Zentralasien - Thomas Kunze - E-Book

Zentralasien E-Book

Thomas Kunze

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Beschreibung

Zentralasien ist seit zwei Jahrtausenden ein Schnittpunkt der Welt- und Religionsgeschichte. Perser, Griechen, Araber, Mongolen, Turkvölker und Russen hatten hier ihre Herrschaftsgebiete. Zarathustrier, Buddhisten, Juden, Christen und Muslime formten die Kultur der Region. Nach der Oktoberrevolu­tion gründete die neue Sowjetmacht hier die fünf Republiken Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbe­kistan, die 1991 eigenständige Staaten wurden. Für viele Europäer sind sie bis heute weitgehend unbekannte Gebiete.
Thomas Kunze beschreibt Geschichte, Sprache, Kultur und Politik in der Region, verbunden mit einem Blick auf die touristischen Metropolen und den Alltag der Menschen.

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Seitenzahl: 301

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Thomas Kunze

Zentralasien

Thomas Kunze

Zentralasien

Porträt einer Region

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage als E-Book, Mai 2018

entspricht der 1. Druckauflage vom Mai 2018

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Cover: Stephanie Raubach, Berlin, unter Verwendung eines Fotos des Bajterek-Turms im Zentrum von Astana, Kasachstan (thinkstock)

Karte: Peter Palm, Berlin

eISBN 978-3-86284-425-8

Inhalt

Vorwort

Landschaft

Fünf Länder auf vier Millionen Quadratkilometern

Steppen und Wüsten, Flüsse und Binnenmeere sowie atemberaubende Hochgebirge

Geschichte

Älteste Siedlungen

Erste Großreiche

Die Feudalstaaten

Die Periode der russischen Herrschaft

Die »Great Games« um die Region

Die Periode der sowjetischen Herrschaft

Unabhängigkeit

Glaube, Religion und Macht

Zoroastrismus

Buddhismus

Judentum

Christentum

Islam

Völker, Staaten und Sprachen

Neue Helden, Sowjetmenschen und nationale Identitäten

Staaten und Grenzen

Sprachen

Poetische Seelen

Politik und Gesellschaft in den unabhängigen Republiken

Kasachstan

Kirgistan

Tadschikistan

Turkmenistan

Usbekistan

Geopolitik um Zentralasien

Einflusszone Zentralasien

Wendepunkt 11. September 2001

Ein drittes Great Game?

Höhepunkte der Region

Alle Wege führen nach Samarkand

Buchara

Chiwa

Heilige Orte

Der Aralsee

Alltagserfahrungen

Architektur

Kleidung, Kunst und Kultur

Küche

Einkaufen

Ehe und Familie

Deutschlandbild

Nachwort

Anhang

Literaturempfehlungen

Basisdaten

Karte

Über den Autor

Vorwort

Zentralasien hat viele Wahrheiten und viele Gesichter. Realität und Fantasie, Aberglaube und Religion, Archaisches und Modernes vermischen sich in dieser Region zu einem einzigartigen Mosaik, das in seinem Zauber und Glanz an einen turkmenischen Teppich erinnert, dessen bunte Fäden horizontal und vertikal miteinander verwoben sind.

Seit zwei Jahrtausenden verbinden sich in Zentralasien Welt- und Religionsgeschichte mit großen Namen. Perser, Griechen, Parther, Araber, Mongolen, Turkvölker und Russen hatten hier ihre Herrschaftsgebiete. Feueranbeter, Buddhisten, Juden, Christen und Muslime formten die Kultur der Region. Alexander der Große überschritt den legendären Strom Oxus. Dschingis Khan eroberte in einem blutigen Feldzug die zentralasiatischen Steppen und Oasen. Tamerlan errichtete von hier aus ein Weltreich. Der russische Zar Alexander II. expandierte bis an die Grenze Afghanistans und schuf so die Basis dafür, dass später, nach der Oktoberrevolution, die Sowjets die fünf Republiken Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan gründeten. Sogenannte Great Games zwischen Großbritannien und Russland und zwischen der Sowjetunion und den USA prägten Zentralasien im 19. und 20. Jahrhundert.

Seit 1991 sind die zentralasiatischen Länder selbstständig. Orient und Sowjetvergangenheit, Demokratieprojekte und autoritäre Staatsstrukturen, Islamismus und Säkularismus stehen hier im einzigartigen Kontrast.

Dass es sich bei den fünf zentralasiatischen Staaten um verhältnismäßig sichere Reiseländer mit geringer Kriminalität handelt, hat sich noch nicht sehr weit herumgesprochen. Für viele Europäer sind sie Terra incognita geblieben. Ihre Nachbarschaft zu Afghanistan und Pakistan trägt dazu bei, dass man sie eher mit Terror und unruhigem Leben als mit ihrem antiken Erbe, der Seidenstraße und atemberaubenden Landschaften in Verbindung bringt. Einige der höchsten Berge der Welt liegen in Zentralasien. Die Sowjets tauften sie auf Namen wie Pik Pobeda (Gipfel des Sieges), Pik Kommunismus und Pik Lenin.

Aus Zentralasien dringen nur spärlich Informationen nach Europa. Oft herrscht Unkenntnis über die geografische Lage der zentralasiatischen Staaten. Und wer kann schon deren Hauptstädte zuordnen? Die Wahrnehmung Zentralasiens bewegt sich zwischen Vorstellungen über orientalische Romantik, den Glauben, dass die Region bis heute zu Russland gehört, bis hin zur Annahme eines fanatischen, kriegsbereiten Islams. Aber auch in Russland, das im 19. Jahrhundert nach Zentralasien vorgedrungen war, kann die nachwachsende Generation nur wenig mit der Region anfangen. Die Vorstellungen vieler junger Russen gleichen denen der weiter westwärts lebenden Europäer.

Da die Namen der fünf Länder mit derselben Silbe enden, werden sie oft abschätzig als »Stan-Länder« zusammengefasst. Das Wort »stan« ist persischer Herkunft und bedeutet im weitesten Sinne »Ort«. In diesem Fall ist mit Ort die Ansiedlung einer ethnischen Gruppe oder ethnisch verwandter Gruppen gemeint. Im heutigen Sprachgebrauch ist »stan« am ehesten mit dem Wort »Land« zu übersetzen: Land der Kasachen, Land der Usbeken usw.

Hinsichtlich der Komplexität ethnischer, religiöser und politischer Strukturen ist Zentralasien mit benachbarten Regionen zu vergleichen. Der Nahe und der Mittlere Osten sowie Zentralasien waren seit alters her ein Kulturraum – Epizentren der politischen und militärischen Rivalität zwischen Großmächten.

Russland, und später die Sowjetunion, spielte in der neueren Geschichte Zentralasiens eine bestimmende Rolle. Einst wurde die Region als »Russlands Orient« bezeichnet. Die Russen kolonialisierten »ihren Orient« und schlossen ihn in vielerlei Hinsicht an Europa an. Die erste Eisenbahn baute das Zarenreich in Zentralasien 1880.

Nach der Oktoberrevolution von 1917 gingen Modernisierung und Repression Hand in Hand. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten auf den Gebieten des heutigen Kasachstans und Kirgistans noch Nomaden gelebt. In Chiwa (Usbekistan) fanden bis 1913 Sklavenmärkte statt. Nun peitschten die Sowjets die Region in die bolschewistische Moderne. »Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes«, schrieb Lenin 1920. Der Fortschritt zog in Zentralasien mit Gewalt ein. Die Macht der Sowjets führte vor allem in der Stalin-Ära zu unvorstellbaren Repressionen. Doch Zentralasien wurde nach und nach nicht nur elektrifiziert, auch riesige Infrastrukturprojekte, von denen die Länder heute noch zehren, wurden aus dem Boden gestampft. Die Alphabetisierung der Bevölkerung nahm zu. Koranschulen mussten ihre Pforten schließen. In der Sowjetunion herrschte allgemeine Schulpflicht. Die Gesundheitsversorgung erreichte in der UdSSR zwar kein westliches Niveau, aber sie war flächendeckend und gelangte nach und nach auch in den letzten Winkel Zentralasiens. Die Sowjets verankerten ihre Weltanschauung in den über Jahrhunderte hinweg muslimisch geprägten sogenannten Mittelasiatischen Sozialistischen Sowjetrepubliken, die zu »Brudervölkern« wurden.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die fünf zentralasiatischen Staaten, deren Grenzziehung auf die Stalin-Ära zurückgeht, unabhängig. Die neuen Führungseliten, die sich aus der alten sowjetischen Nomenklatura rekrutiert hatten, taten zunächst das, was sie gelernt hatten. Ihr Politikstil erinnerte an den »demokratischen Zentralismus« der Sowjetunion und anderer Ostblockländer. Beschlüsse wurden von oben nach unten weitergereicht. Diskussionen waren nur in kleinen Dosen, in Form eines demokratischen Feigenblattes, erwünscht. Es entstanden Fassadendemokratien mit deklaratorischer Politik, die Pluralismus verhinderten und Personenkult förderten. Einen ausufernden Kult um den jeweiligen Präsidenten gibt es in Turkmenistan, Kasachstan und Tadschikistan bis heute.

Doch nach und nach gingen die neuen Republiken unterschiedliche Wege. Kasachstan und Turkmenistan verfügen über enorme natürliche Ressourcen. Sie wurden zu umworbenen Partnern Russlands, des Westens und Chinas im Wettbewerb um Öl, Gas und den Verlauf der entsprechenden Pipelines. Während Kasachstan daraus Nutzen ziehen konnte, steht Turkmenistan 2018 kurz vor dem Staatsbankrott. Es hat sich weitgehend an China verkauft. Das kleine Kirgistan genießt im Westen großes Wohlwollen, es gilt als »demokratische Insel« Zentralasiens. Allerdings ist das Land instabil, ethnische Konflikte und eine zunehmende Islamisierung machen heute der Regierung zu schaffen. Tadschikistan galt schon zu Sowjetzeiten als Armenhaus Zentralasiens. In den 1990er Jahren tobte hier ein blutiger Bürgerkrieg zwischen islamistischen Kräften und der neuen Staatsmacht, der – weitgehend vergessen von der Weltgemeinschaft – mehr als 50 000 Todesopfer forderte. Auch heute ist die Abwehr des Islamismus eine der wesentlichen Herausforderungen für die tadschikische Führung. Usbekistan galt lange Zeit als besonders autoritär, vor allem, wenn es um den Umgang mit Islamisten ging. Die Wirtschaftspolitik war streng autark, die usbekische Währung nicht konvertierbar. Doch seit 2017 öffnet und reformiert sich das Land unter einem neuen Präsidenten in atemberaubender Geschwindigkeit. Usbekistan ist das bevölkerungsreichste Land und der Stabilitätsanker der Region. Hier wird sich das Schicksal Zentralasiens entscheiden.

Das Verhältnis der zentralasiatischen Staaten zum einstigen »großen Bruder« Russland ist heute ambivalent. Kasachstan und Kirgistan pflegen gute Beziehungen, Usbekistan legt sich (noch) nicht fest, Turkmenistan bezeichnet sich als »ewig neutral«, und Tadschikistan ist darauf angewiesen, dass Russland den Weg für die vielen tadschikischen Gastarbeiter nicht versperrt.

Wie sind Geschichte und Religion in Zentralasien miteinander verwoben? Welchen Einfluss haben Russland, China und der Westen auf die Region? Welche Herausforderungen und Chancen liegen vor den zentralasiatischen Staaten, und welche Gefahren lauern?

In dem Buch »Das Ende des Imperiums. Was aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion wurde« habe ich 2015 gemeinsam mit Thomas Vogel die Entwicklung aller 15 früheren Sowjetrepubliken nach 1991 beschrieben. Das vorliegende Buch setzt das fort und konzentriert sich dabei ausschließlich auf Zentralasien, das im Verbund der Sowjetunion durch die muslimische Mehrheitsbevölkerung eine Sonderrolle spielte. Es soll die Leser mitnehmen auf eine hoffentlich interessante Reise in eine Region, die Aufmerksamkeit nötig hat und verdient.

Thomas Kunze

Taschkent, 2018

Landschaft

Fünf Länder auf vier Millionen Quadratkilometern

Im Jahr 1829 reiste Alexander von Humboldt im Auftrag der Kaiserlich-Russischen Geographischen Gesellschaft nach Zentralasien. Gemeinsam mit dem russischen Geografen Nikolai Przewalski prägte er den Terminus »Zentralasien« und beschrieb damit einen sehr großen geografischen und politischen Raum, der sich vom südlichen Altai bis zum nördlichen Himalaja ausdehnte. Neben den Territorien der heutigen fünf Staaten umfasste die damalige Definition zusätzlich Tibet, Xinjiang, die Innere Mongolei, Südsibirien, Nordafghanistan, Punjab, Kaschmir sowie die Bergregionen zwischen Indien, Afghanistan, Pakistan und China. Dieser weitergehende Zentralasien-Begriff berücksichtigte historisch gewachsene Verflechtungen. Er hilft uns, die kulturellen Zusammenhänge der Gesamtregion zu verstehen.

Die Region, wie wir sie heute kennen und wie sie in diesem Buch beschrieben wird, erstreckt sich über eine Fläche von knapp vier Millionen Quadratkilometern. Zum Vergleich: Die Europäische Union umfasst mit Großbritannien 4,48 Millionen Quadratkilometer. Zentralasien grenzt im Norden an Russland, im Süden an Afghanistan und den Iran, im Westen an das Kaspische Meer und im Osten an China. Die Region umfasst die fünf Länder, für die bis ins 20. Jahrhundert hinein auch die Bezeichnung »Turkestan« gebräuchlich war. Sie ist nicht ganz korrekt, weil in Zentralasien nicht nur Turkvölker leben, sondern mit den Tadschiken auch ein persischstämmiges Volk ansässig ist.

Das flächenmäßig größte und bevölkerungsmäßig zweitgrößte Land der Region ist Kasachstan, das eine Landmasse von fast 2,8 Millionen Quadratkilometern umspannt und 17,5 Millionen Menschen beheimatet. Turkmenistan ist mit 491 200 Quadratkilometern und 5,4 Millionen Einwohnern das flächenmäßig zweitgrößte und bevölkerungsmäßig fünftgrößte Land. Von der Fläche her folgt Usbekistan mit 447 400 Quadratkilometern, das jedoch mit seinen 31 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land der Region ist – fast die Hälfte der Bevölkerung Zentralasiens lebt hier. Sowohl flächen- als auch bevölkerungsmäßig an vierter Stelle liegt Kirgistan mit 6 Millionen Menschen auf 198 000 Quadratkilometern. Der kleinste Staat der Region ist Tadschikistan. Es besitzt mit 142 000 Quadratkilometern die kleinste Landfläche und zählt 8,4 Millionen Einwohner.

Steppen und Wüsten, Flüsse und Binnenmeere sowie atemberaubende Hochgebirge

Die Naturlandschaft Zentralasiens ist mit Wüsten, Steppengebieten und Hochgebirgen überaus kontrastreich. Kasachstan und Turkmenistan besitzen Zugang zum Kaspischen Meer, dem größten See der Erde. Seine Wasserfläche beträgt 371 000 Quadratkilometer. Das entspricht ungefähr der Fläche der Ostsee. Das Kaspi, wie es in der Region genannt wird, ist ein Wasserkorridor gen Westen. Über die Wolga, den Wolga-Don-Kanal und den Don bestehen schiffbare Verbindungen zum Asowschen Meer und somit zum Schwarzen Meer und zum Mittelmeer; über die Wolga und den Wolga-Ostsee-Kanal gelangen Schiffe bis in die Nordsee. Einst war das Kaspische Meer die wichtigste Ressource für schwarzen Kaviar, denn hier befinden sich die weltgrößten Störbestände. Heute ist die Bedeutung des ohnehin überfischten Störs eher gering. Unter dem Kaspischen Meer befinden sich riesige Erdöl- und Erdgaslagerstätten, die Milliardengeschäfte verheißen. Doch die ökologischen Folgen der Rohstoffförderung sind katastrophal. Die Wasserverschmutzung des Kaspischen Meeres liegt ein Vielfaches über internationalen Grenzwerten.

In Kasachstan befindet sich der 17 Quadratkilometer große Balchaschsee, ein einzigartiges Gewässer: Sein westlicher Teil besteht aus Süßwasser, der östliche aus Salzwasser. Kirgistan verfügt mit dem Issyk-Kul-See über den zweitgrößten Gebirgssee der Erde nach dem Titicacasee in Südamerika; er ist zudem einer der tiefsten. Mehr als 1607 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, beträgt seine Fläche fast 7000 Quadratkilometer, seine Maximaltiefe 702 Meter. Auch wenn die Temperaturen im Winter in den tiefen Frostbereich fallen, vereist der See nicht. Die Gründe dafür liegen im Salzgehalt des Wassers und in seiner Tiefe. Während der Sowjetzeit war der Issyk-Kul-See ein beliebter Urlaubsort, auch heute zieht er noch jedes Jahr Tausende Touristen an.

In Zentralasien liegen aber auch drei riesige Wüsten, die Karakum-Wüste (»Schwarzer Sand«) und die Kisilkum-Wüste (»Roter Sand«) sowie die Aralkum-Wüste. Letztere hat sich auf dem Grund des austrocknenden Aralsees gebildet, der eingeschlossen zwischen den Steppenlandschaften Kasachstans und Usbekistans liegt. Noch in den 1960er Jahren war der Aralsee mit einer Fläche von 68 000 Quadratkilometern der viertgrößte See der Welt. Menschlicher Raubbau an der Natur hat ihn über die Jahrzehnte hinweg zu einer Salzwüste verkommen lassen und dadurch eine Umweltkatastrophe in der ganzen Region ausgelöst.

Die zwei größten Steppengebiete der Region sind die Kasachische Steppe und die Hungersteppe, eine Halbwüste in Usbekistan und Kasachstan. Sie sind Teil des eurasischen Steppensystems, das auch den westlichen Teil der pontokaspischen und den östlichen Teil der mongolisch-mandschurischen Steppe umfasst. Die Hungersteppe wird auch »Betpak-Dala«, die böse Ebene, genannt. Große Hitze im Sommer, eisige Kälte im Winter sowie immer wiederkehrende Moskito- und Zeckenplagen machen sie zu einem unwirtlichen Ort. Verstärkt wurde dieses finstere Bild durch ein rätselhaftes Antilopensterben 2015, dem innerhalb weniger Wochen über die Hälfte der Population der berühmten Saiga-Antilopen zum Opfer fiel. Einheimische geben giftigem Raketentreibstoff die Schuld, der bei Fehlstarts vom Kosmodrom Baikonur, dem von Russland in Kasachstan betriebenen größten Raketenstartplatz der Welt, in die Umwelt gelangt sein soll.

Die beiden größten Ströme Zentralasiens sind der Amudarja und der Syrdarja. In der Antike trugen sie die Namen Oxus und Jaxartes. Ihre Flussläufe begrenzten das historische und geografische Transoxanien (Land jenseits des Oxus). Die Bezeichnung Transoxanien wird in historischen Schriften für Zentralasien verwendet. Auf alten deutschen Karten hießen sie Amu und Sir. Bis in die Gegenwart hinein bilden der Amudarja und der Syrdarja mit ihren Tälern ein eng verbundenes, komplexes System, das der Lebensraum für den Großteil der Bevölkerung Zentralasiens ist. Wegen der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung erreicht das Wasser beider Flüsse heute kaum noch den Aralsee, was zu dessen Austrocknung geführt hat. Baumwollanbau – einst von den russischen Zaren befohlen und bis heute landwirtschaftliche Haupteinnahmequelle – stellt dabei das größte Problem dar. Baumwolle gehört zu den bewässerungsbedürftigsten Pflanzen, die es gibt.

Der gewaltige Amudarja-Strom entspringt den Gletschern des tadschikischen Hochgebirges und versorgt auf einer Gesamtlänge von 1415 Kilometern die Städte und landwirtschaftlichen Gebiete Tadschikistans, Turkmenistans, Usbekistans sowie die nördliche Region Afghanistans. Im Mittelalter wurde er auf Persisch und Arabisch »Jeyhun« genannt, was mit »rasend« übersetzt werden kann. Als das Wasser des Amudarja noch in den usbekischen Teil des Aralsees floss, bildete es dort ein malerisches Delta, um das herum alte Zivilisationen wie Baktrien und Choresmien blühten.

Der Syrdarja nimmt seinen Ursprung in den Gletschern des kirgisischen Teils des Fergana-Tals. Das Tal ist die fruchtbarste und heute am dichtesten besiedelte Region Zentralasiens. Dort entspringen die Flüsse Naryn und Karadarja und fließen zum Syrdarja zusammen. Mit 2212 Kilometern ist er länger als der Amudarja, kann ihm aber im Hinblick auf das Volumen nicht das Wasser reichen. Der Syrdarja windet sich durch die Steppen Tadschikistans, Usbekistans und Kasachstans und mündet dort in den nördlichen Teil des Aralsees. Da der Syrdarja noch Wasser in den geschundenen See bringt, haben die Kasachen eine Staumauer im Aralsee errichtet. Sie verhindert, dass Wasser aus ihrem Teil, den sie nun als »kleinen Aralsee« bezeichnen, in den austrocknenden übrigen Aralsee fließt.

Von Bedeutung sind ferner die zentralasiatischen Flüsse Zarafshan und Murgab. Ihre Ufer waren schon in der Frühzeit besiedelt. Der Zarafshan entspringt den gleichnamigen Gletschern und fließt fast 900 Kilometer durch Tadschikistan und Usbekistan. In seinen fruchtbaren Tälern erblühte einst die Kultur Sogdiens. Samarkand, das frühere Marakanda, liegt am Ufer des Zarafshan.

Der Murgab ist knapp 1000 Kilometer lang und nimmt seinen Ursprung in den Bergen Afghanistans. Er fließt durch trockene Gebiete Turkmenistans und versorgt ein ganzes Netzwerk von städtischen Siedlungen mit Wasser. An seinem Ufer liegen die Ruinen der Stadt Merw.

Einige der höchsten Berge der Welt befinden sich in Zentralasien. Sie gehören zu den Gebirgsketten Tian Shan und Pamir. Der mit 7495 Metern höchste Gipfel Zentralasiens, der Pik (Spitze) Ismail Samani, gehört zu Tadschikistan. Früher trug er die Namen Pik Stalin (1932 –1962) und Pik Kommunismus (1962 –1998). Die jetzige Namensgebung Ismail Samani verweist auf den Begründer eines Reiches im 9. Jahrhundert, das für die Tadschiken als erstes staatliches Gebilde gilt. Der zweithöchste Gipfel Zentralasiens ist der Pik Pobeda (Gipfel des Sieges), der sich mit einer Höhe von 7439 Metern auf kirgisischem Territorium befindet. In Kirgistan und Tadschikistan liegt der 7134 Meter hohe Pik Lenin. In Tadschikistan wurde er 2006 in Pik Avicenna umbenannt. Für die Kirgisen ist er nach wie vor Pik Lenin. Hundert Meter vom Lenin-Gipfel entfernt ragt auf tadschikischem Territorium der Pik Revolution mit einer Höhe von 6940 Metern empor. Heute nennen ihn die Tadschiken Pik Istiqlal (Gipfel der Unabhängigkeit). Der legendenumwobenste und wohl auch schönste Berg der Region ist der pyramidenartige, knapp 7000 Meter hohe Khan Tengri (Himmelsherrscher), auf dessen Gipfel die Grenze zwischen Kasachstan, Kirgistan und China verläuft. Der »Himmelsherrscher« hatte bereits einen legendären Ruf, bevor seine genaue geografische Lage von europäischen Forschern vermessen wurde. Der deutsche Bergsteiger Gottfried Merzbacher (1843 –1926) entdeckte den Berg im Jahre 1902. Er tauchte wie eine Fata Morgana auf, so Merzberger. Den Khan Tengri umlagern hohe, völlig in Eis gepanzerte und nur an wenigen Stellen überschreitbare Bergketten.

Malerische Bergketten durchziehen auch Usbekistan, allerdings sind sie nicht so hoch wie in den Nachbarländern. Mit 4688 Metern ist der Babatang der höchste Berg des Landes. Der höchste Berg Turkmenistans ist der 3139 Meter hohe Ayrybaba.

Die Hochgebirgserforschung Zentralasiens begann mit dem Deutschen Adolf Schlagintweit (1829 – 1857), der im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. und der Britischen Ostindien-Kompanie im Jahre 1854 gemeinsam mit seinem Bruder eine Zentralasienexpedition unternahm. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden überall auf der Welt die Hochgebirge erforscht. Die Geologen und Geografen der Kolonialmächte beschäftigten sich zur Wende zum 20. Jahrhundert mit der Frage, welche Gebiete der Erde bis dahin noch unbekannt geblieben seien. Der 1873 gegründete Deutsche und Österreichische Alpenverein war dabei einer der aktivsten Verbände. Die erhabene, noch nie vorher betretene Gletscherwelt der zentralasiatischen Hochgebirge lockte mehrere Expeditionen in die bis dato unbekannte Gegend. Manchmal wurden die Bergsteiger auch von Prominenten begleitet, so zum Beispiel 1907 von Prinz Arnulf von Bayern (1852 –1907), dem Sohn des bayerischen Prinzregenten, der auf der Heimreise von der Zentralasienexpedition starb.

Geschichte

Älteste Siedlungen

Ungefähr 30 Kilometer von der turkmenischen Hauptstadt Aschgabat entfernt gelegen, in der Wüste Karakum, liegt Dscheitun. In den 1940er Jahren fanden sowjetische Archäologen hier eine Siedlung, die als ältester bewohnter Ort Zentralasiens gilt. Sie wird auf 6000 v. Chr., d. h. in die Periode der Jungsteinzeit datiert. Die archäologischen Funde belegen nomadische Jägerkulturen und für die spätere Periode Dschaituns auch Ackerbau und Haustierhaltung. Im 4. und 3. vorchristlichen Jahrtausend sind in Zentralasien frühe Siedlungen belegt, in denen Stämme unbekannter Herkunft, wahrscheinlich Draviden, lebten. Im 2. und 1. vorchristlichen Jahrtausend siedelten in Zentralasien frühiranische Stämme. Sie wurden zu Vorfahren verschiedener ostiranischer Völker: Sogdier, Baktrier, Choresmier und Saken. Zur gleichen Zeit entstanden in Ägypten und Mesopotamien erste Hochkulturen. Auf dem Gebiet des heutigen Tadschikistans wurde in der Provinz Sughd, in der Nähe von Pandschakent, eine Siedlung aus der Frühbronzezeit entdeckt, die unter Archäologen weltweit für Furore sorgte. Es handelte sich dabei um das alte Sarazm (Wo das Land beginnt), was um 3500 v. Chr. von Kolonisten aus Oasen im Süden des heutigen Turkmenistans besiedelt wurde. Sarazm dehnte sich auf einer Fläche von 100 Hektar aus, auf der Ackerbau betrieben wurde. Bronzefunde belegen eine hochstehende Kultur, die bereits Fernhandel trieb. Seit 2010 zählt die Stätte zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Das Gebiet der Sogdier, Sogdien, ist die historische Bezeichnung für einen Teil Zentralasiens. Sogdien war kein Reich, es handelte sich um ein Netz von Siedlungen, das über Jahrtausende hinweg verschiedenste Reiche überlebte. Eine der Siedlungen war Marakanda, das später Samarkand hieß. Großreiche entstanden, deren Einfluss bis hinein in chinesische, indische, iranische und europäische Kulturen reichte. Oft gingen sie in blutigen Kriegen unter. Die letzten sogdischen Städte verschwanden im zweiten vorchristlichen Jahrhundert durch den Einfall von Nomadenstämmen.

Erste Großreiche

Das Persische Reich (Achämidenreich) (6.–4. Jahrhundert v. Chr.)

Um 530 v. Chr. eroberte die persische Dynastie der Achämeniden Teile der Oasen Zentralasiens, die von Sogdiern und Baktriern besiedelt waren. Es entstand das Achämenidenreich, auch Erstes Persisches Reich genannt.

Alexander der Große und sein Reich in Zentralasien (4.– 3. Jahrhundert v. Chr.)

323 v. Chr. überquerte Alexander der Große den Oxus während seines Feldzuges gegen die Perser. Wenige Kilometer von der heutigen usbekisch-afghanischen Grenzstadt Termez entfernt – manchen Deutschen ist ihr Name bekannt, weil die Bundeswehr während des Afghanistankrieges hier einen Stützpunkt unterhielt – liegt am Ufer des Amudarja die Ruinenstadt Kampyr Tepa. Dabei handelt es sich um eine hellenistische Stadtgründung, die nach Alexander dem Großen benannt worden war. In den Schlachten bei Granicus (334 v. Chr.), Issos (333 v. Chr.) und Gaugamela (331 v. Chr.) bezwang der Griechenherrscher die Perser unter Dareios III. Ein neues Großreich entstand, das bis ins zentralasiatische Fergana-Tal reichte. Sein äußerster Vorposten war Alexandria Eschate (heutiges Kokand). Damit begann die hellenistische Periode Zentralasiens, die über 100 Jahre andauerte. Eine Nomadeninvasion bereitete ihr ein Ende. Das Erbe der hellenistischen Periode findet sich dennoch bis heute in Kunst und Architektur Zentralasiens wieder.

Seleukidenreich, Griechisch-Baktrien, Parther und Saken (3.– 1. Jahrhundert v. Chr.)

Das Seleukidenreich gehörte zu den sogenannten Diadochenstaaten, die nach dem Tod Alexander des Großen gegründet worden waren. Es existierte zwischen dem 3. und 1. Jahrhundert v. Chr. Ein Stadthalter der Seleukiden, Diodotos I. (285 – 235 v. Chr.), gründete das Griechisch-Baktrische Reich, das auch die Territorien des heutigen Tadschikistans, Turkmenistans, Usbekistans und Nordafghanistans umfasste. Baktrier, ein frühes iranisches Volk, lebten im 2. Jahrhundert v. Chr. in einem Gebiet zwischen dem Oxus und dem Hindukusch-Gebirge. Sie verschmolzen später mit den Sogdiern und den Persern. Die Nachfolgestaaten Alexanders des Großen gerieten durch Reiternomaden immer mehr unter Druck. Seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. verdrängten nomadisierende Saken die restlichen griechischen Einflüsse. Die Saken waren mit den Skythen verwandt: Reiternomadenvölker, die schon seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. die eurasischen Steppen weiter nördlich bevölkert hatten. Vom ersten vorchristlichen bis zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert waren die Parther im westlichen Teil Zentralasiens, bis weit hinein auf das heutige Territorium Turkmenistans und bis an das westliche Ufer des Oxus, die bestimmende Macht. Nisa, westlich von Aschgabat gelegen, war eine ihrer Residenzen. Es handelte sich bei den Parthern wahrscheinlich um einen Stamm der Skythen, der bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. das Seleukidenreich erobert hatte. Später wurde das Reich der Parther zum Rivalen von Rom beim Kampf um dessen östliche Gebiete. Das Heer der Parther besiegte 53 v. Chr. in der Schlacht von Carrae (heutiges Harran, Türkei) die Römer und verhinderte damit die Ausbreitung des Römischen Reiches in Richtung des heutigen Irans und Zentralasiens.

Kuschanenreich (100 – 250 n. Chr.)

Ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. breiteten sich die indoeuropäischer Stämme der Yuezhi aus, deren ursprüngliches Siedlungsgebiet auf dem Territorium des heutigen Chinas lag. Mit ihrem Vordringen verlieren sich die Spuren der letzten griechisch-baktrischen Herrscher endgültig. Die Yuezhi wurden zu Gründern des Kuschanenreiches. In dieser Zeit dringt auch das chinesische Reich unter Kaiser Wudi (141 – 87 v. Chr.) aus der Han-Dynastie nach Zentralasien vor. In der Blütezeit des Kuschanenreiches, zwischen 100 und 250 n. Chr., reichte es von Nordindien bis zum Aralsee. Die Expansion der Kuschanen legte den Grundstein für die Entwicklung der Seidenstraße, ein Netz von Karawanenstraßen, dessen Haupttrasse Ostasien über Zentralasien mit dem Mittelmeer verband. Ein junger Chinese namens Zhang Qian erkundete im Auftrag von Kaiser Wudi erstmals die Gebiete westlich von China. In Zentralasien begann der Austausch zwischen östlichen und westlichen Kulturen. Der Begriff »Seidenstraße« wurde aber erst im 19. Jahrhundert im allgemeinen Sprachgebrauch verankert. Der deutsche Geograf Ferdinand von Richthofen, der zwischen 1868 und 1872 mehrere Expeditionsreisen nach Zentralasien und China unternahm, hat ihn geprägt.

Zweites Persisches Reich (Sassanidenreich) (3.–7. Jahrhundert)

Im 3. Jahrhundert beendeten sassanidische Perser die Vorherrschaft der Parther und Kuschanen in Zentralasien. Es entstand das Sassanidenreich, auch Zweites Persisches Reich genannt. Das Imperium geriet 150 Jahre später unter Druck. Im 5. Jahrhundert drangen Hephthaliten, auch Weiße oder Iranische Hunnen genannt, vor und errichteten in Transoxanien eine eigene Herrschaft, die bis Mitte des 6. Jahrhunderts Bestand hatte. 561 besiegten die sassanidischen Perser in einem Bündnis mit dem Nomadenstamm der Kök-Türken (auch: Blaue Türken) in der Schlacht von Buchara die Weiße-Hunnen-Herrschaft. Nun konzentrierten die Perser ihre Kraft auf den Kampf gegen das Oströmische Reich. 614 eroberten sie Jerusalem und 619 Ägypten, die »Kornkammer Ostroms«. 626 standen sie schließlich vor den Toren der oströmischen Hauptstadt Konstantinopel (heute Istanbul). Da wurde ihr eigenes Reich von den Kök-Türken angegriffen, die Perser befanden sich unter Schah Chosrau II. Parwez (570 – 628) plötzlich in einem Zweifrontenkrieg, dem sie nicht gewachsen waren. Sie zogen sich auf ihr Territorium zurück. In der Region tauchten die Araber als neue Macht auf. Sie zerschlugen das Zweite Persische Reich endgültig. Dessen letzter Herrscher, Yazdegard III., wurde 651 in Merw ermordet.

Das Reich der Kök-Türken (7. Jahrhundert)

Zentralasien gehörte nun zum Reich der Kök-Türken, das sich im Abwehrkampf gegen die vordringenden Araber befand. 673 überquerten sie zum ersten Mal den Oxus. Die führende Dynastie der arabischen Welt waren damals die Umayyaden. Sie herrschten als Kalifen von Damaskus aus über das noch junge islamische Imperium und begründeten die erste Herrscherfolge der islamischen Geschichte.

Die arabische Umayyaden- und Abbasiden-Herrschaft (8.–11. Jahrhundert)

In der ersten Phase der arabischen Epoche Zentralasiens beschränkten sich die künftigen Herrscher zunächst auf Beutezüge. Sie drangen dabei bis nach Buchara vor. Erst im 8. Jahrhundert begannen sie mit Eroberungs- und Islamisierungsfeldzügen. Dabei stießen sie auf den Widerstand von sogdischen Kleinstaaten und der Kök-Türken. 740 wurde die Umayyaden-Dynastie durch die Abbasiden abgelöst. 751 besiegten die arabischen Eroberer in der Schlacht in der Nähe der Stadt Taraz am See Talas (heutiges Südkasachstan) eine chinesisch-türkische Armee. Im Westen unterwarfen sich große Teile von Transoxanien und Choresmien, der Region am Unterlauf des Amudarja und dessen Mündung in den Aralsee. Damit herrschte das arabische Kalifat, unter der Dynastie der Abbasiden, über den Westen Zentralasiens mit seinen Zentren Samarkand, Buchara und Merw. Im Osten Zentralasiens konnten sich Turkstämme und Uiguren, eine turksprachige Ethnie, die heute mehrheitlich in der chinesischen Provinz Xinjiang lebt, behaupten. Dort, wo die Abbasiden herrschten, konnten sich auch regionale Fürsten an der Macht halten, sie regierten aber im Auftrage des Bagdader Kalifen und waren von ihm anhängig. Die Araber verloren erst im 11. Jahrhundert wieder ihren Einfluss in Zentralasien.

Die persische Samanidenherrschaft (9. – 10. Jahrhundert)

Im 9. Jahrhundert begann in Buchara und Samarkand der Aufstieg der Dynastie der Samaniden. Hier liegen die Wurzeln des heutigen Volkes der Tadschiken. Auch sie unterstanden dem arabischen Kalifat, konnten jedoch weitgehend unabhängig agieren. Unter der Samanidenherrschaft entwickelte sich Buchara zum Zentrum persischer Kultur und Architektur. Die Samaniden integrierten heidnische Turkvölker in ihre Armee. Das sollte sich bald rächen. Es kam zu Aufständen und Rebellionen innerhalb des Heeres, die sich gegen den Samaniden-Emir richteten. Auch von außen war die Samanidenherrschaft bedroht.

Die türkische Seldschukenherrschaft (11.– 12. Jahrhundert)

Im 10. Jahrhundert betraten die Ogusen, schlagkräftige islamisierte turkstämmige Nomaden unter ihrem Anführer Seldschuk die Bühne der Weltgeschichte. In persischen und arabischen Quellen werden die Ogusen auch als Turkmenen bezeichnet. Die Samanidendynastie zerfiel in zermürbenden Kriegen gegen die Ogusen und nomadische Karluken unter der Dynastie der Karachaniden, und es entstand das Seldschukenreich. Anfang des 12. Jahrhunderts kam es infolge von Thronkämpfen zu dessen Teilung. 1041 erlitten die Seldschuken bei Samarkand eine vernichtende Niederlage gegen die Reiterarmee der Schwarzen Kitai, einem Nomadenstamm aus dem westlichen China und der Mongolei. Der letzte Sultan der Seldschuken, Sanjar (1118 – 1157), regierte von Merw aus.

Das Reich der Schwarzen Kitai (1140 – 1218)

Ein halbes Jahrhundert lang schafften es die Schwarzen Kitai (Kara Kitai), in Zentralasien die Oberherrschaft zu halten. Ihre Hauptstadt war Balasagun (heutiges Kirgistan). Choresmien befreite sich als Erstes aus der Oberhoheit der Schwarzen Kitai, deren Herrschaft bald auch von den Mongolen bedroht wurde.

Die Mongolenherrschaft, das Timuridenreich und der Schaibanidenstaat (13.– 16. Jahrhundert)

Der im 13. Jahrhundert beginnende »Mongolensturm« bezeichnet den Einfall der Mongolen in zahlreiche Staaten Asiens und Europas. Die Kara Kitai wurden 1218 vom Mongolenreich unterworfen. Dschingis Khan (vermutl. 1155 – 1227) hatte mehrere mongolische Stämme vereint und eroberte mit einer effektiven und brutalen Militärmaschinerie weite Teile Zentralasiens und Nordchinas. Nach dem Tod von Dschingis Khan zerfiel zwar dessen Großreich, die expansive Politik setzte sich aber in den Nachfolgestaaten fort. Es existierten vier verschiedene mongolische Khanate (Staatsgebilde, vergleichbar mit den europäischen Fürstentümern): das Khanat der Goldenen Horde, das Tschagatai-Khanat, den Staat Il-Khane und das Reich der Yuan-Dynastie. Der Begriff »Khan« war ursprünglich für Herrscher gebräuchlich, die in der Nachfolge von Dschingis Khan standen. Andere Führer nannten sich Emir.

Im Jahre 1260 boten die ägyptischen Mamelucken und 1262 die Ungarn den Mongolen in zwei wichtigen Schlachten Einhalt und stoppten deren Siegeszug in den Nahen Osten und nach Europa.

Im Khanat der Goldenen Horde regierte zwischen 1312 und 1342 Mohammed Usbek Khan (1283 – 1341). Zu seiner Zeit wurde das Khanat der Goldenen Horde auch schon als »Land Usbeks« bezeichnet, worauf der spätere Name Usbekistan zurückgeht. In einem anderen Nachfolgestaat des Reiches von Dschingis Khan, dem Tschagatei-Khanat, wuchs der spätere Emir Amir Timur (1336 – 1405, auch Tamerlan genannt) auf. Er entstammte einem mongolischen Nomadenstamm, der die Turksprache angenommen hatte, und gilt als Begründer der Timuriden-Dynastie. Tamerlan ist einer der größten und gewaltsamsten Eroberer der Weltgeschichte. Zwischen 1380 und 1405 brachte er ein Gebiet unter seine Kontrolle, das sich über Zentralasien, Teile des heutigen Indiens, des Iraks, Afghanistans, Irans, Aserbaidschans, Georgiens, Syriens und der Türkei erstreckte. In der Schlacht von Angora (heutiges Ankara) im Jahr 1402 besiegte er, selbst fast schon blind, das osmanische Heer unter Sultan Beyazid I. Der Sultan starb in Gefangenschaft. Seine Söhne akzeptierten Tamerlans Überlegenheit, so dass es im folgenden Jahrzehnt keinen türkischen Sultan geben sollte. Hauptstadt des neuen Riesenreiches wurde Samarkand. In den Thronfolgekämpfen nach Tamerlans Tod setzte sich dessen Sohn Schah Ruch (1377 – 1447) durch. Er verlegte die Hauptstadt des Reiches nach Herat (heutiges Afghanistan) und machte Persisch zur Staatssprache. Seine Nachfolge trat Sohn Ulugbek (1394 – 1449) an, der bereits Statthalter in Samarkand war. Ulugbeks Name ist bis heute mit seinen astronomischen Aufzeichnungen und dem berühmten Observatorium in Samarkand verbunden. Das Timuridenreich konnte er nicht zusammenhalten. Nach seinem Tod kam zu Thronstreitigkeiten, und es zerfiel Ende des 15. /Anfang des 16. Jahrhunderts. Die Dynastie der Timuriden indes lebte außerhalb Zentralasiens fort. Zahir ad-Din Muhammad Babur (1483 – 1530), aus dem Fergana-Tal stammend, machte Kabul zu seiner neuen Hauptstadt. 1526 eroberte er Teile des heutigen Indiens. Seine Nachfahren regierten bis 1858 in Dehli. Dann wurden sie von den Briten vertrieben. Die Timuriden-Ära war eine der wichtigsten Perioden für die Entwicklung einer muslimischen Kultur in Zentralasien.

In Zentralasien wurden die Timuriden von Schaibaniden, einer Dynastie nomadisierender Usbeken, in mehreren Schlachten geschlagen. Die usbekischen Nomadenstämme türkischer und mongolischer Herkunft eroberten schließlich ganz Transoxanien und gelten als Vorfahren der heutigen Usbeken. Der Staat der Schaibaniden existierte ungefähr 100 Jahre und verschwand Ende des 16. Jahrhunderts. Unter schaibanidischer Führung hatte vor allem die regionale Wirtschaft gelitten, nicht zuletzt, weil sie durch den weltweit aufblühenden Seehandel Einnahmequellen verloren hatte. Es folgte die Zeit der Feudalstaaten mit einer Mehrzahl von Khanaten in Zentralasien.

Die Feudalstaaten

Usbeken-Khanat (16. – 18. Jahrhundert)

Bekanntester Usbeken-Khan ist Abdulla II. (1533 – 1598), der sich mit den osmanischen Türken im Bündnis befand. Unter ihm blühten Kultur und Kunst auf. Teppiche aus Buchara fanden erstmals den Weg nach Europa und wurden in Italien gehandelt.

Kasachen-Khanat (16. Jahrhundert)

Als Vorfahren der Kasachen gelten Steppennomaden, die im frühen 16. Jahrhundert ein erstes vorstaatliches Gebilde errichteten, allerdings mit einer relativ schwachen Staatsgewalt. Die Kasachen wurden dennoch zu einer Gefahr für die aufstrebenden Usbeken. Sie drangen kurzzeitig bis nach Taschkent, Buchara und Samarkand vor.

Die Khanate von Chiwa (1512 – 1920) und von Kokand (1710 – 1876) und das Emirat von Buchara (1785 – 1920)

Eine Zäsur für die islamische Welt bildete das Aufkommen der türkischen Dynastie der Safawiden, die von 1501 bis 1722 in Persien regierte und den schiitischen Islam als Staatsreligion etablierte. Ihr Reich in seiner größten Ausdehnung reichte zu Beginn des 16. Jahrhunderts bis in das Gebiet des heutigen Turkmenistans hinein.

Die Feudalzeit wird in Zentralasien aber vor allem durch drei Staatengebilde geprägt, von denen das Emirat von Buchara das bedeutendste war. Die Macht im Emirat lag nun in den Händen der Usbeken-Dynastie von Mangiten. 1740 eroberten und zerstörten die Mangiten die Stadt Merw, führten die Einwohner in die Gefangenschaft oder siedelten sie um.

Das Khanat von Chiwa war wirtschaftlich und politisch schwächer als sein Nachbar. Es litt unter Auseinandersetzungen der usbekischen, karakalpakischen und turkmenischen Bevölkerungsgruppen. Turkmenen waren vor allem als Sklavenjäger gefürchtet.

Im Fergana-Tal gründete ein Nachfolger der Scheibaniden, Schah Rukh, 1710 das Khanat von Kokand, das weite Gebiete des heutigen Kirgistan umfasste. Er widersetzte sich permanenten Einfällen kasachischer Stämme in das Gebiet. Auch das Emirat von Buchara führte im 19. Jahrhundert Eroberungsfeldzüge nach Kokand. Das Khanat war bis ins 18. Jahrhundert hinein ein Vasallenstaat Chinas.

Die Periode der russischen Herrschaft

Russische Expansion nach Zentralasien

Mitte des 19. Jahrhunderts drangen erstmals russische Truppen nach Zentralasien vor. Nachdem russische Armeen Gebiete des heutigen Usbekistans und Kasachstans unter Kontrolle gebracht hatten, errichtete General Konstantin von Kaufmann 1867 das Generalgouvernement Turkestan, dem zwischen 1881 und 1885 auch Aschgabat und Merw angegliedert wurden. Das Emirat von Buchara verlor sein östliches Territorium, das heutige Tadschikistan, an das russische Generalgouvernement. Das verbliebene Emirat und das Khanat Chiwa erhielten den Status von Vasallenstaaten. Unter russischer Herrschaft wurde Steppenland für die Landwirtschaft nutzbar gemacht, wodurch bald der Baumwollanbau in der Region expandierte. Die erste Eisenbahnlinie führte 1880 vom Kaspischen Meer nach Gyzylarbat (heutiges Serdar in Turkmenistan), dann ab 1885 nach Aschgabat (heutige Hauptstadt Turkmenistans) und 1886 weiter bis nach Neu-Buchara (heutiges Kogon in Usbekistan). 1888 wurde die Brücke über den Amudarja eingeweiht, und die Eisenbahn gelangte bis nach Samarkand. Zehn Jahre später, im Jahr 1898, wurde das Fergana-Tal und 1899 Taschkent an das Eisenbahnnetz angeschlossen.

Britische und russische Ambitionen

Mitte des 18. Jahrhunderts hatte Großbritannien begonnen, den Einfluss der europäischen Kolonialmächte Portugal, Niederlande und Frankreich in Indien zurückzudrängen und seine Macht auf den indischen Subkontinent auszuweiten. Im 19. Jahrhundert hielt Großbritannien Indien, die »Perle der Krone«, fest im Griff. Von 1876 bis 1948 trugen die britischen Monarchen auch den Titel »Kaiser von Indien«. Das Kaiserreich Indien umfasste das heutige Indien, Pakistan, Bangladesch und Burma (heutiges Myanmar). Doch auch Russland versuchte, sich strategisch aufzustellen und über Zentralasien zum Indischen Ozean vorzustoßen. Seit Peter dem Großen (1672 – 1725) gehörte es zu den Zielen russischer Außenpolitik, dort einen eisfreien Hafen zu besitzen. Nach den siegreichen Feldzügen gegen das napoleonische Frankreich in den Jahren 1812 bis 1815 trat der Expansionsgedanke der russischen Zaren verstärkt auf den Plan. Die bis dahin noch unabhängigen Feudalstaaten Zentralasiens, an der Südgrenze des Zarenreiches gelegen, rückten ins russische Interesse. Die Briten unternahmen alles, um eine Ausweitung russischen Einflusses gen Süden zu verhindern. Einen Zugang zum Indischen Ozean und damit zu den wichtigen Handelsrouten mit Südostasien sollten die Russen nicht bekommen, im Gegenteil: Großbritannien strebte seinerseits eine Erweiterung seines Einflussgebietes auf das östlich seiner indischen Kronkolonie liegende Afghanistan sowie die nördlicheren Gebiete Zentralasiens an. Russland und Großbritannien suchten neue Rohstoffquellen, neue Absatzmärkte, neue Handelsrouten sowie militärischen Ruhm. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihre Interessen miteinander kollidieren sollten. In Afghanistan und Zentralasien begann sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein Machtkampf der beiden Großmächte abzuzeichnen, den Historiker als »Great Game« bezeichneten.

Die »Great Games« um die Region

Hinsichtlich der Komplexität ethnischer und religiöser Strukturen ist Zentralasien mit den Nachbarregionen eng verwoben. Der Nahe und der Mittlere Osten sowie Zentralasien sind seit alters her Epizentren der Rivalität zwischen Großmächten. Religion war hier immer schon eine Machtfrage. In der Großregion befinden sich die wichtigen Heiligtümer des Judentums, des Christentums und des Islams. Als das Osmanische Reich noch eine Weltmacht war, entluden sich ethnische und religiöse Spannungen zwischen muslimischen Türken und christlich geprägten Völkern bis hin zum Völkermord an den Armeniern. Die Osmanen standen aber auch den schiitischen Persern feindlich gegenüber; ein Konflikt, der bis in die heutige Zeit hineinreicht.

Afghanistan wurde im 19. Jahrhundert zum Spielball der Großmächte. Die Briten waren bemüht, in Kabul einen Herrscher zu etablieren, der ihren Interessen entsprach. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts stand Afghanistan unter britischer Vorherrschaft. Grund für das steigende britische Interesse an der Region war die Angst, dass die russischen Expansionsbestrebungen nach Zentralasien zur Gefahr für die britischen Gebiete in Indien werden könnten. So nahm das erste »große Spiel« um Zentralasien seinen Lauf.