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Dieses Buch zeigt, warum technologische Innovationen für eine wachsende Wirtschaft und Wohlstand unerlässlich sind – und was in Deutschland momentan falsch läuft. Während die Weltwirtschaft in die Zukunft schaut und Staaten rund um den Globus die Entwicklung neuer Technologien nach Kräften fördern, betreiben wir in Deutschland einen Abwehrkampf alter Industriezweige. Die Auswirkungen sind verheerend: Auf dem Land gibt es kein Internet, bei lebensrettenden Medikamenten oder digitaler Infrastruktur sind wir abhängig von systemischen Rivalen. In Zeiten militärischer Krisen ist unsere Bundeswehr hoffnungslos veraltet und KI bleibt in den meisten deutschen Unternehmen ein Fremdwort - ein immenser wirtschaftlicher Nachteil. Warum sind wir so langsam, wenn es um Innovation geht? Die Wirtschaftsexpertin Tina Klüwer zeigt, wie kritisch die Lage ist. Nur wenn wir den Anspruch haben, bei neuen Technologien in der Weltspitze mitzumischen, kann es gelingen, unseren Wohlstand auf Dauer zu bewahren. Aus Sicherheitsinteressen und aus Sorge um die kommenden Generationen müssen wir dringend schneller und flexibler werden, fördern, forschen und mehr Risiken eingehen. Ein wichtiger Appell zur rechten Zeit für die Ermöglichung einer innovationsstarken Wirtschaft.
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Seitenzahl: 191
Veröffentlichungsjahr: 2025
Tina Klüwer
Warum wir jetzt Innovation fördern müssen, um unseren Wohlstand zu retten
Die umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands heißen VW, Allianz, Mercedes-Benz, BMW und E.ON. In den USA (und der Welt) sind es Apple, Microsoft, Amazon, Tesla und Google. Das Dilemma der deutschen Wirtschaft ist klar: Wir brauchen dringend frischen Wind!
Während die Weltwirtschaft in die Zukunft schaut und Staaten die Entwicklung neuer Technologien fördern, betreiben wir einen Abwehrkampf alter Industriezweige. Die Auswirkungen sind verheerend: Auf dem Land gibt es kein Internet, bei lebensrettenden Medikamenten oder digitaler Infrastruktur sind wir abhängig von systemischen Rivalen. Unsere Bundeswehr ist hoffnungslos veraltet und KI in den meisten deutschen Unternehmen ein Fremdwort. Warum sind wir so langsam, wenn es um Innovation geht?
Die Wirtschaftsexpertin Tina Klüwer zeigt, wie kritisch die Lage ist. Nur wenn wir den Anspruch haben, bei neuen Technologien in der Weltspitze mitzumischen, kann es gelingen, unseren Wohlstand auf Dauer zu bewahren. Aus Sicherheitsinteressen und aus Sorge um die kommenden Generationen müssen wir dringend schneller und flexibler werden, fördern, forschen und mehr Risiken eingehen. Ein wichtiger Appell zur richtigen Zeit.
Dr. Tina Klüwer ist Expertin für Künstliche Intelligenz, Start-ups und strategische Innovationsfragen. Bis Juli 2025 leitete sie die Abteilung «Forschung für technologische Souveränität und Innovation» im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Zuvor arbeitete sie viele Jahre an der Schnittstelle von Wissenschaft und Forschung. Sie forschte und promovierte in Künstlicher Intelligenz, gründete ein Start-up und die KI-Initiative K.I.E.Z. der Berliner Universitäten. Sie ist zudem Mitglied diverser Innovationsgremien und Jurys, Beiratsmitglied mehrerer Start-ups und gefragte Gesprächspartnerin der Politik. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie Capital Top 40 unter 40, OMR50 und LinkedIn Top Voice.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2025
Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
Covergestaltung Anzinger und Rasp, München
Coverabbildung Moritz Deichl
ISBN 978-3-644-02373-4
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Für einige ist Deutschland ein Land im Niedergang: Die Straßen sind kaputt, die Städte insolvent, die Züge sind nicht nur unpünktlich, sondern entgleisen sogar mitunter, und Unfälle kosten Menschen das Leben. Die Wirtschaft stagniert. Die Automobilindustrie, eine der größten und sichtbarsten Branchen des Landes, wird vom internationalen Wettbewerb überholt. Die Supermächte China und USA sind dabei, die Welt untereinander aufzuteilen. Täglich benutzen wir Geräte und Software, von denen nur wenige aus Europa stammen und keine aus Deutschland. Es vergeht kein Tag ohne neue geopolitische Schwierigkeiten, bei denen weder Europa noch Deutschland Gewicht und Stimme zu haben scheinen. Wo sind die Produkte «made in Germany»? Haben wir das Rennen verloren? Versinken wir in der Bedeutungslosigkeit?
Gleichzeitig sind wir die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt. Nach den USA und China, und das mit nur 84 Millionen Einwohnern. Wir gehören zu den größten Exporteuren von technischen Geräten und Anlagen weltweit und zu den bedeutendsten internationalen Chemie- und Pharmaproduzenten. Unternehmen wie Volkswagen, Bosch, Siemens, die Deutsche Telekom und Bayer sind global agierende Großunternehmen und tragen erheblich zur Wirtschaftskraft unseres Landes bei. Deutsche Mittelständler bauen Feinelektronik und Bauteile, die auf der ganzen Welt begehrt sind. Wir sind das bevölkerungsreichste Land der Europäischen Union.
Der Untergang Deutschlands und Europas ist trotzdem ein Dauerbrenner bei vielen Treffen der jungen deutschen Tech-Szene. Wenn Gründer und Investorinnen[1] zusammenkommen, Pizza direkt aus dem Karton essen und dazu Limonade trinken, kommt das Gespräch zwangsläufig irgendwann auf die grässlichen Zustände in Deutschland. Schnell sind sich alle einig: zu langsam, zu bürokratisch, die ganzen Zertifizierungen, zaghafte, zögerliche Kunden und schwierige Finanzierung. In den USA geht alles viel leichter, und die Investoren sind viel schneller. Innerhalb von zwei Wochen hat man da schon mal ein Term Sheet, den üblichen Vorvertrag, mit einem Angebot auf dem Tisch, während der Vorgang in Deutschland Monate dauert und das Angebot signifikant schlechter ist.
Es ist offensichtlich eine richtig fatale Idee, in Deutschland ein innovatives Tech-Unternehmen aufzubauen, vor allem wenn man den Anspruch hat, etwas Großes zu verändern. Deutschland ist zu Innovationen nicht fähig, und über kurz oder lang werden auch die letzten verbliebenen Innovationstreiber auswandern, um ihr Business anderweitig vernünftig weiterzuführen. So denken viele.
Dagegen steht das Narrativ, dass wir es hier viel besser haben als anderswo. Europa und Deutschland haben so vieles hervorgebracht, von der Demokratie über Brahms und Beethoven, Leibniz und Kant bis zu Lufthansa und Volkswagen. Wir haben etliche «Hidden Champions» unter den deutschen kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs): Unternehmen, die nicht auffallen, aber den Weltmarkt mit ihren spezifischen, hochqualitativen Produkten versorgen. Es gibt viele deutsche Erfolgsgeschichten. Hier herrscht Wohlstand. Wir haben einen funktionierenden Arbeitsschutz und Mindestlohn. Unsere Häuser sind stabil, und unsere Gewaltenteilung schützt uns vor Willkür. Unser Sozialstaat sichert uns auch bei schwerer Krankheit ab, wohingegen in den USA Menschen aufgrund einer Zahnoperation insolvent gehen. Und China, war das nicht das Land mit dem Social Scoring System, in dem Kameraüberwachung an der Tagesordnung ist? Da haben wir es hier doch viel besser!
Was stimmt denn nun?
Geht alles den Bach runter, oder geht es uns besser als allen anderen?
Ja, es stimmt, wir haben eine starke Wirtschaft und international erfolgreiche Unternehmen. Es ist wahr, wir verfügen über hohen Wohlstand, der uns ermöglicht, einen starken Sozialstaat zu finanzieren. Aber leider ist es keine natürliche Ordnung, dass Deutschland und Europa immer die Nase vorn haben. Die Regionen der Welt sind im dauernden Wettstreit, gerade in den letzten Jahren hat sich viel verändert. Die geopolitische Situation schwenkt nach Jahrzehnten der Globalisierung und Zusammenarbeit auf protektionistische Wirtschaftspolitik und hegemoniale Machtansprüche um. Der Kampf um die wirtschaftliche Vormachtstellung der Weltregionen ist in vollem Gange. Und er wird zu großen Teilen dadurch entschieden, wem es gelingt, in wichtigen kommenden Technologien vorne mitzumischen. Denn technologische Umbrüche entscheiden über Wohlstand und Sicherheit ganzer Länder. Die letzten Jahrzehnte waren die Zeit der digitalen Technologie. Länder, die frühzeitig digitale Innovationen und Unternehmen hervorgebracht haben, konnten sich Marktanteile und zukünftigen Wohlstand sichern. Ihre digitalen Infrastrukturen verschaffen ihnen außerdem Sicherheit und Resilienz. Deutschland war nicht unter diesen Ländern.
Man könnte es so ausdrücken: Nicht nur die demografische Entwicklung der deutschen Bevölkerung, sondern auch die Entwicklung unserer Wirtschaft ist ungünstig. Unser Wohlstand basiert größtenteils auf Geschäftsmodellen, die hundert Jahre oder älter sind. Unsere größten und wertvollsten Unternehmen sind im Zuge der Industrialisierung entstanden. Ihre Erfolge in einem Jahrhundert des Wandels sind beeindruckend, und wir können mit Recht stolz auf sie sein. Doch es sind die Digitalunternehmen, die heute die wertvollsten Unternehmen der Welt sind. Die vier umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands sind: VW, Allianz, Mercedes-Benz und BMW.[2] Die wertvollsten Unternehmen der USA und der Welt sind: Apple, Microsoft, NVIDIA, Amazon und Alphabet, das Mutterunternehmen von Google.[3] Als einziges deutsches Unternehmen schafft es SAP in die Top 50 wertvollsten Unternehmen der Welt. Es ist abzusehen, dass der Wohlstand der kommenden Jahrzehnte dort entstehen wird, wo die neuesten Technologien erfolgreich kommerzialisiert werden. In der letzten Phase der Wertschöpfung ist es den USA gelungen, die jungen, digitalen Märkte zu besetzen. Gleichzeitig hat China begonnen, uns in unseren traditionellen Stärken, wie in der Produktion und dem Export von Maschinen, zu überholen.[1] Wir befinden uns an einem Kipppunkt. Noch sind wir wohlhabend, noch sind wir stark. Aber damit das auch so bleibt, müssen wir jetzt handeln.
Beide Narrative machen nicht viel Mut. Wieso sollte man handeln, wenn man sicher ist, dass alles gut ist und bleiben wird? Und auch Hoffnungslosigkeit motiviert uns nicht zu handeln, sondern lässt uns ohnmächtig auf die Entwicklung starren wie eine Maus auf die näher kommende Schlange.
Wir brauchen ein drittes Narrativ. Ein dynamisches und aktives. Eines, das uns erlaubt, im schnellen, internationalen Wettkampf Chancen zu ergreifen. Denn die Zeit ist jetzt: Die Gefahr, schnell abgehängt zu werden, ist viel größer als noch vor einigen Jahren. Unser Wohlstand ist in Gefahr. Wir müssen uns transformieren, und dafür müssen wir handeln, als Gesellschaft und jeder Einzelne von uns.
Technische Innovationen öffnen dafür einen Weg. Technologien sind für die, die sie sich früh genug aneignen und nutzen, ein Türöffner zu weiteren Jahrzehnten des Wohlstands und der Sicherheit. Das betrifft die digitalen Technologien, deren Umsetzung noch nicht abgeschlossen ist, aber vor allem auch der Generation neuer Technologien, die aktuell in den Startlöchern stehen: Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien, neue Computerchips und einige mehr. Wie erfolgreich sich eine Gesellschaft neue Technologien zunutze macht, entscheidet zu einem großen Teil darüber, wie gut es ihr in Zukunft gehen wird.
Dieses Buch beschreibt, wie wir es schaffen, technische Innovationen für uns zu nutzen. Es zeigt, wie unser Innovationssystem in den Technologien im Moment aufgestellt ist und wie wir zu neuer Innovationskraft kommen können. Es legt dar, welche Schwächen wir haben, aber auch, auf welche Stärken wir zurückgreifen können. Ich schildere einige meiner persönlichen Eindrücke und Erlebnisse, die ich in unterschiedlichen Funktionen der deutschen Innovationslandschaft sammeln konnte. Gleichzeitig ist das Buch aber auch ein Konzentrat vieler Gespräche mit unterschiedlichen Personen, von Gründerinnen über CEOs bis zu Forschern, Studierenden und Experten, die sich bereits jetzt für Technologien und Innovation in Deutschland einsetzen. Wenn Sie sich mit dem Thema schon beschäftigt haben, erkennen Sie beim Lesen vermutlich den ein oder anderen Punkt wieder.
In den kommenden Kapiteln formuliere ich Denkanstöße und schlage Antworten zu einzelnen Fragen vor. Dabei hat das Buch nicht den Anspruch, die eine Lösung für alle Probleme zu bieten. Eine Volkswirtschaft ist ein komplexes Gefüge mit vielen Einflussfaktoren, von denen nicht alle in diesem Buch berücksichtigt werden können. Selbst wenn die Wirtschaft innovativ und stark ist, ist dies keine Garantie dafür, dass jeder Einzelne in der Gesellschaft versorgt und sicher ist. Wenn aber die Wirtschaftsleistung sinkt und wir keinen neuen Weg finden, ist die Chance auf Wohlstand mit Sicherheit für jeden Einzelnen geringer.
Im nächsten Kapitel erläutere ich ausführlich, wieso unser Wohlstand aus meiner Sicht gerettet werden muss. Ich erkläre, vor welcher Entscheidung wir stehen und welche Optionen wir haben. Kapitel 2 und 3 sind die Bestandsaufnahme unserer aktuellen Situation. Wo stehen wir wirtschaftlich? Was macht unser Innovationssystem aus und was bedeutet das im internationalen Vergleich? In Kapitel 4 und 5 beschreibe ich aktuelle Schwächen, vor allem im Transfer von Forschungsergebnissen in die Umsetzung und im Wachstum von Innovationen in der Wirtschaft. Kapitel 6 ist eine Einladung, Deutschland neu zu denken. In Kapitel 7 mache ich Vorschläge für Lösungen zu den genannten Problemen. Viele strukturelle Herausforderungen kann man verbessern. Warum wir aber letztlich alle gemeinsam darüber entscheiden, wie die Zukunft made in Germany gestaltet wird, erläutere ich in der Zusammenfassung in Kapitel 8.
Vor einiger Zeit erzählte mir ein ehemaliger Kollege begeistert von seiner Brasilienreise. Mit dem Rucksack war er in Städten, auf dem Land und auch per Schiff unterwegs gewesen. Der Amazonas hatte ihn besonders beeindruckt. Er schwärmte von weit verästelten Wasserarmen, manche groß wie der Rhein und manche so klein, dass die umliegenden Bäume ein grünes Dach bildeten, unter dem das Boot hindurchglitt wie durch einen Tunnel. Ich denke, es war ein eher kleines Boot, denn es war nur ein Tagesausflug. Teilweise mussten die Passagiere wohl trotzdem noch den Kopf einziehen, so nah war die grüne Kuppel. Zwischen den Pflanzen entdeckte er überall Tiere, vor allem auch viele bunte Vögel, die ihm größtenteils unbekannt waren. Er hatte sich extra eine App installiert, um die Pflanzen und Tiere bestimmen zu können. Mit einem Foto und ein paar Angaben führte die App in wenigen Sekunden einen Abgleich mit einer Internetdatenbank durch, um die wahrscheinlichsten Arten zurückzuliefern. Dabei stieß er auf einen Amazonas-Film, der bei einem Streamingdienst verfügbar war, und schaute ihn sich vom Boot aus kurz an.
Das war der Moment, in dem sich bei mir ein Störgefühl entwickelte. Und das hatte nichts damit zu tun, dass er einen Film ansah, während er doch in diesem Naturwunder unterwegs war. Ich traute ihm zu, problemlos beides wahrzunehmen. Nein, mein Störgefühl hatte einen ganz anderen Grund: Er hatte auf dem Amazonas, fernab der Zivilisation, in einem kleinen Boot, während der Fahrt eine internetbasierte App bedient und einen Film gestreamt. Das konnte doch nicht sein!
Als er merkte, dass ich ihm nicht mehr richtig zuhörte, unterbrach er sich: «Was ist denn?»
«Du hattest Internet? Mitten auf dem Amazonas in einem Boot?» Jeder, der, wie ich, häufig mit der Deutschen Bahn unterwegs ist, kann sich den panisch-labilen Tonfall vorstellen, in dem ich die Frage stellte.
«Klar, gar kein Problem, da war überall Starlink», antwortete er lapidar.
Starlink! Na klar. Das Satelliteninternet, eines von Elon Musks zahlreichen Unternehmen. Starlink hat mehrere Tausend Satelliten in die niedrige Erdumlaufbahn geschossen und kann damit ein Breitbandinternet auch an den entlegensten Orten anbieten. Es gibt sogar eine Version für Boote.
Er begann wieder zu erzählen, während ich gedanklich unaufhörlich um die Frage kreiste: Wieso geht das bei uns nicht?
Das ist natürlich nicht ganz richtig, denn man kann Starlink auch in Deutschland nutzen. Man muss sich nur die entsprechende Receiver-Hardware kaufen. Das kann eine Lösung sein, wenn man etwa in einem sehr abgelegenen Haus in der Uckermark wohnt. Die Deutsche Bahn könnte aber vermutlich Starlink nicht benutzen, selbst wenn es eine Variante für Züge gäbe, die mir aktuell nicht bekannt ist. Für Behörden und Unternehmen der öffentlichen Hand gelten strenge Sicherheitsvorschriften, welche Geräte und Software sie nutzen dürfen. Und die Veränderungen, die die USA seit der Amtsübernahme von Donald Trump durchlaufen und bei denen Elon Musk eine gewichtige Rolle spielte, schüren tatsächlich Skepsis. Kann man sich auf sein Satellitennetz verlassen? Ist es geschickt, auf einen Anbieter aus dem Ausland zu setzen, von dem man vollständig abhängig wäre? Dabei hat man nicht immer eine Wahl. Die Ukraine setzt sogar im Krieg auf Starlink, und auch die deutsche Bundeswehr benötigt amerikanische Satelliten. Ein ausreichend großes, unabhängiges Satellitennetz haben beide Staaten aktuell nicht.
Erinnern Sie sich an den Wirbel, den es 2019 gab, als erstmals die Mobilfunkfrequenzen für das 5G-Netz in Deutschland versteigert wurden? Die Deutsche Telekom, Vodafone, Telefonica und erstmals auch Drillisch, ein 1&1-Tochterunternehmen, kämpften damals in einer langen Auktion für die Frequenzen. Huawei bot zwar nicht mit – das chinesische Unternehmen ist kein Netzbetreiber –, aber wichtig war es trotzdem, denn beim Marktführer für Netzwerktechnik werden die Geräte gebaut, die für den Betrieb eines Mobilfunknetzes notwendig sind, wie Module an den Funkmasten. Und schon damals war klar, ohne Komponenten von Huawei wird es für die deutschen Netzbetreiber sehr schwer, ein Mobilfunknetz aufzubauen und zu betreiben. Zwar gibt es Wettbewerber, die die gleiche Technik anbieten, wie den Ericsson-Konzern aus Schweden, aber nicht zu den gleichen Preisen. Die USA drängten zu dieser Zeit schon darauf, Huawei nicht zum integralen Bestandteil des deutschen Mobilfunknetzes zu machen. Zu eng sei der Konzern mit dem chinesischen Staat verbunden – die Verwendung der Technik würde der Gefahr von Abhängigkeit und Spionage Tür und Tor öffnen. Es gab eine große Debatte. Letztlich entschied aber die Kanzlerin Angela Merkel, die Geräte des Unternehmens zuzulassen.
Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Immer mehr Länder entschließen sich gezielt gegen einen Netzausbau mit Huawei-Komponenten, und auch Deutschland hat 2023 entschieden, Huawei nun doch wieder aus der Netzinfrastruktur zu entfernen und mit Technik anderer Hersteller zu ersetzen. Zu fragil sind die internationalen Beziehungen geworden und damit die Sorge vor Konsequenzen. Plakativ gesprochen: Was macht Deutschland, wenn Huawei auf Druck der chinesischen Regierung die Komponenten deaktiviert? Stellen Sie sich vor, das deutsche Mobilfunknetz bricht zusammen. Die Folgen mag man sich nicht ausmalen. Die Mobilfunknetze zählen ebenso wie andere Kommunikationsnetze zu den kritischen Infrastrukturen des Landes. Sie sind grundlegende Voraussetzung für unseren Informationsaustausch. Als vor einigen Jahren ein Bagger in Hamburg unbeabsichtigt ein Glasfaserkabel zerstörte, waren nicht nur Tausende Menschen ohne Internet und Fernsehen, auch ein Pharmagroßhändler in der Nähe konnte fast 24 Stunden keine Medikamente ausliefern. Während der Ahrtalkatastrophe kollabierte das Mobilnetz in der betroffenen Region. Überlebende waren auf sich allein gestellt, die Koordination von Rettungskräften und freiwilligen Helfern massiv erschwert. Bei einem bundesweiten Ausfall des Mobilnetzes würden vermutlich Menschen sterben. Neben den Sicherheitsbedenken wäre auch der volkswirtschaftliche Schaden enorm.
In Zeiten, in denen Partnerschaften mit Ländern, auf die wir uns jahrzehntelang verlassen haben, ihre Stabilität verlieren, treten morgen Situationen auf, die wir gestern noch als unrealistisch abgetan hätten. Ein funktionierendes Mobilfunknetz ist für ein Land ebenso essenziell wie der Zugriff auf Satelliten. Beide sind damit klassische Beispiele für die technologische Souveränität.
Technologische Souveränität ist die Fähigkeit, in relevanten Technologien einen Zustand mit einer möglichst geringen, vor allem keiner einseitigen Abhängigkeit von anderen Staaten oder ausländischen Anbietern zu erreichen. Man kann das anhand eines Legohauses verdeutlichen. Wenn Sie ein Legohaus bauen möchten, brauchen Sie verschiedene Legosteine, das ist klar. Sie brauchen vermutlich auch eine Bauanleitung, zumindest wenn es ein bestimmtes Haus werden soll, sagen wir eine Feuerwehrwache. Dann brauchen Sie auch noch einen Platz, wo Sie das Haus bauen können. Eine geeignete Legoplatte auf Ihrem Küchentisch wäre eine Option. Und natürlich die Fähigkeit und das Wissen, wie man eine solche Anleitung liest und in Bauschritte übersetzt. Wenn Sie nur wenige Stunden Zeit haben, da dann der Tisch für das Abendessen benötigt wird, benötigen Sie vielleicht auch noch Unterstützung, Ihre Kinder würden sich da anbieten.
Auf den ersten Blick mag es einfach erscheinen, aber man braucht eine ganze Menge, um erfolgreich eine Lego-Feuerwehrwache zu bauen. Wenn Sie über alles verfügen, was Sie brauchen, also Bausteine, Küchentisch, Bauplatte, Anleitung, Know-how und Kinder, dann sind Sie zu 100 Prozent autark. Sie können jederzeit eine Feuerwehrwache bauen. Ihre Souveränität in dem Feld ist somit sehr hoch. Aber vielleicht haben Sie ja gar keine Kinder. Da fangen die Probleme schon an. Sie würden länger brauchen, länger als andere, die Hilfe haben. Ihnen fehlen die richtigen Fachleute.
Oder Sie haben nie gelernt, eine Lego-Anleitung zu lesen. Sie könnten am Aufbau der Wache verzweifeln, oder Sie bauen sie falsch zusammen. Ihnen fehlen die notwendigen Kompetenzen.
Wenn Sie gar keinen Küchentisch haben, könnten Sie gezwungen sein, die Wache auf dem Teppich oder dem Bett aufzubauen, nach ein paar Minuten aber aufgeben, weil der Untergrund zu weich ist. Dann fehlt Ihnen die richtige Infrastruktur.
Zu guter Letzt kann es auch sein, dass Ihnen ein paar der Steine fehlen, denn Sie haben das Legoset gebraucht im Internet bestellt, da Sie eigentlich gar kein Geld für Lego haben. Dann fehlen Ihnen grundlegende Rohstoffe.
Wenn alles das zutrifft, können Sie einpacken. Die Lego-Feuerwehr werden Sie nie bauen. Ihre Souveränität zum Bau von Lego ist nicht vorhanden. Tatsächlich würde wohl kein Mensch bei Verstand mit diesen Gegebenheiten überhaupt anfangen zu bauen.
Dieses Schema lässt sich auf gesellschaftlich relevante Technologien übertragen. Schauen wir uns das mal anhand der Mikroelektronik beispielhaft an. Mikroelektronik ist das technische Feld, das die Herstellung von Computerchips beinhaltet. Niemand wird bezweifeln, dass Computerchips extrem bedeutsam sind. Nicht nur Computer, Mobiltelefone und Tablets funktionieren nur dank Chips, sondern immer häufiger auch Autos, Kühlschränke und sogar Glühbirnen. Hätten deutsche Unternehmen keine Chips zur Verfügung, wäre das ein großes Problem. Wenn im eigenen Land keine Chips hergestellt werden, muss man sie aus einem anderen Land einkaufen, etwa den USA, China oder Taiwan. Dann hat das eigene Land in der Chiptechnologie eine technologische Souveränität von null. Es ist zu hundert Prozent abhängig von den Unternehmen in anderen Ländern.
Um die aktuellen Computerchips zu bauen, braucht man Silizium. Es gibt in Deutschland einen einzigen Hersteller von Silizium, der nicht mal zehn Prozent des Bedarfs der deutschen Wirtschaft decken kann. Der größte Hersteller von Silizium ist aktuell China. Dort werden fünfundsiebzig Prozent der weltweiten Fördermenge produziert.[2] Rohstoffabhängigkeit führt ebenfalls zu einer geringen technologischen Souveränität.
Hat ein Land die Rohstoffe, aber keine Fabrik oder nicht genug Energie, um Mikrochips zu bauen, fehlt die Infrastruktur. Aber selbst wenn alles vorhanden ist, von den Rohstoffen bis zur Fertigungsanlage und Strom, braucht man Personen mit den richtigen Kenntnissen. Ohne Fachkräfte, die wissen, wie man Mikrochips baut, kann man mit den Einzelteilen nichts anfangen.
Alle diese Faktoren entscheiden darüber, wie hoch die Souveränität eines Landes in einer bestimmten Technologie ist. Im Bereich der Mikrochips ist Deutschland nicht sehr souverän. Wir importieren den Großteil unserer Mikrochips aus dem Ausland, vor allem aus Taiwan und den USA. Taiwan ist Haupthersteller für Mikrochips weltweit. 2023 kamen siebzig Prozent aller verbauten Chips aus Taiwan. In der Kategorie der kleinsten und damit innovativsten Mikrochips produziert der größte Chipfabrikant TSMC sogar zweiundneunzig Prozent der Gesamtmenge.[3] Der globale Marktanteil der deutschen Mikrochips liegt bei gerade einmal drei Prozent. Das haben wir während der Corona-Pandemie gespürt, als die deutschen Autobauer ihre Produktion pausieren mussten, da keine Chips geliefert werden konnten. Die internationalen Lieferketten waren unterbrochen. Das hatte heftige Umsatzeinbußen zur Folge.
Mikrochips herzustellen, ist ein aufwendiger Prozess mit mehreren Hundert Schritten und einer sehr verteilten Wertschöpfungskette. Deutschland hat zwar nur eine kleine Endproduktion von Mikrochips im Land, aber durchaus einzelne Unternehmen, die in diesem hochvernetzten Prozess eine internationale Rolle spielen, wie die Firma Trumpf, die hochspezialisierte Laser herstellt, die extrem ultraviolette Strahlung erzeugen kann, die bei der Herstellung kleinster Mikrochips unerlässlich ist. Auch das deutsche Optikunternehmen Zeiss ist hier weltweit aktiv. Das wirkt sich wiederum positiv auf die technologische Souveränität aus, die immer auch ein Verhältnis zwischen Geben und Nehmen in Zusammenarbeit mit verlässlichen Partnern ist.
Sowohl die Europäische Union als auch die Bundesregierung arbeiten seit Jahren daran, unsere technologische Souveränität zu verbessern. Das ist nicht einfach, denn wir kommen aus Jahrzehnten der Globalisierung und Vernetzung, in denen internationale Zusammenarbeit verfügbar, möglich und wirtschaftlich war. Bislang war es völlig unproblematisch, wenn Mikrochips für die ganze Welt in Taiwan gefertigt wurden. Ein Land wie Deutschland brauchte keine Fähigkeiten und Kapazität aufbauen, um selbst Mikrochips zu bauen, da es uns Jahrzehnte und sehr viel Geld kosten würde, ebenso kosteneffizient und qualitativ hochwertig zu werden. Aber seit der Pandemie hat sich die Einstellung vieler Länder und Unternehmen geändert. Und nicht nur pandemische Krisen führen uns unsere Abhängigkeiten vor Augen. Auch andere schwelende geopolitische Konflikte bergen Risiken für einseitige Abhängigkeiten. Die Situation zwischen China und Taiwan zum Beispiel könnte sich negativ auf den internationalen Mikrochip-Markt auswirken. Eine starke Abhängigkeit von russischem Gas hat bereits durch den Ukrainekrieg Probleme verursacht. Auch eine einseitige Abhängigkeit von amerikanischen Softwareprodukten und Cloudlösungen birgt Gefahren. Sollten sich die USA entscheiden, den Zugriff auf diese Systeme zu limitieren, hätte das massive Auswirkungen auf unsere gesamte Produktivität.
Während dieses Buch geschrieben wird, hat die Trump-Regierung Handelszölle gegen fast alle Länder der Welt erlassen. China hat bereits mit Gegenzöllen darauf reagiert, und auch die EU
