Zum Paradies - Hanya Yanagihara - E-Book

Zum Paradies E-Book

Hanya Yanagihara

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Beschreibung

»Tiefgründig, sensibel, spannend.« Juli Zeh, Börsenblatt Drei Jahrhunderte, drei Versionen des amerikanischen Experiments: In ihrem kühnen neuen Roman – dem ersten seit Ein wenig Leben – erzählt Hanya Yanagihara von Liebenden, von Familie, vom Verlust und den trügerischen Versprechen gesellschaftlicher Utopien.   1893, in einem Amerika, das anders ist, als wir es aus den Geschichtsbüchern kennen: New York gehört zu den Free States, in denen die Menschen so leben und so lieben, wie sie es möchten – so jedenfalls scheint es. Ein junger Mann, Spross einer der angesehensten und wohlhabendsten Familien, entzieht sich der Verlobung mit einem standesgemäßen Verehrer und folgt einem charmanten, mittellosen Musiklehrer. 1993, in einem Manhattan im Bann der AIDS-Epidemie: Ein junger Hawaiianer teilt sein Leben mit einem deutlich älteren, reichen Mann, doch er verschweigt ihm die Erschütterungen seiner Kindheit und das Schicksal seines Vaters. 2093, in einer von Seuchen zerrissenen, autoritär kontrollierten Welt: Die durch eine Medikation versehrte Enkelin eines mächtigen Wissenschaftlers versucht ohne ihn ihr Leben zu bewältigen – und herauszufinden, wohin ihr Ehemann regelmäßig an einem Abend in jeder Woche verschwindet. Drei Teile, die sich zu einer aufwühlenden, einzigartigen Symphonie verbinden, deren Themen und Motive wiederkehren, nachhallen, einander vertiefen und verdeutlichen: Ein Town House am Washington Square. Krankheiten, Therapien und deren Kosten. Reichtum und Elend. Schwache und starke Menschen. Die gefährliche Selbstgerechtigkeit von Mächtigen und von Revolutionären. Die Sehnsucht nach dem irdischen Paradies – und die Erkenntnis, dass es nicht existiert. Und all das, was uns zu Menschen macht: Angst. Liebe. Scham. Bedürfnis. Einsamkeit.  Zum Paradies ist ein Wunderwerk literarischer Erfindungskraft und ein Kunstwerk menschlicher Gefühle. Seine außergewöhnliche Wirkung gründet in seinem Wissen um den Wunsch, jene zu beschützen, die wir lieben: Partner, Liebhaber, Kinder, Freunde – unsere Mitmenschen. Und den Schmerz, der nach uns greift, wenn wir das nicht können.

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Zum Paradies

Die Autorin

HANYA YANAGIHARA wurde 1974 in Los Angeles geboren und wuchs unter anderem in Hawaii auf. Ihr zweiter Roman Ein wenig Leben war für den Man Booker Prize und den National Book Award nominiert. Ihr erster Roman Das Volk der Bäume wurde 2019 ins Deutsche übersetzt. Hanya Yanagihara lebt in New York.STEPHAN KLEINER, geboren 1975, lebt als literarischer Übersetzer in München. Neben Hanya Yanagihara übertrug er u. a. Geoff Dyer, Michel Houellebecq, Gabriel Tallent, Charlie Kaufman und Quentin Tarantino ins Deutsche.

Das Buch

1893, in einem Amerika, das anders ist, als wir es aus den Geschichtsbüchern kennen: New York gehört zu den Freistaaten, in denen die Menschen so leben und so lieben, wie sie es möchten – jedenfalls scheint es so. Ein junger Mann, Spross einer der wohlhabendsten Familien, entzieht sich der Verlobung mit einem standesgemäßen Verehrer und folgt einem charmanten, mittellosen Musiklehrer.1993, Manhattan im Bann der AIDS-Epidemie: Ein junger Hawaiianer teilt sein Leben mit einem älteren, reichen Mann, doch er verschweigt ihm die Erschütterungen seiner Kindheit und das Schicksal seines Vaters.2093, in einer von Seuchen zerrissenen, autoritär kontrollierten Welt: Die Enkelin eines einst mächtigen Wissenschaftlers versucht ihr Leben ohne ihn zu bewältigen – und herauszufinden, wohin ihr Ehemann an manchen Abenden verschwindet.Drei Jahrhunderte. Drei Menschenleben. Drei Versionen des amerikanischen Experiments, die alle um ein Stadthaus am Washington Square kreisen und sich zu einer aufwühlenden, beispiellosen Symphonie verbinden, deren Themen und Motive wiederkehren und einander vertiefen: In ihrem kühnen neuen Roman – dem ersten seit Ein wenig Leben – erzählt Hanya Yanagihara von Familie, Verlust und den trügerischen Versprechen gesellschaftlicher Utopie. Zum Paradies ist ihre Auseinandersetzung mit unserer Gegenwart, unserer Zukunft und all dem, was unsere Menschlichkeit ausmacht: Liebe. Angst. Scham. Bedürfnis.

Hanya Yanagihara

Zum Paradies

Aus dem Englischen von Stephan Kleiner

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem TitelTo Paradise im Verlag Doubleday, einem Imprint vonPenguin Random House LLC, New York.

claassen ist ein Verlagder Ullstein Buchverlage GmbHLektorat: Ulrike Ostermeyer, Berlin1. Auflage 2022© 2022 by Hanya Yanagihara© der deutschsprachigen Ausgabe2022 Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehaltenLektorat: Ulrike Ostermeyer, BerlinUmschlagabbildung: Iokepa, Hawaiian Fisher Boy, Öl auf Leinwand, von Hubert Vos, 1898. Art Collection 3 / Alamy Stock PhotoKarten: John Burgoyne, Lettering in Karten: Chris CampeE-Book powered by pepyrus

ISBN 9783843726467

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

- BUCH I -Washington Square

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

X.

XI.

XII.

XIII.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

- BUCH II -Lipo-wao-nahele

Teil I

Teil II

- Buch III -Zone Acht

Teil I: Herbst 2093

Teil II: Herbst, fünfzig Jahre früher

Teil III: Winter 2094

Teil IV: Winter, vierzig Jahre früher

Teil V: Frühling 2094

Teil VI: Frühling, dreißig Jahre früher

Teil VII: Sommer 2094

Teil VIII: Sommer, zwanzig Jahre früher

Teil IX: Herbst 2094

Teil X: 16. September 2088

Anhang

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

- BUCH I -Washington Square

Widmung

Für Daniel Roseberry,der mir beistandundFür Jared Hohlt,immer

- BUCH I -Washington Square

I.

Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, vor dem Abendessen um den Park zu gehen: zehn Runden, an manchen Abenden so langsam, wie es ihm behagte, an anderen zügig, und dann die Stufen des Hauses wieder hinauf und in sein Zimmer, um sich die Hände zu waschen und seine Krawatte zu richten, ehe er sich wieder nach unten zu Tisch begab. Heute jedoch, als er eben aufbrechen wollte, sagte das kleine Dienstmädchen, das ihm die Handschuhe reichte: »Mister Bingham hat mich gebeten, Sie daran zu erinnern, dass Ihr Bruder und Ihre Schwester zum Abendessen kommen«, und er sagte: »Ja, danke für die Erinnerung, Jane«, als hätte er es tatsächlich vergessen, und sie machte eine kleine Verbeugung und schloss die Tür hinter sich.

Er würde schneller gehen müssen, als wenn er frei über seine Zeit hätte verfügen können, doch er stellte fest, dass er vorsätzlich das Gegenteil tat und sich stattdessen langsamer als üblich bewegte und dem Klacken seiner Stiefelabsätze lauschte, das entschlossen durch die kalte Luft schallte. Der Tag neigte sich dem Ende zu, und der Himmel war von jenem tintigen Violett, bei dessen Anblick er nicht umhinkonnte, sehnsuchtsvoll an seine Schulzeit zurückzudenken, fern von hier, und zuzusehen, wie alles sich schwarz schattierte und der Umriss der Bäume sich vor ihm auflöste, als bestünde er aus etwas Rauchigem und Veränderlichem.

Der Winter nahte, und er hatte nur seinen leichten Mantel angezogen; dennoch ging er weiter, verschränkte die Arme vor der Brust und klappte die Mantelaufschläge hoch. Selbst als es bereits fünf Uhr geschlagen hatte, senkte er den Kopf und schritt weiter voran, und erst als er die fünfte Umrundung beendet hatte, machte er seufzend kehrt, um auf einem der Wege Richtung Norden zum Haus zu gehen und die gepflegten Steinstufen hinauf, während sich die Tür für ihn öffnete, noch ehe er oben angekommen war, und der Butler bereits die Hand nach seinem Hut ausstreckte.

»Im Salon, Mister David.«

»Danke, Adams.«

Er stand vor den Türen zum Salon und fuhr sich mehrmals mit den Händen durchs Haar – eine nervöse Angewohnheit, so wie das wiederholte Glattstreichen seiner Stirnlocke, wenn er las oder zeichnete, oder das sanfte Hindurchziehen seines Zeigefingers unter der Nase, wenn er nachdachte oder beim Schachspielen wartete, bis er am Zug war, oder wann immer er Zeuge irgendeiner Darbietung wurde –, ehe er abermals seufzte und beide Türen zugleich aufstieß, mit einer Geste, die Selbstvertrauen und Überzeugung demonstrieren sollte, obgleich er beides selbstverständlich nicht besaß. Sie sahen geschlossen zu ihm herüber, aber unbeteiligt, weder erfreut noch bestürzt, ihn zu sehen. Er war ein Stuhl, eine Uhr, ein über eine Sofalehne geworfener Schal, etwas, was das Auge so oft zur Kenntnis genommen hatte, dass es nun darüber hinwegglitt, dessen Anwesenheit so vertraut war, dass es bereits zum Bühnenbild gehörte, ehe sich der Vorhang hob.

»Wieder einmal zu spät«, sagte John, bevor er irgendetwas hätte sagen können, aber Johns Stimme war mild, und er schien nicht in tadelnder Stimmung zu sein, wenngleich man sich bei ihm nie ganz gewiss sein konnte.

»John«, sagte er, die Bemerkung seines Bruders übergehend, und schüttelte ihm und seinem Ehemann Peter die Hand; »Eden« – er küsste zuerst seine Schwester und dann ihre Ehefrau Eliza auf die rechte Wange –, »wo ist Großvater?«

»Im Keller.«

»Ah.«

Einen Augenblick lang standen sie alle schweigend da, und David verspürte kurz die alte Verlegenheit, die er oft in Bezug auf sich und die anderen beiden, die Geschwister Bingham, empfand: dass sie einander nichts zu sagen hatten – oder eher, dass sie nichts zu sagen wussten –, solange ihr Großvater nicht anwesend war, so als existierten sie füreinander nicht durch ihr gemeinsames Blut oder ihre Geschichte, sondern allein durch ihn.

»Arbeitsreicher Tag?«, fragte John, und er sah kurz zu ihm hinüber, doch John hatte den Kopf über seine Pfeife gebeugt, und David vermochte die Frage nicht zu deuten. Wenn er Zweifel hatte, konnte er Johns Absicht für gewöhnlich an Peters Miene ablesen – Peter sprach weniger, war jedoch ausdrucksstärker, und David dachte oft, dass die beiden wie eine einzige Gesprächseinheit auftraten, in der Peter mit den Augen und dem Kiefer erläuterte, was John sagte, oder John jedes Stirnrunzeln, jede Grimasse und jedes flüchtige Lächeln, das über Peters Gesicht huschte, in Sprache verwandelte, doch diesmal blieb Peter ausdruckslos, so ausdruckslos wie Johns Stimme, und war daher nicht hilfreich, weshalb er gezwungen war, die Frage zu beantworten, als wäre sie aufrichtig gemeint, was sie vielleicht auch war.

»Nicht sehr«, sagte er, und die Wahrheit dieser Antwort – ihre Offensichtlichkeit, ihre Unbestreitbarkeit – war so unabweisbar und offenkundig, dass es sich wieder anfühlte, als hätte sich Schweigen über den Raum gesenkt, und dass selbst John sich schämte, eine solche Frage gestellt zu haben. Und dann begann David, wie er es manchmal tat, etwas zu versuchen, was noch schlimmer war, nämlich sich zu erklären, seinen Taten Worte und eine Form zu verleihen. »Ich habe gelesen –« Doch siehe da, weitere Demütigungen wurden ihm erspart, denn nun betrat ihr Großvater den Raum, eine von einem mausgrauen Pelz aus filzigem Staub besetzte dunkle Flasche Wein hochhaltend und seinen Triumph – er hatte sie gefunden! – verkündend, noch ehe er ganz bei ihnen war, und dann, in Adams Richtung, sie wollten heute spontan sein, er solle sie gleich dekantieren, sie würden sie zum Abendessen trinken. »Ah, und sieh an, welch liebliche Erscheinung sich zu uns gesellt hat in der Zeit, die ich brauchte, um diese vermaledeite Flasche zu finden«, sagte er und schenkte David ein Lächeln, ehe er sich der Gruppe zuwandte, sodass dieses Lächeln sie alle einschloss, eine Einladung, ihm an den Esstisch zu folgen, was sie auch taten und wo sie, alle sechs auf ihren üblichen Plätzen um den schimmernden Eichentisch sitzend – Großvater am Kopf, David zu seiner Rechten und Eliza zu Davids, John zu Großvaters Linken und Peter zu seiner, Eden am Fuß der Tafel –, eine ihrer üblichen monatlichen Sonntagsmahlzeiten einnehmen und ihre üblichen gemurmelten, belanglosen Gespräche führen würden: Neuigkeiten aus der Bank, Neuigkeiten über Edens Studium, Neuigkeiten von den Kindern, Neuigkeiten aus Peters und Elizas Familien. Draußen stürmte und loderte die Welt – die Deutschen rückten immer weiter nach Afrika vor, die Franzosen säbelten sich noch immer durch Indochina und, weniger weit entfernt, die jüngsten Schrecken in den Kolonien: Erschießungen, Hinrichtungen durch den Strick und Züchtigungen, Opferungen, Vorgänge, zu fürchterlich, um sie sich zu vergegenwärtigen, und dennoch so nah –, aber nichts von alledem, schon gar nicht das, was sich in nächster Nähe ereignete, durfte die Wolke von Großvaters Abendessen durchdringen, in der alles weich war und das Harte schmiegsam gemacht wurde; selbst die Seezunge war so fachmännisch gedünstet, dass man sie lediglich mit dem gereichten Löffel aufnehmen musste und die Gräten sich dem sanftesten Druck des Silbers beugten. Dennoch war es schwer, schwerer denn je, der Außenwelt das Eindringen zu verwehren, und beim Dessert, einem leicht wie Milchschaum geschlagenen Syllabub aus Ingwerwein, fragte David sich, ob die anderen ebenso wie er an diese kostbare Ingwerwurzel dachten, die in den Kolonien gefunden und ausgegraben, zu ihnen hier in den Freistaaten gebracht und von Koch für viel Geld gekauft worden war: Wer war gezwungen worden, die Wurzeln auszugraben und zu ernten? Wem hatte man sie fortgenommen?

Nach dem Abendessen kamen sie wieder im Salon zusammen, und Matthew goss ihnen Kaffee und Tee ein, und Großvater hatte sich auf seinem Sessel nur ein klein wenig zurechtgesetzt, als Eliza plötzlich aufsprang und sagte: »Peter, ich wollte dir doch schon die ganze Zeit das Bild dieses außergewöhnlichen Meeresvogels in dem Buch zeigen, von dem ich dir letzte Woche erzählte, und ich habe mir geschworen, dass ich es heute Abend nicht wieder vergesse; Großvater Bingham, gestatten Sie?«, und Großvater nickte und sagte: »Selbstverständlich, mein Kind«, und dann stand auch Peter auf, und sie verließen Arm in Arm den Raum, und Eden wirkte stolz, eine Frau zu haben, die über ein so gutes Gespür für alles um sie herum verfügte, die vorausahnte, wann die Binghams unter sich sein wollten, und wusste, wie sie sich auf elegante Weise empfehlen konnte. Eliza hatte rotes Haar und mächtige Glieder, und wenn sie den Salon durchquerte, zitterten und klirrten die kleinen gläsernen Ornamente, die die Tischlampen säumten, doch in dieser Hinsicht war sie behände und flink, und sie alle hatten Anlass, ihr für ihren Scharfsinn dankbar zu sein.

Sie würden also das Gespräch führen, das Großvater ihnen im Januar angekündigt hatte, als das Jahr noch jung gewesen war. Und doch hatten sie Monat für Monat gewartet, und Monat für Monat, nach jedem Familienessen – und nachdem erst der Unabhängigkeitstag, dann Ostern, dann der Erste Mai und dann Großvaters Geburtstag vorübergegangen waren und dann all die anderen besonderen Anlässe, zu denen sie sich versammelten –, hatten sie es nicht und nicht und wieder nicht getan, und nun war der zweite Sonntag im Oktober, und sie würden es zu guter Letzt doch tun. Auch die anderen begriffen augenblicklich, worum es ging, und alle kamen herbei, kehrten zu Tellern und Untertassen mit angebissenen Gebäckstücken und halb vollen Teetassen zurück, stellten gekreuzte Beine wieder ordentlich nebeneinander und richteten Rücken gerade auf, bis auf Großvater, der sich stattdessen tiefer in seinen Sessel lehnte, dessen Sitzfläche unter ihm knarrte.

»Es ist mir ein Anliegen gewesen, bei eurer Erziehung Ehrlichkeit walten zu lassen«, begann er nach einem seiner Momente des Schweigens. »Ich weiß, andere Großväter würden dieses Gespräch nicht mit euch führen, entweder aufgrund eines Gefühls von Indiskretion oder weil sie es vorzögen, sich nicht den daraus erwachsenden Diskussionen und Enttäuschungen auszusetzen – warum sollte man das auch, wo diese Diskussionen doch ebenso gut geführt werden könnten, wenn man nicht mehr ist und sich nicht daran beteiligen muss? Doch ein solcher Großvater bin ich euch dreien nicht und bin es auch nie gewesen, und daher halte ich es für das Beste, offen zu euch zu sprechen. Glaubt nicht« – und hier verstummte er und blickte sie der Reihe nach an –, »das hieße, ich wäre nun bereit, irgendwelche Enttäuschungen hinzunehmen: Dass ich euch sage, was ich euch sagen werde, bedeutet nicht, dass es in meinem Verstand ungeklärt wäre; dies ist das Ende der Angelegenheit, nicht ihr Anfang. Ich sage es euch, damit es keine Missdeutungen gibt, keine Spekulationen – ihr hört es von mir, mit euren eigenen Ohren, statt es in Frances Holsons Kanzlei von einem Stück Papier zu erfahren, allesamt in Schwarz gekleidet.

Es sollte euch nicht überraschen zu erfahren, dass ich beabsichtige, meinen Besitz zwischen euch dreien gleichmäßig aufzuteilen. Natürlich habt ihr allesamt persönliche Gegenstände und Vermögen von euren Eltern, aber ich habe jedem von euch einige meiner eigenen Schätze zugedacht, Dinge, von denen ich glaube, dass sie euch oder eure Kinder erfreuen werden, jeden auf seine Weise. Ihre Enthüllung wird warten müssen, bis ich nicht mehr unter euch weile. Für eure zukünftigen Kinder wurde Geld zur Seite gelegt. Für die, die es schon gibt, habe ich Treuhandschaften arrangiert; Eden, für Wolf und Rosemary gibt es je eine; John, für Timothy gibt es ebenfalls eine. Und David, für deine etwaigen Nachkommen gibt es eine entsprechende Summe.

Bingham Brothers wird weiterhin von seinem Vorstand geleitet und die Anteile werden unter euch dreien aufgeteilt werden. Ihr werdet alle euren Platz im Aufsichtsrat behalten. Solltet ihr beschließen, eure Anteile zu verkaufen, werden die Vertragsstrafen hoch sein, und ihr müsst euren Geschwistern das Vorkaufsrecht zu einem verminderten Preis einräumen, und darüber hinaus müssen die übrigen Vorstandsmitglieder dem Verkauf zustimmen. Ich habe das alles einzeln mit euch besprochen. Nichts davon sollte euch verwundern.«

Jetzt rückte er sich wieder in seinem Sessel zurecht, und die Geschwister taten es ebenfalls, denn sie wussten, dass nun das wahre Rätsel folgen würde, wussten – und wussten, dass ihr Großvater es wusste –, dass das, was er beschlossen hatte, einen Teil von ihnen unglücklich machen würde – die Frage war nur, wer zu diesem Teil zählte.

»Eden«, verkündete er, »du wirst Frog’s Pond Way und die Wohnung in der Fifth Avenue bekommen. John, du wirst das Anwesen in Larkspur und das Haus in Newport bekommen.«

Und an dieser Stelle schien sich die Luft zu verdichten und zu schimmern, denn sie begriffen alle, was das bedeutete: dass David das Haus am Washington Square bekommen würde.

»Und du, David«, sagte Großvater langsam, »Washington Square. Und das Landhaus am Hudson.«

Er sah nun müde aus und lehnte sich noch weiter zurück, offenbar aus echter Erschöpfung, nicht nur als Teil seiner Darbietung, und das Schweigen hielt noch immer an. »Und das war es, das ist meine Entscheidung«, erklärte Großvater. »Ich will, dass ihr jetzt alle deutlich hörbar eure Zustimmung bekundet.«

»Ja, Großvater«, murmelten sie alle, und dann fasste David sich und setzte hinzu: »Danke, Großvater«, und John und Eden kamen ebenfalls zu sich und taten es ihm nach.

»Gerne«, sagte Großvater. »Wenngleich wir hoffen wollen, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis Eden meine geliebte Wurzelhütte am Frog’s Pond niederreißt«, und er lächelte sie an, und es gelang ihr, das Lächeln zu erwidern.

Danach und ohne dass irgendjemand etwas sagen musste, endete der Abend abrupt. John läutete nach Matthew und ließ ihn Peter und Eliza holen und ihre Droschken bereitstellen, und dann wurden Hände geschüttelt und Küsse getauscht, und die Verabschiedung, bei der alle zur Tür gingen und seine Geschwister und ihre Ehegatten sich in Umhänge und Schals hüllten und in Tücher wickelten, für gewöhnlich eine seltsam lärmende und langwierige Angelegenheit voller Ausrufe über das Essen und Ankündigungen und verstreuter, vergessener Informationen über ihr Alltagsleben, verlief stumm und rasch, Peter und Eliza hatten bereits die abwartenden, nachsichtigen, mitfühlenden Mienen aufgesetzt, die sich jeder, der in den Kreis der Binghams einheiratete, früh in seiner Laufbahn anzueignen lernte. Und dann waren sie fort, in einer letzten Runde Umarmungen und Abschiedsgrüße, die David äußerlich, wenn auch nicht im Herzen oder im Geiste einschlossen.

Im Anschluss an diese sonntäglichen Abendessen pflegten er und sein Großvater in dessen Herrenzimmer entweder ein weiteres Glas Portwein oder noch etwas Tee zu trinken und über den Verlauf des Abends zu sprechen: kleine Beobachtungen, die nur gerade eben an Klatsch und Tratsch grenzten, Großvaters ein klein wenig bissiger, was ihm sowohl zustand als auch seine Art war: Hatte Peter auf David nicht ein wenig fahl gewirkt? Hörte sich Edens Anatomieprofessor nicht unerträglich an? Doch als sich an diesem Abend die Tür geschlossen hatte und die beiden wieder allein im Haus waren, sagte Großvater, er sei müde, es sei ein langer Tag gewesen und er wolle hinauf und zu Bett gehen.

»Natürlich«, antwortete er, wenngleich seine Erlaubnis nicht erbeten worden war, aber er wollte selbst allein sein, um über die Ereignisse nachzudenken, und so küsste er seinen Großvater auf die Wange und stand dann einen Augenblick lang im von Kerzenschein erhellten Gold der Eingangshalle jenes Hauses, das eines Tages ihm gehören würde, ehe auch er sich umwandte, um hinauf in sein Zimmer zu gehen und Matthew vorher noch zu bitten, ihm ein weiteres Schälchen der Weincreme zu bringen.

II.

Er hatte nicht erwartet, einschlafen zu können, und tatsächlich hatte er scheinbar viele Stunden lang wach gelegen, wissend, dass er träumte und zugleich bei Bewusstsein war, dass er unter sich die gestärkte Baumwolle seiner Bettlaken fühlte und auf eine Weise dort lag, das linke Bein zu einem Dreieck angewinkelt, durch die er sich am nächsten Tag wund und steif fühlen würde. Und doch kam es ihm vor, als hätte er trotz allem geschlafen, denn als er das nächste Mal die Augen aufschlug, waren da dünne Streifen von weißem Licht, wo sich die Vorhänge nicht ganz berührten, und die Geräusche der durch die Straßen klappernden Pferde und vor seiner Tür die Hausmädchen, die mit ihren Eimern und Besen auf- und abgingen.

Er fand Montage stets trostlos. Beim Erwachen war der Schrecken des Vorabends noch ungetrübt, und meist versuchte er, früh aufzustehen, sogar noch vor Großvater, um auch das Gefühl zu haben, sich in den Sog des Treibens zu begeben, welches das Leben der meisten Menschen beseelte, das Gefühl, dass auch er wie John oder Peter oder Eden Pflichten wahrzunehmen oder wie Eliza Orte aufzusuchen hatte, statt nur Tage vor sich zu haben, von denen einer so wenig festgelegt war wie der andere und die er eigenständig ausfüllen musste, so gut er es vermochte. Man konnte nicht sagen, dass er nichts hatte: Er war der nominelle Vorsitzende der wohltätigen Stiftung des Unternehmens, und er war es, der die Aufwendungen zugunsten verschiedener Personen und Zwecke bewilligte, die in ihrer Gesamtheit eine Art Familiengeschichte ergaben – die Widerstandskämpfer, die im Süden für ihre Sache stritten, und die wohltätigen Vereine, die alles unternahmen, um die Flüchtlinge zu beherbergen und wieder zu vereinigen, die Gruppe, die sich für die Bildung von Negroes einsetzte, die Organisationen, die sich an ausgesetzte und vernachlässigte Kinder richteten, jene, die die armen klagenden Massen von Einwanderern unterrichteten, welche Tag für Tag an ihren Küsten ankamen, jene Völker, denen das eine oder andere Familienmitglied im Laufe seines Lebens begegnet und von denen es angerührt gewesen war und denen es nun half –, und doch erstreckte sich seine Verantwortlichkeit nur auf die Bewilligung der Schecks und der monatlichen Aufstellung von Zahlen und Kosten, die von seiner Sekretärin, einer tüchtigen jungen Frau mit Namen Alma, welche die Stiftung im Grunde selbstständig leitete, bereits den Buchhaltern wie auch den Anwälten der Firma vorgelegt worden waren; er war nur da, um als ein Bingham seinen Namen zur Verfügung zu stellen. Er leistete auch unentgeltliche Arbeit in verschiedenen Funktionen, wie man es als in guten Verhältnissen aufgewachsener, noch immer beinahe junger Mensch zuweilen tat: Er stellte Pakete mit Mullbinden und Verbänden und pflanzlichen Salben für die Kämpfer in den Kolonien zusammen; er strickte Socken für die Armen; er gab einmal wöchentlich einen Zeichenkurs an der Schule für Findelkinder, die seine Familie unterstützte. Doch die jeden Monat für all diese Bemühungen und Tätigkeiten aufgewendeten Stunden beliefen sich in ihrer Gesamtheit vielleicht auf eine Woche, und so war er die übrige Zeit allein und ziellos. Manchmal kam es ihm vor, als wäre sein Leben etwas, was er nur endlich aufbrauchen wollte, um sich am Ende eines jeden Tages mit einem Seufzen in sein Bett zu legen, im Wissen, dass er sich wieder durch einen kleinen Teil seiner Existenz hindurchgearbeitet und einen weiteren Zentimeter auf ihr natürliches Ende zubewegt hatte.

An diesem Morgen jedoch freute ihn sein spätes Erwachen, denn er war sich noch immer nicht sicher, wie die Geschehnisse des Vorabends zu deuten seien, und dankbar dafür, sie mit einem klareren Verstand überdenken zu können. Er läutete nach Eiern mit Toast und Tee, aß und trank im Bett und las dabei die Morgenzeitung – eine weitere Säuberung in den Kolonien, nähere Einzelheiten wurden nicht genannt; ein windiger Aufsatz eines exzentrischen Philanthropen, der für seine teils extremen Ansichten wohlbekannt war und der hier abermals argumentierte, die Vorzüge der vollen Staatsbürgerschaft müssten auf die Negroes ausgeweitet werden, die vor der Gründung der Freistaaten dort gelebt hatten; ein längerer Beitrag, der neunte in ebenso vielen Monaten, der den zehnten Jahrestag der Fertigstellung der Brooklyn Bridge und ihre erneuernde Wirkung auf den Berufsverkehr feierte, diesmal mit großen, detaillierten Zeichnungen ihrer hoch aufschießenden Pfeiler, die über den Fluss ragten –, und dann zog er sich an, wusch sich, verließ das Haus und rief Adam noch zu, er werde im Club zu Mittag essen.

Der Tag war kühl und sonnig, und der schon recht fortgeschrittene Morgen besaß diese fröhliche, schwungvolle Energie: Es war früh genug, dass alle noch emsig und hoffnungsfroh waren – dies könnte der Tag sein, an dem das Leben eine erfreuliche und lang erträumte Wendung nahm, an dem es einen Geldregen gab oder die Konflikte im Süden endeten oder es beim Abendessen zwei Scheiben Speck statt bloß einer gab –, und auch noch nicht so spät, dass diese Hoffnungen einmal mehr unbeantwortet blieben. Wenn er lief, tat er es im Allgemeinen mit einem bestimmten Ziel, ließ seine Füße die Richtung bestimmen, und nun bog er unmittelbar in die Fifth Avenue ein und nickte im Vorbeigehen dem Kutscher zu, der das braune Pferd bei den Stallungen vor dem Kutschenhaus anband.

Das Haus: Nun, da er sich nicht länger in seinen Mauern befand, hoffte er, es etwas objektiver betrachten zu können, doch was sollte das überhaupt bedeuten? Er hatte nicht einmal den ersten Teil seiner Kindheit dort verlebt, niemand von ihnen hatte das getan – diese Ehre war einem großen, kühlen Herrenhaus weit im Norden zuteilgeworden, westlich der Park Avenue –, aber dorthin hatten sich seine Geschwister und er und davor ihre Eltern für jedes wichtige familiäre Ereignis zurückgezogen, und als ihre Eltern gestorben waren, fortgerissen von der Krankheit, waren sie zu dritt in dieses Haus gezogen. Sie hatten sämtliche Dinge im Haus ihrer Kindheit aufgeben müssen, die aus Stoff oder Papier bestanden, alles, was einen Floh hätte verbergen können, alles, was verbrannt werden konnte; später hatte er sich daran erinnert, wie er wegen einer Pferdehaarpuppe weinte, die er geliebt hatte, und wie Großvater ihm versprach, er werde eine neue bekommen, und als die drei am Washington Square ihre jeweiligen Zimmer betreten hatten, da waren ihre Vorleben für sie detailgetreu nachgebildet gewesen – ihre Puppen und Spielzeuge und Decken und Bücher, ihre Läufer und Kleider und Mäntel und Kissen. Am Fuß des Emblems der Firma Bingham Brothers standen die Worte Servatur Promissum – Ein gehaltenes Versprechen –, und in diesem Augenblick durften die Geschwister erkennen, dass diese Worte auch für sie galten, dass ihr Großvater zu allem stehen würde, was er ihnen sagte, und in den mehr als zwei Jahrzehnten, die sie seitdem in seiner Obhut gewesen waren, erst als Kinder und dann als Erwachsene, war dieses Versprechen nie entkräftet worden.

Ihr Großvater hatte die neue Lage, in der sowohl er als auch sie sich befanden, so vollständig beherrscht, dass etwas eingetreten war, woran er sich später nur als ein nahezu unmittelbares Ende der Trauer erinnern konnte. Natürlich konnte das nicht stimmen, weder in Bezug auf ihn noch auf seine Geschwister oder auf seinen Großvater, der unvermittelt seines einzigen Kindes beraubt worden war, doch David war über die, wie er nun dachte, Zuversicht, die Absolutheit seines Großvaters und des Reiches, das er für sie geschaffen hatte, so erstaunt gewesen, dass er sich diese Jahre nun auf keine andere Weise mehr vorstellen konnte. Es schien, als hätte sein Großvater von ihrer Geburt an geplant, dass er eines Tages ihr Vormund werden würde und dass sie in ein Haus ziehen würden, in dem er einst allein gelebt hatte, dessen einzige Rhythmen seine eigenen waren, statt dass es unversehens über ihn gekommen wäre. Später sollte es David erscheinen, als wären dem ohnehin schon geräumigen Haus neue Zimmer gesprossen, als hätten sich neue Flügel und Räumlichkeiten auf magische Weise offenbart, um sie zu beherbergen, als wäre das Zimmer, das er sein eigenes genannt hatte (und noch immer nannte), aus Bedürftigkeit heraufbeschworen und nicht einfach von dem, was es gewesen war, einer wenig genutzten zusätzlichen Wohnstube, zu etwas anderem gemacht worden. Im Laufe der Jahre würde Großvater sagen, dass seine Enkelkinder dem Haus einen Zweck verliehen hätten, dass es ohne sie nur ein Haufen Zimmer gewesen wäre, und es zeugte von seinem Einfluss, dass sie alle drei, selbst David, das als wahr hinnahmen, dass sie wirklich und wahrhaftig glaubten, sie hätten das Haus – und damit auch Großvaters eigenes Leben – mit etwas Wesentlichem und Erlesenem ausgestattet.

Er nahm an, dass sie alle das Haus als ihr Eigentum betrachteten, doch er war immer schon der Ansicht gewesen, dass es sein spezieller Schlupfwinkel war, ein Ort, an dem er nicht nur lebte, sondern verstanden wurde. Nun, als Erwachsener, konnte er es gelegentlich so sehen, wie es auf Außenstehende wirkte, die Einrichtung eine wohlgeordnete, aber dennoch exzentrische Ansammlung von Gegenständen, gesammelt von ihrem Großvater auf seinen Reisen durch England und den Kontinent und sogar die Kolonien, wo er während einer kurzen Zeit des Friedens gelebt hatte, aber was vorherrschte, war der Eindruck, den er als Kind davon gewonnen hatte, als er Stunden damit hatte zubringen können, von einer Etage zur anderen zu ziehen, Schubladen und Schränke zu öffnen, unter Betten und Sofas zu spähen, die Holzböden kühl und glatt unter seinen bloßen Knien. Er erinnerte sich deutlich daran, als kleiner Junge eines Morgens noch spät im Bett gelegen, ein durchs Fenster einfallendes Band aus Sonnenlicht betrachtet und begriffen zu haben, dass dies der Ort war, an den er gehörte, und an das tröstliche Gefühl, das ihm diese Erkenntnis geschenkt hatte. Selbst später noch, als er nicht in der Lage gewesen war, das Haus, sein Zimmer zu verlassen, als das Bett zu seinem Leben wurde, hatte er in dem Haus nie etwas anderes als einen Zufluchtsort gesehen, dessen Wände nicht nur die Schrecken der Welt abhielten, sondern auch sein ganzes Selbst zusammenhielten. Und nun würde das Haus ihm gehören und er dem Haus, und zum ersten Mal erschien es ihm bedrückend, wie ein Ort, dem er nun vielleicht niemals entkommen würde, ein Ort, der ihn ebenso besaß wie er ihn.

Solche Gedanken beschäftigten ihn während der Zeit, die es ihn kostete, die Twenty-second Street zu erreichen, und wenngleich er den Club nicht mehr betreten wollte – er frequentierte ihn immer weniger häufig, da es ihm widerstrebte, seinen ehemaligen Klassenkameraden zu begegnen –, trieb ihn der Hunger nach drinnen, wo er Tee und Brot und Würste bestellte und rasch aß, ehe er den Club wieder verließ und weiter in Richtung Norden ging, den ganzen Broadway hinauf bis zum südlichen Ende des Central Park spazierte, ehe er kehrtmachte und nach Hause ging. Als er an den Washington Square zurückkehrte, war es nach fünf Uhr nachmittags, und der Himmel nahm wieder sein dunkles, einsames Blau an, und ihm blieb nur noch Zeit, sich umzuziehen und zurechtzumachen, ehe er hörte, wie Großvater unten mit Adams sprach.

Er hatte nicht erwartet, dass Großvater die Geschehnisse des Vorabends erwähnen würde, nicht in Anwesenheit des Dienstpersonals, doch selbst nachdem man sie in seinem Herrenzimmer allein mit ihren Getränken zurückgelassen hatte, sprach Großvater weiterhin nur von der Bank und den Ereignissen des Tages und von einem neuen Klienten aus Rhode Island, dem Eigner einer ansehnlichen Schiffsflotte. Matthew erschien, um ihnen Tee und einen Biskuitkuchen mit dickem Vanillezuckerguss zu bringen; im Wissen um Davids Vorliebe hatte der Koch den Kuchen mit Splittern von kandiertem Ingwer garniert. Sein Großvater aß sein Stück rasch und sorgfältig, doch David war nicht in der Lage, den Kuchen richtig zu genießen, denn er wartete allzu gespannt darauf, was sein Großvater über das Gespräch vom Vorabend sagen würde, und er fürchtete sich davor, was er selbst unabsichtlich sagen würde, dass er auf irgendeine Weise seinen eigenen Zwiespalt verraten, dass er undankbar klingen könnte. Schließlich jedoch zog sein Großvater zweimal an seiner Pfeife und sagte, ohne ihn anzublicken: »Es gibt da noch etwas anderes, was ich mit dir zu bereden habe, David, doch in der ganzen Aufregung gestern Abend ging das natürlich nicht.«

Das war eine Gelegenheit, um nochmals seine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, doch sein Großvater wedelte sie mit dem Rauch beiseite. »Du brauchst mir nicht zu danken. Das Haus gehört dir. Du liebst es schließlich.«

»Ja«, setzte er an, denn das tat er, aber er dachte noch immer an jene eigenartigen Empfindungen, die er am Morgen gehabt hatte, als er so viele Häuserblöcke weit darüber nachgegrübelt hatte, weshalb ihn die Aussicht, das Haus zu erben, nicht mit einem Gefühl von Sicherheit, sondern eher mit einer Art Panik erfüllte. »Aber –«

»Aber was?«, fragte Großvater, der ihn nun seinerseits mit einer eigentümlichen Miene anblickte, und David, der befürchtete, zweifelnd geklungen zu haben, setzte rasch hinzu: »Ich mache mir nur Gedanken um Eden und John«, woraufhin Großvater wieder mit der Hand wedelte. »Eden und John werden zurechtkommen«, sagte er knapp. »Über sie brauchst du dir keine Gedanken zu machen.«

»Großvater«, sagte er lächelnd, »du brauchst dir auch keine Gedanken um mich zu machen«, worauf Großvater nichts erwiderte, und dann waren sie beide beschämt, sowohl über den Umstand der Lüge als auch über deren ungeheuerliches Ausmaß, das so groß war, dass nicht einmal der Anstand verlangte, es in Abrede zu stellen.

»Ich habe ein Angebot erhalten, dich zu verheiraten«, sagte sein Großvater schließlich in das Schweigen hinein. »Eine gute Familie – die Griffiths aus Nantucket. Natürlich haben sie als Schiffsbauer begonnen, aber nun haben sie ihre eigene Flotte und auch einen kleinen, aber ertragreichen Pelzhandel. Der Vorname des Gentleman lautet Charles; er ist Witwer. Seine Schwester – ebenfalls Witwe – lebt mit ihm zusammen und zieht ihre drei Söhne gemeinsam mit ihm auf. Er verbringt die Handelssaison auf der Insel und lebt im Winter auf dem Kap.

Ich kenne die Familie nicht persönlich, aber sie haben eine sehr respektable Stellung – sie beteiligen sich recht eifrig an der örtlichen Regierung, und Mister Griffiths Bruder, mit dem seine Schwester und er ihr Geschäft betreiben, ist der Vorstand der Handelsgesellschaft. Es gibt noch eine weitere Schwester, die im Norden lebt. Mister Griffith ist der Älteste; die Eltern leben noch – es waren Mister Griffiths Großeltern mütterlicherseits, die das Geschäft gegründet haben. Frances hat das Angebot über ihren Anwalt erhalten.«

Er hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. »Wie alt ist dieser Gentleman?«

Großvater räusperte sich. »Einundvierzig«, sagte er zögerlich.

»Einundvierzig!«, rief er aus, mit mehr Nachdruck als beabsichtigt. »Entschuldige bitte«, sagte er. »Aber einundvierzig! Er ist ein alter Mann!«

Das entlockte Großvater ein Lächeln. »Das nun nicht gerade«, sagte er. »Nicht in meinen Augen. Und nicht in denen der meisten Menschen. Aber ja, er ist älter. In jedem Fall älter als du.« Und dann, als er nichts sagte: »Kind, du weißt, ich will nicht, dass du heiratest, wenn du es nicht wünschst. Aber wir haben darüber gesprochen, und du hast Interesse bekundet, sonst hätte ich das Angebot nie ernsthaft erwogen. Soll ich Frances mitteilen, dass du ablehnst? Oder wünschst du ein Treffen?«

»Ich habe das Gefühl, ich werde dir zur Last«, murmelte er schließlich.

»Nein«, sagte Großvater. »Nicht zur Last. Wie ich bereits sagte, keiner meiner Enkel muss heiraten, wenn er nicht den Wunsch verspürt. Aber ich finde, du solltest darüber nachdenken. Wir müssen Frances ja nicht sofort antworten.«

Schweigend saßen sie da. Es war tatsächlich viele Monate her – ein Jahr vielleicht; länger –, dass es zuletzt ein Angebot oder auch nur Interesse gegeben hatte, wobei er nicht wusste, ob es daran lag, dass er die letzten beiden Anträge so rasch und mit solchem Gleichmut abgelehnt hatte, oder ob die Gesellschaft schließlich doch von seinen Unpässlichkeiten erfahren hatte, die zu verschleiern Großvater und er so eifrig bemüht gewesen waren. Der Gedanke an eine Heirat ängstigte ihn tatsächlich in gewissem Maße, und doch: War es nicht auch besorgniserregend, dass das jüngste Angebot von einer unbekannten Familie kam? Ja, sie wäre in Stand und Stellung angemessen – Frances hätte es nicht gewagt, Großvater diesen Vorschlag anzutragen, wäre sie es nicht gewesen –, doch es bedeutete auch, dass sie beide, Großvater und Frances, entschieden hatten, nun Anwärter in Erwägung zu ziehen, die aus einem Kreis jenseits derer stammten, die die Binghams kannten und mit denen sie Umgang pflegten, den etwas über sechzig Familien, die die Freistaaten aufgebaut hatten und inmitten derer nicht nur seine Geschwister und er, sondern auch seine Eltern und sein Großvater vor ihnen ihr ganzes Leben zugebracht hatten. Dieser kleinen Gemeinschaft gehörte Peter ebenso an wie Eliza, doch es war nun offenkundig, dass der älteste Erbe der Familie Bingham, sollte er heiraten, seinen Ehegatten jenseits dieses goldenen Zirkels würde finden, sich einer anderen Gruppe von Menschen würde zuwenden müssen. Die Binghams waren nicht abschätzig, sie waren nicht elitär, sie gehörten nicht zu jenen, die sich nicht mit Kaufmännern und Händlern abgaben, mit Menschen, die ihr Leben in diesem Land als eine bestimmte Art von Mensch begonnen hatten und durch Fleiß und Klugheit zu einer anderen Art geworden waren. Peters Familie war so, sie aber waren es nicht. Und doch konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass er eine Enttäuschung war, dass das von seinen Vorfahren so hart erarbeitete Erbe durch sein Dasein geschmälert wurde.

Dennoch erschien es ihm Großvaters Worten zum Trotz auch, als stünde es ihm nicht gut an, das Angebot unmittelbar auszuschlagen: Er war als Einziger für seine augenblickliche Lage verantwortlich, und wie das Erscheinen der Griffiths deutlich machte, würden seine Wahlmöglichkeiten nicht unbegrenzt sein, seinem Namen und dem Geld seines Großvaters zum Trotz. Also sagte er, er willige in das Treffen ein, und sein Großvater erwiderte – mit einer Miene, die eine kaum verhohlene Erleichterung widerspiegelte, oder etwa nicht? –, er werde Frances umgehend Bescheid geben.

Er war jetzt müde, und er empfahl sich und ging auf sein Zimmer. Obgleich es nun nichts mehr mit demjenigen gemein hatte, in dem er aufgewachsen war, kannte er es so gut, dass er sich selbst im Dunkeln darin zurechtfand. Eine zweite Tür führte zu einem Raum, der seinen Geschwistern und ihm früher als Spielzimmer gedient hatte und jetzt sein Arbeitszimmer war, und hierher zog er sich mit dem Umschlag zurück, den sein Großvater ihm gegeben hatte, ehe er hinaufgegangen war. Darin befand sich eine kleine Radierung des Mannes, Charles Griffith, und im Schein der Lampe betrachtete er sie eingehend. Mister Griffith war blond, mit hellen Augenbrauen, einem weichen, runden Gesicht und einem vollen, aber nicht unverhältnismäßigen Schnurrbart; selbst auf der Zeichnung, die nur das Gesicht, den Hals und die obere Schulterpartie zeigte, konnte David sehen, dass er untersetzt war.

Unvermittelt wurde er von einer jähen Angst erfasst, und er ging zum Fenster, öffnete es rasch und sog die kalte, klare Luft ein. Es war spät, wurde ihm bewusst, später, als er geglaubt hatte, und unter ihm rührte sich nichts. Sollte er wirklich erwägen, das Haus am Washington Square zu verlassen, so kurz nachdem er sich widerwillig an den Gedanken gewöhnt hatte, es vielleicht niemals wieder zu tun? Er drehte sich wieder um und nahm das Zimmer in Augenschein, versuchte sich vorzustellen, wie alles darin – seine Bücherregale; seine Staffelei; sein Schreibtisch mit seinem Papier und den Tinten und dem gerahmten Porträt seiner Eltern; sein Sessel, dessen scharlachrote Paspeln nun flachgedrückt waren und sich mit dem Alter auftrennten und den er seit seiner Hochschulzeit hatte; sein Schal mit dem Paisleymuster, den Großvater ihm vor zwei Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte, eigens aus Indien bestellt; alles zu seinem Trost oder zu seiner Freude oder beidem zusammengestellt – in ein hölzernes Haus in Nantucket verbracht wurde und er selbst dazu.

Doch er konnte es nicht. Diese Dinge gehörten hierher, in sein Haus: als hätte das Haus selbst sie entstehen lassen, als wären sie etwas Lebendiges, was verkümmern und sterben würde, wenn es an einen anderen Ort gebracht würde. Und dann dachte er: Galt für ihn nicht dasselbe? War er nicht auch etwas, was das Haus, wenn nicht hervorgebracht, so doch genährt und gespeist hatte? Wenn er das Haus am Washington Square verließ, wie sollte er je wissen, wo wirklich sein Platz in der Welt war? Wie konnte er diese Mauern verlassen, die ihn stets leer und ausdruckslos angestarrt hatten, ganz gleich in welcher Verfassung er sich befand? Wie konnte er diese Böden verlassen, über die er seinen Großvater spätnachts hatte gehen hören, der in den Monaten, in denen er nicht imstande war, sein Zimmer zu verlassen, selbst mit Knochenbrühe und Medizin zu ihm gekommen war? Es war nicht immer ein freudvoller Ort. Mitunter war es ein fürchterlicher Ort gewesen. Doch wie könnte sich irgendein anderer Ort so ganz und gar nach dem seinen anfühlen?

III.

Einmal im Jahr, in der Woche vor Weihnachten, wurden die Schutzbefohlenen der Hiram Bingham Charitable School and Institution zu einem Mittagessen in einem der Sitzungssäle der Firma Bingham Brothers geladen. Es gab gekochten Schinken und Konfekt und gedünstete Äpfel und Eiercreme, und zum Abschluss kam Nathaniel Bingham, ihr Schirmherr und Eigner der Bank, um sie persönlich zu begrüßen, begleitet von zwei seiner Angestellten, die beide selbst ehemalige Schüler ihrer Schule waren und ein Leben als Erwachsene in Aussicht stellten, das noch zu fern und abstrakt war (und es leider Gottes für die meisten von ihnen auch bleiben würde), als dass sie es sich selbst hätten ausmalen können. Mister Bingham hielt eine kurze Rede, ermunterte sie, arbeitsam und folgsam zu sein, und dann versammelten sich die Kinder selbst in zwei Reihen und erhielten von einem der Angestellten jedes einen flachen, breiten Pfefferminzriegel.

Alle drei Geschwister nahmen an diesem Essen teil, und Davids liebster Anblick war nicht der Ausdruck auf den Gesichtern der Kinder, wenn sie ihr Festmahl erspähten, sondern eher der, den sie aufsetzten, wenn sie das Foyer der Bank betraten. Er verstand ihre Ehrfurcht, denn er verspürte sie selbst jedes Mal: der weitläufige Boden aus silbrigem Marmor, auf Hochglanz poliert; die ionischen Säulen, aus dem gleichen Stein gehauen; die prächtige Decke der Rotunde, in die ein schimmerndes Mosaik eingefügt war; die drei Wandbilder, die sich über die gesamte Länge dreier Wände erstreckten, so hoch oben aufgemalt, dass man förmlich in eine Bittstellerhaltung gezwungen wurde, wollte man sie richtig betrachten – das erste zeigte seinen Urururgroßvater Ezra, den Kriegshelden, der sich in der Schlacht um die Unabhängigkeit von Großbritannien verdient gemacht hatte; das zweite seinen Ururgroßvater Edmund, der mit den anderen Utopisten von Virginia nach New York marschiert war, um das zu gründen, was als die Freistaaten bekannt werden sollte; das dritte seinen Urgroßvater Hiram, den er nie kennengelernt hatte, wie er Bingham Brothers ins Leben rief und zum Bürgermeister von New York gewählt wurde. Im Hintergrund aller drei Tafeln waren in Braun- und Grautönen gehaltene Augenblicke aus der Geschichte seiner Familie wie auch des Landes wiedergegeben: die Belagerung von Yorktown, wo Ezra gekämpft hatte, während seine Frau und die jungen Söhne zu Hause in Charlottesville waren; Edmund, der seinen Ehemann Mark heiratete, und die ersten Kriege gegen die Kolonien, die die Freistaaten gewinnen sollten, aber nur mit hohen menschlichen und finanziellen Einbußen; Hiram und seine beiden Brüder David und John als junge Männer, nicht ahnend, dass von ihnen nur Hiram, der jüngste, das vierzigste Lebensjahr erreichen und dass nur er einen Nachkommen hervorbringen würde – seinen Sohn Nathaniel, Davids Großvater. Am unteren Ende jeder Tafel war eine Marmorplatte angebracht, in die je ein einziges Wort eingraviert war – Höflichkeit; Bescheidenheit; Menschlichkeit –, was gemeinsam mit den Worten auf dem Signet der Bank das Familienmotto ergab. Die vierte Tafel, jene über den gewaltigen Flügeltüren, die sich zur Wall Street hin öffneten, war leer, eine glatte freie Fläche, und dort würden eines Tages die Errungenschaften von Davids Großvater festgehalten werden: wie er Bingham Brothers zum wohlhabendsten Finanzinstitut nicht nur der Freistaaten, sondern auch Amerikas gemacht hatte; wie er, bis er sich an der Finanzierung des amerikanischen Kampfes im Rebellionskrieg beteiligte und die Unabhängigkeit seines Landes sicherstellte, die Existenz der Freistaaten erfolgreich gegen sämtliche Versuche verteidigt hatte, sie aufzulösen und die Rechte ihrer Einwohner zu annullieren; wie er für die Umsiedlung freier Negroes bezahlt hatte, die in die Freistaaten gekommen waren, und ihnen geholfen hatte, sich im Norden oder im Westen ein neues Leben aufzubauen, und auch für jene von Flüchtlingen aus den Kolonien. Gewiss, Bingham Brothers war nicht mehr die einzige und womöglich auch nicht mehr die mächtigste Institution in den Freistaaten, zumal in Anbetracht der in jüngster Zeit erfolgten Blüte der neureichen jüdischen Banken, die sich in der Stadt zu etablieren begonnen hatten, doch alle waren sich darin einig, dass es noch immer die einflussreichste, die prestigeträchtigste, die renommierteste war. Anders als die Neuankömmlinge, pflegte Davids Großvater zu sagen, verwechsle Bingham Brothers nicht Ehrgeiz mit Gier oder Klugheit mit Abgefeimtheit – das Unternehmen sei den Staaten gegenüber ebenso verantwortlich wie den Menschen, denen es diente. »Der Große Mister Bingham« wurde Nathaniel von den Zeitungen genannt, mitunter auf spöttische Weise, etwa wenn er eines seiner ehrgeizigeren Projekte auf den Weg zu bringen versuchte – wie vor einem Jahrzehnt den Vorschlag, das allgemeine Wahlrecht in ganz Amerika durchzusetzen –, meist jedoch aufrichtig gemeint, denn Davids Großvater war unbestreitbar ein großer Mann, jemand, dessen Taten und Gesichtszüge es verdienten, auf Mauerputz gemalt zu werden, von einem Künstler, der auf halsbrecherische Weise auf einem Sitz aus Seil und Holz hoch über dem Steinboden balancierte und nicht hinabzuschauen versuchte, während er den farbeglänzenden Pinsel über der Oberfläche schwang.

Aber trotz alledem gab es keine fünfte oder sechste Tafel: Kein Raum war seinem Vater, dem zweiten Kriegshelden der Familie, oder seinen Geschwistern und ihm zugewiesen. Wobei – was hätte sein Drittel der Tafel überhaupt zeigen sollen? Einen Mann, der im Hause seines Großvaters darauf wartete, dass eine Jahreszeit in die andere überging, dass sein Leben sich ihm endlich enthüllte?

Derartiges Selbstmitleid, derartige Schwäche war unansehnlich und unziemlich, das wusste er, und er schritt durch das Foyer zu den hoch aufragenden Eichentüren an der Rückseite des Raums, wo ihn der Sekretär seines Großvaters, ein Mann, den seine Geschwister und er, so weit er zurückdenken konnte, immer nur als Norris gekannt hatten, bereits erwartete.

»Mister David«, sagte er. »Wir haben uns länger nicht gesehen.«

»Hallo, Norris«, sagte er. »Das stimmt. Ich hoffe, es ist Ihnen in der Zwischenzeit gut ergangen?«

»Ja, Mister David. Und Ihnen?«

»Ja, sehr.«

»Der Gentleman ist bereits da; ich bringe Sie zu ihm. Ihr Großvater wird Sie anschließend sehen wollen.«

Er folgte Norris den holzgetäfelten Gang entlang. Er war ein adretter, gepflegter Mann mit filigranen, feingezeichneten Zügen, dessen Haar in Davids Kindheit von einem strahlenden Goldton gewesen und im Laufe der Jahrzehnte zur Farbe von Pergament verblasst war. Sein Großvater hatte stets unumwunden über nahezu alle Angelegenheiten seines eigenen Lebens und über das der Familie gesprochen, doch auf Fragen zu Norris antwortete er ausweichend; es war allgemein anerkannt, dass sein Großvater und Norris eine Übereinkunft hatten, doch trotz Nathaniel Binghams erklärter Offenheit allen gesellschaftlichen Schichten und seiner erklärten Ungeduld jeder Art von Schicklichkeit gegenüber hatte er Norris nie als seinen Begleiter vorgestellt und auch weder seinen Enkelkindern noch sonst irgendjemandem gegenüber jemals angedeutet, er werde sich irgendwann gesetzlich an ihn binden. Norris ging bei ihnen nach Belieben ein und aus, aber er hatte dort kein Bett, kein Zimmer; er sprach die jungen Binghams seit deren frühester Kindheit nie an, ohne ein »Master« oder »Miss« vor ihren Namen zu setzen, und sie hatten längst aufgehört, ihm vorzuschlagen, er solle es tun; er nahm an gewissen familiären Anlässen teil, doch er war weder bei ihren Unterhaltungen nach dem Essen in Großvaters Herrenzimmer noch an Weihnachten oder Ostern anwesend. Bis heute war David sich nicht sicher, wo Norris lebte – er glaubte, einmal gehört zu haben, er lebe in einer Wohnung am Gramercy Park, die Großvater ihm vor Jahren gekauft habe – oder woher er genau kam und aus welcher Familie er stammte; er war vor Davids Geburt aus den Kolonien zu ihnen gekommen und hatte als Kohlenjunge für Bingham Brothers gearbeitet, als Großvater ihm begegnet war. In Gegenwart der Binghams war er unaufdringlich und still, aber auch ungezwungen; er war ihnen so vertraut, dass er häufig vergessen wurde – seine Anwesenheit wurde vorausgesetzt, doch seine Abwesenheit blieb unbemerkt.

Norris machte nun vor einem der privaten Konferenzräume halt und öffnete die Tür, und der Mann und die Frau im Raum erhoben sich von ihren Stühlen und wandten sich um, als er eintrat.

»Ich lasse Sie allein«, sagte Norris und schloss die Tür leise hinter sich, während die Frau auf ihn zuging. »David!«, sagte sie. »Ich habe Sie so lange nicht gesehen.« Das war Frances Holson, die langjährige Anwältin seines Vaters, die wie Norris mit nahezu allen Einzelheiten des Lebens der Binghams vertraut war. Sie war ebenfalls eine feste Größe, doch ihr Platz am Firmament der Binghams war sowohl bedeutender als auch anerkannter – sie hatte sowohl Johns als auch Edens Ehe arrangiert, und es schien, als wäre sie entschlossen, Davids ebenfalls anzubahnen.

»David«, fuhr sie fort, »ich freue mich sehr, Ihnen Mister Charles Griffith aus Nantucket und Falmouth vorstellen zu dürfen. Mister Griffith, hier ist der junge Mann, über den Sie so viel gehört haben, Mister David Bingham.«

Er sah nicht so alt aus, wie David befürchtet hatte, und trotz seines hellen Teints war er auch nicht rötlich: Charles Griffith war groß gewachsen und ausladend, aber auf eine selbstbewusste Weise, er hatte breite Schultern und einen umfangreichen Torso und Hals. Sein Jackett war maßgeschneidert, die Wolle weich und fein, und die Lippen unter dem Schnurrbart waren klar konturiert und zugleich rosa und nun zu einem Lächeln gekräuselt. Er war nicht gut aussehend, nicht im eigentlichen Sinne, doch er erweckte einen Eindruck von Gewandtheit, Elan und Gesundheit, was sich zu einem nahezu angenehmen Äußeren vereinigte.

Als er sprach, war auch seine Stimme einladend, tief und auf eine gewisse Weise pelzig an den Rändern: Sie hatte eine Sanftheit, eine Liebenswürdigkeit an sich, die im Widerspruch zu seiner Größe und der dadurch angedeuteten Stärke stand. »Mister Bingham«, sagte er, während sie einander die Hand schüttelten. »Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen. Ich habe so viel von Ihnen gehört.«

»Und ich von Ihnen«, sagte er, obwohl er nicht sehr viel mehr über Charles Griffith erfahren hatte, seit er beinahe sechs Wochen zuvor zum ersten Mal seinen Namen hörte. »Haben Sie vielen Dank für Ihr Kommen – ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise?«

»Ja, durchaus«, erwiderte Griffith. »Und bitte – Sie müssen mich Charles nennen.«

»Und Sie müssen mich David nennen.«

»Nun denn!«, sagte Frances. »Ich lasse Sie in Ruhe reden, meine Herren. Wenn Sie fertig sind, David, läuten Sie, und Norris wird Mister Griffith hinausgeleiten.«

Sie warteten, bis sie gegangen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, und dann setzten sie sich beide. Zwischen ihnen stand ein kleiner Tisch mit einem Teller voller Teegebäck und einer Kanne mit, wie David allein am Duft erkannte, Lapsang Souchong darin, rasend teuer und schwer zu bekommen und der Lieblingstee seines Großvaters, vorbehalten für außergewöhnliche Anlässe. Er wusste, dass sein Großvater ihm auf diese Art und Weise Glück wünschte, und die Geste rührte ihn und machte ihn zugleich traurig. Charles hatte bereits Tee getrunken, doch David schenkte sich selbst ein, und als er die Tasse an die Lippen führte, tat Charles es ihm gleich, und sie schlürften gemeinsam.

»Er ist recht stark«, sagte er, weil er wusste, dass der Geschmack dieses Tees auf viele überwältigend wirkte; Peter, der ihn verabscheute, hatte ihn einmal als ein »übermäßig rauchendes Holzfeuer in flüssiger Form« bezeichnet.

»Mir schmeckt er sehr«, sagte Charles jedoch. »Er erinnert mich an meine Zeit in San Francisco – er war dort recht leicht zu finden. Teuer natürlich. Aber nicht so rar wie hier in den Freistaaten.«

Das überraschte ihn. »Sie haben Zeit im Westen verbracht?«

»Ja. Das war vor, ach, zwanzig Jahren. Mein Vater hatte kurz zuvor die Partnerschaft mit unseren Pelzjägern oben im Norden erneuert, und zu dieser Zeit war San Francisco natürlich schon reich geworden. Er hatte den Einfall, ich solle dorthin gehen, eine Dependance gründen und einige Verkäufe tätigen. Also tat ich das. Es war tatsächlich eine wunderbare Erfahrung; ich war jung, und die Stadt florierte, und es war eine wundervolle Zeit, um dort zu sein.«

Das beeindruckte ihn – er hatte noch nie jemanden kennengelernt, der tatsächlich im Westen gelebt hatte. »Sind all die Geschichten wahr?«

»Viele von ihnen. Es herrscht dort eine Atmosphäre der … der Schädlichkeit, könnte man wohl sagen. In jedem Fall der Freizügigkeit. Mitunter fühlte es sich gefährlich an – so viele Menschen, die sich ein neues Leben aufzubauen versuchen; so viele, die sich nach Reichtum sehnen, so viele, die zwangsläufig enttäuscht werden –, aber auch befreiend. Wobei es auch unberechenbar war. Ganze Vermögen kamen und gingen dort so schnell, und Menschen ebenso: Der Mann, der einem Geld schuldete, konnte schon am nächsten Tag verschwunden sein, ohne eine Möglichkeit, ihn je wiederzufinden. Wir konnten die Niederlassung drei Jahre lang aufrechterhalten, aber sechsundsiebzig mussten wir dann natürlich gehen, als die Gesetze erlassen wurden.«

»Dennoch«, sagte er, »ich beneide Sie. Wissen Sie, dass ich noch nie im Westen war?«

»Aber Sie sind ausgiebig durch Europa gereist, wie Miss Holson mir sagte.«

»Meine Kavaliersreise habe ich gemacht, ja. Aber sie hatte nichts Freizügiges an sich – es sei denn, Sie finden Canalettos, Tintorettos und Caravaggios freizügig.«

Das brachte Charles zum Lachen, und danach floss die Unterhaltung auf natürliche Weise dahin. Sie sprachen weiter über ihre jeweiligen Streifzüge – Charles war ausgesprochen weitgereist, seine Geschäfte hatten ihn nicht nur in den Westen und nach Europa geführt, sondern auch nach Brasilien und Argentinien – und über New York, wo Charles einmal gelebt hatte und wo er noch immer einen Wohnsitz hatte, den er häufig besuchte. Während sie sich unterhielten, lauschte David auf den Dialekt, den viele seiner Mitstudenten aus Massachusetts gehabt hatten, mit den breiten, flachen Vokalen und dem besonderen galoppierenden Rhythmus, doch vergebens. Charles’ Stimme war angenehm, aber eigenschaftslos und verriet wenig über seine Herkunft.

»Ich hoffe, Sie werden es nicht als zudringlich empfinden, wenn ich das erwähne«, sagte Charles, »aber in Massachusetts sind wir alle fasziniert von dieser Tradition der arrangierten Ehe, und das seit Langem.«

»Ja«, lachte er, ohne daran Anstoß zu nehmen. »Das sind die anderen Staaten alle. Und ich verstehe es – es ist eine örtliche Gepflogenheit, beschränkt auf New York und Connecticut.« Arrangierte Ehen gab es seit etwa einem Jahrhundert; für die ersten Familien, die sich in den Freistaaten angesiedelt hatten, waren sie eine Möglichkeit gewesen, strategische Allianzen zu knüpfen und ihren Reichtum zu vereinigen.

»Ich begreife, warum sie hier entstand – das waren immer die reichsten Provinzen –, aber was glauben Sie, warum sie überdauert hat?«

»Ich bin mir nicht sicher. Mein Großvater nimmt an, da bald bedeutsame Dynastien aus diesen Ehen hervorgingen, sei es für die finanzielle Integrität der Union unerlässlich geworden, sie fortzusetzen. Er spricht darüber, wie man vielleicht über die Baumzucht sprechen würde« – an dieser Stelle lachte Charles, ein angenehmer Klang –, »das Instandhalten eines Wurzelwerks, durch das die Nation gedeihen und blühen kann.«

»Recht poetisch für einen Bankier. Und patriotisch.«

»Ja – mein Großvater ist beides.«

»Nun, ich denke, wir übrigen Freistaatler haben unser anhaltendes Wohlergehen Ihrer Vorliebe für arrangierte Ehen zu verdanken.« David wusste, dass er ihn neckte, aber seine Stimme war ebenfalls freundlich, und er erwiderte Charles’ Lächeln.

»Ja, so ist es wohl. Ich werde meinem Großvater in Ihrem Namen und dem Ihrer Mitbürger aus Massachusetts danken. Folgen Sie diesem Brauch in New England denn gar nicht? Man sagte mir, Sie täten es.«

»Schon, aber weit weniger regelmäßig: Wenn wir es tun, dann aus ähnlichen Gründen – um gleichgesinnte Familien zusammenzuführen –, aber die Folgen sind nie so bedeutsam wie hier. Meine jüngere Schwester hat beispielsweise vor Kurzem eine Heirat zwischen ihrem Hausmädchen und einem unserer Seemänner vermittelt, doch das lag daran, dass die Familie des Hausmädchens ein kleines Holzunternehmen besitzt und die des Seemanns einen Betrieb zur Herstellung von Schiffstauen und die beiden ihre Mittel vereinigen wollten – ganz zu schweigen davon, dass die jungen Leute einander recht zugetan waren, aber beide zu schüchtern, um von sich aus mit dem Werben zu beginnen.

Aber wie ich bereits sagte: nichts, was Folgen für die übrige Nation hätte. Also, ja, bitte danken Sie Ihrem Großvater in unserem Namen. Wobei mir scheint, Sie sollten auch Ihren Geschwistern danken – Miss Holson sagt, sie befänden sich ebenfalls beide in arrangierten Ehen.«

»Ja, mit Familien, die uns seit Langem nahestehen: Peter, der Ehemann meines Bruders John, ist auch aus der Stadt; Edens Ehefrau Eliza stammt aus Connecticut.«

»Haben sie Kinder?«

»John und Peter haben eines, Eden und Eliza zwei. Und Sie sind an der Aufzucht Ihrer Neffen beteiligt, wie ich höre?«

»Ja, in der Tat, und sie liegen mir sehr am Herzen. Aber eines Tages möchte ich gern eigene Kinder haben.«

An dieser Stelle wusste er, dass er zustimmen sollte, dass er sagen sollte, er sehne sich ebenfalls danach, Kinder zu haben, aber er brachte es nicht über sich. Doch Charles füllte mühelos die Lücke, die sich dort auftat, wo seine Antwort sich hätte befinden sollen, und sie sprachen über seine Neffen, über seine Schwestern und seinen Bruder und sein Haus in Nantucket, und das Gespräch floss wieder dahin, bis Charles sich schließlich erhob und David es ihm gleichtat.

»Ich muss gehen«, sagte Charles. »Aber ich habe die Zeit sehr genossen und bin so froh, dass Sie sich entschieden haben, mich zu treffen. Ich werde in zwei Wochen wieder in der Stadt sein; ich hoffe, Sie würden einem weiteren Treffen zustimmen?«

»Ja, natürlich«, sagte er und läutete, und sie reichten einander wieder die Hand, ehe Norris Charles zum Ausgang begleitete und David an die Tür am anderen Ende des Raumes klopfte und, als ihn eine Stimme hereinbat, direkt in das Büro seines Großvaters trat.

»Ah!«, sagte sein Großvater, stand von seinem Schreibtisch auf und reichte seiner Buchhalterin einen Stapel Papiere. »Da bist du ja. Sarah –«

»Ja, Sir, sofort«, sagte Sarah, verließ den Raum und schloss leise die Tür hinter sich.

Sein Großvater kam hinter dem Schreibtisch hervor, setzte sich in einen der beiden Sessel, die ihm gegenüber standen, und bedeutete David, auf dem anderen Platz zu nehmen. »Nun«, sagte sein Großvater, »ich will nicht um den heißen Brei herumreden, und du solltest es auch nicht; ich war sehr darauf erpicht, dich zu sehen und zu hören, welchen Eindruck du von dem Gentleman hast.«

»Er war –«, setzte er an und verstummte. »Er war liebenswürdig«, sagte er schließlich, »liebenswürdiger, als ich erwartet hatte.«

»Das höre ich gern«, sagte sein Großvater. »Worüber habt ihr gesprochen?«

Er berichtete seinem Großvater von ihrem Gespräch, sparte den Teil über Charles’ Zeit im Westen bis zum Schluss auf und sah, als er davon erzählte, wie sich die silbrigen Augenbrauen seines Großvaters hoben. »Tatsächlich?«, fragte sein Großvater sanft, und David wusste, was er dachte: dass dahingehende Erkenntnisse bei ihren Recherchen zu Charles Griffith nicht aufgetaucht waren, und da Bingham Brothers Zugang zu den prominentesten Vertretern aller Berufsstände hatte – Ärzten, Rechtsanwälten, Ermittlungsbeamten –, fragte er sich, was sie darüber hinaus vielleicht nicht wussten, welche weiteren Mysterien womöglich noch der Enthüllung harrten.

»Wirst du ihn noch einmal treffen?«, fragte Großvater, als er geendet hatte.

»Er wird in zwei Wochen wiederkommen und hat gefragt, ob er mich wieder besuchen dürfe; ich habe Ja gesagt.«

Er hatte geglaubt, diese Antwort würde seinen Großvater zufriedenstellen, doch stattdessen erhob er sich mit nachdenklicher Miene, ging zu einem der hohen Fenster und strich sanft über den Saum des langen, schweren Seidenvorhangs, während er zur Straße hinunterblickte. Eine Zeit lang blieb er schweigend dort stehen, doch als er sich wieder umwandte, lächelte er wieder, sein vertrautes, inniges Lächeln, das David, so düster sein Leben auch erscheinen mochte, stets das Gefühl gab, an einem behaglichen Ort zu sein.

»Nun«, sagte sein Großvater, »dann kann er sich sehr glücklich schätzen.«

IV.

Die Wochen vergingen rasch, wie sie es im Spätherbst immer taten, und auch wenn Weihnachten natürlich niemals überraschend kam, waren sie, wie es schien, dazu verdammt, schlecht vorbereitet zu sein, ganz gleich, wie eifrig sie im Jahr zuvor gelobt hatten, früher mit den Planungen zu beginnen, damit zu diesem Thanksgiving die Speisenfolge feststand, die Geschenke für die Kinder gekauft und mit Schleifen verziert, die Geldumschläge für das Dienstpersonal versiegelt waren und der Weihnachtsschmuck aufgehängt war.

Sein zweites Treffen mit Charles Griffith fand inmitten dieser Vorbereitungen Anfang Dezember statt; sie hatten ein Konzert mit frühen Liszt-Stücken besucht, gespielt vom New York Philharmonic Orchestra, und anschließend waren sie in Richtung Norden spaziert, zu einem Café am südlichen Ende des Parks, in das David während seiner Stadtrundgänge manchmal auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen einkehrte. Auch diesmal entspann sich das Gespräch mühelos, und sie redeten über Bücher, die sie gelesen, und Theaterstücke und Ausstellungen, die sie besucht hatten, und über Davids Familie – seinen Großvater und flüchtig auch über seine Schwester und seinen Bruder.

Arrangierte Ehen erforderten zwangsläufig eine Beschleunigung von Vertraulichkeiten und folglich ein Wegfallen der üblichen Schicklichkeiten, und so fühlte er sich, nachdem sie sich eine Zeit lang unterhalten hatten, dazu ermutigt, Charles nach dessen früherem Ehemann zu fragen.

»Ah«, sagte Charles. »Nun – ich nehme an, Sie wissen bereits, dass er William hieß, William Hobbes, und dass er vor neun Jahren starb.« David nickte. »Es war Krebs, der in seinem Hals begann und ihn sehr rasch dahinraffte.