Zwei Spektakel im Morgengrauen - Helmut A. Seidl - E-Book

Zwei Spektakel im Morgengrauen E-Book

Helmut A. Seidl

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Beschreibung

In diesem Band der True Crime-Trilogie über spektakuläre Kriminalfälle im Königreich Bayern geht es um einen ehebrecherischen Müller, der seine Frau durch zwei Komplizen ermorden ließ und einen räuberischen Sattler, der die Frau seines Meisters umbrachte. Die Todesurteile für die vier Delinquenten wurden 1854 vom Münchner Scharfrichter in Amberg und Passau vollstreckt. Da es sich sowohl in der Oberpfalz wie auch in Niederbayern um die erste mit einer Guillotine durchgeführte Hinrichtung handelte und es hier wie dort seit Jahrzehnten keine öffentliche Exekution mehr gegeben hatte, strömten jeweils riesige Mengen Schaulustiger aus nah und fern herbei. Die vorliegende Dokumentation sucht anhand zeitgenössischer Quellen die beiden Verbrechen zu rekonstruieren und mittels erläuternder Hintergrundinformationen auch die damaligen Zeitumstände zu veranschaulichen.

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Zum Inhalt

In diesem Band der True Crime-Trilogie über spektakuläre Kriminalfälle im Königreich Bayern geht es um einen ehebrecherischen Müller, der seine Frau durch zwei Komplizen ermorden ließ und einen räuberischen Sattler, der die Frau seines Meisters umbrachte. Die Todesurteile für die vier Delinquenten wurden 1854 vom Münchner Scharfrichter in Amberg und Passau vollstreckt. Da es sich sowohl in der Oberpfalz wie auch in Niederbayern um die erste mit einer Guillotine durchgeführte Hinrichtung handelte und es hier wie dort seit Jahrzehnten keine öffentliche Exekution mehr gegeben hatte, strömten jeweils riesige Mengen Schaulustiger aus nah und fern herbei. Die vorliegende Dokumentation sucht anhand zeitgenössischer Quellen die beiden Verbrechen zu rekonstruieren und mittels erläuternder Hintergrundinformationen auch die damaligen Zeitumstände zu veranschaulichen.

Inhalt

Die Tote am Waldesrand

Der geständige Müllermeister

Vater und Sohn als Täter

Das Schwurgerichtsverfahren

Die königliche Vollzugsverordnung

Die dreifache Exekution

Von Amberg nach Passau

Der rechtschaffene Zimmermeister

Sohn Michl wird Sattler

Raubabsichten eines Soldaten

Der Mord an Magdalena Schwaiger

Trauer und Festnahme

Todesurteil und Reuebekenntnis

Fahrt zur Richtstätte

Die öffentliche Enthauptung

Ein weiterer Todesfall

Überfall auf den Zimmermann

Ein neuer Wirt in Ottmaring

Das Ende öffentlicher Hinrichtungen

Gedenken an das Mordopfer in Moos

Bildnachweis

Über den Autor

Mein Weib muss weg!(Johann Lobenhofer)

I. Die Tote am Waldesrand

Am 28. Oktober 1853 bekam ein Tagelöhner aus dem oberpfälzischen Kaltenbrunn1 frühmorgens um sieben einen gehörigen Schreck.2 Beim Streurechen an der »Vicinalstraße« Grafenwöhr-Tanzfleck entdeckte er hinter einem Gebüsch am Waldrand den leblosen Körper einer Frau mittleren Alters, deren Gesicht mit Moosstreu bedeckt war.3

Die Nachricht vom Auffinden einer toten »Weibsperson an der Waldspitze bei Tanzfleck«4, unweit der Stelle, an der seinerzeit die Grenzen der Landgerichte Eschenbach, Weiden und Vilseck aneinanderstießen, verbreitete sich sogleich wie ein Lauffeuer. Unter den Personen, die alsbald zu der Stelle hineilten, befand sich auch eine Maurerswitwe, welche die Tote als die Müllerin der Kollermühl identifizieren konnte. Es handelte sich demnach um die fast 53-jährige Margaretha Lobenhofer. Sie war am 7. November 1800 im nahen Pressath als Tochter des Gerbers Johannes Daubenmerkel zur Welt gekommen.5 Ihr Großvater mütterlicherseits ist Müller in der Haigamühle gewesen und ein Müller war auch ihr Ehemann, Johann Lobenhofer. Den hatte sie am 18. Juni 1833 geheiratet6 und war damit die Müllerin von Kollermühle geworden.7

Abb. 1: Übersichtskarte (Abgesiedelte Ortschaften in Klammern)

Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor. Die älteste, die 17-jährige Elisabeth, war nun am Sonntag, den 23. Oktober 1853, um 6 Uhr morgens mit ihrer Mutter zum Frühgottesdienst nach Grafenwöhr aufgebrochen. Anschließend ging die Tochter wieder heim, während Margaretha Lobenhofer sich auf den Weg nach Freihung machte, wo sie Geld überbringen sollte. Obwohl sie bis 4 Uhr nachmittags wieder zurück sein wollte, war die Lobenhoferin seitdem nicht mehr gesehen. Daher meldete ihr Ehemann am 27. Oktober bei der königlichen Gendarmerie und am nächsten Vormittag beim Landgericht Eschenbach, dass seine Ehefrau Margaretha seit dem »verwichenen« Sonntag spurlos verschwunden sei.

An eben jenem Vormittag waren gegen 11 Uhr am Leichen-Fundort, der auf dem Gebiet des Landgerichts Weiden lag, von dort auch zwei Gendarmen und eine Gerichtskommission eingetroffen. Letztere bestand aus einem Landgerichtsassessor, einem Landgerichtsarzt und einem Rechtspraktikanten als Aktuar, d. h. Gerichtsschreiber.

Der Arzt stellte fest, dass die Tote neben Hautabschürfungen eine deutliche »Strangrinne« am Hals aufwies und der Tod somit durch »Zusammenschnüren des Halses mittelst eines Strickes oder einer Schnur« erfolgt sei.8

Beim bekleideten Körper fand sich in der Rocktasche »nur ein zerrissener Rosenkranz und ein hölzernes Geldbüchschen mit 2 Pfennigen Einlage.«9 Das Kopftüchl der »Verlebten« lag zwar neben ihr, doch »fehlten die Schürzl und Strümpfe.«10 Über die Knie »waren einige alte Fetzen von halbverwitterten Mannskleidungsstücken gelegt, die Pantoffel lagen 10 Schritte davon entfernt. Der Haarkam [sic] fand sich im Straßengraben und einige Schritte davon waren im Moos und Haidekraut nicht scharf ausgeprägte Fußtritte wahrzunehmen.«11

Doch an »einer 62 Schritte entfernten offenen Stelle des Erdbodens« entdeckte man den »Eindruck eines Schuh- oder Stiefel-Absatzes in der Runde mit 14, in der Mitte mit 3 Nägelplatten. Von da aus waren die Spuren des Fortschleifens des Körpers bis zum Orte des Fundes ersichtlich.«12

Nachdem Johann Lobenhofer »scheinweise zuvor seine Frau noch bei ihren Verwandten gesucht« und erfahren hatte, »daß der Leichnam derselben aufgefunden wurde«,13 erschien der Müllermeister nachmittags um 2 Uhr an der Stelle, wo seine tote Frau auf dem Rücken lag, »mit den Füßen der Straße zugekehrt, den rechten Arm auf der Brust ruhend, den linken am Boden dahingestreckt.«14

Lobenhofer identifizierte, noch ziemlich gefasst, die Tote als seine Frau und meinte, sie müsse wohl beraubt worden sein.

1 Kaltenbrunn gehörte damals zum Landgericht Weiden; heute ist Markt Kaltenbrunn ein Ortsteil der Gemeinde Weiherhammer im Lkr. Neustadt an der Waldnaab.

2 Bei der Rekonstruktion des nachfolgend geschilderten Kriminalfalls wurde hauptsächlich die zeitgenössische Presse, wie etwa Regensburger Zeitung oder Bayerisches Volksblatt, herangezogen.

3 Beim Streurechen kehrte man Laub, Moos und kleine Zweige auf dem Waldboden zusammen, um das Eingesammelte dann als Viehstreu zu verwenden. Vicinalstraße war ein Synonym für »Nebenstraße«, hergeleitet von lat. vicinus (= Nachbar bzw. benachbart). So erklärt W. F. Salzmann in Kurzgefaßtes Verdeutschungs-Wörterbuch (5. Aufl., Kitzingen 1837, S. 642) die Bezeichnung denn auch wie folgt: »Vicinalstraße, Nachbarschaftsstraße zum Verkehr zwischen mehreren Gemeinden, von unsern Bauern Malefizstraße genannt, weil sie vormals von den zum Straßenbau verurtheilten Maleficanten gemacht wurden.« (»Malefikant«, eigentlich »Misse- bzw. Übeltäter«, ist hier gleichbedeutend mit »Schwerverbrecher«) Grafenwöhr, heute im Lkr. Neustadt a. d. Waldnaab gelegen und bekannt durch Europas drittgrößten Truppenübungsplatz, lag seinerzeit im Landgerichtsbezirk Eschenbach. Die Stadt Eschenbach i. d. OPf. wiederum gehört jetzt ebenfalls zum Lkr. Neustadt a. d. Waldnaab, während Tanzfleck nun ein Ortsteil des Marktes Freihung im Lkr. Amberg-Sulzbach ist. In diesem Landkreis befindet sich auch die Stadt Vilseck, wohingegen Weiden i. d. OPf., eines von über 30 Oberzentren in Bayern, Kreisfreiheit besitzt. Siehe zu den Orten auch die geographische Übersicht in der Abb. 1.

4 Brigade Weiden, »Gehorsamste Anzeige über einen vorgefallenen Gatten- und Banditen-Mord«. In: Wochenblatt für nützliche Unterhaltung und Selbstbelehrung der jüngern Gendarmerie-Mannschaft, Nr. 17 (1855), S. 135–136; hier: S. 135.

5 Bischöfliches Zentralarchiv Regensburg (BZAR), Pfarrmatrikel Pressath, Taufen 1783–1819, Bd. 3 / 14. Pressath und sein Stadtteil Haigamühle liegen heute im Lkr. Neustadt a. d. Waldnaab.

6 »Matrimonio legitime sunt conjuncti hon. Juvenis Joannes Lobenhofer molitor in Kollermühl […] et pudica Virgo Margaretha Daubenmerkl.« (BZAR, Pfarrmatrikel Grafenwöhr, Trauungen 1772–1852, Bd. 4 / 37)

7 Kollermühle, 3 km nördlich von Grafenwöhr gelegen, war damals eine Einöde, die zur Gemeinde Thomasreuth im Landgericht Eschenbach gehörte. Heute ist Kollermühle ein Stadtteil von Grafenwöhr. Als »Kollermühle« im eigentlichen Sinne bezeichnet man einen Mühlentyp wie etwa Öl-, Rollen- oder Papiermühlen, bei dem das Mahlgut im Kollergang mittels schwerer Steinrollen zermahlen bzw. gequetscht wird.

8Bayerisches Volksblatt, Nr. 141, 17. Juni 1854, Beilage, n. pag.

9 Ebd.

10Regensburger Zeitung, Nr. 162, 14. Juni 1854, S. 645.

11 Ebd.

12 Bayer. Volksblatt, Beilage (wie Anm. 8)

13 Wochenblatt (wie Anm. 4), S. 136.

14 Regensburger Zeitung (wie Anm. 10).

II. Der geständige Müllermeister

Da war aber der Gerichtsassessor vor Ort, der gleichsam als »Voruntersuchungsrichter« fungierte, entschieden anderer Meinung. Es stelle sich als erstes die Frage, so hielt er dem Ehemann vor, ob nicht dieser selbst etwas mit dem Tod der »Verblichenen« zu tun habe.

Der spontane Verdacht kam nicht von ungefähr. Schließlich war allseits bekannt, »daß zwischen den beiden Ehegatten schwere Ehedissidien […] obgewaltet hatten, welche zuweilen in Thätlichkeiten ausarteten.«15