Zimtschneckenherz - Sylvia Reim - E-Book
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Zimtschneckenherz E-Book

Sylvia Reim

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Beschreibung

Valerie hat jegliches Vertrauen in Männer verloren. Alex, der Mann, den sie heiraten wollte, hat sie belogen und betrogen. Um anderen Frauen diesen Albtraum zu ersparen, heuert Valerie in einer Seitensprungagentur als Treue-Testerin an. Mit einer ordentlichen Ladung Rachegefühl im Bauch testet sie die Männer von verunsicherten und verzweifelten Frauen. Doch als Valerie den Auftrag erhält, den vermeintlich untreuen Nils zu testen, ist plötzlich alles anders: Zu ihrem Entsetzen findet sie den gut aussehenden Architekten viel anziehender, als es ihr als Treue-Testerin erlaubt ist. Wie kann ausgerechnet sie das Vertrauen ihrer Auftraggeberin Karla so missbrauchen? Und warum streitet Nils vehement ab, eine Freundin zu haben? Wider besseren Wissens beschließt Valerie, Nils zu vertrauen, und es kommt eine Wahrheit ans Licht, die alles auf den Kopf stellt.

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Seitenzahl: 405

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Sylvia Reim

Zimtschneckenherz

Roman

Kapitel 1

»Es gibt auf diesem Planeten keinen einzigen treuen Mann mehr! Was sage ich: im gesamten Universum! Ab heute ist das offiziell, das kann ich jedem gerne auch schriftlich bestätigen!« Valerie hatte es geahnt, und dennoch war sie enttäuscht. »Oder möchte mir da jemand widersprechen?« Was traf sie daran eigentlich so? Sie hatte doch gewusst, wie das verdammte Spiel lief.

»War’s so schlimm?«, fragte Lara vorsichtig.

Valerie schüttelte langsam den Kopf, so als könne sie es immer noch nicht glauben. »Es war richtig erbärmlich!«

Als sie vor rund zwei Stunden aufgebrochen war, um Walter im Auftrag seiner Ehefrau Maria zu bezirzen, war sie absolut sicher gewesen, dass er nicht anbeißen würde. Sie hatte einen Riecher dafür, immerhin arbeitete sie schon über zwei Jahre als Treuetesterin. Doch diesmal hatte sie so etwas von danebengelegen! Mit seinen dotterblumengelben Zähnen und den weithin riechbaren kolossalen Schweißflecken unter den Achseln entsprach Walter nicht unbedingt dem frisch aus den schäumenden Meeresfluten entstiegenen Gott des gepflegten Äußeren, und dennoch war er sofort begeistert auf ihre Flirtversuche angesprungen. Ohne zu zögern, hatte er einen Arm um ihre Hüfte gelegt und versucht, sie fest an sich zu pressen. Sie hatte alle Hände voll zu tun gehabt, um ihn sich vom Leib zu halten. Blitzartig hatte er ein nahe gelegenes Hotelzimmer gewusst, in das sie hätten gehen können. »Die haben dort extrabreite Betten!«, hatte der Widerling gesäuselt. Dieser Mann war ein notorischer Fremdgänger, so viel stand für Valerie fest!

Ihr graute davor, seiner verzweifelten Ehefrau die unschöne Wahrheit zu sagen. Es war nur ein winziger Trost, dass damit für die arme Frau die ständige Unsicherheit über die Treue ihres Ehemannes ein Ende hatte.

Verzagt kaute sie an ihrer Unterlippe. Der Moment der Erkenntnis, der Augenblick, in dem einem klar wurde, dass man sein Leben auf Lug und Betrug aufgebaut hatte, war schrecklich. Niemand wusste das besser als sie.

Mit einem Armwedeln wischte sie den trüben Gedanken beiseite, sie hatte schon viel zu oft darüber gegrübelt.

»Ich ruf seine Frau an«, sagte sie betont geschäftsmäßig und setzte sich an ihren Schreibtisch, oder besser gesagt, an ihre Schreibtischhälfte. Aufgrund akuter Platznot mussten sich Lara und sie einen Tisch teilen.

Die Agentur True Love war zwar in der Branche bestens angeschrieben, die Räumlichkeiten waren allerdings eher bescheiden, um nicht zu sagen, sie waren kleinwinzig. In zwei Räumen plus Miniküche musste Platz finden, wofür in anderen Firmen Zimmerfluchten zur Verfügung standen.

Neben dem üblichen Büroinventar gab es einen von Lara angeschleppten marokkanischen Fliesentisch, der ihr als Zwischenablage für ihren Wust an unerledigtem Papierkram diente und der bereits bedrohlich Schlagseite hatte. Beinahe täglich rammte sich Valerie eine der spitzen Ecken schmerzhaft in den Oberschenkel, woraufhin Lara reflexartig »Entschuldigung« murmelte, sich durch Valeries Stöhnen aber nicht weiter von ihrer Arbeit abhalten ließ.

Dominiert wurde Raum zwei von einem mächtigen amerikanischen Kühlschrank, der so viel Platz belegte, dass man die Miniküche nur betreten konnte, wenn man sich schräg, mit der Hüfte voran, an ihm vorbeiquetschte. Zumindest erfüllte er gute Dienste: Neuen Kundinnen konnte in Raum eins, an einem großen, runden Tisch, perfekt temperierter Sekt kredenzt werden. Die Chefin, Frau Frisch, legte auf diese Form der Begrüßung großen Wert, es würde es den Frauen leichter machen, die Hemmungen fallen zu lassen und über ihre Sorgen zu reden, meinte sie.

»Ich freu mich sehr, dass du den Auftrag so tadellos erledigt hast, allerdings siehst du ein wenig mitgenommen aus. Möchtest du nach dem Telefonat nach Hause gehen, Valerie?« Frau Frisch musterte ihre Mitarbeiterin besorgt, wobei sie darauf achtete, ihre Stirn nicht in Falten zu legen. Erst kürzlich hatte sie in einer Zeitschrift gelesen, dass man übertriebene Mimik vermeiden solle, wenn man bereits vorhandene Falten nicht noch weiter vertiefen wollte. Seither lief sie herum, als beabsichtigte sie, die diesjährigen Landesmeisterschaften im Pokern zu gewinnen. »Oder kann ich dir noch einen weiteren Auftrag übergeben? Die Kundin hat, ohne zu zögern, dich aus der Kartei ausgesucht.«

Valerie ließ den Telefonhörer sinken und hob interessiert den Kopf. »Warum wollte sie mich?« Es war für sie immer wieder ein Rätsel, warum Kundinnen ausgerechnet sie buchten. Immerhin standen neben Lara und ihr, als fixe Mitarbeiterinnen der Agentur, gut ein Dutzend freiberufliche Kolleginnen zur Auswahl.

»Sie sagte, sie brauche jemanden mit Niveau und Klasse. Beim Anblick deines Fotos meinte sie, mit deinem brünetten Haar und den goldbraunen Augen würdest du aussehen wie eine dieser französischen Schauspielerinnen, die gleichzeitig kultivierte Eleganz sowie auch einen Hauch Verrücktheit ausstrahlen … Ihre Worte!«, wehrte Frau Frisch ab, als sie sah, wie sich Valeries Augenbrauen fragend zusammenzogen.

Lara stieß einen gekränkten Seufzer aus. »Wie kommt es, dass beim Thema gebildet immer Valerie ausgesucht wird und niemals ich. Sehe ich so bekloppt aus? Ich fühle mich gemobbt!«

»Nicht nötig, meine Liebe!«, sagte die Chefin und klopfte Lara dabei aufmunternd auf den Rücken. »Du bist einfach der Typ süßes Mädchen, das kein Wässerchen trüben kann. Und«, fuhr sie mit erhobenem Zeigefinger fort, »du brauchst dich über eine mangelnde Auftragslage überhaupt nicht zu beschweren. Dein blonder, blauäugiger Typ wird mit Abstand am häufigsten ausgesucht, du gefällst einfach dem durchschnittlichen Mann am besten.«

»Na, danke aber auch. Das macht es jetzt auch nicht besser«, murrte sie.

Valerie musste grinsen. Sie kannte Lara gut genug, um zu wissen, dass sich hinter ihrem so niedlichen Äußeren eine unglaublich durchsetzungsfähige Person verbarg, mit der man sich im Ernstfall besser nicht anlegte. In bedrohlichen Situationen würde sie Lara jedenfalls einem scharfen Rottweiler vorziehen. Aber in ihrem Job als Treuetesterinnen ging es nun mal vor allem ums Äußere, und gerade weil sie so liebreizend aussah, wurde Lara oft gebucht.

Valerie dachte daran, wie schwer den meisten Auftraggeberinnen dieser Schritt fiel und wie viel Überwindung es sie kostete. Oft brach es ihr beinahe das Herz, mit anzusehen, wie Frauen unter Tränen eine Treuetesterin aussuchten, nur um diese unerträgliche Ungewissheit nicht länger hinnehmen zu müssen. Natürlich hatten sie auch männliche Auftraggeber, allerdings nur in einer verschwindenden Minderheit. Für sie hatte die Agentur True Love Alfredo – Typ Latin Lover – engagiert, der Damen auf ihre Treue testete.

Valerie straffte die Schultern und nahm den Telefonhörer wieder in die Hand. »Nein, kein Problem«, knüpfte sie an die Frage ihrer Chefin an, »ich erledige nur diesen Anruf und dann können Sie mir gerne den neuen Auftrag geben.« Wenn sie dabei helfen konnte, eine Frau von der drückenden Ungewissheit zu befreien, dann war sie unter allen Umständen dabei. Das hatte sie sich nach der Sache mit Alex geschworen.

*

Valerie machte eine kurze Pause im Fine Rice, einem kleinen persischen Lokal, das nur wenige Gassen von der Agentur entfernt war. Sie suchte sich einen Platz am Fenster, um die ersten warmen Strahlen dieser noch so frischen Frühlingssonne in sich aufsaugen zu können. Der Winter war erst vor wenigen Tagen weitergezogen, um in anderen Ländern für erbärmliche Kälte und mit Matsch bedeckte Straßen zu sorgen. Nun sah es so aus, als würde sich endlich das Frühjahr häuslich niederlassen.

Während sie auf ihr Essen wartete, streckte Valerie gierig ihr blasses Gesicht dem hellen Licht der Sonne entgegen. Langsam spürte sie, wie ihre erschlafften Lebensgeister wieder auf Touren kamen, und als sie, gesättigt vom persischen Reisauflauf mit Spinat und Lamm und vollgetankt mit Sonnenlicht, das Lokal schließlich verließ, verstand sie kaum noch, warum sie nach der Walter-Schlappe so frustriert gewesen war. Männer waren untreu! Das war ja nichts Neues und sollte sie längst nicht mehr derart aus der Bahn werfen. Wie bescheuert war sie eigentlich, dass sie, zwei Monate bevor sie an ihrer Geburtstagstorte unfassbare dreißig Kerzen ausblasen würde, immer noch so naiv an unendliche Liebe, ewige Treue und all die anderen romantischen Hirngespinste glaubte? Sie musste in Liebesdingen dringend um ein paar Dimensionen tougher werden, noch steckte sie auf der Ebene der liebestechnischen Zimperliesen fest. Und das hatte ihrem Herz bisher nur derbe Schrammen und einen Haufen Blutergüsse eingebracht.

*

Zehn Minuten später stand sie vor der Haustür der neuen Auftraggeberin und läutete. Die Wohnung lag in einem sehr gepflegten Mietshaus mitten im Zentrum, umgeben von hohen Alleebäumen, verkehrsberuhigten Zonen und sauber gekehrten Bürgersteigen. Valerie war eben dabei, sich Gedanken darüber zu machen, wie in aller Welt man sich hier die Miete leisten konnte, ohne komplett zu verarmen, als die Tür geöffnet wurde.

»Ich bin Karla Winter, aber bitte sagen Sie einfach nur Karla.« Vor ihr stand eine gepflegte junge Frau, dezent geschminkt, mit schönen braunen Augen, die hinter einer schwarzen, rechteckigen Brille hervorleuchteten. Zaghaft reichte sie Valerie die Hand und steckte, mit einer verlegenen Geste, eine Strähne ihres schulterlangen, nussbraunen Haars hinters Ohr. »Kommen Sie bitte herein.«

Valerie war lange genug im Geschäft, um zu wissen, was nun von ihr erwartet wurde. »Hallo Karla! Mein Name ist Valerie Schöneck von der Agentur True Love. Meine Chefin, Frau Frisch, schickt mich. Es geht um den Treuetest.« Sie sah, wie die Auftraggeberin bei dem Wort Treuetest leicht in die Knie ging und die Hand vor den Mund schlug. »Ja, ich weiß«, fuhr sie beruhigend fort, »das ist Ihnen sicher sehr schwergefallen, aber Sie werden sehen, danach haben Sie Gewissheit und dann geht es Ihnen garantiert besser. Und vielleicht stellt sich Ihr Verdacht ja tatsächlich als völlig unbegründet heraus, das hab ich schon so oft erlebt.«

Nicht so oft, wie ich das Gegenteil erlebt habe, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber sie wollte hier keine vorschnellen Urteile fällen.

»Also Karla, worum geht es denn?« Sie setzte ihr professionelles Mir können Sie sich anvertrauen-Lächeln auf. »Vielleicht sollten wir uns setzen, um alles zu besprechen.«

Valerie folgte Frau Winter durch einen lang gezogenen, schmalen Vorraum ins Wohnzimmer, wo ihr beinahe ein Wow entfuhr: Nischen mit kleinen Spiegeln sorgten dafür, dass das kleine Zimmer weitläufig erschien, es beinahe groß wirkte. Die hellen, locker arrangierten Möbel und die durchscheinenden Vorhänge taten ihr Übriges. Da war ein Meister am Werk gewesen.

Karla bedeutete Valerie, dass sie auf dem mokkafarbenen Sofa Platz nehmen solle.

»Es ist so«, begann sie stockend, nachdem sie sich gesetzt hatten, »ich habe den Verdacht, dass mein Freund Nils mich … betrügt.« Das letzte Wort hatte sie nur gehaucht, nervös knetete sie ihre Finger.

Valerie nickte aufmunternd. Der Beginn des Gesprächs war für die Kundinnen immer am schwierigsten, das wusste sie. Sie ließ ihr die Zeit, die sie benötigte, um sich zu sammeln und fortzufahren.

»Es ist nur so eine Vermutung«, fuhr Karla schließlich zögernd fort. Sie sah auf den Boden, als wäre es ihr peinlich, überhaupt darüber zu reden. »Sie wissen schon, so eine Ahnung, dass da etwas nicht stimmt. Er ist Architekt und er arbeitet viel, das war immer schon so. Doch in letzter Zeit kommt er abends immer so spät nach Hause und manchmal kommt er gar nicht, da übernachtet er angeblich in der kleinen Wohnung, die dem Architektenbüro, für das er arbeitet, angeschlossen ist. Ich weiß auch nicht«, fuhr sie schulterzuckend fort, »wir haben schon über unsere Hochzeit gesprochen, und alles war bestens, und plötzlich hab ich den Eindruck, er verheimlicht mir etwas, er ist nicht ehrlich zu mir. Verstehen Sie, was ich meine? Ich spinn doch nicht, oder?« Angespannt sah sie Valerie an, so als würde sie Hilfe bei ihr suchen.

Valerie kannte diese Zweifel gut. »Wenn da etwas im Busch ist, dann finde ich es heraus, das verspreche ich Ihnen!« Aufmerksam sah sie sich um. Sie war erstaunt über die Vielzahl von Fotos an den Wänden und in den Regalen. Es beschlich sie das Gefühl, in einer Fotoausstellung eines Museums zu sein. Doch das ging sie nichts an.

»Darf ich?«, fragte sie, und nachdem Karla zustimmend genickt hatte, hob sie ein Bild in einem zarten silbernen Rahmen auf, um es genauer zu betrachten. Es zeigte ein sich liebevoll umarmendes Paar, das an einem Strand stand, bis zu den Knöcheln im Meerwasser; unbeschwert strahlten sie, mit vom Wind zerzaustem Haar, in die Kamera. »Ist das an Ihrer Seite Ihr Freund Nils?«, fragte Valerie und studierte das Bild genau. Der Mann war echt gut aussehend, Typ schwedischer Holzfäller, blond und blauäugig, richtig groß und mächtig, mit lachenden Augen, die an den Rändern ein wenig nach unten zeigten. Sexy, dachte Valerie, ließ sich davon aber nicht täuschen. Sie hatte in ihrer Karriere als Treuetesterin schon alles erlebt: Mafiositypen, die sich als treue Lämmlein herausgestellt hatten, und andererseits Männer, die aussahen, als würden sie in die Kategorie »langweiligste Nerds aller Zeiten« gehören, die sich schlussendlich als routinierte Seitenspringer entpuppten. Valerie stellte das Bild wieder vorsichtig auf das Regal. Sie würde die Wahrheit schon herausfinden.

»Und wie läuft das nun?«, fragte Karla, und Valerie sah ihr an, wie sie gleichzeitig gespannt darauf wartete, endlich zu erfahren, wie sie den Druck, der seit Wochen auf ihrer Brust lag, lockern konnte, und andererseits unbändige Angst vor der eigenen Courage hatte. Sie hatte Angst vor der Erkenntnis, dass sie richtiglag mit ihrer Ahnung, dass etwas ganz und gar nicht stimmte in ihrer Beziehung. Dass die vielen Abende, die sie in letzter Zeit alleine vor dem Fernseher verbrachte, etwas zu bedeuten hatten. Karlas Finger waren mittlerweile dunkelrot vom Kneten und Quetschen.

Valerie setzte sich wieder zu ihr und nahm Karlas Hände in die ihren, um sie zu beschwichtigen. »Es gibt verschiedene Möglichkeiten, aber ich würde Folgendes vorschlagen: Sie sagen mir einen Ort, wo ich ihn treffen und mit ihm ins Gespräch kommen kann. Dann hab ich schon meine Mittel und Tricks, um herauszufinden, ob er an einem Seitensprung interessiert ist. Glauben Sie mir, ich finde einen Weg. Also, wo kann ich ihn treffen?«

Karla zögerte einen Augenblick, bevor sie antwortete. »Frau Frisch hat mir schon angekündigt, dass es in etwa so laufen könnte, daher hab ich mir schon Gedanken gemacht. Ich denke, am besten wäre es«, sie begann wieder ihre Finger zu zermalmen, »Sie würden sich einen Termin mit ihm in seinem Büro geben lassen. Sie könnten ja eine interessierte Kundin spielen, die sich irgendetwas in ihrer Wohnung umbauen lassen will. Sagen Sie, Sie hätten einen Tipp bekommen und dass Sie deshalb unbedingt ihn wollten.« Fragend schaute sie Valerie an. »Könnte das klappen?«

Valerie überlegte kurz. Es war zwar nicht unbedingt üblich, einen Treuetest am Arbeitsplatz durchzuführen – immerhin konnte die Szene ziemlich unschön ausgehen, wenn sie sich als Treuetesterin zu erkennen gab –, doch es war nicht ausgeschlossen, möglich war es allemal. »Warum nicht?«, sagte sie daher; sie konnte den Typen überall in die Mangel nehmen. »Haben Sie Adresse und Telefonnummer für mich?«

Karla nickte kurz, stand auf, ging in den Vorraum und kehrte mit einer Karte in der Hand zurück. »Das ist seine Visitenkarte, da finden Sie alle Daten, die Sie brauchen.«

Valerie nahm das Kärtchen entgegen und steckte es, ohne es zu lesen, ein. Die Adresse würde sie sich später ansehen. »Wichtig ist noch die Frage, wie lange ich ihn denn testen soll. Ich meine, genügt es Ihnen, wenn ich nach einem Treffen bereits den Eindruck habe, dass er an einem Seitensprung völlig desinteressiert ist?«

»Nein, nein«, wehrte Karla überraschend vehement ab, »ich will ganz sicher gehen! Sie sollten sich, sagen wir einmal, zumindest … drei Mal mit ihm treffen. Bitte!« Sie sah Valerie eindringlich an. »Ich will einen wirklich hundertprozentigen Beweis und es ein für alle Mal geklärt haben, bevor ich ihn heirate.« Nun hatte sie Valeries Hände genommen und begann sie zu drücken, bis sich Valeries Finger an den Spitzen dunkelrot färbten und sich etwas taub anfühlten. »Das verstehen Sie doch, oder?«

Vorsichtig löste Valerie ihre Finger aus der Umklammerung. Sie war überrascht davon, wie viel Leidenschaft und Entschlossenheit diese bisher so sanft und zurückhaltend scheinende Person mit einem Mal an den Tag legte. Doch sie wusste, dass in dramatischen Ausnahmesituationen meist die wahren, tief verborgenen Charakterzüge zum Vorschein kamen. Verständnisvoll lächelte sie Karla an. »In Ordnung, dann machen wir das so. Eine Frage habe ich allerdings noch: Wollen Sie über jeden einzelnen meiner Schritte sofort informiert werden, oder genügt Ihnen das Ergebnis am Ende des Tests?«

»Ich will alles sofort wissen«, platzte es aus Karla heraus. Nervös rutschte sie auf dem Sofa herum.

»Sind Sie sicher? Das kann ganz schön schmerzhaft sein. Aus langjähriger Erfahrung würde ich Ihnen eher davon abraten.« Zweifelnd schaute Valerie sie an.

»Das macht nichts, das halte ich schon aus«, sagte Karla und nickte dabei zur Bestätigung entschlossen. »Ich will nur endlich Gewissheit und dass dieses scheußliche, sich ständig drehende Gedankenkarussell in meinem Kopf endlich aufhört. Ich bin schon ganz benommen davon!«

Valerie lächelte aufmunternd. »Ich werde die Notbremse für Sie ziehen. Gleich morgen werde ich mir einen Termin bei Ihrem Freund Nils geben lassen. Sobald ich den habe, lege ich los!«

»Ich bin richtig froh darüber, dass ich mir Sie für diesen Treuetest ausgesucht habe.« Dankbar schaute Karla Valerie an und stand auf. »Nun bin ich mir sicher, ich werde die Wahrheit erfahren.«

»Nichts zu danken, das ist mein Beruf!«, wehrte Valerie lächelnd ab, obwohl sie wusste, dass es viel mehr als nur ihr Beruf war. »Ich melde mich, sobald ich ein erstes Ergebnis habe!«

Beim Verabschieden schüttelte sie Karla fest die Hand, um ihr damit noch einmal die Gewissheit zu geben, das Richtige zu tun. Und dieser Treuetest war das Richtige, so viel stand für Valerie fest.

Als sie das Haus verließ und auf die Straße trat, winkte sie ein vorbeifahrendes Taxi zu sich. »Nils, ich hoffe für dich, dass du nicht fremdgehst, denn ich werde es herausfinden. Da kannst du sicher sein!«, murmelte sie, bevor sie dem Fahrer ihre Adresse nannte und sich auf den Rücksitz fallen ließ, um nach diesem anstrengenden Tag nach Hause zu kommen und endlich ihre entsetzlich drückenden, bordeauxroten Wildlederpumps ausziehen zu können. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.

*

Gleich nachdem Valerie am nächsten Morgen ihren ersten Kaffee mit einer verboten dicken Schicht Milchschaum geschlürft hatte, fischte sie die Visitenkarte, die ihr Karla Winter am Vortag gegeben hatte, aus ihrer Handtasche und rief im Architekturbüro Stabner und Roith an. Es war alles andere als einfach, so schnell einen Termin bei Nils Simons zu ergattern, doch Valerie ließ bei der zunächst etwas schnippischen Sekretärin durchklingen, dass es wirklich rasend dringend sei und vor allem, dass Geld absolut keine Rolle spielen würde – Und wir sprechen hier von richtig großen Summen, verstehen Sie! –, und voilà, stand sie auch schon im Terminplaner.

»Sie können natürlich gerne noch heute Vormittag vorbeikommen. Würde elf Uhr passen?«, fragte die Sekretärin plötzlich mit so maßlos übertriebener Freundlichkeit, dass Valerie einen unangenehmen Würgereiz unterdrücken musste. Was das Erwähnen von Geld im Überfluss doch ausmachte! Es war natürlich völlig erstunken und erlogen gewesen. Sie konnte sich nicht einmal ihre Besenkammer von einem Architekten umbauen lassen, aber das war egal. Sie verdiente in der Agentur gerade so viel, dass sie ihre Spaghetti zwar nicht täglich beim Nobelitaliener Peppino in der Innenstadt essen konnte – sie war so und so der Meinung, ihr selbst kreiertes Rezept Spaghetti alla Valerie mit extra viel gehobeltem Parmesan und gehackter Petersilie machte um Längen mehr her – und auch die neuen Kollektionen von Vivienne Westwood, Marc Jacobs und Co. konnte sie nur in den Schaufenstern träumerisch anstarren, aber sie konnte doch einigermaßen sorgenfrei leben. Außerdem fand sie nebenher noch Zeit, um ihr Studium der Kommunikationswissenschaften endlich abzuschließen.

Bei dem Gedanken daran zog sich ihr Magen so grausam zusammen, als hätte sie den Saft frisch gepresster supersaurer Zitronen getrunken. Sie war mit ihrer Masterarbeit so dermaßen im Rückstand, dass sie mittlerweile nicht einmal vor sich selbst eine einzige veritable Entschuldigung dafür fand, um das auch nur irgendwie zu rechtfertigen. Irgendetwas hielt sie zurück, so als ob sie sich selbst boykottieren wollte.

Auch egal. Im Augenblick war das Studium absolut nebensächlich, sie war bis unter die Nasenspitze eingedeckt mit Arbeit in der Agentur und hatte sich um den untreuen Nils zu kümmern.

Sie sah auf die Uhr. Wenn sie pünktlich sein wollte – und sie war immer pünktlich, immer und ohne Ausnahme –, dann musste sie sich nun wirklich sputen. Hastig schlüpfte sie unter die Dusche, spülte sich aus lauter Eile mit viel zu kaltem Wasser ab und wusch ihre Haare in rekordreifem Tempo. Keine fünf Minuten später stand sie bibbernd mit dem auf vollen Touren laufenden Föhn vor dem mannshohen Spiegel in ihrem Schlafzimmer.

Sie liebte ihren Spiegel! Vor einigen Wochen hatte sie ihn auf dem Müllplatz entdeckt, abgeblättert und an einigen Stellen etwas blind. Sofort hatte sie sich vorstellen können, dass sich in ihm die schönsten Tänzerinnen eines Varietés angesehen und vor ihrem Auftritt prüfend ein paar Pirouetten gedreht hatten. Sie war von dieser Idee so verzaubert gewesen, dass sie ihn mitnahm und ihn in vielen Stunden aufwendiger Schleif- und Lackierarbeit restauriert hatte. Nun verzückte es sie jeden Morgen nach dem Aufwachen, wenn sie den ersten Blick des Tages, noch mit verklebten Augen und im Halbschlaf, auf ihren in strahlendem Weiß leuchtenden Varietéspiegel warf.

Leider zeigte ihr der wunderschöne Spiegel in dem Moment, dass ihr nächster Friseurbesuch längst überfällig war. Um das zu vertuschen, trug sie ihr Haar mittlerweile beinahe nur noch zusammengebunden: als Pferdeschwanz mit toupiertem Oberkopf, als losen Dutt im Nacken oder als fest zusammengezurrten Knoten am Hinterkopf. Obwohl es sich für sie eigentlich nur um eine Notlösung handelte, war alle Welt immer absolut begeistert von ihren Frisuren: Wie, um Himmels willen, machst du das nur? Du siehst aus, als würdest du gleich in der ersten Reihe bei einer Prêt-à-porter-Show sitzen. Sie überlegte, welche Frisur sie sich für diesen Auftrag machen sollte. Der Mann war Architekt, also hatte er wahrscheinlich einigermaßen Sinn für Formen und gewisses Styling, sonst konnte er ja wohl seinen Beruf nicht ausüben. Spontan entschied sie sich für einen losen Knoten im Nacken, der zwar gepflegt, aber nicht streng wirkte. Mit dem schwarzen Eyeliner malte sie einen schmalen Strich auf ihr Oberlid und pinselte dunkles Rubinrot auf die Lippen, was ziemlich verwegen aussah. Danach schlüpfte sie in eine taillierte weiße Bluse mit in großen Stichen gesteppten Nähten und einen schimmernden, smaragdgrünen Bleistiftrock, der knapp unter das Knie reichte. In Kombination mit ihren schwarzen High Heels würde sie damit genau den Auftritt hinlegen können, den sie sich wünschte. Sexy, aber nicht billig. Prüfend drehte sie sich vor ihrem Varietéspiegel. Nils, mein Freund, halt dich fest! Ich hoffe für dich, dass du tatsächlich treu bist.

*

Valerie war derart fasziniert von dem coolen Ambiente des Empfangsbereichs im Architekturbüro Stabner und Roith, dass sie vor lauter begeistertem Schauen eine schmale Stufe übersah und es nur dank der vielen Balanceübungen, die sie während ihres Boxtrainings gelernte hatte, gerade noch schaffte, mit einem gewaltigen Ausfallschritt das Schlimmste zu verhindern und nicht der Länge nach vor der Sekretärin hinzuschlagen. Sie hatte allerdings ein leises Ritsch gehört, was verdammt danach klang, als hätte sie sich den Gehschlitz hinten an ihrem Bleistiftrock ein Stück weit eingerissen.

»Sie wünschen?«, fragte die Dame vom Empfang ungerührt, so als hätte sie Valeries kleine Stolpereinlage nicht bemerkt, was sie natürlich hatte. Herrschaftlich thronte sie hinter dem schmalen, lang gezogenen Pult, das im unteren Teil in lackiertem Weiß gehalten war und darüber mit kleinen, zu Rauten verarbeiteten Apfelholz-Elementen sehr edel verarbeitet war. Am Ende machte es einen formvollendeten Schwung nach oben und zog sich so bis zum Giebel aus milchigem Glas. Wahnsinn, dachte Valerie schwer beeindruckt, und starrte mit offenem Mund nach oben.

»Ja, bitte?« Die Frage war begleitet von einem kaum überhörbaren genervten Seufzen.

Valerie strich sich eine lose Strähne, die sich bei ihrem Beinahe-Sturz aus ihrem Knoten gelöst hatte, hinters Ohr und setzte eine geschäftsmäßige Miene auf. »Wir hatten telefoniert«, sagte sie ohne lange Einleitung, wobei sie hoffte, exakt den Ton zu treffen, den Menschen mit viel Geld an den Tag legten, oder von dem sie zumindest annahm, dass ihn Menschen mit Geld verwendeten. Um es genau zu nehmen, kannte sie keine wirklich reichen Menschen. »Ich bin Valerie Meineck«, setzte sie nach, wobei sie offenbar den richtigen Ton traf, denn die Sekretärin setzte augenblicklich ein äußerst zuvorkommendes Lächeln auf. »Meineck« war Valeries »Künstlername«, den sie immer verwendete, wenn sie als Testerin unterwegs war. Ihre wahre Identität ein bisschen zu verschleiern und inkognito zu bleiben, gab ihr das Gefühl von Sicherheit.

»Aber natürlich!« Ihr Lächeln war nun so breit, dass sich Valerie sicher war, alle zweiunddreißig ausgesprochen gepflegten Zähne der Mitarbeiterin zu sehen. »Herr Simons erwartet Sie bereits. Folgen Sie mir bitte!« Sie stand auf, kam hinter ihrer beeindruckenden Kommandozentrale hervor, stakste – beeindruckend schnell – auf schwindelerregend hohen Pumps durch eine Art Atrium zu einer geschlossenen Tür und klopfte sachte. Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnete sie. »Ihre Kundin ist da«, flötete sie, wobei ihre Stimme mit einem Mal eine eigenartige Wandlung vollzog und plötzlich so hoch klang, als würde sie gleich das dreigestrichene hohe C anstimmen.

Eigenartig, dachte Valerie belustigt, da wollte wohl jemand das Frauchen raushängen lassen.

»Sie können eintreten, Herr Simons erwartet Sie!«, sagte sie zu Valerie, mit nun wieder normaler Stimmlage. Sie wandte sich zum Gehen.

Valerie wusste, dass nun ihr großer Auftritt begann, nun musste alles nach Plan laufen. Ich werde die Wahrheit herausfinden, lieber Nils! Wenn du deine Freundin betrügst, werde ich das in Kürze wissen, so gewieft kannst du gar nicht sein, um das vor mir zu verheimlichen! Sie legte den Kopf kurz in den Nacken, atmete einmal tief ein und aus und trat schließlich ein.

Augenblicklich war ihr klar, warum das Fräulein Sekretärin vorher nur noch in spitzen Tönen gesprochen hatte.

Nils Simons stand in der Mitte des Konferenzraumes, der mit seiner lang gezogenen, bis zum Boden reichenden Fensterfront nicht gerade klein war, und füllte ihn allein durch seine Anwesenheit zur Gänze aus. Obwohl er nur dunkelblaue, verwaschene Jeans und ein graues T-Shirt, dem man ansah, dass es nicht ganz billig gewesen sein konnte, trug, strahlte er eine natürliche Autorität aus.

Valerie starrte ihn an. Sie hatte ihn bereits auf dem Foto bei Karla gesehen und da hatte er schon echt gut ausgesehen, doch in natura war er tatsächlich umwerfend: blondes Haar, das etwas zerzaust war und ihm vorne schräg über die Stirn fiel, dazu Augen, die so azurblau waren, als hätte er sich die Farbe extra mit Wasserfarben aufgepinselt.

Als er sie freundlich anlächelte, hatte sie augenblicklich Angst, sie würde auf der Stelle ziemlich unprofessionell in Ohnmacht fallen und vor der Person, die sie beinhart auf seine mögliche Untreue testen sollte, auf die Knie sinken, als hätte sie sich das Fischbein-Korsett zu eng geschnürt. Was sollte denn das? Du bist beruflich hier, reiß dich zusammen!

»Ich bin Valerie Schöneck«, sagte sie gepresst; sie piepste dabei wie ein frisch geschlüpftes Vögelchen in höchster Not. Irgendwie ließ ihre akute Atemnot keine tiefere Stimmlage zu. Jetzt konzentrier dich endlich, du hast eine Aufgabe! Erst der Gedanke an Karla, an ihre blau gekneteten Finger und die verzweifelte Sorge, die sie sich um ihre Beziehung mit ihrem Freund machte, lockerten den Ring um ihren Brustkorb und ließen sie wieder frei atmen. Karla, ich bin auf deiner Seite, ich klär das für dich!

Sie räusperte sich.

»Ich bin Valerie Schöneck«, wiederholte sie und war zufrieden damit, wieder zu ihrer üblichen warmen Stimme gefunden zu haben, auf die sie immer wieder angesprochen wurde. Na bitte, geht doch! Auf in den Kampf! Unmerklich straffte sie die Schultern, drückte die Knie durch und ging freundlich lächelnd auf ihn zu, um ihm die Hand zu geben. Als er sie nahm, war sie nicht überrascht darüber, dass ihre schmale Hand beinahe in der seinen verschwand. Was sie allerdings verwirrte, war, wie gut sich sein fester, bestimmter Händedruck anfühlte. Viel zu schnell entzog sie ihm ihre Hand wieder. »Ich bin Valerie Schöneck«, platzte es aus ihr heraus, noch bevor sie sich rechtzeitig auf die Zunge beißen konnte. Hatte sie sich eben zum dritten Mal vorgestellt?

»Sie sind also Frau Valerie Schöneck«, sagte er mit angenehm tiefer Stimme, der man deutlich anhörte, wie sehr er sich amüsierte. Einladend deutete er auf einen leeren, ovalen Glastisch mit derb geschweißten Metallbeinen. »Bitte nehmen Sie Platz, Frau Schöneck!«, fuhr er mit einem kaum unterdrückten schiefen Lächeln fort.

In dem Moment fiel Valerie siedend heiß ein, dass sie versehentlich ihren richtigen Namen gesagt hatte. Sie hatte sich doch wie immer bei Tests als »Meineck« vorstellen wollen. Wie hatte ihr dieser Fauxpas nur passieren können? Jetzt wusste er ihren richtigen Namen. Doch noch bevor sie ihren Fehler korrigieren konnte, setzte er nach.

»Warum sind Sie hier? Worum geht’s?«

Kurz lag es Valerie auf der Zunge, zu antworten: Um die Frage, ob Sie Ihre Freundin betrügen. Schnell schüttelte sie diesen Gedanken ab. »Sie wurden mir empfohlen, weil Sie so gut sein sollen«, sagte Valerie in jenem Ton, der zwischen Lobhudelei und Ironie pendelte. Dabei zog sie einen Mundwinkel sachte nach oben und lächelte zaghaft. Ihr war klar, welche Wirkung das in Kombination mit ihrem knallroten Lippenstift üblicherweise auf Männer hatte. Für den Test war es immens wichtig, sofort kleine Signale in die richtige Richtung zu senden. Vorsichtig lehnte sie sich nach vorne, sodass sie ihm näher kam und ihre weiße Bluse vorne eine Spur aufsprang, gerade so viel, dass man das, was darunter lag, erahnen konnte, ganz ohne etwas zu sehen. Sie hatte schon lange die Erkenntnis gewonnen, dass es viel erotischer war, etwas nur anzudeuten, als tatsächlich nackte Haut zu zeigen und aufs Ganze zu gehen. Was sie im Zuge des Tests ohnehin nie tun würde, das verbat ihr das Berufsethos. Sie war Treuetesterin und kein leichtes Mädchen! Männer, die willig waren und bereit für ein Abenteuer, verstanden diese zarten Hinweise auch so nur zu gut.

Er zog fragend die Augenbrauen nach oben. »Ich glaub, da muss ich mich wohl bei jemandem bedanken. Wer hat mich denn da so warm empfohlen?«

Valerie schluckte kurz. Wieso hatte sie sich keinen Namen überlegt? »Ach, ich merke mir leider Namen so schlecht. Es ist echt entsetzlich!« Sie lächelte ihn um Verständnis bittend an. »Jedenfalls habe ich dann auch auf Ihrer Homepage gesehen, welch tolle Projekte Sie bereits geplant haben, und damit stand fest, dass nur Sie für meinen Plan infrage kommen. Sie sind ein wahrer Künstler!« Eine fette Ladung Honig ums Maul schmieren, hatte noch nie geschadet. Schmeicheleien kamen bei den meisten gut an.

Belustigt schaute er sie an, und sie kam sich bei ihrem Spielchen durchschaut vor. »Na, ja. So würde ich mich nicht unbedingt bezeichnen, aber danke. Welche Pläne haben Sie denn?«, fragte er sachlich weiter.

Natürlich hatte sie sich eine Geschichte zurechtgelegt, die sie ihm jetzt auftischen konnte. »Also wissen Sie, die Wohnung über mir ist leer geworden. Die Vormieterin, eine sehr alte Dame, ist leider verstorben. Wirklich schlimme Sache.« Sie seufzte theatralisch, um ihrer Erzählung einen dramatischen Touch zu geben. »Damit steht die Wohnung nun leer und ich würde sie gerne dazunehmen. Allerdings nur, wenn es möglich ist, eine Wendeltreppe zwischen unseren Wohnungen zu bauen. Und da kommen Sie ins Spiel!« Die Geschichte war nur zum Teil erfunden, die arme Frau Huber war wirklich vor rund zwei Wochen 90-jährig an einer Lungenentzündung verstorben, nur dachte Valerie nicht im Traum daran, die Wohnung zu mieten. Viel zu teuer. Zufrieden mit ihrer Erklärung lehnte sie sich zurück, wobei sie darauf achtete, dass ihr smaragdgrüner Rock ein Stück nach oben rutschte und ihr Knie wie zufällig sichtbar wurde. Ein weiteres kleines Signal. Bisher lief alles ganz gut.

»Dann sollte ich mir Ihre Wohnung einmal ansehen.«

Was? Es lief gar nichts gut! Auf diese Idee war sie überhaupt nicht gekommen. »Nein, das ist nicht notwendig. Ich habe die Pläne hier«, wehrte sie eine Spur zu schnell ab. Noch nie hatte sie einen Kunden mit in ihre Wohnung genommen, das kam überhaupt nicht infrage. Das war ihr privater, intimer Bereich, in dem Kunden nichts verloren hatten! Sie fasste sich wieder. »Hier sind sie«, sagte sie und zog einen gefalteten Plan aus ihrer Handtasche. Sie schob das Papier über den Tisch und legte danach langsam ihre Hand auf seine. Zeit für das nächste Signal. »Sie als Meister Ihres Fachs können das garantiert auch ohne Besichtigung vor Ort.« Eine weitere Ladung Honig und ein kleiner Druck mit ihren Fingerspitzen. Sie senkte den Kopf ein wenig und sah ihn mit einem sachten Augenaufschlag von unten an. Signal.

Irritiert sah er auf ihre schmale Hand, mit den kurzen, fein manikürten Nägeln, die auf seiner lag.

Ohne zu zögern, zog er kommentarlos seinen Arm zurück. Valerie hatte den Eindruck, als würde er kurz den Kopf schütteln, bevor er den Plan entfaltete, um ihn vor sich auf den Tisch zu legen. Konzentriert studierte er vornübergebeugt den Wohnungsplan. Als ihm eine Strähne seines blonden Haars über die Augen fiel, strich er sie achtlos zurück, zog eine Augenbraue unmerklich ein Stück nach oben und tippte mit der Spitze des Zeigefingers ungeduldig auf sein Kinn. »Ich befürchte, dass wir um eine Besichtigung in Ihrer Wohnung nicht umhinkommen. Das muss ich mir in natura ansehen. Wann hätten Sie denn Zeit?«, sagte er, während er weiter den Plan ansah.

Valerie war so darin versunken gewesen, sein Gesicht von der Seite möglichst unauffällig zu betrachten und der Frage auf den Grund zu gehen, was es genau war, das den Mann so attraktiv machte – vielleicht waren es die Augenwinkel, die einen Deut nach unten zeigten und ihn aussehen ließen, als würde er einen jederzeit lächelnd durchschauen –, dass sie seine Frage völlig unvorbereitet traf. Zeit? Wofür? Verständnislos sah sie ihn an.

»Wann kann ich mir Ihre Wohnung ansehen?«, wiederholte er geduldig, als er ihren verdatterten Blick bemerkte.

Verwirrt lächelte Valerie ihn an. Er musste sie ja für völlig bescheuert halten! Zuerst stellte sie sich drei Mal vor, so als wäre ihr Kurzzeitgedächtnis schwerstens defekt, und dann starrte sie ihn nur belämmert an, wenn er sie etwas fragte. Na, bestens! Sie räusperte sich. Es war Zeit für einen Generalangriff, bevor ihr der Test zu entgleiten drohte, was ihr noch nie in ihrer gesamten Treuetester-Karriere passiert war. Und sie hatte auch nicht vor, es heute passieren zu lassen. Gekonnt schraubte sie ihre Stimme auf Trüffelpralinenniveau. »Vielleicht ist es ja doch nicht unbedingt notwendig«, sagte sie gedehnt, und sie spürte sofort, wie der samtige Tonfall seine Wirkung tat.

Aufmerksam sah Nils sie an.

»Vielleicht genügt es ja auch«, fuhr sie fort, stand dabei langsam auf, setzte sich mit einer Pobacke lässig auf den Glastisch und schlug die Beine so übereinander, dass ihre schlanken Fesseln gut zur Geltung kamen, »dass wir zwei gemeinsam Abendessen gehen und dabei kann ich Ihnen dann genau schildern, was ich mir so vorstelle.« Sie knabberte sanft an ihrer Unterlippe. »Ich meine, ich kann mir ziemlich viel vorstellen. Ich kann mir sogar vorstellen, dass unser Abend nach dem Gespräch noch lange nicht zu Ende ist.« So, jetzt war es gesagt, nun war der Köder ausgelegt. Na, komm schon! Zeig, was für einer du bist!

Valerie hatte den Eindruck, als wäre Nils unmerklich einen kleinen Schritt zurückgegangen. Obwohl sie ihm tief in die Augen sah – die tatsächlich irre blau waren, aber davon durfte sie sich jetzt nicht ablenken lassen –, konnte sie keinerlei Regung in seinem Gesicht erkennen. Eigenartig, normalerweise merkte sie sofort, wie sie ankam, ob Interesse in Richtung Erotik vorhanden war oder ob der verwirrte Mann tatsächlich von ihrer plumpen, direkten Einladung völlig aus den Latschen geschleudert war.

Es dauerte nur wenige Sekunden, in denen Valerie seinen Blick festhielt, doch plötzlich überfiel sie unerklärliche Angst, im tiefsten Blau, das sie je gesehen hatte, dahinzuschwinden. Kurz hatte sie das Gefühl, sich an ihren Rändern kaum merklich aufzulösen.

Doch dann bewegte er sich – er legte den Kopf etwas schief, als würde er diesem Augenblick nicht länger trauen –, und das war der Moment, in dem es Valerie gelang, loszulassen und aufzuschauen. Was war das denn gewesen?

Nils räusperte sich, so als müsse er sich erst sammeln. »Ich habe heute bereits einen Abendtermin, ich kann Ihre Einladung zum Essen daher leider nicht annehmen«, sagte er schließlich sachlich, und es schien, als hätte er sich wieder gänzlich unter Kontrolle. »Ich fürchte, wir werden uns tatsächlich in Ihrer Wohnung treffen müssen, da werden wir nicht drum herumkommen.«

Wieso fürchtete er das? Vor allen Dingen: Was fürchtete er? Hatte er Angst, dass er dann nicht mehr an sich halten konnte und er hemmungslos seinen Trieben nachgehen würde? Betrog er so üblicherweise seine Freundin?

»Also gut«, sagte Valerie gedehnt, obwohl in ihr sämtliche Alarmglocken so hysterisch laut schrillten, dass sie sich beinahe selbst nicht hörte. Ein Treffen in ihrem privaten Bereich widersprach allem, was sie als Lockvogel bisher gelernt hatte. Aber hatte Karla nicht extra betont, sie wolle absolute Gewissheit? »Wenn Sie mich mit dem Abendessen versetzen, dann kommen Sie meinetwegen morgen zu mir in meine Wohnung.« Herausfordernd warf sie den Kopf in den Nacken. »Vielleicht ist das ohnehin die bessere Idee für unser Vorhaben!« Keck stützte sie einen Arm in die Hüfte und leckte sich mit der Zungenspitze sachte über die Lippen. Einmal musste sie noch Gas geben, damit Mr. Nils vielleicht doch auf Touren kam. »Dann treffen wir uns morgen um zehn Uhr bei mir. Die Adresse habe ich Ihrer Sekretärin bereits gegeben. Ich erwarte Sie!«, sagte sie so lasziv, dass selbst einem völligen Hirni klar sein musste, worauf dieses Spiel hinauslief.

Doch er reagierte nicht. Aufrecht, seine Unterarme verschränkt, stand er da und sah sie ruhig und regungslos an.

Valerie musste gar nicht tief im Schatzkästchen ihrer Menschenkenntnis wühlen, um zu erkennen, dass unterschwellig jede Menge Verachtung in diesem Blick mitschwang. Vielleicht war er ja tatsächlich ehrlich und treu und hatte keine Ahnung, was diese Verrückte von ihm wollte? Konnte es sein, dass sich Karla irrte, dass all die Anzeichen, die sie festgestellt hatte, doch auf eines hinausliefen? Nämlich darauf, dass er über die Maßen viel arbeitete und seine Karriere vorantrieb. Valerie wünschte es ihr von ganzem Herzen. Doch der Test hatte gerade erst begonnen, und sie hatte schon vieles erlebt, was sie zuvor in die Kategorie Unmöglich abgelegt hätte. »Bis morgen also«, hauchte sie samtig, griff nach ihrer Handtasche und schritt Po schwingend in bester Marilyn-Manier in Richtung Tür. Die Klinke war bereits in Reichweite, als sie ihn hinter sich hörte.

»Frau Schöneck!«, rief er ihr nach.

Sie hatte es gewusst, auch er gehörte in die Gruppe der Fremdgänger.

Beinahe entfuhr ihr ein Seufzer, als sie sich langsam zu ihm umdrehte. »Ja?«, fragte sie und versuchte dabei, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

»Ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll, aber …«, er zögerte, und sie merkte ihm an, wie er nach den richtigen Worten suchte.

Na los, dachte sie. Bringen wir es hinter uns, so schwer kann es doch nicht sein. Du bist doch wahrscheinlich ziemlich routiniert im Thema Seitensprung.

»Also, es ist nur …«, fuhr er bedächtig fort, »Ihr Rock hat einen dezenten Schönheitsfehler.«

Ihr Rock? Was hatte nun ihr Rock mit seinen Seitensprungplänen zu tun? Fragend schaute sie ihn an.

Er hüstelte verlegen. »Ich sage es einfach geradeheraus: Die Naht Ihres Rockes ist hinten bis … also, ziemlich weit aufgerissen.«

Wie, aufgerissen? Sie griff nach hinten und fasste … direkt an ihr Höschen. Sie stand bis zur Mitte ihres Pos völlig im Freien! Noch nie hatte sie so etwas abgrundtief Peinliches erlebt! Hastig versuchte sie, die aufgeplatzte Naht notdürftig mit den Händen zusammenzuhalten. Sofort fiel ihr der wenig elegante Ausfallschritt ein, den sie vor der Empfangslady hingelegt hatte, da musste diese dämliche Naht gerissen sein. Sie spürte, wie sich ein zarter Schweißfilm auf ihre Stirn legte. Da wollte sie einmal den supererotischen Vamp mimen und dann stand sie da, als hätte sie ihre Klamotten aus Großmutters Mottentruhe genommen.

»Danke«, stammelte sie, drehte sich vorsichtig um und verließ mit kleinen Trippelschritten rückwärtsgehend den Raum, so als stünde vor ihr seine Kaiserliche Hoheit.

Draußen vor der Tür schlug sie die Hände vors Gesicht. Dieser Augenblick gehörte für alle Zeiten zu den Top Ten ihrer Peinlichkeiten, auf die ich gerne verzichtet hätte-Liste! Auf Platz eins rangierte übrigens ein Sturz aus dem noch rollenden Schulbus, als sie dachte, der Bus würde bereits stehen, und sie vor allen im Bus sitzenden Schülern einen durchaus sehenswerten dreifachen Salto geschlagen hatte, in dessen Folge sich ihr Rock über ihren Kopf gestülpt hatte. Wenn sie es sich genau überlegte, konnte die Peinlichkeit von eben gut und gerne Platz zwei einnehmen.

*

Nils sah sich suchend nach seinem jüngeren Bruder um, als er das Lokal betrat. Es war erst vor wenigen Wochen neu eröffnet worden, und er war als Architekt bei den Planungsarbeiten dabei gewesen. Es freute ihn, dass seine Ideen so gut umgesetzt worden waren, insbesondere die überdimensionale Hängeleuchte, die dominant über der Bar schwebte und den lang gezogenen Raum in ein gelbliches Licht tauchte, war perfekt gelungen.

Sein Arbeitstag war verdammt anstrengend gewesen, ein Meeting hatte sich ohne Pause an das nächste gereiht, und so hatte er gerne Ja gesagt, als Jonas ihn fragte, ob er Lust auf ein Bier hätte. Ihm surrte der Kopf von all dem endlosen Geschwafel und Gerede. Sosehr er es auch liebte, kreative Ideen in seinem Kopf entstehen zu lassen, Pläne zu zeichnen und schließlich dabei zu sein, wenn seine Fantasien Wirklichkeit wurden, so verhasst waren ihm die stundenlangen Besprechungen, die teilweise im Nichts endeten und sich wie Kaugummi dahinzogen. Er musste dringend etwas entspannen.

Ein schriller Pfiff ließ ihn herumfahren.

»Hier bin ich«, brüllte jemand quer durch den Raum.

Als Nils sich umdrehte, erkannte er seinen Bruder Jonas am Ende des Tresens; seine langen Beine baumelten von einem Barhocker.

»Hat dir niemand gesagt, dass man nicht quer durch ein Lokal schreit?«, fragte Nils kopfschüttelnd, zog einen freien Barhocker heran und setzte sich neben Jonas. Sein Bruder war fünf Jahre jünger als er, und irgendwie hatte er immer noch das Gefühl, er müsse ihm sagen, wo es im Leben langging.

»Aber du hast doch reagiert, also was war falsch daran!«, flachste Jonas mit breitem Grinsen und nahm einen Schluck von seinem Bier.

»Der Zeremonienmeister der Queen wirst du damit jedenfalls nicht«, erwiderte Nils ungerührt, hob die Hand und bedeutete dem Kellner, dass er auch gerne ein Bier hätte. »Besser«, stöhnte er, nachdem er den ersten, tiefen Schluck gemacht hatte.

»War dein Tag so scheiße?«, fragte Jonas.

Nils warf ihm einen rüffelnden Blick zu. »Anstrengend, meinst du wohl.« Er nahm noch einen kräftigen Schluck. »Aber eigentlich hast du recht, er war echt scheiße.« Langsam drehte er die Bierflasche zwischen seinen Händen. Irgendwie war heute einfach alles extrem schwierig und anstrengend gewesen, bis auf diesen einen Termin mit dieser schrägen Kundin. Ohne es zu wollen, begann er zu lächeln.

Jonas beugte sich in seine Richtung. »Na, so schlimm kann es nicht gewesen sein, deinem Grinsen nach zu urteilen. Also was war los?«

Nils war sich überhaupt nicht im Klaren, was er da heute überhaupt erlebt hatte. Begonnen hatte es damit, dass er kurzfristig einen Termin einschieben hatte müssen, da eine exaltierte Kundin darauf bestanden hatte, kurzfristig einen Termin zu bekommen, und zwar unbedingt bei ihm. Wie er diese Leute hasste, die glaubten, nur ein wenig mit ihren Geldscheinen wedeln zu müssen, und die Welt würde ihnen zu Füßen liegen. Er war daher einigermaßen unwillig gewesen und hatte sich schwer darauf konzentrieren müssen, seinen Widerwillen hinunterzuschlucken. Doch dann war dieses unfassbare Wesen bei ihm im Büro erschienen. »Ich habe heute den schrägsten Kundentermin aller Zeiten erlebt«, setzte er an und unwillkürlich musste er wieder grinsen.

Verblüfft sah ihn sein Bruder von der Seite an. »Spontan fällt mir dazu eine in die Jahre gekommene Dame ein, mit auffälliger Warze auf der Oberlippe und dichtem Gestrüpp aus der Nase, die für sich und ihren Latin Lover eine Liebeshöhle bauen lassen will. Gegen massenweise Geld, versteht sich. Wogegen ich nichts einzuwenden hätte, weil du mir selbstverständlich etwas von diesem Vermögen abgeben würdest.« Treuherzig sah er Nils an. »Doch ich kenne diesen Gesichtsausdruck an dir, der hat nichts mit Hirn und Geld zu tun, sondern mit Herz und der Region unterhalb deines Gürtels. Also, wie heißt sie?«

Nils war überrascht, wie gut Jonas ihn kannte. »Valerie Schöneck«, murmelte er, den Namen würde er so schnell nicht vergessen und das nicht nur deshalb, weil sie ihn drei Mal gesagt hatte. Sein Grinsen wurde breiter.

»Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen! Wer ist sie, was macht sie, hat sie schöne Brüste und lange Beine?«, fragte er augenzwinkernd.

Nils gab seinem Bruder einen gespielt entrüsteten Knuff auf den Oberarm. »Um den Anfang deiner Frage zu beantworten: Sie ist eine Kundin und will, dass ich ihre Wohnung umbaue. Sie war heute bei mir im Büro. Doch der Termin war völlig schräg!« Er hatte sich schon den ganzen Tag über den Kopf darüber zerbrochen, was da eigentlich passiert war. Natürlich hatte er sehr schnell mitbekommen, wie sie frontal darauf abgezielt hatte, ihn als Mann anzuturnen; ihre Gesten und Bewegungen waren eindeutig gewesen. Normalerweise stieß ihn diese direkte, plumpe Art ab, doch bei dieser Frau war da noch etwas anderes gewesen, irgendetwas, was da in feinen Nuancen mitschwang, was ihn überraschenderweise eigenartig ansprach. »Ja, was weiß ich«, fuhr er fort, »einerseits hat sie mich voll angemacht, so wie ich es noch selten erlebt habe. Andererseits ist sie völlig panisch geworden, als ich ihr vorgeschlagen habe, mir ihre Wohnung anzusehen. So als hätte sie Angst, ich könnte dort über sie herfallen.« Er tippte sich auf die Stirn, so absurd war der Gedanke.

»Hat diese Durchgeknallte denn wenigstens gut ausgesehen?«

Nils starrte in sein Bierglas und nickte langsam. »Doch, doch, sie war sogar richtig hübsch. Tolles Gesicht, mit echt schönen Augen, witzige Frisur und …«, er stockte, weil er sich nicht sicher war, was er seinem Bruder erzählen sollte, »ähm, ja, kessem Po.« Den ganzen Tag über hatte er schon den bizarren Moment vor Augen, als sie mit durchgedrücktem Rücken Richtung Tür marschiert war und er dabei einen hervorragenden Blick auf ihre wohlgeformten nackten Beine und ihren halbnackten Po, der nur von einem durchsichtigen Spitzenhöschen bedeckt war, gehabt hatte. Noch nie hatte er etwas gesehen, das so sexy war. Schlagartig war ihm heiß geworden.

»Na, dann nichts wie ran an die Schnecke, wenn sie so scharf ist. Das bisschen Verrücktsein kann dich doch nicht abhalten, da stehst du doch drauf!« Er kicherte verhalten.

»Das ist nicht witzig, nicht im Geringsten!« Nils warf ihm einen bösen Blick zu, bevor er nach einer kleinen Pause fortfuhr: »Sie ist eine Kundin, vergiss das nicht. Außerdem mach ich so etwas so und so nicht.«

»Solltest du aber!«, entgegnete ihm Jonas ungerührt, hob den Arm und bestellte noch zwei Bier.

Kapitel 2

Lara lachte so sehr, dass sie die Stirn auf die Tischplatte knallte und damit Frau Frischs Kaffee zum Überschwappen brachte. »Du hast deinem Klienten deinen nackten Arsch gezeigt?«, wiederholte sie wieder und wieder und wurde dabei von heftigen Lachkrämpfen geschüttelt. »Ich meine, nicht dass es an deinem perfekten Po etwas auszusetzen gäbe, aber ich dachte bisher, du hättest es nicht notwendig, zu solch listigen Methoden zu greifen!« Haltlos kicherte sie weiter.

Valerie zog missbilligend die Nase kraus. »Ich greife zu überhaupt keiner Methode, das war ein schlichter modischer Unfall.« Sie langte in die offene Papiertüte, die ihre Chefin vom Bäcker mitgebracht hatte, und zog eine frische Zimtschnecke heraus. Es roch so himmlisch, dass Valerie das Wasser im Mund zusammenlief und sie augenblicklich besänftigt war. Wenn Zimtschnecken die Welt nicht besser machten, was dann? Genussvoll biss sie hinein.

Frau Frisch tunkte verzweifelt den kleinen Kaffeesee auf, der sich rund um ihre Tasse gebildet hatte, als Lara den Tisch verschoben hatte. »Und wie ist es sonst gelaufen? Ich meine, abgesehen von deiner Nacktperformance?« Auch sie kicherte nun los, bis ihre Schultern bebten und ihr die Tränen über die frisch geschminkten Wangen liefen.

Ärgerlich sah Valerie von einer zur anderen. »Wie oft soll ich es noch wiederholen: Ich war nicht nackt! Ich war bloß hinten rum … etwas freigelegt.« Warum in Gottes Namen hatte sie das nur erzählt, sie hätte doch ahnen müssen, dass sich die beiden darüber bei ihrem allmorgendlichen Meeting halb totlachen würden? Üblicherweise genoss Valerie diese täglichen Besprechungen in Raum eins, die sich mittlerweile zu ausufernden Frühstücksrunden entwickelt hatten, bei denen es kulinarisch an nichts fehlte.

Begonnen hatten sie mit einer Tasse Filterkaffee für jede von ihnen. Dann kam Lara auf die Idee, Filter sei out, man könne doch einen modernen italienischen Kaffeeautomaten kaufen, und wenn man schon dabei war, gleich auch einen Milchaufschäumer dazu. Woraufhin Frau Frisch noch eines draufsetzte und täglich frische Brötchen vom Bäcker mitbrachte, und wenn sie schon dabei war, dann machte sie gleich auch einen Abstecher in die Feinkostabteilung des Supermarkts, um dort Prosciutto, Preiselbeerschinken und herzhaften Alpenkäse zu besorgen. Die Anregung zu den Zimtschnecken kam schließlich von Valerie, die – ohne mit der Wimper zu zucken – bereit war, für eines dieser süßen Dinger ihr Leben zu opfern.

Sie leckte mit der Zunge einen Krümel von der Lippe. »Wollt ihr nun wissen, wie es gelaufen ist, oder was?«

»Aber ja doch«, nuschelte Lara, die kaum zu verstehen war, da sie sich eine dicke Scheibe Schinken völlig undamenhaft in den Mund geschoben hatte. »Wie sah er denn aus, dieser Nils?«, fragte sie kauend.

Fantastisch, umwerfend, sagenhaft,