Zu Fuss durch Deutschland - Yvonne Frei - E-Book

Zu Fuss durch Deutschland E-Book

Yvonne Frei

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Beschreibung

Fünf Millionen Schritte, oder 3700 Kilometer zu Fuss auf Hochzeitsreise kreuz und quer durch Deutschland. Siebeneinhalb Monate lang erkundete das frisch vermählte Deutsch-Schweizer Pärchen das faszinierende Heimatland des Ehemannes, auf einer selbsterstellten Wanderroute von der Nordsee zum Bodensee.

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Seitenzahl: 496

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Das Buch

Fünf Millionen Schritte, oder 3700 Kilometer zu Fuß auf Hochzeitsreise kreuz und quer durch Deutschland. Siebeneinhalb Monate lang erkundete das frisch vermählte Deutsch-Schweizer Pärchen das faszinierende Heimatland des Ehemannes, auf einer selbsterstellten Wanderroute von der Nordsee zum Bodensee. Yvonne und Sascha Frei lernten nicht nur viele verschiedene Menschen auf ihrem Weg kennen, sondern auch die unglaublich vielfältigen Natur- und Kulturlandschaften der Deutschen Regionen. Ebenso beschreiben sie die besonderen Herausforderungen und Erlebnisse die eine solche Weitwanderung mit sich bringt.

Autoren

Die 1964 in Biel / Schweiz geborene Yvonne Frei ist gelernte Detailhandles-Fachfrau, Pflegehelferin und Sterbebegleiterin und wohnt im St. Galler Rheintal. Im Langzeitwandern findet sie den Ausgleich zum Berufsleben. Deutschland als Wanderland entdeckte sie erst spät, da es in ihrer Familie immer geheißen hat: "Deutschland? Was will man da? Dort ist es flach und es gibt nur Industrie!"

Der 1970 in Ludwigsburg bei Stuttgart / Deutschland geborene Sascha Frei ist gelernter Pflegefachmann und arbeitet in der ambulanten Pflege (Spitex) in seiner jetzigen Ostschweizer Wahlheimat. Nach der Hochzeit mit Yvonne 2013 erfüllte er sich mit seiner Frau einen Traum: Deutschland zu Fuß zu durchqueren.

Vorwort

Unsere Reise, zu Fuß durch Deutschland, erlebten wir als so vielschichtig, dass wir verschiedene Begrifflichkeiten verwendeten, die alle, im jeweiligen Kontext, ihre Richtigkeit haben. „Hochzeitswanderung“ sagen wir zur Kombination, zwischen unserer kurz davor stattgefundenen Heirat und dem engen, besonderen Zusammensein während der Reise. Den sportlichen oder organisatorischen Teil der Unternehmung stellen wir eher mit den Begriffen, „Weitwanderung“ oder „Frei-Steig“ in den Fokus. Wenn es um emotionale oder spirituelle Aspekte der Reise geht, sprechen wir auch von „Pilgerreise“ oder „Pilgerwanderung“.

Die Idee, aus unseren Erlebnissen ein Buch zu verfassen, reifte schon unterwegs und wir notierten stichwortartig Themen, die dafür in Frage kamen. Zuhause begann zunächst Sascha zu schreiben. So entstand in einem Zeitraum von ca. 10 Monaten, Kapitel für Kapitel. Immer wieder las er Yvonne die Teiltexte vor. Durch das Vorlesen und ihre Kommentare fand die erste Korrektur statt.

Unterwegs füllten wir insgesamt 16 Tagebücher. Aus diesem Schatz der „Live-Berichterstattung“ schrieb Sascha, für die einzelnen Kapitel, Originaltexte oder Zitate heraus und integrierte sie in den laufenden Text. Die wörtlichen Zitate sind immer durch Anführungszeichen („“) am Anfang und Ende gekennzeichnet.

Wenn ein Zitat aus dem Tagebuchtext mittendrin beginnt bzw. aufhört oder eine Zitatlücke entsteht, wird dies durch drei Punkte (…) markiert. Über den Weg der Tagebücher kommt auch Yvonne zu Wort, was sehr wertvoll ist, da sie eine ganz andere Beobachtungs- und Schreibweise anwendet als Sascha. Dadurch entsteht ein abwechslungsreicherer Text.

Die Texte im Buch sind in hohem Masse subjektiv und spiegeln unsere persönlichen Wahrnehmungen und Meinungen. Wir beanspruchen nicht, einen wissenschaftlich oder politisch korrekten Reiseführer zu verfassen. Alle Kapitel im Buch bauten wir so auf, dass sie in sich abgeschlossen sind. Die Reihenfolge der Kapitel folgt in etwa dem Verlauf der Wanderung. So kann man das Buch entweder von vorne nach hinten durchlesen oder sich zunächst das Kapitel vornehmen, dessen Thema einem am Meisten interessiert.

Und nun wünschen wir euch viel Freude beim Lesen und Miterleben!

Altstätten, Yvonne und Sascha Frei, im Dezember 2018

Inhalt

Von der Idee zur Tat

Per Briefkastenschlüssel in die erste Unterkunft

Der nördlichste Punkt von Deutschland

Die Wirtin erwartet uns schon auf Amrum

Die Besonderheiten von Norddeutschland

Ein nicht anhaltender Zug und die Damen vom Roten Kreuz

Dialekte

Das Moorland und Frau Greve mit der Buddel

Begegnungen mit Tieren

Das Wesen des Pilgerns

Der schwere Weg zu sich selbst

Wanderwege führen ins Nichts – Wanderkarten und ihre Aktualität

Nebel

DDR

Mecklenburg – Vorpommern im April

Schwierige Wetterlagen

Wäschewaschgeschichten

Wandern ohne Internet

Niemandsland zwischen Ostsee und Seenplatte

Die Suche nach Unterkünften bestimmt die Route

Amphibien und Reptilien

Die Lüneburger Heide

Toilettengeschichten

Krankheiten und Schwächen

Spuren der Menschen lesen

Campingplatzgeschichten

Vom ruhigen Pilgern durchs Land und dem Nichtvertragen großer Menschenmassen in der Stadt

Wandern im Sommer

Gefahren für Wanderer

Münster in Westfalen

Westfalen und die Schweine

Wandermüdigkeit

Berkenkamps

Ankommen und Loslassen

Brocken: Ein Gipfel macht es uns schwer

Entlang der Unstrut

Die WM bringt vieles durcheinander

Energie

Hindernisse auf dem Weg

Kultur und KZ

Der Rennsteig: Ein Traumwanderweg

Unerwartet schönes Oberhof und ernüchterndes Lauscha

Insekten

Die Bedeutung von Pausen

Unsere Geburtstage

Familiäre Vergangenheiten

Grenzen überwinden

Hundebegleitung

Laden- Restaurant- und Hotelsterben

Schmerzen

Polizeigeschichte

Beobachtungen am Wegesrand

Charaktervolles Bayern

Von der Oberpfalz zur Donau

Fortbewegen auf Schiffen und der Draisine

Das Durchqueren von Städten

Jahres- und Tageszeiten bewusst erleben

Wege

Die Alb: immer näher nach Hause

Kunst und andere Freizeitaktivitäten

Essen, Trinken und andere Geschichten

Fotografieren

Alles für das Auto

Laufen als Paar

Ankommen zuhause

Nachlese: was bleibt?

Zahlen und Fakten

Von der Idee zur Tat

Yvonne und Sascha zählen sich seit Längerem schon zu den begeisterten Wandervögeln. Während Yvonne schon den Jakobsweg von Buchs nach Santiago lief, überwand Sascha bisher nur kleinere Strecken, wie zum Beispiel den Schwarzwald Westweg oder den Schwäbischen Alb-Trauf-Weg. Beide stellten wir fest, dass über Tage und Wochen zu wandern ein ganz neues Lebensgefühl ergab und wir abschalten konnten von den Problemen zuhause. Es zählt nur noch: wo gibt es etwas zum Essen, wo schlafe ich heute Nacht und wo geht der Weg weiter. Alle anderen Probleme und Alltäglichkeiten blendet man aus, werden unwichtig. So kann man wunderbar langen Gedankengängen, auch zu existenziell wichtigen Fragen, nachgehen. Im September 2011 trekkten Yvonne und ich 2 Wochen auf dem Eifelsteig. Im Oktober 2012 umkreisten wir zu Fuß, 3 Wochen lang, im 30-Kilometer–Radius Stuttgart.

So entstand die Idee, einmal durch ganz Deutschland zu wandern.

Sascha studierte aber noch nebenberuflich Pflege-Pädagogik. Allerdings spielte er schon vorher mit dem Gedanken, das Studium vorzeitig zu beenden. Gesagt, getan: Wir begannen auf das große Deutschlandabendteuer zu sparen. Im Jahr 2013 überwanden wir noch einige große Hürden. Yvonnes Bruder verstarb auf den Philippinen an einer Hirnblutung. Gleichzeitig musste sie ins Spital, wobei ein letztendlich gutartiger Knoten aus der Brust entfernt wurde. Und schließlich kämpfte auch Sascha, den ganzen Sommer über, mit unterschiedlichen gesundheitlichen Problemen. Trotz allem verloren wir unser Wanderprojekt nicht aus den Augen und bereiteten uns weiter vor. Relativ spontan heirateten wir am 18. Oktober 2013 und gleich wurde uns klar: Das Wanderabenteuer soll unsere Hochzeitsreise sein! Viele in unserem Bekannten- und Verwandtenkreis verstanden das nicht. Es hieß immer: was? Deutschland? Was wollt ihr denn da? Fliegt doch in die Karibik oder nach Neuseeland oder nach Kanada, dort erlebt ihr etwas Richtiges!

Wenn die wüssten!

Wir planten, im Frühling 2014 zu starten. Es sollte das ganze Jahr hindurchgehen bis zum ersten Schnee. Nachdem wir uns zu den Regionen Deutschlands informiert hatten, wählten wir die für uns interessantesten Gegenden aus. Nun tüftelte Sascha eine grobe Wanderroute aus, welche uns durch diese Regionen führen sollte. So entstand die Zickzack-Wandertour durch Deutschland. Unser Arbeitsgeber, die Kliniken Valens, gewährte uns, für so lange Zeit, keinen unbezahlten Urlaub. So kündigten wir beide unsere Stelle auf Ende Februar. Die gemeinsame Wohnung über diesen Zeitraum ungenutzt zu bezahlen, erschien uns als zu viel. Deswegen zügelten wir unseren Hausrat zu Yvonnes Tochter nach Buchs.

Anfangs 2014 häuften sich die wandertechnischen Details, die wir klären mussten. Sollten wir zum Beispiel von Norddeutschland in die Schweiz laufen, oder umgekehrt? Welche Kleidung braucht es? Wie schwer darf der Rucksack sein und welche Schuhe eignen sich? Benötigen wir ein Zelt oder organisieren wir Übernachtungen in Hotels und Pensionen? Nehmen wir ein Smartphone mit oder nicht? Wie viele Wanderkarten werden gebraucht und wo erhalten wir unterwegs Nachschub? Wie verhält es sich mit den Steuern für dieses Jahr? Welche Versicherungen sind notwendig vorher abzuschließen oder zu adaptieren? Haben wir unsere Finanzen im Griff?

Unsere Antworten: Wir laufen von Nord nach Süd: Das ist günstiger mit den Jahreszeiten, und heimwärts tapert es sich im Zweifel leichter als weg von zuhause. Unsere komplette Garderobe besteht aus Funktionswäsche. Diese reguliert die Temperatur und Feuchtigkeit, trocknet schnell und wiegt wenig. Die Klamottenliste sieht dann pro Person so aus: 4 Paar Socken, 3 Unterhosen kurz, eine Unterhose lang, 3 T-Shirts, 2 Pullover, 2 lange Hosen, eine kurze Hose / Badehose, eine dünne Jacke, eine Winterjacke, eine Regenjacke, eine Regenhose, ein Hut, eine Mütze, und Handschuhe. Da wir im Winter starten, wandern wir durch den Frühling, den Sommer und in den Herbst hinein. Die Kleidung soll das Wetter all dieser Jahreszeiten abdecken. Die „Deuter“ Rucksäcke fassen 38 Liter (Yvonne) und 42 Liter (Sascha). Sie wiegen beim Aufbruch 12 bzw. 13 Kilogramm. Wir nehmen unsere festen „Meindl“ Wanderschuhe mit, die sind eingelaufen, und wir können sie in allen Jahreszeiten tragen. Unsere Rucksäcke sollen so leicht wie möglich sein: kein Zelt, keine Iso-Matten und keine Schlafsäcke für draußen. Dafür sind wir aber auf Übernachtungsmöglichkeiten in geschlossenen Räumen angewiesen. Was wir mitnehmen, sind zwei ganz dünne Sommerschlafsäcke und eine dünne Wolldecke als Alternativen im Notfall. Wir nehmen bewusst kein Smartphone und damit kein Internet mit, sondern wollen uns auf die altmodische Art organisieren, nämlich die Leute unterwegs fragen. Wanderkarten kaufen wir im Maßstab 1:50000 für die ersten 700 Kilometer (bis nach Lüneburg). Dort decken wir uns in einem Buchladen wieder für die nächsten Etappen ein. Die durchwanderten Karten schicken wir nach Hause. Mit den zwei Monaten, die wir noch arbeiten, haben wir laut dem Steueramt in Buchs den Mindeststeuerbetrag für das Jahr 2014 schon bezahlt, und müssen uns deswegen keine Sorgen machen. Die Krankenversicherung läuft weiter. Das Erkundigen bei den Krankenkassen ergab: gute Abdeckung in Deutschland durch die Schweizer Policen! Zusätzlich schließen wir eine Unfallversicherung ab, welche einspringt, sobald die Unfallversicherung des bisherigen Arbeitsgebers, nach einem halben Jahr, endet. Als Letztes unterschreiben wir noch eine Krankentaggeldversicherung, für den Zeitraum, solange wir keine Arbeit haben. Nun denken wir, Best möglichst abgesichert zu sein.

Auch das Finanzielle muss gut geplant sein. Es wird eine Reserve zurückbehalten, und das Geld für die Reise so verteilt, dass wir jeden Tag einen festen Betrag, von 80 Euro pro Person, zur Verfügung haben. Es ist alles sehr großzügig berechnet, sodass wir auf jeden Fall gut durchkommen sollten. Wir verzichteten absichtlich auf eine Kreditkarte, da wir uns auch im Alltag zuhause ohne sie durchs finanzielle Leben manövrieren.

Bald kamen die letzten Tage vor der Reise. Die Wohnung war geputzt und abgegeben, bei der Arbeit die letzten Verabschiedungen gelaufen, von überall her erhielten wir gute Wünsche mit auf den Weg. Die gepackten Rucksäcke standen bereit, die Zugbillets nach Sylt warteten in Yvonnes Bauchtäschli. Es kamen Zweifel an unserem eigenen Mut. Schaffen wir das alles? Bekommen wir nicht schnell Heimweh? Reicht das Geld? Ist alles gut vorbereitet? Werden unsere Träume und Erwartungen erfüllt? Welche Überraschungen wird es geben? Sind wir nicht zu alt für sowas? Finden wir wieder Arbeit nach der Reise? Bewältigen wir alles was auf uns zukommt?

Per Briefkastenschlüssel in die erste Unterkunft

Sascha am 12. März: „… Was haben wir nicht alles gemacht für unser großes Ziel: diese Wanderung! Nun sind wir endlich los, arbeitslos, wohnungslos, los, los … Ein schweres Jahr liegt hinter uns und es sah oft nicht so aus als könne unsere Unternehmung wirklich beginnen. Aber wir haben uns durch alles gemeinsam durchgearbeitet, geholfen, alles super vorbereitet, und jetzt geht es wirklich los! ...“

Der nördlichste Ort von Deutschland ist List auf der Nordseeinsel Sylt. Von Zürich aus kamen wir mit dem Zug zunächst in Hamburg an. Unser Freund Markus aus Hamburg erwartete uns schon am Bahnsteig und führte uns in eine „Beiz“ zum Brunchen. Beinahe verschwand unsere Wanderstreckenübersichtskarte auf Nimmerwiedersehen im Spalt der Sitzbank. Ein Umbau des Gastraumes und mehrere Männer waren notwendig um die Bank so zu verrücken, dass wir die Karte retten konnten. Übrigens: „Beiz“ ist schweizerdeutsch und bedeutet „Cafe oder Restaurant“.

In Altona stiegen wir in die Nord-Ostseebahn nach Westerland auf Sylt. Vom Hindenburgdamm ergab sich die erste Sicht auf das Wattenmeer. Was für ein Gefühl! Diese unendliche Weite und flache Landschaft! Mit dem Insel-Bus fuhren wir nach List. Rechts immer wieder Blicke auf das Wattenmeer bei Ebbe, links Dünenlandschaften und rundum Wind, Wind, Wind. In List fanden wir gleich beim Meeresmuseum das Haus unserer Ferienwohnung „Greth Scrabbel“. Wir hatten in einem Umschlag den Briefkastenschlüssel zugeschickt bekommen. Im Briefkasten fanden wir wie abgemacht den Haustürschlüssel. Alles auf Vertrauensbasis. Die großzügige Ferienwohnung mit Blick auf das Wattenmeer war im norddeutsch-mediterranen Stil eingerichtet: weiße Möbel, Möwen-, Leuchtturm- und Muschelmotive überall. Was für ein fabelhafter Ausgangspunkt zum Kennenlernen der Insel!

Sascha am 13. März: „… Was gibt es Schöneres, als am Morgen um 7:00 Uhr von der Sonne über dem Meer geweckt zu werden? So wie heute Morgen! Gemütliches Frühstück in unserer Ferienwohnung, dann ging es los …“

Der nördlichste Punkt von Deutschland

Die erste Wanderetappe führte uns zum eigentlichen Ausgangspunkt der Pilgerwanderung: nämlich dem nördlichsten Landespunkt Deutschlands, dem Ellenbogen bei List auf der Nordseeinsel Sylt.

Am 13. März, einen Tag nachdem wir mit der Fähre die dänische Insel Römö angelaufen und zu Fuß erkundet hatten, machten wir uns morgens auf den Weg. Den ganzen Tag schönster Sonnenschein und blauer Himmel auf der ganzen Strecke. Zunächst spazierten wir auf dem Deich entlang aus List hinaus, auf der Wattenmeer Seite um den Königshafen (Meereseinbuchtung), herum. Wir als Bergmenschen staunten nur noch über diese grandiose Umwelt! Ein unglaublich weiter Horizont, keine Berge oder Häuser, an denen sich die Blicke festhalten konnten. Ständig wehte ein kalter Wind. Morgens, abends oder im Schatten brauchte man Wintermantel, Mütze und Handschuhe – aber diese Frische, erquickend für Körper und Seele!

Auf dem Sträßchen der Halbinsel Ellenbogen herrschte um diese Jahreszeit kein Verkehr. Es schlängelte sich durch diese unwirkliche Dünenlandschaft. Hier und dort liefen Schafe frei herum, und viele Vögel zeigten sich. Sie saßen in Scharen auf dem trockenen Wattenmeer-Boden und pickten im Schlick nach Leckerbissen. Möwen segelten im Wind und riefen. Wir liefen am Wattenmeer-Strand entlang bis zum äußersten Zipfel der Ellenbogen-Halbinsel. Der Strandboden war übersät mit Muschel- und Schneckenschalen sowie Krebspanzern und anderen Teilen von Meereslebewesen. Von der Ellenbogenspitze aus erblickten wir das dänische und friesische Festland sowie die dänische Nachbarinsel Römö. Je weiter wir um die Halbinsel, im Sand, herumstapften, desto höher wurden die Wellen und breiter der Strand. Hier, auf der Seite des offenen Meeres, gehört das Gebiet zum Nationalpark Wattenmeer. Ganz schön anstrengend, im tiefen, feinen Sand auf Dauer vorwärtszukommen und es schien kein Ende zu nehmen.

Dann aber, genau zwischen den Leuchttürmen von List Ost und List West zeigte sie sich: die Sandbank, die als nördlichster Landespunkt Deutschlands bezeichnet wird. Ein feierliches Gefühl durchströmte uns. Von hier wollten wir zu Fuß in die Schweiz laufen – unglaublich zu diesem Zeitpunkt!

Wir setzten uns in den Sand, die Dünen mit ihren im Wind peitschenden Dünengräsern im Rücken und genossen diesen Augenblick. Es gab Vesper und natürlich ein „Gipfelfoto“ mit Selbstauslöser. Die kühlen Temperaturen zwangen uns bald zum Aufbruch und so stiefelten wir weiter durch den Sand, nun in einem weiten Bogen, letztendlich das erste Mal nach Süden.

Im Restaurant Weststrandhalle, das von Österreichern geführt wird und mit dem Slogan wirbt: „Ein Stück Österreich auf Sylt“, gingen wir gepflegt essen und begossen diesen besonderen Tag mit einem „Flensburger“. Am späten Nachmittag machten wir uns auf den Weg durch die Dünen nach List zurück. Solch eine wilde und naturbelassene, geradezu surreale Naturlandschaft würde man nicht in Deutschland vermuten! Die Dünen im Landesinneren der Nordinsel sind bis zu 40 Meter hoch, Dünenketten folgen auf Dünentäler.

Über den schneeweißen Wanderdünen flogen schnatternde Graugans-Pärchen und Kaninchen hinterließen Spuren im Sand. Diesen Teil des Nationalparks darf man nur auf den ausgewiesenen Wegen und Straßen betreten, aber das ist schon beeindruckend genug! Die Sonne ging unter und tauchte die Landschaft zusätzlich noch in geheimnisvolle Gelb- und Rottöne, sodass es uns vorkam, als wandern wir in einem riesigen Gemälde. Nach über 27 Kilometern Fußmarsch gelangten wir ziemlich erschöpft in unsere Ferienwohnung.

Yvonne: „… Erkenntnis des Tages: hundemüde aber glücklich und zufrieden nach einer ersten großen Wanderetappe.“ So schön wie es war: Wir würden an der Streckenlänge und dem Anspruch der Strecken in Zukunft noch einiges feilen müssen, um dauerhaft auf Wanderschaft bleiben zu können!

Die Wirtin erwartet uns schon auf Amrum

Die zweite nordfriesische Insel, die wir besuchten, hieß Amrum. Unsere Fähre, von Dagebüll aus, kämpfte sich durch Regen und schlechte Sicht. Erster Halt: Der Ort Wick auf der Insel Föhr. Dort bestaunten wir das Heimatmuseum mit den typischen friesischen Häusern und deren Inneneinrichtungen. Yvonne: „… Mir gefielen besonders die verschiedenen Trachten und 3 Filme: Einen über Fischgärten, einen über den Walfang und einen über Vogelkojen (spezielle Anlagen um Enten und Gänse zu fangen). Den Tag im Museum fand ich mal eine interessante, schöne Abwechslung …“ In einem Café, an der Strandpromenade, tranken wir einen Pharisäer: Das ist ein heißes Getränk aus Kaffee, Rum und Schlagsahne. An der Türe des Cafés stand außen auf einem Schild: „Bei SO-Wind bitte die Türe festhalten“ (sonst knallt sie tatsächlich zu)! So etwas sieht man auch nur hier im hohen Norden und wir wetten, die Einheimischen brauchen keinen Kompass, um erst einmal festzustellen, wo überhaupt Süd-Osten liegt! Vom Café aus hatten wir einen schönen Blick auf die Halligen hinaus, eine typisch nordfriesische Landschaftsform: Weite Wiesen, in deren Mitte jeweils ein künstlicher Hügel (Warft) emporragt. Darauf thront das Bauernhaus. Bei Ebbe sieht man das ganze Land, bei Flut jedoch schauen nur die Hügel mit den Häusern aus dem braun-grauen Wasser heraus. Letzteres ergab einen überaus surrealen Anblick: Bauernhäuser stehen scheinbar mitten im Meer herum!

Mit der Abendfähre ließen wir uns dann nach Wittdün, im Süden der Insel Amrum, übersetzen. Mehrere Schulklassen tummelten sich auf dem Schiff, offensichtlich nach einem Ausflug. Für die Inselbewohner schien es ganz normal zu sein, das Linienschiff zu benutzen, wenn sie irgendwohin wollten. Vergleichbar mit Linienbus fahren auf dem Festland. Die Sonne berührte schon knapp den Horizont als wir in Wittdün ankamen. Ein frischer Wind pfiff durchs kleine Hafengelände. Einige Fahrgäste wurden von Privatautos abgeholt, andere trotteten in den Ort und ein paar warteten auf den einzigen Insel-Bus. Dieser fährt immer von Norddorf über Nebel, Süddorf nach Wittdün und zurück. Die gesamte Insel erstreckt sich über eine Länge von 10 km.

Unser Omnibus hielt direkt vor der Pension Sturmmöwe in Norddorf und die Zimmerwirtin, Frau Marret Detlefsen, erwartete uns bereits an der Bushaltestelle. Sie hieß uns freundlich willkommen und zeigte uns die großzügige Ferienwohnung. Endlich angekommen nach einem langen Tag!

Mehrere Tage erkundeten wir zu Fuß die Insel, durchwanderten herrliche Dünen- und Kniepsand- Landschaften, beobachteten auf dem Wattenmeer Ebbe und Flut und die riesigen Zugvogelschwärme die vom Süden eintrafen. Wir erklommen einen der höchsten Leuchttürme des Nordseegebietes und genossen die Aussicht aus 63m Höhe. Von dort oben überblickten wir die ganze Insel in ihrer kompletten Ausdehnung, sowie ihre Umgebung: im Norden die Insel Sylt, im Osten die Insel Föhr, die Halligen und das Festland, im Süden und Westen das offene Meer mit den großen Frachtschiffen, die am Horizont entlang zogen. Yvonne am 17. März: „… Der als Holzbohlenweg angelegte Pfad führte durch unbeschreiblich schöne Sanddünen. Wir nahmen es gemütlich, gingen langsam, staunten durch die Gegend und genossen das Ambiente aus tiefster Seele. Danach folgten wir dem Holzpfad auf die Aussichtsdüne. Wir besuchten auch, über einen Dünenpfadweg, Ausgrabungen, wo man anhand von Steinsetzungen sehen konnte, wie die Häuser in der Stein- und Bronzezeit angelegt waren. Zudem bewunderten wir eine Grabanlage aus der Steinzeit. Danach schlenderten wir noch zu einem kleinen Leuchtturm, und via Strand zurück nach Norddorf …“

Da wir im Winterhalbjahr Amrum bereisten, begegneten wir so gut wie keinen anderen Touristen. Viele Läden und Restaurants machten noch Winterpause, was eine ruhige Atmosphäre erzeugte. Dennoch fanden wir genügend offene Lokalitäten. Unsere Stammbeiz wurde das reetgedeckte „Ual Öömrang Wiartshüs“. In diesem „Alten Amrumer Wirtshaus“ servierte man leckere einheimische Gerichte wie Krabbenbrot, Friesen-Tapas, Matjes, Schollenfilet, Labskaus (Kartoffelgericht mit Rindfleisch und roter Bete) oder Rücken vom Salzwiesenlamm, nur um einige zu nennen. Dies alles in einem rustikalen, maritimen Ambiente, mit Segelschiffmodellen in Vitrinen und 20iger Jahre Schlager als leisen Musikhintergrund.

Als Sehenswürdigkeit gönnten wir uns den Besuch von zwei besonderen Friedhöfen: Auf dem „Friedhof der Namenlosen“ begrub man nicht identifizierte Tote, die an die Strände gespült worden sind. Auf dem „Friedhof der sprechenden Steine“ stehen alte Grabsteine der Amrumer Kapitäne, auf denen ihre spannenden Lebensgeschichten eingemeißelt wurden. Und im Heimatmuseum „Öhmrang Huus“ erfuhren wir unter anderem, dass die alten holländischen Kacheln, an den Wänden und Öfen, handbemalt sind und deswegen keine einer anderen gleicht. Außerdem wurde uns gezeigt, dass früher aus Mangel anderer heimischer Brennstoffe, nur Heidereisig als Brennmaterial diente und die Leute damals im Sitzen schliefen.

Sascha am 19. März: „… Eine besondere Stimmung, so in die Dunkelheit zu wandern und die Leuchttürme blinken zu sehen! … Heute erfreuten uns viele Wildkaninchen: Herzig wie sie da herumhoppelten. Erkenntnis des Tages: Am Meer und im Sturm zu laufen macht herrlich müde, aber nicht erschöpft!“ Yvonne beim Abschied von der Nordsee am 21. März: „… Erkenntnis des Tages: Den Anblick des Wattenmeeres werde ich nicht mehr vergessen!“

Die Besonderheiten Norddeutschlands

Viele Menschen, die Deutschland kaum kennen, meinen, das Land sei überall in etwa gleich. Hat man eine Region gesehen, hat man Deutschland gesehen! Dem ist aber bei Weitem nicht so!

Die großen regionalen Unterschiede lassen sich am besten beim Vergleich von Nord- zu Süddeutschland veranschaulichen. Im Folgendem stellen wir Besonderheiten Norddeutschlands dar, die uns beim Durchwandern auffielen. Als Norddeutschland bezeichnet man die flachen Regionen nördlich der Mittelgebirgsschwelle, also ganz Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, das nördliche Brandenburg, fast ganz Niedersachsen (mit Ausnahme der Harzregion und andere Mittelgebirge im Süden dieses Bundeslandes) und den nördlichen Teil von Nordrhein-Westfalen, namentlich das Münsterland.

Weiter Horizont

Der unglaublich weite Horizont in Norddeutschland wirkt auf den staunenden Süddeutschen oder Schweizer ein bisschen verstörend. Kein Hügel, kein Berg behindert die Fernsicht. Es wird ihm fast schwindelig, wenn er auf einem Deich oder einem anderen erhöhten Punkt steht und sich einmal langsam um die eigene Achse dreht.

Ausnahmen gibt es natürlich: Yvonne am 18. April am Kummerower See: „… Diesem Uferweg folgten wir nun über Stock und Stein, sogar 2 höhere Hügel (27m und 35m), hier „Berge“ genannt, überwanden wir…“

Entfernungen werden regelmäßig falsch eingeschätzt. Schon ewig weit vor dem Ziel kann man dieses, unter Umständen, sehen. Man denkt, bis zum Dorf, dessen Kirchturmspitze man schon sehen kann, sind es zu Fuß höchstens 10 Minuten, dabei dauert es noch 2 Stunden! Das Laufen in diesem flachen Land wird nicht einfacher, nur weil es keine Hügel und Berge zu bewältigen gibt. Im Gegenteil, es strengt sehr an, immer die gleichen Bewegungen und denselben Kraftaufwand über Stunden leisten zu müssen.

Wind

Wind erlebt man im Norden weit mehr als im Süden, sowohl was die Wind-Tage, als auch die Windintensität betrifft. Am stärksten windet es direkt an der Wetterseite, also der Westseite der Land- oder Inselstellen, die am offenen Meer liegen. Nur etwas weniger im Wattenmeer oder an den Festland-Küsten. Im gesamten Norddeutschen Tiefland „luftet“ es ebenfalls stark. In diesen nur wenig bewaldeten Gebieten spürt man die Kraft des Windes -da offenes Gelände- sehr intensiv.

Natürlich gehören wir auch zu den Menschen, die meinen, ständig gegen den Wind zu laufen. Dieser kommt aber meist aus Westen oder Nordwesten. Orkane und schwere Stürme toben hier besonders im Winterhalbjahr nicht selten.

Gegen die Sturmfluten schützen die Menschen das Land durch ausgeklügelte Deich-, Kanal- und Pumpsysteme. Die Wasserpumpen wurden von alters her durch Windmühlen mit Energie versorgt. Diese alten Windmühlen sieht man nur noch vereinzelt, als Museen erhalten. Sehr häufig hingegen trifft man auf moderne Windmühlen, nämlich Windräder, die in Windparks Strom erzeugen.

Selbst die Bäume und Büsche beugen sich dem Wind: Sie wachsen ganz schief und alle Äste und Zweige zeigen zur windabgewandten Seite, also zur Lee-Seite. Um die einzelnen Höfe, die in der Landschaft stehen, pflanzte man als Windfang Bäume und Büsche – verblüffend, aber am Haus selbst herrscht dadurch nahezu Windstille.

Was war es doch für ein schönes, gesundes Gefühl, wenn wir nach einer Wanderung, in der wir vom kalten Wind durchblasen wurden, ins Haus kamen und etwas Warmes tranken! Am Abend verspürten wir herrliche Müdigkeit – keine Erschöpfung, das fühlt sich nämlich ganz anderes an!

Meer

Das Meer prägt Norddeutschland und die Menschen dort. Im Nordseeraum liegen die Wattengebiete: riesige Flächen an Meeresboden, die bei Ebbe trockenfallen und nur bei Flut unter Wasser stehen. Dieser Wechsel führt zu einem einmaligen Lebensraum für eine unglaublich hohe Zahl von Pflanzen und Tierarten. Deswegen wurde fast das ganze deutsche Wattenmeer als Nationalpark ausgewiesen. Vor der Küste befinden sich die Inseln. Dazu zählen die Ostfriesischen (von der niederländischen Grenze bis zur Elbmündung) und die Nordfriesischen (von der Elbmündung bis zur dänischen Grenze). An der Nordsee schützen Deiche sämtliche Küsten vor Überschwemmungen und Sturmfluten.

An der Deutschen Ostsee (von Dänemark bis Polen) fehlt das Wattenmeer und Ebbe und Flut wechseln weniger wahrnehmbar. Dafür segnen weit ins Land reichende Fjordlandschaften, Steilklippen, Bodden (flache Meeresflächen zwischen den Inseln und dem Festland) und endlose Sandstrände diese Küsten.

Sascha am 14.04. in Barth: „… Gut einen Kilometer ostwärts hinter Prerow, erkletterten wir auf Holzstufen die 13 Meter hohe Aussichtsdüne, von der wir in der einen Richtung, über den grünen Kiefer- und Birkenwald, einen sagenhaften Blick auf die blau-türkise Ostsee genossen. Auf der anderen Seite blickten wir über den Prerower Strom und den Barther Bodden bis nach Barth, mit seiner markanten Kirche … Die Fahrt mit dem Elektroboot über den Barther Bodden dauerte 45 Minuten. Das Boot zog auf diesem ehemaligen Priel (Zingster Strom) an den Inseln Kirr und Eu vorbei und glitt danach über das Boddenmeer bis nach Barth. Sozusagen fast wie zuhause, nämlich auf dem Bod(d)ensee!“

Auf unserer Tour wanderten wir zuerst auf nordfriesischen Inseln, dann den Nordsee-Deichen entlang und später an der Küste der Schleswig-Holsteinischen und Mecklenburg-Vorpommerischen Ostsee. Das Meer oder die Nähe zum Meer spürten wir konstant, auch später auf dem Weg durchs norddeutsche Binnenland.

Kampf um Land

Während im übrigen Deutschland die Menschen das Land, welches schon existierte, urbar machten, trotzten die Menschen an der Nordseeküste, über Jahrhunderte, dem Meer noch neues Land ab. Und zwar so:

Der seichte Meeresboden wurde mit Holzpflöcken und Reisig befestigt, sodass sich der Schlick darin verfing und sich Land aufbaute. Dieses Land konnte eingedeicht und nach der Entsalzung landwirtschaftlich als Grünland genutzt werden. So ein Landstück nennt man „Koog“. Selbige schob man im Lauf der Jahrhunderte immer weiter ins ehemalige Meer hinaus. Es entstanden doch tatsächlich auch Köge, dessen Flächen unter dem Meeresspiegel liegen! Würde das Wasser nicht ständig abgepumpt werden, käme das Meer wieder zurück. Oft ist es in der Geschichte, von der Besiedlung der Nordseeküste, zu starken Sturmfluten mit Wassereinbrüchen bis weit ins Land hineingekommen. Zwischen Niebüll und Dagebüll passierten wir eine mehrere Meter hohe Messlatte, an der wir die Wasserstands-Höhen der letzten Wassereinbrüche über den Deich ablesen konnten: Die Markierungen lagen alle höher als wir mit den Händen erreichen konnten!

Die Novelle „Der Schimmelreiter“ von Theodor Storm stellt so etwas wie das Nationalepos der Nordseebewohner dar. Darin wird der ewige Kampf zwischen den Menschen und dem Meer, um Land, beschrieben. Inmitten des Landrückens, der die Nord- und Ostsee trennt, nächtigten wir im Ort Silberstedt sogar im „Hotel Schimmelreiter“. Dort hingen in den Fluren Bilder aus der Novelle, mit Titeln wie zum Beispiel „Der neue Koog ist ein fressend Werk“. Dieser Kampf gegen und mit dem Meer prägt diese Landschaft und die Menschen zweifellos bis heute!

Schiffe

Schon seit Urzeiten fahren die Menschen an der Küste mit Booten oder Schiffen aufs Meer hinaus. In Schleswig besuchten wir das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum „Schloss Gottorf“, und bewunderten unter anderem das 1900 Jahre alte germanische Nydam-Boot. Im Wikinger-Museum Haithabu erfuhren wir einiges über die Seefahrt und den Handel aus der Wikingerzeit. Hier liegt die engste Stelle der jütischen Halbinsel und damit die kürzeste Verbindung zwischen Nord- und Ostsee.

Die meistbefahrene Schifffahrtsstraße, in moderner Zeit, den Nord-Ostsee-Kanal, überquerten wir mit der Fährverbindung von Friedrichsort nach Laboe über die Kieler Förde. Während wir diesem Küstenabschnitt erkundeten, umhüllte uns tagelang dicker Nebel. Das U-Boot-Ehrenmal Möltenort und das am Strand stehende U-Boot 995, tauchten jeweils plötzlich mystisch aus dem Nebel auf – eine sehr spezielle und unvergessliche Stimmung! Die großen Schiffe draußen auf dem Meer ließen regelmäßig ihre Nebelhörner ertönen – es wehte kein Lüftchen …

Norddeutschland wurde auch durch die Geschichte und Traditionen des Spätmittelalterlichen – frühneuzeitlichen Handelsverbundes der Hanse beeinflusst. Die von uns durchquerten Altstädte von Schleswig, Wismar, Lüneburg, Minden oder Münster sind von stolzen Backsteinhandelshäusern aus der Hansezeit geprägt. Als Touristen-Attraktion lag im Hafen von Wismar der Nachbau einer Hansekogge vor Anker.

Riesige Warenmengen werden über die großen Überseehäfen wie Hamburg, Bremerhaven oder Wilhelmshafen in- und exportiert. Wir passierten auf der Wanderung nur kleinere Handelshäfen wie zum Beispiel Travemünde bei Lübeck, Warnemünde bei Rostock, Barth am Barther Bodden und Wismar an der Ostsee. Hier werden schwerpunktmäßig Waren verladen, verzollt und zwischengelagert. Außerdem lagen auf unserem Weg auch reine Fährhäfen (fahrplanmäßiger Transport von Fahrzeugen und Menschen) wie Dagebüll in Nordfriesland, Fischerhäfen wie Strande in der Neustädter Bucht, Jachthäfen wie in Niendorf und Binnenhäfen für Fluss-Frachtschiffe in Minden an der Weser oder Münster in Westfalen.

An den Küsten leben Geschichten über Strandräuberei und Seeräuber, wie zum Beispiel vom berühmten Freibeuterkapitän Klaus Störtebeker aus dem 15. Jahrhundert, weiter. Dies geschieht u.a. in Form von Störtebeker Bier und Störtebeker Festspielen.

Seebäder, mit ihrer Badekultur, Bade-Architektur und den zum Teil über 170m langen Seebrücken gehören speziell zu Norddeutschland. Auf diesen Brücken kann man trockenen Fußes aufs Meer hinaus wandeln. Einige solcher Seebäder säumten unsere Route und ließen uns eintauchen in die mondäne Spa (sanus per aqua) -Welt: Eckernförde, Laboe, Schönberg, Strande, Sierksdorf, Timmendorfer Strand, Boltenhagen, Kühlungsborn, Graal-Müritz, Heiligendamm, Ahrenshop, Wustrow, Zingst und Prerow.

Die Menschen im Norden hatten und haben nicht nur eine besondere Beziehung zum Meer, sondern auch zu dem, was dahinter liegt. Die Sehnsucht, zu erforschen was sich hinter dem Horizont befindet, „Auswandern“ und „Erobern fremder Länder“ machte diese Menschen wahrscheinlich offener gegenüber Fremdem.

Vögel, Fische, Robben, Meerestiere

Die Tierwelt in Norddeutschland ist eine Andere als im Süden. Hier eine Auswahl aus dem Norddeutschen Raum. Viele Meeresvögel wie Dreizehenmöwen, Zwergseeschwalben und Säbelschnäbler suchen an Küsten und in Küstennähe, Nahrung oder Brutplätze. Das Wattenmeer begünstigt das Auftreten von großen Schwärmen unterschiedlicher Wattvögel wie Knutts, Goldregenpfeifern und Austernfischern. Der typische „Trompetenruf“ des Kranichs erschallte besonders in Mecklenburg. Meist hörten wir diese majestätischen Vögel, bevor wir sie erspähten. Ihr Ruf-Schall klingt bis zu einer Entfernung von zwei Kilometern! Aber auch wildlebende Nandus, große Laufvögel, die ursprünglich aus Südamerika kommen, rannten über die noch kahlen Felder.

Robben beobachteten wir nur von Weitem, nämlich vom Schiff zwischen Föhr und Dagebüll aus. Die Robben- und Waljagd bildete Jahrhunderte lang die Haupterwerbsquelle vieler Küstenbewohner. Manche Garteneingänge werden noch heute von alten Walkiefer-Knochen umrahmt, so gesehen auf Amrum und bei Bredstedt.

Am Strand und auf den Speisekarten „tummeln“ sich Krebse, Muscheln und Krabben. Wir lernten auch unterschiedliche Zubereitungsarten von Fisch kennen: Sauer eingelegte Fische, Matjes genannt, geräucherten Fisch, wie die Kieler Sprotten, gebraten wie Scholle und Zander. Sascha aß am liebsten eine ganze Scholle und Yvonne Zander, serviert mit Bratkartoffeln und Gemüse. Unglaublich lecker! Zur Scholle braucht man mal wirklich das Fischmesser. Wozu einem überall wo Fisch auf der Speisekarte steht, ob Filet oder Fischstäbchen, immer ein Fischmesser gedeckt wird, blieb uns bis heute ein Rätsel!

Beizen-Namen

Uns fiel auf, dass man in Norddeutschland nie, wirklich nie, die in Süddeutschland oder in der Schweiz geläufigen Allerwelts-Namen für Gaststätten antrifft. Bei uns heißt eine Beiz „Krone“, „Löwen“, „Lamm“, „Stern“, „Rössle“ oder „Mühle“. Sowas gibt es da oben nicht. Dafür aber eigenwillige, fantasievolle und plastische Namensgebungen: „Ole Slüüs“, „Muschelsucher“, „Seefahrerhues“, „Uklei Fährhaus“, „Seeperle“, „Gravenotte“, „Insulaner“, „Zum Reppin“, „Herrlichkeit“, „Wittekindisquelle“ oder „Zum wilden Schmied“.

Sprachen

In Norddeutschland werden andere Sprachen und Dialekte gesprochen als in Süddeutschland. Daher fühlte sich Sascha als Schwabe dort oben zum Teil auch wie ein Ausländer.

In Nord- und Ostfriesland wird in manchen Gegenden, vor allem auf den Inseln, Friesisch geredet. Wir hörten einmal auf Amrum unsere Zimmervermieterin beim Edeka an der Kasse mit der Kassiererin Friesisch schwatzen – wir verstanden rein gar nichts! Kein Wunder, denn Friesisch, oder „Ömrang“, wie die hiesige Variante heißt, ist kein deutscher Dialekt, sondern tatsächlich eine eigene Sprache, verwandt auch mit dem Englischen und Niederdeutschen. Später erzählte uns Frau Detlefsen, dass sie Ömrang als normale Alltagssprache von ihren Eltern gelernt habe. Ihre Kinder wachsen zweisprachig auf, draußen sprechen sie eine Variante des Plattdeutschen, zuhause Ömrang. Dieses Friesisch unterrichten Lehrer auf der Inselschule gleichberechtigt mit Schriftdeutsch.

Da Schleswig bis 1863 dem dänischen König unterstand, sprechen ca. 50000 Schleswiger in Deutschland auch heute noch Dänisch. Auf unserem Weg durch die Landkreise Nordfriesland, Schleswig-Flensburg und Rendsburg-Eckernförde kamen wir an vielen dänischen Kindergärten, Schulen, Bibliotheken, Vereinsheimen und Läden vorbei.

Verschiedene sprachgeschichtliche Strömungen führten dazu, dass im Raum Hannover weitgehend unser heutiges Schriftdeutsch als Alltagssprache gesprochen wird. Wir durchwanderten dieses Gebiet im Leine-Aller-Tal und am Steinhuder Meer.

Die am Weitesten verbreitete Sprache in Norddeutschland wird Niederdeutsch auch Plattdeutsch, oder einfach Platt genannt. Aber auch hier existieren über dem ganzen Raum, vom Niederrhein bis Pommern und von Dänemark bis zum Harz, unzählige Varianten. Die Menschen von Brandenburg verstehen zwar diejenigen aus dem Münsterland, wenn beide ihr Platt sprechen, doch sie erkennen schon von der ersten Silbe an, aus welcher Region sie jeweils kommen. Ein Schwabe, Bayer, Pfälzer, Franke oder Hesse versteht beide nur mit größter Mühe, da ihr Mittel- oder Oberdeutsch sich grundlegend vom Plattdeutsch unterscheidet. Plattdeutsch in einer Mecklenburger Einheimischen-Kneipe hört sich dann in etwa so an: „Moin, moin, eins will ick di mol seggen, so is dat nich!! Ick häv dat anders sehn!“ „Moin, mack ma Butter bei die Fisch, ne? Komm in`n Tüddel, den heff ick geern, de Deern.“ „Dat is nich Klönschnack – Nich lang schnacken, Kopp in`Nacken un denn wech dormit!“

Fahrräder / kaum Wanderer

Norddeutschland präsentierte sich uns nicht als Wanderland. Von einigen wenigen Gegenden abgesehen, zum Beispiel die Lüneburger Heide, ist wandern unbekannt. Es fehlen Wanderwege, Wanderzeichen, Wanderunterkünfte, Wanderführer oder sonstige Traditionen im Wander-Sektor. Schon unsere Aussage, dass wir ins 10km entfernte Bredstedt laufen wollen, führte bei den Leuten zu Reaktionen wie: “Zu Fuß? Das habe ich noch nie erlebt!“, oder „Das ist doch viel zu weit!“, oder „Warum überhaupt laufen, es fährt doch ein Zug!“

Yvonne am 15. April zwischen Barth und Franzburg: „… Heute fielen wir als Wanderer immerhin 2x auf. Im Edeka fragte uns ein älterer Mann, wie schwer das da auf unserem Rücken sei, und in Saatel wunderte sich ein kleiner Knirps auf seinem Velo (das er „Schwein“ nannte, weil es so schmutzig war) darüber, dass wir wandern …“

Das Radwegenetz wurde dafür umso besser ausgebaut – kein Wunder, in diesem flachen Land. Wegen diesem Netz nutzten wir oft Radwege, Radwanderkarten, Radwanderführer und Radler-Unterkünfte. Die meiste Zeit kämpften wir uns alleine durch den Wind die Radwege entlang. Auf manchen Strecken aber, vor allem an den großen Flüssen wie der Elbe und der Weser oder direkt auf den Küstenradwegen, herrschte reger Radverkehr. Das strengte an, weil wir immer zur Seite springen mussten. Die Meisten der Rad-Weitwanderer verhielten sich jedoch ausgesprochen nett zu uns. Mit Vielen kamen wir ins Gespräch.

Von manchen Gegenden erhielten wir keine Wanderkarten im Maßstab 1:50000. Dort wichen wir auf Radkarten im Maßstab 1:70000 aus. Auf Radwegen änderten wir unsere übliche Laufposition, Yvonne schräg links vor Sascha, auf den „Radwegmodus“, Yvonne schräg rechts vor Sascha. Dass Yvonne immer vorne lief, hatte die Bewandtnis, dass sie die Laufgeschwindigkeit bestimmen sollte, während Sascha von hinten die Laufrichtung ansagte.

Architektur

Die Bauweise der Norddeutschen Gebäude unterscheidet sich von derjenigen im übrigen Deutschland. Und zwar aus dem Grund, weil dort kaum Steine vorkommen und es schon immer an Holz mangelte. Holzmangel entstand wegen den großen Moor- Sand- und Wattgebieten im Flachland, den mittelalterlichen Rodungen für die Landwirtschaft und durch den starken Holzbedarf, zum Beispiel für den Schiffbau.

Die Häuser wurden oft in Ständerbauweise (nicht Fachwerk) errichtet. Beim Ständerbau verankert man als Grundgerüst Pfosten in der Erde, die bis ins Dach reichen. Dagegen besitzen Mittel- und Süddeutsche Fachwerkbauten ein Steinfundament, auf dem im Baukastensystem, Stockwerk für Stockwerk übereinandergesetzt werden. Die Wände der traditionellen norddeutschen Häuser bestehen aus Lehm oder Ziegelsteinen und die Dächer deckt man in dichten Lagen mit Reet (Schilfrohr). Im letzten Jahrhundert baute man immer weniger Reetdächer, sondern Ziegeldächer. Doch inzwischen boomt diese traditionelle Dachbedeckung wieder. Wir kamen an etlichen Häusern vorbei, deren Dächer man neu eindeckte und beobachteten dabei den ganzen Prozess. Vom Schilfrohr schneiden, lagern, transportieren, auf die Dächer legen und mit Draht befestigen und letztendlich, dass in Form schneiden des Dachs.

Ein friesisches Haus, oder ein niedersächsisches Hallenhaus mit Reetdach, sieht unserer Meinung nach, auch wunderschön romantisch aus!

Friesische Häuser besitzen auf der Traufseite („Dachrinnenseite“) immer einen kleinen Giebel über dem Haupteingang. Wie wir im Freilichtmuseum auf Föhr erfuhren, diente diese Konstruktion als letzter Fluchtweg bei einem Hausbrand. In Niederdeutschland stehen traditionell die riesigen Hallenhäuser. In Wilsede, in der Lüneburger Heide, besichtigten wir ein solches Haus, welches als historisches Museum betrieben wird: Vieh, Knechte und die ganze Familie lebten damals unter einem großen Dach. Eine offene, in den Boden eingelassene Feuerstelle und drum herum die Stühle der Familie erzeugten den Eindruck eines Lagerfeuers im Freien. Allerdings fehlte der Kamin. Der Rauch suchte sich seinen Weg durch das Reetdach oder die Fenster des Hauses – kaum vorstellbar, was da drinnen für eine dicke Luft gewesen sein muss!

Die meisten dieser großen Bauernhäuser baute man allerdings, in moderner Zeit, innen komplett um.

Die prächtig verzierten Einfahrtstore, die Farbgebung der Häuser und der Giebelschmuck haben in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Ausprägungen. In Mecklenburg stehen auf dem Giebel zum Beispiel meist zwei gekreuzte Pferdeköpfe und die Häuser zeigen ihr Sicht-Ziegelstein-Gefache. Gefache nennt man den Raum zwischen dem Holzgerüst eines Hauses. Südlich des Wiehengebirges verputzte man diese Gefache und bemalte sie schneeweiß, auf dem Giebel thront ein geschnitzter Pfahl.

Auf dem Balken eines Hallenhauses in Alden an der Leine, nördlich von Hannover, fanden wir folgende tragische Inschrift: „Am 19ten December 1847, sonntags, während der Predigt, brach bei heftigem Winde und strenger Kälte das Feuer aus, wodurch auch unser voriges Haus eingeäschert ward. Am 25ten April 1848 nahm dieses Haus seinen Platz ein. Heinrich Friedrich und Sophie Marie Wellberg, anno 1848“.

Nicht nur die ländliche Bauweise Norddeutschlands unterscheidet sich von derjenigen im übrigen Land, sondern auch diejenige in den Städten. Hier herrscht die Backsteinbauweise vor. Die alten Handelsstädte, die wir besuchten, wie zum Beispiel Schleswig, Wismar, Lüneburg, Minden und Münster beeindruckten uns durch ihre einzigartige Backsteingotik. Die großen alten Handelshäuser und vor allem die Kirchen errichtete man fast ausschließlich aus Backsteinen. Grenzt es nicht an ein Wunder, dass man solch gigantische Bauwerke, wie den Dom von Schleswig oder die Lamberti Kirche in Münster aus Backsteinen bauen konnte? Oder vielleicht doch nicht: Denn Sascha brachte sogar als Kind unglaubliche Bauwerke aus Legosteinen zustande!

Besiedelungsdichte

Die Vielseitigkeit Deutschlands rührt nicht nur vom Relief oder der Geografie her, sondern kommt vor allem aus der geschichtlichen Kleinstaatlichkeit. Deutschland war nie ein Zentralstaat, sondern ein Flickenteppich von Groß- Klein- und Kleinststaaten. Über 25000 Burgen und Schlösser zählen heute zu Deutschland. Die Territorien dieser Burg- und Schlossherren hatten eigene Traditionen, Grenzen, Geld, Gewichte, Masse, Uhrzeiten, Biere, Speisen und so weiter. Kein Wunder, dass bis heute, neben dem Lokalpatriotismus (Liebe zum eigenen Fußballverein, Konkurrenz zum Nachbarort…) viele echte Unterschiede, wie etwa verschiedene Biersorten oder Dialekte, spürbar sind.

Ein richtiges Abendteuer, diese Vielseitig- und Vielschichtigkeit mit allen Sinnen aufzunehmen – das vermutlich nur zu Fuß erlebbar ist!

Ein nicht anhaltender Zug und die Damen vom Roten Kreuz

Nachdem die Fähre von Amrum in Dagebüll–Hafen anlegte, wollten wir mit der Regionalbahn eine Station bis Dagebüll– Kirche fahren, da wir diese Strecke bei der Hinreise schon zu Fuß hinter uns gebracht hatten. Der Zug stand schon bereit und wir stiegen ein. Fahrkarten gabs nur beim Schaffner, wie wir erfuhren. Der gute Mann beschäftigte sich aber zunächst noch mit einer verspäteten Schulklasse, von einer anderen Fähre. Irgendwann zuzelte der Zug los. Auf dem Plan stand: Dagebüll–Kirche „Halt auf Verlangen“. Also suchte Sascha den ganzen Zug nach einem Halteknopf ab. Erst der Schaffner klärte ihn darüber auf, dass es keinen gibt. Er solle dem Lokführer Bescheid geben. Also lief Sascha wieder nach vorne und fragte den Lokführer in seinem Fahrerhäuschen: „Könnten sie bitte an der Kirche anhalten?“ Dieser antwortete: „Kein Problem, das ist ja gleich da vorne!“ Sascha setzte sich wieder an seinem Platz, und sah zu, wie der Zug soeben an der Kirche vorbeirumpelte. Also wieder zum Fahrer: „Wollten sie nicht an der Kirche anhalten?“ Darauf er: „Scheiße, ganz vergessen! Die nächste Station heißt Maasbüll, da stoppe ich den Zug.“ Inzwischen kam der Schaffner und wollte das Fahrgeld einkassieren. Als er aber unsere Geschichte erfuhr, verzichtete er darauf. Nachdem wir erzählten wohin wir laufen wollen sagte er ungläubig zum Loki-Führer: “Hast du gehört? Die wollen die gut zwanzig Kilometer nach Bredstedt, zu Fuß! Sowas habe ich noch nie erlebt!“ Wir verzichteten darauf zu erwähnen, dass wir eigentlich zu Fuß in die Schweiz möchten. Mit vielen guten Wünschen wurden wir an der windigen, verlassenen Haltestelle von Maasbüll von den Beiden verabschiedet.

Sascha kämpfte derweil mit der Landkarte im Wind, denn er musste die Strecke von hier aus neu zusammenstellen.

Dann liefen wir auf wenig befahrenen Landstraßen über Risum nach Langehorn. Yvonne am 21.03.: „… Regen und Wind, heute unsere steten Begleiter. In Langehorn fanden wir endlich eine geöffnete Beiz. Sascha öffnete die Tür und 16 Augenpaare starrten uns an. Ich dachte sofort, etwas stimmt nicht. Sascha ging rein, da stand jemand auf und rief dem Wirt in der Küche zu, dass Gäste da seien. Dieser meinte, dass sie nicht geöffnet hätten, wir könnten zwar etwas trinken, aber essen gehe nicht. Wir schätzten schon ein Bier und das Klo. Als wir kaum saßen, brachte eine Frau vom Nebentisch eine ganze Platte Kuchenstücke. Kurze Zeit später eine Andere Käs- und Schmalzbrote. Sascha fragte nach dem Warum, da meinte sie: „Wir feiern heute Abend vom Roten Kreuz aus Frühlingsfest, schmierten diese Brote hier, und geben euch jetzt die übrigen Sachen.“ Mit großer Freude verschlangen wir gierig die Leckereien.

Als wir kurze Zeit später aufbrachen, schien doch tatsächlich die Sonne. Wir suchten im Dorf vergeblich nach einer Unterkunft, so zogen wir bei wunderschöner Abendsonne, weiter nach Sterdebüll, wo wir tatsächlich im Hotel Landhaus ein Zimmer bekamen. Nach dem Duschen folgte das Nachtessen. Erkenntnis des Tages: Unverhofft kommt oft! Gelassenheit ist gefragt.“

Noch ein paar Worte zur „Erkenntnis des Tages“. Wir schrieben beide täglich Tagebuch, immer parallel, sodass zum Schluss 16 volle Tagebücher entstanden.

Stets am Abend nach dem Schreiben tauschten wir die Bücher aus und lasen nach, was der Andere jeweils zu diesem Tag schrieb. Jeder vermerkte am Schluss seines Tagebucheintrags eine sogenannte „Erkenntnis des Tages“. Das konnten profane Sachen sein, wie: „Wir sind in Vorpommern!“ oder andere Erkenntnisse wie: „Ich bin in Ordnung, so wie ich bin, ich möchte mich aber trotzdem weiterentwickeln!“ Interessant, wenn man sich zu jedem Tag solch einen zusammenfassenden, abschließenden Gedanken macht.

Am nächsten Tag trafen wir in der nordfriesische Stadt Bredstedt ein. Sascha am 22.3.: „… In der Innenstadt, die wir anfangs gar nicht fanden, suchten wir einen Laden, der Schrittzähler anbot. Nix, nada, keine Chance, hier wird einfach nicht gewandert – als Wanderer gehören wir hier zu den totalen Exoten! Gestern durchnässte der Regen den Schrittzähler und setzte ihn außer Betrieb. Nicht wasserfest und so billig zusammengeschustert, dass er gleich unreparierbar blieb – das Scheiß-Ding. Jetzt errechnen wir die Strecke über die Karte und Yvonnes Zeit-Erschöpfungs-Gleichung …“ Einige Tage später erwarben wir in Schleswig einen Schrittzähler, der uns bis zum Schluss der Wanderung gute Dienste leistete.

Dialekte

Die Vielfältigkeit der Deutschen Länder kann man gut an den unterschiedlichen Dialekten ablesen. Wir verzichteten bewusst auf Internet in Form eines Smartphones, wie es heute ansonsten allgemein Gang und Gäbe ist. Es musste doch möglich sein, eine solche Wanderung im Oldie-Stil zu organisieren, nämlich: die Leute unterwegs fragen! So bekamen wir viel mit von den unterschiedlichen Sprechweisen in den Regionen. Natürlich wirkte diese Kommunikation auch umgekehrt: Yvonne musste nur den Mund aufmachen und allen war klar: “Sie kommen aus der Schweiz, nicht wahr?“ Sascha konnten sie meist nur „irgendwo aus Süddeutschland“ einordnen.

Wenn Sascha einen Menschen auf Deutsch reden hört, kann er an der Klangfarbe erkennen, ob der Andere eher aus Österreich, der Schweiz, aus Norddeutschland, Berlin, Sachsen, Hessen, dem Rheinland, aus Bayern, Franken oder Schwaben stammt. Erst beim Durchwandern vieler Gebiete fiel ihm auf, wie unterschiedlich diese großen Dialektgruppen wiederum in sich sind. In Gaststätten und an Kassen in Läden konnten wir gut die einheimischen Mundarten belauschen. Vor allem die älteren Generationen sprachen noch stark Dialekt, besonders, wenn sie unter sich palaverten.

Kaum hatten wir uns etwas in Mundarten hineingehört z.B. ins Schaumburgerische, überquerten wir wieder die Sprachgrenze ins Mindnerische, danach ins Wiehengebirgische, ins Osnabrückische, ins Münsterländische, ins Paderbornische und ins Lippische – nur so als Beispiel! Wir finden, die jeweilige bodenständige Mundart ist ein sehr wertvolles Kulturgut, welches einer Region seinen unverwechselbaren Charakter verleiht. Dementsprechend freuten wir uns immer, wenn wir Mundarten hörten.

In vielen Innenstädten sieht die Architektur ähnlich aus, die großen Ladenketten dominieren das Bild – du könntest alleine von diesem ersten Blick oft nicht sagen, in welcher Gegend du überhaupt bist. Besuchst du jedoch eine Kneipe, selbstverständlich eine Einheimischen-Beiz, so merkst du gleich, wo du bist – einfach, anhand der gesprochenen Sprache!

Das Moorland und Frau Greve mit der Buddel

Yvonne (Texte in Klammer von Sascha): „26.März 2014: Heute benutzten wir zum ersten Mal die Wanderstöcke. (Nachher liefen wir nie mehr ohne!) So klapperten wir der Straße nach weiter. Nach mehreren Abzweigungen folgten wir hinter Selk einem dünnen Wanderpfad, an einer Mühle vorbei und an einem Fischteich, auch etwas durch den Wald (Wald und Wanderwege findet man eher selten im Land Schleswig!). Danach wieder meistens Teerstraßen bis nach Lottorf. Dort machten wir eine kurze Bananen-Süßigkeiten-Rast. Um 15:15 Uhr ging`s weiter. Der offizielle Wanderweg führte auf einer Nebenstraße in Richtung Moorland. Nach ca. 45 Minuten zweigte der Weg ab, auf einen Trampelpfad mitten durch die Moorlandschaft. Doch plötzlich: nur noch Wasser auf dem Weg. Den ersten Teil umrundeten wir noch stolz, doch dann versank das halbe Gebiet im Wasser, sodass wir umkehren mussten. Sascha führte uns auf einen anderen Weg kreuz und quer durchs Moor. Dieser Weg war zum Glück teilweise auf der Wanderkarte eingezeichnet. Ich fühlte mich echt nicht wohl bei dem Gedanken, in der Nacht noch im Moor rumzuschleichen, falls wir wieder nur von Wasser umzingelt wären. Dann endlich, kurz vor 17:30 Uhr spuckte uns der Sumpf wieder aus. Ich bin wahrscheinlich noch nie so glücklich gewesen, auf einer Teerstraße laufen zu dürfen, wie heute.

So wanderten wir ins Dorf (Breckendorf) …durchs Dorf durch. Nichts! Wir fanden das auf der Karte eingezeichnete Hotel nicht. Also fragten wir einen Mann. (Der wollte sich hinter einem Mülleimer verstecken, als er uns kommen sah.) Der sagte, och, das Hotel, wurde vor ein paar Jahren abgerissen. Deshalb trabten wir wieder zum Anfang des Dorfes zurück, da hatten wir vorher beim Vorbeilaufen ein Schild gesehen: Wohnung zu vermieten! Das Moorlaufen hatte mich, trotz Stock-Einsatz, ganz schön geschafft. Das ganze Feld war voller Hubbel und Löcher oder kleinen Wegle von den Rehen (Wir sahen an dem Abend im Moor auch viele Rehe! Aber nun zurück zur Zimmersuche:) Wir läuteten und eine sehr nette Frau (Frau Greve, 72 Jahre) bat uns sofort ins Haus. Dort erklärten wir ihr unsere Situation. Sie zeigte uns die geräumige Ferienwohnung und verwöhnte uns danach, gut gelaunt singend, mit Spiegeleiern, Brot, Käse und Wurst. Dazu tranken wir Bier, schwatzten angeregt und amüsierten uns über die Sprüche auf Plattdeutsch, als sie mit ihrem Mann redete. (Frau Greve versprühte Gute Laune und sang immer fröhlich vor sich hin. Auch ihr Mann, der später aus dem Stall kam und bei uns in der Küche seine Brotzeit einnahm, ist ein ganz „Knitziger“ (Verschmitzter) gewesen. Bevor er die Kellertreppe hochstieg, rief Frau Greve zu ihrem Mann auf Plattdeutsch hinunter: „Bring ne Buddel Bier mit!“ Seitdem ist dieser Spruch: „Bring mir mal ne Buddel Bier“ sowas wie ein geflügeltes Wort bei uns. Natürlich brauche ich nicht zu erwähnen, dass dieses Ditmarscher Schwarzbier aus der Bügelflasche ganz hervorragend schmeckte!) Später zogen wir uns in die Wohnung zurück und duschten, schreiben nun Tagebuch und gehen bald schlafen.“

Erkenntnis des Tages von Sascha: „Einfach erscheinende Wege sind oft schwerer zu bewältigen als schwer Aussehende!

Begegnungen mit Tieren

Durch die Art der Wanderung bedingt, bewegten wir uns zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten im Freien. Dadurch begegneten uns auch viele Wildtiere. An der Nordseeküste zum Beispiel, trafen wir zur Vogelzugzeit ein. Wir beobachteten Schwärme von Vögeln, die in schönem Formationsflug übers Meer und die Inseln rauschten – ja, es rauscht tatsächlich, wenn diese großen Schwärme über einem hinweg fliegen. Viele Wattvögel wie Knutts, Austernfischer, Säbelschnäbler, Sandregenpfeifer, Kiebitze, Steinwälzer, Strandläufer, Rotschenkel und Seeregenpfeifer bevölkerten das Watt. Natürlich gab es auch eine Unmenge an Seeschwalben und Möwenarten. An manchen Stellen im Wattenmeer, vor allem wenn die Flut wiederkam und die Vögel sich am Wassersaum entlang immer weiter auf das Land zu bewegten, sahen und hörten wir unglaublich viele Watt- und Wasservögel auf engstem Raum. Das beobachteten wir einmal, beim Wandern in der Dämmerung, auf Amrum, von Nebel zum Norddorf auf der Wattenmeerseite.

Auf Amrum und Sylt befinden sich sogenannte Vogelkojen. Dies sind ehemalige Entenfanganlagen, die heute wichtige Naturschutzgebiete für Wasservögel wie Enten und Gänse darstellen. Dort erfreute uns vor allem der Anblick von Brand – und Ringelgänsen auf ihrer Rast, bevor sie weiterflogen ins Nordpolargebiet, wo sie brüten. Uns beeindruckten auch die vielen Graugänse, die meist als Paar auftraten. Wenn sie uns überflogen, schimpften sie lauthals miteinander – jedenfalls hat es sich so angehört, als streite sich ein altes Ehepaar über Nichtigkeiten.

Auch von der Ostsee erinnern wir uns an Vogel-Erlebnisse. Zum Beispiel von einem Nebeltag am Schönendorfer Strand: Dichter Nebel umhüllte uns, mit einer Sichtweite von ca. 10 Metern, und es herrschte totale Windstille. Unsere Wanderstrecke führte uns direkt am Strand entlang. Das Meer lag, die 10 Meter, die wir sehen konnten, wie eine matte Erzplatte vor uns. Es gab nicht die geringste Wellenbewegung. Stille, bis auf das Tuten der Nebelhörner von den Schiffen draußen auf dem Meer. Strandläufer und andere Vögel standen ebenso still auf den Steinen. Wie ausgestopft sahen sie aus!

An einem anderen Tag, nachdem wir den Lübeck-Elbe-Kanal entlang liefen schrieb Yvonne: „… Jetzt erinnere ich mich gerade noch daran, wie schön die Atmosphäre nach dem Gewitter war. Die Welt und die Natur wirkten wie gereinigt. Wir beobachteten längere Zeit einen Kuckuck, der sogar während des Fliegens „Kuckuck“ rief! Ein einmaliges Naturerlebnis für mich.“

An dem Tag, als wir das erste Mal in Mecklenburg auf dem Küstenweg wanderten, sahen wir ganz eigenartige Tiere auf den noch braunen Feldern herumrennen: Nandus. Die eigentlich in Südamerika beheimateten, fast straußgroßen Laufvögel, brachen im Jahr 2000 aus einem Gehege in Mecklenburg aus. Anstatt zu sterben, wie man sich vor 14 Jahren dachte, vermehrten sich die Vögel und bilden heute eine stabile, wildlebende Population.

Andere beeindruckende Vögel, die in Mecklenburg– Vorpommern immer wieder unseren Weg kreuzten, benutzt die Deutsche Lufthansa als Wappentier. Diese Vögel konnten wir in den ersten Tagen nur hören, wenn sie ihre lauten, von Weitem hörbaren Rufe von sich gaben. Wir wunderten uns über diese Klagelaute und entwickelten die wildesten Theorien, was das sein könnte (Todeskampf einer undefinierbaren Kreatur, ostdeutsche Kreissäge oder ein einsames ausgestoßenes Tier-Baby) – bis wir sie eines Tages entdeckten: Kraniche! So schön wie sie flogen und segelten, so unelegant landeten sie! Beim Landen flatterten sie mit den Flügeln um zu bremsen und schienen dabei fast das Gleichgewicht zu verlieren. Diese, auch „Vögel des Glücks“ genannten Tiere, besitzen eine Flügelspannweite von 2,20 Metern. Oft sahen wir sie paarweise und in offensichtlicher Balzstimmung. Während des Balztanzes sprangen sie mit ausgebreiteten Flügeln umher und ließen ihr lautes Trompeten hören.

Im Gegensatz zu den Kranichen lassen einem die Weißstörche viel näher heran, bevor sie auffliegen. Erfreulich, dass sich die Bestände von Meister Adebar, wieder so gut erholt haben. Im Frühjahr bestaunten wir sie in ihren Nestern auf Hausdächern oder Telegrafenmasten. Im sommerlichen Thüringen jagten sie auf Feldern, die durch die Mähdrescher orientierungslos und vermutlich gestresst umeinander fliegenden Insekten. An der schwäbischen Riss beobachteten wir auf den herbstlichen Wiesen, wie sich die Störche, weiße Erwachsene genauso wie die braun – weißen Diesjährigen, in Gruppen zum Flug in den Süden sammelten.

Den viel selteneren Schwarzstorch, ein sehr scheuer Waldbewohner, kommt nur in wenigen Gebieten Deutschlands vor. Ein außerordentlicher Glücksfall ereignete sich Ende Juni im Harz, beim Aufstieg vom Okerstausee nach Torfhaus. Rechts von uns flog plötzlich am Waldesrand ein großer schwarzer Vogel auf und wir konnten ihn lang genug betrachten, um ihn ganz sicher als Schwarzstorch zu identifizieren. Wir waren hin und weg von diesem Naturerlebnis. So ein Wildtier-Erlebnis geht ganz tief ins Herz, auch bei häufig vorkommenden Tierarten.

Yvonne am 16. April vor Kaschow / Vorpommern: „… Einmal beobachteten wir ganz nahe einen Schreiadler, wie er auf einen Baum, dann etwas im Wald herumflog und nachher höher stieg – da entdeckten wir nochmals 2 Schreiadler am Himmel. Sascha und ich staunten ganz verzaubert bei diesem Schauspiel …“ Einmal gab es ein Hasenerlebnis in Vorpommern zwischen Krumbeck und Feldberg: Wir wanderten durch ein schönes Naturschutzgebiet mit alten, zum Teil abgestorbenen Eichenbeständen. Da sahen wir einen Feldhasen, ca. 20m vor uns auf dem Weg herumhoppeln. Wir verhielten uns ganz still, dachten: Sobald er uns entdeckt hat, haut er gleich ab. Pustekuchen! Er schnüffelte den Weg ab und steuerte immer weiter auf uns zu. Dann lief er gemächlich in den Wald, kam aber gleich wieder auf den Weg, schaute uns mit großen Augen an, machte aber keine Anstalten zur Flucht. Er schnüffelte wieder, drehte 2 Meter in den Wald hinein und kam wieder 10 Meter vor uns auf den Weg. Wir konnten es nicht fassen. Der hatte echt die Ruhe weg! Nach etwa 10 Minuten verschwand er schließlich im dichten Wald. Auch ein berührendes Erlebnis!

Ähnlich erging es uns, als im Lauenburger Land kurz vor dem Ort Fitzen, eine Horde Wildschweine durchs Unterholz brach und wir die Frischlinge hinterherspringen sahen. Wenige Sekunden und das Szenario war vorbei. Wir mussten uns dann erst gegenseitig versichern, was wir da gesehen hatten, um es zu fassen. Oder einige Stunden später, Yvonne: „… Kurz vor der Ortstafel „Fitzen“ erfreuten wir uns an einer Herde Schafe und entdeckten, dass vor deren Wiese ein Fuchs herumschlich. Gespannt beobachteten wir die Szene. Zur gleichen Zeit hielt auf der kaum befahrenen Straße ein Auto an. Ein Mann stieg aus und grüßte. Während er weiterredete und uns erklärte, dass es in Fitzen 2 Pensionen gäbe, hoppelte ein Stück weiter vorne ein Kaninchen über die Straße. Wir verabschiedeten uns mit guten Wünschen und per Handschlag. Sofort guckten wir Zwei wieder nach dem Fuchs. Er streunte immer noch um die Herde, sah irgendwie krank aus. Zudem entdeckten wir, dass die Schafe von Hunden bewacht wurden …“

Oder als wir zwischen Wismar und Neubukow, bei starkem Wind, an einem Feldweg entlangliefen, standen zwei Rehe auf einem braunen Feld. Der Wind wehte aus ihrer Richtung uns entgegen, sodass sie uns weder hörten noch witterten. Lange Zeit konnten wir sie aus einer Entfernung von 20 Metern mustern. Dann entdeckten sie uns und stoben davon. Rehe haben wir überhaupt viele gesehen, vor allem im Frühling, weil die Pflanzen auf den Feldern und die Wiesen noch ganz kurz und die Tiere deswegen gut sichtbar waren.

Dass Wildkaninchen an sandigen Böden der Küsten häufig vorkommen, konnten wir uns ja noch gut herleiten: dort können sie besonders gut ihre Höhlen graben. Was aber trieben Massen von Wildkaninchen auf der Verkehrsinsel „Ludgerikreisel“ in der Stadt Münster? Ein kurioser Anblick: mitten im stärksten Verkehr – Kaninchen!

Nicht kurios, jedoch wunderschön empfanden wir die Seeadlerbeobachtung auf den Feldberger Seen in Südostmecklenburg an der Grenze zu Brandenburg. Wir buchten eine geführte Naturtour mit einem erfahrenen Einheimischen auf einem Elektroboot. Lautlos glitten wir über den Haussee, dann durch den Luzinkanal auf den Breiten Luzin.

Unser knitziger, ca. 80 jährige Bootsführer, „Vadder Berg“, unterhielt uns auf dem Weg zu den Adlerhorsten mit vielen Geschichten und Anekdoten. Unter anderem mit Diesen: Seit einigen Jahren gäbe es eine Waschbär- und Mink-Plage. Da diese Tiere die Eier der Wasservögel wegfressen, leben nur wenige Enten und Blesshühner hier auf dem See. Auch zur Vergangenheit dieser Gegend wusste er viel zu erzählen, bis hin zu dem Spruch: „Die Stasi war in unserem Staat das Einzige, was wirklich funktioniert hat!“

Erst als er uns die mächtigen Adlerhorste zeigte und auf die zwei Vögel, die auf den Bäumen ganz oben saßen hinwies, nahmen auch wir die majestätischen Adler wahr. Aus der Entfernung leuchteten zwei gelbe Schnäbel und ab und zu drehte sich ein Kopf. Später, am Plauer See, ebenso in Mecklenburg, beobachteten wir Seeadler auch im Flug – wirklich mächtige Vögel! Der Seeadler ist der größte und kräftigste Adler Europas und beeindruckt mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,4 Meter. Allerdings sind bei dieser Tierart die Männchen etwas kleiner als die Weibchen. Seeadler können bis 40 Jahre alt werden!