Zwischen Coletti und Capriccio - Ulfert Beiß - E-Book

Zwischen Coletti und Capriccio E-Book

Ulfert Beiß

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Beschreibung

Die Jugendszene im Braunschweig der 60er Jahre. Von der Beat-Musik bis zur Studentenrevolte Ende der 60er Jahre. Mit zahlreichen Abbildungen

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Die Erinnerung ist das einzige Paradies,

woraus wir nicht vertrieben werden können.

(Jean Paul)

Inhalt

Zur Entstehung dieses Buches

Gebrauchsanweisung

Wer B(-ohlweg) sagt, muß auch C(-oletti und -ap) sagen!

Ich sehe sie vor mir ... oder warmes Gespräch über ein kaltes Thema

Und dann gab's da noch ... Eiscafés

Streiflichter ... Braunschweig in den 60ern

Die Verabredung

Jugenderinnerungen

Dikjen Deel - für viele ein unvergeßliches Stück Leben

Mit Nyltest und Pomade

Und dann gab's da noch ... Lokale mit Sälen

Live-Beat, Razzien, Kellerklos

Party-Club -

der

Beatschuppen am Kohlmarkt

Die Musikszene

Die „New Brunswick Combo“

„The Black Devils“

„The Kingbees“

Und dann gab's da noch ... Tanzlokale

Die „Ghosts“ - eine Beatlegende aus Braunschweig

„The Phantoms“

„The Churls“

„The Summits“

„We Few“

Streiflichter ... Die Bundesrepublik in den 60ern

Wie die Falken auf den Rock'n Roll kamen

Prädikat: Besonders wertvoll

„Locke“ Stedings Groschengrab

Massencamp auf Liegewiese

Das Freibad in Hemkenrode oder wie „Entenpaule“ zu „Fußbeißerpaule“ wurde

Statisterie oder Abitur - das war die Frage

Aus der Forschung

Lange Unterhosen leuchten in Venedig oder Auch Leichen haben Blähungen

Als die Mark noch was wert war

Und dann gab's da noch ... Cafés

Das Schloß-Café

Expertise - die Studentenkneipe im Magniviertel

Streiflichter ... Die Welt in den 60ern

Memphis hat seinen „Hunni“ wieder

Denkmal für ein „Stübchen“

Und dann gab's da noch ... Kneipen

Flamenco mit Schmalzbroten und Zwiebelringen

Und dann gab's da noch ... Eßlokale

Vier Uhr morgens in „Athen“

Jazzszene der 60er

Wenn man damals ...

Die Spottdrossel

Die 60er - aus Wolfenbütteler Sicht

Otto Muehl und das Schwein von Braunschweig

Und dann gab's da noch ... Bälle und Feten

Feste feiern

Jatzen Sie schon?

Eine ganz besondere Art, Feste zu feiern - ein Gespräch mit Immo Grisebach

Und dann gab's da noch ... die Angewohnheit

Ist unsere Jugend wirklich so schlecht ...

Und dann gab's da noch ... Barbiere

Was damals so Mode war ...

Erinnerung aus Gründersicht

Gespräch mit Günter Lindhorst

Erster „Auftritt“ im „Cap“

Das „Cap“ - Mythos und Legende

Cap oder nicht Cap - das ist hier die Frage

Abrufbereit gespeichert

Wer auf der Schloßparkmauer sitzt ...

Und dann gab's da noch ... Hunderte

Nachwort

Namensregister

Zur Entstehung dieses Buches

Im Herbst '94 feierten wir - Michael Kuhle und Ulfert Beiß - einen Hockey-Sieg unserer Söhne und kamen im Laufe des Abends - wie so oft - auf die „guten alten Zeiten“ zu sprechen. Schon bald wurde uns klar, daß vieles von dem, was völlig versunken schien, nur verschüttet war und mit Hilfe des anderen und der weinseligen Stimmung sofort wieder lebendig wurde; wir schaukelten uns gegenseitig in eine nostalgische Hochstimmung, und Micha meinte, daß man vieles aus jenen 60er Jahren unbedingt festhalten müsse, weil es sonst verlorenginge. Natürlich stimmte ich ihm zu, und die Idee für dieses Buch war geboren.

Der Grundgedanke war, zahlreiche Mitarbeiter zu gewinnen, um möglichst viele unterschiedliche Aspekte einfließen lassen zu können. Die Braunschweiger Zeitung half uns durch einen Artikel, der über unseren Plan berichtete, andere für unser Vorhaben zu interessieren, sie zum Mitmachen zu animieren bzw. uns Material zur Verfügung zu stellen.

Dieses Buch möchte allen, die nicht dabei waren, diese 60er kurzweilig nahebringen und verstehen helfen. Allen, die dabei waren, soll es Erinnerungen auffrischen, Vergessenes wiederbeleben und vielleicht auch dazu beitragen, alte Kontakte wieder herzustellen und zu pflegen.

Natürlich können und wollen wir - inzwischen war auch Andreas Hartmann zu uns gestoßen - keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben; wir sind uns bewußt, daß wir nur ganz bestimmte Tupfer, nur Lückenhaftes zusammenbasteln können, das aber jeder auf seine Weise ergänzen kann. Darin liegt der Reiz, das Buch als Anregung zu verstehen, als bunten Flickenteppich: echt und handgemacht.

Ulfert Beiß

Gebrauchsanweisung

Alle, die am Zustandekommen dieses Buches in irgendeiner Form mitgewirkt haben, hatten dabei so viel Spaß und Freude und - vor allem - genüßliche Verwunderung darüber, wie intensiv und reich an Einzelheiten die damalige Zeit plötzlich wieder lebendig wurde.

Damit diese Erfahrung auch die Leser dieses Buches machen können, sollen folgende Hinweise für die richtigen Voraussetzungen sorgen:

Mit Muße und Vorfreude sich irgendwo hinlümmeln.

Das Buch bewußt, fast zärtlich in die Hand nehmen.

Erinnerungsschleusen öffnen, sich wohlig überfluten lassen.

Zunächst kurz anblättern, irgendwo hängenbleiben und ausrufen: „Moment mal - richtig - stimmt ja - genau - so war das - irre!“ oder so ähnlich.Typen, Freundinnen, Freunde auf Fotos entdecken und sich sagen: „So haben die/wir mal ausgesehen?! Der Putz, die Koteletten, die Röcke, die Hosen.....Wahnsinn!“ - „Stimmt ja - die/den gab's ja auch - richtig, da fällt mir ein, wie der/die damals.....“

Im Register nachschlagen, ob ich mich da finde oder wer oder was da womöglich auch drinsteht.

Alte Platten und Bänder spielen, eigene Fotos raussuchen, Gegenwart vergessen.

Leute anrufen - vielleicht solche, von denen man schon lange nichts mehr gehört hat.

Über Empfindungen, Eindrücke und Zeitgeist von damals mit anderen reden und schwelgen.

Sich voller Freude wundern, wie intensiv man in diese Zeit hinabsteigen und wieviel Spaß man dabei haben kann.

Und auch ein bißchen froh sein, daß das alles so war, wie es war!

Andreas Hartmann

Jung und strahlend: Das Ehepaar Coletti noch im ersten Domizil Humboldtstraße, Ecke Gliesmaroder Straße

Wer B(-ohlweg) sagt, muß auch C(-oletti und -ap) sagen!

Voraussetzung: schönes, warmes Wetter, dann:

engnebeneinanderaufgereiht, sitzend: gut 100,

davor in Haufen, stehend: etwa 50,

dahinter in Grüppchen, liegend, sitzend, kauernd: weitere ca. 50,

durchschnittliche Stückzahl also: 200 Jugendliche;

neben ihnen oder irgendwo um sie herum entsprechend viele Schultaschen, Hebammenkoffer, Sporttaschen oder Matchsäcke;

in den Ständern, auf den Ständern oder an Bäume (!!) angelehnt: zahllose Fahrräder, vereinzelt Mopeds;

der zweifellos vorhandene Fußweg zwischen Mauer und Fahrradständern streckenweise nur noch erahnbar;

So hat Coletti am neuen Standort Bohlweg 10 bis 1963 von innen ausgesehen

in Verkehrsnachrichten (die es damals noch nicht gab!) hätte es geheißen: ortskundige Fußgänger werden gebeten, den Stauraum großzügig (in doppeltem Sinn) zu umgehen, andernfalls ist mit Hindernislauf auf Slalomkurs zu rechnen, Vorsicht: gefährliche Dauermotzer.

Schnacks, Witze, Lästereien, Sprüche, Blödeleien (Marke: „Guten Tag, ham Se Socken?“ „Ja.“ „Na prima, dann braucht meine Frau nicht mehr aufm Schrank zu schlafen!“), Verabredungen, Pläne, Imponiergehabe, Flirts, schmachten, anhimmeln, innere Kämpfe, Schmuseeinheiten, Knutschen.

„Hältste mir mal eben 'nen Platz frei, ich hol mir mal'n Eis von Coletti, soll ich dir eins mitbringen? Okay, und was? Zitrone, Malaga, Erdbeer, geht klar, aber erst Kohle!“

Kurze sichernde Blicke, Sprint über den Bohlweg, rechts vorn an den Tresen, ah Klasse, Frau Coletti persönlich wird mir die Murmeln in die Tüte drücken. Ich löhne, sage Danke und auf Wiedersehen, hetze wieder rüber und übergebe dem Kumpel die kalten Bälle, die folgenden Gespräche werden durch genießerische intensive Schlotz- und Leckgeräusche unterbrochen.

Manchmal ist die Spitze der Waffeltüte durchgefeuchtet, dann tropft es irgendwann, und man klebt überall grauenhaft. „So, das nächste Eis holst du, und grüß Frau Coletti von mir!“

Bei doofem Wetter ist's drin nur halb so schön: Einrichtung und demzufolge Atmosphäre eher kalt, wie sich das für eine typische Eisdielenausstattung jener Tage gehört: an den Wänden einige Strand- und Hafenansichten südlicher Regionen, graublaue Kunststoff-Tischplatten und dazu passende knallharte ungemütliche Stühle, aber das Eis ist natürlich auch drin einsame Spitze, und vor allem: für 1,50 DM kann man sich locker 'ne Eisvergiftung holen: 15 Murmeln kollern im Bauch!

Am besten sitzt man im hinteren Teil rechts um die Ecke (nicht so aufgereiht wie links an der Wand, parallel zum Tresen). Hier kann man auch die sonst so starre Sitz- bzw. Stuhlordnung mal etwas auflockern, größere Runden bilden und unerkannt rauchen.

Tja, es ist schon so: „Coletti“ und Mauer sind Drehscheibe, sind Nabel der Braunschweiger Jugendwelt, und für viele gibt es von hier aus nur einen Weg, und der führt ins „Cap“, aber das ist eine andere Welt.

Andreas Hartman

Ich sehe sie vor mir... oder warmes Gespräch über ein kaltes Thema

Überrascht und entgeistert stellte ich im April 1995 fest, daß im Rathausneubau eine der Braunschweiger Dauer-Einrichtungen nach der Winterpause nicht mehr zurückgekommen war.

Von einer jetzt dort tätigen Keks-Verkäuferin erfuhr ich, daß sich die Familie Coletti endgültig nach Italien zurückgezogen habe. Das konnte doch nicht wahr sein! Und das gerade zu einem Zeitpunkt, wo wir doch ein Buch mit dem Titel „Zwischen Coletti und Capriccio“ machen wollten! Gerade über „Eis-Coletti“ - zusammen mit der berühmten Mauer gegenüber die Anlaufstelle für unzählige schleck- und treffsüchtige Jugendliche - mußte man doch irgendwelche Informationen und Fotos an Land ziehen! Ich war tief enttäuscht.

Als ich bei unserem nächsten Buch-Treff bei Ulfert davon berichtete, erzählte dieser, er habe rausgekriegt, wo Colettis jetzt wohnten. Einige Zeit später, ich war völlig von diesem Thema abgekommen, fiel mir der Ort Gott sei Dank wieder ein, ich brauchte also nur noch die Auslandsauskunft zu bemühen...

In der Mitte Ehepaar Coletti umrahmt von Serviererinnen (Anfang der 60er)

So, die Nummer hatte ich nun: eine lange Zahlenreihe, die in Oberitalien ein Telefon zum Klingeln bringen würde. Aber war es überhaupt der richtige Anschluß? Wer würde wie am anderen Ende reagieren? Mit leicht klopfendem Herzen tippte ich die Ziffern, nach mehrmaligem Tuten meldete sich eine Männerstimme: „Coletti!“ Hatte ich auch richtig verstanden?

„Ja, guten Tag, hier Hartmann, ich rufe aus Braunschweig an. Waren Sie mal, äh, sind Sie der, der in - äh - mit Braunschweig - Entschuldigung, sprechen Sie deutsch? Ich habe früher immer bei Ihnen Eis gegessen und wollte mal fragen, weil wir jetzt ein Buch machen wollen . . .“ „Da hole ich lieber Frau Coletti, einen Moment.“ Na, herrlich, die wollte ich doch eigentlich sowieso sprechen. Mann, wieso war ich denn so aufgeregt? „Coletti“. Herzlich und melodiös - so kam es mir jedenfalls vor -meldete sich nun jene vielen so vertraute Dame, die ca. 45 Jahre lang in Braunschweig an verschiedenen Stellen für genüßliche Eis-Zeiten gesorgt hatte - und genau die wollte ich jetzt am Telefon wieder aufwärmen!

Ich schwärmte also sofort los - von damals, von jenen himmlischen Kugeln für 10 Pfennig, von dem fruchtigen Erdbeer- und Heidelbeereis, und das war - weiß Gott -ehrlich! Ich bin mir sicher, so gut wie damals schmeckt es heute nicht mehr, und das sagte ich ihr auch. „Ja, das kann ich mir gut vorstellen,“ lachte sie, „wir haben damals auch alles selber gemacht, mein Mann und ich, wir haben nur frische Früchte, nur Natur-Produkte benutzt, bei 95° selber gekocht..., ach ja, es war zwar oft auch anstrengend für uns - während der Saison jeden Tag von morgens bis spät abends hinter dem Tresen -, aber trotzdem war die Zeit doch herrlich . . .“.

Ich sah sie sofort wieder vor mir, wie sie uns all die Jahre immer mit freundlichem Lächeln die gefüllten Waffeltüten in die Hand gedrückt hatte - oft sehr großzügig in der Portionierung, das haben sogar meine Kinder noch erlebt und sind nicht zuletzt deshalb, aber natürlich auch der Qualität und der Herzlichkeit wegen, immer zu Coletti gegangen.

Tja, da hatte ich also die Verkörperung von fast 50 Jahren italienischer Eis-Zeit am Apparat! Wir klönten lockere 20 Minuten, dabei erfuhr ich, daß ihr Mann vor acht Jahren verstorben ist. Voller Interesse und Anteilnahme an unserem Buch-Projekt versprach sie mir, sich um Materialien und - wenn vorhanden - Fotos zu kümmern. Innerlich erwärmt, legte ich lächelnd den Hörer hin und freute mich pausenlos ...

Andreas Hartmann

Und dann gab's da noch...

Als italienische Ergänzungen zu „Coletti“

das „Cortina“:eine der ersten italienischen Eisdielen in der Innenstadt (noch heute am „Kattreppeln“).das Eiscafé „Roma“:dominierte den Kohlmarkt mit Kaltem, draußen und drinnenund als die deutsche Eis-Alternativedas „Tante Puttchen“:im Handelsweg kannte man zunächst noch keine Kugelform, Eisiges wurde an und auf Tüten geschmiert. Zur Freude besonders der WG- und Gaußschüler gab's eine „Puttchen-Filiale“ dann auch für einige Zeit im Magniviertel, und zwar da, wo heute das neue Hotel steht.

Eis Colett: Innenansicht nach der Modernisierung 1963

Streiflichter... Braunschweig in den 60ern

Die Verkehrsführung wird revolutioniert: die „Oma-Fuchs-Rennbahn“ - der City-Ring - wird eingerichtet.

Drei wichtige neue Gebäude entstehen: das FBZ, die Stadthalle und der Rathausneubau.

Das wichtigste Gebäude aber verschwindet leider endgültig: die Schloßruine am Bohlweg wird abgerissen und macht dem Schloßpark mit der berühmten vorgelagerten Mauer Platz.

Die Straßen „Damm“ und „Hutfiltern“ werden Fußgängerzonen.

Der alte Sackbahnhof am Friedrich-Wilhelm-Platz schließt seine Pforten, dafür wird der neue mit Durchgangsverkehr in Betrieb genommen; überall zieht es!!

Eintracht Braunschweig wird Deutscher Fußball Meister.

Braunschweig macht durch das Muehl-Happening in der HBK weltweit von sich reden

Die alte Ladenzeile am Bohlweg; hier steht heute der Rathausneubau

Die Verabredung

Sommer 1964, Donnerstag 16.00 Uhr, 26°. Klaus ist schon gegangen. Henning kam erst gar nicht. Die Sonne verzieht sich. Hausaufgaben haben wir zwischen Schwimmen, Sonnenbad und Gequatsche erledigt (hingeschmiert).

Was sollen wir also noch im Stadtbad - - - auf, in die Szene!

Hoffentlich hat nicht wieder irgend so'n blöder Typ die Luft aus unseren Fahrradreifen gelassen. Über den Lessingplatz, an der Ägidienkirche vorbei, radeln wir in Richtung Bohlweg. Unser erster Stop ist, wie immer, bei Coletti. Mit einer Eistüte für 20 Pf in der Hand versuchen wir, noch eine freie Stelle auf der Schloßparkmauer zu ergattern.

Wichtigstes Gesprächsthema ist heute der neue Wimpernbalsam von „Tana“ und der weiße Lippenstift von „Chicogo“. Wenn die wüßten, daß ich statt des „Luxuslippenstiftes“ die Penatencreme meines kleinen Bruders benutze.

Mittlerweile ist es auf dem Fußweg vor der Mauer durch herumstehende Fahrräder, herumliegende Hockeyschläger und von den heiß geliebten Hebammenkoffern mit den Badeutensilien so voll geworden, daß vorbeikommende Passanten kaum noch durchkommen und fürchterlich rummotzen. Spießer! Also, ein Grund zum Aufbruch.

Ute Grages Jutta Gerloff Cilia Hoyer Ingrid Geilke (v. l. n. r.)

Werner hat seinen neuesten ,Peter-Scott'-Pulli schon sichtbar über die Schulter gehängt, natürlich schon in der neuesten Farbe - gelb. Angeber! Ja, Peter Scott, Burberrys', Levi's und Fred Perry bringen eben die führenden Modeartikel.

Wir radeln den Bohlweg weiter entlang und biegen rechts ein in die Steinwegpassage. Dort ist unser zweiter Stop, das „Cap“.

Hoffentlich sind schon viele unserer Clique eingetrudelt. Besonders gespannt sind wir, ob sich Henning und Klaus, vielleicht auch Werner blicken lassen.Zum Glück ist die Kneipe so brechend voll, daß Lutz hinter der Theke zu beschäftigt ist, um sich gleich um unsere Bestellung kümmern zu können. Ich habe nämlich nur noch 60 Pf, und die reichen man gerade für eine Cola. Also nichts mit Kornschuß, dem eigentlich obligatorischen Getränk, mit dem man einfach älter wirkt.

Wieder mal hat das Taschengeld nur bis Donnerstag gereicht. Hoffentlich kann ich morgen nach der Schule für zwei Stunden bei „Schuh-Bartels“ arbeiten, um wenigstens 4,- DM fürs Wochenende zu haben, denn schließlich ist ja „Schüfi-Fete“. Ob Henning auch dorthin kommt? Mal seinen Freund Bernd fragen, dann kann ich auch gleich noch eine Zigarette schnorren.

Als ich endlich meinen Mut zusammengekratzt habe und gerade auf Bernd zugehe, steht plötzlich Henning vor mir. Ausgerechnet jetzt dudelt gerade „Time is on my side“ aus der Musikbox, als er mich fragt: „Axels Eltern sind verreist, Samstag startet eine Fete, kommst du mit?“ Der Hals ist mir abgeschnürt, ich kann nur nicken. Scheiß auf die „Schufi-Fete“, das Wochenende ist gerettet!

Viola Honigbaum, Ingrid Stöber

Susanne (Susi) Hubbes Inge Grobe Cilia Hoyer (v. l. n. r.)

Jugenderinnerungen

So richtig begannen die 60er Jahre für mich erst 1964 mit dem Wechsel zur Ricarda-Huch-Schule, wo meine Freundin Ulrike Altemark bereits Schülerin war. Außerdem kannte ich noch Barfi, Cylli und Mecki schon aus dem Stadtbad, wo wir uns im Sommer täglich trafen. Den 15. Mai, den Tag der Eröffnung, konnte man kaum erwarten. Egal, ob das Wetter kalt war oder die Sonne schien: wir fanden uns dort ein. Klar, daß bei schönem Wetter natürlich reichlich mehr Leute kamen. Da mußte man dann schon eng aneinanderrücken, wenn noch jemand irgendwo sein Handtuch dazwischen legen wollte. Aber eng war ja schön! Es wurde gequatscht, Hitparade gehört und über den einen oder anderen hergezogen. Auf dem Rückweg durch die Stadt, mit dem Fahrrad natürlich, traf man sich noch auf ein Eis bei Coletti und ließ damit den Tag ausklingen. Der Bohlweg war damals noch überquerbar, und so konnte man ohne große Schwierigkeiten rüber zur Mauer auf der Schloßparkseite. Dort saßen wir immer wie die Hühner auf der Stange, und wenn jemand vorbeikam, den wir kannten, dann gab es sofort ein großes Hallo, und das endete meist mit einer spontanen Verabredung für den Abend oder den nächsten Tag. Im Sommer wiederholte sich dieser Ablauf fast täglich.

Irgendwann begannen endlich die heißersehnten Sommerferien, und viele von uns reisten nach Dikjen Deel. Wer kennt nicht Dikjen Deel - das Zeltlager bei Westerland auf Sylt? Schüler der Braunschweiger Gymnasien und Spieler des Hockeyclubs BTHC nahmen an diesen Fahrten teil. Otbert Krüger war jedes Jahr mit seinen Hockeyleuten dabei, und ich durfte in diesem Jahr auch mitfahren. Wir wohnten mit vier oder sechs Mädchen in einem Zelt. Die Hockeymädchen waren zwar für sich untergebracht, aber das hielt Otbert Krüger nicht davon ab, auch uns morgens mit einem freundlichen „Schwingt die Keulen, Mädchen!“ aus den Schlafsäcken zu holen. Gemeinsames Frühstück (mit Schlappofix und Hengolin) – oder schreibt man das wegen seiner ageblichen Bedeutung mit„ä“?), Abwasch und anschließende Unternehmungen waren selbstverständlich. Ich kann mich an Ausflüge nach List und an die Schiffsreise nach Helgoland erinnern. Oh, war mir schlecht! Aber nicht nur mir, viele litten unter „Würfelhusten“. Spiele und Burgenbauen am Strand gab es ebenso wie Braten in der Sonne und Baden, und zwar zu vorgeschriebenen Zeiten, die man - wegen der Gefährlichkeit - unbedingt einhalten mußte. Auch die Abende mit unterschiedlichsten Betätigungsmöglichkeiten waren eigentlich immer schön. Dikjen Deel mußte man einfach erlebt haben! Wieder zu Hause, traf man sich - wo auch sonst - natürlich wieder im Stadtbad und bei Coletti, um die Ferienerlebnisse auszutauschen. Wenn es dann später für Stadtbad und Coletti zu kalt wurde, mußten wir uns natürlich woanders treffen; aber wo? Irgend jemand sagte: „Gehen wir doch mal ins „Capriccio“. Und das war in der Steinweg-Bohlweg-Passage neben „Kathrin“ - einem wunderschönen Kramladen, in dem man Ohrringe, Ringe, Taschen und viel Schnickes bewundern und - falls man genügend Geld hatte - erwerben konnte. („Kathrin“ gibt es heute übrigens immer noch, jetzt allerdings auf der Fallersleber Straße.). Also, auf ins Capriccio. Es hatte große Scheiben, die man im Sommer auch aufschieben konnte, dann war alles schön offen, und vorbeikommende Bekannte konnten direkt zum Bleiben aufgefordert werden; meistens blieben die dann auch prompt hier hängen. Im „Cap“, wie wir es liebevoll nannten, war immer was los. Es entwickelte sich mehr und mehr zu „unserer“ Kneipe. Schon nach der Schule traf man sich kurz im „Cap“. Dann nach Hause, Mittagessen, Schularbeiten; spätestens am Nachmittag oder Abend war man wieder da. Dann kamen auch diejenigen, die schon beim Bund waren oder schon arbeiteten. Am liebsten war man natürlich jeden Tag dort, man könnte sonst ja was verpassen. Im Laufe der Zeit wurde unser Kreis immer größer. An den Wochenenden waren oft Feten angesagt; häufig waren wir bei Mucke oder Werner, aber auch Daggi hat nicht selten eingeladen. Das sprach sich meistens wie ein Lauffeuer herum, und alles fand sich dann dort ein. Als anständige und wohlerzogene Jungen und Mädchen mußte man in unserem Alter natürlich auch die Tanzstunde besuchen. Es wurde ja auch wirklich höchste Zeit – wir Mädchen waren nämlich schon in der 9. Klasse! Die Ricarda-Huch-Schule war damals noch ein reines Mädchengymnasium, und deshalb mußten wir uns mit der Klasse eines Jungengymnasiums zusammentun. Wir wußten natürlich sofort, wen wir haben wollten: das WG, denn in eine der Klassen gingen alle Jungen, mit denen wir befreundet waren. Es wurde alles geregelt, und wir wählten selbstverständlich die Tanzschule Haeusler. Frau Haeusler war eine strenge Lehrerin, wenn es um Walzer, Cha-Cha oder Foxtrott ging. Aber in den letzten zehn Minuten durften wir nach flotter Musik immer Twist tanzen. Anschließend ging es wieder ins „Cap“. Dort zogen wir dann Rock und Perlonstrümpfe auf dem Klo aus und Jeans an, weil man sich mit der feinen Ausstaffierung für die Tanzstunde im „Cap“ nicht zeigen wollte.

Doris Eberhard

Ricarda-Huch-Schule, Klasse 10 a (1966)

Dikjen Deel - für viele ein unvergeßliches Stück Leben

Alle Jahre wieder freuen sich ca. 700 Braunschweiger Jugendliche von 10 bis 19 Jahren auf den ersten Tag der Sommerferien. Per Sonderzug geht es für drei Wochen an einen besonderen Ort, nach Dikjen Deel, ein Ferienlager für die Braunschweiger Oberschulen, einsam gelegen in den Sylter Dünen zwischen Rantum und Wester-land. Mit unzähligen Stops auf Nebengleisen schlängelt sich der mit wimmelnder Erwartungsfreude erfüllte Lindwurm durch den normalen Zugverkehr. In manchen Jahren wird in Hamburg die Fahrt wohltuend zwecks Hafenrundfahrt oder Besuch bei Hagenbeck unterbrochen. Nach der traditionellen Lautsprecherbegrüßung im Bahnhof Niebüll geht es auf dem Hindenburgdamm durch die Nordsee in eine andere Welt. Im Bahnhof Westerland leiten die begleitenden Lehrer die lärmende Masse zu der wartenden Inselbahn, ein Gebilde aus seltsamen Waggons, gezogen von bizarren Maschinen, Traktoren ähnelnd. Unglaublich rumpelnd geht die Fahrt durch die Dünenlandschaft, bis das Ziel der Reise auftaucht: eine Zeltstadt, eingebettet in herrliche Dünen, umsäumt von einem halben Dutzend Funktionsbaracken.

Schilder mit den Aufschriften Ricarda-Huch-Schule, Kleine Burg, Ina-Seidel-Schule, Martino-Katharineum, Neue Oberschule, Gaußschule, Wilhelm-Gymnasium und Hoffmann-von-Fallersleben-Schule weisen den Braunschweiger Oberschülern den Weg in die Zelte. Komplettiert wird das Lager durch Hockeyspieler aus Braunschweig, Julianum Helmstedt und den Oberschulen aus Wolfenbüttel und Gandersheim und Salzgitter Lebenstedt.

Die weißen Zelte fassen zwölf Personen, sind mit Stroh ausgelegt und werden von den Ankommenden mit Luftmatratzen, Decken und Schlafsäcken wohnlich gemacht. Per Flüstertüte werden auf dem Appellplatz die Spielregeln für die kommenden drei Wochen bekanntgegeben. Es gibt vorgegebene Zeiten für das Essen in der Hauptbaracke, um 22 Uhr soll Ruhe sein. Gebadet wird nur unter Aufsicht und nur zu den am großen schwarzen Brett angesagten Zeiten. Unverständnis weicht einem leichten Schaudern, in Rantum sollen wieder Kinder ertrunken sein, wegen der zeitweise gefährlichen Strömung. Der Zutritt zu dem neben dem Lagerstrand gelegenen, abgeteilten FKK-Strand ist verboten. Besonders ein Lehrer wird mit einem Fernglas, das einen erheblichen Teil seiner Körpergröße ausmacht, pflichtbewußt und mit großer Begeisterung die Einhaltung des Verbotes überwachen.

Langeweile kann nicht aufkommen. Es gibt diverse Sportwettkämpfe, zum Beispiel Tischtennis, Leichtathletik, Tauziehen und natürlich Fußball. Die Schulmannschaften spielen unter großer Zuschauerbeteiligung, es herrscht Stadionatmosphäre am Strand. Höhepunkt ist das alljährliche Spiel Schülerauswahl gegen Lehrerauswahl, die u. a. mit den Originalen „Nante“ Kohl und Otbert Krüger antritt. Die Lehrer nehmen die von den Schülern frenetisch bejubelten wiederkehrenden Niederlagen gelassen hin.