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Ein Phänomen greift um sich, schleichend und unmerklich: Immer mehr Dinge »darf« man heutzutage selbst erledigen, die früher noch Angestellte für einen gemacht haben. Ob man per App am Flughafen eincheckt, eine Banküberweisung durchführt, am Automaten eine Fahrkarte zieht oder den Terminkalender für die Arbeit organisiert, dank der Technik geht der Trend zum »Do it yourself!«. Diese Entwicklung wird uns als Vorteil verkauft. Doch stimmt das wirklich? Nein, sagt Craig Lambert. Für ihn ist ganz im Gegenteil das Maß voll. Er belegt, dass dieser Trend in Wirklichkeit nur zu unseren Lasten geht und viel Zeit kostet – unsere Zeit! Und Arbeitskräfte obendrein. Anhand alltäglicher Beispiele öffnet er den Lesern die Augen, wie viele Lebensbereiche bereits von dieser Verlagerung durchsetzt sind. Die Dimension ist frappierend. Ein Buch, das aufrüttelt und dazu aufruft, sich die zeitfressende, unbezahlte, unfreiwillige Mehrarbeit nicht länger gefallen zu lassen.
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Seitenzahl: 361
Veröffentlichungsjahr: 2015
Für meine Eltern, L. William Lambert und Ruth K. Lambert
Unser Leben wird immer hektischer. Irgendwie vergehen die Tage immer schneller. Dabei sind sie unbestreitbar nach wie vor 24 Stunden lang. In Wirklichkeit ist es aber gar nicht die Zeit, die weg ist, sondern nur die Freizeit. Aber wie kann das sein? Immerhin leben wir in der wohlhabendsten Epoche der Menschheitsgeschichte und Wohlstand geht doch angeblich mit Freizeit einher. Dennoch haben sich heimlich, still und leise neue Aufgaben in unseren Alltag eingeschlichen, die an unserer Freizeit nagen wie das Meer am Sandstrand. Plötzlich sehen wir uns mit Aufgaben konfrontiert, die wir nie offiziell übernommen haben – Arbeiten, die Eingang in unser Leben finden, ohne dass wir uns dessen richtig bewusst sind. Das sind die überall um sich greifenden Zeitfresser durch Schattenarbeit.
Zur Schattenarbeit zählen all die unbezahlten Tätigkeiten, die wir für Unternehmen und Organisationen übernehmen.1 Viele von uns merken oder registrieren gar nicht, wie viel wir da eigentlich tun, wenn wir unser Benzin selbst tanken, unsere Lebensmittel an der Selbstbedienungskasse einscannen und in Tüten packen, unsere Börsengeschäfte online ausführen und unsere Ikea-Möbel zusammenbauen. Eine Fülle solcher Schattenarbeit infiltriert unseren Alltag und wird zur Gewohnheit: ob wir unsere Kinder zur Schule fahren oder uns an der Salatbar unser Mittagessen zusammensuchen. Wir sind vielleicht keine Sklaven oder leibeigene Bauern, wie es sie im antiken Griechenland beziehungsweise im europäischen Mittelalter gab, doch auch wir leisten unbezahlte Arbeit. Die Schattenarbeit hat unserem neuzeitlichen Leben ein neues Element hinzugefügt: die Knechtschaft der Mittelschicht.
Dabei sind die Zeitfresser kein randständiger Störfaktor, der sich hie und da mal ein Momentchen von unserem Leben abknapst. Sie sind vielmehr Feuer speiende Ungeheuer und in der industrialisierten Welt rund um die Uhr aktiv. Genau in diesem Augenblick leisten Millionen von Menschen Schattenarbeit: Sie ist so alltäglich wie Ampeln, Facebook oder Diättipps. Die allgegenwärtigen Computer jubeln uns endlose Schattenarbeit unter, denn wir müssen Spam löschen, Reisen buchen und Dutzende von Benutzernamen und Passwörtern verwalten. Geschenkgutscheine, die es Ihnen überlassen, sich Ihr Geschenk selbst auszusuchen und zu besorgen, sind ebenfalls verkappte Zeitfresser. Gleiches gilt für endlose Telefonmenüs und aufgenommene Ansagen. Irgendwann kommt unweigerlich die Aufforderung »Bitte hören Sie aufmerksam zu, unser Menü hat sich geändert«, auf die wir eigentlich antworten sollten: »Nein, euer Menü hat sich seit zwei Jahren nicht geändert, und ich werde dieser Roboterstimme nicht ›aufmerksam zuhören.‹« Das alles ist Schattenarbeit – ebenso wie das Erstellen Ihrer Steuererklärung.
Recycling? Keine Frage, eine lobenswerte Sache – aber ebenfalls mit Schattenarbeit verbunden. Beim Recycling übernehmen wir Schattenarbeit durchaus bewusst. Doch meistens handelt es sich dabei um eine von vielen Aufgaben, die früher Unternehmen oder Organisationen für uns erledigt haben, die jetzt aber wieder dem Verbraucher aufgebürdet werden.
Ehrenamtliche Tätigkeiten für karitative oder gemeinnützige Organisationen wie etwa den Lions Club oder das Rote Kreuz sind wohlgemerkt keine Schattenarbeit, sondern Spenden. Freiwillige Helfer arbeiten unbezahlt für Vereine und Verbände. Sie opfern ihre Zeit, so wie andere finanzielle Beiträge leisten. Schattenarbeit kann viele Formen annehmen, stellt aber stets ein Geschäft dar, keine freiwillige Zuwendung. Ehrenamtliche Helfer ziehen aus ihrer Tätigkeit zwar möglicherweise persönliche Befriedigung, doch wie bei allen echten Geschenken gibt es keine Gegenleistung: Das geschäftliche Element fehlt.
Dieses Buch ist eine praktische Einführung in die Schattenarbeit: Es erklärt, was darunter zu verstehen ist, wie sie entstand, wie sie sich auf unser Leben und unsere Welt auswirkt – und wie wir damit umgehen können. Es ist quasi ein Bestimmungsbuch, das Ihnen hilft, Schattenarbeit zu entdecken wie Wildtiere mit dem Fernglas. Schattenarbeit hat viele Folgen – positive, besorgniserregende oder auch einfach störende oder lästige. Oft wird sie als Zumutung empfunden – etwa wenn sich Unternehmen ungeniert unserer Freizeit bedienen. Sie kann Ihnen aber auch mehr Einfluss darauf verschaffen, wie gut oder schnell bestimmte Aufgaben erledigt werden – wenn Sie beispielsweise selbst tanken oder auf kayak.com eine Reise nach Prag buchen. »Ich buche meine Reisen gern selbst«, meint der PR-Spezialist Charles aus Washington. »Ich rufe direkt alle verfügbaren Flüge auf und wähle mir den aus, der mir am besten zusagt. Endlich kann ich selbst bestimmen. Als unsere Firma noch mit einem großen Reisebüro zusammenarbeitete, ging grundsätzlich irgendetwas daneben.« Schattenarbeit kann Ihnen Zeit sparen, wenn Sie im Supermarkt an die Selbstbedienungskasse gehen, oder Geld, wenn Sie Ihre Aktien online verkaufen und dadurch keine hohen Maklergebühren anfallen. Mitunter dient Schattenarbeit auch dem Gemeinwohl: Führen Sie Blechdosen der Wiederverwertung zu, schont das Ressourcen und verringert den Müll auf der Deponie.
Auf jeden Fall haben wir dadurch aber mehr zu tun. Kleine Dinge – etwa, dass wir unseren Einkaufswagen zur Sammelstelle zurückbringen oder unseren Tisch bei Starbucks selbst abräumen – sind uns bereits in Fleisch und Blut übergegangen. »Warum mache ich das?«, wollte Daniel wissen, seines Zeichens Philosophieprofessor aus Massachusetts, als er seinen leeren Einkaufswagen zurückstellte. »Wo sind die Teenager hin, die das früher übernommen haben? Ich habe immer gern zugesehen, wie sie an die 20 ineinandergeschobene Wagen über den Parkplatz bugsierten.« Zur Routine geworden sind uns aber auch größere Zeitfresser wie die Strecken, die wir als unbezahlte Schulbusfahrer für unsere Kinder zurücklegen, oder das (x-te) Ausfüllen ellenlanger medizinischer Fragebögen im Rahmen von Anträgen auf Kranken- oder Lebensversicherungen. Schattenarbeit verlängert ständig die To-do-Listen von Menschen, deren Tage ohnehin schon komplett verplant sind. Sie läutet im 21. Jahrhundert ein paradoxes Zeitalter ein, in dem Menschen an Autonomie gewinnen, weil sie immer mehr Kontrolle über ihr Leben aufgeben.
Den Begriff Schattenarbeit habe ich dem Buch Shadow Work des österreichischen Philosophen und Sozialkritikers Ivan Illich2 entnommen. Illich verstand unter Schattenarbeit all die unbezahlte Arbeit, die in einer lohnbasierten Wirtschaft erbracht wurde, wie zum Beispiel Hausarbeit. In einer Subsistenzwirtschaft dient Arbeit unmittelbar dem Lebensunterhalt: Man sammelt Nahrung, betreibt Landwirtschaft, baut Häuser, schürt Feuer. Doch sobald Geld und Gehalt ins Spiel kommen, tauchen jede Menge Aufgaben auf, die nicht der Befriedigung unserer Grundbedürfnisse dienen. Stattdessen ermöglichen uns solche Arbeiten, Geld zu verdienen, um uns Notwendiges zu kaufen – und vielleicht auch den einen oder anderen Luxus.
Dabei handelt es sich um bezahlte Arbeit, die nicht unser Thema ist. Dieses Buch ermittelt und beschreibt die unbezahlten Tätigkeiten (wie Pendeln), die in einer industriellen Wirtschaft für die Bürger anfallen. Sie bleiben oft unbemerkt, da sie sich hinter den Kulissen des Theaters abspielen, während wir vom Drama unseres Lebens auf der Bühne vollkommen in Anspruch genommen werden. Sie existieren im Schatten. Dennoch sind sie ebenso real wie alles, was im Rampenlicht geschieht.
Sie erweitern auch das ohnehin schon breite Spektrum unserer Verpflichtungen. Sehen wir den Tatsachen ins Gesicht: Liebe mag uns am meisten bedeuten, doch die meiste Zeit verbringen wir bei der Arbeit. Abgesehen vom Schlaf widmen die Menschen keiner anderen Aktivität mehr Lebenszeit. Niemand wendet 40, 50 oder gar 60 Stunden pro Woche für Essen, Sport, Sex oder Internet auf – jedenfalls niemand, der noch richtig bei Verstand ist. »Ich verbringe viel mehr Zeit mit meinen Kollegen als mit meiner Familie«, erklärt Andrew, der zwei Wellness-Klubs am Rande von Michigan betreibt. »Sie sind wie eine zweite Familie für mich.«
Alles dreht sich um die Arbeit. Sie ist der Mittelpunkt unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft und sie ermöglicht das Familienleben. Sie stattet uns mit finanziellen Mitteln aus und gibt unserem Leben Sinn. Angesichts der überragenden Bedeutung von Arbeit müssen wir unbedingt die tief gehenden, weitreichenden Veränderungen erkennen, die Schattenarbeit herbeiführt, und die Art und Weise, wie sie unsere ureigene Vorstellung von Arbeit neu definiert. Wir spüren Schattenarbeit in ihrer natürlichen Umgebung auf, also dem vertrauten Umfeld des täglichen Lebens: zu Hause, in der Familie, im Büro, beim Einkaufen, im Restaurant, auf Reisen und in der digitalen Welt der Computer und des Internets.
Schattenarbeit stellt etliche grundlegende, fest etablierte Muster auf den Kopf. Das klassische Konzept vom Markt beispielsweise beruht darauf, dass dort Produzenten und Verbraucher zusammengebracht werde: Die Produzenten liefern Waren und Dienstleistungen und verkaufen sie gegen bar an die Verbraucher. Schattenarbeit wirft diese ungeschriebene Regel über den Haufen. Inzwischen zahlt eine Konsumentin nicht nur für ihre Einkäufe, sondern hilft dem Verkaufspersonal noch dabei, sie an den Mann zu bringen. In der Lebensmittelabteilung des Bioladens etwa übernimmt sie das Verpacken: Sie schaufelt ihr Kirsch-Mandel-Müsli in eine Tüte, verschließt sie mit einem Clip und etikettiert sie mit einer SKU (Stock Keeping Unit), damit ihr Einkauf an der Kasse identifiziert werden kann.
Schattenarbeit verwischt die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Unlängst behaupteten verschiedene Organisationsanalysten, das Leib-und-Magen-Thema der Frauenzeitschriften, die »Work-Life-Balance«, sei bereits obsolet, da es keinen nennenswerten Unterschied mehr gebe zwischen »Arbeit« und »Leben«. Handys klingeln und vibrieren, weil praktisch jederzeit Anrufe oder Nachrichten aus dem Büro eingehen, was unseren Arbeitstag verlängert. »Ich spielte gegen 20 Uhr im Klub mit meinem Sohn Tennis, als eine Nachricht von meinem Chef kam. Er wollte Erläuterungen zu einem Bericht, den ich geschrieben hatte«, erzählt Finanzanalyst Ron, der in einem Vorort von Chicago lebt. »Das war nicht weiter ungewöhnlich. Und mir machte das nichts aus – vielleicht zu Unrecht.« Der Lebensstandard ist in modernen Industrieländern eindeutig höher als bislang in jeder früheren Gesellschaft, doch reine Freizeit wird trotz unseres nie da gewesenen Wohlstands erstaunlicherweise knapp – unter anderem, weil sich unaufgefordert so viel Schattenarbeit aufdrängt wie ein unliebsamer Gast auf einer Grillparty.
Durch eine von Schattenarbeit durchdrungene Gesellschaft gehen soziale und psychologische Welleneffekte. Menschen geraten in die Isolation, weil sie im Zuge der Schattenarbeit Dinge alleine erledigen, die vordem zwischenmenschliche Kontakte oder Zusammenarbeit erforderten. Wenn wir auf Expedia.com eine Europareise buchen, plaudern wir nicht mehr mit der netten Dame vom Reisebüro über ihren Eindruck vom Elsass oder von der Amalfiküste. Wir fragen nicht mehr, ob sie uns einen Abstecher nach Andalusien empfiehlt. »Meine Reisevermittlerin Nina hat mich früher immer in diese kleinen Landgasthöfe eingebucht, deren Inhaber sie persönlich kannte«, erinnert sich Anästhesistin Sheila aus Toronto. »Sie gab mir Namen mit und trug mir Grüße auf. Inzwischen ist sie in Rente, und so etwas kommt einfach nicht mehr vor.« An der Selbstbedienungskasse im Supermarkt können wir die studentische Aushilfskassiererin nicht mehr fragen, was sie nach ihrem Abschluss vorhat. Der unablässige Vormarsch der Robotik dünnt aber nicht nur Kontakte zu anderen Menschen aus, sondern schneidet Analphabeten, Senioren, Arme und im Umgang mit hoch entwickelter Technik Überforderte komplett ab.
In der Welt der Technik und der Unternehmen kursiert inzwischen ein Wort aus der Landwirtschaft, das voneinander abgetrennte Einheiten bezeichnet: Silo. Schattenarbeit ist eine Kraft, die Menschen unabhängiger machen kann, sie dabei aber in Silos abschließt. Zwiesprache mit einem Roboter ist etwas ganz anderes als ein Dialog mit einem Menschen. Die Siloisierung Einzelner durch Schattenarbeit hat einen maßgeblichen und kumulierenden Effekt auf das Gefüge des Gemeinschaftslebens.
Dieses Buch wirft ein neues Licht auf Ihre Aktivitäten. Es zeigt auf, welche Schattenarbeiten Sie bereits gewohnheitsmäßig ausführen – unter Umständen ohne dass Sie es gemerkt haben. Die vermittelten Erkenntnisse geben Ihnen die Möglichkeit der Wahl – sofern eine Wahlfreiheit besteht.
Ein Beispiel ist Ihr täglicher Arbeitsweg. Das Pendeln – also die Aufgabe, zur Arbeit zu gelangen – ist eine unbezahlte Tätigkeit, die Ihrem Arbeitgeber dient. Sie gehört schon so zum Leben, dass wir sie kaum noch als das wahrnehmen, was sie eigentlich ist: ausgesprochen kostenintensive und zeitraubende Schattenarbeit. Der Pendler erträgt entweder tapfer die Unannehmlichkeiten des öffentlichen Nahverkehrs oder er muss sich ein Auto kaufen, es versichern, warten lassen, betanken – und fahren! –, um zum Arbeitsplatz und wieder nach Hause zu kommen. 2005 meldete ABC News, dass der durchschnittliche amerikanische Pendler reichlich 25 Kilometer zur Arbeit zurücklegt – und nach Hause noch einmal so viel. Bei den aktuellen Kilometergeldsätzen von 35 Cent pro Kilometer schlagen die insgesamt 50 Kilometer pro Tag mit 17,60 Dollar zu Buche, pro Woche mit 88 Dollar und pro Jahr mit 4400 Dollar. Hin und zurück braucht der Durchschnittspendler dafür jeden Tag 52 Minuten, also rund 217 Stunden pro Jahr. Das sind mehr als fünf 40-Stunden-Wochen unbezahlte Fahrzeit. Wer von zu Hause aus arbeiten kann, spart sich Tausende von Dollars im Jahr und hat unzählige Stunden Zeit zur Verfügung, die er nicht auf der Straße verbringen muss, sondern produktiver Arbeit widmen kann.
Angesichts der Kosten könnten Arbeitnehmer versuchen, zumindest ein oder zwei Tage die Woche Telearbeit zu leisten. Andere nutzen flexible Arbeitszeiten, um auf ihrem Arbeitsweg berufsverkehrsbedingte Spitzen zu meiden und Sprit und Zeit zu sparen. Wer die Schattenarbeit des Pendelns reduziert, gewinnt Lebensqualität.
Die wenigsten Pendler sind mit dem Flugzeug unterwegs, doch die Flughäfen sind voller Geschäftsreisender, und auch dort hält die Schattenarbeit Einzug. So lösten etwa die Terroranschläge vom 11. September 2001 unverzüglich enorm verstärkte Sicherheitsvorkehrungen an US-Flughäfen aus. Im Herbst 2001 richteten die USA eine neue Behörde ein, das Department of Homeland Security, das einem zweiten Verteidigungsministerium gleichkommt. Dazu gehört auch die Transportation Security Administration (TSA). Dieses bürokratische Gebilde ist für die Sicherheitskontrollen an Verkehrsknotenpunkten wie Flughäfen zuständig. Diese Kontrollen erhöhen die Reisezeit erheblich. Im Zuge der Sicherheitsüberprüfungen wird den Passagieren nebenbei auch beträchtliche Schattenarbeit aufgehalst. Es müssen nicht nur Koffer und Handgepäck durchleuchtet werden, sondern aus Sicherheitsgründen auch Schuhe, Jacken und Gürtel ausgezogen, Laptops ausgepackt und mit Metalldetektoren überprüft sowie Leibesvisitationen vorgenommen werden.
Unlängst führte die TSA ein Programm namens TSA Precheck ein, um diese Verfahren für Reisende mit geringem Gefährdungspotenzial – sogenannte Low-risk Travelers, also US-Bürger und Militärangehörige mit blütenweißer Weste – zu beschleunigen. Solche VIPs dürfen die Sicherheitskontrolle mit Jacke, Gürtel und Schuhen über eine sogenannte Precheck-Schlange passieren. (Wer dazugehört, genießt gewisse Privilegien – er muss sich nicht ausziehen!) Der eigentliche Clou dabei ist aber: Wer sich für jeden Flug für den TSA Precheck qualifizieren möchte (ein paar Glückliche werden mittlerweile nach dem Zufallsprinzip ausgewählt), der muss eine nicht erstattungsfähige Antragsgebühr von 85 Dollar zahlen und bei einer TSA-Niederlassung einen Termin machen, um sich die Fingerabdrücke nehmen und eine Nummer zuweisen zu lassen – die Known Traveler Number oder KTN. Diese gilt dann fünf Jahre. So lange gibt es das Precheck-Verfahren noch nicht, doch uns ist ja wohl allen klar, dass der Staat solche KTNs keinesfalls gebührenfrei erneuern wird…
Nach dem 11. September 2001 waren Passagiere in aller Welt im Interesse der Sicherheit selbstverständlich zu Kontrollen bereit. Vor den Anschlägen konnte jedermann bequem mit Jacke, Gürtel und Schuhen ein Flugzeug besteigen, ohne dass er für dieses Vorrecht 85 Dollar berappen musste. Die veränderten Normen schleusten in die Routineabläufe für Flugreisende Schattenarbeit ein – beziehungsweise eine Gebühr für ihre Vermeidung.
Manchmal bleibt uns gar nichts anderes übrig. Dann müssen wir notgedrungen Schattenarbeit leisten. In anderen Fällen gibt es Alternativen – wenn auch manchmal kostenpflichtige. (Doch schließlich ist es bloß Geld.) Vielleicht wird so ein Flug aber durch einen netten Plausch mit dem Gepäckträger, abgerundet durch ein fürstliches Trinkgeld, zu einem angenehmeren Erlebnis als durch den Automaten-Check-in am Selbstbedienungsschalter. Vielleicht überlassen Sie ja auch Ihre Steuererklärung lieber einem Profi. Oder Sie setzen Ihre Tochter in den Schulbus, statt sie selbst zu chauffieren. An anderer Stelle entscheiden Sie sich womöglich bewusst für Schattenarbeit – wenn Sie Ihr Haus selbst verkaufen, um sich die Maklergebühr zu sparen und dabei noch etwas über den Immobilienmarkt zu lernen. Schattenarbeit kann uns neue Aufgaben aufbürden, aber auch Chancen eröffnen.
Der Flut von Schattenarbeit liegen vier Hauptfaktoren zugrunde. An erster Stelle stehen dabei Technologie und Robotik. Reiseseiten im Internet beispielsweise ermöglichen es den Schattenarbeitern unter den Verbrauchern, den Job des Reisevermittlers zu übernehmen und sich ihre Flüge selbst zu buchen. Zweitens hat die enorme Fülle öffentlich verfügbarer Informationen eine Demokratisierung des Fachwissens bewirkt. Jeder normale Bürger kann sich heute Wissen beschaffen, das früher Experten vorbehalten war – und dann Schattenarbeit ausführen, indem er sich eine Vorlage aus dem Internet herunterlädt, um ohne Anwalt einen Vertrag aufzusetzen. Drittens hat der explodierende Wert von Daten einem Schleppnetz für Informationen Vorschub geleistet: Alle möglichen Einrichtungen sammeln laufend Daten auf allen möglichen Wegen. Dieses Schleppnetz oktroyiert Konsumenten eine ganze Reihe von Schattenarbeiten auf, die nicht nur die Bereitstellung persönlicher Daten beinhalten, sondern auch die Verwaltung der Datenmengen, mit denen die Informationswirtschaft unsere Computer und Handys überschwemmt. Viertens sind es die sich ständig weiterentwickelnden sozialen Normen, die unser Verhalten beeinflussen. Eine neue Norm wie übertriebene elterliche Fürsorge für die Kinder kann ein ganz neues Schattenarbeitsbiotop hervorbringen – mit Aufgaben, die es zuvor noch gar nicht gab.
Sich gegen solche Veränderungen zu wehren, ist ein Kampf gegen Windmühlen. Wir können die Zeitfresser auch nicht in die Illegalität abdrängen. Kein Gesetz der Welt wird soziale Strömungen aufhalten, die die Wirtschaft belohnt. Dennoch ist Schattenarbeit einfach eine evolutionäre Entwicklung, und wie alle solche Trends kann sie in ganz unterschiedliche Richtungen gehen. Zu wissen, was Schattenarbeit ist, wie sie aussieht, wo sie vorkommt und welche Folgen sie hat – sprich ein Bewusstsein dafür zu entwickeln –, ist der erste Schritt zu ihrer Bewältigung. Kennen wir das Phänomen, dann können wir es in produktive und wünschenswerte Bahnen lenken.
Trotz ihrer Störeffekte dürfen wir Schattenarbeit nicht pauschal als Problem betrachten. Die »Problemlösung« ist eine intellektuelle Falle, die unser Denken auf die Parameter des vermeintlichen »Problems« einengt. Stattdessen sollten wir das Auftreten von Schattenarbeit als Chance auffassen. Wenn Roboter und Verbraucher Arbeitsplätze vernichten, stellen sie Erwerbstätige für kreativere Aufgaben frei, die nicht so leicht mechanisiert oder delegiert werden können – für wertintensivere Jobs also, die denkende Menschen erfordern.
Ich verfolge hier in einer Hinsicht eine ganz ähnliche Absicht wie Sigmund Freud mit seiner Psychoanalyse: Ich möchte das Unbewusste bewusst machen. Dieses Buch eröffnet Ihnen ganz neue Blickwinkel auf vertraute Fakten des täglichen Lebens. Wie ein Teleskop, ein Fernglas oder eine Lupe kann es überraschende Aspekte an Dingen erkennbar machen, die sich direkt vor Ihren Augen befinden. Dieses Buch soll ausloten, zu welchen Vorteilen, Chancen und Fallstricken die weitgehend unbekannte Straße der Schattenarbeit führen könnte. Begehen müssen wir diese Straße – wir haben gar keine andere Wahl. Ich will dem Reisenden aber mit diesem Buch zumindest eine Karte an die Hand geben.
1 Der hier verwendete Begriff Schattenarbeit steht nicht im Zusammenhang mit dem esoterisch verwendeten Begriff der Schattenarbeit.
2 Schattenarbeit oder vernakuläre Tätigkeiten. Zur Kolonisierung des informellen Sektors. In: Freimut Duve (Hrsg.): Technologie und Politik. 15/1980, S. 40–63.
Wäre Tom ein großer und weiser Philosoph gewesen, wie der Verfasser dieses Buches, würde er nun verstanden haben, daß Arbeit immer nur das ist, was man tun muß, und Vergnügen das, was man gern tut. […] Es gibt in England viele Leute, die im heißen Sommer einen Vierspänner an einem Tag zwanzig oder dreißig Meilen weit kutschieren, nur weil das Anrecht darauf sie eine ungeheure Summe Geld kostet. Wenn man ihnen aber vorschlagen wollte, dasselbe um Lohn zu tun, dann würden sie sich weigern, denn dann würde sich das »Dürfen« in »Müssen« und damit das Vergnügen in Arbeit verwandeln.3
Mark Twain, Die Abenteuer des Tom Sawyer
In seinem 1876 veröffentlichten Roman Die Abenteuer des Tom Sawyer erschafft Mark Twain eine Figur, die zu den Pionieren der Schattenarbeit zählt. In einer berühmten Passage des Buches erhält Tom Sawyer von seinem Vormund Tante Polly die Anweisung, am Samstag den Zaun zu streichen. »Fünfunddreißig Meter Gartenzaun! Neun Fuß hoch!« Zu allem Überfluss ließ sich der Samstag auch noch als herrlicher Sommertag an: »Der Samstag brach an. Die sommerliche Welt leuchtete frisch und sprudelnd vor Leben. Jedes Herz war voll Gesang, und wenn das Herz jung war, strömte er über die Lippen.« Tom, der am liebsten mit seinen Freunden gespielt hätte, macht sich verdrossen an die lästige Streicharbeit – bis ihm der rettende Einfall kommt. Zufällig geht sein Freund Ben Rogers auf dem Weg zum Schwimmen vorbei und zieht Tom prompt auf mit Sprüchen wie »Aber ich glaube, du arbeitest lieber, was? Viel lieber, nicht?«.
Tom weist weit von sich, dass Zaun streichen Arbeit wäre, und erklärt dem verblüfften Ben, er streiche gern: »›Kriegt unsereiner vielleicht jeden Tag einen Zaun zu pinseln?‹ Das setzte die Sache in ein neues Licht«, schreibt Twain. Ben vergisst sogar, seinen Apfel zu essen. Tom streicht weiter und gibt sich als Künstler: »Tom schwang den Pinsel ’rauf und ’runter, trat zurück, um die Wirkung zu prüfen, fügte hier und da einen Strich hinzu, kritisierte wieder das Ergebnis«, und weckt damit Bens Interesse. Es dauert gar nicht lang, bis Ben für Tom streicht und ihm für dieses Privileg auch noch seinen Apfel überlässt.
Den Rest des Tages lockt er »Opfer für seine Schlachtbank« an und überzeugt eine nicht enden wollende Phalanx von Jungen, dass die Chance zum Zaunstreichen ein Opfer wert sei. Am Nachmittag war nicht nur der Zaun gestrichen, sondern Tom war »buchstäblich ein Kapitalist geworden, der im Reichtum schwamm«, besaß er doch neben anderen begehrenswerten Dingen zwölf Murmeln, einen Zinnsoldaten, sechs Knallerbsen und ein lebendiges Kätzchen, das nur ein Auge hatte. »Wenn nicht schließlich die Farbe ausgegangen wäre, hätte er bestimmt sämtliche Jungen des Ortes bankrott gemacht«, schreibt Twain.
Diese Großtat gelingt Tom Sawyer, weil er Arbeit neu definiert. Er überzeugt die anderen Jungen, dass Streichen Spaß macht und kreativ ist – keine stupide Zwangsarbeit. So wird Arbeit zum Spiel, und die Jungen, die von Natur aus gern spielen, stürzen sich an jenem Samstag begeistert aufs Zaunstreichen.
Wenn wir etwas neu definieren, ändern wir unsere Wahrnehmung. Das Konzept der Schattenarbeit kann viele Tätigkeiten neu definieren. Dabei handelt es sich um Aufgaben, die wir vielleicht nie als Arbeit betrachtet haben – selbst wenn viele Menschen dafür bezahlt werden. In den letzten 20 Jahren hat das Phänomen der Schattenarbeit rasch um sich gegriffen. Um seine Bedeutung zu verstehen, können wir als Maßstab anlegen, wie wir gelebt haben, als es noch keine Schattenarbeit gab.
Die Sunoco-Tankstelle, an der mein Vater und ich jeden Samstagmorgen unsere Familienkutsche volltankten, lag auf einer kleinen Anhöhe an der Schnellstraße in Denville, New Jersey. Der Mann im Overall, der das Benzin für uns abfüllte, hieß Ralph und war Ende 60. Sein faltenreiches Gesicht lächelte freundlich. Das Motoröl hatte seine Finger dauerhaft eingefärbt. Man sah Ralph an und wusste: Der Mann ist ein guter Mechaniker.
Persönlich legte er bei Reparaturen kaum noch Hand an, doch er stand den Jüngeren mit Rat und Tat zur Seite, und mit dem Knarrenschlüssel konnte er noch umgehen. Das Benzin füllte er mit beiläufigem Geschick ein. Dann öffnete er die Haube unseres 1949er Plymouth, zog den Ölmessstab heraus und prüfte den Ölstand. Er putzte die Vorder- und Rückscheibe mit einem Abzieher. Als ich sieben Jahre alt war – 1955 –, kostete das Benzin 29 Cent pro Gallone, und mein Vater zahlte selbstverständlich bar. Ich liebte den Benzingeruch. Für mich birgt er süße Erinnerungen – ein Aroma, um das moderne Gasrückführungssysteme die Erfahrung an der Zapfsäule geschmälert haben.
Heute übernehme ich Ralphs Aufgaben. Ich zapfe Benzin und prüfe Öl. Ich ziehe die Scheiben ab. Ich mag einen Doktortitel haben und eigentlich Bücher schreiben, doch anders als Ralph werde ich von der Tankstelle nicht bezahlt. Ich betanke nur mein Auto, als Amateur. Und das habe ich mir nicht ausgesucht. In meiner Heimat Massachusetts sind Tankwarte rar geworden.
Tja, seit den 1950er-Jahren hat sich vieles verändert. Verschiedene Jobs gibt es gar nicht mehr. Lästige Pflichten wie das Tanken bleiben uns überlassen. Blicken wir kurz auf die amerikanische Gesellschaft Mitte des 20. Jahrhunderts zurück als Referenz dafür, wie sich unsere Arbeitswelt seither verändert hat.
1955 blieben die meisten Mütter wie meine zu Hause, versorgten den Haushalt, kochten und kümmerten sich um die Kinder. Das war die traditionelle »Frauenarbeit«, die Ehefrauen und Mütter seit jeher übernahmen. Für die Hausarbeit erhielten sie natürlich keinen Lohn – es sei denn, sie verrichteten sie für andere. Es war die »Frauenarbeit«, in der das Familienleben verankert war. Seit der industriellen Revolution konnten Männer dadurch außer Haus gegen Bezahlung arbeiten gehen. Hausarbeit wurde zwar nicht bezahlt, doch Institutionen wie die Ehe, die Familie und sogar die Wirtschaft hätten ohne sie nicht überlebt. Für die wichtigsten Arbeiten, die wir erledigen, werden wir nicht unbedingt bezahlt. Hausarbeit ist die ureigentliche und grundlegendste Form der Schattenarbeit.
In den 1950er-Jahren waren es im Großen und Ganzen die Männer, die das Familieneinkommen erwirtschafteten. Sie gingen arbeiten. Dass jemand sein Büro zu Hause hatte, kam selten vor – höchstens bei Zahnärzten oder anderen Medizinern, die ihre Praxis in Anbauten untergebracht hatten. Telearbeit gab es nicht: Die Menschen pendelten noch mit Autos und Zügen und kommunizierten nicht über Glasfaserkabel. In den Büros gab es »Hilfskräfte« wie Sekretärinnen, Datentypistinnen, Büroleiter, Boten, Hausmeister – die das übrige Personal unterstützten, indem sie Routinearbeiten übernahmen. All diese Aufgaben erledigen Sie in Ihrem Homeoffice heute alleine. Und auch in den Büros in den Innenstädten werden solche Stellen immer seltener.
Zum Einkaufen ging man auch in den 1950er-Jahren schon in einen Shop. Dass es sich dabei um ein reales Gebäude handelte, muss wohl nicht eigens erwähnt werden, denn etwas anderes gab es nicht. Ja, man kannte wohl schon Versandhauskataloge, doch vom Online-Handel träumte man noch nicht einmal. Homeshopping trat in Gestalt der Avon-Beraterin, des Fuller-Brush-Manns oder der Vertreter auf den Plan, die die Encyclopaedia Britannica feilboten – oder auf Tupperpartys. Handlungsreisende, die Sie zu Hause aufsuchten, waren wie die Verkäufer in den Läden gut ausgebildet und kannten ihre Produkte aus dem Effeff. Sie konnten jede Ihrer Fragen beantworten. Es war ihr Job, die Informationen zu beschaffen, die Sie sich heute im Internet oder auch in Großmärkten selbst besorgen müssen, wo fachkundige Verkäufer mitunter so selten anzutreffen sind wie eine Scharlachtangare im Stadtpark. Im Supermarkt klingelten die Kassen im eigentlichen Wortsinn (mechanische Registrierkassen machten tatsächlich ein Klingelgeräusch!), und die Kassiererinnen nahmen das Geld entgegen. Ein Trinkgeld erhielten sie dafür nicht. Selbstbedienungskassen gab es keine.
Alles, was wir nach Hause schleppten, produzierte tonnenweise Abfall. Den warfen wir weg. Er wurde auf Deponien gekippt, die im Müll einer Konsumgesellschaft erstickten. Recycling kannte man noch nicht.
In den 1950er-Jahren gingen wir nicht oft essen. Gehörte man nicht zu den ganz Reichen, war ein Restaurantbesuch ein besonderes Ereignis. Die wenigen Fast-Food-Ketten, die es gab, waren lokal oder regional tätig, nicht landesweit. Ging man zum Essen aus, war Selbstbedienung die Ausnahme. In Restaurants brachten Kellner und Kellnerinnen das Essen an den Tisch – auch den Salat, denn eine Salatbar suchte man vergeblich. Nach dem Essen zahlten Sie, standen auf und gingen. Zum Abräumen gab es Personal.
In Ermangelung des Onlinehandels mussten Sie in die örtliche Drogerie oder an den Kiosk gehen, um peinliche Dinge wie Kondome, Diaphragmen, Hämorrhoidenmittel, Schundromane oder Pornohefte zu kaufen. Schwangerschaftstests für zu Hause gaben Frauen noch nicht das Vorrecht, sich als Erste und vielleicht Einzige über ihren Fortpflanzungsstatus zu informieren. In der Kleinstadt war das Diskretionsproblem ungleich größer, denn wer hinter dem Ladentisch stand, der kannte Sie und Ihre Familie meist – und wusste womöglich ganz genau, warum Sie einen bestimmten verfänglichen Artikel erstehen wollten.
Damals erledigten die Menschen ihre Geldgeschäfte, indem sie in ein Bankgebäude gingen. Sie tätigten Einlagen oder kauften Anleihen von einem Bankmitarbeiter am Schalter und warteten in einer Schlange, wenn viel los war. Geldautomaten? Fehlanzeige. Der Bankangestellte konnte einen Scheck für Sie einlösen und Ihnen – anders als der Geldautomat – beliebige Scheine oder auch eine Rolle Münzen zum Telefonieren aushändigen. (Bevor das Handy die Erfahrung des Telefonierens privatisierte und allgegenwärtig machte, gab es öffentliche Fernsprecher in Telefonzellen.) Der Dover Trust, dessen Geschäftsführer mein Vater war, bot weitere Extras, die kein Geldautomat leisten kann. So spielte beispielsweise zur Weihnachtszeit eine pensionierte Musiklehrerin aus dem Ort auf einer kleinen Orgel im Foyer der Bank Weihnachtslieder.
Heute gehen viele Kunden gar nicht mehr zur Bank. Bankgeschäfte erledigen sie online, an ihrem Rechner. Sie sind ihre eigenen Bankberater, Buchhalter und Kreditsachbearbeiter und das Foyer der Bank wird durch Flachbildschirme ersetzt. Weihnachtslieder tönen, wenn überhaupt, aus den Ohrstöpseln eines iPod. Musiker aus Fleisch und Blut, die man um bestimmte Titel bitten kann, sind Geschichte. Und die unsichtbare virtuelle Bank ist anders als der Granitbau meines Vaters rund um die Uhr geöffnet. (Oder jedenfalls bis zum Crash – des Rechners oder des Instituts.)
Geschäfte waren seinerzeit nicht 24 Stunden lang geöffnet. Sie schlossen abends. Man konnte Hustensaft, Cheerios, Zeitschriften oder Lottoscheine (staatliche Lotterien gab es in den USA ohnehin noch nicht) nicht kaufen, wann man wollte. Man musste die eigenen Gewohnheiten an den Öffnungszeiten der Geschäfte ausrichten. Das beschränkte die Menschen auf bestimmte Zeiten. Es war aber auch eine gewisse Erleichterung. Es gab noch Auszeiten, um dem ständigen Gewummere der Konsumwirtschaft zu entkommen. Das war einmal. Heute fühlt es sich deshalb so an, als wäre man ständig auf dem Markt aktiv, Tag und Nacht. Man produziert entweder oder man konsumiert – oder könnte es zumindest. Heutzutage gibt es keine Pause, weder in der Arbeit noch im Konsum.
Die Weltwirtschaft brummt ständig im Hintergrund. Die Händler der Wall Street stehen vor Sonnenaufgang auf, um die Kurse auf den Märkten von Berlin oder Tokio zu prüfen. Sie arbeiten – im Gegensatz zu dem Privatanleger, der um 2 Uhr früh eine Pharma-Aktie googelt und dann beim Online-Broker Scottrade auf eine Schaltfläche klickt, um bei Marktöffnung 400 Stück davon zu kaufen. Er leistet Schattenarbeit. Früher war es sein Makler, der diese Dinge für ihn erledigte.
Scottrade und andere virtuelle Maklerhäuser ermöglichen es Anlegern, Wertpapiere für nur 7 Dollar Transaktionsgebühr zu kaufen oder zu verkaufen – ein Bruchteil dessen, was Full-Service-Makler berechnen. Übernehmen Sie diese Schattenarbeit, ruht die gesamte Last der Verantwortung für die Anlage auf Ihren Schultern. Doch zum Glück sind Online-Investments nicht unbedingt eine Wissenschaft. Was in diesem Modus des Alleinemachens hauptsächlich abhandenkommt, ist das Gefühl, mit einem Partner zu arbeiten – einem Makler, mit dem man seine Entscheidungen diskutieren kann. Es ist grundsätzlich eine gute Idee, Anlageentscheidungen mit irgendeinem intelligenten Erwachsenen zu besprechen (insbesondere einem, mit dem man verheiratet ist). Doch die Diskussion mit einem Makler dürfte die Wertentwicklung Ihres Portfolios vermutlich nicht verbessern. Mit der professionellen »Kompetenz« von Aktienmaklern verhält es sich leider so ähnlich wie mit des Kaisers neuen Kleidern. Statistische Untersuchungen ergeben immer wieder, dass die große Mehrheit der berufsmäßigen Stockpicker und Vermögensverwalter Anlageerträge erzielt, die hinter Indexfonds zurückbleiben. Anders ausgedrückt: Wenn sich gar niemand um Ihr Geld kümmert, ist das gemeinhin besser, als einen der Revolverhelden der Wall Street zu beauftragen. (Zeitschriften wie Money veröffentlichten alljährlich Listen der »erfolgreichsten fünf Fondsmanager« und deren Ergebnisse schlagen den Index tatsächlich. Das Problem dabei: Im nächsten Jahrsieht die Liste ganz anders aus.)
Es gibt wohl herausragende Investoren, darunter sogar legendäre wie Warren Buffett von Berkshire Hathaway und Peter Lynch von Fidelity. Doch Wall-Street-Daten belegen, dass maximal 20 Prozent der professionellen Kapitalverwalter beständig besser waren als die Marktindizes. Dass Leute wie Buffett und Lynch genial sind, wissen wir heute, weil es durch ihre Erfolgsbilanzen belegt wird. Doch solche Investoren zu Anfang ihrer Karriere ausfindig zu machen, ist weitaus kniffliger und gelingt den wenigsten. Statistisch liegt ihre Chance, auf den Richtigen zu setzen, bei eins zu fünf. Und der Einsatz ist hoch.
Daher entscheiden Sie sich vielleicht durchaus begründet dafür, in Schattenarbeit Ihr eigener Makler zu werden. Bei kostengünstigen Fondsanbietern wie Vanguard sparen Sie eine Menge Gebühren und erzielen am Ende vermutlich die besseren Ergebnisse – bei minimalem Zeitaufwand. Diese Art Schattenarbeit ist für die meisten von uns eine gute Wahl.
In den 1950er-Jahren verbrachten Kinder viel mehr Zeit mit anderen Kindern und weniger Zeit mit ihren Eltern als heute. Ich fuhr mit dem Schulbus zur Schule und zurück – mit einer ganzen Schar von Kindern aus unserer Gegend. Auf der 45-minütigen Fahrt stiegen noch einige Schüler zu. Es war eine lange, aber sehr kurzweilige Fahrt. Weil sie sich Jahr für Jahr täglich im Schulbus trafen, kannten sich die Jungen und Mädchen richtig gut. Nach der Schule trafen wir uns in unserem Viertel zum Spielen.
In jenen glücklichen Tagen gehörten die Feiertage und Wochenenden uns. Wir konnten sie nutzen, wie wir wollten. Wenn man arbeitete, dann arbeitete man. In der Freizeit hatte man wirklich frei. Das lief nicht ineinander. Ein abendliches Softball-Match oder ein Picknick am Wochenende am See wurde nicht von einer SMS aus dem Büro unterbrochen. Tagsüber schuftete man in der Fabrik oder im Büro, doch die Nächte und Wochenenden waren unantastbar und man konnte sich zu Hause entspannen. 1955 war das Leben gemächlicher, und in unserer Kleinstadt im nördlichen New Jersey herrschte ein starkes Gemeinschaftsgefühl.
In den 1950er-Jahren wurden Arbeiten wie Tanken, das Tippen von Briefen, das Sammeln von Informationen über Produkte, das Abkassieren im Lebensmittelladen, das Mischen eines Salats, das Entsorgen von Dosen und Flaschen, die Buchungen auf einem Bankkonto und die Fahrten zur Schule von Tankwarten, Sekretärinnen, Verkäufern, Kassiererinnen, Kellnerinnen, Müllmännern, Bankangestellten und Busfahrern übernommen. Heute bleiben diese Arbeiten an Ihnen hängen. Es sind Schattenarbeiten geworden.
Tatsächlich sind viele Aufgaben, die wir neben unserer beruflichen Tätigkeit erledigen, Schattenarbeit. Die 24-Stunden-Wirtschaft hat für all diejenigen die Arbeit nach Hause gebracht, die beispielsweise von einem Markt-Crash in Singapur betroffen sein könnten. Über Handys sind Menschen mit Kollegen vernetzt, für die die Arbeit grundsätzlich an erster Stelle steht. Wenn Ihnen Ihr Chef um 20 Uhr eine Nachricht schickt, wenn Sie gerade mit Ihrem Mann an einem Tisch im Restaurant Platz nehmen – sind Sie dann bei der Arbeit oder nicht? In vielen Bereichen haben sich die Erwartungen so verändert, dass solche Störungen als normal erachtet werden. Neue Sitten können Türöffner sein für Mehrarbeit – und für mehr Schattenarbeit.
Die Erosion der Freizeit vollzieht sich wie jede Form der Erosion schleichend, Sandkorn um Sandkorn. Ihre Kraft liegt in der Stetigkeit. Jeden Tag verschwindet ein Körnchen Sand nach dem anderen aus der Sanduhr Ihres Lebens.
Auch das Meer der Schattenarbeit ist unermüdlich am Werk. Wären all die Extraaufgaben auf einmal auf uns zugekommen, hätte es sicherlich lautes Protestgeschrei geben. Doch dass sie uns unmerklich eine Sekunde nach der anderen kosten, nehmen wir stillschweigend hin. Das erinnert an Silicon Slim, den in dem satirischen Song auf John Forsters CD Entering Marion porträtierten Cyber-Dieb:
Well, you’ve heard of Jesse James and you’ve heard of Robin Hood
Here’s a ballad of a bad man who was every bit as good
This guy held up Chase Manhattan unarmed and all alone
With just a trusty home computer that was hooked up to his phone
In the dead of night he’d access each depositor’s account
And from each of them he’d siphon off the teeniest amount
And since no one ever noticed that there’d even been a crime
He stole forty million dollars, a penny at a time.
Der Geruchssinn des Menschen gewöhnt sich nach einer Weile an fremde Gerüche. Nase und Gehirn akklimatisieren sich sogar an ekelhaften Gestank und nehmen ihn nicht mehr wahr – so wie wir die Tapete im Esszimmer. Ebenso gewöhnen wir uns an die Allgegenwart der Schattenarbeit. Sie wird zur Routine. Und irgendwann finden wir es ganz normal, uns unseren Frozen Yogurt selbst zu portionieren – oder unser Benzin an der Tankstelle zu zapfen.
Wer Millionen von Menschen dazu bringen will, Schattenarbeit zu leisten, darf dem Verbraucher keine Wahl lassen. Er muss dafür sorgen, dass nie offiziell über solche neuen Aufgaben »abgestimmt« wird. Das Gegenmittel ist Bewusstsein – denn das ermöglicht es Ihnen, selbst zu entscheiden – manchmal zumindest. In manchen Fällen sagt Ihnen die Schattenarbeit womöglich sogar zu. Aufgaben selbst zu erledigen – wie beim Schwangerschaftstest für zu Hause – hat mitunter durchaus seine Vorteile: Es ist so einfach – und billiger, bequemer und intimer als der Gang zum medizinischen Fachlabor. Das Löschen von Spam aus Ihrem Posteingang dagegen ist Schattenarbeit, die wenige Vorzüge bietet – aber es gibt eben keine Alternative.
Wir Amerikaner betrachten Arbeit wie Franzosen den Wein: durch und durch positiv. Für uns ist Arbeit die Grundlage für unseren materiellen Wohlstand. In den USA arbeiten die Beschäftigten mehr als in den meisten anderen Industrieländern. Sie erhalten – und nehmen – auch weniger Urlaub als ihre ausländischen Kollegen. In Amerika huldigen wir im Tempel der Arbeit.
In ihrem Buch The Overworked American beschreibt die Ökonomin Juliet Schor, wie die Arbeitszeit der Amerikaner nach einem Rückgang von etwa 1850 bis 1950 seit der Nachkriegszeit stetig aufwärts tendiert. Ihre Daten reichen zurück bis in das vergleichsweise gemächliche Mittelalter, als Bauern im 13. Jahrhundert 1620 Stunden pro Jahr arbeiteten. Ihr Arbeitsjahr ließe sich auch in sieben Monate mit Fünf-Tage-Wochen und 60 Arbeitsstunden aufteilen – und fünf Monate Müßiggang.
Mit dem Einzug der Maschinen verlängerte sich die Arbeitszeit der Menschen – unter anderem, weil die Tätigkeit unter einem Fabrikdach nicht mehr jahreszeitabhängig war. 1850 hatte die industrielle Revolution dafür gesorgt, dass die Amerikaner erstaunliche, nie da gewesene 3650 Stunden im Jahr arbeiteten, basierend auf 52 70-Stunden-Wochen. Es wurde nur noch gearbeitet. Im folgenden Jahrhundert bekamen immer mehr Amerikaner unter dem wachsenden Einfluss von Gewerkschaften und anderen Faktoren die Wochenenden frei und erhielten bezahlten Urlaub. Schor hat jedoch ausgerechnet, dass ihre jährlichen Arbeitsstunden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von 1969 bis 1987 von 1876 auf 1949 stiegen – um 163 Stunden beziehungsweise einen ganzen Extra-Vollzeit-Arbeitsmonat pro Arbeitnehmer. Schor zitiert eine Harris-Poll-Erhebung aus dem Jahr 1988, die eine parallele Entwicklung belegt: Die Freizeit der Amerikaner ging in den 15 Jahren seit 1973 um fast 40 Prozent zurück – von 26 auf 17 Stunden pro Woche.
New York Times-Reporter Steven Greenhouse schrieb in seinem Buch The Big Squeeze 2008 über die Misere der amerikanischen Arbeiter und stellte fest, dass die Arbeitszeit 2006 leicht zurückgegangen war – auf 1.804 Stunden im Jahr und damit unter das Niveau von 1969. Dennoch arbeiteten die Amerikaner »drei ganze Wochen pro Jahr mehr als der durchschnittliche britische Arbeitnehmer, sechs Wochen mehr als der durchschnittliche französische Arbeitnehmer und neun Wochen mehr als der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer«, hält er fest. Weiter heißt es in seinem Buch: »Die USA sind das einzige hoch entwickelte Land, in dem es keine gesetzlichen Mindestvorgaben zu Urlaubstagen gibt. Im Durchschnitt bekommen US-Arbeitnehmer zwölf Tage Urlaub im Jahr. Dabei gaben 36 Prozent der Amerikaner an, ihnen zustehende Urlaubstage nicht vollständig in Anspruch zu nehmen.«
Hinter dieser Arbeitswut steht nicht immer wirtschaftliche Notwendigkeit. Nehmen Sie beispielsweise William Gross, Chef der Pacific Investment Management Company. Man sollte meinen, dass ein 68-Jähriger, der 200 Millionen Dollar im Jahr verdient und in Laguna Beach an der südkalifornischen Küste lebt, Zeit hat, um zu entspannen. Weit gefehlt. Einem Bericht der New York Times von 2012 zufolge sitzt Gross um 5:30 Uhr am Schreibtisch, nachdem er auf dem Weg dorthin seinen Kollegen Mohamed El-Erian begrüßt hat, der schon um 4:30 Uhr anfängt. Früher stahl sich Gross am Nachmittag für eine Runde Golf davon und kam danach ins Büro zurück. Doch das war einmal. »Manchmal wünschte ich, ich könnte um halb vier ein paar Bälle schlagen«, erzählte er der Times, »doch ich war seit dreieinhalb Jahren nicht mehr auf dem Golfplatz.«
Sein persönlicher Wohlstand und die Hingabe an seine Arbeit mögen Gross besonders auszeichnen, doch die ihm eigene Arbeitsmoral entspricht dem allgemeinen Ethos. Viele junge Investmentbanker, Unternehmer und Anwälte arbeiten 14 Stunden am Tag und verzichten auf Urlaub, um Reichtümer anzuhäufen, die sie nie genießen können. Wirtschaftlich ist das nicht mehr zu begründen: Unserem beinahe schon religiösen Arbeitseifer liegen tief greifende soziale und kulturelle Kräfte zugrunde.
Schattenarbeit ist in den genannten Zahlen natürlich nicht erfasst, denn darüber wird nicht Buch geführt. Wie viel Mehrarbeit auf sie entfällt, darüber können wir nur spekulieren. Fest steht aber, dass sich bezahlte Beschäftigte, vom Hausmeister bis zum Profisportler, organisieren können, um ihre gemeinsamen Interessen zu schützen, und Tarifverhandlungen führen können, die begrenzen und regeln, wie viel und was sie arbeiten. Angestellte sind seltener gewerkschaftlich organisiert, arbeiten aber ebenfalls im Rahmen eines etablierten Systems von Standards, die häufig von Fach- oder Berufsverbänden festgelegt werden. Schattenarbeiter genießen keinerlei Schutz. Sie sind eine politisch und sozial nicht organisierte Menge von Menschen, die einander nicht kennen, sich nicht zusammenschließen und kein Vehikel für koordinierte Aktionen haben. (Ihre einzige machtvolle Waffe ist der Boykott, doch selbst er erfordert gewöhnlich eine organisierte Führung.) Daher haben Schattenarbeiter in aller Regel niemanden, der ihre Interessen vertritt oder die kontinuierliche Einführung neuer Schattenjobs eindämmt.
In einer Reihe von Experimenten, die 2013 in Psychological Science veröffentlicht wurde, untersuchten Wissenschaftler das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit. Sie setzten Testpersonen mit Headsets an Computerterminals. Die Probanden konnten sich schöne Musik anhören (»Freizeit«) oder nach Wahl zwischendurch Lärm einblenden lassen (»Arbeit«). Hatte sich eine Gruppe (die Gutverdiener) 20-mal den Misston angehört, bekamen die Mitglieder ein Stück Schokolade. Die andere Testgruppe (die Geringverdiener) musste sich den Lärm 120-mal anhören, um sich die Schokolade zu verdienen. Das entspricht einem niedrigeren Stundensatz.
Die Testpersonen durften die Süßigkeiten aber erst in der nächsten Phase des Experiments verzehren. Nicht aufgegessene Schokolade durfte nicht mit nach Hause genommen werden. Nicholas Hune-Brown, der die Studie im Auftrag des kanadischen Online-Magazins Hazlitt auswertete, berichtete, dass die Forscher ihre Studie als »Simulation ›eines mikrokosmischen Lebens von begrenzter Dauer‹ bezeichnet hatten. Zunächst hatte man die Wahl zwischen Freizeit und Arbeit, dann konnte man konsumieren, was man erwirtschaftet hatte. Und wie im wirklichen Leben konnte man nichts mitnehmen.«
Überraschenderweise verdienten sich die Studienteilnehmer nicht nur so viel Schokolade, wie sie mit Genuss verzehren konnten, um dann wieder schöne Musik zu hören. Stattdessen häuften die Gutverdiener im Schnitt 10,74 Stück Schokolade an, aßen aber nur 4,26 und ließen das meiste der sauer verdienten Süßigkeit liegen. Die Geringverdiener brachten nicht ganz so viel Schokolade zusammen, wie sie essen konnten, hörten aber in etwa genauso oft den Misston wie die Gutverdiener. Hune-Brown gelangte zu dem Schluss, dass »beide Gruppen nicht über das optimale Ergebnis nachdachten, sondern darüber, wie viel Arbeit sie bewältigen konnten. Statt für eine möglichst angenehme Lebenserfahrung zu sorgen, arbeiteten sie unwillkürlich so viel wie möglich und häuften nutzlose Reichtümer an.« Dieses Phänomen bezeichneten die Forscher als »stupide Bereicherung« und verglichen den Überverdienst mit Überfütterung. Beides beschrieben sie als spezifische Probleme der Moderne, die mit dem materiellen Überfluss unserer Zeit einhergingen.
Tatsächlich scheint Arbeit in der heutigen Zeit wichtiger als alle anderen Werte. In manchen gesellschaftlichen Gruppen richtet sich die Aufmerksamkeit der Menschen nahezu vollständig auf die Arbeit, und zusammen mit ihrem Nebenprodukt, dem Geld, könnte sie zum einzig wahren Wert werden. Schauen wir uns ein paar Indizien für die Bedeutung an, die wir der Arbeit beimessen.
Im Profisport gilt es als eines der größten Komplimente, die Sportreporter einem Athleten machen können, wenn sie ihm eine »großartige Arbeitsmoral« bescheinigen. Amateure treiben aus Spaß Sport, Profis dagegen mit guter Arbeitsmoral