Küss mich, bis ich Sterne seh - Sylvia Reim - E-Book

Küss mich, bis ich Sterne seh E-Book

Sylvia Reim

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Beschreibung

Von wegen die Macht der Sterne … Der Sportjournalist Leo kann jede haben, seinem "Schlag" bei Frauen ist er allerdings mittlerweile auch überdrüssig, sodass er sich eigentlich zu einer sexfreien Phase entschlossen hat. Einzig die heißblütige Fernsehmoderatorin Carolina scheint gegen seinen Charme immun. Das kann Leo natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Um die abergläubische Carolina rumzukriegen, manipuliert er ihr Horoskop – mit ungeahnten Folgen. Denn Carolina springt tatsächlich auf ihr vermeintliches Liebesglück an. Doch auch Leo muss erkennen, dass ihn Carolina nicht nur körperlich, sondern auch emotional alles andere als kalt lässt. Den endgültigen Schritt, sich zu ihr zu bekennen, wagt er allerdings nicht. Denn noch locken ihn andere Frauen. Und Carolina selbst macht es ihm dank ihrer heißblütigen Art alles andere als leicht…

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Seitenzahl: 410

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Die Sterne lügen nicht. Aber die Männer schon ... 
Carolina, die temperamentvolle TV-Moderatorin, glaubt an die Astrologie. Täglich liest sie ihr Horoskop und hofft, dass die Sterne endlich auf die große Liebe hindeuten. Sie hat die Typen nämlich satt, die nur auf ihr attraktives Äußeres fliegen, sich aber nicht die Bohne für ihren Charakter, ihr Herz und ihr Köpfchen interessieren. Als sie auf der Party ihrer Kollegin Lissa den Sportreporter Leo kennenlernt, der für eine Zeitung schreibt, ist er ihr auf Anhieb herzlich unsympathisch. Dieser unverschämte Macho behandelt sie wie ein süßes Dummchen.  
Leo jagt für sein Leben gern den Frauen nach. Allerdings ist er seiner sagenhaften Anziehungskraft mittlerweile selbst ziemlich überdrüssig und eigentlich fest zu einer (zeitweiligen) Sex-Abstinenz entschlossen. Sein Freund Niklas wettet daraufhin mit ihm, dass er sich an der heißblütigen Carolina sowieso die Zähne ausbeißen würde.  
Topp, die Wette gilt! Leos kreativer Plan: Er will die astrologieverrückte Carolina mit Hilfe von manipulierten Horoskopen herumkriegen. Seinem Chefredakteur verspricht er, den Job ohne Honorar zu erledigten, und übernimmt ab sofort das Verfassen des täglichen Horoskops in der Zeitung – obwohl er davon nicht die leiseste Ahnung hat. Lissa, die sicher ist, dass Carolina und Leo das perfekte Traumpaar wären, willigt ein, ihm dabei zu helfen. 
Edel eBooks
Ein Verlag der Edel Germany GmbH
© 2015 Edel Germany GmbH
Neumühlen 17, 22763 Hamburg
www.edel.com
Copyright © 2014 Sylvia Reim
Vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Jouve
Inhaltsverzeichnis
KurzbeschreibungTiteleiImpressumKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11EpilogDie Autorin
Kapitel 1
Nimm eine Einladung an, geh aus und genieße das Leben! Wer weiß, vielleicht wartet die große Liebe auf dich. Die Sterne stehen gut dafür!
„Sex macht mir einfach keinen Spaß mehr!“, sagte Leo. Noch bevor er sich rechtzeitig auf die Zunge beißen konnte, platzte dieser Satz so explosiv aus ihm heraus, als ob er seit Wochen darauf gelauert hatte, im denkbar ungeeignetsten Moment zu detonieren.
Niklas war von dieser unerwarteten Beichte so überrascht, dass er einen Sprung nach hinten machte und dabei mit der Spitze seines Ellenbogens die rote Notfalltaste drückte. Mit beängstigendem Knirschen kam der altersschwache Aufzug zum Stillstand und ein schriller Heulton setzte ein. Nur kurz ließ sich Niklas von der jaulenden Sirene irritieren. Entgeistert starrte er Leo an. „Hast du sie noch alle? Gerade du, der echt jede haben kann?“
„Das ist ja das Problem!“
„Das ist ein Problem? Sag, tickst du noch richtig?“
Leo drückte wahllos ein paar Tasten, um den Aufzug wieder in Bewegung zu setzen, doch der rührte sich keinen Zentimeter. „Glaubst du, das macht Spaß? Wo bleibt denn da das Spiel?“
Niklas’ Mund klappte auf, und er brauchte ein paar Sekunden, bis er antworten konnte. „Das kann doch nicht wahr sein. Bitte sag, dass das ein Scherz ist! Alle Frauen wollen nur mit mir ins Gespräch kommen, um an dich ranzukommen. Alle säuseln sie mir vor, wie gut du aussiehst und wie schnuckelig dein sportlicher Body ist und wie süß deine widerspenstigen dunklen Haare sind und deine graugrünen Augen erst und wie groß du bist und so weiter. Das muss ich mir stundenlang anhören! Und du jammerst, weil du sie alle haben kannst? Mach dich nicht lächerlich!“ Er hatte sich in Rage geredet und seine Stimme überschlug sich. Mit dem Handrücken wischte er sich über die verschwitzte Stirn; die Hitze in der engen Kabine malte feuchte Flecken auf sein verwaschenes „White Stripes“-Shirt.
„Und was ist mit meiner Nase?“, fragte Leo unbeeindruckt.
„Die Narbe meinst du? Die ist das Allerschlimmste, die macht dich erst so richtig männlich. Wo hast du die eigentlich her?“
„Ellenbogencheck während eines Fußballspiels.“
Leo fuhr sich gedankenverloren über die dünne Narbe quer über seine Nase. Hatte er eben allen Ernstes behauptet, er habe keine Lust mehr auf Sex? Ihm wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, dass das tatsächlich jemand gehört hatte. Natürlich wusste er, dass Niklas sich lieber den linken kleinen Finger absägen ließe, als das irgendjemandem zu verraten. Was ihn aber schreckte, war, wie sehr er bereits frustriert war. Sonst wäre das nicht einfach so aus ihm herausgeplatzt. Er hatte Niklas erzählt, wie hohl er sich in letzter Zeit fühlte und dass nicht einmal sein Job diese Leere füllen konnte. Und plötzlich war ihm dieser Satz herausgerutscht.
„Schau, Niklas“, setzte Leo erneut an und musste dabei gegen den immer lauter werdenden Heulton anschreien. Irgendwie hatte er das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, um nicht als arroganter Scheißkerl vor seinem Freund dazustehen. „Ich hatte offenbar ziemliches Pech in letzter Zeit. Irgendwie haben sich mir meine letzten Freundinnen sofort an den Hals geworfen … Es war überhaupt keine Anstrengung, sie rumzukriegen. Es verliert vollständig seinen Reiz, verstehst du, was ich meine? Es ist doch auch ein Spiel!“
„Dein Pech wünsch ich mir zum Geburtstag! Wozu stecke ich denn dann in diesem klapprigen Lift fest? Ich dachte, wir sind auf dem Weg zur Party deiner Schwester, um dort ein paar Mädels kennenzulernen!“
Leo versuchte gar nicht erst, sein Grinsen zu verbergen. Er wusste, warum Niklas mitgegangen war. „Ich dachte, du stehst auf meine Schwester und gehst deshalb hin?“
„Auf Lissa?“
„Hab ich noch eine?“, fragte Leo und war froh darüber, dass das Thema von seinem Anti-Sexlust-Geständnis wegging.
Niklas begann zu zwinkern. „Ist es so offensichtlich? Ich hab dir doch gar nichts davon erzählt!“ Sein Zwinkern wurde schneller.
Leo legte ihm den Arm um die Schulter. „Brauchst du nicht, mein Freund! So, wie du dich in ihrer Nähe benimmst, bleibt das keinem verborgen!“
„Shit! Glaubst du, sie hat es auch schon gemerkt?“
„Ich glaube, sie ist die Einzige, die es noch nicht gemerkt hat. Aber du hast jetzt gleich den ganzen Abend Zeit, es sie merken zu lassen!“, erwiderte Leo feixend. Mit der Handkante platzierte er einen gezielten Schlag auf die Rufknöpfe, sodass der Aufzug prompt weiter nach oben ruckelte und der nervenzermürbende Heulton ein Ende hatte.
Carolina war so entsetzlich heiß, dass sie sich am liebsten kopfüber in einen mit Eiswürfel gefüllten Pool gestürzt hätte. Die Klimaanlage im Studio war wieder einmal ausgefallen gewesen und nun klebte alles unangenehm feucht an ihr. Ihre Lust, jetzt noch auf Lissas Party zu gehen, war weit unter Null. Sie war müde, und ihre Sendung war alles andere als gut gelaufen. Wieso hatte sie überhaupt zugesagt? Missmutig zog sie sich die drückenden High Heels von den Füßen. Eigentlich brauchte sie gar nicht lange darüber nachzugrübeln. Wie ein Perpetuum mobile schwirrte das Horoskop von heute in ihrem Kopf herum: Nimm eine Einladung an, geh aus und genieße das Leben! Wer weiß, vielleicht wartet die große Liebe auf dich. Die Sterne stehen gut dafür!
Außerdem war Lissa nicht nur ihre Lieblingsvisagistin, sondern mittlerweile auch ihre beste Freundin, ein nicht zu verachtender Grund, um nicht auf der Stelle zum Handy zu greifen und unter einem dubiosen Vorwand abzusagen. Mir ist ein Spot auf den Kopf gefallen oder ich hab mir mit dem Mikro den Vorderzahn ausgeschlagen – irgendetwas wäre ihr schon eingefallen.
Carolina seufzte erschöpft.
Unglaubliche drei Mal hatte sie sich während der Sendung versprochen, das passierte ihr sonst nie. Nachdenklich kaute sie an ihren Lippen. Warum war sie so verdammt unkonzentriert gewesen? Das konnte doch nichts mit diesem albernen Horoskop zu tun gehabt haben? Das wäre ja geradezu lächerlich, selbst für ihre Verhältnisse.
Britta hatte ganz recht gehabt, als sie ihr, sofort als das Rotlicht aus war, erklärt hatte, dass sie beim Wort „Arbeit“ das „r“ zu wenig deutlich ausgesprochen hatte. Nach einem „a“ spricht man das „ r“ immer, aber das weißt du als Profi sicher, hatte sie in ihrer speziellen Art gesagt, so nett und freundlich, dass man ihr kaum widersprechen konnte.
„Was soll’s“, murmelte Carolina und betrachtete kritisch ihr Gesicht im hell erleuchteten Spiegel. Sollte sie so bleiben, in voller TV-Kriegsbemalung? Sie würde viel zu spät kommen, wenn sie sich jetzt noch abschminkte. Spontan entschied sie sich dafür, die bunte Maskerade zu belassen, auch wenn sie es im Privatleben deutlich dezenter bevorzugte. Vorsichtig schlüpfte sie wieder in die hochhackigen violetten Pumps, worauf ihre Füße prompt mit dermaßen stechenden Schmerzen reagierten, dass ihr die Tränen beinahe waagrecht aus den Augen schossen. Fest presste sie die Lippen zusammen. Sie musste sich mächtig zusammenreißen, um die Schuhe nicht von ihren Füßen zu zerren und sie in hohem Bogen in die nächstbeste Ecke zu werfen. Wer allerdings von Mutter Natur mit nur 158 Zentimetern ausgestattet war, der musste für ein paar Zentimeter mehr ein bisschen leiden. An Gehen war mit diesen Schuhen natürlich nicht zu denken, das höchste der Gefühle war der kurze Weg zum Taxistand, gleich vis-à-vis vom Sender.
„Wohin geht’s denn?“, fragte der Fahrer und verströmte dabei das betörende Aroma von Zwiebeln, was Carolina darauf schließen ließ, dass er vor Kurzem ein deftiges Abendessen zu sich genommen hatte.
Kurz war sie versucht, sich die Nase zuzuhalten, entschloss sich dann aber dazu, einfach weniger zu atmen. Wer brauchte schon Sauerstoff? Sie nannte ihm die Adresse.
„Sind Sie nicht die …?“, fragte der Taximann und sah sie dabei vielsagend an, wobei er mit den Augenbrauen auf und ab wippte.
Ein Schwall Zwiebelaroma wirbelte zu Carolina. Aus purem Überlebensinstinkt hielt sie sich nun doch die Nase zu, was den Fahrer nicht weiter zu stören schien.
„Ja, die bin ich“, näselte sie und versuchte dabei trotz zusammengepresster Nase freundlich zu klingen.
Der Fahrer hatte zwar keine konkrete Frage gestellt, aber sie kannte das. Also, ich kenn sie doch, sind sie nicht die aus dem Fernsehen? So oder so ähnlich wurde sie immer wieder angesprochen, egal, ob sie nur schnell zum Bäcker hüpfte, um frisches Brot zu holen, oder ob sie einfach nur an der Supermarktkasse anstand. Aber es machte ihr nichts aus, das war einfach ein Teil des Jobs. Sie arbeitete beim Fernsehen und damit kannten einen die Leute, Punkt aus. Außerdem waren die meisten nett.
„Ich find sie super“, rief der Fahrer begeistert, während er den Kopf von der Straße abwandte, nach hinten blickte und seinen prominenten Fahrgast mit so breitem Grinsen anstrahlte, als wäre sie Penélope Cruz höchstpersönlich.
Langsam ließ Carolina ihre Nase los. Der Mann war ein Fan, da durfte man sich die Nase nicht zuhalten, Zwiebel-Odeur hin oder her. Als er sie schließlich absetzte, wünschte er ihr den unvergesslichsten Abend ihres Lebens.
„Aber sicher doch“, murmelte Carolina, nickte aber zustimmend, um ihm eine Freude zu machen, und versprach, ihm gleich morgen ein Autogramm zu schicken.
Kaum hatte sie die Tür des Taxis geöffnet, blies hochsommerlich heißer Wind durch ihr langes Haar und brachte es in Unordnung.
Leo umarmte seine Schwester und drückte sie an sich, als sie die Wohnungstür öffnete. Lissas blondes Haar stand wild in alle Richtungen ab und ihre Wangen waren so gerötet, dass sie aussahen wie zwei überreife Granatäpfel. „Na, hast du Stress, Schwesterherz? Soll ich dir helfen?“
„Etwas spät für diese Frage, oder? Die meisten Gäste sind schon da. Aber fürs nächste Mal merke ich’s mir gerne“, kicherte sie fröhlich und schmatze ihm einen dicken Kuss auf die Nase, wobei sie haargenau wusste, dass sie die Einzige war, die das ungestraft durfte. Darum genoss sie es umso mehr.
Niklas war in Leos Windschatten stehen geblieben. „Hallo Lissa! Vielen Dank für die Einladung“, wisperte er so leise, dass selbst ein junger Luchs mit Hörgerät Probleme damit gehabt hätte, ihn zu verstehen. Seine zwinkernden Augen hielt er hinter einer dunkelblonden Haarsträhne versteckt.
Leo seufzte leise. Das konnte es doch nicht geben, dass sein sonst so selbstsicherer Freund zum Nervenbündel wurde, sobald seine Schwester am Horizont erschien. Wenn er sich nicht bald zusammenriss und endlich über seinen Schatten sprang, würde das mit den beiden leider nichts werden. Aber seine Angelegenheit war das nicht, er hatte andere Sorgen: Hoffentlich würde er heute Abend nicht neben einer einfältigen Tussi sitzen müssen! Er hatte so was von keinen Bock darauf, stundenlang mühsam Konversation machen zu müssen, zu irgendwelchen sinnlosen Themen, über die er nicht einmal würde reden wollen, wenn er eben ein hunderttägiges Schweigegelübde in einem Männerkloster beendet hätte. Lieber war ihm da schon ein Typ als Tischnachbar, mit dem er vielleicht über das diese Woche noch anstehende Spiel quatschen konnte.
Ohne sich irgendwelche Hoffnungen zu machen, dass dieser Partyabend seine miese Laune ändern könnte, trat Leo ins Wohnzimmer. Seit Wochen marterte ihn seine ständig gereizte Stimmung, die ihn beinahe zu Boden drückte und die Niklas, diesen Hirni, dazu veranlasst hatte, ihn zu fragen, ob er denn vielleicht an einer stark verfrühten Midlife-Crisis litt.
Doch plötzlich musste er wider Erwarten schmunzeln. Er war jedes Mal aufs Neue fasziniert vom schrägen Stilempfinden seiner Schwester; augenblicklich fühlte er sich wie in einer Sonderausstellung des schlechten Geschmacks. Lissa sammelte alles, was schrill, grell, kitschig und in jedem Fall abartig hässlich war. Bunt im Raum verteilt stand ein Sammelsurium an Abscheulichkeiten. Als Gipfel des schlechten Geschmacks lehnte ein rund ein Meter großes, aufblasbares Bambi in einer Ecke.
Mit dem Ansatz eines Lächelns stopfte Leo die Hände in die Taschen seiner Jeans und schaute sich nach etwas Essbarem um. Auf dem langen Holztisch, an dem bereits ein buntes Grüppchen sich laut unterhaltender Gäste saß, entdeckte er große Glasteller, bedeckt mit etwas, das er nicht näher identifizieren konnte.
„Was soll das sein?“, fragte er Lissa und beugte sich tief über die Platten, um genauer erkennen zu können, was seine Schwester da fabriziert hatte.
„Siehst du doch! Selbst gemachte Maki; ich bin dafür drei Stunden in der Küche gestanden!“ Ihre Stimme klang begeistert. „Hab ich zum ersten Mal selbst probiert, und dafür sind sie doch super geworden. Könnte ich glatt verkaufen, oder?“
Leo fand, dass die Begeisterung, die sie an den Tag legte, in keinem direkten Zusammenhang mit den unregelmäßigen Reishäufchen stehen konnte, die da vor ihm lagen. Es sah aus, als hätten Schulkinder eine Reisschlacht veranstaltet! „Und was ist in den Schalen?“ Eine schlammbraune Paste mit kleinen grünen Knötchen war mit einer dünnen Zitronenscheibe dekoriert.
„Das ist Fischaufstrich gemischt mit würziger Auberginenpaste.“
Jetzt konnte er sich auch den eigenartigen Fischduft erklären, der ihm bereits an der Wohnungstür entgegengewallt war. Wie war sie nur auf die unglückliche Idee mit der Fischpaste gekommen? Er wusste, dass Lissa viele Talente hatte, doch Kochen lag ungefähr auf Platz 98 auf einer Liste mit 100 Möglichkeiten.
„Gut gemacht, Schwesterchen!“, sagte er mit bemüht anerkennendem Nicken, als er merkte, wie erwartungsvoll sie ihn ansah und sehnsüchtig auf Bestätigung für ihr gelungenes Werk wartete. Verzweifelt starrte er auf den mit bunten Wiesenblumen sommerlich dekorierten Tisch und fragte sich, was er heute Abend essen würde. Warum hatte sie nicht einfach einen stinknormalen Rindfleischsalat gemacht? In der Redaktion war es so stressig gewesen, dass er zu Mittag keine Zeit zum Essen gefunden hatte, und nun fühlte er sich wie ein Löwe, der seit Tagen kein frisches Fleisch mehr zwischen die Zähne bekommen hatte. Wäre nicht seine Schwester die Gastgeberin gewesen, hätte er auf der Stelle umgedreht und wäre in das nächste argentinische Steakhouse geflüchtet, um dort ein Rib-Eye-Steak von mindestens 500 Gramm zu verschlingen.
Er sah sich weiter um. „Wie viele Leute kommen denn noch?“, fragte er Lissa und versuchte dabei nicht zu sabbern, da vor seinem geistigen Auge nach wie vor ein saftiges Steak schwebte.
„Insgesamt sind wir dreizehn. Ich weiß, keine gute Zahl, aber du bist doch nicht abergläubisch, oder?“ Sie kicherte bei dem Gedanken, ihr Bruder könnte irgendwelchen mystischen Aberglauben ernst nehmen. „Schau, es sind noch einige Plätze frei, dort könnt ihr euch hinsetzen.“ Lissa deutete quer über den Tisch auf die freien Stühle. Sie klatschte ein paar Mal in die Hände. „Das sind Leo und Niklas“, stellte sie die beiden kurz den anderen Gästen vor, bevor sie in die Küche lief. „Wir brauchen noch frische Gläser!“, rief sie entschuldigend und wirbelte davon.
Leo atmete erleichtert auf. Er nickte grüßend und zog Niklas sofort auf den Stuhl neben sich, der Platz auf seiner anderen Seite blieb leer; eine Konstellation, die ihm ausnehmend gut gefiel. Zufrieden nahm er einen kräftigen Schluck von seinem Bier – Gott sei Dank hatte Lissa das wenigstens ordentlich gekühlt –, als es läutete. Seine Schwester zischte blitzschnell an ihm vorbei und gleich darauf hörte er auch schon, wie sie überraschte Begeisterungsschreie ausstieß. Sorgenvoll sah er auf den freien Platz an seiner Seite.
„Meine Lieben“, rief Lissa, deren hektische rote Flecken nun den kompletten Hals überzogen und sie aussehen ließen, als hätte sie ihren Kopf erst vor Kurzem aus dem aufgeheizten Backofen gezogen, „das ist meine Kollegin Carolina. Sie moderiert bei uns das Vorabendmagazin. Vielleicht kennt ihr sie ja!“
„Oh, mein Gott!“, hörte er plötzlich Niklas neben sich raunen. „Sie ist es, Carolina, die aus dem Fernsehen!“
Leo war es völlig egal, wer da erschien, solange er kurze Haare hatte, flache Schuhe trug und außerdem ein Mann war. Was in diesem Fall definitiv auszuschließen war. Er seufzte hörbar, denn er wusste, dass der Traum eines sorglosen Abends vorbei war. Natürlich steuerte seine Schwester direkt auf ihn zu.
„Ich setz dich neben Leo und Niklas“, sagte Lissa fröhlich, deutete auf den noch freien Platz gleich neben Leo. In einem Affentempo hetzte sie zurück in die Küche, wobei sie mit ihren nackten Sohlen ins Schleudern kam, sekundenlang in eine beachtliche Schräglage geriet und nur mit einer beeindruckenden akrobatischen Einlage, die den Artisten des Chinesischen Nationalzirkus’ alle Ehre gemacht hätte, einen Sturz verhindern konnte. Ohne mit der Wimper zu zucken hastete sie weiter.
„Hallo!“ Carolina nickte beiden freundlich zu und setzte sich.
„Darf ich dir etwas zu trinken anbieten, vielleicht ein kleines Gläschen Prosecco? Eisgekühlten Champagner haben wir leider im Moment nicht vorrätig“, sagte Leo und gab sich dabei überhaupt keine Mühe, seinen ätzenden Unterton zu verbergen. Er hatte Hunger, und er war einfach verärgert, weil jetzt doch eine Frau neben ihm saß; außerdem saß ihm das Anti-Sex-Gespräch mit Niklas immer noch unangenehm im Nacken. Alles in allem eine Mischung, die seinen knurrigen Allgemeinzustand definitiv nicht verbesserte.
Carolina musterte ihn irritiert. „Mir wäre ein Glas Rotwein lieber, wenn das möglich ist.“
„Aber gerne doch. Südhang, Nordhang, was wäre recht?“
Niklas knuffte ihn unmerklich in die Rippen. „Entschuldige“, sagte er in Carolinas Richtung, „aber ich glaube, der Rotwein steht noch in der Küche. Komm Leo, wir holen ihn schnell.“
Nur widerwillig stand Leo auf und ließ sich von Niklas in die Küche schleifen. Kaum waren sie um die Ecke verschwunden, fuhr ihn sein Freund auch schon an: „Was sollte denn das gerade? Hast du sie noch alle? Vor dir steht die Göttin des Fernsehens und du benimmst dich wie der Oberzyniker.“
„Ich bin der Oberzyniker. Deshalb lieben mich meine Leser, schon vergessen?“
„Ja, aber sie ist etwas Besonderes“, begann er und starrte dabei gedankenverloren in den Ausguss. „Ihr Haar ist wie dunkelbrauner Nugat, ihre Augen sind wie flüssige Schokolade.“
„Hast du Hunger? Du solltest dir etwas vom Dessert nehmen. Klingt, als ob du unterzuckert wärst.“
„Aber wie kann man denn bei ihrem Anblick nicht beinahe zerschmelzen? Und ihre niedliche kleine Nase und dieses zuckersüße Lächeln … sie ist einfach die schönste Frau, die ich kenne!“
Leo sah ihn etwas erstaunt an. „Ich dachte, du stehst auf meine Schwester.“
„Ja, natürlich“, antwortete Niklas und machte dabei ein Gesicht, als ob man ihn beim Kaugummiklauen ertappt hätte. „Aber Carolina ist halt so eine Traumfrau aus weiter Ferne. Und das Unglaubliche ist: Sie sitzt heute tatsächlich neben uns, also verhalte dich nicht wie ein kompletter Idiot. Bitte!“
Leo knurrte nur etwas Unverständliches, was so ähnlich klang wie „darauf würd’ ich nicht wetten“.
Mit der Flasche bewaffnet kamen sie aus der Küche zurück und Niklas schenkte Carolina den Rotwein ein, wobei ein dermaßen entrücktes Lächeln sein Gesicht zierte, dass Leo schlagartig wieder verärgert war.
„Danke“, sagte Carolina und hielt ihre Hand über das Glas, „das reicht, sonst bin ich ja auf der Stelle betrunken.“ Sie nickte Niklas dankend zu und probierte einen kleinen Schluck. „Und, was arbeitet ihr?“, fragte sie, als sie das Glas wieder absetzte.
„Wir sind Sportjournalisten und schreiben für die Allgemeine Zeitung“, antwortete Niklas ein wenig zu eifrig, dankbar dafür, dass sie das Gespräch suchte und sich nach Leos Anfangsvorstellung nicht gleich beleidigt abwandte.
Ein paar Sekunden sagte Carolina nichts darauf, sondern schaute Leo nur mit einer hochgezogenen Braue fragend an, so als ob sie über irgendetwas nachgrübeln würde. „Du bist aber nicht zufällig Leo Nordbeck, der diese zynischen Sportkommentare schreibt, bei denen ich mir immer denke, ich bin froh, dass der nicht über mich schreibt? Der bist du nicht, oder?“
„Meine Texte sind dir also zu hart? Du hättest sie gerne mit einem Schuss Weichspüler? Soll ich vielleicht etwas Lyrik darin verpacken?“ Leo merkte, wie es in seinen Fingerspitzen zu Kribbeln anfing. Er mochte das, es war meist der Startschuss für ein heftiges Scharmützel, und dem war er noch nie abgeneigt gewesen, weder auf dem Spielfeld noch im Leben. Das konnte das kleine Häschen neben ihm gerne haben, sie sollte nur rechtzeitig in Deckung gehen, bevor sie schließlich heulend neben ihm saß. „Und du moderierst das Vorabendmagazin? Bekommst du da alle Texte mundgerecht vorgeschrieben und liest sie dann brav runter?“, hakte er bissig nach.
Carolina schoss das Blut in die Wangen. „Nein, ich recherchiere und schreibe meine Texte selbst!“, stammelte sie. Sie war so verblüfft über die kaum verhohlene Frechheit, dass sie für ein paar Sekunden vergaß, ihren Mund zu schließen. Überrascht stellte sie fest, wie eine unbändige Zornwelle in ihr heranrollte. Seit wann wurde sie so schnell zornig?
„Die Texte zu den aktuellen Rocklängen?“ Leo nahm einen Schluck von seinem Bier und genoss ihre verdatterte Miene. Geh in Deckung, Nugathäschen!
Niklas sprang so schnell auf, dass er seinen Stuhl polternd umwarf. „Ich glaube, wir sollten dann gehen!“, sagte er und zog Leo dabei hoch.
„Ich habe aber noch nicht ausgetrunken“, protestierte Leo und fuhr mit dem Daumen über den Rand seines Bierglases. Er wollte nicht gehen, jetzt, wo er in Fahrt kam.
„Das ist egal. Wir müssen heute noch einiges erledigen, hast du das vergessen?“ Niklas fuchtelte in der Luft herum und deutete dabei irgendetwas, was Leo nicht verstand. Was war mit dem los? Hatte er Bauchweh oder warum wollte er so schnell aufbrechen? Eigentlich war es ihm egal, er hatte seinen kurzen Schlagabtausch gehabt und fühlte sich bestens.
Lissa brachte sie zur Tür. „Warum geht ihr denn schon so früh? Ich dachte, der Abend würde etwas Besonderes für dich werden.“
Leo sah seine Schwester verständnislos an. „Wie kommst du denn auf die Idee?“
„Na, ich dachte, deine Tischnachbarin gefällt dir!“
„Das kleine Häschen, das jeder Windhauch umwirft? Da kennst du mich aber schlecht, Schwesterchen.“ Er drückte ihr einen Kuss auf die Wange und umarmte sie. „War trotzdem ein netter Abend!“
„Schade!“ Sichtlich enttäuscht sah Lissa ihn an. „Ich habe mir eigentlich gedacht, ihr würdet ein gutes Paar abgeben.“
„Kümmere dich lieber um deine Liebesangelegenheiten“, erwiderte er und deutete dabei vielsagend auf Niklas, der prompt zu zwinkern begann.
„Ach, lass deinen armen Freund in Ruh’“, sagte sie und schmatzte Niklas einen kleinen Kuss auf die Wange. „Der kann sich vor Frauen doch sicher kaum retten, oder? Also dann, kommt gut heim!“ Winkend schloss sie die Tür.
Kaum waren sie auf der Straße, schnauzte Niklas Leo an: „Sag, was sollte das denn? Kann man mit dir jetzt nirgends mehr hingehen, wo sich Frauen befinden? Knurrst du die in Zukunft jetzt alle so an?“ Sein Zwinkern wurde weniger.
„Nein, nur wenn sie so ein hohles Köpfchen haben wie diese!“
„Die einzige hohle Nuss hier bist du!“ Niklas deutete eine Kopfnuss an. „Sag, hast du sie nicht wenigstens wunderschön gefunden?“, fragte er nach einer kurzen Pause mit seltsam verklärtem Blick.
„Aber natürlich, ich bin doch nicht völlig blind. Sie ist unglaublich schön, das macht es aber auch nicht besser. Hohl bleibt hohl.“ Leo merkte, wie seine schöne gute Laune von vorhin langsam wieder flöten ging.
Niklas sah ihn von der Seite skeptisch an. Plötzlich hellte sich seine Miene merklich auf: „Jetzt weiß ich es. Du bist nur sauer, weil sie sich dir nicht sofort an den Hals geworfen hat. Deine These, du könntest sie alle haben, stimmt nicht!“ Er lachte laut auf und wirkte sehr zufrieden mit seiner Erkenntnis.
„Blödsinn, das hat damit überhaupt nichts zu tun! Außerdem, mein Freund“, Leo blieb stehen und stemmte die Arme in die Hüften, „kann ich sie natürlich jederzeit haben. Dazu muss ich mich nicht einmal besonders anstrengen!“
Niklas lachte immer noch. „Und ich sage dir: Bei Carolina, der schönen Nugatsünde, beißt du dir deine so gepflegten Zähne aus! In der Zeitung hab ich gelesen, dass ihre Eltern Spanier sind. Die hat südländisches Temperament, die wird so richtig Widerstand leisten!“
Leo spürte sofort, wie sein Kampfgeist geweckt war, das altbekannte Kribbeln in seinen Fingerspitzen tauchte wieder auf. Dieses kleine hübsche Minihäschen rumzukriegen war zwar nicht unbedingt die Champions League, aber gegen ein kleines Regionalligaspiel hatte er auch nichts einzuwenden. „Also gut, abgemacht. Ich werde Carolina dazu bringen, mich mit ihren Schokoaugen anzuschmachten und mir Liebesschwüre ins Ohr zu säuseln!“
„Und wie willst du das schaffen?“
„Das lass meine Sorge sein!“, antwortete Leo, und seinen Mund umspielte jenes ironisch charmante Lächeln, das Niklas auf der Stelle verstehen ließ, warum Frauen allein wegen dieses Lächelns in Scharen an ihm klebten. Aber Carolina würde es ihm nicht leicht machen, da war er sich ganz sicher, und er freute sich insgeheim schon darauf, dass Leo eine Lektion erteilt bekam; dafür war es höchste Zeit.
Carolina hatte noch immer eine steile Zornfalte auf der Stirn, als die Party zu Ende war und sie sich von Lissa verabschiedete. Sie hatte ihr noch schnell geholfen, das schmutzige Geschirr in die Küche zu räumen, und obwohl sie vorgehabt hatte, ihr nichts zu sagen, um ihr nicht das Gefühl zu geben, es wäre ein verdorbener Abend für sie gewesen, platzte es einfach so aus ihr heraus: „Wer um Gottes Willen war denn dieser Leo? Das ist doch wohl der größte Esel, der mir in letzter Zeit untergekommen ist.“
Lissas Augen wurden groß. „Es tut mir leid“, stotterte sie. „Ich hatte eigentlich gedacht, ihr würdet euch mögen.“
„Wie kann man so jemanden mögen! Er war beleidigend, zynisch, eingebildet und jedenfalls völlig unerzogen. Hat dem niemand beigebracht, wie man sich Fremden gegenüber verhält? Woher kennst du den überhaupt?“
„Er ist … ein Freund.“ Eigenartigerweise traute sich Lissa in diesem Moment nicht zu sagen, dass er ihr Bruder war. Sie kannte ihre Kollegin als eher zurückhaltenden Menschen, die immer bemüht und freundlich war, doch jetzt schimmerte deutlich ihr Temperament durch. Was hatte ihr Bruder da nur angerichtet? Üblicherweise schmolzen all ihre Freundinnen dahin, wenn sie von ihrem Bruder erzählte. Doch irgendetwas war heute Abend anders gewesen, und sie hatte nicht den leisesten Dunst, was das um Gottes willen gewesen sein konnte.
Als Carolina auf der Straße stand, zog sie sich eilig die hohen Schuhe von den Füßen, die mittlerweile so weh taten, dass sie sie am liebsten in Eiswasser gesteckt hätte, um den Schmerz abzutöten. Sie bekam ihre Schuhe gratis vom Sender zur Verfügung gestellt, und diesmal trug sie ein abartig cooles Prada-Modell aus der aktuellen Kollektion, für das sie gerne etwas litt, doch ihre Schmerzgrenze war überschritten, Prada hin oder her. Kurz überlegte sie, ein Taxi zu rufen, doch dann entschied sie sich, zu Fuß nach Hause zu gehen. Sie würde einfach barfuß gehen und ihren Füßen etwas Luft gönnen. Vorsichtig bewegte sie ihre gequetschten Zehen hin und her; der Asphalt fühlte sich angenehm warm unter ihren nackten Sohlen an. Trotzdem konnte sie die beinahe tropisch heiße Sommernacht nicht genießen, viel zu sehr ärgerte sie sich über Leo.
Sie stieß einen tiefen, unglücklichen Seufzer aus und ging langsam weiter.
In ihren allergeheimsten Träumen hatte sie eigentlich einen Plan für den heutigen Abend gehabt: Ich lerne heute den Mann meines Lebens kennen! So sicher war sie sich gewesen, den ganzen Tag über hatte sie dieses ganz bestimmte Gefühl gehabt, es würde heute passieren. Vielleicht wartet die Liebe deines Lebens auf dich. Hatte das nicht in ihrem heutigen Horoskop gestanden? Warum las sie das überhaupt jeden Tag, wenn es dann ohnehin nicht eintraf?
Kapitel 2
Der Kosmos ist in Aufruhr. Es bahnt sich etwas an, das dein Leben verändern könnte! Ein Liebeshoch liegt in der Luft.
Leos düstere Stimmung hatte sich ein wenig aufgehellt, als er am nächsten Morgen in der Redaktion eintraf. Er wusste selbst nicht genau, was da gestern Abend in ihn gefahren war.
Auf dem Weg zu seinem Büro, das er sich mit Niklas teilte, holte er sich frischen Kaffee aus der Redaktionsküche. Er goss sich Milch in die schwarze Brühe und warf fünf Stück Zucker dazu, wobei er mit Argusaugen darauf achtete, dass ihn keiner dabei beobachtete. Seine Lust, sich den Spitznamen „Süßer“ einzuhandeln und sich damit von den Herren der Sportredaktion bis zum Sankt Nimmerleinstag aufziehen zu lassen, war begrenzt. Als eine ältere Kollegin aus der Wirtschaftsredaktion in die Küche kam, machte er ihr ein Kompliment zu ihrem letzten Leitartikel, das sie wie ein junges Mädchen kichern ließ. Danach ging er weiter in sein Zimmer.
Niklas hatte bereits den Computer hochgefahren und blätterte die heutige Zeitung durch. Als Leo eintrat, klappte er die Seite zu und sah ihn fragend an. „Und, weißt du schon, wie du es angehst?“
„Wovon sprichst du?“ Leo tat so, als hätte er keine Ahnung. Obwohl er die halbe Nacht darüber nachgegrübelt hatte, war ihm nicht mal der Anflug einer Idee gekommen.
„Stell dich nicht dumm. Du weißt genau, dass ich von Carolina und unserer gestrigen Abmachung rede. Also, was ist? Weißt du schon, wie du an sie rankommst?“
„Nicht so hastig mein Lieber, gut Ding braucht Weile!“
„Heißt übersetzt, du hast noch keine Ahnung!“, feixte Niklas. „Kann es sein, dass du schon vor dem Anpfiff aufgibst?“
„Mach dich nicht lächerlich!“ Leo verschränkte die Hände hinter seinem Kopf und wippte mit dem Sessel, der kleine quietschende Geräusche von sich gab. „Es wird mir schon eine Lösung einfallen. Darauf kannst du dein gesamtes Hab und Gut verwetten!“
„Was kein hoher Einsatz ist!“, unkte Niklas und stand auf. „Zeit für die Sitzung. Komm, sonst sind wir wieder die Letzten und müssen uns vom Captain eine Predigt über Pünktlichkeit anhören. Da hab ich heute echt keine Lust drauf!“
Der Konferenzsaal war bereits voll, die komplette Mannschaft war versammelt. Kaum hatten sie Platz genommen, legte der Chefredakteur auch schon los.
„Wir haben ein Problem“, sagte er unangenehm laut, wischte sich ein Krümel seines Frühstücks von der Lippe und sah mit sorgenvollem Gesicht in die Journalistenrunde. „Frau Belinda ist weg!“
Leo und Niklas sahen sich fragend an. Frau Belinda war seit grauer Vorzeit für die Horoskope der Zeitung zuständig und galt als unantastbare Instanz, auch wenn sie keiner richtig ernst nahm. Schon allein ihre blau gefärbten Haare und die feenartige Kleidung waren sehenswert.
„Sie hat jedenfalls per sofort ihre Arbeit niedergelegt“, fuhr der Chefredakteur fort. „Irgendwie spürte sie in letzter Zeit schlechte Schwingungen oder so, was weiß ich. Unser Problem ist nun: Wo bekommen wir so schnell Ersatz her? Mir graut jetzt schon vor dem Casting! Ich mag mir gar nicht ausmalen, welch schräge Gestalten da aufkreuzen werden.“ Er ribbelte sich mit einer verzweifelten Geste die Stirnglatze. „Jedenfalls – bis wir jemanden haben, der sich mit diesem ganzen Astrologiefirlefanz auskennt, muss das jemand von uns übernehmen. Ein paar Sätzchen zusammenschreiben über diesen Nonsens kann ja wohl nicht so schwer sein. Also, wer meldet sich?“ Fragend sah er in die Runde.
Der Reihe nach gingen die Köpfe nach unten, man hüstelte und hatte plötzlich dringend seine Fingernägel zu kontrollieren.
„Also niemand? Das kann nicht sein, dann muss ich jemanden bestimmen. Also ein letztes Mal: Meldet sich jemand freiwillig?“
Wieder sahen alle hastig auf ihre Handys oder kontrollierten, ob denn tatsächlich alle Knöpfe ordentlich angenäht waren.
„Ich mach’s“, sagte plötzlich jemand in die Stille hinein.
Alle starrten zu Leo, vereinzelt war Gelächter zu hören.
Auch der Chefredakteur sah ihn fragend an. „Also an dich hätte ich jetzt nicht unbedingt gedacht. Wusste gar nicht, dass du so ein Horoskop-Fan bist, aber mir soll’s recht sein. Du kannst heute schon mal loslegen, um 14 Uhr ist Abgabetermin.“
Kaum waren sie wieder in ihrem Zimmer, schloss Niklas hastig die Tür hinter ihnen. „Sag mal, was sollte das? Soll ich vielleicht schnell eine Kristallkugel für dich holen?“
„Ich hab einfach zugegriffen, als sich mir die Lösung so plötzlich anbot.“
„Welche Lösung? Suchst du die Lösung deiner Probleme jetzt in den Sternen? Wovon redest du da überhaupt?“
„Die Lösung für mein Carolina-Problem!“
Niklas setzte ein so fragendes Gesicht auf, als hätte Leo ihn nach der Quadratwurzel aus zwei gefragt. „Ich habe keine Ahnung, was du meinst!“
„Ich erklär dir den Plan. Also, vorher bei der Redaktionssitzung hat der hinterste Teil meines Unterbewusstseins plötzlich überfallartig aufgeblinkt, als die Sache mit dem Horoskop besprochen wurde. Mir ist da blitzartig eingefallen, dass mir meine Schwester erzählt hat, dass die Mädels bei ihr im Sender immer das Horoskop in unserer Zeitung lesen und dass da alle ganz wild danach sind. Sie hat dann noch gemeint, eine Kollegin, die aus Spanien stammt, richtet sogar ihren Tag danach.“ Er sah Niklas eindringlich an. „Außerdem rechne ich fix mit der Hilfe meiner Schwester. Sie sieht uns ja schon als strahlendes Traumpaar vor dem Altar, oder?“
Niklas Gesicht war ein einziges überdimensionales Fragezeichen. „Ich kenn mich immer noch nicht aus. Und wie soll das Horoskop dich zu Carolina führen?“
Leo beugte sich vor und schaute verschwörerisch. „Ich werde meine Schwester anrufen und sie fragen, was denn ihre liebe Kollegin für ein Sternzeichen hat, und dann werde ich ihr Horoskop so geschickt manipulieren, dass sie direkt in meinen weit geöffneten Armen landet.“ Begeistert von seiner Idee lächelte er zufrieden vor sich hin und wartete auf Zustimmung.
„Ganz verstehe ich es immer noch nicht. Wie willst du sie denn in deine Arme treiben?“
„Lass das meine Sorge sein. Du wirst sehen, in wenigen Tagen ist die Sache gewonnen.“
„Du hast dich aber noch nie in deinem Leben mit Astrologie beschäftigt. Was willst du denn schreiben?
„Ach, da wird mir schon etwas einfallen. Wie hat unser Chef so schön gesagt: Das kann doch nicht so schwer sein! Und ich würde es nie wagen, dem Captain zu widersprechen.“ Leo lachte laut auf und Niklas sah das erste Mal seit Langem jenes Glitzern in seinen Augen, das er schon so lange vermisst hatte. Auch wenn der Plan völlig absurd war und Leo für die nächsten Monate den geballten Spott der kompletten Kollegenschaft der Sportredaktion abbekommen würde, so viel war sicher.
Carolina hatte die Augen geschlossen und versuchte sich zu entspannen, was ihr nicht so recht gelingen wollte. Zornig zog sie die Augenbrauen zusammen, sodass eine steile Falte dazwischen entstand.
„So kann ich dich nicht schminken, Carolina! Du musst locker lassen“, stellte Lissa sachlich fest. „Sonst sprüh ich dir ein paar Falten, wo du überhaupt keine hast.“ Sie fuhr geduldig mit der Airbrush-Düse über das Gesicht ihrer Kollegin und trug eine Schicht Make-up auf.
„Tut mir leid, aber ich ärgere mich eben so furchtbar über mein heutiges Horoskop. Da steht doch tatsächlich, ich zitiere: Der Kosmos ist in Aufruhr. Es bahnt sich etwas an, das dein Leben verändern könnte! Ein Liebeshoch liegt in der Luft! Von wegen Liebeshoch! Wenn ich nur an den Typ von gestern Abend denke, wird mir schon ganz übel. Weißt du, viele Kerle halten mich für süß und niedlich, für so ein kleines Plüschtierchen, das man herzeigen kann. Aber bisher hat mir noch keiner so deutlich gezeigt, dass er mich für richtig blöd hält. Und ich hab ihm nicht einmal richtig Contra gegeben!“ Ärgerlich wickelte sie eine lose Strähne über die warmen Haarwickler auf ihrem Kopf. „Wahrscheinlich bin ich sogar richtig blöd“, fuhr sie fort. Gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass sie ihre Stirn nicht wieder in Falten legen durfte.
Lissa fuhr mit der Fingerspitze über Carolinas Augenlid und verwischte sanft den bronzefarbenen Lidschatten. „Aber vielleicht war es nur ein Missverständnis. Normalerweise ist er wirklich ein echt netter Kerl“, versuchte sie ihren Bruder zaghaft zu verteidigen.
„Selbst geknebelt und mit zugeklebtem Mund würde der immer noch gemein sein!“ Carolina half Lissa, die Wickler aus den Haaren zu nehmen. Sie drehte sich eine gelockte Haarsträhne um den Finger und starrte darauf. „Wahrscheinlich bin ich deshalb so sauer, weil ich niemals einen passenden Mann für mich finden werde. Das hat mir der gestrige Abend wieder so richtig gezeigt. Ich will wegen meiner Persönlichkeit ernst genommen werden, verstehst du, als ganze Person!“ Ein abgrundtiefer Seufzer entfuhr ihr.
„Aber um Gottes willen, was hat Leo denn zu dir gesagt, dass du jetzt so tief in die Selbstmitleidgrube fällst?“
„Er hat eine zynische Bemerkung nach der anderen gemacht! So schreibt er ja auch seine Sportkolumne bei der Zeitung. Der macht die Spieler nach dem Match alle nieder und findet das auch noch witzig!“
„Aber er hat unglaublich viele Fans, die halten seine Kommentare für cool und pointiert!“, wisperte Lissa etwas kleinlaut.
„Warum verteidigst du ihn eigentlich so?“
„Tu ich doch gar nicht!“, antwortete Lissa hastig. „Na, gut. Ein klein wenig finde ich ihn auch cool.“ Sie wollte ihren Bruder einfach nicht so dastehen lassen.
Carolina schüttelte verständnislos den Kopf, was dazu führte, dass Lissa ihr eine ordentliche Ladung Haarspray in die Augen sprühte und sie sich ab sofort beide auf ihre Aufgabe konzentrierten.
Bei der internen Besprechung der Sportredaktion, wer welche Pressekonferenz besuchen sollte, war Leo nicht bei der Sache. Gedankenverloren trommelte er mit den Fingern auf den mit Papierstößen völlig überfüllten Schreibtisch des Sportchefs. Nur dunkel bekam er mit, dass er zu einer Presseveranstaltung mit dem berauschenden Titel „Minigolf im Wandel der Zeit“ eingeteilt wurde, was ihn normalerweise dazu gebracht hätte, sich kurz an die Stirn zu tippen und den Sportchef zu fragen, ob er nicht vielleicht auch vom letzten Fußballtraining der Kindergartengruppe berichten sollte. Er war gut angeschrieben beim Herausgeber, die Leser liebten ihn und regelmäßig versuchten andere Zeitungen ihn abzuwerben. Darum hatte er auch redaktionsintern Narrenfreiheit, was seinem Naturell sehr entgegenkam. Er konnte kommen, wann er wollte, gehen, wann er wollte – solange er seine so beliebten Sportkommentare regelmäßig ablieferte, war die Welt des Herausgebers in Ordnung. Doch heute war er gedanklich woanders.
Sofort als der Sportchef durch ein In-die-Hände-Klatschen das Signal gab, dass die Besprechung zu Ende war, sprang er auf, zog Niklas mit sich in ihr Büro und schloss sorgfältig die Tür.
„Ich weiß schon, wie ich es angehe“, sagte er und setzte sich auf die Ecke seines Schreibtisches. Ein zufriedenes Grinsen umspielte seinen Mund. „Ich werde sie einfach in meinen Bereich locken, damit ich glänzen kann. Unser Fräulein Carolina ist doch selbst so ein Scheinwerfergirl, die steht da sicher drauf!“
„Und wie stellst du dir das vor, ich meine praktisch?“, fragte Niklas.
„Morgen startet doch die Fußball-Bundesliga in die neue Saison. Da werde ich doch nach dem Spiel am Platz unten stehen, um die Interviews mit den Spielern zu führen. Im Stadion sind 60.000 Menschen und das Interview wird auf der riesigen Videowand übertragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das keinen Eindruck auf sie machen wird. Ich werde sie einfach mit meinem Wissen und ein paar Witzchen für mich begeistern. Du wirst sehen, spätestens wenn am Abend das Interview im Fernsehen wiederholt wird, hab ich sie am Hals.“
Niklas kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Hast du dir auch schon Gedanken gemacht, wie du sie ins Stadion bringen willst? Und Entführung gilt nicht!“
„Da kommt mein Schwesterchen ins Spiel“, fuhr Leo fort. „Sie soll Carolina vorjammern, sie hätte zwei Plätze für das Fußballspiel teuer gekauft und jetzt sei ein Freund abgesprungen, mit dem sie eigentlich hätte gehen wollen. Man könne doch die Karten nicht verfallen lassen und es würde doch sicher ein lustiger Mädelsabend werden und so weiter. Und ich kenne meine Schwester; der kann so schnell keiner was ausschlagen, wenn sie einmal ordentlich loslegt. Außerdem gibt es ja auch noch unsere Geheimwaffe!“
Fragend sah in Niklas an. „Welche wäre?“
„Na, das Horoskop natürlich, schon vergessen? Das wird ordentlich nachhelfen! Also, was werd’ ich schreiben?“ Er setzte sich vor seinen Computer und starrte hinein.
„Weißt du überhaupt schon, welches Sternzeichen sie ist?“
„Ja, ich habe vorhin kurz mit Lissa telefoniert und sie in meinen Plan eingeweiht. Sie war zwar nicht so wahnsinnig davon begeistert, hat mir dann aber verraten, dass Carolina Widder ist. Stell dir vor, sie ist ausgerechnet am 1. April geboren. Ist sicher immer ein total witziger Geburtstag, mit all den halblustigen Aprilscherzen.“ Er hasste Aprilscherze und stellte sich einen Geburtstag an diesem Tag als Tortur vor. Spontan war er seiner Mutter dankbar, dass sie ihn Anfang August geboren hatte, wo in Sachen übler Aprilscherze nichts zu befürchten war.
Niklas Brauen gingen merklich nach oben. „Sie ist also Widder und du Löwe. Passt das denn zusammen? Das sind doch beide Feuerzeichen, ist das nicht zu feurig? Vielleicht wollen dir die Sterne damit ein Zeichen geben und dir sagen, du solltest dich nicht mit ihnen anlegen.“
„Seit wann schwimmst du denn auf der Eso-Welle?“
Kapitel 3
Wenn dich eine gute Freundin oder Kollegin um einen Gefallen bittet, dann gehe unbedingt darauf ein. Es könnte eine freudige Überraschung auf dich warten!
Carolina wollte eben aus der Dusche steigen, als sie die Spinne entdeckte. Zugegebenermaßen war die winzig klein, aber die Größe war ihr von jeher völlig egal gewesen. Spinne war Spinne, und selbst so ein Miniding brachte sie auf der Stelle dazu, gellend zu kreischen, und zwar so laut, dass sie sich beinahe selbst die Ohren zugehalten hätte. Als wäre sie eine Gazelle auf der Flucht, sprang sie mit einem gewaltigen Satz aus der Duschtasse, quer über die Spinne, die es sich auf ihrer Badezimmermatte bequem gemacht hatte. Sie ärgerte sich furchtbar über sich. Wie konnte man nur so blöd sein? Es war nur eine Spinne und kein Panther, der da vor ihr im Badezimmer saß. Doch das war ihr egal. Ihr Körper sandte das Signal „Panik“ aus und sie konnte nur noch hysterisch reagieren. Das Schlimmste dabei war, dass sie damit alle Klischees bestätigte, die man so landläufig über Frauen und Spinnen hatte. Sie hasste sich dafür! Da wollte sie als toughe, erwachsene Frau wahrgenommen werden, die immer Herrin der Lage war, überlegt und bedächtig, und dann kreischte sie bei einer Minispinne auf, als würde ein tödlicher T-Rex vor ihr stehen. Permanent schwebte sie in der Angst, es könnte einmal während einer Sendung eine Spinne von der Decke baumeln und sie würde dann vor Tausenden Menschen live im Fernsehen einen ihrer Schreianfälle bekommen. Ein wahrer Albtraum!
Mit spitzen Fingern griff sie nach der Matte, rollte sie zusammen, lief zur Balkontür, öffnete sie und schoss die Matte samt Bestie in hohem Bogen auf die Terrasse. Dass die gesamte Nachbarschaft sie dabei splitternackt sehen konnte, nur verdeckt durch die klatschnassen Haare, die ihr bis weit über den Rücken am Körper klebten, war ihr aber so was von egal. Hauptsache, das Monster war aus ihrer Wohnung verschwunden. Mit zitternden Fingern schloss sie die Balkontür. Erledigt!
Die Sonne strahlte hell durch den zarten, bodenlangen Vorhang, als sie ihn noch etwas schlotternd vor die Balkontür zog. Zur Belohnung, dass sie diese heldenhafte Tat vollbracht hatte, gönnte sie sich ein paar Oliven, die in einer bunten Porzellanschale auf dem Küchentisch standen. Sie wusste, dass sich ihre Freundinnen an dieser Stelle auf eine Tafel Schokolade gestürzt hätten, doch sie war einfach Teil einer spanischen Familie, und da ging ohne Oliven nun einmal rein gar nichts.
Dank des Adrenalins, das nach der Spinnenattacke durch Carolinas Blut peitschte, war sie in kürzester Zeit angezogen und fertig, um in den Sender zu fahren. Sie schlüpfte schnell in eine ihrer Jeans – da hatte sie einen waschechten Spleen, mindestens zwei Dutzend davon lagen in ihrem Schrank –, dazu zog sie ein enges schwarzes T-Shirt an, das gut zu ihrem olivfarbenen Tein passte; ihr dunkles Haar föhnte sie kopfüber auf höchster Stufe trocken. Schminken brauchte sie sich nicht, das würde Lissa im Sender übernehmen.
Kaum saß Carolina vor dem Spiegel in der Maske, stürmte Lissa auch schon herein und klatschte die Zeitung mit einem lauten Knall vor ihr auf das breite Schminkbord, das beladen war mit Paletten voll buntem Lidschatten, Cremedöschen aller Größen und einer ganzen Batterie von Make-up-Fläschchen.
„Jetzt hab ich echt ein Problem“, jammerte Lissa los, während sie damit begann, Carolinas Haar zu frisieren und professionell auf Wickler zu drehen, damit sie in rund einer Stunde zu Sendungsbeginn – an den Spitzen in schönen großen Locken – über ihren Rücken fallen würden.
„Was ist los?“, fragte Carolina und reichte ihr einen Lockenwickler.
„Ich weiß nicht, ob ich dir erzählt hab … Ich steh da doch auf so einen Typen, der ein großer Fußballfan ist.“
„Nicht, dass ich wüsste.“
„Na, ist ja auch egal. Jedenfalls wollte ich ihn überraschen und habe Karten für das heutige Match besorgt, was gar nicht so leicht war, das kannst du mir glauben, und nun kann er heute Abend nicht“, fuhr sie fort und wickelte dabei aus lauter Eifer eine Strähne so fest, dass Carolina vor Schmerz zusammenzuckte. „Entschuldige! Aber ich bin richtig wütend! Was mach ich nun mit der einen Karte? Wenn mir die nur jemand abnehmen würde!“ Sie schielte unauffällig zu Carolina. „Wie wäre es denn mit dir? Möchtest du denn nicht mit mir gehen?“, fragte sie so nebenbei wie möglich.
Es fiel ihr ganz und gar nicht leicht, Carolina etwas vorzuspielen; sie hatte null Übung darin. Doch sie hatte es Leo hoch und heilig versprochen, als er angerufen hatte, um ihr seinen Plan zu erzählen. Er hatte kaum begonnen, sie honigsüß zu beknien, sie müsse ihm unbedingt helfen, als sie auch schon ohne lange zu überlegen zugestimmt hatte. Ihr Bruder war einigermaßen baff darüber gewesen, wie blitzschnell sie zugesagt hatte. Doch sie hatte einfach die einzigartige Chance ergriffen, als Amor ihr seine rosaroten Pfeile in die Hand gedrückt hatte. Seit Langem schon suchte sie verzweifelt nach einer Möglichkeit, ihren Bruder und Carolina zu verkuppeln. Denn wenn sie irgendetwas in ihrem chaotischen Leben mit absoluter Bestimmtheit wusste, dann, dass die beiden zusammengehörten wie Marilyn Monroe und Chanel No 5! Ihr Bruder war ein herzensguter Mensch, wenn er auch seit seinem Unfall nie wieder so richtig die Balance gefunden hatte. Auch deshalb hoffte sie, dass die beiden zusammenfanden: Carolina war bei all ihrem Temperament meist ausgeglichen, sie würde ihm gut tun.
Lissa straffte die Schultern und fuhr fort: „Es wäre doch wirklich schade, die Karte verfallen zu lassen, und so schnell finde ich doch sonst niemanden.“
Carolina schaute Lissa skeptisch an. Wie kam sie nur auf die Idee, sie wolle sich ein Fußballmatch anschauen? Sie hatte ihr doch noch nie davon erzählt, dass bei ihren Eltern zu Hause Fußball als eine Art Religion galt: Ihr Vater war ein geradezu besessener Anhänger des FC Barcelona. Ihre Eltern stammten beide aus Barcelona und auch sie war noch in dieser katalanischen Stadt geboren, bevor ihre Familie ausgewandert war, um das große wirtschaftliche Glück zu finden. Ihre Eltern waren sehr stolz auf das Erreichte – auch wenn sie weit davon entfernt waren, reich zu sein –, vor allem aber natürlich auf sie, auf ihre Tochter, die studiert hatte und beim Fernsehen nun ein Star war. Jedes Mal, wenn sie zu Hause in Spanien bei den Verwandten anriefen – also beinahe täglich –, wurden Carolinas Ruhm und Erfolg stundenlang besprochen. Besonders ihr Vater neigte dabei zu geradezu peinlich übertriebenem Aufschneiden, worüber sie ihm aber nie böse war; er liebte sie einfach, und in seinen Augen war es die absolute Wahrheit, die er über seine Tochter erzählte. „Wann geht es denn los?“, fragte sie.