauf, das auch noch, dann Leichtathletik, Turnen, Geländeübung, Schießen, politische Bildung, Menschenführung, Persönlichkeitsbildung... Fritz schien auf der falschen Veranstaltung zu sein, doch dann kamen wenigstens Dinge, die mit dem Fliegen im weitesten Sinne zu tun hatten: Luftrecht, Organisation, Logistik, Flugabwehr, Service und Notfallverhalten... Wo war das Fliegen? Es kam näher: Funkverkehr, Flugplatzordnung, Instrumente, Meteorologie, Aerodynamik, Flugzeugtypen, Kampfaufträge, Navigation und Blindflug sowie eine regelmäßige medizinische Überprüfung. Flugbetrieb stand da auch, irgendwo. Vielleicht war das ja das eigentliche Fliegen.

Es war wieder einmal so, dass Fritz so gut wie kein Flugzeug sah und vollgestopft wurde mit allem, was die hohen Herren wichtig fanden. Die Leidenschaft zum Fliegen war nirgends zu spüren. Bemerkenswert fand er, dass auch hier, in dieser höchst professionellen Umgebung die Aerodynamik nicht besser hinterfragt wurde. Also war sie tatsächlich ein schwieriges Thema.

„Findest du nicht, dass keiner die Aerodynamik richtig erklärt?“, sagte er leise zu seinem Nachbarn, der eifrig mitschrieb.

„Aber es fliegt doch“, sagte der nur, ohne den Blick zu heben.

„Aber man will doch wissen, warum?“

„Wieso?“

„Jeder will wissen, warum.“

„Ich nicht. Aber sprich mich in der Pause an. Dann können wir weiter reden.“

„Ich bin Toni. Toni Bauer. Und du?“

„Fritz Klein, freut mich.“

„Schon mal geflogen?“

„Ich bin sogar Segelfluglehrer.“ Fritz hoffte, dass das nicht arrogant wirkte. Das 'sogar' hätte er weglassen sollen.

„Ich hab's in einer HJ – Gruppe gelernt, das Segelfliegen. Das wird uns bestimmt helfen.“

„Denke ich auch.“

„Was war das mit der Aerodynamik? Was willst du wissen?“

„Wie sie funktioniert.“

„Hast du doch gehört. Bernoulli und so.“

„Ist nicht befriedigend.“

„Wieso denn das?“

„So einfach ist es nicht.“

„Aber sie bauen damit ganz ordentliche Flugzeuge.“

„Ja schon. Hoffentlich wissen die, wie es wirklich ist.“

„Es funktioniert doch. Was willst du mehr?“

„Wissen.“

„Wir betreiben hier doch keine Grundlagenforschung. Wir brauchen eine Berechnungsmethode, um Flugzeuge zu bauen. So lange die tut, ist es doch egal, ob sie grundsätzlich und in allen Aspekten richtig ist.“

„Das ist unbefriedigend.“

„Mag sein. Aber diese Frage stellt sich doch gar nicht.“

„So siehst du das? Kein Drang, hinter die Dinge zu schauen?“

„Mir reicht schon zu wissen, wie man den Vogel in der Luft hält und wie man heil wieder auf den Boden kommt. Ob die Aerodynamik von Bernoulli oder von Meier erklärt wurde, ist mir völlig wurscht. Nimm einmal die Schwerkraft. Sie funktioniert und du hast auch keine Ahnung warum.“

„Da stimmt allerdings. Gut, dass die Schwerkraft keine Ausnahmen macht. Obwohl, dein Beispiel hinkt, weil...“

„Einhalb Getequadrat tut immer. Was für ein Glück. Aber komm jetzt, sie wollen uns tatsächlich ein Flugzeug zeigen. Zeit wird’s.“

Taten sie nicht. Sie mussten etwas anderes lernen, nämlich singen. Es war ein großartiges Lied, extra gedichtet für die neue Elite der Lüfte:

'Wir jagen durch die Lüfte wie Wotan's wildes Heer,

Wir schau'n in Wolkenklüfte und brausen übers Meer.

Hoch tragen uns die Schwingen wohl über Berg und Tal,

Wenn die Propeller singen im ersten Morgenstrahl.

Flieger sind Sieger, sind allezeit bereit,

Flieger sind Sieger für Deutschland's Herrlichkeit.

Uns kümmert kein Gewitter, uns schert nicht Tag und Nacht,

Wir sind des Reiches Ritter und halten treue Wacht.

Es singen die Propeller ein stolzes, starkes Lied,

Sie singen hell und heller vom Sieg, der mit uns zieht.

Flieger sind Sieger...'

Donnerwetter. Was für ein Werk. Voll in der Tradition der Dichter und Denker. Fritz Stimmbänder sträubten sich, solche Worte in Hörbares umzusetzen. Da war die Panzerplatte ja noch künstlerisch wertvoller. Er bewegte immer nur die Lippen, um in der stramm marschierenden Truppe nicht aufzufallen. Er entwickelte eine ganz überzeugende Technik darin. Nur Toni, der neben ihm marschierte, schaute manchmal verstohlen und zweifelnd zu ihm. Er traute sich aber nicht deutlicher zu werden. Das wäre in der Formation aufgefallen.

Einmal, im Fach politische Bildung wurde die aktuelle Lage dargestellt. Das fand Fritz ziemlich interessant. Bestätigte es ihm doch den Willen des Führers, friedlich mit allen zusammenzuleben. Kriegerisch und misstrauisch erschienen ihm die Westmächte und die Russen. Aber die hatten vielleicht noch mit ihren schlechten Erfahrungen aus der Vergangenheit zu kämpfen. Obwohl wir ja auch damals den Krieg nicht wirklich begonnen hatten. Nun ja, begonnen irgendwie schon, aber wir konnten ja gar nicht anders.

Der Lehrer, ein älterer Hauptmann in Heeresuniform erklärte ihnen die Situation. Die Westmächte würden Polen aus zwei Gründen unterstützen. Zum einen bildet es ein Bollwerk gegen den schrecklichen russischen Bolschewismus, in diesem Punkt wären wir uns einig, und zum anderen wäre Polen ein cordon sanitaire wie die Ausländer sagen, eine Pufferzone gegen die deutsche Expansion nach Osten und verhinderte einen Zusammenschluss Deutschlands mit Russland. Das erschien Fritz nicht ganz stimmig, aber es war in diesem Raum nicht angebracht, kritische Fragen zu stellen. Im Krieg 1919 bis 1921 gegen Russland hatte sich Polen bis in die Ukraine erweitert. Kiew war unter polnische Kontrolle gekommen. 1934 hatte unsere Regierung einen Nichtangriffspakt mit Polen abgeschlossen, in dem die augenblickliche polnische Westgrenze anerkannt wurde. Am 24. Oktober letzten Jahres gab es von uns Verhandlungen mit Polen wegen einer Reihe strittiger Fragen, die sich aus dem Versailler Vertrag ergeben hatten, hier insbesondere wegen der Freien Stadt Danzig. Es ging um eine neutrale Autobahn vom deutschen Reichsgebiet, um den Status der Stadt und um die polnische Militärpräsenz auf der Westerplatte. Dabei hatten die Polen deutlich gemacht, dass sie die Absicht haben, eine dritte große Macht im mittleren Europa zu werden. Polen hatte jedem, der einseitige territoriale Veränderungen im Sinne hatte, mit Krieg gedroht. Sie haben auch gleichzeitig eine Teilmobilmachung angeordnet. Trotz des friedlichen Verhältnisses zu den Staaten, wie es unser Führer will, muss das doch als eine feindliche Maßnahme betrachtet werden, die sich nur gegen Russland oder Deutschland als den einzigen großen Nachbarn richten konnte. Brisant wäre das, weil es eine britisch – französische Garantieerklärung für Polen gab. Gerade jetzt haben die Westmächte und Russland verhandelt wegen des Schutzes für Polen. Die Polen hätten jedoch abgelehnt, weil sie eine Finte befürchteten. Der vorgeschlagene Pakt enthielt das Recht Russlands, auf polnisches Gebiet einzumarschieren. Unser Führer hat mit der Sowjetunion einen Wirtschaftsvertrag abgeschlossen, um die Rohstoffsicherung auch bei einer Seeblockade durch die Westmächte zu sichern. Eine Erfahrung aus dem Weltkrieg. Und unser weitsichtiger Führer wird demnächst mit den Polen sprechen, um alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen.

Das klingt doch alles ganz gut, fand Fritz, obwohl es ein wenig verwirrend war. Aber so ist Politik wahrscheinlich. Wir jedenfalls würden den Frieden nicht gefährden. Also könnten wir doch jetzt einmal in Ruhe mit dem Fliegen anfangen.

Es begann tatsächlich. Mit formlosem Sitzen auf der Wiese. Aber diesmal im hellgrauen Overall der richtigen Fliegersoldaten. Das Ding nannten die Knochensack. Fritz hoffte, dass der Begriff nur das plumpe Design karikierte.

„Wer ist schon geflogen? Sie natürlich, Unteroffizier Klein. Leute, hier haben wir einen Fluglehrer, einen Segelfluglehrer. Und abgestürzt ist er auch schon.“

Alle schauten voller Bewunderung zu Fritz. Dem war es ein wenig peinlich, weil sich keiner zur Frage meldete. Außer Toni. Da er aber nur halbherzig den Finger hob, wurde er übersehen.

„Segelfluglehrer ist jetzt nichts so besonderes“, schwächte Fritz ab. „Ich habe am Hornberg den SG38 kennen gelernt und einen davon habe ich auch kaputt gemacht, zugegeben. Aber sonst? Ein bisschen Grunau Baby und Minimoa.“

Bei Minimoa raunten einige ehrfürchtig. Sie kannten das wunderschöne Flugzeug, von Bildern.

„Gut jetzt“, sagte ihr Staffelkapitän. „Wir hier haben gerade vier Stück des Stieglitz bekommen, nagelneu. Und die werden nicht kaputt gemacht, verstanden. Die offizielle Bezeichnung ist FW 44. FW steht für Focke Wulf, einer unserer großen Konstrukteure. Kommt einmal näher.“

Ein Befehl, der nicht aus dem Vorrat der Formalausbildung stammte. War Oberleutnant Bergfürst doch in erster Linie ein Fluglehrer? Das wäre angenehm.

„Hinter dem hinteren Türchen sitzt der Pilot, also sie. Ich bin eine arme Sau und muss vorne sitzen. Um meine Nerven zu schonen, solltet ihr möglichst bald alleine fliegen lernen. Sonst lande ich noch in der Klapse. Aber wenn ich drin bin und rufe 'Pfoten weg', dann lasst ihr alles aus, den Daumen könnt ihr dann im Mund lassen zur Beruhigung. Ich habe bei diesen Flugzeugen alle Hebel und Instrumente auch vorne. Wenn ihr vor lauter Schiss den Knüppel krampfhaft fest halten solltet, dann sind wir beide tot. Ist das klar? Und dann lass' ich euch in der Hölle nicht mehr in Ruhe. Also drillen wir das 'Pfoten weg'. Wir üben das schon mal im Trockenen. Nehmt die rechte Hand nach vorne, also ob ihr einen Steuerknüppel in der Hand habt. Los, wird’s bald. Und wenn ich das Wort sage, dann packt ihr beide Hände blitzartig in den Schoß. Dort könnt ihr machen, was ihr wollt.“

Er trainierte das wirklich jeden Tag mit ihnen und nach einiger Zeit setzte es sich tatsächlich im Unterbewussten fest. Es funktionierte sogar, als er einmal folgendes sagte. „Also, ich war mal da oben, weit über den Wolken und träumte von einer Braut, ich ging in Rückenlage und stellte mir vor, sie wäre jetzt auf mir. Dann machten wir einen Looping und ich sage euch das Rütteln der Maschine und die G-Kräfte, das war Pfoten weg ein Erlebnis. So, jetzt bin ich zufrieden.“

„Der 'Pfoten weg' – Befehl steht in keiner Dienstvorschrift“, flüsterte Jochen Tauber.

„Was ist da los? Ich höre murmeln. Sie da.“

„Der Kollege Tauber hat gemeint, er wisse nicht, wo der Befehl in der Dienstvorschrift zu finden sei“, sagte Harald Lensch.

„Wer hat das gemeint?“

„Der Kollege Tauber.“

„Kenn' ich nicht.“

„Na der da.“

„Das ist kein Kollege. Das ist ein Kamerad. Oder täusche ich mich da?“

„Nein, Herr Oberleutnant. Das war mein Fehler.“

„Schluss jetzt. Kein Laut mehr oder ich jage euch um den ganzen Platz. Sind viele Kilometer, schaut euch um. Weiter.“

Gerade als Bergfürst Luft holte, sagte Fritz beim Blick in die Pilotenkanzel: „Der hat ja gar keinen künstlichen Horizont und keinen Wendezeiger.“

„Das nennen sie keinen Laut mehr? Also, was ist? Hoffentlich ist es wichtig.“

Fritz deutete, jetzt lautlos, auf das Schild mit der Aufschrift:

'Für Kunstflug. Rückenflug darf nur mit vollem Nebenbehälter begonnen werden; Kraftstoff reicht für 30 min. Brandhebel stets in Stellung Hauptbehälter.'

Es war vor dem Loch, wo eigentlich das Instrument sein sollte.

„Den Wendezeiger kriegt ihr noch.“

„Was ist der Brandhebel?“

„Hier ist er. Man sperrt damit die Spritzufuhr zum Motor von den beiden Tanks oder einzeln.“

„Aber wieso beim Rückenflug den Hauptbehälter absperren?“

„Der liefert keinen Sprit in Rückenlage. Wäre unangenehm.“

„Ach so.“

Fritz lernte die technischen Daten des Stieglitz. Der Motor war ein 7 – Zylinder – Sternmotor von Siemens mit 7,7 Liter Hubraum und 160 PS bei 2000 Umdrehungen pro Minute. Die Gipfelhöhe war 3900 Meter. Schon deutlich darunter würde man das Absinken der Leistung wegen Sauerstoffmangels spüren. Er lernte, wie man in Abhängigkeit von der Höhe und beim Start das Gemisch regulierte. Das war so etwas Ähnliches wie der Choke beim Auto für den Kaltstart, nur viel komplizierter.

Der FW 44 erreichte 172 Stundenkilometer und durfte nicht schneller als 185 geflogen werden, wegen der Struktur. Die berechnete Grenze war allerdings bei 350 km/h und bei 10,8 g, wurde gesagt. 10,8 g, also mehr als das Zehnfache seines eigenen Gewichts, würde er doch selbst gar nicht aushalten, fand er. Der Verbrauch war 30 Liter Sprit pro Stunde beziehungsweise 20 Liter für 100 Kilometer und man konnte damit 675 Kilometer fliegen und etwa 4,4 Stunden in der Luft bleiben.

Der Doppeldecker hatte 9 Meter Spannweite, 7,3 Meter Länge und war 2 Meter 70 hoch. Die beiden Flügel waren gleich, der untere etwas nach hinten versetzt. Die Unterseite der Flügel war mit Sperrholz beplankt, die Oberseite mit einem lackierten Leinen. Und beide Flügel hatten Querruder, die natürlich mechanisch gekoppelt waren. Die Flügel waren leicht nach hinten gepfeilt und hatten, von vorne gesehen, ein schwache V - Form. Fritz wusste von früher, dass das beides gut für die Stabilität im Geradeausflug war und den Kurvenflug unterstützte. Der Stieglitz brauchte 140 Meter Piste zum Starten und Landen. Der Strömungsabriss war bei 72 km/h, also war etwas über 100 eine gute Startgeschwindigkeit.

Es war ein schönes Flugzeug, harmonisch die Formen und vertrauenerweckend. Das Letztere war auch nötig, denn jetzt schien der erste Flug unmittelbar bevorzustehen. Fritz war nervös, aber mehr deswegen, weil er die weitere Zäsur in seinem Leben sah. Dies war der Beginn des echten Fliegerdaseins. Lästig war beim Einsteigen der Fallschirm unter dem Hintern. Er machte den Sitz aber ein wenig bequemer, wie ein Kissen und man saß höher, was die Aussicht verbesserte. Die Bedienung des Schirms wurde nur kurz erklärt. „Richtige Seeleute können nicht schwimmen. Das macht sie vorsichtig. So ist es hier auch. Aussteigen gibt’s nicht“, waren Bergfürst's Worte. „Und wenn doch, dann passt vor allem auf die Leitwerke auf. Am sichersten ist es im Rückenflug. Kräftig nach seitlich hinten abstoßen, aber eigentlich sollt ihr das gar nicht wissen.“

Ein Wart drehte die Luftschraube ein paar Mal um. Das war wohl für das Ansaugen des Kraftstoffs gedacht. Dann rief er: 'Zündung'. Fritz tat wie geheißen und stellte auf beide Zündkreise. Mit einem Spotz und einer ordentlichen Rauchwolke unter dem Rumpf wurde der Motor selbstständig. Er klang wie eine alte Nähmaschine, bei der schon einige Schrauben ausgeleiert waren. Schön anzusehen war die rhythmische Auf- und Abbewegung der chromglänzenden Kipphebel und das Zusammendrücken der schwarzen Ventilfedern der beiden oberen Zylinder, die man vom Pilotensitz aus sehen konnte. Er genoss das Rütteln und den Geruch von Leder, Öl und den aromatischen Abgasen, die ins Cockpit geweht wurden. Und er war ein Teil davon, er war sogar der Bändiger der Kräfte, der Dompteur, der Herr der Maschine. Im Kopfhörer hörte er die Stimme seines Fluglehrers. „Worauf warten sie? Wir rollen zum Start. Steuern mit den Pedalen. Das ist nicht wie im Segelflugzeug. Der Motor macht den Wind für das Seitenruder.“ Fritz wusste das schon.

Den Gashebel ein wenig nach vorne, das Rattern und Klappern wurde martialischer und hoppelnd setzte sich der Stieglitz in Bewegung. Ich habe das dem Flugzeug befohlen, frohlockte Fritz und es macht genau das, was ich will. Der leicht ausgebeulte, träge Windsack sagte ihm, an welchem Ende der Piste er starten musste. Der Weg dahin war lang, einer Art Feldweg. Es war eine gemütliche Fahrt entlang der hübschen Wiese, die Flügel wackelten ein wenig und Fritz hoffte, dass die Stabilitätsberechnungen korrekt waren. Beruhigend, dass er kein Testpilot war, der ein Flugzeugmuster zum ersten Mal in die Luft bringen sollte.

Am Ende drehte er auf der Stelle. Das konnte ein Auto nicht.

„So, lieber Herr Klein. Es kann losgehen. Was haben sie vergessen?“

„Ich weiß nicht.“

„Meine Güte. Was habe ich ihnen gesagt?“

„Vorflugkontrolle habe ich doch gemacht. Genau nach Checkliste. Ich habe nichts vergessen.“

„Wo steht ihr Knüppel?“

„In der Mitte.“

„Eben.“

„Ach so. Entschuldigung.“

„Sie sollen sich nicht entschuldigen, sondern es richtig machen. Verdammt noch mal. Wenn sie jetzt Vollgas gegeben hätten, würden wir hier einen Kopfstand machen, sie Simpel.“

Fritz zog den Knüppel heran. Bergfürst hatte natürlich recht. Das Höhenruder muss voll angezogen werden, sonst erzeugt der Luftstrom des Propellers einen Auftrieb am Heck, der die Nase nach vorne unten in den Dreck drückt. Schon klar.

Jetzt stieg er voll auf beide Pedale. Man nannte den Vorgang Anbremsen. Dabei werden die Räder blockiert und der Motor auf volle Last gebracht. Beim Starten immer Vollgas, war ihm eingebläut worden. Auch wenn die Piste komfortabel lang war, der Start muss immer und ausnahmslos so schnell wie möglich erfolgen. Der Feind des Flugzeugs ist nicht die Geschwindigkeit in der Luft, sondern die Relativgeschwindigkeit zum Boden. Deswegen heißt es immer, so schnell wie möglich Höhe zu gewinnen. Nur wenn man hoch genug ist, kann man Fehler noch ausbügeln. Start und Landung sind die beiden wirklich gefährlichen Situationen beim Fliegen. Das leuchtete Fritz ein. Seine Ausführungen zu den Inertialsystemen fiel ihm ein, aber das hatte in diesem Augenblick keinen Platz.

Der Motor brummte jetzt sonor und machte ordentlich Wind. Das war Musik in Fritz' Ohren. Er horchte genau hin und entdeckte einen ganz leichten Misston, der ihm drehzahlabhängig schien. Der Anzeiger zeigte 1900 Umdrehungen und genau in dieser Frequenz gab es ein zusätzliches Pfeifen, wie ein dreigestrichenes A, das hier nicht hin gehörte. Er würde später fragen.

„Los jetzt.“

Er nahm die Füße vom Pedal zurück und der Stieglitz setzte sich in Bewegung. Es war kein Start, der ihn in den Sitz drückte. Aber es schien so, als ob er mit zunehmender Geschwindigkeit auch an Beschleunigung gewann.

„Passen sie auf ihr Seitenruder auf, sonst brechen wir aus, wir haben ein bisschen Wind von der Seite, sie erinnern sich?“

Es gelang leicht, die Nase in Richtung der Startpiste zu halten. 50, 60, 70, dann 80 Stundenkilometer. Fritz fühlte, wie das Flugzeug leichter wurde und die Räder weniger Last zu tragen hatten. Das seitliche Versetzen und Rütteln wurde stärker.

„Lassen sie bloß das Höhenruder oben. Bis 100 rollen.“

Bei 100 km/h schien es, als ob das Flugzeug keine Lust mehr hatte, am Boden zu bleiben. Nur der Schwanz wurde entschieden nach unten gedrückt. Der Sporn mutierte jetzt wohl zum Pflug.

„Okay, Pilot. Stopp jetzt. Aber richtig, wenn ich bitten darf.“

Fritz nahm das Gas gefühlvoll zurück, bis kein Schub mehr zu spüren war. Erst dann betätigte er vorsichtig die Bremse. Er konnte mitfühlen, welche Kraft nötig war, um die kinetische Energie zu verbrauchen. Das Seitenruder wirkte nur noch wenig. Aha, der Motor war ja fast aus. Bei 20 km/h gab er wieder etwas mehr Gas und drehte den Stieglitz vom Rollfeld weg und fuhr ihn zum Ausgangspunkt vor dem Hangar zurück. Dann stellte er die Zündung ab und schloss den Brandhebel für beide Tanks.

„Der Rest war ganz gut. Der Nächste bitte“, sagte Bergfürst.

„Halt, Kameraden“, rief Fritz, schon beim Hinausklettern.

„Was ist los?“ Bergfürst erwartete keine Störungen.

„Der Motor hat ein Geräusch.“

„Klar hat der Motor ein Geräusch.“ Alle lachten.

„Ich meine, eines, das nicht dazugehört.“

„Woher wollen sie wissen, was dazu gehört?“

„Bei 1900 Umdrehungen war es ein dreigestrichenes A, also hat es was mit der Drehung der Kurbelwelle zu tun und nicht mit einem einzelnen Zylinder. Sonst wäre es um den siebten Teil tiefer.“

„Sind sie von Sinnen? Wir haben hier doch kein Orchester zu stimmen.“ Bergfürst schüttelte den Kopf. Dann rief er laut: „Heinz, komm mal rüber.“ Er wendete den Kopf zur Gruppe und sagte: „Heinz ist ein Meister, was Geräusche betrifft.“

Heinz stieg ein und rief herunter. „Zündung ist ein. Dreh los.“

„Die Nähmaschine quietschte und rappelte, nachdem Bergfürst den Propeller mit Schwung herumgeschmissen hatte. Heinz scheuchte alle mit einer Handbewegung weg und gab ordentlich Gas. Dann schaltete er den Motor wieder aus, der Propeller ruckelte noch ein wenig unmutig herum und stand dann. Ein kleines Rauchwölkchen verwehte noch lustig im sanften Wind. Heinz sprang herunter und rief: „Wer war das?“

Alle deuteten auf Fritz. Die Situation war ihm sehr unangenehm.

„Sie haben gute Ohren, Herr Unteroffizier. Gratuliere. Da ist etwas mit der Nockenwelle. Nehmt einen anderen, ich schau mir den mal an.“ Damit ging er kopfschüttelnd von dannen.

„Ist doch gut, wenn man einen Musiker in der Staffel hat“, sagte Toni Bauer.

„Das ist doch kindisch“, meinte Harald. „Jeder Motor hat doch irgendein Geräusch. Der Fritz hier wäre doch glatt vom Feind abgedreht und gelandet, bloß weil sein Flieger ein dreigestrichenes A gesungen hat.“

„Außerdem“, meinte Tauber. „Der verantwortliche Wart hat die Freigabe unterschrieben. Also ist das Gerät in Ordnung.“ Jochen Tauber war im anderen Leben Jurist gewesen.

„Wenn dir der Motor um die Ohren fliegt, was machste dann mit'm Zettel?“ Karl - Heinz Dettrich, der das sagte, war ein Realist und ursprünglich Ingenieur für Elektronik, wie das jetzt hieß.

Die nächste Rollübung war knifflig. Das Heck sollte abheben und das Flugzeug nur auf den beiden Bugrädern rollen. Fehler wurden da nicht verziehen, weil die Höhe Null war. Es gelang Fritz nicht so besonders. Immer wieder saß der Sporn auf, weil er zu vorsichtig war und zu hektisch das Höhenruder zurückzog. Er merkte, dass Bergfürst vor ihm den Knüppel gehörig festhielt, wenn er seiner Meinung nach zu weit nach vorne geschoben wurde. Für beide keine angenehme Übung.

„Ihr werdet heute fliegen. Aber nicht so, wie ihr euch das vorstellt. Wenn ihr einmal hoch oben seid, ist es leicht. Unser Platz ist groß und die Piste lang. Zur Erinnerung: Ihr benötigt 140 Meter zum Starten und auch zum Landen. Das sind 280 Meter, falls ihr nicht selbst draufkommt. Die restlichen 2720 Meter sind zu eurer Verfügung. Ihr sollt also wie letztens anrollen und den Vogel auf die Vorderräder stellen. Dann entlastet ihr die Räder so mit dem Höhenruder, dass sie frei sind. Man nennt das übrigens fliegen. Anschließend lasst ihr ihn wieder runter. Aber sanft, wenn ich bitten darf. Das nennt man Landen. Ihr macht das nur mit dem Höhenruder, das Gas bleibt, wo es ist. Wenn ihr glaubt, das Ende der Piste wäre zu nahe, dann sagt ihr das und ich übernehme. Klar?“

„Pfoten weg.“ Fritz ließ sofort alles aus. Er war ein bisschen sehr hoch gekommen und fragte sich gerade, ob er Bergfürst nicht vorsichtshalber bitten sollte, gleich richtig zu fliegen. Aber der wusste es ohnehin schon. Der Motor erstarb, das Flugzeug blieb in der gleichen Lage, aber es sank ganz sanft auf den Boden.

„So haben sie uns das aber nicht gesagt, Herr Oberleutnant.“ Fritz war verwundert.

„Das war die Fluglehrermethode.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Mensch Meier. Natürlich solltet ihr das noch nicht so machen. Meine Methode ist natürlich die Richtige. Aber ihr schafft es, die Strömung abreißen zu lassen und dann ist das ganze Fahrwerk im Arsch. Dazu habe ich keine Lust, verstanden?“

Einfach und schön war der richtige Start mit dem Stieglitz. Er folgte willig dem kleinen Ausschlag am Höhenruder und zog sich mit leicht erhobener Schnauze in den Himmel. Der Wind zerrte am Gesicht, der aromatische Ölgeruch verschwand und wich einer Ahnung von gemähtem Gras und Fichte, vielleicht war auch ein wenig Jauche dabei. Ein Hochgefühl. Fritz wollte immer nur weiter steigen, durch die kleinen Schäfchenwolken hindurch, bis er nur noch den dunkelblauen und dann den schwarzen Sternenhimmel sehen würde. Aber nach hundert Metern war Schluss. Die 180 Grad - Kurve, die Piste zog rechts unter ihnen nach hinten, darauf festgenagelt die anderen wartenden Maschinen, die winkenden Menschen, ganz klein und bedeutungslos in ihren Knochensäcken, noch etwas weiter eine Herde gelangweilter Kühe, wieder die 180 Grad - Kurve und dann das elende Hinzittern zum Landepunkt. Fritz wollte nie auf die Erde zurück und als ob der Stieglitz das auch so sah, er machte es ihm immer wieder schwer.

„Für dich gebe ich eine Extraportion Sprit aus“, sagte Bergfürst. „Du machst das so lange, bis du es mit geschlossenen Augen kannst.“

Und sie machten es oft. Platzrunde, Landen. Platzrunde, kurz aufsetzen, aus der Bewegung heraus wieder starten, Platzrunde landen. Das 'touch and go', Bergfürst nannte es ganz undeutsch so, gefiel Fritz besser, weil man sich schon während der beschissenen Landung wieder auf den Start freuen konnte. Es wäre aber fatal, während der Landung schon an der Start zu denken, rügte ihn Bergfürst, als Fritz einmal gar keinen Bodenkontakt hatte und gleich wieder Vollgas gab.

Dann kam der Tag der ersten Alleinflugplatzrunde.

„Für meine Nerven fliegt ihr heute alleine, werte Kameraden. Ich denke, ich werde euch nicht zuschauen. Das schont meine ohnehin wegen der letzten Tage angeschlagene Gesundheit.“

So besonders fand Fritz das gar nicht. Schließlich konnte man mit dem SG38 auch niemand mitnehmen. Da war es Alleinflug vom ersten Augenblick an gewesen. Aber dann, das Gefühl mit dem Stieglitz unumschränkter Herr über ein Flugzeug zu sein, das ohne fremde Hilfe und ohne die Zuarbeit von Gummihunden oder Windenbedienern in die Luft ging und dort so lange oben blieb, wie man wollte, war überwältigend. Das war sie, die große und wirkliche Freiheit. Er nützte sie nicht aus, sondern flog brav die befohlene Platzrunde. Noch einmal wollte er seine Karriere und seine Gesundheit nicht riskieren. Aber ein bisschen langweilig war es schon.

„Aufgepasst, Leute. Bevor wir den Verbandsflug ausführen, der jetzt eigentlich auf dem Programm steht, machen wir ein paar Dinge, die aus der Kunstflugstunde stammen. Damit ihr sicher werdet und euch nicht gegenseitig herunterholt. Beim Verbandsflug ist es aus mit der Freiheit, verstanden. Es gibt immer einen Führer und der fliegt gefälligst immer genau geradeaus, damit die anderen nicht verwirrt werden. Der Katschmarek, so heißt bei uns ein Begleiter, richtet sich exakt nach dem Führer und hält immer gleichen Abstand und Höhe. Deswegen müsst ihr den Vogel perfekt beherrschen. Ich kann euch sagen, auch wenn der eine Führer heißt, der Katschmarek hat die schwerere Aufgabe und ist der eigentliche Verantwortliche.

Wir haben eine Reihe von Formationen, die natürlich in den Dienstvorschriften genau festgelegt sind. Die ganze Kampfführung ist darin festgelegt. Haltet euch an die Vorschriften und ihr werdet immer siegen. Weil unsere Vorschriften die besten sind. Erprobt sind sie allerdings bisher noch nicht. Obwohl, vielleicht in Spanien? Aber so genau weiß ich das nicht.“

Fritz erinnerte sich dunkel, unter vorgehaltener Hand schon einmal etwas von der Legion Condor gehört zu haben. Und die hatte etwas mit Spanien zu tun. In Spanien herrschte wohl auch ein Führer. Franco hieß der.

„Die Rotte sind zwei Flieger, kommt vor allem bei Jagdfliegern zum Einsatz, um gegenseitig auf sich aufzupassen. Dann die Kette mit drei Fliegern, als Keil oder Reihe, der Schwarm mit vier Fliegern und dann noch Staffelkolonne, Staffelkeil, Staffelwinkel, Gruppenkolonne und so weiter. Braucht ihr jetzt nicht zu wissen. Die hübschen Ballettfigürchen mit den vielen Flugzeugen sind für unsere großartigen Paraden gedacht. Diejenigen, die da irgendwo in der Mitte fliegen, sind arme Schweine. Und es funktioniert nur völlig hierarchisch, indem jeder ein Katschmarek für den einen und ein Führer für einen oder zwei andere ist. Verstanden? Nein? Macht nichts. Das üben wir hier nicht. Die einzige Verwendung außerhalb des Balletts ist die für Bomberverbände. Ist aber wohl nicht relevant, zumindest derzeit, denke ich.

Schwierig und kritisch ist das Auflösen des Verbands. Solange der Führer geradeaus fliegt, dürft ihr nicht abplatzen lassen. Mit einem vereinbarten Zeichen gibt der Führer das Signal zum Auflösen. Er fliegt aber normal weiter. Das ist lebenswichtig. Der Äußerste fängt an abzudrehen, dann der Nächste und so weiter. Erst als Letzter nimmt der Führer den neuen Kurs ein. Das ist etwas, was wir allerdings üben werden. Und damit ihr das wirklich beherrscht, bringe ich euch jetzt schon eine Kunstflugfigur bei, die Rolle.

Das ist eine Drehung um die Längsachse. Ihr meint wahrscheinlich, dass man dazu nur die Querruder betätigen muss. Das ist falsch. Das Problem ist das negative Wendemoment.“

Bergfürst erklärte es und Fritz war wieder der Meinung, man könnte das wissenschaftlicher erzählen.

„Ich könnte euch noch ein paar Eigenheiten des Stieglitz erklären, aber das lassen wir einen echten und berühmten Fachmann machen. Er hat folgenden Brief an Focke Wulf geschrieben. Blah blah, hier:

'...habe Ihre Maschine gestern in Rechlin geflogen und mich wirklich gefreut eine so anständige Kiste vorzufinden. Ich beglückwünsche sie dazu, möchte Ihnen aber doch gleichzeitig folgendes mitteilen:

1. Das Querruder ist in seiner Wirkung nicht ausreichend. Beweis: Wenn sie eine Rolle fliegen etwas nach oben, d.h. etwas langsamer, so ist für die Dauer dieser Flugfigur der volle Querruderausschlag notwendig. Fliegen sie eine Rolle, so fliegen sie trotz des vollen Ausschlags verhältnismäßig lange auf dem Rücken, weil die Querruder nicht ganz so wirken. Außerdem erscheint mir die Entlastung ziemlich reichlich. Lassen sie ruhig etwas mehr Druck darauf, unsere jungen Leute haben genug Mark in den Knochen und geben sie diesem Ruder größere Wirkung.

2. Haben sie schon einmal einen anständigen Sideslip mit Ihrer Maschine geflogen, ohne nach innen zu gieren? Nein. Also das Seitenruder muss sich irgendwie stärker auswirken, damit der Sideslip, den ich für Notlandungen und Landungen in schlechtem Gelände unbedingt für nötig halte, richtig ausgeführt werden kann. Beim kurzen Landen fiel mir auf, dass das Höhenruder jedes Mal voll nach oben ausgeschlagen war, so dass ich daher verhältnismäßig wenig Reserven in diesem Ruder zur Verfügung hatte. Also auch daran könnte noch etwas verbessert werden. Ihre Konstrukteure sollten nicht immer an die normalen Fluggeschwindigkeiten denken, sondern ihr solltet auch den überzogenen Flugzustand nicht außer Acht lassen. Aber dies alles soll keine Kritik sein, sondern ist lediglich ein kleiner Vorschlag von mir, der dazu helfen soll, Ihrer Maschine das Prädikat 1 mit Stern zu verleihen. Hals und Beinbruch, Ihr Ernst Udet'. Alles klar? Damit müsst ihr zurechtkommen.“ (Anmerkung des Autors: Der Brief ist keine Erfindung.)

Also, das alles klingt angeblich einfach, dachte Fritz. Von wegen 'einfach'. Jedes Wort wirft eine Reihe von Fragen auf, die er gerne genauer ergründet hätte. Aber wie sagte Toni: 'Ich muss nur wissen, was ich machen muss. Warum es so geht, ist mir völlig egal.' Vielleicht hatte der ja recht.

Der dumpfe Knall, der die Barackenfenster ein wenig erzittern ließ, war ein würdiger Abschluss der Vorlesung von Udet's Schreiben.

„So, Leute. Wir fangen jetzt an. Leider muss ich bei eurer ersten Rolle mit an Bord sein. Mir wird jetzt schon schlecht.“

Eine Sirene heulte und ließ Bergfürst kurz innehalten. Dann setzte er seine Ansprache fort.

„Ich hoffe, ihr habt nicht gerade eine Schlachtplatte zu euch genommen. Manchen wird es nämlich übel dabei. Und das sind nicht die Schlechtesten. Was ist? Aufpassen Kameraden, hier bei mir spielt die Musik.“

Toni deutete wortlos aus dem Fenster. Jetzt sah auch Fritz eine Rauchwolke. Sie musste kurz hinter der Startbahn sein. Die verbrannten wohl jetzt schon das Laub. Nein, das war zu früh. Außerdem, die Sirene. Das, was da abbrannte, wollen sie wohl lieber löschen.

Die Tür schlug auf und ein leichenblasser Heinz stützte sich im Rahmen ab. „D – ELMO. Es ist die verdammte D - ELMO.“ Dann verstummte er.

D - ELMO, dachte Fritz. Das war doch seine erste Maschine beim Rollen am Boden. Die mit dem Geräusch. Er sah sich um und bemerkte, dass er im Raum alleine war. Aus dem Fenster sah er, wie die ganze Gruppe vom Ort des Rauches angesaugt wurde. Als ob sie dort etwas Sinnvolles machen könnten. Aber sitzen bleiben konnte er auch nicht und ging ihnen langsam nach. Feuerwehrwagen und ein Sanitätsauto überholten ihn mit rasender Geschwindigkeit. Der ganze Fliegerhorst schien im Ausnahmezustand zu sein.

Als er in die Nähe kam, überfiel ihn dieses tiefe Grauen aus dem Untergrund seiner Seele, das er schon damals bei dem Handgranatenunfall gehabt hatte und das ihn lange nicht mehr verlassen würde. Das war unangenehm, sehr unangenehm. Es störte das Wohlbefinden erheblich. Vor allem, weil er schon wusste, dass es alle Tätigkeiten der nächsten Tage oder sogar Wochen beeinträchtigen würde. Und man war dem völlig hilflos ausgeliefert.

Das Seitenleitwerk mit dem Hakenkreuz zeigte in den Himmel, als ob es auf einem klobigen Fahnenmast steckte. So ähnlich hatte sein SG38 nach dem Absturz auch ausgesehen. Alles davor war eine dunkle, rauchende Masse, aus der nur einige Splitter herausragten, die wie Fackeln brannten. Einige Meter davor lag unbeteiligt die Luftschraube auf der Wiese, an der noch einer der Zylinder hing. Die Feuerwehr konzentrierte sich jetzt auf das brennende und qualmende Zentrum. Der Geruch war, je näher Fritz kam, ekelerregend. War es erst noch so ein recht angenehmer Duft von brennendem Kraftstoff, wich er jetzt einem Gemisch, das ihn eindeutig an eine Metzgerei erinnerte, in deren Hinterhof Tierreste verbrannt worden waren.

Um Gottes willen. Dieser Geruch.

Bergfürst rief sie zusammen. „Wir gehen wieder in den Unterricht. Wir können hier nichts mehr tun. Die Spezialisten werden herausfinden, was geschehen ist. Bitte folgen sie mir.“

Jetzt kommt jemand aus der Flieger – Ersatz – Abteilung in die Staffel, dachte Fritz. Dafür ist sie ja vorgesehen. Gute Organisation. Aber halt, das bringt ja nichts. Das Flugzeug ist ja auch kaputt. Geflogen wurde an diesem Tag nicht mehr.