Zweifel - Stefan Liesenfeld - E-Book

Zweifel E-Book

Stefan Liesenfeld

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Beschreibung

"Das religiöse Buch des Monats Juni 2008"! Eine Orientierung und Ermutigung für Glaubende mit Zweifel. Glaubenszweifel haben viele Gesichter. Sie sind weit verbreitet. Sie kommen aus dem Verstand. "Wo bleibt Gott in unserer technisch-wissenschaftlichen Welt?" Sie kommen aus dem Herzen: "Ich spüre Gott nicht mehr!" Sie werden bedrängend, wenn Leid uns trifft und betrifft. Dieses Buch geht den Fragen nach. Es zeigt: Der Zweifel ist ein wertvoller Gefährte auf dem Weg des Glaubens.

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Seitenzahl: 173

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Stefan Liesenfeld

ZWEIFEL

Stefan Liesenfeld

ZWEIFEL

Der Autor: Stefan Liesenfeld, Jahrgang 1962, katholischer Theologe, Herausgeber und Übersetzer von Werken christlicher Spiritualität.

© Verlag Neue Stadt, München, 2009

Downloads und Zitate nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Verlags Neue Stadt.

E-BOOK-Ausgabe der gleichnamigen deutschen Ausgabe von 2008

© Verlag Neue Stadt, München

Umschlaggestaltung: Neue-Stadt-Graphik

ISBN 978-3-87996-903-6

Datenkonvertierung eBook:

Kreutzfeldt Electronic Publishing GmbH, Hamburg

www.kreutzfeldt.de

„Gott gibt uns so viel Licht,

wie zum Glauben genügt,

und so viel Dunkelheit,

wie unsere Freiheit braucht,

damit das Glauben

ein Akt der Freiheit sei.“

(Carlo M. Martini, Kardinal,

langjähriger Erzbischof von Mailand)

Als ich mit dem Schreiben anfing, fragte ich jemand, der kirchlich engagiert ist und – was kaum jemand weiß – doch immer wieder auch sehr grundsätzliche Zweifel hat, was er sich von einem Buch zu diesem Thema erwarte. Die Antwort: „Zu erfahren, dass ich in guter Gesellschaft bin!“ Ja, er ist es. Zweifellos. Wenn er am Ende sagen kann: „Gott sei Dank!“, hat sich das Schreiben gelohnt.

Inhalt

Gesichter des Zweifels9
Wenn der Verstand „Wirklich?“ fragt27
Wenn das Herz Gott nicht spürt101
Wenn Leid Gott zur Frage macht119
Mit dem Gefährten Zweifel auf dem Weg des Glaubens151
Literaturverzeichnis170
Ausführliches Inhaltsverzeichnis173

Gesichter des Zweifels

Heilige und Heiden, Laien, Ordenschristen, Priester, große Denker und „einfach so Dahinlebende“ kennen ihn: den Zweifel. Den Zweifel an dem, was man „eigentlich“ glaubt oder glauben möchte. Wer aus dem Glauben leben will, mag versuchen, den Zweifel zu verdrängen, ihn beiseitezuschieben, vor ihm wegzulaufen; oft genug wird er, vermeintlich am Ziel angekommen, hören: „Ich bin schon (wieder) da!“ Könnte es sich nicht lohnen, einmal stehen zu bleiben und genauer hinzuschauen, wer sich da immer wieder meldet, statt weiter hin und her zu eilen? Den Zweifel in den Blick zu nehmen kann uns helfen, den Glaubensweg anders, bewusster und tiefer fortzusetzen – ob mit den Stacheln des Zweifels oder ohne sie!

I

[Fragen über Fragen]

Hat man das Glück, mit anderen Gläubigen tiefer über den Glauben ins Gespräch zu kommen, stellt man womöglich staunend fest, wie verbreitet Zweifel sind. In allen Varianten. Jeder hat seine eigenen: Menschen jeden Alters, junge Leute, oft in der Pubertät, wenn vieles, in das jemand hineingewachsen ist, fraglich wird; Menschen „im besten Alter“; ja manch einem kommen sie erst mit den Jahren, vielleicht, weil das Bündel an zu tragendem Leid zu schwer geworden ist. Zweifel kommen von draußen und von drinnen, aus dem Kopf und aus dem Herzen. Laut oder leise sind sie da, urplötzlich oder lange schon, unterschwellig oder in der Helle des Bewusstseins.

Keiner scheint davor gefeit. Nicht einmal jemand wie Mutter Teresa war es. Als ich vor Jahren eine Gedankensammlung von ihr übersetzte, war ich sehr bewegt von ihrem kindlichen, fast ein wenig naiv anmutenden Glauben, von ihrer Gewissheit der Nähe Gottes, von ihrer so lebendigen Vertrautheit mit Jesus. Als Aufzeichnungen und Briefe von ihr veröffentlicht wurden („Komm, sei mein Licht“), in denen die Dauer und Dichte ihres eigenen Glaubensdunkels zutage trat, war ich überrascht ... – Zweifel, Zeiten des Glaubensdunkels erscheinen als Signatur, als Kennzeichen unserer Zeit. Kann man heute noch „einfach glauben“? Müssen, können wir unsere Zweifel überwinden? Oder müssen wir mit ihnen leben und glauben lernen? Wie gehen wir mit ihnen um? Wie schön wäre es, einfache Antworten geben zu können! Doch nicht nur die Fragen sind zu unterschiedlich, sondern auch die Ursachen und Hintergründe.

Schier endlos ist die Liste der Anfragen an den Glauben: „Gibt es Gott wirklich?“ „Und wenn der Himmel doch leer ist?“ „Kann man das wirklich glauben?“ „Ist das nicht doch alles Einbildung?“ „Widerspricht der Glaube nicht einem heutigen wissenschaftlichen Weltverständnis?“ „Wird es nicht eng für den lieben Gott, wo wir doch immer mehr erklären können?“ „Vieles ist nicht mehr wie früher; was kann man eigentlich noch glauben?“

„Ich spüre nichts.“ „Ich spüre nichts mehr.“ „Meine Seele ist leer.“

„Wie kann, wie konnte Gott das zulassen?“ „Warum erhört er mich nicht?“ „Wie passt das zu einem Gott, der Liebe sein soll?“

Es sind zum einen Fragen und Glaubensschwierigkeiten, die dem Verstand und der kritischen Reflexion entspringen; das Thema „Wissenschaft und Glaube“ spielt dabei eine wichtige Rolle.

Es sind sodann „emotionale Zweifel“, die aus Erfahrungen innerer Leere, aus dem Nicht-Spüren Gottes erwachsen.

Und schließlich ist es die wohl bedrängendste aller Menschheitsfragen: die nach dem Leid und dem Sterben, welche uns Gott immer wieder fraglich werden lässt. Vor allem dann, wenn es keine theoretische Frage ist, sondern wenn wir selbst oder ein lieber Mensch unmittelbar betroffen sind.

In diese „Gesichter“ des Zweifels werden wir schauen, mit diesen Zweifeln wollen wir das Gespräch suchen. Zunächst aber noch einige Vorbemerkungen, die den Einstieg in ein fruchtbares Gespräch erleichtern sollen.

II

[Wie auf einem Marktplatz]

Die Zweifel fallen nicht vom Himmel, sondern wachsen aus dem Boden, auf dem wir leben. Es ist eine wissenschaftlich-technische Welt, eine Welt voller Widersprüche, ein globalisiertes Dorf und zugleich eine Welt mit vielerlei Welten, die kaum in Beziehung stehen. In unserer Gesellschaft lässt sich ein großes Interesse an den grundlegenden Fragen nach Welt und Mensch und Gott beobachten. Bücher, die – so oder so – die Gottesfrage thematisieren, bringen es in Bestseller-Listen; Magazine und Talkshows beschäftigen sich mit ihr. Von wegen „nur etwas für Fromme“! Die Frage „Existiert Gott?“ ist längst wieder im Brennpunkt der Öffentlichkeit. Viele Menschen sehnen sich nach Orientierung, nach Klärungen. Auf dem bunten Marktplatz unserer Gesellschaft gibt es die unterschiedlichsten Angebote; die Lautstärke, Popularität und Originalität der „Anbieter“ entscheiden oft mehr über den Verkaufserfolg als die Produktqualität. „Spiritualität“ und „Religion“ finden in den letzten Jahren mehr Zulauf; doch sind die Stimmen derer, die sich für eine Rückkehr des Atheismus starkmachen, unüberhörbar. Aber kann das, was „man“ (oder „frau“) glaubt und wohin der Strom der Meinungen gerade fließt, über wahr und unwahr entscheiden oder darüber, wo ich stehe und wohin ich gehe und gehen will? Diese Fragen sind viel zu wichtig, als dass wir sie von modischen Strömungen abhängig machen können, von dem, was gerade „in“ ist oder was der oder jener von sich gibt. Auf dem „Marktplatz“ der Glaubens-, Unglaubens- und Zweifelsangebote brauchen wir eine kritische und zugleich offene Haltung.

Die Auseinandersetzung ist wichtig. Ob wir wollen oder nicht: Der vielgenannte „Zeitgeist“, auch die Infragestellungen, die Unsicherheiten, die Irritationen angesichts der unüberschaubaren Glaubensangebote lassen niemanden unberührt.

Wichtig scheint mir auch bei der kritischsten Auseinandersetzung, auch beim Widerspruch in der Sache, nicht den Blick für den Menschen zu verlieren. Hinter vehement vorgetragenen Überzeugungen verbergen sich, öfter als wir meinen, Unsicherheiten, Verletzungen, Enttäuschungen und so fort. Dies entwertet nicht per se die Argumentationen. Kränkungen und Verletzungen können die Reflexion „schärfen“!

III

[Voneinander lernen]

Glauben, Zweifeln und Nicht-Glauben liegen oft sehr eng beisammen. Als Glaubende haben wir teil an den Infragestellungen; Nichtglaubende können durch Glaubenserfahrungen und -zeugnisse ins Zweifeln an ihrem Unglauben geraten. Gerade der Zweifel kann zum Ort der Begegnung werden. Der Dialog ist im Übrigen auch für einen Gläubigen eine Chance; er lässt einen „demütiger werden und drängt dazu, sich bewusst auf die Suche zu machen, sich fragend vor den zu stellen, auf den man vertraut“ (Martini, Weg, 67); ja gerade die „Unruhe des Suchens und Fragens“ der anderen kann zu einem Stimulus für den eigenen Weg werden – und ein Ansporn dazuzulernen.

Voneinander lernen setzt das Bewusstsein voraus, dass man noch nicht alles weiß, ja dass man womöglich hier und da irrt. Wer grundsätzlich keine Infragestellungen zulässt, macht sich fundamentalistischer Tendenzen verdächtig. Würde man sich anmaßen, alles begriffen zu haben, „wäre der Glaube eine Ideologie“ (Weg, 66). Das zwischenmenschliche Zusammenleben und die eigene persönliche Entwicklung aber brauchen die fruchtbare Auseinandersetzung, das Zulassen von Kontroversen, die Bereitschaft, sich infrage stellen zu lassen und voneinander zu lernen.

Dass Fundamentalismen und ideologische Verhärtungen schädlich, ja gefährlich werden können, muss mit keinem Wort ausgeführt werden. Sie sind freilich nicht nur gefährlich, sondern auch gefährdet. Weil sie immer schon die Antworten wissen, können und wollen sie nicht sehen und nicht hören. Sie versperren sich der Realität, übersehen und überhören Entwicklungen, die wichtig für sie sein könnten. Fragen und Zweifel zulassen, sich infrage stellen lassen, das ist manchmal eine Frage der eigenen Zukunft. Auch wer keine Fragen hat, kann davon profitieren, dass er den Fragen anderer zuhört, und zwar so, dass er nicht schon die Antwort parat hat (was hieße, zu hören und doch nicht zu hören). Wir brauchen eine Kultur des Hörens, des Zuhörens, des Aufeinander-Hörens. Weise sei, wer von allen Menschen und nicht nur von den Lehrern lernt, heißt es in den Erzählungen der Chassidim, jener so fruchtbaren jüdischen Strömung im Osteuropa insbesondere des 19. Jahrhunderts. Und der Rabbi, der diese Einsicht aus einem Psalmwort gewonnen hat, fügt an: „Auch von dem Unwissenden, ja auch von dem Bösen kannst du eine Einsicht erlangen, wie du dein Leben zu führen hast“ (Buber, Erzählungen, 254f).

Voneinander lernen also, auch in der Begegnung von Glaubenden und Nichtglaubenden. Wir sind ja „verbunden durch die Mühe des Suchens ...; im wechselseitigen Hinhören vermag ein jeder im anderen ,das andere seiner selbst‘ zu entdecken. Er kann sich läutern lassen, indem er vom anderen lernt, indem er sich in die Schule der Fragen und Zweifel des anderen begibt und sich von dem Licht treffen lässt, das in seinem unruhigen Herzen leuchtet“ (Martini, Weg, 66).

Offene Ohren füreinander sind nicht zuletzt eine Frage der Liebe: Die Fragen, auch die bohrenden, die unbequemen zu hören, den Zweifel, der leiden lässt und quälen kann, mitzutragen – das ist eine Facette des „Nächster-Seins“. Es geht um die Liebe zur wirklichen Welt und zu den wirklichen Menschen und ihren wirklichen Fragen, Anfragen und Zweifeln. Vergessen wir nicht: Zweifel sind Zweifel von Menschen, von Menschen, die suchen, die leiden und gelitten haben, die bedrängt und angefochten sind. Die Menschen ernst nehmen heißt auch: ihre Auffassungen, ihre Fragen und Zweifel ernst nehmen, sie an uns heranlassen. Vonnöten sind dabei „höchste intellektuelle Redlichkeit, unbedingter Verzicht auf bequeme Slogans und auf Vorurteile, auf innere Schutzwälle, die sich so schwer abbauen lassen. Es darf keine oberflächlichen Harmonisierungen geben, die um jeden Preis auch dort verbindende Punkte erkennen wollen, wo eine nüchterne Betrachtung zu einem anderen Ergebnis kommt“ (Martini, Weg, 66f).

IV

[Jedes Gottesbild braucht den Zweifel]

Vieles spricht dafür, den Zweifel ernst zu nehmen und zuzulassen. In den Naturwissenschaften hat der Zweifel Methode. Theorien, die Wirklichkeit beschreiben sollen, gelten immer nur bis zum Beweis des Gegenteils; trial and error, Versuch und Irrtum, Verifizieren und Falsifizieren sind Etappen eines offenen Erkenntnisprozesses. Ohne zu enge Parallelen zu ziehen, zeigt sich doch, dass Zweifel auch in anderen Lebensbereichen eine positive Herausforderung sein können, einer Sache auf den Grund zu gehen. Infragestellungen des Bestehenden, Zweifel, ob etwas wirklich so ist oder ob etwas so bleiben muss oder bleiben darf, spornen an, lassen nach neuen Wegen suchen, machen erfinderisch. Sie wecken auf und sind Zeichen von Lebendigkeit. Denn Leben heißt immer auch Suchen, Weitersuchen.

Dies gilt nicht zuletzt für unsere Gottesbeziehung und unser Gottes-„Bild“. Eigentlich sollen wir uns von Gott kein Bild machen; das biblische Bilderverbot hat seinen guten Grund: Ein „ausgemalter“ oder „gegossener“ Gott wäre kein Gott. Von Gott können wir nur bildlich sprechen – im Wissen um das Bildhafte; im Wissen, dass keine unserer Vorstellungen von Gott vollkommen und endgültig ist. Es ist ein allmähliches, ein je neues Tiefer-Verstehen und zugleich ein Abschiednehmen von überholten Bildern. Der russische Schriftsteller Leo Tolstoj hat dies ganz plastisch geschildert: „Wenn dir der Gedanke kommt, dass alles, was du über Gott gedacht hast, verkehrt ist und dass es keinen Gott gibt, so gerate darüber nicht in Bestürzung. Es geht allen so. Glaube aber nicht, dass dein Unglaube daher rührt, dass es keinen Gott gibt ... Wenn einer an seinen hölzernen Gott zu glauben aufhört, so heißt das nicht, dass es keinen Gott gibt, sondern nur, dass er nicht aus Holz ist“ (nach: Bader [Hrsg.], Mein Gott, 263).

Zweifel, die zum Abschied von eigenen Gottesvorstellungen führen, sind wichtig für den Weg zu einer authentischeren, reiferen Gottesbeziehung. Wenn wir schon einen Menschen nie in seiner ganzen Tiefe erkennen können, um wie viel weniger Gott? Alles, was wir von ihm zu wissen meinen, ist vorläufig und begrenzt. Der je größere Gott fordert geradezu den Zweifel an unseren jeweiligen Bildern und Vorstellungen von ihm: „Ob er wirklich so ist?“ Und wenn der Zweifel grundsätzlich wird („Ob es ihn wirklich gibt?“), dann können, ja dann müssen wir damit rechnen, dass (wieder einmal) ein Abschied von einem „hölzernen Gott“ ansteht. Und womöglich ein weiterer Schritt hin zum wirklichen, zum göttlichen Gott.

V

[Unterschiedliche Zweifel verlangen einen unterschiedlichen Umgang]

Die Tiefe und Dichte, die existenzielle Betroffenheit durch den Zweifel sind höchst unterschiedlich. Es gibt ein oberflächliches „Wer weiß schon etwas in Sachen Gott und Glaube?“, eine eher seichte Variante. Mit entspanntem Gesicht in geselliger Runde, vielleicht mit einem Gläschen Wein in der Hand, bekundet man, dass nun mal keiner wisse, was „von Gott und so“ zu halten sei. „Ich hab da meine Zweifel, aber wer weiß?“; „Irgendwie glaube ich schon, aber so genau ...“ – und dann nimmt das Leben (scheinbar, vielleicht auch wirklich) von solchen Fragen unberührt seinen eigenen Gang. „Man“ spricht über etwas, was einen gar nicht wirklich angeht. Dies kann das Ergebnis einer langen Entwicklung sein. Stehen dahinter persönliche Enttäuschungen, auch durch „die Kirche“? Waren es allmähliche Entfremdungsprozesse? Befreundete Wege müssen ja begangen werden, um sich nicht zu verlieren. Ist Gott ins verschwommene Land des Zweifelhaften hinein entschwunden, weil wir irgendwann aufgehört haben, ihn zu besuchen oder weil wir keine Zeit hatten für seinen Besuch? Es kann uns gehen wie mit einem guten Bekannten aus vergangenen Tagen: Der Kontakt verliert sich zunächst fast unmerklich, bis man nach Jahren plötzlich bemerkt: Ach, von dem habe ich ja schon ewig nichts mehr gehört! Ob der überhaupt noch lebt?

Die ungeklärte Frage betrifft einen nur am Rande; richtig vermisst wird er längst nicht mehr ... Bei solchen „Zweifeln“ ist nicht viel zu machen. Was nicht stört, was nicht vermisst wird, das bleibt in der Regel, wo und wie es ist. Doch wenn sich eine leise innere Stimme meldet: Was bleibt? Was zählt?, dann lohnt es sich, sensibel hinzuhören. Damit man nicht irgendwann auf etwas Flaches, Plattes zurückschaut und sich fragt: „Das soll das Leben gewesen sein?“

***

Manchmal lassen sich die Zweifel gar nicht recht fassen; es handelt sich eher um ein dumpfes Gefühl, um eine Art Verdacht: „Vielleicht stimmt das alles gar nicht!“ „Eigentlich, ganz tief drinnen, glaube ich doch nicht, dass ...“ Damit umzugehen ist besonders schwierig. Ein solcher Verdacht ist eine Art „Gegner“, besser: ein unangenehmer Wegbegleiter (denn wohl fühlt man sich ja nicht!), der nicht zu greifen ist. Wie soll man ihm beikommen? Sind es die genannten Marktplatz-Stimmen, die weiterklingen? Hat sich in uns latent die Meinung eingegraben, der Glaube sei in einem wissenschaftlichen Zeitalter eigentlich überholt oder er passe nicht in unsere angeblich aufgeklärte Zeit? Haben wir etwas erlebt, was an der Glaubensgewissheit nagt? Klärungen tun gut, und sie tun not.

***

Es gibt ferner die eher akademische Auseinandersetzung über „Gott“, eine Art Diskutieren und Philosophieren aus Freude am intellektuellen Spiel, das abstrakt scheint wie die reine Mathematik, die sich um die Welt- und Lebensrelevanz wenig kümmert. Es ist eine phantastische Fähigkeit des menschlichen Geistes, auf höchsten Abstraktionsebenen spielen zu können, und dass dies zur Ausschüttung von Glückshormonen führt, ist eine wunderbare Fügung: Es ist schön, es ist befriedigend, wenn etwas „aufgeht“. Unser Geist bleibt offenbar auf der Suche nach dem Ganzen, dem Letzten, nach Wahrheit – und sei es in der paradoxen und doch real vorhandenen Weise, dass er sich fragt, ob es wahr sei, dass es Wahrheit gibt. Auch die Geschichte des philosophischen Nachdenkens über Gott mit all ihren widersprüchlichen, für den Laien schwer zu verstehenden Ergebnissen spielt hinein in viele Glaubensschwierigkeiten. Wie weit die rationale Beschäftigung in diesem Zusammenhang wirklich führt, das wird genauer zu betrachten sein.

***

Manchmal wird jemand von Zweifeln geplagt, die in einer aktuellen psychischen Verfassung gründen. Zweifel, die ein destruktives, lebensfeindliches Gesicht haben, verlangen nach einer „Lösung“ – in der Regel mit Hilfe anderer, mit Hilfe kompetenter Menschen und oft anders als gedacht. Wenn man an allem und jedem, an sich selbst und Gott zweifelt, gar verzweifelt, kann dies mit einer Depressionen verbunden sein, für die es medizinische und psychologische Hilfen gibt. Zweifel, welche die vitalen Kräfte rauben, dürfen wir nicht zu lange hinnehmen. Nicht aus der Warte des Lebens. Nicht aus der Warte des Glaubens. Denn Gott (angenommen es gibt ihn) ist ein Freund des Lebens.

Wem der Glaubenszweifel fast eine Art Zwangsidee geworden ist, wer Skrupel wegen seiner Zweifel hat, dem kann unter Umständen ein paradoxer Rat helfen: „sich gerade einmal nicht mehr auf Gott zu konzentrieren“, „einfach weiterleben“, einfach „wahrhaftig gegenüber den anderen zu sein“, wie bereits der „Holländische Katechismus“ empfahl (334f). Dies ist keine Vernachlässigung des Glaubens, sondern Zeichen eines Vertrauens auf Gott jenseits all unserer Möglichkeiten. Wir dürfen wissen, dass die Liebe zu den Brüdern und Schwestern, die Treue „in den kleinen Dingen“ eine Gestalt authentischer Gottesliebe sind. Eine wahre Geschichte verdeutlicht das Gemeinte: Ein Priester gab einem in Zweifeln gefangenen Studenten den Tipp, sich einfach offen zu halten und die Fragen einmal möglichst beiseitezulassen. Als der Student nach dem Gespräch nach Hause kam, „stand er auf der Türschwelle und pfiff“, erzählt die Mutter. Auch das gibt es, und es ist gut so: weil „unser Gott ein Gott der Freude und des Friedens ist“ (ebd.).

***

Zweifel erwachsen oft aus dem Blick auf die real existierenden Kirchen und ihre Geschichte. Tatsächliche und/oder vermeintliche Fehler und Vergehen können auch die Botschaft infrage stellen. Persönliche Enttäuschungen, Verletzungen, auch im kleineren Rahmen der Pfarrei, eines Klosters oder einer Gemeinschaft, können zum leisen Auszug aus Räumen gemeinschaftlich gelebten und gefeierten Glaubens werden. Dadurch verändert sich nicht selten die Qualität latenter Zweifel: Langsam, aber sicher kann daraus ein „Abschied von Gott“ werden.

Dass es hier unmöglich ist, die kritischen Einwände aufzulisten oder gar im Einzelnen zu bewerten, ist offenkundig. Wer die historische Forschung ernst nimmt, wird nicht bei einer bloß negativen Sicht der Kirche und ihrer Geschichte stehen bleiben, sondern differenziert urteilen. Das berechtigte Verlangen nach Authentizität, nach Echtheit muss einhergehen mit dem Wunsch nach Gerechtigkeit, auch in der Würdigung des Positiven, das die Kirche, das das Christentum in die Welt gebracht hat und bringt. Beschönigungen freilich helfen nicht.

Richtig und wichtig ist in jedem Fall die Unterscheidung von verkündeter Botschaft und ihren „kirchlichen“ Trägern. Nie darf die Kirche mit dem Reich Gottes verwechselt werden, keine Gruppierung ist ein paradiesischer Raum. Immer steht die Botschaft (die ihrerseits natürlich Boten braucht) der Kirche und jeder Gemeinschaft auch gegenüber – als kritische Instanz, als Appell, sich zu bekehren, um Verzeihung zu bitten, wo es vonnöten ist, zu verändern, was der Botschaft widerspricht.

An einem ändert die Unterscheidung von Kirche und Botschaft allerdings nichts: Es braucht zumindest die zeichenhafte Sichtbarmachung, das gelebte exemplarische Zeugnis, damit die Botschaft nicht um ihre Kraft gebracht wird. Zweifel wegen der Kirche können zum Ansporn werden, da, wo man selbst steht, Zeugnis zu geben.

***

Wenn Zweifel jemanden oder etwas betreffen, der oder das einem wichtig ist, werden sie bedrängend; sie gehen nahe, können quälen. Je wichtiger einem der Glaube ist, desto mehr schmerzt es, wenn er fraglich wird. Tatsächlich lässt sich beobachten, dass gerade ein starker Glaube oft die bedrückendsten Zweifel kennt. Hängt es damit zusammen, dass wir, je mehr wir „aufs Spiel setzen“, je mehr wir uns Gott verschrieben haben, desto verletzlicher und anfechtbarer werden? Es wäre ein Irrtum zu meinen, ein fester Glaube würde vor dem Zweifel schützen. Er lässt ihn umso stärker erfahren! Hier berühren wir ein tiefes Geheimnis: Offenbar gibt es Zweifel, die zur Geschichte Gottes mit einem Menschen dazugehören. Das Vertrauen inmitten von allem Dunkel und Zweifel erscheint als eine der tiefsten Gestalten des Glaubens.

In der Reihe der „Zeugen des Glaubens“ finden wir viele, sehr viele „Zeugen des Zweifels“: Menschen, die nicht nur ein Ohr für die Fragenden und im Glauben Angefochtenen hatten und haben, sondern selbst zu diesen gehören. Sie waren und sind vertraut mit „Gesichtern des Zweifels“: mit Nacht-Erfahrungen der Gottferne, mit Erfahrungen innerer Leere, mit Einwürfen des Verstands, mit unerhörten Bitten, unverständlichem Leid ... Die Hintergründe, die Dauer und die Ausdrucksformen dieser Erfahrungen sind so vielgestaltig wie die Zeugen selbst. Es sind Heilige darunter wie Johannes vom Kreuz und Teresa von Avila, Therese von Lisieux und Mutter Teresa, tief gläubige, suchende Theologen wie Romano Guardini, der einmal schrieb, „Leben, ohne zu zweifeln“ gehöre zu den „am schwersten zu bewältigenden Dingen“; wir finden geistliche Persönlichkeiten und Leitgestalten, einen Reinhold Schneider oder Chiara Lubich, Bischöfe und Kardinäle wie Basil Hume, und auch von Papst Paul VI. ist bekannt, dass sein Glaube angefochten war.