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Dieser Band enthält folgende Krimis von Alfred Bekker: Der Rubens-Funke Der Fall mit den Todesbriefen Burmester jagt ein Phantom Der Armbrustmörder –––––––– image "Er nennt sich Raimer", sagte der dunkelhaarige Mann im braunen Kaschmir-Jackett, während sein Blick über die schlichte Einrichtung des Hotelzimmers ging. "Leon Raimer. Er arbeitet in einer literarischen Agentur, lebt allein, hat kaum Kontakte." Der andere Mann im Raum beugte sich gerade über das Waschbecken und schabte sich den letzten Rest Rasierschaum aus dem kantigen Gesicht und griff zum Handtuch. Dann kämmte er sich noch die schütteren hellblonden Haare nach hinten und wandte sich seinem Partner zu. "Sonst noch etwas?" "Du könntest dir wenigstens mal die Bilder ansehen, die ich gemacht habe." "Bitte!" Der Blonde sah sich die Bilder nur sehr flüchtig an und nickte dann. "Das scheint er zu sein", murmelte er.
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Seitenzahl: 592
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Zum 93. Mal vier eiskalte Sommerkrimis
Copyright
Der Rubens-Funke
Der Fall mit den Todesbriefen: Hamburg Krimi
Der Fall mit den Todesbriefen
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Burmester jagt ein Phantom: Hamburg Burmester ermittelt 1
Burmester jagt ein Phantom: Hamburg Krimi: Burmester ermittelt 1
Burmester jagt ein Phantom
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Der Armbrustmörder
Titelseite
Cover
Inhaltsverzeichnis
Buchanfang
Dieser Band enthält folgende Krimis
von Alfred Bekker:
Der Rubens-Funke
Der Fall mit den Todesbriefen
Burmester jagt ein Phantom
Der Armbrustmörder
––––––––
"Er nennt sich Raimer", sagte der dunkelhaarige Mann im braunen Kaschmir-Jackett, während sein Blick über die schlichte Einrichtung des Hotelzimmers ging. "Leon Raimer. Er arbeitet in einer literarischen Agentur, lebt allein, hat kaum Kontakte."
Der andere Mann im Raum beugte sich gerade über das Waschbecken und schabte sich den letzten Rest Rasierschaum aus dem kantigen Gesicht und griff zum Handtuch. Dann kämmte er sich noch die schütteren hellblonden Haare nach hinten und wandte sich seinem Partner zu.
"Sonst noch etwas?"
"Du könntest dir wenigstens mal die Bilder ansehen, die ich gemacht habe."
"Bitte!"
Der Blonde sah sich die Bilder nur sehr flüchtig an und nickte dann.
"Das scheint er zu sein", murmelte er.
"Ich bin dafür, die Sache bald durchzuziehen", erwiderte der Mann im braunen Jackett.
Davon schien der Blonde nicht sonderlich begeistert zu sein.
"Die Sache darf auf keinen Fall schiefgehen", meinte er. "Ich bin dafür, Raimer noch ein bisschen zu beobachten."
"Es gibt nichts mehr über ihn herauszufinden", erwiderte der andere gelassen. "Wir kennen seinen täglichen Lebensrhythmus, wir wissen, wann er aufsteht, wann er zur Arbeit geht, mit wem er in den letzten zwei Wochen telefoniert hat und in welchen Geschäften er regelmäßig einkauft."
Der Blonde verengte die Augen wenig, während er zu seinem offenen Koffer ging und sich ein frisches Hemd herausnahm. Nachdem er es angezogen und zugeknöpft hatte, holte er noch etwas anderes: eine Pistole samt dazugehörigem Schulterholster. Als er sich die Waffe umgeschnallt hatte, fragte er: "Hast du schon einen Plan?"
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
von ALFRED BEKKER
Der Rubens-Funke – Kriminalroman mit Privatdetektiv Robert Berringer
Ein Gemälde von unschätzbarem Wert. Drohungen, die das Feuer der Götter beschwören. Ein Toter in der Tiefgarage.
Als im Museum Kunstpalast eine spektakuläre Rubens-Ausstellung vorbereitet wird, gerät Privatdetektiv Robert Berringer in einen Strudel aus Erpressung, Kunstwahnsinn und tödlicher Gefahr. Anonyme Nachrichten kündigen eine Serie von Anschlägen an – und fordern: „Feuer gehört den Göttern.“ Kurz darauf stirbt ein Kurier unter mysteriösen Umständen. Berringer und sein Team stoßen auf eine Spur, die von Düsseldorfs Kunstszene bis in die Schatten der Unterwelt reicht.
Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt: Wer steckt hinter den rätselhaften Drohungen? Was hat es mit dem „Protokoll Prometheus“ auf sich? Und wie kann ein Meisterwerk vor Flammen, Intrigen und Verrat gerettet werden?
Atmosphärisch, spannend, voller überraschender Wendungen – Alfred Bekker liefert mit „Der Rubens-Funke“ einen hochaktuellen Kunst-Krimi um Macht, Obsession und die Frage, wem das Feuer wirklich gehört.
Für Fans von:
packenden Krimis mit TiefgangKunst, Geschichte und moderner Ermittlungsarbeitstarken Ermittlerfiguren und cleveren DialogenJetzt bestellen und mitfiebern – bevor der Funke überspringt!
Robert Berringer Privatdetektiv, Hauptfigur des Romans. Ehemaliger Polizist, traumatisiert durch einen Vorfall in seiner Vergangenheit. Hartnäckig, eigenwillig, mit trockenem Humor.
Vanessa Karrenbrock Berringers Assistentin, schlagfertig, loyal, sorgt für Organisation und gelegentliche Schlagfertigkeit im Team.
Mark Lange Kollege von Berringer, zuständig für Recherche und Observation, bodenständig und praktisch veranlagt.
Rico Falk Event-Chef im Museum Kunstpalast. Auftraggeber von Berringer, ehrgeizig, manchmal überfordert, will die Ausstellung retten.
Martin Gräser Kurier des Museums, stirbt unter mysteriösen Umständen in einer Tiefgarage.
Frau Dr. Steen Restauratorin im Museum Kunstpalast. Kompetent, sachlich, mit trockenem Humor.
Thomas Anderson Kriminalhauptkommissar, Berringers Kontakt zur Polizei. Pragmatisch, erfahren, manchmal brummig, aber verlässlich.
Wiebke Gerichtsmedizinerin, frühere Weggefährtin von Berringer, analytisch und direkt.
Pascal Schiller Social-Media-Mitarbeiter im Museum, später als Täter enttarnt, getrieben von künstlerischer Obsession und Groll.
Blohm Hausfotograf des Museums, Komplize von Schiller.
Frau Dr. Müller-Steffenhagen Staatsanwältin, zuständig für die Ermittlungen, medienaffin und durchsetzungsstark.
Frau Lohmann Versicherungsvertreterin, zuständig für die Sicherheit der Kunstwerke.
Ede / Eduard Rehmann Mysteriöse Figur aus dem kriminellen Milieu, trägt einen Siegelring, spielt eine Schlüsselrolle im Hintergrund.
Emmerich Name eines Vereins und einer Familie im kriminellen Umfeld, steht für die „unsichtbare“ Machtstruktur der Stadt.
Nestor Paludan Dänischer Feuerkünstler, verstorben bei einem Atelierbrand in Kopenhagen, spielt als Referenzfigur eine Rolle.
Conny Tietz Journalist, kennt die Szene und liefert Hintergrundinfos.
Hans-Werner Wradel Polizeitechniker, Spezialist für Spurensicherung und Chemie.
Protokoll Prometheus Name der Drohserie und der rätselhaften Nachrichten an das Museum. Bezug auf den griechischen Mythos um Prometheus, der das Feuer stiehlt.
„Feuer gehört den Göttern“ Leitmotiv der Drohungen, wiederkehrender Satz in den Nachrichten.
7/7 Zählweise der einzelnen angekündigten „Taten“ oder Drohungen, die als Serie inszeniert werden.
Rubens, „Brand von Troja“ Das zentrale Gemälde der Ausstellung, eine wertvolle Ölskizze von Peter Paul Rubens.
Crème brûlée Dessert, das als Running Gag und Symbol für das Spiel mit dem Feuer dient.
Aerosol-Dosen / Perchlorat Chemische Mittel, die für die Anschläge (ohne echtes Feuer) verwendet werden.
Die Eminenz Spitzname für eine im Hintergrund agierende, kriminelle Machtfigur.
Emmerich e.V. Verein, der als Fassade für kriminelle Aktivitäten dient.
NAMENLOSE Berringers Boot, sein Rückzugsort.
Museum Kunstpalast (Düsseldorf) Zentraler Schauplatz, Ort der geplanten Ausstellung und der Drohungen.
Außenlager Meerbusch-Osterath Hochsicherheitslager für Kunstwerke, hier lagert das Rubens-Gemälde vor der Ausstellung.
Hotel Königsallee Ort, an dem der Kurier Martin Gräser stirbt.
Der Rhein Wichtige Kulisse, Ort für Gespräche und Reflexionen, symbolisch für Fluss und Veränderung.
FlexFloors / BLUE LIGHT Ehemaliger Nachtclub, jetzt Co-Working-Space; spielt in der Vergangenheit und Gegenwart als Schauplatz eine Rolle.
Kommissariat 11 (Düsseldorf) Ehemaliger Arbeitsplatz von Berringer, Ort eines wichtigen Fotos.
DerendorfStadtteil in Düsseldorf, Wohnort von Ede.
Aachener Straße / Kiosk Ort, an dem Prepaid-Karten für anonyme SMS gekauft werden.
Emmerich e.V. – Logistikhof Sitz des Vereins, Zentrum der kriminellen Aktivitäten.
Ein metallisches Klicken. Dann – ein Fauchen. Flammen. Ein blauer Kern, orange Zunge, gierig, lebendig. Wie ein Tier.
Der Geruch von Gas und karamellisierendem Zucker – süßlich, beißend … Eine Hand, die den Brenner schwenkt. Ein silbernes Werkzeug, das zischelt wie eine Schlange. Ein Gesicht dahinter. Lächelnd. Professionell. Nichtsahnend.
Nicht schon wieder!, dachte Berringer. Aber sein Körper dachte schneller als sein Kopf.
Er sprang auf, riss den Mann mit dem Brenner am Handgelenk herum, drehte ihn gegen die Wand und drückte die Flamme zur Seite, weg von Papieren, der Blümchentapete, dem Gardinenrest, den Vanessa sowieso noch nie hatte austauschen lassen, obwohl sie es seit Monaten ankündigte.
„Spinnst du, Berry!“, schrillte Vanessa, und die silbernen, viel zu großen Creolen an ihren Ohren klimperten dazu, als hätten sie ihren eigenen Alarmton.
Der Typ mit dem Gasbrenner stieß einen Schrei aus und ließ das Gerät fallen. Die Flamme erlosch, als das Ventil auf den Boden knallte.
„Aua!“, keuchte er. „Sind Sie irre?“
„Hör auf, Berry“, fuhr Vanessa fort, eine Spur leiser. „Gleich. Loslassen.“
Die Watte im Kopf. Die Erinnerung, die in einer einzigen Sekunde an alle Ränder seiner Wahrnehmung sprang. Bettina. Alexander. Der Wagen. Feuer.
Berringer ließ los. Er stand da, atmete, als hätte er eben einen Sprint hingelegt, und fühlte, wie sein Herz versuchte, durch die Rippen zu hämmern.
„Entschuldigen Sie“, sagte er. Es klang rau. Fremd in seinem eigenen Mund. „Ich … Das ist … unglücklich.“
„Das ist 'n Euphemismus“, murrte Vanessa. Sie hob den Brenner auf, drehte das Ventil zu und stellte das Teil so demonstrativ weit weg, als wäre es eine Handgranate. „Man kündigt Flammen vorher an, wenn man in ein Büro kommt, in dem Papier herumliegt. Oder man lässt es gleich bleiben. Oder man fragt. Oder …“
„Schon gut“, sagte der Mann an der Wand und rieb sich das Handgelenk. „Ich bin der Kunde. Ich bin nicht hergekommen, damit man mich an die Wand nagelt.“ Er trug ein dunkelblaues Jackett, grell gemusterte Krawatte, dazu Turnschuhe, die zu weiß waren, um tatsächlich gelaufen zu sein. Ein Lächeln, das per Knopfdruck zu funktionieren schien, jetzt aber irgendwo in der Mechanik hängenblieb.
„Name?“, knurrte Berringer, während er sich zwang, seine Hände ruhig zu halten. Er ließ sich in den Stuhl fallen, der hinter seinem Schreibtisch stand, und wunderte sich, wie laut der Federkern schnarrte.
„Rico Falk“, stellte der Mann sich vor und straffte sich. „Event-Chef beim Museum Kunstpalast.“ Er wedelte mit einer Mappe, als sei sie ein Persilschein. „Wir eröffnen am Freitag die Sonderausstellung ‚Feuer & Licht – Malerei des Barock‘. Ich wollte Ihnen zeigen, wie die Zuckerkruste …“ Er deutete auf ein Tablett, das er auf Vanessas Schreibtisch abgestellt hatte – vier Crème-brûlée-Portionen, die jetzt aussahen wie Haut nach einem missglückten Sonnenstudio-Tag. „Tja. Egal. Sind jetzt kalt. Zum Mitnehmen.“
„Wir sind kein Catering“, sagte Vanessa, „aber ich nehme… also …“ Sie zog eine Tasse zu sich heran, schnupperte, ließ es dann bleiben. „Später.“
„Setzen Sie sich, Herr Falk“, sagte Berringer. Und in seinem Kopf: Konzentrier dich. Hier. Jetzt. Kein Feuer. Nur Gasgeruch, der verschwindet. Vanessa. Schreibtisch. Die alte Blümchentapete, die wie ein Pastell erinnert, dass Zeit vergeht. Uhr: 11:17.
Falk setzte sich. Er hatte den Brenner an Vanessas Schreibtisch gelehnt, als hätte er Angst, das Ding wieder in die Hand nehmen zu müssen. „Man hat mir Sie empfohlen“, sagte er. „Jemand von der Stadt. Ein Referent aus der Kulturverwaltung. Er meinte, Sie hätten … starke Nerven.“
Vanessa schnaubte. „Wenn kein Feuerzeug im Spiel ist, ja.“
Falk nickte unsicher. „Es geht um Drohungen“, begann er. „Und um einen Toten.“
Berringer sagte nichts, wartete. Er hatte gelernt, dass die fünf Sekunden Schweigen oft mehr bewirken als fünf Minuten Fragen.
„Wir zeigen ab Freitag eine Leihgabe aus Rotterdam“, fuhr Falk fort. „Ein kleines Gemälde. Winzig, aber – wenn Sie Kuratoren glauben – von weltgeschichtlicher Bedeutung. Eine Ölskizze. Rubens. ‚Brand von Troja‘. Ein Ding so groß wie ein Taschenkalender, Wert … keine Ahnung. Zwölf, fünfzehn Millionen, je nachdem, wen Sie fragen.“
„Und?“, fragte Berringer.
„Seit eineinhalb Wochen bekommen wir Mails. Erst an die allgemeine Adresse, dann direkt an mich. Betreff: ‚Feuer gehört den Göttern‘. Immer das Gleiche: Wir sollen die Ausstellung absagen, sonst …“ Er machte eine vage Handbewegung. „… sonst brennt es. Wörtlich.“
„Und der Tote?“, fragte Berringer.
Falk schluckte. „Gestern Nacht starb unser Kurier. Er war mit einem Teil der Sicherheitsdokumente in der Tiefgarage des Hotels. Herzstillstand, sagt man. Aber … sein Wagen … der Wagen war verrußt. Innen drin. Kein offenes Feuer. Kein Brand. Nur …“ Er verhedderte sich. „Ich bin kein Techniker.“ Er rieb sich das Handgelenk, das langsam einen roten Druckstreifen zeigte. „Die Polizei sagt, da sei nichts Auffälliges. Man wolle die Obduktion abwarten. Aber ich …“ Er senkte die Stimme. „… ich kann kaum noch schlafen. Wenn das passiert, wenn am Freitag … vor all den Leuten …“ Er brach ab, biss in seine Lippe, zwang das Lächeln zu einem Comeback. Es war wie ein zu enges Sakko: Man sah, es passte nicht.
„Sie wollen Schutz“, sagte Berringer. „Und Sie wollen, dass ich herausfinde, wer hinter den Mails steckt.“
Falk nickte hastig. „Und ob der Tod von Martin – dem Kurier – wirklich ein Herzversagen war.“ Er zog eine ausgedruckte Mail aus der Mappe und legte sie auf den Tisch. „Sehen Sie: ‚Feuer gehört den Göttern. Wer es stiehlt, verbrennt.‘ Das kommt immer wieder. Und gestern: ‚Protokoll Prometheus 3/7. Fackel am Freitag.‘“
Vanessa beugte sich vor. „Prometheus?“, fragte sie. „Klingt nach Künstlersozialkasse, aber …“ Sie sah Berringer an. „Du magst doch die alten Geschichten, Berry. Oder?“
„Er hat das Feuer den Göttern gestohlen und den Menschen gebracht“, sagte Berringer. „Dafür wurde er bestraft. Jeden Tag kommt ein Adler …“ Er brach ab. Die Ironie, dass ausgerechnet er über Feuer redete, war nicht zu übersehen. Nicht für Vanessa, die ihn halb liebevoll, halb besorgt musterte.
„Ich will keine Polizei in der Eingangshalle“, sagte Falk. „Keine Uniformen. Keine Presse. Wenn das rauskommt … die Holländer sind ohnehin …“ Er schnitt die Satzhälfte ab, als ob er gemerkt hätte, dass er gerade diplomatisch dünnes Eis betreten hatte. „Verstehen Sie mich richtig: Ich will, dass die Polizei das prüft. Aber ich will auch wenige, die … unauffällig … schauen.“
„Und Sie sind auf die geniale Idee gekommen, hier mit einem Flammenwerfer zu testkochen?“, fragte Vanessa und stemmte eine Hand in die Hüfte.
„Es sollte eine Geste sein“, sagte Falk kleinlaut. „Crème brûlée beim Presserundgang. Feuer als Thema. Ein bisschen Show. Ich dachte …“ Er verstummte unter Berringers Blick.
„Gut“, sagte Berringer. „Bevor wir über Honorare reden: Ich sehe mir die Mails an. Und ich will alles über Ihren Kurier. Name, Hotel, Zimmer, Gewohnheiten. Außerdem die Sicherheitsprozesse für Freitag und die Transportlogistik der Leihgabe.“
„Die Leihgabe ist noch im Außenlager“, sagte Falk. „Außenlager Meerbusch-Osterath. Hochsicher, sagt die Leihfirma. Morgen sollte sie rüber.“ Er hielt inne. „Wissen Sie, ich … ich habe noch nicht mal meiner Frau erzählt, dass ich nachts aufwache, weil ich …“ Er brach ab. „Ich hatte gehofft, dass man Sie … dass Sie …“ Er verhedderte sich erneut.
Vanessa rettete ihn. „Wir schicken Ihnen die Preisliste. Sie sind kultur, Sie haben Budgets, nehme ich an. Berry ist nicht billig, aber jeden Euro wert.“
„Vanessa“, warnte ihn Berringer flach.
„Ja, ja“, winkte sie ab. „Ich weiß, ich weiß.“
„Und noch etwas“, sagte Berringer. „Kein offenes Feuer mehr in meinem Büro.“
Falk nickte. „Verstanden.“ Er stand auf, hielt kurz inne. „Ach, noch was: Es gab vor drei Tagen einen kleinen Vorfall im Museum. Jemand hat nachts im Skulpturenhof eine Fackel angezündet. Nichts passiert. Rußspuren an einer Skulptur. Bronze. Reinigung dauerte zwei Stunden. Kameraaufnahmen unbrauchbar, heißt es. Feuchtigkeit. Nebel. Bla, bla. Aber …“ Er hielt inne. „Ich dachte, Sie sollten es wissen.“
„Haben Sie einen Hausfotografen?“, fragte Vanessa.
„Natürlich. Und einen Social-Media-Mann, der alles, was sich bewegt, filmt.“ Falks Lächeln war zurück, routiniert. „Wir leben von der Inszenierung. Leider.“ Er legte seine Karte auf den Tisch. „Ich erreiche den Intendanten. Und die Restauratorin. Und den Kassenwart. Und … mindestens jeden dritten in Düsseldorf nach drei Minuten. Das ist mein Job.“
„Gut“, sagte Berringer. „Wir melden uns.“
Als Falk gegangen war, blieb die Luft in dem Büro für einen Moment schwer. Vanessa schob ihm wortlos ein Glas Wasser zu. Er trank. Das Zittern in den Händen ließ nach, langsam.
„Hättest du ihn fast umgelegt?“, fragte sie mit einem Anflug von Galgenhumor.
„Er hat’s nicht besser verdient“, murmelte Berringer, dann: „Nein. Er hat’s nicht verstanden.“
„Und jetzt?“, fragte sie.
„Jetzt ruf ich Mark an.“
Mark Lange meldete sich beim zweiten Klingeln. „Ja?“, schnaufte er. „Ich packe gerade Fliesen. Umzug Penthouse. Vierte Etage ohne Aufzug. Macht Laune.“
„Du packst später weiter“, sagte Berringer. „Wir haben einen Einsatz. Museum Kunstpalast. Drohungen, ein Toter in der Hotelgarage, Freitag großer Zirkus. Wir müssen uns das Außenlager anschauen, bevor die Holländer ihren Rubens reinrollen lassen.“
„Klingt teuer“, sagte Mark. „Also für die. Für uns hoffentlich ertragreich. Soll ich Vanessa mitnehmen?“
„Vanessa kommt mit mir ins Museum“, sagte Berringer. „Du fährst zum Hotel, redest mit dem Concierge, dem Nachtportier, dem Garagisten. Such die Kameraabteilung. Und versuch rauszufinden, ob Martin – der Kurier – allein war. Zimmer checken. Diskret.“
„Diskret ist mein zweiter Vorname.“
„Dein zweiter Vorname ist Dispo im Minus“, sagte Berringer. „Ich schick dir gleich die Daten.“
„Hab ich verdient“, gab Mark zu. „Bis später.“
„Und Mark?“, fügte Berringer hinzu. „Kein Mist.“
„Versprochen.“
Als Berringer auflegte, hatte er das Gefühl, eine unsichtbare Hand hätte ihm etwas Gewicht auf beide Schultern gelegt. Ein Toter in einem verrußten Auto, Mails mit Prometheus, ein Event-Mann mit Gasbrenner und ewigem Lächeln.
„LKA?“, fragte Vanessa beiläufig.
„Nein“, sagte Berringer. „Noch nicht. Erst Anderson.“
„Der klingelt dich ab“, prophezeite Vanessa. „Wegen gestern.“
Gestern.
Das FLASH. Der Mastiff. King Arthur. Das Messer. Ho-Mo. Andersons Blick. Frau Doktor Drachenhöhle im Nacken und die Razzia, die im Pressespiegel anders aussehen würde, als Anderson das gebrauchen konnte.
„Er klingelt mich immer ab“, sagte Berringer.
Er griff zum Hörer und wählte.
„Anderson“, meldete sich die vertraut brummige Stimme. Ein Hintergrund voller Rascheln, Stimmen, das Brummen von Klimaanlagen, wie sie nur in Behördenfluren existieren.
„Ich hab was Neues“, sagte Berringer. „Museum Kunstpalast. Drohungen. Protokoll Prometheus. Ein Toter in der Tiefgarage.“
„Prometheus?“, fragte Anderson. „Was willst du mir damit sagen? Dass ihr jetzt in Rätseln sprecht?“
„Mails. ‚Feuer gehört den Göttern‘. ‚Fackel am Freitag‘. Der Kurier des Museums starb in seinem Wagen. Das Auto innen verrußt. Herzstillstand, sagen sie. Ich sag: Guckt euch das genau an.“
„Wo?“
„Hotel Königsallee. Tiefgarage. Nacht. Name des Toten: Martin Gräser. Ich schick dir die Daten. Und – brauchst du den Fall? Oder soll ich dich nerven, wenn es knallt?“
„Ich hab hier gerade …“, Anderson stockte. „Egal. Schick mir es. Wir schicken wen raus. Aber – Berry?“
„Ja?“
„Keinen Mist. Nicht wie gestern. Und halt dich von offenen Flammen fern.“
„Danke für die medizinische Beratung.“
„Gern. Und Berry?“
„Hm?“
„Wiebke hat mich gefragt, ob du lebst.“
„Sag ihr, ich wäre unsterblich.“
„Sag’s ihr selbst“, brummte Anderson. „Und noch eins: Wenn das Museum will, dass wir uns raushalten, sag ihnen: Pech. Drohungen sind unsere Baustelle.“
„Ich sag ihnen: Wir arbeiten nebeneinander her.“
„Wie immer.“
Das Museum Kunstpalast empfing sie mit Glas, Licht und einem Geruch nach geriebenem Messing und teurem Putzmittel. Vor der Fassade hing ein Banner: FEUER & LICHT – DIE KRAFT DES BAROCK. Ein Paar Selfie-Teenies hielt sein Handy in einen unmöglichen Winkel, um beides draufzukriegen: sich und den Schriftzug. Die Sonne stand schräg, der Rhein glitzerte, als hätte jemand Glitzerpuder auf ihn gestreut.
„Guck nicht so“, sagte Vanessa. „Du magst Museen.“
„Ich mag Ruhe“, sagte Berringer. „Und Sachen, die sich nicht in Flammen auflösen.“
Die Eingangshalle war fast leer. Eine ältere Dame mit roter Brille – vermutlich Ehrenamt – erklärte einem Mann aus Ohio, dass sein Ticket morgen auch für das NRW-Forum gelte.
„Herr Falk erwartet Sie im Hinterhaus“, sagte die Dame, als Berringer seinen Namen nannte. „Dritter Flur, letzte Tür, dann bitte klopfen, weil Frau Dr. Steen in der Restaurierung gerade … empfindlich.“
„Frau Dr. Steen?“, fragte Vanessa, als sie durch den langen Gang mit seinen neutralen Wänden, dem Kunstlicht, den gläsernen Türen gingen. „Klingt, als würd sie Petrol trinken zum Frühstück.“
„Restauratorinnen trinken Klebstoff“, sagte Berringer.
Sie klopften. Ein „Moment!“ von innen, dann eine Tür, die einen Spalt aufging, eine Brille erschien, dunkle Augen darüber, streng, klug, gemustertes Tuch, kein Lächeln.
„Ja?“, fragte sie. „Wir arbeiten.“
„Berringer“, sagte er. „Herr Falk –“
„Ja“, sagte sie. „Er hat … angerufen. Setzen Sie den Fuß nicht über die gelbe Linie.“ Sie deutete mit dem Kinn in den Raum hinein, wo auf einem Tisch etwas lag, das aussah wie ein Kinderpuzzle aus dunkelbraunen Plättchen, in Wahrheit aber wohl mehrere hundert Jahre alt war und nicht vollständig.
„Frau Dr. Steen“, kam Falks Stimme von irgendwo links. „Hier!“
Er stand vor einem Monitor, der in Schwarzweiß etwas zeigte, das aussah wie Nebel, der an einer Kamera vorbeizog. „Hier ist die Nacht mit der Fackel“, sagte er. „Man sieht – nichts. Was ich Ihnen zeigen wollte, sind die Mails.“ Er deutete auf einen Laptop. „Und das hier: Wir haben gestern, bevor Martin … nun … Sie wissen schon … eine anonyme Lieferung bekommen. Ohne Absender. Eine Schachtel aus schwarzem Karton. Darin …“ Er sah zu Frau Dr. Steen, als bräuchte er eine Erlaubnis.
„Sagen Sie es“, sagte sie trocken. „Es ist sowieso zu spät, sich über Öffentlichkeitsarbeit zu beschweren.“
„Ein verbranntes Streichholz“, sagte Falk. „Und ein Ausdruck. ‚Prometheus 2/7. Opfergabe angenommen.‘“
„Zwei von sieben“, murmelte Vanessa. „Was war eins?“
„Die Fackel im Skulpturenhof“, sagte Falk. „Da hatten wir am nächsten Tag eine Mail: ‚1/7. Der Funke.‘ Ich hab's zuerst für Kunst gehalten. So perfide das klingt. Aber …“ Er stockte.
„Martin“, sagte Frau Dr. Steen, ohne ihn anzusehen. „Sie meinen Martin. Er war … zuverlässig. Still. Guter Sinn für Kaffee. Hatte sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Außer durch …“ Sie schob die Brille hoch. „… Falschhängungen“, fügte sie hinzu. Es klang wie eine Diagnose. „Wie starb er?“
„Offiziell? Herz. Inoffiziell?“, fragte Berringer. „Das finde ich raus.“
„Die Mails?“, fragte Vanessa. „Wer hat Zugriff?“
„IT sagt, sie kämen via Tor“, sagte Falk. „Sie wissen schon … Anonymisierung. Ich hab Klugscheißer, die mir das in vier Sätzen und sieben Pfeilen erklärt haben. Am Ende: Man weiß nichts.“
„Gibt’s einen Verdächtigen inhouse?“, fragte Berringer. „Jemand mit Groll, jener Typ mit der Fackel, Museumspädagoge mit pyromanischen Ambitionen?“
„Wir haben – wie alle – ein paar … Persönlichkeiten“, sagte Falk. „Aber niemand, der … Ich meine …“ Er brach ab.
„Die Liste derjenigen, die am Freitag im Saal sein werden“, sagte Berringer. „Mit abhängig von ihren Rollen. Redner. Technik. Sicherheitsdienst. Caterer. Der Mann mit dem Brenner.“
„Der Mann mit dem Brenner bin ich“, sagte Falk.
„Ich weiß“, sagte Berringer.
„Ich kann Ihnen die Listen geben“, sagte Falk. „Aber … es sind viele. Und die Holländer haben ihre eigenen Leute. Zwei Kuratoren, eine Leihmanagerin, ein Security von der Versicherung. Sie sind nervös. Sie mögen unsere Türen nicht.“
„Ihre Türen?“, fragte Vanessa.
„Altbau“, sagte Falk. „Die Türen sind gut. Aber die Holländer haben … wie sagt man … Vertrauensthemen.“
„Ihre Außenlageradresse“, sagte Berringer. „Und die Kontakte.“
„Ich maile es Ihnen“, sagte Falk.
„Nein“, sagte Berringer. „Papier.“
Er nahm die handschriftlichen Notizen, die Falk nach kurzem Kramen vorlegte. Osterath. Halde 12. Betreiber: RheinSec Logistics. Ansprechpartner: Schneider. Handy.
„Wir fahren nach Osterath“, sagte Berringer. „Vanessa, du bleibst hier, redest mit Social Media, mit dem Hausfotografen, mit dem Nachtportier des Museums. Frag nach Projekten, die Prometheus oder Feuer als Thema hatten. Jemand, der Kunst mit echten Flammen verwechselt.“
„Und mit Frau Dr. Steen“, sagte Vanessa, und lächelte höflich in Richtung der Restauratorin. „Über …“
„Sie sprechen nicht mit mir“, unterbrach diese. „Nicht solange Klebstoff trocknet.“
„Ich rede später mit Ihnen“, sagte Berringer. „Über Martin.“
Ihr Blick blieb hart, dann – ein kaum wahrnehmendes Nicken. „Später“, sagte sie.
Auf dem Weg nach Osterath fuhr Berringer über den Rhein, sah die Schiffe, dachte an sein eigenes. An die NAMENLOSE, die zwischen zwei Frachtern gefangen lag, wie zwischen zwei Zähnen. Vanessa hatte es mit einem Augenrollen kommentiert: „Romantik minus.“ Er hatte gelacht, obwohl ihm nicht danach war.
Das Außenlager lag dort, wo Außenlager nun mal liegen: am Rand. Ein Zaun. Eine Schranke. Eine Kamera, die ihre Existenz wichtig nahm. Ein Pförtnerhäuschen, von dem man annahm, dass darin Menschen wohnen, die mit einem Ton fragen: „Wohin des Wegs?“
„RheinSec“, sagte der Mann im Häuschen. Schlips, der die besten Jahre hinter sich hatte. „Zweck?“
„Berringer“, sagte er. „Wir haben einen Termin mit Herrn Schneider.“
„Sie haben keinen Termin“, sagte der Mann.
„Dann haben wir jetzt einen“, sagte Berringer. „Herr Schneider?“
Ein kurzer Austausch über die Haussprechanlage, dann ging die Schranke hoch. Es war, wie immer in solchen Anlagen, sauber, zu sauber. Die Luft roch nach Luftaustausch.
Herr Schneider war einer jener Männer, die in Sicherheit arbeiten und doch stets aussahen, als müsste man sie beschützen: zu blass, zu dünn, zu viel Haut an den Händen.
„Ich weiß, warum Sie da sind“, sagte er. „Und ich weiß, was Sie fragen werden. Die Antwort lautet: Nein. Keine Kompromisse. Keine Verschiebungen. Keine Probelieferungen. Die Holländer haben gestern – ich sag mal – eine Nachtschicht eingelegt, um noch einmal alle Siegel zu prüfen. Heute früh kam bei uns …“ Er hielt inne. „… eine Drohung an. Anonym. Auf Papier. In unserem Postkasten. ‚Prometheus 4/7. Die Lieferung wird geweiht.‘“
„Geweiht“, wiederholte Berringer. „Wie viele Mitarbeiter haben Zugriff auf den Postkasten?“
„Drei“, sagte Schneider. „Und die Post. Und jeder, der den Zaun überklettert. Aber der Zaun ist …“ Er brach ab, weil selbst er begriff, wie das klang.
„Zeigen Sie mir die Halle“, sagte Berringer.
Sie gingen durch Gänge, die aussahen, als hätte jemand eine Klinik mit einem Flughafen gekreuzt. Tore. Licht. Kodetastaturen. Scanner. Eine Halle, in der Kisten standen, die aussahen, als würden darin Elefanten reisen. Schneider zeigte auf eine Kiste, so unscheinbar, dass sie auffiel. „Das ist sie“, sagte er. „Kein Mensch ahnt das.“
„Jeder, der Ihre Pläne kennt“, sagte Berringer. „Jeder mit einem Drucker und einem Postkasten. Jeder, der ‚Feuer & Licht‘ auf Plakaten liest.“
„Danke“, sagte Schneider düster. „Das hilft mir sehr.“
„Ich brauche die Sicherheitspläne von hier bis Museum“, sagte Berringer. „Route. Uhrzeit. Kennzeichen. Wer fährt. Wer öffnet.“
„Ich kann …“, begann Schneider.
„Er kann“, sagte eine Stimme hinter ihnen.
Berringer drehte sich um. Eine Frau stand da. Ende dreißig, Haare streng zum Zopf, die Art von Haltung, die verriet, dass sie Verantwortung trug, als sei es ein Kleidungsstück, das sie jeden Morgen bewusst anlegte. „Lohmann“, sagte sie. „Versicherung. Wenn Sie den Transport sehen wollen, ziehen Sie die Schuhe aus.“
„Ich will ihn nicht sehen“, sagte Berringer. „Ich will, dass er ankommt.“
„Das wollen wir alle“, sagte sie. „Und? Schützt uns die Polizei? Oder müssen wir uns auf Männer mit Gasbrennern verlassen?“
„Meine Frage stelle ich noch einmal“, sagte er. „Wer weiß neben Ihnen, Herrn Schneider und Herrn Falk, dass der Transport morgen stattfindet?“
„Zu viele“, sagte sie. „Kunst ist ein Dorf. Ein lautes Dorf.“
„Haben Sie einen Verdächtigen?“, fragte Berringer.
„Ich verdächtige Prinzip“, sagte sie. „Menschen lieben Aufmerksamkeit. Manche lieben Feuer. Und einige lieben es, beides zu mischen.“
Auf dem Rückweg zum Wagen vibrierte Berringers Handy. Eine Nachricht von Mark: Zimmer von Martin Gräser sauber. Keine Medikamente. Concierge sagt: Martin trank Wasser. Nachtportier: Hat Martin um 0:17 Uhr in die Garage gehen sehen. Kamera? Wieder „Feuchtigkeit“. Ich liebe „Feuchtigkeit“.
Noch eine Nachricht, diesmal von einer Nummer, die er in seinem Kopf automatisch mit einem roten Ausrufezeichen markierte: WIEBKE.
wann, stand da.
Er starrte auf das Wort. Dann tippte er: heute.
Ein paar Sekunden später: wo
Er schrieb: nach Feierabend. am rhein
ok, kam zurück. Kein Satzzeichen. Keine überflüssigen Wörter. Wiebke schrieb wie sie sezierte: effizient.
„Siehst du mal“, sagte Vanessa, die sich mit leicht geneigtem Kopf über das Display beugte, ungebeten, natürlich. „Frau Dr. hat Zeit.“
„Frau Dr. hat immer Zeit“, sagte er. „Für Tote.“
„Du bist unmöglich.“
Zurück im Museum wartete Vanessa bereits im Café auf ihn, eine Limo vor sich, die aussah wie flüssiges Plastik. „Social Media sagt: Es gab eine Performance vor zwei Jahren, da hat ein Künstler mit einer Fackel gemalt. Der hieß … warte … ich hab's … Nestor Paludan. Dänemark. Probleme mit Genehmigungen. Fast Brandschutzalarm. Dann Sponsoring-Desaster.“
„Kontaktdaten?“, fragte Berringer.
„Tot“, sagte Vanessa.
„Wie bitte?“
„Tot“, wiederholte sie. „Vor einem Jahr. Atelierbrand in Kopenhagen. Ironie, hm?“
Berringer sah hinaus. Auf dem Platz vor dem Museum hatte jemand mit Kreide eine Linie gezogen und Feuerzeugflammen daneben skizziert. Jemand hatte mit dem Fuß eine der Flammen verwischt. Ein Wind hob Papiere, trug sie ein Stück, ließ sie fallen.
Sein Handy vibrierte erneut. Anderson.
„Wir haben den Kurier auf dem Tisch gehabt“, sagte Anderson ohne Einleitung. „Kein Herzinfarkt. Rauchgasreizung in den Bronchien. Keine Verbrennungen. Keine Rußpartikel unter den Nägeln. Kein CO-Vergiftung. Nichts Eindeutiges. Aber – das ist interessant: In den Nasenvorhöfen Reste von …“ Er stockte. „… irgendeinem starken Oxidationsmittel. Kein Benzin. Kein Diesel. Eher …“ Er klickte, als durchblättere er digitale Seiten. „Natriumperchlorat? Hans-Werner wird's mir in fünf Minuten erklären.“
„Was heißt das?“, fragte Berringer.
„Dass jemand in dem Wagen einen Effekt erzeugt hat, der … Atemwege reizt. Akut. Panik. Atemkrampf. Und danach ist der Wagen … abgelüftet. Du weißt, was ich meine.“
„Ich weiß, dass das kein Unfall war“, sagte Berringer.
„Ich weiß, dass du weißt, dass du recht hast“, sagte Anderson. „Noch was: Prometheus? Wir hatten vor zwei Monaten eine Serie mit jemandem, der in der Altstadt Mülltonnen angezündet hat. In den Ecken kleine Notizen: ‚Feuer gehört …‘ – du weißt schon. Wir haben den Typen. Wohnsitzlos. Schizophren. Klinik. Der kann es nicht gewesen sein.“
„Oder jemand hat ihm das gestohlen“, sagte Berringer.
„Oder jemand will, dass wir das denken“, erwiderte Anderson. „Berry, ich hasse meta. Aber: Halte den Kopf unten. Und – sag Falk, er soll die Presse nicht füttern. Sonst hab ich Frau Dr. Müller-Steffenhagen mit einem Fernglas im Büro sitzen.“
„Zu spät“, sagte Berringer. „Falk ist Presse.“
„Ich weiß.“
Als er auflegte, sah Vanessa ihn an. „Und?“, fragte sie.
„Kein Herz. Chemie. Theater“, sagte er.
„Theater haben wir am Freitag genug“, sagte sie. „Apropos: Das Catering hat angerufen.“
„Wieso?“, fragte er.
„Sie hätten gern eine Liste mit Personen, die keine Crème brûlée dürfen, wegen Laktose.“ Sie grinste. „Soll ich ihnen deins schicken?“
„Schick ihnen Ricos Brenner“, sagte er.
Er stand auf. „Ich rede mit Dr. Steen“, sagte er. „Und dann fahren wir. Osterath will ich im Dunkeln sehen.“
„Ich mach noch die Runde beim Nachtportier“, sagte Vanessa. „Und beim Hausfotografen. Und …“ Sie beugte sich vor, senkte die Stimme. „Vorsicht, Berry. Wenn jemand ‚Fackel am Freitag‘ schreibt, meint er nicht Poesie.“
„Ich weiß“, sagte er. Und in seinem Kopf: Klicken. Fauchen. Flammen. Ein Gesicht. Prometheus. Adler.
Er ging zurück in den Flur, wo die Luft nach Leim roch, nach Holz, nach Geduld. Frau Dr. Steen stand am Tisch und hielt mit einer Pinzette ein winziges Pinselhaar, das sie auf eine Kante setzte, als sei es ein Brückenpfeiler.
„Fünf Minuten“, sagte sie, ohne aufzusehen.
„Ich brauche drei“, erwiderte er.
„Dann bleiben zwei übrig.“
„Martin“, begann er. „Was wissen Sie über ihn, was nicht in Personalakten steht?“
„Sein Lachen“, sagte sie. „Es kam wie aus einem Brunnen. Tief. Selten. Aber wenn es kam, war es …“ Sie suchte das Wort. „… warm. Er trug graue Socken. Er trank Wasser. Er wusste, wie man Kisten anfasst, ohne sie zu berühren. Und er schrieb E-Mails wie jemand, der Briefe gelernt hat.“
„Feinde?“
„Er war Kurier“, sagte sie. „Kuriere haben keine Feinde. Sie haben Staus. Und Schweiß.“
„Jemand, der ihm etwas ins Auto gelegt haben könnte?“
„Jeder“, sagte sie. „Und niemand. Fragen Sie den Hausmeister.“
„Frage ich. Und Sie?“, fragte er. „Haben Sie Feinde?“
Sie hob den Blick. „Ich bin Restauratorin“, sagte sie. „Wir haben nur zwei Feinde: Zeit. Und Geld.“
„Und Feuer“, sagte er.
Ihre Augen wurden für einen Sekundenbruchteil weicher. „Ja“, sagte sie. „Und Feuer.“
Draußen stieß jemand die Glastür auf, und ein Windstoß fuhr durch die Halle. Ein Prospekt für „Feuer & Licht“ flatterte über den Boden, drehte sich, blieb an einem Schuh liegen.
Berringer trat hinaus, atmete die Luft, die nach Rhein roch, nach Herbst, obwohl es erst Anfang September war. Er fühlte, wie die Wärme in seiner Brust sich beruhigte. Nicht Ruhe. Aber die Illusion davon.
Sein Handy vibrierte noch einmal. Eine Nummer ohne Namen. Eine SMS.
fackel am freitag. 5/7. das feuer gehört den göttern. bekommen sie angst? – p
Er starrte auf das P. Nicht Prometheus. Nicht Paludan. Nicht Perchlorat.
Nur: P.
Er hob den Blick. Über dem Banner FEUER & LICHT stand die Sonne. Und für einen Moment glaubte er, der Schriftzug würde glühen.
„Na ja“, murmelte er. „Wir sehen uns am Freitag.“
„Was?“, fragte Vanessa, die in diesem Moment hinter ihm auftauchte.
„Nichts“, sagte er. „Wir haben Arbeit.“
Sie gingen. Hinter ihnen blieb das Museum zurück, als wäre es ein Schiff aus Glas, das kurz vom Wind bewegt wurde. Vor ihnen lag der Freitag.
Und ein Versprechen, das nur einer meinte, einlösen zu können: dass Feuer Götter brauche.
Nicht bei mir, dachte Berringer.
Nicht bei mir.
Der Himmel über Meerbusch hatte die Farbe von abgestandenem Spülwasser. Die Luft hing schwer, T-Shirt-klebrig. Auf der Zufahrt zum Außenlager sahen die Scheinwerfer des Opel aus, als würden sie Watte schneiden.
„Du bist sicher, dass wir das heute schon machen?“, fragte Mark am Telefon. Er klang müde. „Ich hab nur noch fünf Prozent Akku und drei Prozent Moral.“
„Fahr zur Königsallee und hol dir vom Nachtportier die Schlüsselprotokolle“, sagte Berringer. „Und frag, ob es in der Garage Reinigungsarbeiten gab. Irgendein Einsatz von Nebelmaschinen oder was auch immer sie als ‚Feuchtigkeit‘ bezeichnen.“
„Ich hab denen schon erklärt, dass Nebel in Garagen nicht vorkommt, wenn nicht gerade jemand ‚Phantom der Oper‘ aufführt“, brummte Mark. „Ich geh noch mal hin. Und du?“
„Ich geh spazieren“, sagte Berringer. „Am Zaun.“
Vanessa griff nach ihrer Jacke. „Ich komme mit“, sagte sie. „Ich brauch Schritte für meine App.“
„Du bleibst im Wagen“, sagte er.
„Wieso?“
„Weil einer von uns erreichbar sein muss, wenn Anderson anruft“, sagte er. „Und weil du dir in einem Gebüsch diese Schuhe ruinierst.“
Sie blickte auf ihre Schuhe, die tatsächlich mehr Mode als Fortbewegung waren, und verzog den Mund. „Feigling“, sagte sie trotzdem, setzte sich aber wieder. „Ich halte die Augen offen. Und die Ohren.“
Er stieg aus. Feuchtigkeit hing über dem Boden, als hätte die Erde geschwitzt. Hinter dem Zaun: die Halle, die Kisten, die Sicherheit. Davor: Gestrüpp, Dornen, Brennnesseln, die aussahen, als hätten sie Spaß.
Er ging am Zaun entlang, niedrig, geduckt, der Atem ruhig. Das Metall summte leise – das Summen der Zivilisation: Strom, Server, fernes Autobahnrumpeln.
Nach zweihundert Metern fand er, was er erwartete. Oder befürchtete. Jemand hatte das Drahtgeflecht ausgehoben, knapp über dem Boden. Sauber, vorsichtig. Die Enden waren mit schwarzen Kabelbindern dezent zur Seite gehalten. Groß war die Öffnung nicht. Groß genug für einen Arm. Oder eine kleine Schachtel.
„Vanessa“, flüsterte er ins Handy. „Zweihundert Meter rechts vom Tor. Bring das Licht.“
Sie kam, nicht ohne zu stolpern, das Handy als Taschenlampe, die Schuhe – nun ja – ruiniert. „Tolle Idee“, zischte sie. „Spaziergänge im Brennnesselfeld. Romantik minus zwei.“
„Halt das Licht tiefer“, sagte er.
Unter der Kante, dort, wo der Boden zu einer feinen, grauen Staubschicht wurde, lag etwas, das aussah wie ein Spielzeug. Ein schwarzer Zylinder, die Größe einer Filmdose, eine kleine perforierte Kappe, ein Rändel.
„Nicht anfassen“, sagte Berringer, und Vanessa hatte ihre Hand schon zurückgezogen, kaum dass sie sie ausgestreckt hatte.
„Was ist das?“, flüsterte sie.
„Kann vieles sein“, sagte er. „Kaliumpermanganat ist violett. Das hier ist schwarz. Pyrotechniker würden lachen. Ich nicht.“
Er holte seinen Schlüsselbund, zog eine Büroklammer. Mit der bogenförmigen Spitze hebelte er das Ding an. Es lag leicht. Nicht schwer wie eine Bombe. Eher wie... Air Freshener. Oder … Atemreiz.
„Die Garage“, murmelte er. „Perchlorat. Aerosole. Jemand hat ein Ding wie dieses unter Martins Sitz geschoben. Er schaltet die Lüftung ein. Es vernebelt. Panik. Atemkrampf. Kein Feuer notwendig. Nur das Versprechen davon.“
„Prometheus als Heizungsinstallateur“, sagte Vanessa leise. „Toll.“
„Ruf Anderson an“, sagte Berringer. „Sag ihm, dass wir hier ein Geschenk haben, das er haben will. Und sag RheinSec, sie sollen die Halle dicht machen, bis jemand von der Spurensicherung hier war. Kein Heldentum.“
„Und du?“, fragte sie.
„Ich setze mich ins Auto und warte darauf, dass mir einfällt, warum man ‚5/7‘ schreibt, wenn man erst bei ‚4‘ ist“, sagte er.
Sie starrte ihn an. „Das ist Mathe, nicht dein Gebiet“, murmelte sie, nahm das Handy und fing an zu wählen.
In seinem Kopf klickten Zahnräder, langsam, getagt. 1/7 Fackel im Hof. 2/7 Streichholz im Karton. 3/7 Ankündigung. 4/7 Postkasten im Lager. 5/7 SMS an ihn. Warum? Warum er? Weil er da war? Weil er es sehen sollte? Oder weil jemand wollte, dass er Angst bekam?
„bekommen sie angst? – p“, klang es in seinem Kopf.
Er blickte zu der Halle. Hinter den milchigen Fenstern bewegte sich ein Schatten. Jemand, der zu spät Feierabend machte.
„Anderson kommt“, sagte Vanessa, als sie zurückkam. „Er hat ‚bleibt, wo ihr seid‘ gesagt. Und dann ‚untersteht euch‘.“
„Klingt nach Thomas“, sagte Berringer.
Sie lehnten am Auto, und für einen Moment war nichts. Dann hörten sie das, was die Nacht immer verriet: einen falsch gedämpften Schritt. Jemand, der sich Mühe gab – und es dadurch schlimmer machte.
„Da“, hauchte Vanessa. Ein Schatten löste sich vom Zaun, einen Dutzend Meter entfernt von der Öffnung. Kein Klettern. Ein Gleiten. Wie ein Tier. Keine Neonjacke. Dunkel. Kapuze.
„Bleib hier“, sagte Berringer.
„Ich bleibe nirgends“, widersprach sie, aber leiser, und blieb dann doch, weil ihr Körper entweder klüger war als ihr Mund oder weil ihre Schuhe protestierten.
Berringer bewegte sich in die andere Richtung, leicht nach innen, als wollte er den Weg kreuzen. Der Schatten war schnell. Kein Profi. Aber kein Anfänger.
Die Wiese gluckste leise unter den Sohlen. Berringer duckte sich, ließ ihn vorbei, roch den süßen, chemischen Hauch, den manche billigen Parfüms an sich hatten, und den Gummi von Handschuhen.
„Hallo“, sagte er ruhig, als der andere fast an ihm vorbei war.
Der Schatten fuhr herum. Ein Blitzen. Kein Messer. Ein Spray. Er hörte das Zischen, ehe er es roch.
Er drehte den Kopf zur Seite, hob den Arm, spürte das Brennen in der Wange, nicht in den Augen. Der Nebel verteilte sich, glitt über die Haut, das Kratzen in der Kehle, das Husten, das er unterdrückte.
„Lauf!“, schrie Vanessa. Nicht sehr hilfreich, aber gut gemeint.
Der Schatten setzte an, sprang zur Öffnung im Zaun.
Berringer sprang mit. Er packte das Handgelenk, spürte die Kälte des Gummis, das Zucken darunter. Ein kurzer Tanz, falsch geführt. Der andere riss sich los, rutschte, der Draht kratzte. Ein Fluch, dumpf, durch Stoff. Er verschwand unter dem Zaun, eine Bewegung, die einem Tier alle Ehre gemacht hätte.
„Kennzeichen, Vanessa!“, rief Berringer.
„Ich hab nur sein Parfum!“, rief sie zurück. „Und … warte … da! Ein Roller. Schwarz. Ohne Kennzeichen. Ehrlich? Ohne.“
Der Motor heulte auf, zu hoch, zu nervös. Er hörte das Knirschen auf Kies. Dann nur noch Nacht.
„Super“, murmelte Vanessa, als er zurückkam. „Wir sind gegen jemand angetreten, der in der Schule immer ‚Chemie‘ mochte und ‚Verstecken‘ hasste.“
„Er mochte auch Handschuhe“, sagte Berringer, zeigte die schmale, helle Linie auf der Innenseite des Unterarms, wo der Draht durch Stoff gefahren war. „Und er mochte es eilig.“
„Anderson wird uns lieben“, sagte Vanessa.
„Er liebt uns immer“, sagte Berringer.
Sie warteten. Es dauerte, wie es immer dauerte. Erst kam ein Streifenwagen, der sich an der Schranke festfuhr, weil er die Karte suchte, die er nicht hatte. Dann ein zweiter, dessen Fahrer die Schranke mit dem Selbstverständnis eines Mannes öffnete, der täglich Schranken öffnet. Dann Anderson. Er stieg aus, sah erst Berringer, dann das Loch im Zaun, dann den Zylinder auf dem Gras.
„Wenn du mir jetzt sagst, das Ding heißt ‚Prometheus 3000‘, geh ich nach Hause“, brummte er.
„Es heißt ‚Zisch‘“, sagte Berringer. „Oder so ähnlich. Hans-Werner wird‘s wissen.“
„Hans-Werner ist nicht mein Gott“, sagte Anderson. „Aber … ja. Er wird’s wissen.“ Er sah zu Vanessa. „Alles in Ordnung?“
„Besser als Ihre Laune“, sagte sie.
Er atmete aus, ein Lächeln, das die Hälfte seiner Züge schaffte. „Hör mal, Karrenbrock“, sagte er. „Wenn du dich mit einem Mann einlässt, der Museen bewacht und Zäune auseinander nimmt, wirst du irgendwann in einer nassen Wiese stehen. Das steht im Kleingedruckten. Du kannst noch zurück.“
„Ich lese nie Kleingedrucktes“, sagte sie.
„Das dachte ich mir“, sagte Anderson.
Sie erzählten. Anderson hörte zu, nahm den Zylinder mit zwei Finger in eine Tüte, als sei es eine Spinne, die man nicht töten wollte. Er nickte, schnaubte, fragte, murmelte in sein Diktiergerät. Typisch Thomas.
„Und jetzt?“, fragte Vanessa.
„Jetzt fahren wir alle heim“, sagte er. „Ihr schlaft. Ich tu so, als ob. Morgen früh reden wir mit dem Museum. Und wir gehen mit dem Sicherheitschef an die Decke. Und wir bewachen den Transport, als wäre er der Papst. Und Frau Dr. M.-S. wird mir genau erklären, wie ich das zu tun habe.“
„Ich treffe Wiebke“, sagte Berringer.
„Natürlich“, sagte Anderson. „Grüß sie. Sag ihr, dass ich sie nicht beneide.“
Die Nacht am Rhein war so, wie man sie klischeehaft in Werbebroschüren abbildet: Wasser, das in der Dunkelheit zu Licht wird, Brücken, die Bänder aus gelben Punkten sind, das Summen von Stadt. Wiebke stand mit dem Rücken gegen das Geländer, die Hände in den Taschen, die Haare im Nacken, keine Knoten, keine Frisur, nur sie.
„Du siehst aus, als hättest du gerade versucht, durch einen Zaun zu kriechen“, sagte sie.
„Ich bin drunter durch“, sagte er.
„Das macht es nicht besser.“ Ein Lächeln, kurz, wie eine Welle, die ans Ufer lief. „Thomas hat mir von Martin erzählt. Ich mag solche Fälle nicht.“
„Ich mag gar keine“, sagte er. „Aber es ist mein Beruf.“
„Und meiner ist es, zu sagen, dass jemand nicht an einem Herzinfarkt gestorben ist“, sagte sie. „Martins Bronchien waren gereizt. Nicht verbrannt. Kein Kohlenmonoxid. Aber etwas …“ Sie suchte nach dem Wort, das sie schon kannte. „… etwas hat ihn umgebracht, was nicht ‚Feuer‘ ist, sondern ‚Feuerersatz‘.“
„Ersatzreligion“, sagte er. „Prometheus. Sieben Schritte. Ein Spiel.“
„Du magst Spiele nicht“, sagte sie.
„Ich mag Regeln“, sagte er. „Und ich mag, wenn sie eingehalten werden.“
„Weißt du, dass du gerade wie ein alter Mann klingst?“, fragte sie.
„Ich bin ein alter Mann“, sagte er.
Sie sah ihn an, und er sah das, was er immer sah, wenn er sie ansah: die Frau, die ihm einmal hatte schmecken lassen, wie es sein könnte, wenn alles anders wäre. Und dann war alles anders geworden, nur nicht so, wie man sich das in Filmen wünscht. Kein Happy End. Nur Leben.
„Ich hab heute eine SMS bekommen“, sagte er. „‚5/7.‘“
„Also noch zwei“, sagte sie. „Und du bist die Zielscheibe dazwischen.“
„Vielleicht“, sagte er. „Es sei denn, jemand will nur zeigen, dass er mitzählt.“
„Erzähl mir von den Mails“, sagte sie.
Er erzählte. Von Falk, von der Fackel, vom Streichholz, von Osterath. Sie hörte zu, wie sie immer zuhörte: mit dem Kopf, mit dem Bauch, mit dem, was man nicht messen kann. Dann sagte sie: „Paludan.“
„Was?“, fragte er.
„Der dänische Feuerkünstler“, sagte sie. „Ich erinnere mich. Wir hatten mal eine Obduktion eines Mannes aus Düsseldorf. War an Rauchgasen gestorben. Werkstatt. Experiment mit Pyrotechnik. Keine Drogen. Keine Absicht. Nur … Versuch und Irrtum. Er hatte einen Blog. Prometheus. Er schrieb darüber, wie Feuer klingt.“
„Feuer klingt?“, fragte er.
„Wie ein Tier, sagt er. Zischend, wenn es atmet.“
„Jemand liest Blogs“, murmelte er.
„Viele lesen. Wenige verstehen“, sagte sie. „Pass auf dich auf.“
„Ich passe immer auf mich auf“, sagte er.
„Nein“, sagte sie. „Das tust du nicht. Aber du tust so.“
Sie stand auf, sah hinaus, als würde der Rhein Antworten geben. „Ruf mich morgen an“, sagte sie. „Wenn …“ Sie brach ab. „Ruf mich einfach an.“
„Mach ich“, sagte er.
Sie ging, ohne sich umzudrehen. Er blieb, bis die Kälte unter seiner Jacke kroch. Dann ging er auch.
Am Morgen kam eine Nachricht von Mark. Er hatte den Garagenwart gefunden, der endlich redete. „Einer mit Hoodie hat gefragt, ob er Feuerlöscher ausleihen darf. Für ein Video. Er hat gesagt, er arbeitet fürs Museum. Hab ihm keine gegeben. Später: ein gelöschter Feuerlöscher im Müll. Du weißt, was das heißt.“
„Ich weiß, dass jemand Vertrauen missbraucht“, schrieb Berringer zurück. „Und dass jemand gerne sagt: ich arbeite fürs Museum.“
Pünktlich um neun stand er wieder in der Halle des Kunstpalasts. Frau Dr. Steen hatte denselben Ausdruck wie gestern: die Sorte Entschlossenheit, die man nur dann bekommt, wenn man Jahre damit zubringt, zu warten, bis Klebstoff trocknet.
Falk hatte seine Krawatte gegen eine andere getauscht, aber das Lächeln war gleich geblieben, nur angespannter. „Die Holländer drohen, zu fahren“, sagte er anstelle von „Guten Morgen“. „Sie sagen, wir können unseren Laden nicht im Griff behalten.“
„Und?“, fragte Berringer.
„Wir zeigen ihnen unsere Listen“, sagte er. „Und Sie zeigen ihnen Ihre Stirn.“
„Meine Stirn?“, fragte Berringer.
„Sie sieht aus, als hätten Sie versucht, durch einen Zaun zu kriechen“, sagte Falk. „Das lieben Versicherer. Männer mit Wunden.“
„Ich habe was Besseres“, sagte Berringer. „Anderson. Uniformen. Und eine Idee.“
„Ich fürchte Ideen“, sagte Falk.
„Ich liebe sie“, sagte Berringer. „Wir machen zwei Transporte. Einen öffentlich. Einen echt. Der echte fährt nicht da, wo er soll. Der falsche fährt mit Tamtam. Der echte fährt, wenn niemand zusieht. Der falsche fährt, wenn alle filmen. Prometheus will Bühne. Wir geben ihm eine. Und nehmen ihm die Fackel.“
„Ich hasse Theater“, murmelte Frau Dr. Steen.
„Dann nennen Sie es Protokoll“, sagte er.
„Und wenn Prometheus das Spiel nicht mitspielt?“, fragte Falk.
„Dann spielt er ein anderes“, sagte Berringer. „Dann spielt er mit Feuer. Und wir mit Wasser.“
Er sah auf die Uhr. Es war Mittwoch. Noch zwei Tage bis Freitag. Zwei von sieben noch zu setzen.
In seinem Handy blinkte eine neue Nachricht auf.
6/7. heute nacht. ponton. p
Er hob den Blick. Draußen, durch das Glas, sah er den Rhein.
„Na gut“, sagte er leise. „Wenn du auf dem Wasser spielen willst, spielst du mit mir.“
„Was?“, fragte Vanessa.
„Nichts“, sagte er. „Wir haben einen Termin. Heute Nacht. Auf einem Ponton.“
„Du machst Witze.“
„Ich mache nie Witze“, sagte er. „Ich hasse Theater.“
„Seit wann?“, fragte sie.
„Seit ich gelernt habe, dass das Leben das bessere Stück schreibt“, sagte er.
Er griff zum Hörer, wählte Anderson. „Thomas?“, sagte er, als der abhob. „Wir brauchen Boote.“
Die Wasserschutzpolizei roch nach Diesel, Kaffee und Papier. Anderson hasste Wasser, das wusste Berringer. Sein Blick, als sie am Steg standen, sagte: „Wenn ich reinfalle, bist du tot.“
„Zwei Boote“, sagte der Leiter der Wasserschutz in einem Ton, als hätte man ihm zwei Nieren abgeluchst. „Eins oberhalb der Oberkasseler Brücke, eins unterhalb. Und Ihre beiden –“ Sein Blick streifte Vanessa und Mark, der sich eine Schwimmweste über das T-Shirt zog, als wäre es eine Zwangsjacke. „– behalten bitte die Füße still.“
„Wir bewegen nur die Augen“, versprach Vanessa, und Anderson schnaubte.
„‚Ponton‘ kann alles heißen“, murmelte Berringer und sah hinaus. Die Nacht legte der Stadt einen Schal um. Zwischen Tonstegen und Anlegern lagen schwarze Rechtecke, Metallgerippe auf Pontons, auf denen tagsüber Lieferanten standen, nachts niemand. Das Wasser machte Geräusche, die klangen, als würde es an Metall lecken.
„Welche?“, fragte Anderson.
„Die Eventplattformen, die man für Feuerwerke benutzt“, sagte Berringer. „Die grauen. Da, wo niemand hinsieht. Außer denen, die hinsollen.“
„Und wir?“, fragte Mark.
„Wir sehen hin“, sagte Berringer. „Du hier am Unterkantensteg. Vanessa am Uerdinger. Thomas – du teilst dein Boot in zwei. Und rappel dich nicht an der Reling fest.“
„Witzbold“, murmelte Anderson, aber sein Blick war wach.
Es wurde kälter. Die Stadt zog die Jacke enger. Ein Mann auf einem Fahrrad fuhr über den Deich, als hätte er vergessen, wohin. Ein Hund schnüffelte an einem Pfosten. Drüben, auf der Konzertseite, rollte eine Straßenbahn an, als würde sie versuchen, leise zu sein.
„Da“, sagte Vanessa ins Funkgerät. „Bewegung. Ponton drei, direkt am Staatstheater.“
Berringer hob das Fernglas. Ein Schatten. Kein Hoodie, diesmal. Eine dunkle Jacke, die im Licht der Brücke kurz metallisch glitzerte. Der Schatten bewegte sich so, wie sich Leute bewegen, die glauben, niemand sähe sie: zu schnell, zu scharf.
„Langsam“, sagte Anderson. „Nicht verschrecken. Wenn das unsere ‚6/7‘ ist, will ich ihn nicht ins Wasser fallen sehen, bevor ich weiß, wer er ist.“
Sie ließen ihn arbeiten. Das ist das schwerste: nicht eingreifen, wenn man sieht, wie sich Hände bewegen. Der Schatten zog etwas aus einer Tasche, etwas Längliches. Kein Streichholz. Kein Spray. Ein Stativ. Er klappte es aus, stellte es an der Kante auf. Ein kleiner Kasten darauf, Hand groß, mit zwei Düsen. Er schob eine Kartusche hinein, die in der Hand ausgesehen hätte wie eine Bierdose. Er schraubte, prüfte, drehte. Professionell. Er arbeitete nicht zum ersten Mal in der Nacht.
„Jetzt“, sagte Anderson, und die Boote bewegten sich, als hätten sie gar keine Motoren, sondern Wille. Zwei Beamte traten aus dem Schatten, die Waffen tief, nicht glänzend.
„Polizei! Hände hoch!“, rief einer, und der Schatten fuhr herum. Kein Weg. Wasser hinter ihm, Polizei vor ihm. Er hob die Hände, langsam. Und lächelte.
„Herr Schiller“, sagte eine Stimme hinter Berringer. Rico Falk. Niemand hatte ihn kommen hören. Er stand neben Berringer, als würde er zu einer Premiere erscheinen. Kein Gasbrenner. Nur dieses Lächeln, das verlassen wirkte.
„Sie kennen ihn?“, fragte Anderson.
„Pascal Schiller“, sagte Falk. „Social Media. Unsere… Stimme.“ Das letzte Wort klang, als habe es eine Gräte.
„Aber nicht mehr“, sagte jemand am Ponton. Der Schatten – jetzt ein Mann mit offener Kapuze – lachte kurz, hart. „Heute ist es meine Stimme.“
„Runter von dem Ding“, sagte Anderson. „Langsam.“
„Nicht, wenn wir nicht reden“, sagte Schiller. Er hielt die Hände noch hoch, aber in dem Satz lag eine Routine. Jemand, der gelernt hatte, Gesprächsführung zu instrumentalisieren.
„Über was willst du reden?“, fragte Berringer und trat vor, soweit der Steg es zuliess. Der Geruch von Rhein war plötzlich stark. Algen, Öl, Metall, auch etwas Süßes, Chemisches, das er inzwischen kannte.
„Über Sinn“, sagte Schiller. „Über Feuer. Über Kunst ohne Filter. Über das, was echt ist.“
„Kunst ist echt, wenn sie nicht brennt“, sagte Falk leise. „Kunst ist, wenn sie bleibt.“
„Falsch“, sagte Schiller, und sein Blick war auf einmal heiß. „Bleiben ist Tod. Kunst ist Bewegung. Transformation. Du hast es vergessen, Rico. Du bist Verwaltung geworden. Du bist Excel. Du bist saubere Türen und kalter Sekt.“
„Was ist mit Martin?“, fragte Anderson, ohne die Waffe zu bewegen.
Der heiße Blick flackerte. „Ein Kollateralschaden“, sagte Schiller. „Er war im Weg. Er war…“ Er stockte. „… er war nicht Teil des Bildes.“
„Du hast ihm eine Dose ins Auto gelegt“, sagte Berringer. „Du wolltest, dass er hustet, panisch wird, dass er… dass er rausrennt, und du ihm etwas hinterherschickst. Es lief anders.“
„Er sollte nicht sterben“, sagte Schiller. Für einen Moment sah er nicht aus wie ein Mann mit eine Agenda, sondern wie ein Kind, das weint, weil sein Experiment schiefgegangen ist. Dann griff er wieder zur schwarzen Pose. „Aber das Bild ist größer als ein Mann.“
„Und ‚6/7‘?“, fragte Berringer. „Was wolltest du hier?“
Schiller nickte zu dem Kasten auf dem Stativ. „Ein Aerosol“, sagte er. „Diese Nacht nur Duft. Morgen –“ Er sah zu Falk. „– morgen das, was wahr ist.“ Er hob die Hände ein Stück höher. „Ich wollte euch zeigen, wie klein ihr seid. Dass ihr nicht jeden Funken erwischt.“
„Wir erwischen dich“, sagte Anderson. „Und damit den Funken.“
Schiller lächelte. Er hob den Kopf, sah über sie hinweg in die Nacht, als würde dort jemand stehen, der ihm applaudierte. Dann machte er das, was Berringer befürchtet hatte: Er sprang.
Nicht ins Wasser. Nach innen. Zum Kasten. Eine Bewegung, kaum länger als ein Atemzug. Ein Finger, der einen Knopf berührte. Ein Zischen.
„Runter!“, schrie Anderson, und die Polizisten warfen sich flach, als gäbe es Deckung auf einem Ponton. Der Nebel stieg, weiß, fein, roch süßlich und scharf. Berringer riss den Schal hoch, den er reflexartig eingesteckt hatte, Vanessa stolperte zurück, Mark packte sie bei der Schulter.
Schiller stand in der Wolke, die ihn wie eine Aura umgab. Er lachte, hustete, lachte wieder, hustete mehr. Das Lachen brach. Er griff an die Kehle. Sein Blick suchte Halt.
„Aus!“, brüllte Anderson, und der Beamte neben Schiller riss das Kabel vom Kasten. Das Zischen starb. Der Nebel hing, löste sich.
Schiller sackte auf die Knie. Er hustete. Und hustete. Und hustete. Es klang trocken und nackt, es klang nach etwas, das bricht. Anderson war in einer Bewegung da, die Handschellen klickten hinter Schillers Rücken zusammen, und das Geräusch klang wie ein Satzzeichen.
„Sanitäter!“, rief einer, aber es gab keine Sanitäter. Es gab nur Wasser und Metall und die Atemzüge von Menschen, die sich daran erinnerten, dass sie atmen mussten.
„Bleib bei mir, Pascal“, sagte Falk plötzlich und stand neben Schiller, kniete in dem nebligen Rest, der über dem Ponton hing. „Bleib bei mir.“
Schiller sah ihn an, und zum ersten Mal war da kein Feuer. Nur Müdigkeit. „Du hast mich vergessen“, flüsterte er. „Ihr alle. Ihr habt nur eure Rahmen gesehen. Und ich…“ Er hustete. „Ich habe Kunst gesehen.“
„Du hast Mord gesehen“, sagte Berringer.
Schiller schloss die Augen.
Die Wasserschutzpolizei zog ihn hoch, als wäre er ein nasser Sack. Er wehrte sich nicht mehr. Anderson gab kurze, kalte Anweisungen, und in ihnen lag so etwas wie Erleichterung, die er nicht zeigen würde.
„6/7“, sagte Vanessa leise und sah auf den Kasten. „Und 7/7?“
„Freitag“, sagte Berringer. „Immer noch Freitag.“
„Aber er ist doch…“, begann Mark.
„Nicht er“, sagte Berringer. „‚P‘ hat sich gern inszeniert, aber Ideen haben Freunde. Oder Erben. Oder –“ Er sah zu Falk. „– Komplizen.“
Falk schüttelte den Kopf. „Ich wusste es nicht“, sagte er. „Ich… ich habe nur gemocht, was er tat. Seine Bilder. Seine Geschichten.“
„Und seine Wut?“, fragte Berringer.
„Die hab ich übersehen“, sagte Falk, und zum ersten Mal seit sie ihn kannten, lächelte er nicht.
Anderson kam zurück vom Funk. „Er lebt“, brummte er. „Er wird atmen lernen, ohne dass es brennt. Und dann reden wir. Und Frau Dr. M.-S. wird mir erklären, dass alles meine Schuld ist.“
„Ist es nicht“, sagte Vanessa.
„Das hindert sie nicht“, sagte Anderson. „Und jetzt fahrt nach Hause. Oder wo auch immer hin. Morgen wird…“ Er sah hinaus auf das Wasser. „… morgen wird ein langer Tag.“
„Freitag wird länger“, sagte Berringer.
„Halt den Mund“, sagte Anderson, nicht unfreundlich.
Sie standen einen Moment. Der Nebel verzog sich, als hätte er nie existiert. Die Stadt tat so, als wäre sie nie anders gewesen.
Am Morgen roch das Museum nach frischem Kaffee und Angst. Die Versicherung hatte die Graustufen verlassen und war in Rot übergegangen. Frau Lohmann sprach in kurzen Sätzen, die wie Nägel waren. „Zwei Transporte“, sagte sie. „Einer um zehn, einer um dreizehn Uhr. Der um zehn fährt durchs Viertel, dass alle es sehen. Der um dreizehn fährt nicht. Verstanden?“
„Gesehen?“, korrigierte Berringer. „Wichtig.“
„Wichtig“, sagte sie.
Frau Dr. Steen sah auf die Kiste. Sie hatte ihre Hände auf die Kanten gelegt, als könne sie mit purer haptischer Liebe alles zusammenhalten. „Und wenn er doch…?“
„Dann bin ich da“, sagte Berringer.
„Versprechen Sie mir nichts“, sagte sie.
„Ich verspreche nie“, sagte er. „Ich tue.“
Um zehn Uhr rollte eine Kiste aus der Halle, begleitet von Sicherheitsleuten, die aussahen, als würden sie gleich anfangen zu singen. Die Presse war eingeladen worden, nichts zu sehen. Die Social-Media-Abteilung – unter neuer Leitung, still – streamte nicht.
Berringer stand am Seitenausgang, Vanessa oben im Treppenhaus, Mark in der Garage. Anderson mit drei Kollegen an den Flanken. Wasserschutz meldete: „Rhein ruhig.“
Eine Nachricht vibrierte auf seinem Handy.
7/7. heute. p
„Der sitzt doch fest“, sagte Vanessa. „Der kann doch…“
„Nicht er“, sagte Berringer.
Er hörte das, bevor er es sah: das Summen. Kein Auto. Keine Bahn. Ein Summen wie von großen Insekten. Er hob den Blick.
„Drohne“, sagte Mark. „Drei Uhr. Tief.“
„Da!“, rief Vanessa. „Noch eine. Und… Scheiße!“
Zwei schwarze Punkte, die größer wurden, als müssten sie ihre eigene Bedeutung unterstreichen. Unter ihnen – etwas, das baumelte. Kein Paket. Kein Brief. Ein kleiner Kasten. Düse.
„Schiller hatte Freunde“, sagte Anderson zwischen den Zähnen. „Abschuss bereit?“
„Das ist hier kein Irak“, sagte der Beamte neben ihm. „Wir haben kein Gerät.“
„Ich hab eins“, sagte jemand. Eine Stimme, die sie nicht erwartet hatten. Frau Dr. Steen. Sie stand auf der Treppe, in der Hand etwas, das aussah wie ein alter Holzschläger. An der Spitze: Netze. Ein Museumsstück.
„Was…?“, begann Vanessa.
„Barocke Jagd mit Wurfnetz“, sagte Frau Dr. Steen. „Wir hatten gestern eine Führung.“
Sie trat vor, zielte nicht, warf. Das Netz flog, sah im Flug aus wie eine Blume, die sich öffnete, und fing eine Drohne ein, die sofort anfing, würdelos zu zappeln, als sei sie ein Fisch. Sie schlug auf, das kleine Paket prallte ab, rollte, zischte. Anderson war da, trat, stoppte, riss Kabel.
„Noch eine!“, rief Mark, und die zweite Drohne kam tiefer. Ein Schatten auf der Kiste. Ein Summen wie eine Biene kurz vor dem Stich.
„Ruhig“, sagte Berringer. „Ruhig.“
Er sprang nicht. Er wartete, bis die Drohne genau vor ihm war, und dann tat er etwas, das in keinem Handbuch stand: Er warf sein Jackett. Es flog, schwer von all dem, was er darin trug, Schlüssel, Papier, Schuld, und legte sich um die Drohne, die strauchelte wie ein Vogel, dem man die Flügel zusammenbindet. Sie fiel, das Paket rollte, zischte.
„Aus!“, brüllte Anderson, zum hundertsten Mal in dieser Nacht, in diesem Fall, in seinem Leben, und trat. Der Kasten verstummte. Es roch nach süß und scharf. Aber es brannte nichts.
Ein Schrei. Nicht aus der Menge. Vom Dach gegenüber. Ein Mann, dünn, viel zu dünn für diese Wut, in der Hand eine Fernbedienung. Er hob sie, als wolle er sie wie einen Dolch herunterrammen. Dann – ein dumpfer Schlag. Er verschwand aus der Sicht.
„Oben!“, rief Anderson, und zwei Beamte stürmten in das Treppenhaus. Berringer sah zu Frau Dr. Steen, die ihren Netzschläger noch in der Hand hatte, als hätte sie einen vorzeitlichen Gott erschlagen.
„Sie brauchen mir nichts zu versprechen“, sagte sie leise. „Ich mache es selbst.“
Sie fanden den Mann auf dem Dachrand, halb hängend, halb sitzend, die Fernbedienung gebrochen, das Handgelenk verdreht, das Gesicht eine Maske aus Fassungslosigkeit und … Erkennung. Jemand, den man in einem Museum nicht sieht, weil er immer hinter der Kamera steht.
„Herr Blohm“, sagte Falk, der – wie immer – plötzlich da war. „Unser Fotograf.“
Blohm sah ihn nicht an. Er sah in die Luft, als würde darin noch eine Drohne fliegen. „Man muss Bilder machen“, flüsterte er. „Sonst glaubt niemand, dass es passiert ist.“
„Es ist passiert“, sagte Anderson. „Aber anders als du wolltest.“
Blohm weinte. Nicht dramatisch. Er weinte, wie jemand weint, der es nicht gewohnt ist.
Unten stand die Kiste, unversehrt. Frau Lohmann telefonierte und sagte Sätze wie „Risikominimierung“ und „Ereignismanagement“. Frau Dr. Steen setzte sich auf die Stufe und legte den Netzschläger neben sich, wie ein Tier, das man streichelt, nachdem es getötet hat. Vanessa filmte nicht. Sie sah nur. Mark zählte seine blauen Flecken, ohne sie zu zählen.
Und Berringer stand da und atmete.
„Feuer gehört den Göttern“, sagte Falk, als wäre es ein Gebet. „Und wir … wir mieten sie, für die Presse.“
„Heute nicht“, sagte Berringer.
Wiebke stand plötzlich neben ihm. Er wusste nicht, woher sie gekommen war. Vielleicht aus einer Seitentür. Vielleicht aus einer logischen Schlussfolgerung. „Ich hab in der Nähe zu tun gehabt“, sagte sie, als wäre das eine Entschuldigung.
„Alles okay“, sagte er.
„Nein“, sagte sie. „Aber genug, für heute.“
Er nickte.
„Wie viele hast du eigentlich?“, fragte sie, und er wusste, sie meinte nicht Drohnen.
„Zwei von sieben“, sagte er. „Vielleicht drei.“
„Du rechnest wieder“, sagte sie.
„Ich hasse Mathe“, sagte er.
„Ich weiß“, sagte sie. „Deshalb bist du gut.“
„Und du?“, fragte er. „Wie viele?“
„Einen mehr, als ich möchte“, sagte sie. „Wie immer.“
Am Nachmittag rollte die echte Kiste. Keine Drohnen. Keine Zischkästen. Keine Notizen mit P. Keine Götter.
Im Depot schraubte Frau Dr. Steen die Kiste auf, als würde sie einen Schatz ausgraben. In der Halle hielt es die Luft an. Und dann lag er da. Der kleine Rubens. Feuer. Mensch in Rot und Gold. Troja. Ein winziger Apokalypseausschnitt, in dem man die Hitze sehen konnte.
„Es ist nur Farbe“, sagte Vanessa leise und klang ehrfürchtig, obwohl sie es nie zugeben würde.
„Farbe und Öl“, sagte Falk. „Und Zeit. Und Hände.“
„Und keine Fackel“, sagte Berringer.
Er sah auf sein Handy. Keine Nachrichten. Kein „8/7“. Kein „p“.
Anderson stand neben ihm und trank einen Kaffee, der aussah, als würde er den Becher durchfressen. „Und jetzt?“, fragte er.
„Jetzt schreiben wir Berichte“, sagte Berringer. „Du für die Staatsanwältin. Ich für meinen Kunden. Und Vanessa für die Preisliste.“
„Preisliste?“, fragte Anderson.
„Jemand muss bezahlt werden“, sagte Berringer. „Andernfalls kann ich mir meinen Zaun nicht leisten.“
„Und deine Jacke“, sagte Anderson. „Die hängt irgendwo am Rhein.“
„Der Rhein hat schlimmere Dinge gesehen“, sagte Berringer.
„Ja“, sagte Anderson. „Dich zum Beispiel.“
Sie grinsten, kurz, und das genügte.
Der Abend fiel über die Stadt wie ein Tuch. In den Räumen des Museums leuchtete der Rubens in seinem Rahmen. Davor standen Menschen, die sahen. Manche verstanden. Manche nicht. Wie immer.
Vanessa tippte eine Nachricht in ihr Handy. An niemanden. An alle. An sich selbst. „Heute nicht gebrannt“, schrieb sie und setzte ein Smiley, das sie gleich wieder löschte.
Berringer stand vor dem Bild. Er sah das Feuer. Er sah, wie es gemalt war. Er dachte an Prometheus. An Adler. An Autos. An Zäune. An Drohnen.
„Feuer gehört den Göttern“, sagte er leise. „Aber Streichhölzer verkauft der Mensch.“
„Und du?“, fragte Wiebke, die neben ihn getreten war, ohne Geräusch.
„Ich nehme sie weg“, sagte er.
„Nicht immer“, sagte sie.
„Nein“, sagte er. „Nicht immer.“
Aber heute. Heute schon. Und manchmal ist das genug. Für einen.
Für einen wie ihn. Für eine Nacht. Für einen Funken weniger.
Morgen würde jemand mit einem Gasbrenner Crème brûlée karamellisieren. Und Berringer würde in der Ecke stehen und nicht lachen.
Er hob sein Glas Wasser, das er in der Hand hielt, und trank.
Es schmeckte nach nichts. Und das war gut.
Am nächsten Morgen roch die Stadt nach Zeitung. Papier, Druckerschwärze, ein Hauch von Häme. Berringer blätterte den Lokalteil auf seinem Küchentisch – der Küchentisch war eigentlich eine alte Werftkiste, die er an Bord der NAMENLOSEN zum Tisch geadelt hatte – und sah sein Leben in Überschriften: „FALSCHE FACKEL – Polizei vereitelt Drohnen-Attacke am Museum“, „Prometheus hinter Gittern? – Verdächtiger nach Ponton-Einsatz festgenommen“, „Rubens sicher – Ausstellung wie geplant“. Ein kleiner Kasten im rechten Spaltenrand: „Crème brûlée ohne Flammen – Museum verzichtet aus Rücksicht auf …“
Er legte die Zeitung weg. Es war noch früh. Der Rhein machte dieses Geräusch, das nur der Rhein macht, wenn er gegen Stahl schlägt. Ein Klopfen an der Kajütentür.
„Kein Hafenamt heute, bitte“, murmelte er, stand dennoch auf und öffnete. Anderson. Ohne Uniform, ohne Kaffee, mit diesen Augen, in denen die Nacht noch stand.
„Danke“, brummte er ohne Grüße und schob sich an Berringer vorbei, als gehörte die NAMENLOSE ihm. „Schiller redet. Blohm weint. Frau Dr. Müller-Steffenhagen sammelt Mikrofone.“
„Und du?“, fragte Berringer.
„Zwei Stunden Schlaf und die Einsicht, dass ich zu alt für Drohnen bin“, sagte Anderson. Er setzte sich auf die Bank und rieb sich die Knie. „Schiller hat die Mails geschrieben. Er hatte einen Kreis. Zwei haben ihn bewundert. Einer hat ihn angestachelt. Blohm war das Auge. Ein dritter hat die Dosen besorgt. Der mit der Werkstatt in Flingern. Wir sind dran.“
„Motiv?“, fragte Berringer.
„Die alte Trias“, sagte Anderson. „Wut, Eitelkeit, ein bisschen Ideologie. Er redet von Kunst, von Wahrheit, davon, dass ‚Feuer reinigt‘. Und davon, dass das Museum ihn unsichtbar gemacht hat. Er hat beim Museum angefangen, weil er Kunst liebte. Er hat aufgehört, weil er lief. Da war ein Streit. Falk sagt: Professionalität. Schiller sagt: Verrat.“
„Und Martin?“, fragte Berringer.
„Er sagt, es sei ein Unfall gewesen“, antwortete Anderson. „Das mag stimmen oder nicht, juristisch macht es keinen großen Unterschied. Er hat billigend in Kauf genommen, dass jemand stirbt. Und jemand ist gestorben. Der Rest ist Aufgabe von Gerichten, Gutachtern und Anwälten, die mehr verdienen als wir.“
„Frau Dr. M.-S.?“, fragte Berringer.
Anderson verzog das Gesicht. „Hat gestern Nacht noch eine Presseerklärung geschrieben: ‚Null Toleranz‘ und ‚Schnelles Handeln der Behörden‘. Meinen Namen hat sie vergessen.“
„In deinem Fall ein Segen“, sagte Berringer.
„Trotzdem danke“, brummte Anderson nach einem Moment. „Ohne dein Zaunloch und ohne deine fliegende Jacke …“
„… hätte Frau Dr. M.-S. trotzdem die Presse eingeladen“, sagte Berringer trocken.
Sie schwiegen, jeder in seinem eigenen Lärm.
„Rico?“, fragte Berringer schließlich.
„Hat seinen Rücktritt angeboten“, sagte Anderson. „Der Kulturausschuss will ihn halten. Kunstpolitik. Du weißt ja. Er hat in der Nacht auf dem Ponton neben Schiller gehockt und ihm die Hand gehalten. Das habe ich gesehen. Vielleicht rettet es ihm seine Karriere nicht, aber es rettet ihm etwas, das wichtiger ist.“
„Frau Dr. Steen?“, fragte Berringer.
Anderson lächelte. Ein echtes, kleines Lächeln. „Hat mir gestern eine Quittung ausgestellt. ‚Leihgabe Netz, jagdlich, Barock – Rückgabe en passant‘.“ Er zog einen Zettel aus der Jackentasche. „Ich hefte sie mir übers Bett.“
Berringers Handy vibrierte. Vanessa: „Kommt ihr heute rum? Ich habe Kuchen. Ohne Flamme.“
„Gleich“, schrieb er. Er sah zu Anderson. „Kommst du?“
„Wenn ich Kuchen esse, falle ich ins Koma“, sagte Anderson. „Ich muss zu Frau Dr. M.-S. und mir anhören, wie wir in Zukunft Drohnen beschießen sollen, ohne EU-Recht zu verletzen. Grüße Vanessa. Sag ihr, dass sie nicht immer recht hat.“
„Das sage ich ihr nie“, sagte Berringer.
Anderson stand auf, blieb stehen, drehte sich noch einmal um. „Berry?“, sagte er.
„Hm?“
„Das war gut“, sagte er. „Nicht das mit der Jacke. Das mit dem Denken.“
„Ich denke nie“, sagte Berringer. „Ich tue.“
„Und ich schreibe Berichte“, sagte Anderson, und ging.