Zieht euch warm an, es wird noch heißer! - Sven Plöger - E-Book

Zieht euch warm an, es wird noch heißer! E-Book

Sven Plöger

0,0
17,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021, das Dürrejahr 2022 mit Wasserknappheit, massiven Waldbränden und Hitzewellen - UN-Generalsekretär António Guterres sagt: "Wir sind auf dem Highway in die Klimahölle." Doch was tun die meisten Regierungen und viele von uns privat? Wenig bis nichts, lieber erstmal abwarten! Statt Probleme anzupacken und die noch verbleibende Zeit zu nutzen, reden wir uns lieber die Welt schön. Helfen wird das niemandem, denn die Natur ist für unsere Wünsche taub, in ihr finden schlicht physikalische Prozesse statt. In diesem Buch geht es darum, diese zu verstehen und dann zu schauen, wie wir eine nachhaltigere und gerechtere Welt für unsere Kinder und Enkel schaffen können. Wo müssen wir uns verändern und wo können uns technische Lösungen helfen? Und wie können wir besser kommunizieren, um wieder zu mehr Miteinander zu kommen? Alles beginnt - wie immer - mit der Haltung im Kopf … Drei Jahre nach Erscheinen des Platz-1-Spiegel-Bestsellers legen Sven Plöger und Andreas Schlumberger eine komplett überarbeitete und erweiterte Neuausgabe vor, mit Extrakapiteln zu den Themen Wasserstoff, Kernfusion sowie der Entfernung, Speicherung und Nutzung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 566

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ebook Edition

Sven Plöger und Andreas Schlumberger

Zieht euch warm an, es wird noch heißer!

Können wir den Klimawandel noch beherrschen?

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2023

Komplett überarbeitete und erweiterte Neuausgabe

ISBN: 978-3-98791-011-1

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2023

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Titel

Vorwort

Grafik Temperatur

Eine ehrliche Bestandsaufnahme

Wo stehen wir?

Nur Wetter oder schon Klima?

Der Blick aufs große Ganze

Belohnung statt Strafe

Die akademische Aufgabe

Die Geburt klimaskeptischer »Argumente«

Die gesellschaftspolitische Aufgabe

Unsichtbares Problem, kaum sichtbare Erfolge

Wenn eine neue Eiszeit drohte …

Vorbildfunktion und Nachmacheffekt

Vom Wissen und Handeln

Die Grenzen des Bevölkerungswachstums

Wie Reichtum das Klima schädigt

Einstimmigkeit kann Bremsfaktor sein

Vereinfachen ist gefährlich

Sind Wasserstoff, Kernfusion und Co. die Lösung?

Schluss mit Schönreden

Wasserstoff

Carbon Storage

Kernfusion

Addieren nicht vergessen! Warum jeder Beitrag zählt

Die Freiheit, gegen besseres Wissen zu handeln

Die Moral von der Geschicht’: Freiwillig funktioniert es nicht

Es braucht Regeln – hart, aber ehrlich

Marktwirtschaft oder Ordnungsrecht?

Eine grüne Zukunft für Europa

Wandel durch Handel?

Fridays for Future – die junge Generation

Warum ein ökologisches und soziales Pflichtjahr helfen kann

Den Klimawandel verstehen

Wetter ist nicht gleich Klima

Warum werden Wetter und Klima verwechselt?

Von Projektionen und Prognosen

Wettervorhersagemodelle

Klimamodelle

Attributionsforschung

Und was ist nun eine Projektion?

Der Treibhauseffekt und das Leben auf der Erde

Der natürliche Treibhauseffekt

Der anthropogene Treibhauseffekt

Vom Urknall zum Menschen – einmal durch die Klimageschichte

Bis zum ersten Eiszeitalter

Die Zeit der extremen Klimasprünge

Das Zeitalter der großen Artensterben

Eiszeit, Kaltzeit, Warmzeit

Die Rolle der Erdumlaufbahn

Das Klima hat schon immer geschwankt

Von Ötzi bis ins Mittelalter

Die Kleine Eiszeit

Ab in die Zeit der Wärmerekorde

Die Rolle der Treibhausgase – und des Menschen

Welchen Anteil hat der Mensch am Klimawandel?

Was unser Klima bestimmt – von der Arktis bis zum Ozon

Unsere Sonne

Fast 5 000-mal mehr Energie, als wir benötigen

Schwankende Sonnenintensität

Wie Bewegung in unsere Atmosphäre kommt

Unser Erdsystem als Summe der Sphären

Wasser – Kreislauf des Lebens

Tiefe Wasser sind nicht still

Die Wasserpumpen des Ozeans

Der Golfstrom und der unsichtbare Wasserfall

Wird der Golfstrom versiegen?

Von der Wolkenbildung bis zum Regen

Kleine Aerosole, große Wirkung

Kohlenstoff – Stoff des Lebens

Entstehung von Sedimenten

Eine ganze Menge Kohlendioxid

Methan – ein Gas mit intensiver Treibhauswirkung

Brennendes Eis

Die Eisflächen und Gletscher dieser Welt

Die Arktis

Die atmosphärischen Flüsse

Grönland

Wie die Arktis und unser Extremwetter zusammenhängen

Der Schlaue greift nicht zu

Die Antarktis

Die Antarktische Halbinsel

Ost- und Westantarktis

Landeis, Meereis und ihre Vermessung

Gebirgsgletscher auf dem globalen Rückzug

Wie der Meeresspiegel steigt

Das Ozonloch und was wir daraus lernen können

Wie der Zufall eine Katastrophe verhinderte

Den Klimawandel vermitteln

Nicht missionieren, sondern informieren

Kritischen Äußerungen begegnen und daraus lernen

Selbsterfahrung und die »45-Minuten-Regel«

Die Leugner-Strategie

Herausforderungen für die Medien

Der Klimawandel ist komplex und die Zeit knapp

Recherche braucht Zeit

Warum werden Podcasts gehört?

Änderung der Berichtskultur

Nicht in die Defensive drängen lassen!

Die Folgen des Klimawandels

Welche Klimaveränderungen kommen auf uns zu?

Weltweite Auswirkungen

Auswirkungen auf Europa

Veränderungen in Deutschland

Stürmische Zeiten?

Folgen für die Ökosysteme

Klima, Krieg und Frieden

Sudan

Syrien

Burkina Faso

Marshallinseln im Zentralpazifik

Der Wettlauf zum Klimaziel – was jetzt zu tun ist

Kohlenstoffsenken schützen, Kohlenstoffquellen schließen

Es ist nur Physik

Handeln und fordern

Kreisläufe schließen

Der Rebound-Effekt

Das kostet doch nicht die Welt

Den Wald vor lauter Bäumen sehen

Sag mir, wo die Bäume sind

Wir sind der Papiertiger

Das FSC und das Ende eines Traums

Gemütlich warm mit Holz? Zu schön, um wahr zu sein

Die Meere als größte Kohlenstoffsenken

Rettet die Moore!

Ein Wort an die Skeptiker

Energieverbrauch runter, Grünstrom rauf

Das Woher und Wohin des Stroms

Die Preise verschleiern die Kosten

Stromfresser Internet

Um die Welt – um jeden Preis?

Die Eroberung der Straßen

E-Mobil oder E-Fuel?

Das Automobil und die Zukunft

Schiff ahoi!

Die Welt vergeht im Flug

Gute Reise, besser reisen

Richtig einheizen und cool bleiben

Vorsicht, Holz!

Aufgetischt! Unsere Ernährung

Methan und Lachgas

Der Regenwald auf dem Teller

Eingeholt vom Klimawandel

Klima und Gesundheit – ein Gastbeitrag von Eckart von Hirschhausen

Wie wollen wir die Welt?

Danksagung

Sachregister

Zum Umgang mit diesem Buch

Orientierungspunkte

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Zieht euch warm an, es wird heiß erschien erstmals im Juni 2020. In Zahlen ausgedrückt ist seitdem kaum Zeit vergangen – und trotzdem scheint 2020 eine Ewigkeit zurückzuliegen. Die Welt hat sich an vielen Stellen im Grundsatz verändert. Das ist nicht nur ein Gefühl. Die Last sich überlagernder Krisen nimmt zu, am verstörendsten ist dabei sicherlich der Krieg in der Ukraine. Es macht mich traurig und betroffen, so etwas wieder in Europa erleben zu müssen und gleichzeitig zu wissen, dass auf der Welt weitere 20 Kriege und 164 bewaffnete Konflikte toben. Dazu kommen die Nahrungsmittel- und Energiekrise, die Kosten explodieren und damit die Inflation massiv steigen lassen. Belastend für uns, geradezu existenzgefährdend für Menschen in ärmeren Regionen. Außerdem wird der Widerstreit von Demokratien und autokratischen Systemen immer stärker spürbar. Wir verstehen nach langer Zeit wieder neu, dass man Demokratie ernsthaft verteidigen muss, wenn man ihre Freiheiten auf Dauer genießen möchte. Und während wir noch dabei sind, die Corona-Pandemie zu verdauen, thront über allem die Klimakrise, der Klimawandel, die Klimakatastrophe – wie auch immer wir es nennen wollen.

An zunehmend extremerem Wetter erkennen wir nicht nur unsere Verletzlichkeit, sondern außerdem, dass die Prognosen der Klimaforschung von vor rund 40 Jahren tatsächlich eintreten. Die Flutkata­strophe im Ahrtal und in anderen Regionen im Westen Deutschlands 2021 hat uns gezeigt, in welchem Ausmaß wir selbst unmittelbar betroffen sein können. Wir stecken in einer Doppelrolle, denn wir sind nicht selten Opfer unserer eigenen Taten. Schaut man auf all das, scheint die Unbeschwertheit früherer Zeiten vorbei. Das Ausmaß der Krisen, ihre Gleichzeitigkeit und das Wissen, dass wir sie parallel bewältigen müssen, lassen uns vor einem Berg schier unlösbarer Probleme erstarren. Angst vor Status- und Kontrollverlust macht sich breit, Gesellschaften drohen zu zerreißen – so zumindest einige Soziologen.

Merken Sie etwas? Diese eine Buchseite »Standortbestimmung der Welt« – und man könnte neben sie noch etliche mit gleichem Tenor stellen – vermag uns den Atem zu rauben, uns verzweifeln zu lassen, uns jeden Optimismus zu nehmen. Immer öfter höre ich gerade zur Klimakrise den Satz: »Das können wir doch ohnehin nicht mehr schaffen, wozu also das Ganze?« Wenn ich dann sage: »Wir müssen die Probleme in kleine Bausteine zerlegen; uns auf unsere Möglichkeiten konzentrieren und nicht auf andere schielen; heutige und vergangene Erfolge sehen; eine Haltung entwickeln, die persönliche Veränderung erlaubt und technischen Fortschritt nicht verteufelt; und mit allen Schalthebeln der Demokratie dafür sorgen, dass es endlich geeignete Rahmenbedingungen gibt, die denjenigen, der die Umwelt verschmutzt, nicht reicher werden lässt, als den, der sie sauber hält«, dann wird häufig zustimmend genickt. Bei einigen bleibt jedoch trotz all dieser Punkte hängen, dass es doch geradezu leichtgläubig sei, heute noch Hoffnung zu haben. Der Gedanke ist erlaubt und vielleicht auch nachvollziehbar. Aber: Wenn Optimismus naiv ist, dann folgt, dass Pessimismus nicht naiv ist. Und deshalb stelle ich den Leuten diese Gegenfrage: »Was verbessert sich für Sie persönlich, wenn Sie eine pessimistische und damit hoffnungslose Sicht auf die Welt einnehmen? Werden Sie zufriedener? Hilft es Ihren Nachkommen? Können Sie mir irgendeinen Vorteil nennen?« Ich habe diese Fragen schon häufiger gestellt und in exakt null Fällen eine sinnstiftende Antwort erhalten. Deswegen möchte ich »einfach frus­triert aufgeben« als Konzept für die Zukunft nicht zulassen. Das passt auch nicht zum Rheinländer, schließlich bin ich gebürtiger Bonner.

Dieses Buch will zwei Dinge tun: Zunächst machen wir eine Bauchlandung, die uns zeigt, wo wir hinsichtlich des Klimas wirklich stehen. Dabei wird auf jegliche Schönrederei verzichtet, und stattdessen erklärt, wie die Zusammenhänge im komplexen Erdsystem funktionieren: Was verbindet Wetter und Klima, wo liegt der Unterschied? Wohin entwickelt sich die Welt durch unser Handeln und warum sorgt die Erderwärmung für immer extremere Wetterereignisse? Mit den gewonnenen Erkenntnissen widmen wir uns danach den vielen Stellschrauben und Möglichkeiten, um aus dem Schlamassel wieder herauszukommen. Da geht es um Haltung und Verhalten, um Technik, um Politik, um Unternehmen und Wirtschaft, um Geldanlage, um das Bevölkerungswachstum, um den globalen Süden, um reichere und ärmere Menschen sowie ihren Fußabdruck, um behäbige Bürokratie, um ein soziales oder ökologisches Pflichtjahr und vieles andere.

Es braucht neben mehr Klimawissen in der Gesellschaft auch eine wirkliche Aufbruchstimmung. Wir müssen entschlossen loslegen, denn ohne eine Transformation, die unser Dasein auf Dauer nachhaltig macht, werden wir unseren Wohlstand in absehbarer Zeit verlieren. So einfach ist das, ob es uns gefällt oder nicht. Gedanken und Kräfte sollten dazu gebündelt werden; ideologischer Dauerstreit oder nie enden wollende Diskussionen bringen uns nicht weiter. Beides bremst und lässt die einen gleichgültig, die anderen verzweifelt zurück. Der Protest der »Letzten Generation« zeigt diese Verzweiflung mehr als deutlich. Kaum jemand wird behaupten, es wäre zur Bekämpfung der Erderwärmung zielführend, Kunstwerke zu besprühen. Insofern hält sich die Unterstützung solchen Handelns in weiten Teilen der Gesellschaft in engen Grenzen. Doch andererseits: Was soll man tun, wenn die bräsige Ungerührtheit so vieler das Anliegen, eine vernünftige Zukunft auf diesem Planeten haben zu wollen, ungehört an sich abprallen lässt? Die Frage ist also: Aus welchem Grund hört wer wem wann zu? Wie soll man auf sich aufmerksam machen? Das war schließlich auch bei früheren Protesten immer das Kernanliegen – Ältere mögen sich hier an ihre eigenen Aktionen in jüngeren Jahren erinnern.

Wir haben heute kein nüchternes Wissens-, sondern ein eklatantes Handlungsproblem. Es ist zwar gut, dass uns die Klimaforscher immer wieder neue Studien liefern und somit das im Prinzip Bekannte bestätigen, aber manchmal glaube ich, wir brauchen vor allem mehr Psychologen, die uns klarmachen, dass wir derzeit nicht dabei sind, die Welt »enkelfähig« zu machen – ein wundervolles Wort, das der Unternehmer Franz Haniel bereits vor über 150 Jahren prägte. Weil wir ständig das Gegenteil oder zumindest etwas anderes tun, als wir vorgeben tun zu wollen, müssten wir unseren Kindern und Enkeln eigentlich rundheraus sagen: »Dir soll es später mal schlechter gehen als mir!« Natürlich läge uns nichts ferner, denn eigentlich wünschen wir unseren Sprösslingen weiterhin ein besseres oder zumindest ebenso gutes Leben, wie wir es haben. Wenn wir das aber ehrlich meinen, dann ist unsere Aufgabe klar: Wir müssen Wunsch und Wirklichkeit zusammenzubringen! Möglichkeiten hätten wir genug.

Sven Plöger im Frühjahr 2023

Eine ehrliche Bestandsaufnahme

Wo stehen wir?

Es ist eigentlich einfach: Wir sind gerade dabei, unsere selbstgesetzten Klimaziele grandios zu verfehlen und uns sowie unseren Nachkommen dadurch die Grundlage für eine ersprießliche Zukunft auf diesem Planeten zu entziehen. Das ist alles! Dafür, dass wir uns gerne als »Krone der Schöpfung« bezeichnen, fällt das Ergebnis ebenso bedauerlich wie ernüchternd aus.

Seit Jahrzehnten wissen wir, was auf uns zukommen wird und wir sehen durch immer extremere Wettererscheinungen, dass die Einschläge näher kommen. Die Prognosen der Klimaforschung hatten und haben eine hohe Qualität und unsere Reaktion darauf liegt trotz anderslautender Absichtserklärungen irgendwo zwischen nicht vorhanden und unzureichend. Um uns herum verändert sich die Welt durch unser kollektives Verhalten schneller und schneller. Trotzdem versuchen wir, vorwiegend an alten Gewohnheiten festzuhalten. Die physikalische Realität und unsere Wunschrealität gehen folglich immer weiter auseinander. Genau da liegt das Problem.

Freilich merken wir das alle, aber die Reaktionen darauf sind höchst unterschiedlich: Die einen machen sich massive Sorgen bis hin zu psychisch belastenden Ängsten, die anderen versuchen sich die Welt mit oftmals banalen Gedanken schönzureden und wieder andere lösen das Problem für sich mit »nach mir die Sintflut«. Für letztere Variante gilt allerdings: Je jünger, desto seltener. Leider kommen die wenigsten auf die Idee, sich neu zu sortieren und eine andere Mentalität einzunehmen, die es ermöglicht, das eigene Verhalten an die Klimaziele anzupassen ohne dabei nur vergleichend auf die anderen zu schauen. Stellen Sie sich vor, 8 Milliarden Menschen würde genau das gelingen. Dann wäre das Buch hier zu Ende, das Klimaproblem gelöst und unsere Zukunft gesichert. In 100 Jahren könnte ein sprachgewandter Autor noch ein nettes Büchlein darüber verfassen, warum der Mensch zu Recht die »Krone der Schöpfung« sei.

Nach diesem märchenhaften Ausflug kehren wir zurück in die trübe Realität: Da wählt mittlerweile sogar der UN-Generalsekretär António Guterres eine bildgewaltige Sprache: »Wir sind auf dem Highway in die Klimahölle«, rief er der Weltgemeinschaft vor der 27. UN-Klimakonferenz COP27 im ägyptischen Scharm asch-Schaich zu, und die »Doomsday Clock«, übersetzt die »Uhr des Jüngsten Gerichts«, wurde auf 90 Sekunden vor 12 vorgestellt. Dort hat sie seit 1947, also seit es sie gibt, noch nie gestanden. Sie beschreibt das Risiko einer globalen Katastrophe, insbesondere durch einen Atomkrieg oder den Klimawandel. Im Aufsichtsrat, der die Einstellung der Uhr vornimmt, waren 2019 auch 17 Nobelpreisträger vertreten.

Währenddessen versuchen die meisten von uns eher unbeeindruckt den Ist-Zustand und die eigenen Gewohnheiten zu verteidigen, koste es, was es wolle. Und wenn es Probleme gibt, schauen wir am besten kurz weg, es wird sich schon irgendwie erledigen. Schließlich soll doch bitte alles so bleiben, wie es ist. Das kommt auch unserem »inneren Schweinehund« sehr entgegen, den zu überwinden uns sowieso stets schwerfällt. Das kennt wohl jede und jeder. Daraus resultieren die typischen Anmerkungen, wenn es um klimafreundliches Verhalten geht: »Was spielt mein Verhalten schon für eine Rolle? Mit dem bisschen kann ich die Welt doch sowieso nicht verändern!«; »Ohne die richtigen politischen Rahmenbedingungen kommen wir ohnehin nicht weiter!«; »Was bringt es, wenn ich meinen Lebensstil verändere und mein Nachbar nichts tut?«; oder – gleicher Spruch, anderer Vergleichsmaßstab: »Was bringt es, wenn Deutschland kämpft, während die Chinesen immer mehr Kohlendioxid in die Luft blasen?« Danach lehnen wir uns zurück und zeigen nachdrücklich auf die anderen. Denn machen wollen wir erst dann etwas, wenn jemand die Welt zuvor so weit verbessert hat, dass unser Handeln »überhaupt was bringt« – wie auch immer das konkret aussehen soll. Gleichzeitig erkennen wir den Klimawandel aber durchaus als großes Problem an.

Eine bei Bitkom e. V. veröffentliche Studie zeigt, dass 77 Prozent der Deutschen den Klimawandel derzeit für eines der wichtigsten und drängendsten Probleme auf dieser Welt halten, 49 Prozent sogar für das wichtigste. 11 Prozent sind der Meinung, es handle sich dabei um ein Problem wie jedes andere auch, und 8 Prozent befinden den Klimawandel für nicht besonders bedeutsam. Nur 3 Prozent behaupten, es gebe keinen menschengemachten Klimawandel. Daraus ergibt sich, dass diese letzte Gruppe aufgrund ihrer verschwindend geringen Größe auch keine besondere Aufmerksamkeit verdient und wir unsere knappe Zeit anderswo besser einsetzen sollten. Trotzdem werden in diesem Buch einige Gedanken von Klimaforschungsleugnern aufgegriffen, um zu erkennen, wo die Fehler in ihrer »Argumentation« liegen.

Der oben erwähnte und alles bremsende »innere Schweinehund« ist aus evolutionärer Sicht übrigens höchst sinnvoll, da jede Aktivität Energie verbraucht und das Einsparen selbiger eine Rückversicherung für Notsituationen war. Gewohnheiten sind dank steter Wiederholung sehr effizient: Wir müssen sie nicht mehr durchdenken und sie kosten quasi keine Energie. Der Modus »das haben wir schon immer so gemacht« ist also aus evolutionärer Sicht in den typischerweise langen Phasen stabiler Verhältnisse vorteilhaft, in Zeiten hoher Dynamik dagegen lebensbedrohlich. Damit befindet sich das »Gewohnheitstier« im Klimawandel in größter Gefahr.

Unsere Aufgabe besteht also darin, evolutionär erlernte Effizienz qua Verstand zu überwinden. Wenn wir nun auf die bisherige Geschichte unseres Umgangs mit dem globalen Thema Klimawandel schauen, können wir feststellen, dass uns das bisher leider nicht gelungen ist. Schon 1941 hat der deutsche Klimaforscher Hermann Flohn in seiner Habilitation die Zusammenhänge im Erd- und Klimasystem so klar zusammengestellt, dass man bereits damals – wären es nicht so schreckliche Zeiten gewesen – mit dem Vorgehen gegen die drohenden Veränderungen hätte beginnen müssen. Sehen Sie heute im Internet alte Folgen der Reihe »Querschnitte« mit Hoimar von Ditfurth aus dem Jahre 1978 an, haben Sie vermutlich das Gefühl, dass Sie eine – zumindest inhaltlich – ganz aktuelle Sendung zum Klimawandel schauen. Nur ist das über 40 Jahre her. Hätten Sie damals ein Archiv mit Medienberichten aller Art zum Thema angelegt, würde es bis heute – trotz der immer noch großen medialen Dominanz anderer Themen – einen stattlichen Umfang aufweisen.

Wenn man gleichzeitig sieht, dass der Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) und anderer Treibhausgase, die unsere Atmosphäre durch ihre physikalischen Eigenschaften erwärmen, unverändert weiter zunimmt, dann lässt sich eigentlich nur dies notieren: »Was machen wir da eigentlich?« Oder besser: »Was machen wir da eigentlich nicht?« Die Frage sei an dieser Stelle zunächst ganz allgemein gestellt, an die Politik, an die Wirtschaft, einfach an jede und jeden. Natürlich werden wir jetzt alle ziemlich wortreiche Erklärungen finden, weshalb wir heute stehen, wo wir stehen und warum es einfach nicht anders ging. Aber vor dem Hintergrund eines Problems, das uns am Ende unsere Lebensgrundlagen raubt, sind diese Ausführungen bestenfalls kläglich.

Quasi automatisch schließt sich deshalb die Folgefrage an: »Gibt es überhaupt einen Punkt, ab dem wir uns wirklich verändern und an welcher Stelle passiert das?« Ist er erreicht, wenn das menschliche Leid in Folge zunehmend furchtbarer Wetterkatastrophen zu groß wird? Oder wenn selbst alle Volkswirtschaften dieser Welt zusammen nicht mehr die überbordenden Kosten der Klimaschäden tragen können? Oder wenn die jüngeren Menschen, sobald sie politische Verantwortung übernehmen, andere ökonomische Konzepte als »schneller, höher, weiter, mehr« zulassen? Oder wenn eine grandiose technische Idee am Ende in der Lage sein sollte, all unsere Probleme zu lösen? Ein kleiner Hinweis: Bei diesem letzten Satz steht die Idee im Mittelpunkt und nicht ein törichtes und anlassloses Draufloshoffen als mögliche Rechtfertigung fürs Nichtstun – eine Denkweise, die leider vielen von uns zu eigen ist.

Vielleicht müssen wir am Ende die frustrierende Einsicht gewinnen, dass wir einfach nicht geeignet sind, mit schleichenden Prozessen umzugehen, die sich unserer typischen Zeitskala von Wochen und Monaten entziehen; Prozesse, die sogar über unser eigenes Dasein hinaus noch wirken. Bisher bekommt man jedenfalls den Eindruck, dass wir das Thema Klimawandel angesichts kurzfristigerer Krisen einfach immer weiter aufschieben: »Bei Corona, Energiekrise oder Krieg muss der Klimawandel eben warten, schließlich sind die anderen Bedrohungen größer.« Im Hier und Jetzt stimmt das sogar, aber irgendwann dreht sich das und dann hilft ein spätes Erwachen niemandem mehr. Denn unsere Umwelt ist für unsere Gedanken, Sorgen und Nöte komplett taub; Verhandlung unmöglich.

Interessant sind dazu die Erfahrungen mit der Corona-Pandemie. Sie breitete sich innerhalb von Wochen und Monaten auf diesem Planeten aus, und so war die Bedrohung in den Zeiträumen, in denen unser Alltag stattfindet, ganz konkret. Auch wenn sich im Nachhinein an unserem Umgang mit dem Virus sicherlich einiges kritisieren lässt und es – wie immer in Gesellschaften – Individuen gibt, die eine inhaltlich wundersame Haltung einnehmen, so wurden insgesamt doch viele vernünftige Beschlüsse gefasst und sehr schnell überraschende Summen investiert, um Menschenleben zu schützen. Dafür zeigten wir uns bereit, in Solidarität mit gefährdeten Gruppen einiges auszuhalten. Corona war quasi ein »Asteroideneinschlag in Zeitlupe«, der uns genug Zeit ließ, zu agieren. Mit der Erfindung des Impfstoffs wurde es dann aber wieder schwieriger, denn kaum gab es ihn, kauften die Industrienationen raffgierig viel mehr ein, als sie überhaupt brauchen konnten, und ließen den globalen Süden mit der Argumentation »Me first« im Stich. Die klare Folge: Erst durch den hohen Anteil an Ungeimpften in großen Teilen der Welt konnten sich viele Mutationen entwickeln, welche die Pandemie am Ende wohl für alle verlängert haben. Schade!

Übersetzen wir diese Erkenntnisse ins Klimathema. Bei ihm handelt es sich eher um einen »Asteroideneinschlag in Superzeitlupe«, dessen Bewegung wir kaum wahrnehmen und bei dem viele der im Vergleich zu Corona deutlich stärkeren Bedrohungen trotzdem unkonkret sind: Irgendwann wird irgendwo irgendjemandem irgendwas passieren. Das macht es so unendlich schwer, konkrete Maßnahmen in die Wege zu leiten. Klar, man kann einen Deich erhöhen, wenn der Meeresspiegel steigt, und man kann Wasser speichern, um es während Trockenphasen zur Verfügung zu haben. Aber ohne an der Ursache, dem Ausstoß von Treibhausgasen, etwas zu ändern, wird uns das Thema nun mal »überfahren«. Leider können wir die Konsequenzen unserer Emissionen nie uns selbst zuordnen. Niemand sieht, wie etwa durch seinen eigenen Inlandsflug von Köln nach Berlin irgendwo auf der Welt ein Schaden entsteht. Ebenso sieht niemand, der besonders klimafreundlich agiert, wie sich die Welt ihres- oder seinetwegen zum Positiven verändert. Dieses fehlende Feedback macht die ganze Thematik unglaublich abstrakt und stumpft unsere Emotionen ab. So kommt es zu Aussagen wie: »Prinzipiell sind die Schäden durch den Klimawandel ganz schrecklich und alle, vor allem die Politik, müssten etwas ändern. Aber ich selbst, ich kann da nichts machen!« Was uns bleibt, ist aus Corona zu lernen und festzustellen, dass wir mehr auf die Wissenschaft hören sollten und weniger auf wirtschaftlich mächtige Interessengruppen, die sich im Wesentlichen um ihre finanziellen Belange kümmern, auch wenn sie sich dabei heutzutage nicht selten einen umweltfreundlichen Anstrich geben. Dass die Politik zu diesen nicht immer die notwendige Distanz pflegt, zeigen uns wiederkehrend diverse investigative Berichte. Übrigens: Beides gleichzeitig möglich zu machen, also damit reich zu werden, dass man der Umwelt wirklich Gutes tut und sich nicht überwiegend auf findige Ideen beschränkt, dass es nur so aussieht – das wäre ein genialer Schachzug! Von einer ertüchtigten Marktwirtschaft wird später noch zu sprechen sein.

Und schließlich: Wenn wir ärmere Nationen nicht ernsthaft in ihrer Entwicklung unterstützen, sondern sie stattdessen wirtschaftlich immer mehr dominieren und ihnen bloß unsere alten Autos mit Verbrennungsmotoren oder unseren Elektroschrott »runterschicken«, werden wir am Ende ähnlich wie beim Virus staunen. Denn dann könnte der Wunsch nach Wohlstand die Emissionen, die wir hier senken wollen, dort massiv steigen lassen und all unsere Bemühungen nutzlos machen – eine schlechte Idee zur Lösung eines globalen Problems, denn wir sitzen ja nun mal alle in einem Boot, sprich auf einem Planeten. Diese Fehler nicht zu machen, setzt die Einsicht voraus, dass eine Zukunft, in der es allen etwas besser geht, auch für alle eine bessere ist. »Me first« ist hingegen die schlechteste Variante.

Trotz der berechtigten Selbstkritik an der Menschheit müssen wir zu unserer kleinen Ehrenrettung vielleicht hinzufügen, dass wir keine Blaupause für den Umgang mit einer Krise haben, die alle anderen schon in naher Zukunft in den Schatten stellen wird. Die Veränderungen, die viele von uns noch erleben, werden sich in den kommenden Jahren bei fortgesetztem »weiter so« unaufhaltsam in den Mittelpunkt unseres Daseins schieben und binnen weniger Jahrzehnte alle anderen Themen vollständig beiseite gefegt haben – denken Sie nur an die Wasserversorgung von 8 Milliarden Menschen bei immer mehr Gletscherschwund, Trockenphasen und Hitzewellen. Die Atmosphäre wird sich in Zukunft stärker und stärker Gehör verschaffen, wenn wir versuchen, sie weiter zu ignorieren oder stiefmütterlich zu behandeln. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich viele meiner Befürchtungen und insbesondere alles, was ich in den letzten Zeilen geschrieben habe, am Ende als Irrtum erweist! Aber die Physik gibt leider derzeit keinen Anlass, eine solche Fehleinschätzung zu vermuten.

Wir brauchen nichts mehr als die Fähigkeit zum kollektiven »An-einem-Strang-Ziehen«. Können wir das erlernen, oder wird es dabei bleiben, dass die große Mehrheit von uns dem Drang erliegt, stets den eigenen (meist finanziellen) Vorteil zu suchen? Denn eine kleine Anzahl von Idealisten, die neu denkt und sich anders verhält – so wichtig das ist und so sehr man darüber berichten sollte –, wird es nicht schaffen, das Problem zu lösen; selbst wenn einige davon eine wichtige politische Rolle einnehmen oder einen großen Konzern lenken und dadurch neue Impulse setzen. Die Klimakrise, auch wenn es vielleicht etwas pathetisch klingt, ist eine Menschheitsaufgabe, an der alle beteiligt sein müssen – das ist der Rahmen und kein anderer!

Nur Wetter oder schon Klima?

Mitte Juli 2021 zog Tief »Bernd« von der Ostsee langsam in den Westen Deutschlands. Über der Ostsee, deren Oberfläche sich aufgrund einer wochenlangen Hitzewelle von Lappland bis ins westliche Russland auf unglaubliche Werte bis zu 26 Grad Celsius (siehe »Zum Umgang mit diesem Buch«) erwärmt hatte, tankte es Unmengen von Wasserdampf. Selbiger kondensierte und so regneten sich ungeheuerliche Wassermassen über dem Ahrtal und anderen Regionen im Westen Deutschlands ab, 180 Menschen fanden am Ende durch die Fluten einen tragischen Tod, Sachschäden von rund 46 Milliarden Euro kamen hinzu. Dass sich das Unwetter so extrem entwickeln konnte, hat maßgeblich mit den Veränderungen in Folge des Klimawandels zu tun, wie wir an späterer Stelle im Buch noch zeigen werden. Damit rückte eine Katastrophe direkt an uns heran, wie wir sie bisher nur in fernen Ländern des globalen Südens für möglich gehalten hatten – was sie natürlich nicht weniger furchtbar macht. Die schrecklichen Bilder, die Fassungs- und die Hilflosigkeit werden noch lange in unserem kollektiven Gedächtnis verbleiben.

Das Jahr 2022 fiel dann wieder durch große Trockenheit auf. Es gab zahlreiche Berichte über Waldschäden und -brände sowie über ein auffälliges Absinken des Grundwasserspiegels in einigen Regionen. Hinzu kamen die niedrigen Wasserstände vieler Flüsse, gepaart mit extrem hohen Wassertemperaturen. Das Flussbett der Dreisam bei Freiburg war zeitweise komplett trockengefallen. Im Flächenmittel fehlten über das gesamte Jahr 15 Prozent des Niederschlags und damit setzte sich die Dürre auch im fünften Jahr fort. Begonnen hatte die trockene Phase 2018, als das Niederschlagsdefizit sogar 25 Prozent betrug. Selbst das Flutjahr 2021 erreichte in der Summe gerade einmal den Durchschnitt und konnte das Defizit damit nicht ausgleichen. Was für ein kostbares Gut Wasser ist, beginnen wir seither mehr und mehr zu verstehen. Im Wetterbericht war die Frage nach Regen plötzlich viel bedeutsamer als die nach Sonnenschein. Den gab es 2022 in Deutschland übrigens reichlich – ein Drittel mehr als im Durchschnitt wurde ermittelt. Zudem war es das wärmste Jahr, das es in den Aufzeichnungen seit 1881 bisher gegeben hat. Die Durchschnittstemperatur betrug 10,5 Grad, das sind 1,2 Grad mehr als nach dem langjährigen Klimamittel von 1991 bis 2020 und 2,3 Grad mehr als von 1961 bis 1990. Mittlerweile werden alle zehn Jahre neue dreißigjährige Mitteltemperaturen bestimmt, da diese so massiv ansteigen.

Ungewöhnliches Wetter begleitete uns außerdem in einem quasi hochsommerlichen Oktober, an dessen Ende in Freiburg fast 29 Grad gemessen wurden. Drei Tage später sowie ein Grad mehr und wir hätten Allerheiligen bei 30 Grad verlebt. Auch im Winter steuerten die Temperaturen nach einer kurzen Kälteperiode im Dezember auf neue Rekordwerte zu. Um den Jahreswechsel wurden häufig Werte von 15 bis 20 Grad gemessen, es war geradezu frühlingshaft. Während wir sommerliche Extreme wie Hitze oder Dürre sofort als sehr auffällig wahrnehmen, kommen uns winterliche 15  nicht sonderlich tragisch vor. Das Thema Klimawandel rückt dann schnell wieder in den Hintergrund. Was sind schon 15 Grad? Erst der Blick auf schneefreie Skipisten und Berge bis in Höhen um die 2 000 Meter machen uns wieder darauf aufmerksam, dass sich die Dinge massiv verändern.

Blicken wir über unsere Landesgrenzen hinaus, so standen in Europa ebenfalls die Themen Waldbrand und Trockenheit im Mittelpunkt. Insbesondere Frankreich erlebte dabei außergewöhnliche Hitzewellen mit der Folge, dass sich viele Kernkraftwerke kaum mehr kühlen ließen und teilweise oder auch ganz heruntergefahren werden mussten. Ergebnis: Unser Nachbarland kaufte viel Strom aus Deutschland, während wir über ebendiese Atomkraft als Chance für die Zukunft diskutierten. In Großbritannien wurden im Juli erstmals mehr als 40 Grad gemessen, im Juni bei Mitternachtssonne am Polarkreis 33 Grad. Noch weitaus höher stiegen die Temperaturen großflächig und langfristig im März und April in Pakistan: Das Thermometer kletterte häufig auf über 50 Grad, und damit in einen Bereich, in dem menschliches Leben ohne Hilfsmittel – sprich Klimaanlage – nicht mehr dauerhaft möglich ist: Der Körper überhitzt, Kreislaufzusammenbrüche und Schlimmeres sind möglich. Auf die Hitze folgte eine der schwersten Überschwemmungen, die diese Region jemals gesehen hat. Damit verglichen wirkte der 25. Juli 2019 bei uns fast »kühl«, als über 60 Wetterstationen Temperaturen von 40 Grad und mehr im Schatten meldeten – der bisher heißeste Tag seit Messbeginn in Deutschland. Außerdem wurde der absolute Höchstwert von 41,4 Grad erreicht, und zwar in Nordrhein-Westfalen.

Besondere Beachtung sollte im Sommer 2022 auch dem Eissturz des höchsten Gletschers der Dolomiten, der Marmolata am 3. Juli geschenkt werden. Sie ist 3 343 Meter hoch und selbst hier lagen die Temperaturen über viele Wochen oberhalb von 10 bis 15 Grad. Dadurch schmolz das Eis und das Schmelzwasser geriet wie eine Art Schmierfilm auf den Fels darunter. Am Ende rutschte ein 200 Meter breiter Eisblock in Sekundenschnelle ab und tötete auf tragische Weise elf Menschen, die dort unterwegs waren. Der schleichende Klimawandel wird hier in Sekundenschnelle zu einem dramatischen Ereignis und wir müssen davon ausgehen, dass es in Zukunft in den Bergen immer häufiger zu solchen Ereignissen kommt. Ebenfalls in Italien erreichte der Fluss Po im Zuge der Juni-Hitzewelle, die von extremer Trockenheit begleitet wurde, den niedrigsten Wasserstand seit 70 Jahren.

Man merkt schnell: Nicht der globale Temperaturanstieg um 1,2 Grad seit der vorindustriellen Zeit, sondern extreme, oft tragische Wetterereignisse sind es, die uns nachdenklich bis besorgt auf das blicken lassen, was um uns herum geschieht. Die Klimaforschung wies schon vor etlichen Jahren auf diese Entwicklung hin und konnte mithilfe von Computermodellen früh wichtige Zusammenhänge erkennen und vorhersagen. Wäre das nicht der Fall gewesen, erschiene eine so gute Prognose für die heutige Zeit äußerst verblüffend: »Verstehe nichts, rechne sinnlos und freue dich über das korrekte Ergebnis«, ist noch unwahrscheinlicher als ein Sechser im Lotto. Ich kenne kein Beispiel, wo das in der Naturwissenschaft jemals geklappt hätte – nach dieser Maxime würde kein Flugzeug fliegen, kein Auto fahren und kein Computer funktionieren. Auch Selbstversuche bei Mathearbeiten in der Schule erzielten nachvollziehbarerweise wenig erfreuliche Resultate.

Kurzgefasst: Unser Wetter wird weltweit extremer und dafür verantwortlich ist der immer stärker spürbare Klimawandel. Einzig stellen wir fest, dass die Erwärmung und die ihr folgenden Prozesse in vielen Regionen, wie zum Beispiel der Arktis, deutlich schneller vonstat ablaufen, als es vor Jahren selbst die Forscher verlautbarten, die davor am intensivsten gemahnt hatten.

Der Blick aufs große Ganze

Als der Club of Rome 1972 die »Grenzen des Wachstums« veröffentlichte, wurde verschriftlicht, was sich viele von uns schon als Kinder hin und wieder überlegten und dann auch ihre Eltern fragten: Kann ein Planet von gleichbleibender Größe immer mehr Menschen ernähren und mit Energie versorgen, sodass es allen auf Dauer immer besser gehen wird? Wäre das eine Quizfrage, würden wir wohl erst mal den Kopf schütteln. Und dann flott ergänzen, dass man natürlich nicht genau weiß, wann und wo die Grenze erreicht ist – was unser Handeln in unseren Augen ein Stück weit rechtfertigt.

Als man Mitte der 1970er Jahre das Ozonloch entdeckte, wurden wir nervös, weil wir bemerkten, dass wir offensichtlich einen sehr großen Einfluss auf unsere Umwelt ausüben können – und zwar ganz »aus Versehen«. Der Grund für dieses Versehen ist in der Theorie der freien Güter zu suchen, einem der eminenten Denkfehler der Wirtschaftstheoretiker. Nach der Definition handelt es sich bei freien Gütern um solche, »die begrenzt, aber nicht knapp sind. Sie sind in einem bestimmten Gebiet zu einem bestimmten Zeitpunkt im Überfluss vorhanden und kosten deshalb grundsätzlich kein Geld«. Das Problem ist nur: Die Theorie widerspricht den grundlegenden Aussagen der Physik geschlossener Systeme – und darum handelt es sich bei unserem Planeten in erster Näherung. Aus dieser Sichtweise heraus wurde und wird eben auch das freie Gut Luft, also unsere Atmosphäre, als Gratisdeponie für unsere Rückstände in Anspruch genommen. Ein Gegenentwurf dazu besteht im Emissionshandel, auf den wir im Kapitel »Addieren nicht vergessen!« noch zu sprechen kommen.

Als im weiteren Verlauf der 1980er Jahre dann erste Ergebnisse der bis dahin eigentlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit arbeitenden Klimaforschung den Weg in die Medien fanden, wurden aus damaliger Sicht schrille Begriffe wie etwa »Klimakatastrophe« geprägt. Die Wissenschaft musste plötzlich lernen, dass sich ihre Denk- und Arbeitsweise stark von der in den Medien üblichen unterscheidet. Ein vorsichtiger, abwägender und differenzierender wissenschaftlicher Stil ist nicht gerade die ideale Grundlage für eine knappe, reißerische Überschrift. Damit umzugehen musste ebenso erlernt werden wie mit der Tatsache, dass die Wissenschaft im Begriff war, einen Lernprozess in der Gesellschaft anzustoßen, der zahlreiche Geschäftsmodelle bedrohte. Und plötzlich sah man sich ganz neuen fachfremden Aufgaben ausgesetzt. Die Klimaforschung wurde angegriffen und Zweifel in der Öffentlichkeit gesät. Am effektivsten geht das natürlich mit Geld! Wer damals Artikel gegen die Klimaforschung schrieb, bekam von so manchem Konzern große Summen bar auf die sprichwörtliche Kralle. »Berühmt« sind Koch Industries oder Scaife Foundations, die jeweils Millionen in Skeptiker-Einrichtungen wie das Heartland Institute steckten. Da wurde schon so mancher zum willfährigen Unterstützer der monetären Ziele großer Konzerne.

Trotz aller Versuche aus verschiedenen Richtungen, Klima- und Umweltthemen klein- oder nichtigzureden, wuchs die weltweite Erkenntnis, dass irgendetwas aus dem Ruder läuft. So wurde im Juni 1992 der Erdgipfel von Rio – oder korrekt die »Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung« – ausgerufen. Es herrschte eine große Aufbruchsstimmung, denn die Menschheit schien eine Bereitschaft zu entwickeln, den Erkenntnissen endlich Handlungen folgen zu lassen. Ähnlich war es nochmals 1997, als man das Kyoto-Protokoll beschloss. Es trat 2005, also lange acht Jahre später, mit dem Ziel in Kraft, die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 bis 2012 um 5,2 Prozent (richtig gelesen) zu reduzieren. Im Jahr 2015, als das Pariser Abkommen verabschiedet wurde und man sich einigte, die globale Erwärmung auf 2 Grad, besser noch 1,5 Grad, bis zum Ende des Jahrhunderts zu begrenzen, keimte erneut Hoffnung auf. In den vielen Jahren dazwischen bestimmte, abgesehen von kleinen, meist nur verbalen Erfolgen, das Geschacher ums Geld die Szenerie. Im Wesentlichen zeigte jeder auf den anderen und forderte, zunächst möge dieser die Dinge doch bei sich verbessern und dann könne man gerne wieder reden – das bekannte »Blame Game«.

Mittlerweile ist der Ausstoß von CO2, dem wichtigsten anthropogenen Treibhausgas, gegenüber dem Zeitpunkt des Erdgipfels von Rio um 69 Prozent (!) gestiegen. Das war sicher nicht das, was wir mit unserer Aufbruchsstimmung und dem durchaus intensiven politischen Dialog bezwecken wollten. Die Menschheit verbraucht derzeit jedes Jahr die nachwachsenden Ressourcen von 1,75 Erden, wir Deutschen sogar die von 3, doch wissen wir durch unsere Schulbildung recht genau, dass wir nur eine haben. Drum finden wir den sogenannten »Earth Overshoot Day«, den Tag, an dem wir eben diese nachwachsenden Ressourcen für das Jahr verbraucht haben, mittlerweile bereits Ende Juli. Der »German Overshoot Day«, der die deutsche Lebensweise mit ihren Emissionen verallgemeinert, ist sogar schon Anfang Mai. Das war übrigens vor noch gar nicht so langer Zeit anders: Die Bundesrepublik erfüllte im Jahr 1978 hinsichtlich ihrer Ressourcennutzung letztmals die Kriterien der Umweltverträglichkeit. Ich kann mich erinnern, dass es damals gar nicht so schrecklich war. Zumindest litt man nicht durchgehend darunter, dass wichtige Konsumgüter fehlten.

Es ist heute einfach: Wir leben auf Kredit der Natur und haben allenfalls in der Theorie den Willen, diesen zurückzuzahlen. Da 1,75 größer ist als 1, gibt es auch in der Frage der Nachhaltigkeit keine Ausflüchte mehr: Die Spezies Mensch verhält sich derzeit nicht nachhaltig und alles geht trotz kleiner lokaler Erfolge in Summe weiterhin konsequent in die falsche Richtung. Punkt.

Der Klimawandel ist also da, er betrifft die ganze Menschheit und wir verhalten uns dem Problem nicht angemessen. Wir beklagen die Situation, kommen aber viel zu langsam voran. Wenn wir ihn einfach ignorieren, wird er den nachfolgenden Generationen unermesslichen Schaden zufügen und eine vom berühmten Astrophysiker Stephen Hawking einst geäußerte Prognose wahrscheinlicher machen, dass die Erde in 100 Jahren nicht mehr bewohnbar sein könnte. Die Konsequenz ist also völlig klar: Wir müssen uns ändern! Aber ist das realistisch?

Ein Freund sagte mir mal, dass sich ein Mensch nur aus zwei Gründen wirklich verändert: aus Liebe oder durch ein Unglück. Ich glaube, er hat Recht. Ersteres ist unbestritten, denn was machen frisch Verliebte nicht alles für merkwürdige Dinge, und was kann eine tiefe Beziehung zu einem Menschen nicht alles an neuen Interessen wecken? Und das Zweite, das Unglück? Auch das könnte klarer kaum sein: Wer plötzlich erblindet oder querschnittsgelähmt ist, sieht sich regelrecht gezwungen, sein Leben und damit sich selbst zu verändern. Ebenso vermag der Tod eines geliebten Menschen oder die Verwüstung der eigenen Heimat, etwa durch einen Krieg oder durch eine Schlammlawine, das ganze bisherige Dasein auf den Kopf zu stellen – selbst, wenn man körperlich unversehrt davongekommen ist. Doch die meisten Dinge, die uns widerfahren, liegen irgendwo zwischen großer Liebe und großem Unglück und sind damit allenfalls geeignet, unser Verhalten kurzfristig zu beeinflussen. Bisher zeigen wir jedenfalls unbeeindruckt von allen Herausforderungen dieser Welt eine erstaunliche Beharrlichkeit in unserem Verhalten – wider besseres Wissen.

Belohnung statt Strafe

Wir sind also viel zu langsam und wissen das im Grunde auch längst, aber Gott sei Dank ändern sich die Dinge in unseren Köpfen zumindest allmählich. So ist der Klimawandel in den vergangenen fast 50 Jahren trotz etlicher Versuche, ihn kleinzureden, zu einem von vielen anerkannten und immer drängenderen Problem geworden. Dies schlicht deshalb, weil er auf globaler Ebene so offensichtlich ist. Ergebnis: Es wird mehr darüber geredet. Gut! Aber viel zu wenig getan. Schlecht! Weder die mittlerweile 27 weltweiten jährlichen Klimakonferenzen noch eine ständige Erhöhung der Dosis medialer Dramatik brachten hier einen Durchbruch.

Sobald man erkennt, dass die über Jahre betriebene Klimakommunikation keinen Erfolg gegen den ständig wachsenden Ausstoß von Treibhausgasen bringt, sollte man die Strategie ändern. Wir müssen – was auch zunehmend geschieht – die Wege heraus aus der Heißzeit skizzieren und Ideen sowie Chancen in den Mittelpunkt stellen. Überwiegend die bestehende Tragik zu beschreiben hilft wenig. Schließlich ist »die ständige Wiederholung der Feind der Aufmerksamkeit«, wie es der Soziologe Armin Nassehi trefflich in Worte gekleidet hat. Wir sollten zudem Belohnungssysteme für klimafreundliches Verhalten schaffen. Belohnung ist immer besser als Strafe. Außerdem wäre es klug, ein »Jahrhundertgeschäft Klimaschutz« zu etablieren, denn bei einem Geschäft wollen ja alle mitmachen, Idealisten alleine werden es – wie eben schon erwähnt – nun einmal nicht schaffen.

Wenn Sie jetzt schlucken – mir geht es da ähnlich – und sich wünschen, dass doch eher moralische Überlegungen in Kombination mit bewussten Verhaltensänderungen unsere Welt ändern mögen, dann haben Sie recht! Verbunden nur mit dem kleinen Nachteil, dass das derzeit leider überhaupt nicht in ausreichendem Umfang passiert und zumindest zu befürchten ist, dass das auch in Zukunft nicht so werden wird! »Jahrhundertgeschäft« heißt natürlich keinesfalls, einfach noch mehr auszubeuten und die Ressourcen noch schneller zu verbrauchen. Sondern es gilt, eine ertüchtigte ökosoziale Marktwirtschaft zu etablieren, die den nachhaltig Wirtschaftenden reicher macht als den Umweltverschmutzer. Wenn man das durchsetzen will, muss man freilich alles, was Klimaschäden verursacht, bepreisen – und kontrollieren, dass den Regeln entsprechend gehandelt wird. Eine riesige Herausforderung, die wir momentan, wenn man sich auf dieser Welt mit all ihren Konflikten umschaut, nicht meistern. Ändern wir daran aber nichts, dann lässt sich nur noch schwer – und in keinem Fall mit erfreulichem Ergebnis – vorhersagen, wie unser Planet in ein oder zwei Generationen aussehen wird.

Wem der Begriff »Jahrhundertgeschäft« jetzt immer noch Mühe macht, der oder dem flüstere ich – ich bin ja Meteorologe und kein Ökonom – fragend zu: Wenn Sie eine andere Idee als eine ökosoziale Marktwirtschaft haben, die funktioniert, bei der alle mitmachen wollen, die wir quasi sofort installieren können und die unsere Welt gleichzeitig nachhaltiger und gerechter macht, dann sagen Sie mir bitte Bescheid! Es braucht einen »Wettbewerb der Klimafreundlichkeit«; egal ob zwischen Firmen, Familien, Kommunen oder ganzen Staaten. Und völlig klar: Wir bedürfen auch technischer Lösungen, die unseren Horizont erweitern und uns dadurch nachhaltiger machen.

Schließlich müssen wir der Realität ins Auge schauen, dass eine Welt des Hyperkonsums, dessen zwingende Notwendigkeit uns allen in den vergangenen Jahrzehnten antrainiert wurde, viele Nachteile hat: Weder ist es hilfreich, die Ressourcen, von denen unsere Existenz abhängt, zu zerstören, noch ist es nützlich, in einem Hamsterrad voller Stress auf den eigenen Burnout zuzusteuern. Wo liegt der Sinn, sich kollektiv so zu verhalten und zu meinen, dass dieser Weg der einzige sei? Bei Befragungen zu Wünschen für die Zukunft geben wir neben der Lösung des Klimaproblems stets an, dass wir uns weniger Stress und mehr Zeit für Familie und Freude wünschen. Wer oder was hindert uns daran, das umzusetzen? Klar, in einigen Fällen werden finanzielle Zwänge dazu führen, aber sehr häufig ist es eine schlichte Kopffrage und die hat mit Entschleunigung zu tun. Nutzen wir doch in Zukunft einfach dieses gewinnbringende Wort statt des ungeliebten Begriffs »Verzicht«, um Klima- und Ressourcenschutz zu beschreiben.

Dabei dürfen wir für die weitere Motivation durchaus auf eigene Erfolge hinweisen, auch wenn sie bei weitem noch nicht genügen: Europa hat es geschafft, seine CO2-Emissionen seit 1990 um rund 30 Prozent zu senken. Derzeit sind wir global auf einem 2,8-Grad-Pfad bis zum Ende des Jahrhunderts. Das ist zwar nicht gut, aber wir müssen zumindest nicht mehr über 6 Grad diskutieren wie noch vor zwei Jahrzehnten. Und wenn wir all die Dinge tun, die wir uns auf den Klimakonferenzen zuletzt in Glasgow und Scharm asch-Schaich verbindlich zugesagt haben, dann wären 2,1 Grad möglich. Das zeigt, dass wir nicht machtlos sind, sondern Stellschrauben haben. Allein schon dieses Wissen kann weitere Kräfte freisetzen. Daraus folgt im Umkehrschluss aber auch: Unwissen schadet doppelt. Wenn wir unserem Umgang mit dem Thema Klimawandel nun genauer unter die Lupe nehmen wollen, dann müssen wir zwei große Bereiche unterscheiden: einerseits den akademischen und andererseits den gesellschaftspolitischen.

Die akademische Aufgabe

Diese besteht darin, die Frage zu beantworten, was sich warum in unserer Atmosphäre und – erweitert – in unserem ganzen Erdsystem tut. Dazu werden alle relevanten Größen gemessen und unter Anwendung komplexer mathematischer Verfahren versucht, daraus eine Prognose der weiteren Entwicklung abzuleiten. Den unverrückbaren Rahmen dafür setzt die Physik des Systems, daher müssen wir sie als Erstes verstehen. Begreift und akzeptiert man die zugrundeliegenden Abläufe nicht, hat man schlichtweg Pech gehabt. Der französische Biologe und Nobelpreisträger Jacques Monod formulierte es in seinem Essay Zufall und Notwendigkeit so: Der Mensch muss sich zurechtfinden in einem Universum, »das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen«.

Passen wir uns den Bedingungen dieses Planeten nicht an, so ist das unser Problem – und fertig! Deshalb sind Meinungen und Emotionen hier völlig uninteressant. Auch wenn mir persönlich der Aufkleber »Schwerkraft, nein danke!«, den ein paar heitere Physiker im Zuge der Diskussion über die Atomkraft in den 1980er Jahren erfunden hatten, viel Freude bereitete: Es half nichts, die Schwerkraft blieb und wird unabhängig von unserem ironischen Protest auch immer bleiben. Es gibt eben Dinge, die wir hinnehmen müssen, unabhängig davon, ob es uns gefällt oder nicht. Und so laufen in unserer Atmosphäre schlicht physikalische Prozesse ab, nicht mehr und nicht weniger.

Und die Dynamik dieser Prozesse verändert sich, wenn etwa der Mensch durch sein Zutun in die Zusammensetzung der Atmosphäre eingreift. Pustet er Chlor in die Luft, das dort ursprünglich nicht vorhanden war, dann verändert sich in der Folge etwas – chemische Reaktionen ließen das Ozonloch entstehen. Ebenso: Gelangt immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre, so wird diese wärmer und in der Folge verändern sich die Wetterabläufe, unter deren Bedingungen wir uns vor hunderten oder tausenden von Jahren angesiedelt haben und an die wir bis heute gewöhnt sind. Das kann man etwa an Kapstadt beobachten. Der Metropole geht durch immer häufiger ausbleibenden Regen das Wasser aus und das bedeutet aus heutiger Klimasicht ganz einfach, dass die Stadt an der falschen Stelle steht. So leicht es sich schreibt, so tragisch ist dieser Umstand für die Menschen dort – aber natürlich nur für den ärmeren Teil der Bevölkerung, denn die reichen Bürger bohren sich tiefe Privatbrunnen und sind deshalb noch gut mit Wasser versorgt. Das Wort »noch« spielt allerdings eine große Rolle, denn der Grundwasserspiegel sinkt schnell. Und dieses Problem ist nicht etwa ausschließlich den entlegenen Regionen der Welt zu eigen, denn auch in Deutschland haben wir seit ein paar Jahren in einigen Regionen ein veritables Problem mit der Grundwasserneubildung.

Die Forschung ist sich heute sicher, dass der Mensch erhebliche Auswirkungen auf das Klimageschehen hat, und stellt klar fest, dass die derzeitigen rasanten und sich weiter beschleunigenden globalen Veränderungen unseres Klimas mit rein natürlichen Prozessen nicht erklärbar sind. Hierin stimmen 99 Prozent der Wissenschaftler überein – eine Einigkeit, die sich über mehrere Jahrzehnte intensiver Forschungsarbeit mit zigtausenden Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften herausgebildet hat. So sicher, wie eine venunftbegabte Person heute sagen kann, dass zwei plus zwei vier ergibt und dass die Erde eine Kugel ist, können wir auch sagen, dass der Mensch das Klima maßgeblich beeinflusst. Der letzte Satz schließt natürlich die Existenz solcher Exemplare nicht aus, die in Gänze an der Mathematik zweifeln, und lässt ebenso zu, dass heute in etwa 3 500 Leute der »Flat Earth Society« anhängen und von der Scheibenerde überzeugt sind. An dieser Stelle müssen Sie vielleicht lachen, weil das so ein offensichtlicher Unsinn ist. Lachen befreit und glücklicherweise denken die wenigsten Menschen so. Würden wir alle in verbohrtem Irrsinn durch die Welt geistern, wären wir schon vor langer Zeit ausgestorben. Die natürliche Selektion ist ein mächtiges Korrektiv, wenn man die Realität falsch einschätzt.

Aber lacht man auch sofort über jemanden, der bezweifelt, dass der Mensch maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich ist? Warum folgen wir bei diesem Thema nicht konsequent den eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen? Man muss ja nicht gleich einer der wenigen Leugner sein, aber was berechtigt uns überhaupt, immer wieder mal Aussagen der Klimaforschung trotz ihrer sichtbaren Qualität und häufig ohne eigene physikalische Kenntnis in Zweifel zu ziehen?

Die Antwort hat mit kognitiver Dissonanz zu tun. Kognitionen sind die Erkenntnisse eines Individuums über die Realität, nachdem es die Eindrücke verarbeitet hat, die es aus seiner Wahrnehmungsrealität erhält. Da es davon viele gibt, ist es durchaus möglich, dass sie zueinander in Widerspruch stehen, und dann entsteht in uns eine Dissonanz, ein Spannungszustand. Diesen empfinden wir als unschön und deshalb gewichten wir die widersprüchlichen Kognitionen am Ende unterschiedlich, um eine Handlung oder eine Haltung vor uns selbst und anderen begründen zu können. Eine solche Abwägung kann je nach Kontext oder den Menschen, die uns gerade umgeben, von Moment zu Moment unterschiedlich ausfallen. Ein bekanntes Beispiel für kognitive Dissonanz ist der kettenrauchende Lungenfacharzt. Den dürfte es eigentlich nicht geben, denn er hat eine positive Einstellung zum Rauchen, obwohl er besser als fast jeder andere um dessen Schädlichkeit weiß. Um die Dissonanz kleinzuhalten, wird er vielleicht selektiv auf Helmut Schmidt hinweisen, der trotz intensiven Rauchens sehr alt wurde. Möglicherweise wird er auch einige Studien als nicht so glaubwürdig abtun oder sie gleich komplett ignorieren, nur um am Ende mit nicht allzu schlechtem Gewissen zu rauchen – und seinen Patienten gleichzeitig intensiv davon abraten.

Übertragen wir dieses Konzept auf die Klimaforschung. Wenn man ihren Ergebnissen zustimmt, stimmt man automatisch auch der Aussage zu, dass das ungebremste Wirtschaftswachstum mit fossilen Energieträgern und unter ungezügelter Ausbeutung der Natur in gefährliche Zustände führt. Der Brite Sir Nicholas Stern, von 2000 bis 2003 Chefökonom der Weltbank, fand hierfür klare Worte: »Der Klimawandel ist das Ergebnis des größten Marktversagens, das die Welt je gesehen hat.« Genau dieses Wirtschaftswachstum hat uns, zusammen mit technologischem Fortschritt, aber auch erlaubt, seit Beginn der Industrialisierung einen beachtlichen Wohlstand zu erlangen. Dass wir heute so leben, wie wir leben, gefällt den meisten Menschen. Und jetzt: Schauen Sie auf beide Aussagen gleichzeitig. Spüren Sie es? Das ist die kognitive Dissonanz. Ich kann nicht das, was ich gut finde, gleichermaßen auch schlecht finden. Um einer Konsonanz, also einem inneren Gleichgewicht, möglichst nahezukommen, muss ich nun entweder die Erkenntnisse der Klimaforschung als besonders bedeutend einstufen oder sie eben anzweifeln. In beiden Fällen gewinnt eine der widerstreitenden Kognitionen die Oberhand und der innere Spannungszustand wird schwächer.

Bewertet man die Erkenntnisse der Klimaforschung als korrekt, führt das automatisch dazu, dass man seine Haltung zu Klimawandel und Umwelt und damit letztendlich auch sein Verhalten ändern muss. Weist man sie hingegen zurück – was umso einfacher ist, je weniger Ahnung man von den physikalischen Prozessen in der Atmosphäre hat –, muss man beides nicht tun. Kurz: Je nach Gewichtung kommt unter dem Strich entweder eine konsequente und damit mühsame Verhaltensänderung heraus oder die Gelegenheit, alte Gewohnheiten unbeirrt fortzuführen – und Letzteres fällt uns eben leichter. Um die erste, anstrengendere Variante zu wählen, muss man also wirklich inhaltlich überzeugt sein oder eine konkrete Bedrohung spüren.

Die Geburt klimaskeptischer »Argumente«

Der kognitive Wettbewerb zwischen Wissen und Wunsch legt das Fundament dafür, dass die wissenschaftliche und die öffentliche Diskussion völlig unterschiedlich verlaufen. Weil der Wunsch nach einem »schönen Leben« aber in der Kraft der Argumentation gegen den bedrohlichen Klimawandel – auch wenn es zweifellos sehr ehrlich wäre, diesen Wunsch auszudrücken – ganz schön schwach dasteht, versucht man der öffentlichen Diskussion einen »fachlichen Anstrich« und damit eine Gleichberechtigung zur akademischen Diskussion zu geben. Genau das ist die Stelle, an der die außerhalb der Wissenschaft typischerweise vorgetragenen »Leugnerargumente« ihren Weg in die »große weite Welt« finden und hier seit Jahren für Verunsicherung und teilweise Diskreditierung der Klimaforschung sorgen. Deshalb werden Beiträge dieser Art zur »Erweiterung unseres Horizonts« im Kapitel »Kritischen Äußerungen begegnen« aufgegriffen und jeweils hinsichtlich ihres physikalischen Inhaltes geprüft. Denn selbst wenn etwas erstmal plausibel klingt, muss es noch lange nicht stimmen. Wer könnte das besser zusammenfassen als Kurt Tucholsky mit seinem sehr klugen Satz: »Plausibilität ist der größte Feind der Wahrheit.«

Ein solcher, gefühlt fachlicher Ansatz der Argumentation ist aus zwei Gründen durchaus erfolgreich: Erstens, weil sich viele von uns eine Absolution für ihr klimaschädliches Verhalten wünschen und hinter diesen Behauptungen Schutz suchen können, und zweitens, weil wir – Pisa lässt grüßen – zunehmend an kollektiver Physikdemenz leiden. Wer kann sich heute noch an das in der Schulphysik Erlernte erinnern? Deswegen setzen manche von uns statt »Physik« auch einfach »Phantasie« ein. Es fängt schließlich beides mit »Ph« an, nur endet es völlig anders. Und so klingt absoluter Unsinn in vielen Ohren heute leider absolut vernünftig.

Zusammengefasst: Die Wissenschaftler stimmen fast ausnahmslos darin überein, dass der Mensch maßgeblich für den heutigen Klimawandel verantwortlich ist. Weil uns diese Erkenntnis aber nicht passt, da sie Handeln verlangt, sind wir empfänglich für Aussagen, die uns von der Verantwortung gegenüber der Umwelt und unseren Mitmenschen befreien. Dabei hilft uns leider eine Fähigkeit unseres Gehirns, die wir regelmäßig zum Bestehen unseres Alltags benötigen: die Aufrechterhaltung kognitiver Dissonanz – und die müssen wir überwinden.

Die gesellschaftspolitische Aufgabe

So weit der akademische Teil, den inhaltlich zu erklären eines der Hauptziele dieses Buches und Gegenstand des Kapitels »Den Klimawandel verstehen« ist. Gehen wir nun aber zum gesellschaftspolitischen Teil über, bei dem es die Frage zu beantworten gilt, welche Schlüsse wir aus den erworbenen Erkenntnissen ziehen und wie wir daraus Handlungsanweisungen machen. Dafür müssen wir zwei Pfade betrachten: Zum einen, wie wir weitere Treibhausgasemissionen vermeiden, und zum anderen, wie wir uns an den schon existierenden Klimawandel anpassen können.

Die richtige Gewichtung liegt irgendwo zwischen der Einsicht, dass wir eine weitere Erwärmung nicht vollständig verhindern können, und der Ahnung, dass ausschließlich auf Anpassung zu setzen nicht finanzierbar sein wird. Folgt man einer Vielzahl von Studien zu den jeweiligen Kosten dieser Maßnahmen, führt jeder heute nicht sinnvoll in den Klimaschutz gesteckte Euro später zu Ausgaben zwischen zwei und elf Euro. Selbst beim konservativen, niedrigeren Wert geht es folglich schon um eine Verdopplung des Kapitaleinsatzes. Sicherer und zukunftsorientierter als in den Klimaschutz kann man Geld also kaum investieren. Auch auf diesen Aspekt kommen wir später noch ausführlicher zu sprechen.

Momentan sägen wir im Wesentlichen fleißig an dem Ast, auf dem wir sitzen. Das zu verändern ist aber nicht so einfach, denn es gleicht einer Operation am offenen Herzen. Während unser normaler Alltag wie gewohnt weiterlaufen muss, gilt es parallel in einer sowieso schon ungerecht verteilten Welt mit 8 Milliarden Menschen fast alles umzubauen. Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen und miteinander verzahnt sind, müssen aufgebrochen werden, doch gibt es dabei nicht den richtigen Weg. Selbst wenn wir alle einmütig bereitstünden, wäre die Aufgabe schon fast nicht zu leisten. Doch in der Wirklichkeit gleicht sie eher dem Turmbau zu Babel. Da treffen unterschiedlichste Nationen, politische Systeme, Kulturen und Klimarisiken, die von der jeweiligen geographischen Lage abhängen, aufeinander. Und das Wichtigste: verschiedenste Interessen bei höchst ungleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, was zwingend in Machtfragen mündet – und die sind für viele von uns und offenbar insbesondere für Staatenlenker leider wichtiger als Sachfragen. Jeder blickt folglich individuell gefärbt auf die Klimakrise. Ohne bei der Frage landen zu wollen, ob wir das überhaupt lösen können, lässt sich zumindest festhalten, dass es mutmaßlich einfacher wäre, wenn wir gerade frisch auf diesem Planeten eintreffen würden. Alles von vorne unter den derzeitigen Bedingungen neu aufzubauen, erscheint fast leichter, als Altes zu sanieren. Aber allein die Erkenntnis, dass wir die Welt heute ganz sicher anders »zusammenbauen« würden, als wir es zu Beginn der Industriellen Revolution vor bald 150 Jahren begonnen haben, zeigt, dass eine Transformation zur Nachhaltigkeit nötig und für unsere Nachkommen unumgänglich ist.

Unsichtbares Problem, kaum sichtbare Erfolge

Was wir nicht mit eigenen Augen sehen können, fällt für uns – und auch das war evolutionär sinnvoll – erst mal kaum ins Gewicht. Beim Klimaschutz erhält dieses »mit den eigenen Augen sehen« eine fast tragische Rolle. CO2 ist völlig unsichtbar und geruchlos. Stellen Sie sich mal kurz vor, dieses Gas wäre schwarzer Qualm und wir sähen nie mehr die Sonne! Unsere beliebten Urlaubsziele im Mittelmeer oder ferne Traumstrände lägen ständig in bleigrau-dämmrigem Zwielicht. Oder stellen Sie sich vor, das Kohlendioxid hätte den gleichen Geruch wie die Stinkbomben, die wir zu Schulzeiten gerne im Lehrerzimmer hochgehen ließen! Wir müssten mit klobigen Gasmasken herumlaufen, um den widerlichen Gestank auszuhalten. Dann würden wir unser Problem dauerhaft spüren und nicht nur – wie bei Extremwetter – mal hier, mal da und mit längeren Unterbrechungen. Das Thema stünde auf allen politischen Agenden an erster Stelle und man suchte schleunigst nach Lösungen. Und fände sie auch sofort – denn die Nachteile wären so offensichtlich, dass sie die individuellen Vorteile im wahrsten Sinne des Wortes in den Schatten stellen würden.

Die Unsichtbarkeit des Gases ist das eine, die fehlende persönliche Zuordnung das andere. Wohnt jemand, der sich stets klimafreundlich verhält, Tür an Tür mit jemandem, den man mit Fug und Recht als »Umweltsau« bezeichnen würde, so sehen beide die exakt gleiche Welt: Die Konsequenzen des eigenen Handelns bleiben – so unsichtbar wie das CO2 selbst. Den Erfolg von sinnvollem Klimaverhalten, wenn wir denn kollektiv richtig agieren, sehen wir leider erst mit großer Verzögerung, ebenso wie wir erst jetzt die Folgen unserer früheren Klimaschädigung sehen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Erreichen der Klimaziele kein konkretes »Ergebnis« hat, sondern lediglich Schlimmeres abwendet. Das hat eine gänzlich verdrehte Motivationsstruktur zur Folge, vergleichbar mit dem alltäglichen Verhalten vieler Leute, Reparaturen oder Behandlungen nie aufzuschieben, während Vorsorgemaßnahmen gerne schleifen gelassen werden: Der Aufwand hat keinen greifbaren, sondern nur hypothetischen Gegenwert.

Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass es sich bei CO2 natürlich um ein für unser Leben sehr wichtiges Gas handelt. Ohne es könnten Pflanzen – und das schließt die so wichtigen Algen ein – keine Photosynthese, die Umwandlung von Kohlendioxid und Wasser in Glucose (Traubenzucker), betreiben. Als »Abfall« entsteht, für uns besonders relevant, Sauerstoff. Also: CO2 ist weder ein »böses Gas« noch ein »Klimakiller«, sondern einerseits wichtig und andererseits ein Treibhausgas. Es hat eben beides: Vor- und Nachteile. Die Dosis macht das Gift und darum ist ein vernünftiges Gleichgewicht sinnvoll. Wenn wir in Rekordzeit immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre drücken, wird es eben wärmer und die Wetterabläufe ändern sich. So einfach ist das.

Wenn eine neue Eiszeit drohte …

Bilder von der Erdatmosphäre, etwa einen Sonnenaufgang aus der Internationalen Raumstation ISS, zeigen, wie hauchdünn und zart die Lufthülle ist, die unsere Erde umspannt. Gleichzeitig ist sie aber auch äußerst gewichtig: Es lasten nicht weniger als 5 Billiarden Tonnen Luft auf unserer Erdoberfläche, die wir als Luftdruck messen. Diese riesige Masse kaschiert unsere »kleinen Sünden« sehr lange: Statt die Atmosphäre mit unserem Lebenselixier Luft respektvoll sauber zu halten, stopfen wir sie mit unseren Abgasen voll – zunächst merkt man ja nichts davon. Es dauert eben eine ganze Weile, bis 5 Billiarden Tonnen aufgeheizt sind und die Reaktion der Atmosphäre auf unser Verhalten eintritt. Sie kennen das von Ihrer Heizung: Drehen Sie den Thermostat drei Stufen höher, ist das Zimmer ja nicht schlagartig wärmer, sondern es wird dauerhaft mehr Energie zugeführt. Die Temperatur steigt, bis ein neues Gleichgewicht zwischen Energiezufuhr und Wärmeverlust herrscht. Drehen Sie den Thermostat irgendwann zurück, so führen Sie weniger Energie zu und die Temperatur sinkt – ebenfalls langsam – wieder.

Diese Trägheit lässt uns mit Aussagen wie »In den letzten 100 Jahren ist es global um rund 1 Grad wärmer geworden« auch kaum etwas anfangen oder zumindest nichts Besorgniserregendes an ihnen erkennen – anders als bei Unwettern, die den Klimawandel heute »spürbar« machen. Wir brauchen also einen griffigen Vergleich, um Änderungen der Mitteltemperaturen erfassen und einordnen zu können: Seit dem Ende der letzten Kaltzeit vor rund 11 000 Jahren ist die globale Mitteltemperatur um gerade einmal 4 Grad angestiegen. Wir halten das mit unserer Alltagserfahrung natürlich für wenig. Aber es geht hier ja um eine globale Temperaturänderung! So sah die Welt damals völlig anders aus als heute: Niemand hätte in Österreich oder der Schweiz leben können, denn sämtliche Alpentäler waren komplett mit Eis gefüllt. Berlin wäre hunderte von Metern darunter begraben gewesen, New York etwa 1,5 und Skandinavien sogar 2 bis 3 Kilometer. Knapp ein Drittel des heute flüssigen Wassers war zu Eis erstarrt und der Meeresspiegel lag 120 Meter tiefer. Wir sehen deutlich: Eine 4 Grad kältere Welt hat mit der heutigen schlichtweg nichts zu tun. Vor diesem Hintergrund versteht man, dass eine 4 Grad wärmere Welt ebenso eine ganz andere wäre. Nur, dass wir Menschen die natürlichen Prozesse erheblich beschleunigen. Das macht diesen Klimawandel für uns, aber auch für Flora und Fauna weitaus belastender als alle vorangegangenen. Biologisches Leben muss sich den Veränderungen anpassen, kann mit dieser Geschwindigkeit jedoch oft nicht Schritt halten. Das führt zum Aussterben vieler Arten. Für unseren Planeten ist das freilich alles völlig unkompliziert – ihm ist es egal, ob er Leben beheimatet oder nicht.

Nun stellen Sie sich doch mal vor, durch den menschlichen Klimaeinfluss drohte anstatt einer Hitzeperiode eine neue Eiszeit. Es würde von Jahr zu Jahr kälter mit immer längeren Wintern, Gletschervorstößen und nur noch sehr durchwachsenen, kurzen Sommerperioden. Ich wage zu vermuten, dass wir aus Angst vor einer solchen Entwicklung hin zu einem Klimapessimum viel aktiver gegen die Veränderungen vorgingen. Neben der Sorge vor Kälte wäre sicher auch die geographische Lage der meisten Industrieländer ein ausschlaggebender Punkt. Die Abkühlung würde uns nämlich deutlich härter als die Länder des globalen Südens treffen. Eine Erwärmung verbinden wir klimahistorisch und intuitiv hingegen mit einem Optimum und sind weniger besorgt. Mancher freut sich auch auf eine wärmere Umwelt, schließlich kommt uns unser gewünschtes sommerliches Urlaubsklima dadurch sogar näher. Wie schön. Leider werden bei diesem Gedankengang Dürren, Noternten, Hitzewellen, Starkregen, Hagel, Überschwemmungen und ihre Häufung meist ausgeblendet.

Vorbildfunktion und Nachmacheffekt

Schauen wir jetzt einmal durch die deutsche Brille und lösen uns kurz von dem Gedanken, dass die Politik am Ende natürlich einen Handlungsrahmen – idealerweise im weltweiten oder zumindest europäischen Verbund – vorgeben muss. Ohne einen solchen wird es nicht gehen, aber ebenso wird es auch nicht klappen, wenn nicht jede und jeder bereit ist, Teil der Veränderung zu sein. Beides liegt auf der Hand und so verbleiben wir an dieser Stelle zuerst beim Grundsätzlichen, nämlich der Motivation einzelner Menschen, sich des Problems überhaupt anzunehmen. Wir müssen vom Problemverursacher zum Problemlöser mutieren, jemand anders ist schließlich nicht da.

Schon zu Beginn des Buches wurde anhand einer Studie gezeigt, dass wir das Problem Klimawandel als Gesellschaft klar anerkennen – sofern man nicht zu den Wenigen zählt, die das Zutun des Menschen leugnen. Schaut man sich nun zusätzlich eine Untersuchung zu ökologischen Sozialcharakteren vor dem Hintergrund unseres Umgangs mit dieser Thematik an, dann offenbart sich folgendes Bild: 13 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen das Problem zwar bekannt, aber schlicht gleichgültig sei; 30 Prozent meinten, dass wir es sowieso nicht in den Griff bekommen werden; 30 weitere Prozent wiederum wussten nicht, was sie denn konkret tun sollen und nur 27 Prozent waren bereit zu handeln oder taten es schon aktiv. Wie kommen wir nun weiter? Sich mit Leugnern oder den Gleichgültigen zu beschäftigen ist verschenkte Zeit – also weglassen. Solche Menschen gibt es in jeder Gesellschaft, das sollte man einfach aushalten. Und wer seine Meinung ändert: wunderbar! Unvernunft muss ja kein Dauerzustand sein. Deshalb diese Gruppe ab dann sofort mitmachen lassen!