Zum 94. Mal vier eiskalte Sommerkrimis - Alfred Bekker - E-Book

Zum 94. Mal vier eiskalte Sommerkrimis E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Kriminalromane der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre Dieses Buch enthält folgende Krimis: Commissaire Marquanteur und die Nacht am Alten Hafen Tod in Tanger Die programmierten Todesboten Mörderpost Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Seitenzahl: 513

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alfred Bekker

Zum 94. Mal vier eiskalte Sommerkrimis

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Dieses eBook wurde mit Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Zum 94. Mal vier eiskalte Sommerkrimis

Copyright

Commissaire Marquanteur und die Nacht am Alten Hafen

Tod in Tanger

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Die programmierten Todesboten

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Mörderpost

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Titelseite

Cover

Inhaltsverzeichnis

Buchanfang

Zum 94. Mal vier eiskalte Sommerkrimis

Alfred Bekker

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 342 Taschenbuchseiten.

Kriminalromane der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre

Dieses Buch enthält folgende drei Krimis:

Commissaire Marquanteur und die Nacht am Alten Hafen

Tod in Tanger

Die programmierten Todesboten

Mörderpost

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Commissaire Marquanteur und die Nacht am Alten Hafen

Alfred Bekker

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Commissaire Marquanteur und die Nacht am Alten Hafen: Frankreich Krimi

von ALFRED BEKKER

Commissaire Marquanteur und die Nacht am Alten Hafen – Ein packender Frankreich-Krimi von Alfred Bekker

Marseille, Regen, Hafenlicht – als der angesehene Reeder Nathan Lazar tot auf seiner Luxusjacht entdeckt wird, beginnt für Commissaire Pierre Marquanteur und sein Team ein Wettlauf gegen die Zeit. Ein mysteriöser Seemannsknoten im Mund des Opfers, eine Spielkarte als rätselhafte Botschaft und Spuren, die tief in die dunklen Netzwerke von Hafenwirtschaft, Politik und Logistik führen. Während weitere Morde die Stadt erschüttern, geraten alte Feindschaften und geheime Allianzen ans Licht. Marquanteur muss sich durch ein Labyrinth aus Intrigen, Korruption und persönlicher Rache kämpfen – und erkennt: In Marseille sind die gefährlichsten Knoten die, die niemand lösen will.

Atmosphärisch, spannend und voller französischem Flair – Alfred Bekker entführt Sie mit seinem Krimi mitten ins Herz der Mittelmeermetropole. Für Fans von Ermittlerduos, Hafenkrimis und raffinierten Wendungen!

Jetzt bestellen und in die düstere Welt von Marseille eintauchen!

Keywords: Frankreich Krimi, Marseille, Commissaire, Alfred Bekker, Hafen, Mord, Ermittler, Spannung, Seemannsknoten, Spielkarte, Korruption, Intrigen

Personen

Pierre Marquanteur: Ermittler (FoPoCri), Ich-Erzähler, Marseille.François Leroc: Kollege/Partner von Pierre, Ermittler im Team.Monsieur Marteau: Vorgesetzter der Einheit, zurückhaltend-strategisch.Garance Leroux: Staatsanwältin, präzise und entschlossen.David Hollande: Forensik/Ballistiker, Spurensicherung.Stéphane Caron: Einsatz/Operatives, Zugriff und Taktik.Maxime: IT/Analyse, Auswertung von Daten, Video, Geldflüssen.Mélanie: Verwaltung/Backoffice, Organisation und (guter) Kaffee.Derek Bajere: Vernehmungen/Verhörführung, beharrlich.Nadège Vautrin: Polizeiführung (Wache Prado), Erstzugriff am Hafen.Emilie Lazar: PR-Fachfrau, verbunden mit der Reeder‑Szene.Nathan Lazar: Reeder/Mäzen, prominente Figur der Hafenwirtschaft.Aurélien Voss: Kommunikations-/PR‑Berater, Szenekenner.Rochard: Logistik-/Hafenunternehmer, gut vernetzt.Dédé: Werft-/Dock-Vorarbeiter, lokale Größe.Boulard: Alter Hafen, Szene‑Kenner mit losem Mundwerk.Azzedine: Fischhändler am Vieux‑Port, aufmerksamer Beobachter.Jean Latour: Ruhiger, präziser Handwerker; kennt Knoten und Wasser.Jules Latour: Seemann/Bosun‑Hintergrund; auffällig durch Handnarbe.Monsieur Salanon: Kartenrestaurator (Atelier), traditionsbewusst.Bankdirektor Salanon: Leiter eines alteingesessenen Bankinstituts.Segelmacher (Rue des Catalans): Spezialist für Tuch/Leinen/Kleber.Nautique Sirocco: Verleih/Verkauf von Schlauchbooten/RIBs.Vincent Calmette: Stadtverwaltung/Stadtentwicklung.„Saint‑Cloud“: Ministeriumsakteur (politische Ebene).Marcel Leduc: Diskreter Berater/Mittler.Lionel Battini: Fotostudent, medienaffin.

Begriffe

FoPoCri: Spezialeinheit der Kriminalpolizei in Marseille.Palstek: Feste Schlinge; zieht unter Last nicht zu (Seemannsknoten).Schotstek: Verbindet zwei Leinen (Knoten).Blutknoten: Starker Verbindungsknoten (Angeln).Doppelschot: Variante mit erhöhter Haltekraft.Achterknoten (Figure Eight): Stopper-/Sicherungsknoten.Dyneema: Hochfeste, dünne Faserleine (geringe Dehnung).Hypalon: Robustes Schlauchmaterial für Profi‑RIBs/Zodiacs.RIB/Zodiac: Festrumpf-Schlauchboot, wendig und seefest.Schalldämpfer: Aufsatz zur Geräuschdämpfung von Schusswaffen.GPS‑Logger: Gerät zur Aufzeichnung von Routen/Positionen.Drop‑Box (Boje): Versteck/Übergabepunkt im Wasser.„Liste“: Aufstellungen von Terminen, Flüssen, Verbindungen.Spielkarten „Münzen“: Symbolik/Markierung (Bube, Ass, Zwei, König).Servicekorridor: Hinterbühnen‑Zugang in Gebäuden.Spiegeltrick: Optischer Umleitungs-/Täuschaufbau (Sichtachsen).LogisBulk / R&R Logistics: Logistik-/Hafenfirmen (fiktive Namen).

Orte

Marseille: Stadt am Meer; Viertel vom Vieux‑Port bis La Joliette.Yachtclub Pointe‑Rouge: Schiffe, Empfänge, Kameras.Alter Hafen (Vieux‑Port): Bühne/Hinterhof; Markt und Szene.Werft La Ciotat: Industriestandort, Werftbetriebe.Les Goudes / Calanques (Morgiou, Sormiou): Küstenbuchten/Höhlen.Echelle du Roi (Fort Saint‑Jean): „Königstreppe“ am Wasser.Quai d’Arenc: Hafenmole/Terminalbereich.Terminal Nord (Zollhalle): Veranstaltungs-/Logistikort.Rue Paradis: Büros/Agenturen (Kommunikation).Rue Sainte: Atelier, Café, kurze Wege.Avenue du Prado: Wohn-/Büroadressen; Geschäfte.Quai de la Joliette: Banken, Speicher, neue Hafenfront.Hôpital Européen: Klinik/Notaufnahme.Endoume: Viertel mit Treppen, Garagen, Fels.Frioul‑Inseln: Seegebiet, Bojen, Übergabepunkte.

1

Es regnete so fein, dass die Tropfen kaum zu sehen waren, aber sie krochen in jede Naht und machten die Stadt matt und glatt. Marseille roch nach Salz und nassem Beton, und irgendwo in der Ferne hupte ein Frachtkahn so melancholisch, als wär’s eine Klarinette.

François saß neben mir, als ich den Mercedes der Fahrbereitschaft an der Pointe-Rouge in eine Parklücke zwängte, die eigentlich keine war. Blaulicht brachte in solchen Situationen Wunder zustande. Er schnippte sein Handy zu, sah zu den geschlossenen Liegeplätzen des Yachtclubs hinüber und meinte: „Glaubst du, die lassen uns überhaupt mit Schuhen aufs Teakholz?“

„Wenn wir Hausschuhe verlangen, kriegen wir auch welche“, erwiderte ich. Meine Stimme klang rauer, als ich es im Kopf geplant hatte. Diese Uhrzeit vertrug sich nicht mit der Art Kaffee, die ich am Morgen erwischt hatte.

„Der Tote heißt Lazar,“ sagte François. „Kein Witz. Nathan Lazar. Reeder. Mäzen. Freund der Kultur. Und Feind der Steuergesetze.“

Ich zog die Stirn kraus. Den Namen kannte ich aus Artikeln im Journal de Marseille. Spenden für ein kleines Filmfestival, Spenden für ein Kinderkrankenhaus – und parallel dazu Gerüchte über Container, deren Papiere nie so ganz sauber waren. Marseille ist voller guter Taten, über die man besser nicht zu lange nachdenkt.

Zwei uniformierte Kollegen hoben das Band für uns an. Der Yachtclub stand wie ein glänzender Zahn am Kai: Glas, Stahl, akkurat. Ein bisschen zu sehr „Ich bin modern“, um nicht alt zu wirken. Ich zeigte meinen Ausweis. „Marquanteur, FoPoCri. Das ist mein Kollege François Leroc. Wer hat hier den Hut auf?“

„Commissaire Nadège Vautrin, Wache Prado,“ sagte der Uniformierte, ein Blasser mit zu kurzem Mantel. Er deutete Richtung einer Treppe aus Edelstahl, die auf das Clubdeck führte. Dort oben waren bereits drei Gestalten in weißen Overalls zu sehen – Spurensicherung. Ein paar Segler standen frierend unter einer Markise und versuchten, wichtig auszusehen. Das Meer tat, was es immer tut: Es tat so, als ginge es nichts an.

Wir stiegen die Stufen hinauf. Nadège Vautrin war eine schlanke Frau mit einer Frisur, die wie frisch geschnitten wirkte, obwohl der Regen seit einer Stunde in ihr stand. Sie hatte den Ausdruck von jemandem, der seinen Tag bereits dreimal neu sortieren musste. „Ah, FoPoCri“, sagte sie. „Schön, dass Sie’s so eilig hatten.“

„Wir wollten doch sehen, wie Marseille sich den Luxus mordet“, sagte François. Sie quittierte das mit einem Ton, der irgendwo zwischen Schnauben und Lachen hing. Ich mochte sie auf Anhieb. Sie gab Menschen nicht mehr Bühne, als sie verdienten.

„Hier entlang“, sagte Vautrin. „Niegrig – äh, Lazar – wurde in seiner Kabine aufgefunden. Motorjacht LA ZÉLIA. Sechzig Fuß, italienisches Fabrikat. Sie lag heute früh hier – und jetzt liegt sie immer noch. Lazar liegt auch.“

Wir setzten die Füße auf den nassen Steg. Zwei Polizisten standen an der Gangway. Das Boot starrte uns mit getönten Fenstern an. Vautrin schnippte sich Plastikhüllen über die Schuhe. Ich tat es ihr nach. François grummelte und tat es schließlich auch. Seine Schuhpflege war immer ein Thema für ihn, wenn er es vermeiden konnte.

Im Salon roch es nach Leder, altem Rauch und irgendeinem teuren Holz, das zu glänzen versuchte. Da war ein glasierter Tisch mit Zeitschriften darüber, aufgeschlagen auf Artikeln, in denen man die Welt erklärte. Eine goldene Uhr tickte leise. Und Lazar. Er saß in einem Ledersessel, als hätte er sich für ein Porträt eingefunden. Ein sauberer Schuss ins Herz. Der Kopf war nach hinten gesackt, die Augen halb offen, der Mund... Im Mund steckte ein Stück schwarzes Garn, zu einer Schlaufe gelegt und mit einem Knoten fixiert, der nicht zufällig aussah.

„Hatten wir schon mal so was?“, fragte François.

„Nicht, dass ich mich erinnern könnte“, sagte ich. Ich spürte, wie sich in meinem Hinterkopf das mechanische Teil in Bewegung setzte, das wir Vernunft nennen, wenn es uns passt.

David Hollande, unser Chefballistiker, kniete vor dem Rumpf eines Sideboards, in dem Kristallflaschen schlummerten. Er trug den weißen Overall, aber er schaffte es wie immer, darin auszusehen, als hätte er ihn frisch gebügelt. „Pierre“, sagte er. „François. Ihr Timing ist erfreulich.“

„Sagen Sie das dem Regen“, gab François zurück. „Was haben wir?“

David sah zu Lazar, sah zum Boden, sah zum Fenster. „Ein einziger Schuss. Kleinere Distanz als man denkt. Kein sichtbarer Pulverschmauch auf der Kleidung, aber das bedeutet in diesen Kabinen genau nichts. Schalldämpfer – ich sage es, ohne Romane schreiben zu wollen. Projektil steckt wahrscheinlich in der Rückenlehne, ich arbeite mich vor. Keine zweite Einschlagspur. Und das hier...“ Er deutete mit dem Kinn auf den schwarzen Knoten.

„Seemannsknoten“, murmelte ich.

„Korrekt, Pierre“, sagte Vautrin. „Ein Palstek. Sauber gelegt, einmal durchgezogen, und dann die Schlaufe noch mal fixiert. Jemand hat sich Zeit genommen. Oder Übung.“

Ich ging näher. Das Garn war seidenmatt, nicht billig. Eine unmerkliche Feuchtigkeit lag darauf, als wäre es eben gesetzt. Es sah leise aus. Ich weiß, das ergibt keinen Sinn. Manche Dinge schreien dich an, andere flüstern, und die schlimmsten sagen gar nichts.

„Wer hat ihn gefunden?“, fragte ich.

„Seine Frau. Halb. Eigentlich ihre Anstandsdame“, erklärte Vautrin. „Lazar hatte seit vier Jahren eine Ehefrau, die auch seine Public Relations erledigte. Sie heißt Emilie Lazar, geborene Côtard. War heute Vormittag beim Club, weil sie das Boot für eine Abendveranstaltung vorbereiten lassen wollte. Sie schickte den Boy vor, der regelmäßig das Silber poliert. Er stieß auf das, was Sie sehen. Die Frau hat hysterisch geheult, dann ist sie wieder sehr professionell geworden.“

„In dieser Reihenfolge?“, fragte François.

„Ja“, sagte Vautrin. „Macht Ihnen das Sorgen?“

„Es macht mich selten was nicht“, sagte er.

Ich trat an die Scheibe und spähte hinaus. Das Wasser klebte unentschlossen am Kai. Die nächsten Liegeplätze waren leer. „Die Kameras?“, fragte ich. „Der Club ist doch mit mehr Augen ausgestattet als ein Tintenfisch.“

„Wir haben Zugriff auf alles, was hier hängt“, sagte Vautrin. „Aber Sie wissen, wie das ist: In dem Moment, in dem Sie den Strahl brauchen, spiegelt er. Unsere IT sitzt dran. Außerdem haben wir eine nette Überraschung gefunden.“ Sie deutete auf eine Schublade unter dem Fernseher. David öffnete sie mit Pinzette und sachtem Fluchen. Auf grauem Filz lag eine Spielkarte. Bube der Münzen. Nur, dass auf dem Buben ein Knoten im Mund gemalt war, in feiner Tinte. Und jemand hatte den Rand mit schlechtem Lack schwarz eingefärbt.

„Das nenne ich dann wohl eine Botschaft“, sagte François. „Die Frage ist nur, was für eine Sprache.“

„Knoten, Münzen“, sagte ich. „Geld, gebunden. Wer weiß, ob es nicht einfacher ist, als wir denken.“

„Sie sind immer so optimistisch, Pierre“, knurrte David.

„Ich habe in meinem Leben schon schlimmere Karten bekommen“, gab ich zurück.

„Die Anlegerszene wird durchdrehen“, sagte Vautrin. „Lazar hat gerade in drei Werften investiert. Eine davon hat ihren Sitz hier am Alten Hafen. Die zweite in La Ciotat. Die dritte irgendwo in Montenegro.“

„Hatte er Feinde?“ François blickte zu David, als hätte der die passende Liste unter seinem Overall.

„Ich wette mein Gehalt, dass der Mann mehr Feinde hatte, als in solch eine Schublade passt“, sagte David und erhob sich mit einem Knacken in den Knien. „Aufschneiden und bergen“, fügte er hinzu. „Das Projektil will was erzählen.“

„Martineau?“, fragte ich. „Hat sie sich schon blicken lassen?“

„Sie sitzt im Konferenzraum des Clubs und hat einen Anwalt an der Hand, der so glatt ist, dass man auf ihm Ski fährt“, sagte Vautrin. „Sie wollte erst nicht reden, dann wollte sie nur mit uns reden, dann nur mit Ihnen. Ich nehme an, ihr Medienberater hat die Hand im Spiel. Und Sie wissen, wie diese Leute sind. Wer zuerst die Geschichte erzählt, hat die Geschichte in der Hand.“

„Dann sollten wir uns beeilen“, meinte François.

„Noch was, Pierre“, sagte David. „Am Rumpf außen – feine Abriebspuren, ungefähr auf halber Höhe. Jemand hat vielleicht mit einem Zodiac längsseits gemacht und ist hoch. Aber wir haben keine Bimini-Schäden. Könnte auch später passiert sein. Nur – es passt zur Idee, dass jemand nicht durch den Eingang kam.“

Ich sah hinaus wieder. Dahinter, jenseits dieser schicken Schwimmvilla, war nur noch Wasser. Und irgendwo unter der Haut dieses Wassers trieb jede Wahrheit davon, die kein Mensch sehen wollte.

„Waffenöl“, sagte ich, während ich meinen Kopf in die Höhe hob. „Riecht ihr das?“ Der Salon trug die Reste eines Geruchs, der nichts mit Kristallkaraffen und Zigarren zu tun hatte.

David nickte. „Ich dachte schon, ich bilde mir das ein. Minimal. Wenn er einen Schalldämpfer benutzt hat, dann hat er ihn vielleicht vor Ort aufgesetzt. Oder abgenommen. Wir sehen uns die Fasern hier an.“

„Jemand, der sich hierhin traut und den Mut hat, einem Lazar in den Mund einen Knoten zu legen, dem ist die Kamera nicht fremd“, sagte ich. „Er hat sich Zeit genommen. Oder es muss sich so anfühlen, als hätte er sich Zeit genommen. Das sind zwei verschiedene Dinge.“

Ich trat zurück. Nadège Vautrin sah mich erwartungsvoll an. Ich mochte diesen Moment. Man weiß nie, was man sagt, und es ist trotzdem immer die falsche Antwort.

„Wer wusste, dass Lazar hier ist?“, fragte ich.

„Zu viele“, sagte Vautrin. „Er hatte gestern Abend einen Empfang. Fünfzig Leute. Köche, Service, Bootsjungen und die unvermeidlichen Leute aus Kultur und Wirtschaft. Danach ist er angeblich noch an Bord geblieben. Er soll sich mit jemandem treffen wollen. Seine Frau sagt, sie weiß nicht mit wem.“

„Ich wette, sie weiß es“, sagte François leise.

„Ja“, sagte ich. „Aber es ist eine Wette, die wir uns aufheben.“ Ich sah auf die Spielkarte. Der Knoten sah mich zurück an. „Wer immer das war, der will, dass wir Arbeit haben.“

„Haben wir immer“, murmelte David.

Wir verließen das Boot. Der Regen hatte eine Stufe zugelegt. Der Kai war rutschig. Ein Mann mit zu breitem, hellem Schal stand im Eingang des Clubhauses und tat so, als würde er telefonieren. Er war genau der Typ, der in fremden Leben auftritt und so tut, als sei er gebucht worden. Seine Augen suchten. Ich merkte mir sein Gesicht für später.

Der Konferenzraum hatte das, was alle Konferenzräume in diesen Kreisen haben: zu viel Glas, zu wenig Luft. Emilie Lazar saß am Ende eines langen Tisches. Sie trug Schwarz, aber auf die Art, die mehr als Kleidung ist. Das Gesicht war ruhig. Die Hände lagen locker aufeinander, als wären sie trainiert. Neben ihr ein Mann mit einem Gesicht, das allen Geräten zugewandt blieb, nie den Menschen. Der Anwalt stand nicht auf. Ich habe für solche Gesten einen eigenen Speicher.

„Madame Lazar“, sagte ich. „Mein Name ist Pierre Marquanteur, FoPoCri. Dies ist mein Kollege François Leroc. Es tut mir leid.“

„Ja“, sagte sie. Ihre Stimme war etwas tiefer, als man es bei ihr vermutet hätte. „Es tut Ihnen leid. Und Sie sind hier, um mir Fragen zu stellen, auf die es keine guten Antworten gibt.“

„Vielleicht doch“, entgegnete ich. „Wann haben Sie Ihren Mann zuletzt lebend gesehen?“

Der Anwalt räusperte sich demonstrativ. „Madame Lazar wird nur auf Fragen antworten, die wir vorher gemeinsam...“

„Setzen Sie sich“, sagte ich. Ich sah ihn an und lächelte dabei nicht. „Sie haben keine formale Funktion. Und wenn Sie mir noch einmal versuchen, ein Gespräch zu dirigieren, das ich führe, wird das hier sehr unangenehm. Für Sie.“

Er setzte sich. Ich wandte mich wieder Emilie zu.

„Gestern Abend. Gegen elf“, sagte sie. „Er blieb an Bord. Er sagte, er wolle schlafen. Er sah müde aus. Das ist alles.“

„Und heute?“

„Heute? Heute habe ich versucht, nicht an die Zeitung zu denken. Ich habe den Tag organisiert. Ich bin gut darin. Um halb zehn wollte ich mit dem Catering sprechen. Ich habe den Club angerufen. Niemand ging ans Telefon. Ich bin hergekommen. Und der Rest...“ Sie sah an mir vorbei. Sie sah auf das Wasser.

„Hatte Ihr Mann in letzter Zeit Drohungen bekommen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Er hatte in letzter Zeit jeden Tag Drohungen bekommen. Jeden zweiten Tag auch Komplimente. Dazwischen Altes, das man nicht mehr hören wollte. Er konnte damit umgehen.“

„Wie war Ihr Mann?“, fragte ich.

Sie blinzelte. Eine Bewegungsfolge in ihren Wangen verriet, dass sie zählte. „Er war... effizient. Er mochte es nicht, wenn Menschen kippelten. Er hat nicht gern verlieren gelernt. Und er hat gefallen wollen. Man nennt das heute Aufmerksamkeitsökonomie, nicht? Er war gut darin.“

„Und seine Geschäfte?“

„Sie durchziehen diese Stadt“, sagte sie. „Wie Fäden. Das ist ihr Problem.“

„Ihr Mann hat einen Knoten im Mund. Wissen Sie etwas über Seemannsknoten?“

„Ich bin die PR eines Reeders“, entgegnete sie. „Ich weiß mehr über Knoten, als mir lieb ist.“ Sie hielt inne. „Der Palstek ist eine Schlaufe, die unter Last nicht zuzieht. Man nennt ihn auch den König der Knoten.“

„Ich weiß“, sagte ich. „Er löst sich wieder, wenn man will. Ihr Mann hat ihn nicht selbst gemacht.“

Das war nicht als Frage gedacht. Sie nickte trotzdem. Der Anwalt atmete hörbar durch.

Ich zeigte ihr die Spielkarte, ohne sie anzufassen. „Sagt Ihnen das etwas?“

„Tarot ist schicker“, sagte sie. „Aber der Bube der Münzen ist nicht der Teufel. Er ist der Lehrling. Der Geselle. Jemand, der Werte trägt, nicht schafft. Heute nennt man das Logistik. Manchmal nennt man es auch Geldtransport.“

„Wer wollte Ihrem Mann etwas zeigen?“, fragte ich. „Wer wollte zeigen, dass er etwas kann, was Ihr Mann nicht kann?“

„Sie geben mir zu viel Kredit, Monsieur Marquanteur“, sagte sie leise. „Ich kenne meine Grenzen. Ich war die, die die Geschichten gut aussehen ließ. Ich habe sie nicht erfunden.“ Sie hob eine Hand. „Aber die Werft in La Ciotat... Da war Ärger. Die Lokalpolitik wollte Geschenke, die sie Anstand nannte. Mein Mann wollte den Vertrag, der er war. Und dann war da ein Mann, ein kleiner Mann mit großen Schuhen. Er hat schlecht gewonnen.“

„Name?“

„Der Name ist nicht das, was er sein will“, sagte sie. „Aber vielleicht fangen Sie bei der Zunft an. Bei den Dockern. Bei dem, was an den Docks hängt und nicht in den Büchern steht.“

Ich nickte. „Wir fangen überall an.“

Als wir den Raum verließen, war Vautrin am anderen Ende des Tisches in ein Telefon vertieft. Sie nickte, hörte, nickte wieder. Draußen unter dem Vordach stand wieder der Mann mit dem Schal. Er tat weiterhin so, als telefonierte er. Ich ging auf ihn zu. Er blickte erschrocken weg, drehte sich und verschwand neben einer Holzwand, als hätte die Wand ihn eingeladen. Ich folgte der Kante, sah ihn aber nicht. Ich sah den Regen und zwei Möwen, die aussahen, als würden sie sich über schlechte Wetterberichte beschweren.

„Kartellknoten“, sagte François. „Dockarbeiter, Hafenbehörde, Politik, Reeder – und dazwischen die, die die Fäden halten, ohne die Hände nass zu machen.“

„Ich mag Knoten nicht“, sagte ich.

„Du magst eigentlich nur Kaffee“, sagte er.

„Und den richtigen Moment“, sagte ich. „Lass uns Monsieur Marteau sagen, wie sehr er einen guten Tag verdient.“

Wir brauchten zwanzig Minuten bis zum Präsidium. Die Stadt hielt das Wasser jetzt flächig. Der Verkehr kroch. Ich beobachtete, wie ein Motorradfahrer versuchte, zwischen zwei SUVs durchzuatmen. Es gelang ihm. Marseille lebt vom knapp verfehlten Unglück.

Monsieur Marteau stand am Fenster seines Büros, die Hände wie immer in den Taschen der Flanellhose, die Hemdsärmel hochgekrempelt. Er sah auf die Stadt, als erwartete er, dass jemand ihm die richtige Antwort irgendwo zwischen den Schornsteinen hochhielt. „Sie sehen aus, als hätten Sie eine Karte gezogen, Pierre“, sagte er ohne Begrüßung. Sein Profil wirkte schärfer als sonst. Ich hörte, wie die Heizung knackte.

„Der Bube der Münzen“, sagte ich. Ich erzählte, knapp. François ergänzte, wo es Sinn ergab. Marteau hörte zu. Er hört immer zu, wenn man ihn lässt. „Der Knoten ist der zweite Teil. Ein Palstek“, schloss ich. „Ein Knoten, der nicht zuzieht.“

„Das ist eine sehr französische Wahl für eine Signatur“, sagte Marteau. „Sinnbildlich und praktisch zugleich. Aber man verheddert sich leicht darin.“

„Wir haben drei Stränge, Chef“, sagte François. „Erstens Lazar und seine Geschäfte – vor allem die Werften. Zweitens die Hafenarbeiter – jemand, der Seemannsknoten nicht googeln muss. Drittens die Karte. Jemand will uns sagen, dass er arbeitet. Jemand will aufgenommen werden in einen Kreis, zu dem er noch nicht gehört.“

„Die Frage ist“, sagte Marteau, „ob er sich bewirbt – oder Rache nimmt.“

Er ging zum Tisch, setzte sich und begann, mit einem Bleistift auf einem Block kleine Kreise zu zeichnen, die sich überschnitten. Er brauchte diese schlichte Geometrie, wenn es kompliziert wurde.

„David sagt Schalldämpfer, wahrscheinlich innen aufgesetzt“, fuhr ich fort. „Spuren eines eventuellen Zodiacs am Rumpf. Posting einer Karte. Das riecht nach Planung. Und nach jemandem, der nicht den ersten Knoten seines Lebens gelegt hat.“

„Informieren Sie Caron“, sagte Marteau. „Er soll die Informanten aus der Dockerszene wachklingeln. Und Maxime soll den Club die letzten vierzehn Tage rückwärts abspielen. Wer hat Lazar besucht, mit wem hat er gestritten, wer von den Kellnern hat eine Knotenfetischsammlung auf Instagram.“

„Wir sprechen heute Abend mit einem Vorarbeiter am Alten Hafen“, sagte François. „Ein Mann namens Boulard. Er schuldet unserem Staat ungefähr so viel wie ich meinem Schneider. Aber er redet manchmal, wenn sein Bierstand stimmt.“

„Nehmen Sie ihm das Bier nicht weg“, sagte Marteau. „Und nehmen Sie Hollande mit, wenn er die Kugel aus der Lehne hat. Wenn das Kaliber etwas erzählt, will ich es in meinem Ohr, bevor ich sehe, wie die Presse darüber philosophiert.“

Ich nickte. „Eine Sache noch“, sagte ich. „Der Anwalt von Madame Lazar hat mehr Angst als üblich.“

„Wovor?“, fragte Marteau.

„Vor der falschen Geschichte“, antwortete ich. „Er ist der Typ, der Geschichten ausdehnt, nicht schneidet. Heute schneidet er.“

„Die Stadt wird heute Nacht unruhig sein“, sagte Marteau und blickte wieder aus dem Fenster. „Wenn Sie Glück haben, finden Sie in all den Knoten einen losen Faden.“

„Glück mag uns nicht“, sagte François.

„Dann machen Sie es wie immer“, erwiderte Marteau. „Tun Sie so, als wären Sie es, zu dem das Glück kommen muss.“

Wir verließen sein Büro. In dem langen Korridor roch es nach Putzmittel und Papier. Ein junger Kollege trug drei Mappen, als wären sie ein Kuchen, der nicht fallen durfte. Er lächelte, als er uns erkannte, und nickte ehrfürchtig. Ich hoffte, er behielt sich das noch eine Weile.

Ich brauchte einen Kaffee. Melanie kann Kaffee. Ich ging am Sekretariat vorbei, und sie hob fragend die Kanne. Ich nickte. Sie schenkte ein. „Ich habe gehört, die Reichen erfinden neue Wege, um zu sterben“, sagte sie.

„Sie erfinden nur neue Dekorationen“, sagte ich. „Sterben tun sie wie alle anderen.“

„Passt auf euch auf“, meinte sie. „Knoten sind für Leute gefährlich, die zu neugierig sind.“

Ich nahm den Becher. „Wir sind nicht neugierig“, sagte ich. „Wir sind misstrauisch.“

„Das kommt aufs Gleiche raus“, sagte sie.

François wartete schon unten beim Wagen. „Boulard um acht?“, fragte er.

„Um sechs“, sagte ich. „Vorher noch bei Davids Labor. Wenn er die Kugel hat, will ich wissen, ob unser Freund schon mal anderswo geübt hat.“

Die Stadt hatte in der Zwischenzeit beschlossen, ein bisschen Licht aus den Wolken zu lassen. Es war dieses trügerische, gelbliche Licht, das Marseille an Wintertagen überzieht und das wie ein Versprechen wirkt, obwohl es nur das Glas sauberer macht. Ich fuhr los. Das Blaulicht blieb diesmal aus. Der Regen hatte nachgelassen. Die Straßen glänzten, als gehörten sie niemandem und jedem.

„Was denkst du, Pierre?“, fragte François nach ein paar Blocks.

„Ich denke,“ sagte ich, „dass jemand Lazar zum Sitzen gebracht hat, bevor er ihn stoppte. Dass er keine Angst hatte, in die Nähe zu gehen. Dass er den Knoten nicht für uns, sondern für sich gebunden hat. Und dass er uns mit der Karte sagen will, dass er nicht fertig ist.“

„Du meinst, es war der erste?“ François sah aus dem Fenster. Zwei Kinder spritzten sich an einem Zebrastreifen mit Pfützen. Die Mutter schimpfte, lachend.

„Der erste öffentlich“, sagte ich. „Im Stillen hat er vielleicht schon geübt. Aber wenn du den Buben legst, willst du jemanden beeindrucken.“

„Wen?“, fragte François.

„Jemanden, der dir wichtig ist“, sagte ich. „Oder jemanden, den du hasst. Und manchmal ist das dieselbe Person.“

Er schwieg. Er weiß, dass ich manchmal Dinge sage, die wie Phrasen klingen, bis sie plötzlich klack machen und eine Tür dahinter aufgeht. Dann sagt er meist, ich sei Poet geworden. Ich bin kein Poet. Ich zähle nur gern Kanten ab.

Wir parkten vor Davids Reich. Der Korridor roch nach Metallspänen und Alkohol. David stand über einem geöffneten Sesselbezug, der aussah, als hätten ihn zehn unsichtbare Hände auseinandergezogen. Er hob den Blick, als wir eintraten, und hielt eine Pinzette hoch. Darin funkelte ein kleines, fieses Stück Metall.

„Ein hübsches Kaliber“, sagte er. „Neun Millimeter, aber nicht irgendein Ramsch. Das ist sehr sauber, sehr gleichmäßig. Ich sage noch nicht Marke, aber ich sage: Jemand benutzt viel Pflege.“

„Vergleichbar mit irgendwas?“, fragte ich.

David schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Wir haben keinen Treffer bei unseren offenen Fällen aus Marseille. Ich lasse Toulon und Nizza drüberlaufen. Und weil ich weiß, dass du altmodisch bist, Pierre: Ich schaue mir auch ein paar alte Ordner an, die Staub mögen.“

Ich atmete aus. Der Kaffee in mir und die Information von David begannen, eine freundliche Beziehung einzugehen. „Danke“, sagte ich.

„Findet euren Knotenmann“, sagte David. „Ich mag es nicht, wenn Täter ihr Handwerk auf Teak üben.“

Wir gingen. Die Luft draußen war dicker geworden. Es würde wieder regnen. Ich dachte an den schwarzen Palstek in Lazars Mund und daran, wie schnell ein Knoten zur Metapher wird, wenn man keine Zeit hat.

„Boulard wartet nicht gern“, sagte François.

„Ich auch nicht“, sagte ich.

Der Alte Hafen war, was er immer ist: Bühne und Hinterhof zugleich. Touristen machten Fotos von Möwen, die sie am Ende hassen würden. Ein alter Mann stand vor einem Stand mit Sardinen und sprach mit den Fischen, als wären sie seine Enkel. Boulard saß an einem Bistrotisch unter einer Plastikplane. Er war ein Mann mit Händen wie Hackklötzen und Hemden, die zu viel erlebt hatten. Er grinste, als er uns sah. „Ah, die feinen Herren“, rief er. „Kommt, setzt euch. Trinkt, bevor ihr fragt, das ist die alte Regel.“

„Wir haben keine alte Regel“, sagte ich, setzte mich aber trotzdem.

„Dann macht euch eine“, sagte er. „Was wollt ihr? Und sagt nicht: Wahrheit. Die verkauft hier niemand.“

Ich stellte die Spielkarte an den Rand des Tisches. Er sah sie an, nicht lange. Dann spuckte er schief in eine Pfütze. „Die Jünglinge spielen“, sagte er. „Das ist was für die, die noch nicht Meister sind.“

„Wir suchen einen, der sich bewirbt“, sagte ich.

„Dann geht ins Büro derjenigen, die sich für Meister halten“, sagte Boulard und deutete mit dem Kinn in Richtung der alten Lagerhäuser, in denen neue Firmen über alten Plänen hockten. „Es gibt jetzt Menschen mit Laptops, die uns sagen, wie der Hafen funktioniert. Das ist lustig.“

„Kennt jemand hier einen, der Knoten legt, die nicht zuziehen?“, fragte François.

„Alle kennen das“, sagte Boulard. „Aber nicht alle legen sie einem Toten in den Mund. Das ist neu. Das ist.“

„Und das?“ Ich tippte gegen die Karte.

„Ein Lehrling, der zeigen will, dass er sein Werkzeug versteht“, sagte Boulard. „Oder einer, der uns sagen will, dass er sein Geld selber trägt. Keine Ahnung, Jungs. Aber ich weiß, dass Lazar in Ciotat einen geärgert hat, der nicht gern lernt. Nennt sich Dédé. Nennt sich nie beim Familiennamen, weil er seiner Mutter nicht zuhört. Fragt ihn. Er hat große Schuhe. Zu groß.“

„Wir danken“, sagte ich.

„Danke mir später“, sagte er. „Wenn ihr euren Knoten findet. Passt auf. Manche Knoten lassen sich nur lösen, wenn man schneidet.“

„Und manche darf man nicht schneiden“, sagte ich.

„Dann sterbt ihr eben dran“, sagte Boulard und hob sein Glas. „Santé.“

Als wir zum Wagen gingen, begann der Regen wieder, mit der Intensität von Wasser, das nicht mehr so tut, als sei es nett. Ich stieg ein, sah auf die Karte auf meinem Knie und dachte daran, dass oftmals das erste Zeichen das ist, das man übersieht.

„Pierre“, sagte François. „Hast du bemerkt, dass Emilie Lazar nicht einmal gefragt hat, wer auf ihrer Gästeliste stand?“

„Ja“, sagte ich. „Und der Mann mit dem Schal hat kein Handy.“

„Wie meinst du das?“

„Er tat so“, sagte ich. „Aber es war keins in seiner Hand.“

„Vielleicht betet er“, sagte François.

„Vielleicht“, sagte ich. „Vielleicht betet er für uns alle.“

Ich startete den Motor. Marseille ist eine Stadt, die einem das Gefühl gibt, dass man weiterfahren muss, selbst wenn man nicht weiß, wohin. Ich fuhr. Und irgendwo zwischen Regen, Knoten und Karten dachte ich daran, dass manche Mörder nicht anfangen, wenn sie den ersten töten. Manche fangen an, wenn sie endlich gesehen werden. Und das war es, was mir an dieser Karte nicht gefiel. Sie sah aus wie ein Bewerbungsschreiben. Und ich hasse Bewerbungen, die angenommen werden.

2

Der Regen zog Furchen in die Windschutzscheibe, als wir La Ciotat erreichten. Die Werft dort ist eine Mischung aus Monument und Mechanik: gekipptes Skelett aus Stahl, ein paar Kräne, die aussehen, als könnten sie den Himmel halten, wenn er fällt, und dazwischen Männer, die die Hände in den Taschen tragen und so tun, als würden sie frieren. Es ist eine gute Pose, wenn man nicht reden will.

Dédé fand man nicht, man lief ihm über den Weg. Er hatte die Sorte Schuhe, die Boulard erwähnt hatte: groß, weiß, zu neu für diesen Boden. Der Mann, der drinsteckte, war kleiner, als die Schuhe versprachen, aber sein Blick machte ihn größer. Eine goldene Uhr lugte unter einer gelben Regenjacke hervor. Ein Mann, der gelernt hatte, auf Beton zu gehen, ohne sich zu beschmutzen.

„Monsieur Dédé?“, fragte ich.

Er hob den Kopf langsam. „Wenn Sie die Polizei sind, bin ich’s nicht“, antwortete er.

„Wir sind die FoPoCri“, sagte François. „Und Sie sind jemand, der Lazar kannte.“

„Die Stadt kennt Lazar“, sagte er. „Ich kenne die Schrauben, die man braucht, damit Boote fahren. Das sind zwei verschiedene Dinge.“

„Gestern Nacht hat sich jemand auf eine Jacht gesetzt und dem Besitzer einen Palstek in den Mund gelegt, bevor er ihn erschossen hat“, sagte ich. „Das ist kein Zufall. Das ist eine Botschaft. Und Botschaften kommen selten ohne Boten.“

Er blinzelte. Sein Blick glitt an uns vorbei zum Dock. Dahinter lag das Gerippe eines Schiffes, auf dem Männer in blauen Overalls sich bücken, aufrichten, wieder bücken – eine Choreographie, die ich nie verstanden habe. „Ich habe keine Zeit“, sagte er. „Aber ich möchte nicht unhöflich sein. Was wollen Sie?“

„Eine einfache Frage“, sagte ich. „Hatte Lazar Ihnen in den letzten Wochen gesagt, dass er keine Geschenke vergibt?“

Er lächelte. „Er hat mir einmal gesagt, dass er nicht bettelt.“

„Was haben Sie geantwortet?“

„Dass ich nur auf die Liste schaue“, sagte Dédé. „Sie kennen die Listen nicht, Commissaire. Das ist das Problem in Ihrem Beruf. Sie glauben an Akten. Bei uns sind Listen etwas anderes. Sie sind kurz und werden auswendig gelernt. Wer auf der Liste steht, wird bedient. Wer nicht drauf steht, wartet.“

„Und Lazar stand nicht drauf?“, fragte François.

„Er schrieb seine eigenen Listen“, sagte Dédé. „Er glaubte, dass die Welt ihm zuarbeitet.“

Er steckte die Hände tiefer in die Taschen. Die goldene Uhr glänzte. „Was soll ich noch sagen? Ich bin ein kleiner Mann, der glaubt, dass große Männer ebenfalls sterben. Mehr nicht.“

„Es gibt noch etwas“, sagte ich. „In Marseille hat jemand gestern in einer Kabine einen Knoten an einen Toten gehängt. Kennen Sie jemanden, der Knoten liebt?“

Seine Antwort brauchte zwei Herzschläge länger, als sie gebraucht hätte, wenn sie spontan gewesen wäre. „Wir alle“, sagte er schließlich. „Ohne Knoten fällt hier alles runter. Aber wer Knoten im Mund mag – der spielt. Das ist nicht mein Hafen.“

„Sein Hafen ist Marseille“, sagte François. „Ihr Hafen geht aber bis dahin.“

Dédé lächelte dieses Mal so, als wäre der Witz auf unserer Seite und er der, der lacht, um höflich zu sein. „Ich habe heute eine Lieferung zu beaufsichtigen. Und ich habe keine Lust, zu spät zu kommen, weil ich Ihnen Dinge erzählen soll, die Sie nicht benutzen können. Sprechen Sie mit dem, der die Boote wäscht“, sagte er plötzlich. „Er sieht alles.“

„Name?“

„Was glauben Sie, wie Leute heißen, die keiner bezahlt?“, fragte Dédé und drehte sich um.

Wir sahen ihm nach. Die gelbe Jacke verschwand hinter einem Stapel Paletten. Die großen Schuhe liefen weiter, als sie ihn schon nicht mehr brauchten.

Ich hasse Sätze, die wie Hinweise klingen, aber in der falschen Richtung zeigen. Wir gingen trotzdem in die Richtung, die wir hatten. Der Mann, der die Boote wusch, hieß tatsächlich keiner. Er sah aus wie fünfundfünfzig, seine Hände waren rote Schaufeln, und sein Rücken war ein Fragezeichen, das seit Jahren keine Antwort bekommen hatte. Er zeigte uns die Zähne, als wir sagten, wer wir waren.

„Ich sehe nichts“, sagte er. „Ich sehe nur Dreck. Und manchmal, ganz selten, sehe ich darunter etwas, was sauber war.“

„Gestern Abend?“, fragte ich.

Er zog die Schultern hoch. „Gestern war Regen. Sie wissen, wie Regen ist. Er macht aus Männern Schatten.“

„Haben Sie einen Schatten gesehen, der nicht hierher gehörte?“

Er dachte nach. Seine Stirn arbeitete so, als müsste sie schwere Dinge immer noch heben. „Ein Mann mit einer Kapuze. Nichts Besonderes, sagen Sie. Aber er hatte Handschuhe. Keine billigen. Schwarz, dünn, die, die man zum Fühlen braucht. Er hat nichts berührt. Ich glaube, das ist das, woran ich mich erinnere. Die Männer hier berühren die Dinge, mit denen sie leben. Er nicht.“

„Wann?“

„Zwischen neun und zehn“, sagte er. „Ich weiß das, weil ich die Weltmeisterschaft im Radio gehört habe, die es nicht gab.“ Er grinste schief. „Mein Radio ist alt. Es spielt manchmal alte Spiele.“

„Wohin ging er?“, fragte François.

„Er kam aus Richtung Parkplatz und ging zu den kleineren Liegeplätzen, die man nicht sieht, wenn man nicht weiß, dass es sie gibt. Und dann verschwand er.“

„Dankeschön“, sagte ich. Ich gab ihm meine Karte. „Wenn Ihnen Ihr Radio heute Abend etwas Neues vorspielt, rufen Sie an.“

Er drehte die Karte zwischen Daumen und Zeigefinger, so, als wäre sie etwas, das man knoten kann. „Sie arbeiten zu viel“, sagte er. „Sie wissen das, oder?“

„Ja“, sagte ich. „Aber es macht uns nicht klüger, wenn wir es nicht tun.“

Auf dem Rückweg nach Marseille rief mich Maxime an. „Wir haben den Mann mit dem Schal“, sagte er. „Er heißt Aurélien Voss. PR-Berater. Er hat früher für eine große Agentur gearbeitet und dann sein eigenes Büro gegründet. Seine Kundenliste liest sich wie eine Einladungsliste. Emilie Lazar hat ihn engagiert, bevor sie Emilie Lazar war. Er verwaltet Geschichten. Er war gestern am Club und hat mit einem Cateringunternehmer telefoniert. Er hat heute früh eine Rechnung verschickt.“

„An wen?“, fragte ich.

„An die Lazar-Stiftung“, sagte Maxime.

„Und hat er auch telefoniert, als er so tat?“, fragte ich.

Maxime hielt inne. Man konnte hören, wie Informationsströme im Hintergrund die Kanäle wechselten. „Nein“, sagte er dann. „In den relevanten Zeitslots hat sein Handy keine Aktivität. Er hat sich nur bewegt.“

„Jemand, der weiß, wie man nicht telefoniert“, sagte François, als ich es ihm weitergab. „Das sind die besten Telefonierer.“

„Wir nehmen ihn uns vor“, sagte ich. „Später. Erst Boulard, dann Voss. Und zwischendurch David, der uns sagt, welche Glock wir suchen.“

„Es ist übrigens keine Glock“, meldete David sich, als ich auf dem Präsidium durchklingelte. „Polygonalrifling, ja, aber die Abdrücke sagen etwas anderes. Ich tippe auf eine Walther, sehr sauber gepflegt, Gewinde für Schalldämpfer. Das Projektil ist subsonic. Jemand hat gelernt, was er tun muss, damit es leise bleibt – und gleichzeitig tödlich.“

„Vergleich in Toulon?“, fragte ich.

„Negativ. In den letzten zwei Jahren keine identische Signatur“, sagte David. „Aber ich habe etwas an den Fasern aus dem Salon: feine Gummipartikel vom Typ Hypalon. Kein normaler Schlauch. Zodiac, Profi-Serie.“

„Abrieb am Rumpf, Kamera, die spiegelt, Schalldämpfer, Hypalon-Rest“, sagte ich leise. „Unser Bewerber hat nicht improvisiert. Er war vorbereitet.“

Als wir die Quai-Kante von Marseille erreichten, waren die Wolken so schwer, dass die Laternen schon an waren. Das Wasser im Alten Hafen war grün und schwarz zugleich. Ich habe dieses Licht nie gemocht. Es macht Menschen schöner und Verbrechen ordentlicher.

„Ich habe übrigens eine gute Nachricht und eine schlechte“, sagte Maxime, der uns auf halbem Weg abfing. Er steckte die Hände in seinen Mantel und tat so, als sei ihm kalt. Er mag diese Bewegungen. „Die gute: Die Kameras im Yachtclub zeigen, dass jemand um zwei Uhr morgens von der Seeseite kam. Die schlechte: Es ist nur ein Schatten.“

„Jeder Schatten hat eine Kante“, sagte ich. „Zeig’s mir.“

Wir gingen in den kleinen Raum, in dem die IT sich wie immer für das schämen musste, was die Technik versprochen hatte. Zwei Monitore, kaltes Licht. Ein junger Kollege spulte vor, zurück, spielte in Zeitlupe. Eine Linie ohne Gesicht glitt an der Bordwand entlang, verschwand hinter der Reling, blieb für drei Minuten unsichtbar, tauchte wieder auf, ging in die andere Richtung. In den drei Minuten war Lazar gestorben.

„Und noch etwas“, sagte der Junge. „Um halb vier kommt jemand die Gangway hoch. Nicht derselbe. Größer. Er geht nicht aufs Schiff. Er steht nur kurz am Ende und dreht sich dann um. Und dann...“ Er klickte. Ein zweiter Schatten stand an der Mauer. „Die beiden sehen sich. Dann verschwinden sie in entgegengesetzte Richtungen.“

„Schal-Mann?“, fragte François.

„Könnte sein“, sagte der Junge. „Aber er trägt hier keinen.“

Es gibt Momente, da will man den Bildschirm anfassen. Dies war einer. Ich tat es nicht.

„Boulard“, sagte ich. „Und dann Voss. Und dann schlafen wir drei Stunden.“

„Du bist lustig“, sagte François.

Boulard war immer noch am Alten Hafen. Er hatte sein Glas gewechselt, nicht seinen Platz. Als wir ankamen, nickte er. „Ihr habt euch nicht verlaufen“, sagte er. „Also?“

„Dédé mag keine Palsteks“, sagte ich.

„Dédé mag keine Dinge, die nicht in seine Taschen passen“, sagte Boulard. „Warum seid ihr wirklich hier?“

„Weil jemand die Regeln ändert“, sagte ich. „Und Leute wie du es zuerst spüren, wenn Regeln sich ändern.“

Er sah mich lange an. Seine Augen waren wasserblau, aber nicht weich. „Gestern hat jemand einen Knoten gemacht, um zu zeigen, dass er Knoten kann. Morgen macht derselbe jemand vielleicht einen anderen Knoten. Einer, der zuzieht.“

„Wer?“

Er lachte leise. „Ihr wollt Namen. Ich gebe euch Bilder: Eine Hand, die ruhig ist. Eine Stimme, die leiser ist als die meisten. Und ein Kopf, der glaubt, er habe nicht die Zeit, Kind zu sein. Das sind die gefährlichsten. Nicht die, die schreien. Die, die tanzen können in ihren Köpfen, während sie jemanden töten.“

„Das ist keine Auskunft“, sagte François.

„Es ist eine“, sagte ich. „Nur nicht die, die er will.“

„Ihr habt noch was“, sagte Boulard und deutete mit dem Kinn auf meine Tasche. „Ich sehe euch schon zu lange. Wenn ihr so dasteht, habt ihr eine zweite Sache.“

Mein Handy vibrierte. Melanie. „Pierre?“, fragte sie. Ihre Stimme klang zu ruhig. „Es gibt einen zweiten Toten.“

„Wer?“

„Ein Mann namens Rachid Badri. Schatzmeister einer Hafenarbeiterkooperative. Er wurde in seinem Büro gefunden. Ein Schuss in die Brust. Eine Karte auf dem Schreibtisch. Ass der Münzen. Und ein Knoten im Papierkorb.“ Sie machte eine Pause. „Diesmal ein Schotstek. Ich musste es googeln.“

Ich sah zu François. Er hatte es aus meinem Gesicht. „Wo?“, fragte ich.

„Die Kooperative sitzt in einem Gebäude hinter den alten Fischhallen“, sagte Melanie. „Monsieur Marteau will, dass Sie sofort hinfahren. Stéphane ist unterwegs. David auch.“

„Wir sind näher dran als die meisten“, sagte ich. „Wir sind in zehn Minuten da.“

Boulard hob sein Glas, als ich auflegte. „Ihr glaubt immer, der zweite ist nur eine Bestätigung“, sagte er. „Manchmal ist er der Anfang.“

„Heute ist er eine Eskalation“, sagte ich und stand auf.

Die Fischhallen rochen nach dem, was sie sind, egal zu welcher Tageszeit. Das Gebäude der Kooperative war ein Betonklotz mit geputzten Fluren und einer Pinnwand, an der der Sommer aushing, obwohl er nicht mehr da war. Im Büro von Rachid Badri war die Luft warm. Er lag hinter seinem Schreibtisch, als hätte er sich gemerkt, wie Lazar gesessen hatte, nur ohne Leder. Der Schuss hatte ihn sauber getroffen. Der Knoten im Papierkorb war sauber gelegt. Das Ass der Münzen lag mitten auf dem Schreibtisch wie ein Witz, den man nicht erklären kann.

Stéphane Caron stand mit verschränkten Armen am Fenster und sah auf den Hof. „Zwei Münzen“, sagte er. „Bube und Ass. Der Lehrling und der Meister. Oder der Bote und der Geldgeber. Oder was auch immer wir daraus machen wollen.“

„Und zwei Knoten, die nicht dasselbe tun“, sagte ich. „Der Palstek ist eine feste Schlaufe. Der Schotstek verbindet zwei Leinen.“

„Es sei denn, einer der beiden ist schlecht gelegt“, sagte David, der gerade das Zimmer betrat und sich den Papierkorb ansah, als hätte der Papierkorb eine Geschichte verdient. „Dieser hier ist perfekt“, sagte er. „Wer das gemacht hat, kann mit Händen denken.“

„Einer, der Knoten liebt“, sagte François.

„Oder einer, der uns zeigen will, dass er sie alle kann“, sagte ich.

Ich trat an den Schreibtisch. Unter dem Ass der Münzen lag eine Quittung. La Ciotat. Eine Lieferung von Dichtungen für einen Trockendock. Unterschrift: Dédé. Datum: gestern. Ich hob die Quittung mit den Handschuhen an. Darunter lag nichts außer Holz.

„Rachid Badri war ein ruhiger Mann“, sagte Stéphane. „Keine Feinde auf den ersten Blick. Der zweite Blick? Wir suchen ihn.“

„Die Kamera?“, fragte ich.

Ein Kollege aus der IT hob den Kopf. „Totwinkel im Flur. Aber am Hintereingang haben wir etwas.“

Er spielte die Sequenz ab. Eine Gestalt, die Handschuhe nicht brauchte, glitt durch den Korridor. Kein Schal. Kein Hut. Eine Kapuze reichte. Die Gestalt blieb einen Moment in der Tür stehen, sah nach rechts, sah nach links, trat ein. Sechzehn Minuten später trat sie wieder aus, ein Schatten, schwerer als vorher. Ich hasse es, wenn Schatten Gewicht haben.

„Vier Schüsse in zwei Nächten“, sagte Stéphane. „Zwei Tote. Zwei Karten. Zwei Knoten.“

„Er macht uns einen Kurs“, sagte François. „Und wir sitzen in der ersten Reihe.“

„Es ist keine Vorlesung“, sagte ich. „Es ist eine Bewerbung.“

Wir standen im Hof. Der Regen blähte sich auf und wurde wieder zu Niesel. Marteau kam nicht oft selbst zu Tatorten. Heute kam er. Er ging durch die Tür, die Hände in den Taschen, als hätte er ein Rendezvous mit jemandem, den er lange nicht gesehen hatte. Er nickte uns kurz zu, hörte sich fünf Sätze an, sah in das Büro. Dann kam er wieder heraus und blieb unter dem Vordach stehen.

„Jemand bindet Knoten in Geld“, sagte er. „Jemand, der Lazar kannte und den Badri kannte oder zumindest wusste, was Badri tat.“

„Und jemand, der will, dass wir es merken“, sagte ich.

„Sie haben zehn Stunden“, sagte Marteau. „Danach lässt mich die Stadt nicht mehr in Ruhe. Finden Sie mir den Mann mit den Händen. Und wenn es nicht der gleiche ist, der die Karten legt, finden Sie den, der die Karten stellt.“ Er sah mich an. „Pierre, ich weiß, dass Sie Ihrem Instinkt nicht trauen, aber er hat Sie selten in die Wand gefahren. Sagen Sie mir, worauf er jetzt zeigt.“

„Auf zwei Richtungen“, sagte ich. „Erstens Dédé. Er ist nicht unser Schütze, aber er ist im Orbit. Zweitens Aurélien Voss. Er war da, wo man ihn nicht brauchen konnte. Er stellt Geschichten. Vielleicht stellt er auch Karten. Und drittens –“

„Drittens?“, fragte Marteau.

„Der Mann, der die Boote wäscht“, sagte ich. „Er sieht Menschen, die nichts berühren. Und er weiß, wann alte Spiele im Radio laufen.“

Marteau atmete durch. „Gut“, sagte er. „Dann spielen wir. Nur: Wir halten das Ergebnis in der Hand, bevor die anderen die Wettquoten festlegen.“

„Das ist nicht unser Job“, sagte François.

„Heute schon“, sagte Marteau. „Und wenn Sie den Knoten nicht lösen können, schneiden Sie ihn nicht. Holen Sie mir den, der ihn gemacht hat.“

Es war fast Mitternacht, als wir vor Voss’ Büro standen. Das Gebäude in der Rue Paradis war, was man erwartet: Glas, gerahmte Cover von Magazinen, in denen seine Kunden lächelten. Voss ließ uns warten. Das gehört zu seinem Beruf. Er ließ uns so lange warten, bis wir beschlossen, dass er uns nur noch mehr Zeit schulden konnte. Dann kam er. Der Schal war weg. Die Stimme war warm.

„Commissaires“, sagte er. „Ich bin ein Freund der Ordnung. Ich war heute den ganzen Tag ordentlicher Freund.“

„Ich auch“, sagte ich. „Setzen wir uns.“

Wir setzten uns nicht. Ich zeigte ihm die Karte auf meinem Handy. „War das ein Auftrag?“, fragte ich.

Er sah auf das Display, als wäre es ein Spiegel, in dem er sich selbst gern ansah. „Ich mache keine Karten“, sagte er.

„Sie machen Geschichten“, sagte ich. „Und manchmal sind Karten Geschichten.“

„Ich war gestern am Yachtclub“, sagte er. „Ich habe mit jemandem telefoniert, den ich hasse. Ich habe Rechnungen verschickt, die ich liebe. Ich habe niemanden getötet. Wenn das Ihre Frage ist.“

„Sie wissen, was eine Kamera ist“, sagte François.

„Ich weiß, wie man ihr entgeht“, sagte Voss. „Das ist mein Beruf.“

„Das ist auch der Beruf desjenigen, den wir suchen“, sagte ich. „Und meiner ist, den zu finden. Also: Wen haben Sie gestern gesehen?“

Er dachte nach, was bei Männern wie ihm selten ist. Sie erinnern sich lieber. „Ein Mann im Anzug, der nicht nass werden wollte“, sagte er. „Ein Mann mit einem Rucksack, der nass war, bevor er aus dem Taxi stieg. Eine Frau mit eiligen Schuhen. Und einen Polizisten, der tat, als sei er keiner.“

„Der mit dem Rucksack?“, fragte ich. „Was für ein Rucksack?“

„Dunkel. Wasserdicht. Keine Marke, die ich kenne. Es interessiert Sie, sehe ich.“

„Ja“, sagte ich.

„Er hat nicht aufs Wasser geschaut“, sagte Voss. „Er hat auf seine Handinnenflächen geschaut, als hätte er etwas darauf geschrieben.“

„Danke“, sagte ich. „Wir melden uns wieder.“

Als wir draußen auf der Straße standen, war die Luft klarer als am Nachmittag. Marseille roch nach Metall und Orangen, die niemand geschält hatte. Ich dachte an Hände. An Knoten. An Karten. An Menschen, die nicht berühren. Und an einen Rucksack, in dem ein Schalldämpfer Platz hat.

„Was jetzt?“, fragte François.

„Jetzt gehen wir ins Wasser“, sagte ich. „Oder dorthin, wo jemand es trocknet.“

„Der Mann mit den Handschuhen“, sagte er.

„Ja“, sagte ich. „Er hat gesagt, sein Radio spielt alte Spiele. Vielleicht ist eins davon das, in dem wir den Knoten schon einmal gesehen haben.“

Ich setzte mich ans Steuer. Die Stadt legte eine dünne Haut aus Ruhe über sich, die sofort reißen würde, wenn wir irgendwo die falsche Tür öffneten. Ich fuhr. Hinter mir spürte ich François’ Blick. Vor mir die Straße, die kurz trocken war und dann wieder nass. Links die Hafenlichter. Rechts die Schattenhäuser. Und irgendwo dazwischen ein Mann, der Knoten bindet, damit er gesehen wird.

Er hatte es geschafft. Jetzt mussten wir ihm sagen, dass er sich bei der falschen Firma beworben hatte. Denn wir sind keine, die Briefe schreiben. Wir sind die, die kommen. Und ich habe schon immer lieber geklopft, als eingeladen zu werden.

3

Wir fuhren nicht zum Wasser. Wir fuhren dorthin, wo man es faltet. In der Rue des Catalans steht ein Segelmacher, der seit drei Generationen dieselben drei Handgriffe macht und dabei jedes Mal etwas anderes herstellt. Das Schaufenster war dunkel, aber im Obergeschoss brannte Licht. Der Geruch von gewachstem Garn und altem Tuch hing in der Luft, als hätte jemand ihn dort aufgehängt, damit er bleibe.

Ich klopfte. Es dauerte, dann schob sich eine Gestalt zwischen Rollen und Leinen hindurch. Der Mann war schmal, mit Händen, die wie Werkzeuge aussahen. „Wir haben geschlossen“, sagte er, sah aber auf den Ausweis in meiner Hand und machte die Tür trotzdem auf. „Sie sind nicht wegen eines Spinnakers hier, nehme ich an.“

„Nicht direkt“, sagte ich. „Pierre Marquanteur, FoPoCri. Dies ist François Leroc. Wir suchen jemanden, der Hypalon kennt, nicht nur dem Namen nach. Und jemanden, der nachts näht.“

Er zog eine Augenbraue hoch, als hätte ich ihm einen Knoten gezeigt, den er noch nicht kannte. „Hypalon ist keine Tugend, Commissaire. Es ist ein Stoff. Er verzeiht wenig. Wer ihn flicken kann, der hat es geübt.“

„Hat in den letzten Tagen jemand hier Material gekauft?“, fragte François. „Patch-Kits, lösungsmittelbeständigen Kleber, schwarzes Garn. Dünn, widerstandsfähig.“

Er ging hinter seinen Tresen, legte die Fingerspitzen auf eine Kladde, die mehr war als ein Buch, und blätterte. Die Seiten waren sauberer, als ich erwartet hatte. „Zweimal in dieser Woche. Einer, der zu viel redete, und einer, der gar nicht redete.“

„Beschreiben Sie den, der nicht redete“, sagte ich.

„Groß nicht“, sagte er. „Eher mittel. Kapuze, nicht vom Regen, sondern vom Prinzip. Hände, die aussahen, als hätten sie keine Arbeit, und doch war da etwas... Präzision. Er wusste, was er wollte: Hypalon-Patch in Schwarz, 30 mal 30, Kleber, zwei Paar Handschuhe – Showa, die guten – und eine Spule Dyneema-Seil, zwei Millimeter. Das kauft keiner, der seinen Blumenkasten festbindet.“

„Hat er bar bezahlt?“, fragte ich.

„Natürlich.“ Er lächelte bitter. „Es gibt eine Art von Mann, die hat nur Bargeld, als hätte sie Schulden beim Stromanbieter. – Ich habe eine Kamera.“ Er drehte sich um, zog einen Bildschirm herunter, auf dem die Welt aussah wie ein schlechtes Theater. Er spulte, hielt an. Eine Gestalt, Kapuze, Rucksack. Das Gesicht blieb im Schatten. Die Hände nicht. Sie waren blank, ohne Ringe, ohne Schmutz. Die Finger bewegten sich, während er sah. Manche Menschen schauen mit den Augen, andere mit den Fingern.

„Er hat nicht gesprochen?“, fragte ich.

„Doch“, sagte der Segelmacher. „Zwei Sätze. ‚Das kurze. Schwarz.‘ Und dann: ‚Haben Sie auch Garn, das nicht schwimmt?‘“

„Dyneema sinkt“, murmelte François.

„Nicht, wenn es flach liegt“, sagte der Mann. „Aber ich habe ihm das verkauft, was er wollte. Ich verkaufe Seile, Commissaires. Keine Rettung.“

„Gab es noch etwas?“, fragte ich. „Etwas, das hängen blieb?“

Er sah mich an. Ich mochte seinen Blick. Er wog Dinge, ehe er sie sagte. „Er hat nicht gerochen“, sagte er. „Die meisten Männer, die von draußen kommen, riechen nach draußen. Er roch nach nichts.“

Als wir wieder auf die Straße traten, roch Marseille nach Niesel und Metall. „Voss sagt, der Mann sah auf seine Handflächen“, sagte François. „Der Segelmacher sagt, seine Hände rochen nach nichts. Jemand, der seine Hände liebt.“

„Oder hasst“, sagte ich.

„Wir sollten trotzdem mit dem reden, der Zodiacs an Leute verkauft, die der Regen nicht interessiert“, sagte François.

Nautique Sirocco lag am Ende der Avenue du Prado, wo die Stadt plötzlich aufhörte, so zu tun, als sei sie eine. Ein Metallgitter, zwei Boote vor der Tür, die auf ihren Trailern lagen und aussahen, als hätten sie nie Wasser gesehen. Der Mann im Laden war jung, mit der Haut eines Surfers und der Geduld eines Buchhalters. Er hob die Hand, als wir eintraten. „Wir haben geschlossen.“

„Dann sind wir schnell“, sagte ich und zeigte den Ausweis. „Verkaufen Sie Hypalon-Patches?“

„Verkaufen, vermieten, verfluchen.“ Er grinste. „Es reißt immer an der falschen Stelle.“

„Wer hat in den letzten zwei Tagen eines Ihrer Profi-RIBs gemietet?“, fragte François. „Die mit Hypalon-Schlauchkörpern, kein PVC.“

Er runzelte die Stirn. „Darf ich fragen, wieso?“

„Weil derjenige unseren Abend kürzer machen könnte“, sagte ich.

Er seufzte, setzte sich an einen Rechner. „Wir vermieten nicht oft nachts“, sagte er. „Und wenn, dann an Fischer, die tatsächlich fischen, nicht an Männer mit Kapuzen. Aber...“ Er tippt, blätterte, machte einen Laut, der wie ein kleiner Erfolg klang. „Gestern Nacht, ein RIB 5,50 Meter, 60 PS, Rückgabe heute früh ohne Abnahme. Der Schlüssel lag im Briefkasten. Gebucht unter ‚Côté‘. Vorname Etienne. Mobilnummer Prepaid, Adresse irgendein Airbnb, das es nicht gibt.“

„Kamera?“, fragte ich.

„Ich nehme an, Ihre IT kann aus einer Kartoffel eine Kamera machen“, sagte er und zeigte nach oben. „Wir haben zwei. Eine am Tor, eine an der Halle. Der Mann, der abholt, hatte eine Mütze, keine Kapuze. Er ist nicht groß. Er bewegt sich, als wüsste er, wie sein Körper funktioniert.“

„Können wir eine Kopie bekommen?“, fragte ich.

„Wenn Sie mir sagen, wann ich sie wiederbekomme“, sagte er. „Ich mag meine Kameras.“

„Sie behalten die Kameras, wir nehmen die Bilder“, sagte François.

Der Junge grinste wieder. „Abgemacht.“

Als wir wieder im Wagen saßen, vibrierte mein Handy. David. „Ihr wolltet, dass ich euch wecke, egal, wie spät“, sagte er. „Ich wecke euch.“

„Du schläfst nie“, sagte ich.

„Doch“, sagte er. „Ich tue nur so, als hätte ich es nicht nötig. – Jemand hat vor einer Stunde ein Boot angezündet. Ein RIB. In einem Schuppen bei Les Goudes. Die Feuerwehr hat gelöscht, aber ich denke, was euch interessiert, ist der Geruch.“

„Hypalon stinkt beim Brennen“, sagte François.

„Und darunter“, sagte David, „riecht es nach Kleber, wie ihn Segelmacher benutzen. Ich habe im Schutt ein Stück aus der Konsole gefunden. GPS-Logger. Er ist verkohlt, aber nicht tot. Wenn Maxime nicht zum ersten Mal in diesem Jahr Kaffee trinkt, haben wir gleich eine Spur.“

„Wir sind unterwegs“, sagte ich.

Les Goudes liegt da, wo Marseille fast aufhört und die Calanques anfangen, ihre steinige Geduld zu zeigen. Der Schuppen war schwarz, das Boot zu einer Skulptur aus Asche und Wut geworden. David stand mit einem Stück Elektronik in einer Plastiktüte da, als hätte er ein Baby aus dem Feuer gezogen. „Manchmal“, sagte er, „ist der Teufel dumm. Oder er hat es eilig.“

„Oder er will uns etwas zeigen“, sagte ich.

„Dann sollte er die Beschriftung nicht wegbrennen“, sagte David. „Maxime?“

Es dauerte nicht lange. In unseren Ohrhörern knisterte es, dann sprach Maxime. „Ich habe die Daten vom Logger. Er hat aufgezeichnet. Der Weg beginnt gestern 01:17 an der Sirocco-Station, geht raus am Frioul vorbei, dann an die Kante der Calanque de Sormiou, eine Kurve in die Morgiou, dann wieder zurück. Drei Stopps. Jeweils 12, 18 und 3 Minuten. Der letzte vor dem Yachtclub.“

„Drei Stopps“, sagte François. „Drei Knoten. Ein Palstek, ein Schotstek... Was ist der dritte?“

„Einer, den er noch nicht gelegt hat“, sagte ich. „Oder einer, den er für sich behält.“

„Was ist bei Morgiou?“, fragte David. „Außer schönen Ansichten.“

„Ein Bojenfeld mit Männern, die nachts glauben, sie seien unsichtbar“, sagte ich. „Und Höhlen, die niemand registriert hat.“

„Ich mag Höhlen nicht“, sagte François.

„Ich auch nicht. Aber unser Mann mag Wasser, das niemand sieht“, sagte ich.

Ich sah auf meine Uhr. Marseille hatte die Nacht verlängert. Die Stadt atmete kurz durch. „Vier Uhr“, sagte ich. „Wenn wir jetzt rausfahren, sind wir vor der Dämmerung zurück. Oder später.“

„Monsieur Marteau wird uns lieben“, sagte François.

„Monsieur Marteau liebt uns, wenn wir liefern“, sagte ich. „Und hasst uns nicht, wenn wir scheitern. Das ist das Beste, was wir kriegen.“

Wir ließen uns ein Boot geben, das schneller war als ich denken konnte. Der Wind stand ungünstig, aber das Meer hielt still genug, um aus uns keine Anfänger zu machen. Die Lichter der Stadt wurden kleiner, das Schwarz wurde tiefer. Zwischen den weißen Felsen der Calanques ist die Welt anders. Laut ist nicht laut. Leise ist sehr laut.

Wir trieben in die Morgiou hinein, nah an den Felsen entlang. Ich drosselte den Motor. Da war ein Geräusch, das nicht hierher gehörte: ein Klicken, wie von Metall auf Metall, nicht groß, aber entschieden. François berührte meinen Arm. Ich nickte. Wir ließen uns treiben. Das Klicken kam wieder, dann nicht mehr.

Ich sah sie zuerst: zwei Punkte, die sich vom Schwarz unterschieden. Nicht Licht. Hellere Dunkelheit. Ich fuhr die Kante an. Die Felswand hatte an dieser Stelle ein Maul, das man nur sah, wenn man wusste, dass Felsen Mäuler haben.

„Bleib hier“, sagte ich.

„Ich bleibe nie hier“, sagte François.

Wir legten an, so gut es ging, stiegen. Die Taschenlampen blieben aus. Die ersten Schritte in einer Höhle sind immer die schwersten. Nicht, weil man fallen kann. Weil man nicht weiß, wer schon gefallen ist.

Das Maul führte in einen kurzen Gang, der zu einer Kammer wurde. Jemand hatte sie benutzt. Es roch nach Gummi, nach Salz, nach einem Rest Rauch, den nur meine Nase noch mitbekam. An der Wand lehnte ein Stück Schlauchkörper, Hypalon, schwarz, frisch geschnitten. Daneben lag ein Garnrest, Dyneema, zwei Millimeter, abgeschnitten, als hätte jemand den Knoten abgeschnitten, weil er keine Zeit hatte. Auf einer umgedrehten Kiste lag eine Karte. Zwei der Münzen.

„Er zählt“, sagte François.

„Oder er jongliert“, sagte ich. „Die Zwei, die Balance.“

„Er hat keine Zeit gehabt, aufzuräumen“, sagte François. „Oder er will, dass wir sehen, dass er keine Zeit hatte.“

„Nein“, sagte ich. „Er will, dass wir sehen, dass wir ihn fast haben.“

Ich hörte wieder das Klicken. Nicht Metall auf Metall. Metall auf Stein. Jemand war da. Ich drehte mich, sah den Schatten, der sich löste, hörte den Zug einer Waffe. Ich war schneller, als ich wach werden konnte, aber nicht schnell genug, um das Licht auszuschalten, das in meinem Kopf anging. Ein Blitz. Dann ein zweiter, der keiner war. François stieß mich zur Seite. Die Kugel pfiff, schlug in die Wand, brach Stein, der roch, als wäre er alt.

„FoPoCri! Waffe fallen lassen!“, rief ich. Meine Stimme war lauter, als die Höhle vertrug. Sie kam zurück, als wollte sie hören, was ich gesagt hatte.

„Sie haben kein Recht hier“, sagte eine Stimme. Und das war das erste Mal, dass unser Mann etwas sagte, was nicht nur ein Knoten war. Die Stimme war ruhig. Nicht leise. Ruhig, wie Hände, die Garn fühlen.

„Sie auch nicht“, sagte ich. „Legt sie hin.“

Ein Atemzug. Zwei. Das Klicken. Keine Waffe fiel. Es fiel etwas anderes: ein Stück Metall, klein, das auf Stein klang. Dann Stille, die keine war. Und dann war er weg. Nicht, weil er zauberte. Weil ich auf den falschen Felsen sah.

Ich fluchte. Ich hasse es, wenn Menschen sich auflösen. Die Höhle blieb. Das Stück Metall blieb. Ich hob es auf. Ein Knopf von einem Schalldämpfer. Sauber. Gewinde, mikroskopisch fein.

„Er war hier“, sagte François.

„Er ist überall, wo er sein will“, sagte ich.

„Wir haben seine Knöpfe“, sagte François.

„Ich will seine Hände“, sagte ich.

Als wir zurück auf dem Boot waren, war die Nacht fast am Ende. Ich rief Marteau an. „Wir haben eine Höhle“, sagte ich. „Wir haben Hypalon, Dyneema, eine Karte. Und einen Schalldämpferknopf.“

„Und den Mann?“, fragte er.

„Er war da. Er ist nicht mehr da“, sagte ich.

„Dann ist er woanders“, sagte Marteau. „Und das heißt, er ist jetzt in der Stadt. Sie wird in ein paar Stunden aufwachen und höflich fragen, was wir tun. Tun Sie etwas.“

„Ich tue nie etwas“, sagte ich. „Ich mache.“

„Dann machen Sie, Pierre“, sagte er. „Und bevor Sie fragen: Ja, ich weiß, dass ich pathetisch klinge. Es ist früh.“

Als ich auflegte, sah ich auf die Zwei der Münzen, die in einer Tüte vor mir lag. Münzen. Knoten. Hände. Jemand schrieb eine Grammatik. Sie war nicht kompliziert. Sie war persönlich.

„Du weißt, was er als Nächstes legt“, sagte François.

„König der Münzen“, sagte ich. „Oder die Drei. Aber König ist naheliegend. Jemand mit Geld. Mehr Geld als Lazar. Jemand, der glaubt, dass er sicher ist. Jemand, der Voss als Freund hat.“

„Ein Banker“, sagte François.

„Oder ein Notar“, sagte ich. „Oder ein Spendenkomitee.“

Mein Handy vibrierte. Maxime. „Meine gute Nachricht“, sagte er ohne Einleitung: „Der GPS-Logger hat eine Pause direkt am Ende des Quai d’Arenc. Die schlechte: Die Kamera dort war just in jener Nacht kaputt. Und die hässliche: Im E-Mail-Postfach des PR-Büros von Voss liegt eine Einladung für heute Mittag. Ort: Bank Salanon. Thema: 'Zukunft der Werft'. Zeit: zwölf.“

„Voss moderiert?“, fragte ich.

„Er kündigt an. Und der Bankier, der spricht, heißt Salanon. König der Münzen, wenn du mich fragst“, sagte Maxime.

Ich sah auf die graue Kante des Morgens. Marseille glänzte, als hätte jemand sie poliert. „Wir gehen früh hin“, sagte ich. „Und wir bringen unsere Knoten mit.“

François sah mich an. „Welche?“, fragte er.

„Den, mit dem man Leute festbindet“, sagte ich. „Und den, mit dem man Geschichten nicht zuzieht, bevor sie fertig sind.“

Ich stellte mir den Palstek vor. Er löst sich, wenn man will. Der Schotstek verbindet zwei Enden. Die Zwei der Münzen balanciert. Der König der Münzen sitzt. Ich wollte ihn nicht sitzend sehen. Ich wollte ihn stehen sehen, mit den Händen, die ruhig waren. Und ich wollte sehen, ob die Knöchel weiß wurden, wenn ich sie festhielt.

Die Stadt wurde hell. Die Möwen schreien morgens anders. Sie schreien, als hätten sie die Nacht gewonnen. Ich hasse es, ihnen recht zu geben. Ich fuhr schneller.

4

Die Bank Salanon wirkt wie ein Museum, das man nicht gern besucht: Marmor, viel Glas, Sicherheitsleute, die aussehen, als hätten sie die Werksnummern ihrer Muskeln vergessen. Die Einladung, die Maxime mir weiterleitete, trug Worte, die so taten, als hätten sie Gewicht: Zukunft, Verantwortung, Region. Ich habe gelernt, dass diese Wörter am liebsten dort wohnen, wo die Türen schwer sind.

Wir waren zu früh. Das gehört zum Job, wenn man versucht, schneller zu sein als jemand, der nicht trödelt. Stéphane war schon da, er stand neben einem Mann in einem anthrazitfarbenen Anzug, der eine Sicherheitsfirma repräsentierte. Der Anzug trug mehr Angst als Stoff. „Wir haben den Saal,“ sagte Stéphane, als er uns sah. „Kameras, Ein- und Ausgänge, Dach. Die Hausleute machen, was sie können. Das ist leider wenig.“

„Gegen wen sichern wir?“, fragte der Sicherheitsmann. „Gegen Proteste? Wir hatten beim letzten Mal ein paar Aktivisten, die Kopien von Kreditanträgen vom Balkon geworfen haben.“

„Heute sichern wir gegen Hände“, sagte ich.

Er blinzelte. „Ich bitte?“

„Gegen jemanden, der mit ihnen denkt“, sagte ich. „Und der seine Sache so gut vorbereitet, dass Sie glauben, er kommt gar nicht.“

Wir gingen in den Saal. Er war zu hoch und zu elegant für die Uhrzeit. Stage Lights, Rednerpult, zwei Reihen Stühle, die schon Namen hatten. Voss war da. Er sah frisch aus, so frisch, als hätte er nicht geschlafen. Er nickte uns zu, als hätten wir uns verabredet. „Sie sind sehr pünktlich, Commissaires“, sagte er. „Ich schätze das.“

„Sie mögen Menschen, die sich an Zeitpläne halten“, sagte François.

„Ich mag Vorhersehbarkeit“, sagte Voss. „Sie reduziert den Lärm in meinem Kopf.“

„Und erhöht den in unserem“, sagte ich. „Wo ist Salanon?“

„Kommt wie immer als Letzter“, sagte Voss. „Das ist sein Trick. Er lässt alle glauben, sie hätten ihn erwartet.“

Ich ging nicht zum Rednerpult. Ich ging zur Seitenwand. Hinter einer schweren, grauen Bühne hing, halb verborgen, eine Tür mit einem Schild, das niemand las: Service. Ich drückte. Sie ging auf. Ein Korridor, hell, weiß, klimaanlagenkalt, die Art, die keine Menschen mag. Ein Geruch stach hervor. Nicht stark. Kleber. Frisch? Nein. Frisch gewesen.

„Stéphane“, sagte ich. „Gib deine Leute durch, dass der Servicekorridor keine Abkürzung ist. Er ist eine Straße.“

Er nickte, hielt die Hand an sein Ohr, sprach in eine Leitung, die schneller ist als der Mensch.

Ich ging weiter. Der Korridor bog ab, eine Nische, ein Versorgungsschacht, eine zweite Tür. Keine Karte, nur ein Riegel. Ich hob ihn, sah in einen kleinen Raum, in dem nichts war außer zwei Stühlen und einem Metallkasten an der Wand. Jemand hatte auf Schulterhöhe einen winzigen Filzstreifen an den Türrahmen geklebt. Schwarz. Eine stumpfe Klinge klebte daneben, abgeschnitten von einem Cutter. Ich wusste, was das war: Man kann damit verhindern, dass eine Tür ganz schließt, ohne dass jemand es sieht. Ich nahm den Filz, sah ihn mir an. Eine Spur Hypalon, kaum mehr als eine Illusion. Ich steckte ihn in eine Tüte.

„Er war hier“, sagte François hinter mir.

„Oder jemand, der ihn mag“, sagte ich. „Es ist egal. Er hat sich den Weg gemacht.“