Die Geliebte des Kaisers - Peter Dempf - E-Book
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Die Geliebte des Kaisers E-Book

Peter Dempf

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Beschreibung

Ein packender historischer Roman um einen sterbenden Kaiser, seine mutige Geliebte und eine gefahrvolle Mission


Rom, im Jahr 1001. Otto III., römisch-deutscher König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, liegt im Sterben. Es ist Winter, und er und seine Getreuen sind auf der Flucht aus Rom, wo Unruhen ausgebrochen sind. Ottos letzte Bitte an seine Geliebte Mena: Sie soll dafür sorgen, dass sein Herz nach Augsburg gelangt. Der Grund: Sie trägt sein ungeborenes Kind unter dem Herzen, den letzten Spross und Erben seiner Linie, und das Herz ist ihr einziger Beweis.

Mit dem Mut der Verzweiflung schließt sich Mena einem Trupp wagemutiger Kaufleute an, die mit Schlitten dem Winter trotzen und als Erste im Jahr die Alpen zu überqueren versuchen. Doch sie wird gejagt, denn der Kampf um Ottos Nachfolge hat begonnen und ihre Gegner sind unberechenbar ...

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Die Figuren der Handlung

Prolog

TEIL I: TOD IN ITALIEN

1

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TEIL II: DIE WEISSE HÖLLE

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TEIL III: HERZ IN GEFAHR

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Nachwort

Glossar

Über das Buch

Rom, im Jahr 1001. Otto III., römisch-deutscher König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, liegt im Sterben. Es ist Winter, und er und seine Getreuen sind auf der Flucht aus Rom, wo Unruhen ausgebrochen sind. Ottos letzte Bitte an seine Geliebte Mena: Sie soll dafür sorgen, dass sein Herz nach Augsburg gelangt. Der Grund: Sie trägt sein ungeborenes Kind unter dem Herzen, den letzten Spross und Erben seiner Linie, und das Herz ist ihr einziger Beweis.

Mit dem Mut der Verzweiflung schließt sich Mena einem Trupp wagemutiger Kaufleute an, die mit Schlitten dem Winter trotzen und als Erste im Jahr die Alpen zu überqueren versuchen. Doch sie wird gejagt, denn der Kampf um Ottos Nachfolge hat begonnen und ihre Gegner sind unberechenbar …

Über den Autor

Peter Dempf, geboren 1959 in Augsburg, studierte Germanistik und Geschichte und unterrichtet heute an einem Gymnasium. Der mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnete Autor schreibt neben Romanen und Sachbüchern auch Theaterstücke, Drehbücher, Rundfunkbeiträge und Erzählungen. Bekannt wurde er aber vor allem durch seine historischen Romane. Peter Dempf lebt und arbeitet in Augsburg, wo unter anderem seine Mittelalter-Romane Fürstin der Bettler, Herrin der Schmuggler und Das Gold der Fugger angesiedelt sind.

PETER DEMPF

Die Geliebte des Kaisers

HISTORISCHER ROMAN

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München.www.ava-international.de

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, KölnLektorat: Dr. Stefanie HeinenTextredaktion: Dr. Ulrike Brandt-Schwarze, BonnTitelillustration: © Anna Gorin /gettyimages; © Collage unter Verwendung von Motiven von shutterstock.comUmschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-7828-3

www.luebbe.dewww.lesejury.de

Die Figuren der Handlung

Die Kursivsetzungen verweisen auf historische Personen.

Otto III. (980–1002), ab 983 römisch-deutscher König, ab 996 Kaiser

Ekkehard III, Markgraf von Meißen (ca. 960–1002), Heerführer OttosIII.

Bernward (993–1022), Bischof von Hildesheim

Heinrich IV., Herzog von Bayern (973 oder 978–1024), von 1014–1024 als Heinrich II. römisch-deutscher Kaiser

Karlmann, Seneschall am Hof Ottos III.

Hermann von Sölden, Panzerreiter, Anführer der Bewacher der Reichsinsignien

Mena, Leibdienerin des Kaisers

Ewalt von Scheideck, Leibdiener des Kaisers

Anna, Dienerin am kaiserlichen Hof

Gertrud, alte Küchenmagd am kaiserlichen Hof

Ulf von Achsheim, Schwertmann Bischof Bernwards

Mattheis Grünholder, Panzerreiter des Bayernherzogs Heinrich

Girgl, Schwertmann des Bayernherzogs, sein Kumpan

Gerold von Rehlingen, Augsburger Kaufmann und Pilger

Walburga von Augsburg, Ordensfrau und Hebamme

Bruder Konrad, Mönch

Urban, Bozener Bergführer

Andri, sein Enkel

Gor, Bergbewohner im Trienter Tal

Prolog

CASTEL PATERNO, OKTOBER 1001

Der hohe Jagdschrei eines Bussards riss Mena aus ihren Gedanken. Sie blickte zum Himmel und suchte nach dem Tier. Schützend schirmte sie die Augen mit der Hand vor dem hellen Blau ab. Dann sah sie, wie der Raubvogel mit angelegten Flügeln auf eine Gruppe Tauben zuschoss, die in einer Formation zwischen den dunklen Dächern der Burg hin und her flogen, gleichzeitig und gemeinsam, als wären sie ein einziges Tier, mehrere Haken schlugen und von dem wie ein Stein herabstürzenden Vogel völlig überrascht wurden. Federn stoben auf. Der Bussard hatte eine der Tauben geschlagen. Doch er fing seinen Sturz nicht ab, sondern schlug ungebremst durch den Pulk der Vögel hindurch und verschwand hinter den Ställen.

Mena bemerkte erst jetzt, dass sie vor Anspannung den Atem angehalten hatte. Sie holte Luft und rannte den Burghof entlang, um hinter den Stallungen nachzusehen, ob der Greifvogel seinen Angriff überlebt hatte.

Otto hatte ihr einmal erzählt, dass die Tiere sich manchmal zu Tode stürzten, wenn sie ihre Geschwindigkeit oder die Nähe zum Boden falsch einschätzten, junge Bussarde insbesondere. Er hatte dabei mit seinen Fingerspitzen an ihrer Rückenmulde entlanggestrichen, bis ihr ein Schauder über den Körper lief. Bis heute wusste sie nicht, ob es die sanfte Zärtlichkeit oder der Gedanke daran gewesen war, wie die Tiere hilflos am Boden aufprallten. Die kurze Bemerkung hatte sie im Innersten bewegt, hatte ihr eigenes Wesen angerührt, empfand sie sich doch wie ein Bussard als ein Wesen, das sich halb als Mensch fühlte, aber zu gleichen Teilen den Waldwesen zuneigte, den Füchsen und Mardern. Mena hatte instinktiv nach dem aus rötlichem Holz geschnitzten Fuchs gegriffen, der an einem speckigen Lederband um ihren Hals hing und den sie nie ablegte.

Ihre Fuchsseele jagte jetzt über den Hof, um nachzusehen, was geschehen war. Außer Atem bog sie um die Ecke und sah den Bussard über seine Beute gebeugt. Er hatte beide Flügel über die tote Taube gebreitet, als wolle er sie schützen. Mit energischen Bewegungen riss er ihr mit seinem gebogenen Schnabel Federn aus der Brust. Mena gab ein leises Lachen von sich, denn es sah aus, als hätte der Vogel einen Bart aus grauem Flaum.

Der Vogel hielt kurz inne, drehte leicht den Kopf und fixierte sie mit einem Auge. Die dunklen Streifen seines Gefieders glänzten vor Kraft und Stolz. Sie erkannten einander, der Bussard und die Füchsin.

Doch dann sah sie noch etwas anderes. Einen Blick, der sie an die Verwundeten erinnerte, die von den Schlachtfeldern zurückgebracht wurden. Es war diese Ungewissheit in ihren Augen, ob sie die Verwundungen überleben oder daran sterben würden, die Mena hier erschreckte. Eben dieser Blick veranlasste sie, noch einmal die Haltung des Bussards zu betrachten – und sie erkannte den Grund für die kaum merkliche Trübung in seinem Auge. Er hatte die Schwingen nicht ausgebreitet, weil er seine Beute verteidigen wollte, sondern weil er verletzt war. Der rechte Flügel hing lahm an seiner Seite, und er musste sich auf der anderen Seite mit dem gesunden abstützen.

Schließlich begriff sie. Der stolze Vogel würde seinen Angriff nicht überleben. Er würde sterben, wenn sie ihm nicht half.

Eine Welle von Traurigkeit erfasste sie. Sie wollte sich eben umdrehen, eine Decke holen, den Vogel einfangen und dem kaiserlichen Falkner übergeben, als sie gegen einen Körper prallte, der ihr den Weg versperrte.

»Ewalt!«, entfuhr es ihr. Wild sah er aus mit seinen schwarzen Locken und der tief in Falten liegenden Stirn.

»Es ist also wahr!«, fuhr er sie an.

Gleichzeitig packte er sie an den Armen und stieß sie gegen die hölzerne Wandung des Stalls.

Aus den Augenwinkeln sah Mena, wie sich der Bussard, einem Fluchtinstinkt folgend, in die Luft erheben wollte. Es gelang ihm nicht. Also blieb er mit im Dreck schleifenden Federn über der Taube sitzen und starrte sie weiter an. Feindselig diesmal.

»Ist es wahr?«, herrschte Ewalt sie erneut an. Mit einer Hand hielt er sie immer noch so fest, als wolle er ihr den Arm brechen.

»Was, Ewalt?«, fragte Mena und versuchte, sich loszureißen, was ihr nicht gelang. »Was soll wahr sein?«

Ewalts Blick war kälter als der des Bussards.

»Du glaubst, mich mit deinem füchsischen Wesen hintergehen zu können? Ich habe mit der alten Gertrud gesprochen. Sie hat gesagt …«

»Ach«, gab Mena schnippisch zurück, während sie sich wand, um sich aus der Armklammer zu befreien. »Die alte Vettel plappert viel, wenn der Tag lang ist.«

»Sie sieht aber noch mehr.« Ewalt spuckte ihr vor die Füße. »Er hat dich und dein rotes Fell gestern … mit ins Bett genommen, stimmt‘s?«, stieß Ewalt hinter zusammengepressten Zähnen hervor. Er griff nach ihren rötlichen Haaren, erwischte sie jedoch nicht.

Mena funkelte den Diener an.

»Man schlägt einem Kaiser den Kopf ab, aber keinen Wunsch!«, zischte sie ihn an.

Ewalt blieb der Mund offen stehen. Sein Blick versteinerte. Er verdrehte die Augen.

»So ist es also wahr?«, fragte er zum dritten Mal.

»Und wenn es wahr wäre, ginge es dich nichts an. Wir sind nicht miteinander verheiratet.«

Sie wollte sich an Ewalt vorbeidrücken, doch er versperrte ihr mit seinem Arm den Weg. »Ja, wir sind nicht miteinander verheiratet, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, dich jedem gefügig zu zeigen.«

»Und wenn es so wäre, wäre es nicht jeder. Es ist der Kaiser.«

»Selbst wenn es der Papst höchstpersönlich wäre …«

Mena reichte es endgültig. Sie holte aus und schlug Ewalt mit der flachen Hand ins Gesicht. Verblüfft ließ er sie los.

Sie trat einen Schritt zurück, schob den Leibdiener des Kaisers beiseite und sprang in die Scheune. Sie brauchte einen Rupfensack, mit dem sie den Bussard einfangen konnte. Rasch orientierte sie sich. Zwei Getreidesäcke hingen an einem Nagel neben dem Tor. Sie griff sich einen davon und rannte zurück auf den Hof hinter der Scheune. Noch im Laufen breitete sie den Sack aus, um ihn über den Vogel werfen zu können. Als sie um die Ecke der Scheuer bog, sah sie gerade noch, wie Ewalt mit dem Stiel einer Forke auf den Bussard einschlug.

Beim ersten Mal flatterte der Vogel noch unbeholfen auf und entkam so dem Hieb. Mena schrie vor Entsetzen laut auf. Für einen Moment war der Bussard abgelenkt – und so traf ihn der Forkenstiel beim zweiten Mal am Kopf. Es knackte so laut, dass es in Menas Ohren nachklang. Blut spritzte auf den Boden, und der Greifvogel, die Taube noch in den Fängen, rutschte über den Steinboden und blieb an der Mauer liegen. Sein glasiges Auge war Mena zugewandt.

Fassungslos betrachtete sie das Ergebnis der Wut Ewalts, der sich jetzt zu ihr umwandte, die Forke drohend erhoben.

»Wenn der Kaiser davon erfährt, lässt er dich hängen!«, fauchte sie ihn an.

Ewalt sagte nichts, ging nur einen Schritt auf sie zu und starrte sie grimmig an.

Trotz des Hiebs hatte sich das Auge des Bussards nicht geschlossen. Unentwegt starrte es sie von der Mauer her an, wenn auch jetzt blick- und seelenlos. Sie konnte sich nicht davon abwenden. Eben noch hatte sie dieses Tier bemitleidet, seinen Schmerz gefühlt, und im nächsten Augenblick war alles Leben aus ihm gewichen.

»Bist du zufrieden?«, fragte sie tonlos.

Ewalt brauchte ihr nicht zu antworten. Bereits in dem Augenblick, als Ewalt mit der Forke ausgeholt hatte, war ihr bewusst geworden, dass sie niemals ein Paar werden würden. Dich und dein rotes Fell, hatte Ewalt gesagt. War sie womöglich tatsächlich wie einer dieser rotpelzigen Waldkobolde, die sich durch das Unterholz drückten und selbst einer Hundemeute zu entschlüpfen vermochten?

Sie schleuderte ihm den Rupfensack vor die Füße. »Achte in den Nächten darauf, ob dir ein Wesen begegnet, dessen Augen grün leuchten. Es könnte dir ein Messer ins Herz stechen, Ewalt«, flüsterte sie, bevor sie ihm den Rücken zukehrte. »Ich wollte den Vogel retten!«

»Mein … Herr. Er hat … mich geschickt. Du … du sollst zu ihm kommen«, rief Ewalt ihr stotternd nach.

Mena brachte eine kleine Wegstrecke hinter sich, bevor sie innehielt. Langsam drehte sie sich zu ihm um.

»Sag deinem Herrn, dass ich nicht kommen kann, weil ich einen toten Bussard wegräumen muss.«

Ewalt stand wie angewurzelt da, so als hätte er bei Sodom und Gomorrha ins Auge Gottes gesehen und wäre zur Salzsäule erstarrt. Auf seinem Gesicht zeigte sich eine Bittermiene, die Mena beinahe zum Lachen gebracht hätte. »Das kannst du nicht …«

»Doch, kann ich«, sagte Mena leise und ließ Ewalt stehen. Bei jedem Schritt, den sie über den Burghof machte, wartete sie darauf, dass er sie einholen und zur Rede stellen würde. Doch nichts geschah. Statt in die Küche zu gehen und den Kehrrichteimer zu holen, schritt sie zielstrebig zwei Stockwerke höher zur Kemenate des Kaisers hinauf.

Niemand machte ihr Vorschriften, was sie zu tun oder zu lassen hatte. Niemand. Auch ein Kaiser nicht.

TEIL ITOD IN ITALIEN

1

CASTEL PATERNO, JANUAR 1002

Er hat nach dir gerufen!«, klang es in Menas Ohren nach.

Sie hatte in Ewalts eisige Augen geblickt, als er ihr Ottos Wunsch überbracht hatte.

Ein Kaiser verlangte offen nach einer Dienerin – was für ein Widersinn! Mena griff sich an den Bauch – sie wusste, warum es so war.

Dennoch durfte sie nicht einfach an das Bett des Herrschers treten. Sie hängte sich einen Beutel mit Räucherwerk ans Handgelenk und griff nach einer Schale mit glühenden Kohlen. So gerüstet wollte sie los, doch dann besann sie sich eines anderen. Sie ging zum Wasserkübel, der im Hof neben der Tür zum Gesinderaum stand, und stellte alles daneben ab. Mehrmals fuhr sie sich mit gespreizten Fingern durchs Haar. Sie wusste, dass der Kaiser ihr Haar mochte, ganz besonders mochte. Er rief sie »Füchsin«, auch wenn sie nicht allein waren. Im trüben Licht des Januartages wirkte es beinahe schwarz, nur hin und wieder lief ein rötliches Blitzen darüber, sobald ein Sonnenstrahl sie berührte. Gern hätte sie wie die römischen Damen einen Spiegel gehabt, um sich darin zu betrachten, aber ihr Abbild im Wasser musste genügen. Erst als diese kurze Toilette geschehen war, machte sie sich auf den Weg.

Als sie mit dem brennenden Räucherwerk vor der Tür zur Kemenate des Herrschers stand und klopfte, schlug ihr das Herz bis in den Hals. Ottos Vertrauter Karlmann öffnete ihr die Tür und winkte sie mit besorgtem Gesicht herein. Sein helles Haar war zerzaust, als hätte er eben noch geschlafen und sie hätte ihn geweckt. Auf seiner Wange war ein Abdruck des Lakens zu sehen, und seine Augen waren rot gerändert. Er war jung wie sein Herr und besaß denselben Übermut und dieselbe Gelassenheit wie Otto. Demnach konnte es auch nur bedeuten, dass er eine lange, durchzechte Nacht hinter sich hatte. Doch sein Verhalten sprach dagegen. Wenn Mena ihm sonst begegnete, zwinkerte er ihr gewöhnlich zu und bezeugte damit sein Wissen über die Dinge, die geschahen oder geschehen würden. Diesmal unterließ er es und wies sie mit einer kurzen Kopfbewegung an, weiter in den Raum hineinzutreten.

Im Grunde mochte sie den ansonsten recht sorglos in den Tag hineinlebenden jungen Mann, sein rötliches, meist lächelndes Gesicht mit den blonden Haaren, die ihm in Locken bis auf die Schultern fielen. Heute jedoch schaute er ernst, zu ernst. Mena ging an ihm vorbei und berührte nur leicht seinen Arm.

Das Zimmer stank. Es roch nach ungewaschenem Mann, nach Urin. Und nach Tod, schoss es Mena durch den Kopf, als sie auf Ottos Bett zuging. Es stand etwas erhöht am anderen Ende des Raumes und war hinter schweren dunklen Tüchern verborgen, die vom Baldachin herabhingen. Der Blick auf den Herrscher war gänzlich verstellt. Mena musste Tücher beiseiteschieben und einen Berg an Decken erklimmen, bevor sie das Gesicht Ottos sehen konnte.

Mena erschrak. »Ihr müsst nach draußen, an die frische Luft, Herr«, schalt sie den Mann, der aus dem Bettzeug hervorlugte wie aus einer Höhle. »Ihr dürft Euch nicht hier verkriechen.« Von unten sah sie nur seine spitze Nase, mehr nicht.

Als Mena neben ihm kniete, das glimmende Räucherwerk in der Hand, schlug er die Augen auf. Das Weiß war blutunterlaufen, der Blick verschleiert, als habe er schon etwas anderes gesehen und müsse sich zwingen, zurückzukehren und sich auf diese Welt zu konzentrieren.

Nur allmählich klarten diese blauen Augen auf, deren Strahlen sie faszinierte.

Sie stellte das Räucherwerk neben dem Bett ab und wäre dabei beinahe von der Deckenlandschaft heruntergeglitten. Sie musste vorsichtig sein, damit die glühenden Kohlen nicht herabfielen und die Höhle in Brand setzten.

»Warum verkriecht Ihr Euch, als wärt Ihr ein Bär im Winterschlaf, Herr?«, fragte sie so beiläufig wie möglich.

Als Otto sich ein wenig aufrichtete und seinen Arm ausstreckte, um sie zu berühren, stieg ein Geruch aus der Gruft auf, der ihr den Atem nahm. Schwaden der brennenden Kräuter, die die Krankheitsmiasmen vertreiben sollten, wehten zum Kaiser hinüber und hüllten ihn kurz in einen Dunst.

Er sah sie durch den Rauch hindurch an, mit müden, abwesenden Augen und dem Wissen um das Ende der Dinge. Dann musste er husten, tief und lang gezogen wie ein alter Mann. Dabei war er kaum älter als sie selbst, höchsten vier Jahre. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Rasch griff Mena nach einem feuchten Tuch und tupfte ihm zwischen den Hustenanfällen über Augen, Wangen und Lippen, die mehr und mehr blau anliefen.

Sie kniete sich ganz auf das Bett und beugte sich zu ihm hinab. Sein schmaler Körper verschwand unter den Decken, die schwer waren wie Teppiche. Noch vor zwei Monaten hatte sie mit ihren Händen seinen Oberarm nicht umfassen können, heute reichten Daumen und Zeigefinger dafür aus. Als würde er sich langsam auflösen und aus dieser Welt verschwinden.

Ein Räuspern holte sie aus ihren Erinnerungen zurück.

Karlmann stand hinter ihr, blickte hoch zum Deckenberg.

»Er ist zu schwach«, flüsterte er. »Du solltest ihn nicht zu sehr …«

Mena drehte sich zu ihm um und funkelte ihn an. »Niemals!«, zischte sie. Dann wandte sie sich wieder Otto zu, der in die Kissen zurückgesunken war.

Sie fühlte, wie seine Hand ihr Bein hochwanderte, wie sie über ihren Schoß glitt und auf ihrem Bauch liegen blieb. Die Hand glühte und wärmte sie durch ihre Kleidung hindurch, als wäre sie eine Bettpfanne. Ahnte er etwas?

»Geh!«, flüsterte er so leise, dass nur Mena es verstand. Sie sah ihn enttäuscht an. Warum hatte er sie rufen lassen, wenn er sie sogleich wieder fortschickte?

»Karlmann«, hauchte Otto. »Geh!«

Jetzt erst verstand sie. Sie wandte sich zu Karlmann um, der sie misstrauisch beobachtete.

»Ihr sollt den Raum verlassen. Er wünscht es so«, gab sie den Befehl weiter.

Die Augen des Seneschalls weiteten sich. »Das muss er mir selbst sagen, oder glaubst du etwa …«

»Geh«, krächzte es klar und deutlich aus den Kissen.

Karlmann sah Mena verblüfft an. Sie zuckte nur mit den Schultern. Auch sie verstand es nicht. Otto wollte mit ihr allein sein. Bislang war der Vertraute des Kaisers immer von selbst gegangen, wenn es nicht mehr zu übersehen war, was geschehen würde, doch diesmal schickte der Kaiser ihn bewusst weg.

Der Paladin beugte den Kopf und entfernte sich. Mena sah ihm an, wie sehr sich alles in ihm dagegen sträubte.

Otto atmete schwer. »Ist er weg?«, flüsterte er, nachdem die schwere Tür der Kemenate zugefallen war.

»Ja. Warum habt Ihr ihn hinausgeschickt?«, fragte sie vorsichtig.

»Hilf mir zum Thronsessel!«

Noch immer lag seine heiße Hand auf ihrem Bauch. Mena durchfuhr die törichte Furcht, dass die Hitze sie verbrennen würde, sie und das Ungeborene, das sich dort rührte. Langsam begann Otto, sich mit ihrer Hilfe aus dem Decken- und Kissenberg zu wühlen.

Wie mager er ist, dachte Mena, nur mehr ein Schatten des Mannes, der mich noch vor fast drei Monaten im Arm gehalten hat.

»Ihr müsst aufstehen, Herr«, sagte sie. »Ihr müsst nach draußen gehen. Ihr müsst Luft atmen, nicht diesen Gestank, den Rauch. Ihr müsst …«

»Ich muss sterben«, entgegnete er leise. »Ich weiß es, und du weißt es. Wir alle müssen sterben, und es ist nicht immer leicht, sich daran zu erinnern. Vor allem nicht, wenn man jung ist. Denkst du über den Tod nach? Nein: Er ist so weit entfernt. Alte Menschen sterben, Kranke sterben, aber niemand rechnet damit, urplötzlich aus einem jungen und kräftigen Leben gerissen zu werden. Das Fieber zerfrisst mich. Schau mich an.«

Er sprach langsam, stockend, musste immer wieder Luft holen und lange Pausen machen, bevor er das nächste Wort hervorbringen konnte. Mena spürte, dass es ihn anstrengte, mehr als er zugeben wollte, mehr, als er in seinem Zustand tatsächlich noch ertrug. Aber er war der Kaiser. Stellte man sich den Wünschen eines Kaisers in den Weg? Vor allem, wenn man ihm unbedingt etwas mitteilen wollte?

»Ich bin der Letzte«, flüsterte Otto nach langem Schweigen. »Unser Geschlecht ist schwach. Ein kurzes Geschlecht, ohne lange Ausdauer in der Geschichte. Mit mir endet alles.«

Mittlerweile hatte er die Bettkante erreicht. Er rutschte von seinem Kissen- und Deckenberg, war aber nicht mehr in der Lage, sich abzustützen. Er kam kurz auf die Beine, knickte ein und wäre der Länge nach hingeschlagen, wenn Mena nicht vorausgesehen hätte, was geschehen würde, und ihm unter die Achseln gegriffen hätte. Sie saß hinter ihm und hielt ihn, aber sie wusste zugleich, dass sie nicht lange die Kraft dazu haben würde. Sie sah auf Ottos Muttermal hinter dem Ohr.

Er setzte an, um nach Karlmann zu rufen.

»Nein«, flüsterte Mena. »Noch nicht.« Sie schluckte und nahm all ihren Mut zusammen. Was sie zu sagen hatte, würde Otto gewiss nicht erfreuen. Aber es musste gesagt werden. Und zwar, bevor der Vertraute des Kaisers wieder auftauchte.

»Ihr seid nicht der Letzte Eures Hauses, Herr. Ich erwarte ein Kind von Euch. Ich bin im vierten Monat!«, stieß sie heiser hervor. »Und es wird Euer Muttermal tragen, das Mal der Ottonen.«

2

CASTEL PATERNO, JANUAR 1002

Lange würde sie Otto nicht mehr halten können. Sein Hemd war hochgerutscht. Der Anblick seines nackten Körpers erschreckte sie. Nur Haut und Knochen und dazwischen ein lächerlich baumelndes Geschlecht.

Ein erneuter Hustenanfall kündigte sich an. Otto atmete die Dünste der Räucherschale ein. Er keuchte, würgte und begann zu husten. Schwach zuerst, dann immer tiefer und härter, bis er sich krümmte und sich beinahe aus ihren Armen gerissen hätte.

Mena schwitzte vor Anstrengung. Auf Ottos Körper dagegen breitete sich eine deutlich sichtbare Gänsehaut aus, die ihn schlottern ließ.

»Habt Ihr mir zugehört, Herr?«, flüsterte sie. »Habt Ihr verstanden, was ich gesagt habe?«

Otto antwortete nicht. Schwer atmend hing er in ihrem Griff und kämpfte um Luft.

Sie rief nach Karlmann. Er musste zurückkommen und ihr helfen. Wenn sie Otto jetzt losließ, würde der halb nackte Herrscher des Heiligen Römischen Reiches hilflos zu Boden sacken und sich womöglich verletzen.

Die Tür sprang auf. Der Seneschall stand auf der Schwelle. Er zögerte einen Wimpernschlag lang, dann lief er zum Bett. In seinem Blick lag kein Vorwurf. Er wusste, wie Otto sich verhielt, wie er dachte, wie er handelte. Er wusste, dass Mena keine Schuld an diesem Missgeschick mit der entblößten Kaiserlichkeit traf.

Er packte Otto, wie er ein kleines Kind genommen hätte, und wollte ihn zurück in die Bettenburg heben.

»Nein!«, flüsterte Otto keuchend. »Nein!«

»Er will auf den Thronsessel!«, erklärte Mena. Sie zuckte entschuldigend mit den Achseln. Ihre Arme schmerzten, und sie glaubte zu schweben, nachdem sie nicht mehr das Gewicht Ottos halten musste.

Karlmann seufzte. »Hol ihm ein Polster oder Decken. Seine Knochen sind so spitz geworden, dass er sich selbst daran verletzen könnte. Außerdem wird er uns sonst erfrieren.«

Das glaubte Mena nicht. Otto glühte. Dennoch brachte sie die Decken herbei. Otto begann, ruckartig zu zittern. Seine Zähne schlugen aufeinander.

»Wir müssen reden«, flüsterte er und sah seinen Vertrauten an.

»Hat das nicht Zeit?«, fragte der Vertraute des Kaisers sanft.

»Nein. Jetzt.« Otto schnaufte so schwer, als seien seine Atemwege verstopft.

Karlmann setzte ihn behutsam auf dem schlichten, als Thron dienenden Stuhl ab, über den Mena hastig einige Decken gebreitet hatte. So zärtlich, als wäre er das eigene Kind, hüllte der Freund den Kaiser in wärmende Wolle. Bis Otto protestierte.

»Ich bin kein alter Mann! Hör schon auf. Setzt euch, beide. Zu meinen Füßen.« Er sprach langsam in kurzen Sätzen, seine Stimme klang pfeifend. Für einen Moment schloss er die Augen, und Mena glaubte schon, er sei eingeschlafen, als er zuckte und wieder in dieser Welt weilte. Er atmete stoßweise. »Der Tod klopft an meine Tür!«, sagte er leise.

»Lasst ihn nicht ein. Legt einen Balken vor«, antwortete Karlmann.

Otto ging zwar auf den Spaß ein, für einen größeren Lacher fehlte ihm aber die Kraft. »Ich werde sterben.«

»Unsinn. Ihr werdet hundert Jahre alt. Bis es so weit ist, die Gruft von innen zu sehen, werdet Ihr ebenso viele Kinder in die Welt setzen«, hielt Karlmann dagegen.

Mena merkte ihm an, wie schwer es ihm fiel, Zuversicht auszustrahlen.

»Willst du wetten?«, spottete Otto. Jedes Wort bereitete ihm Mühe. »Was, wenn ich gewinne? Wer zahlt dich aus?«

Beide Männer lachten. Mena fand das Spiel beklemmend, und ihr war keineswegs zum Lachen zumute.

»Ihr werdet die Wette verlieren!«, entgegnete Karlmann im Brustton der Überzeugung.

Wieder kam der Husten aus tiefster Lunge. Er begann langsam und steigerte sich wie schon eben zu einem lauten Bellen. Ottos Gesicht lief rot an, seine Lippen wurden blau.

Hilflos sahen Karlmann und Mena sich an. Auf Karlmanns Gesicht lag eine matte Niedergeschlagenheit.

Gedankenverloren legte Mena die Hand auf ihren Bauch, als sich das kleine Wesen darin bewegte. Gertrud hatte ihr verraten, dass dieses Kribbeln bei der ersten Schwangerschaft ein untrügliches Zeichen sei. Und dann hatte die alte Dienerin in den Himmel gedeutet und einen Adler sehen wollen, obwohl außer ihr keiner den Raubvogel entdecken konnte. Mena hatte es bald aufgegeben, in das Blau über ihr zu starren, und lieber einem Fuchs hinterhergeblickt, der durch die Aue unter der Burg gestreift und dann im Wald verschwunden war.

Karlmann musterte sie mit hochgezogener Braue. Sie fühlte sich ertappt und zog die Hand weg. Sein Blick verfinsterte sich und schien sie zu durchbohren.

Otto griff nach dem ledernen Beutel, den er um den Hals trug. »Den Zahn!«, flüsterte er.

Seine Muskeln waren zu schwach, seine Hand glitt am Leder ab. Er hätte das Säckchen unmöglich über den Kopf ziehen, geschweige denn, es öffnen können.

»Sag du es ihr!«, befahl Otto und deutete mit dem Kinn auf den Beutel.

Mena wusste nicht, woher er die Kraft nahm, die Worte zu bilden. Fragend schaute sie Karlmann an. Noch immer lag ein dunkler Schleier über seiner Miene, als missbillige er das, was er zu ahnen glaubte.

»Den Zahn?«, fragte er.

Der Kaiser nickte mit geschlossenen Augen.

Mit zwei Fingern fischte der Paladin einen Zahn aus dem Lederbeutel. Er war auf der Kaufläche dunkel, abgenutzt und hatte zwei Wurzeln.

Mena wusste, dass in Ottos Gefolge über diesen Zahn gesprochen wurde. Nicht offen, sondern heimlich, hinter vorgehaltener Hand. Er war ein Glückssymbol, ein Zeichen von Stärke und Macht, und er kündete vom Anspruch Ottos auf die bekannte Welt, vom Atem der Vergangenheit, der bis in die Gegenwart hineinwehte.

»Es gibt ihn also tatsächlich«, flüsterte Mena.

»Oh ja!« Karlmanns Miene hellte sich ein wenig auf, als er den Zahn in seiner offenen Handfläche betrachtete. »Otto hat ihn selbst aus dem Kiefer Kaiser Karls gezogen.«

»Wart Ihr dabei …?« Ehrfürchtig betrachtete Mena den Zahn des legendären Herrschers über das Abendland, jenes Riesen, auf dessen mächtigen Schultern Otto stand. Der Zahn war lang, länger als sie ihn sich vorgestellt hatte, dunkel verfärbt und in Gold gefasst.

»Als wir das Grab geöffnet haben? Natürlich.«

Otto räusperte sich. »Gib ihr den Zahn, Karlmann!«, befahl er, ohne die Augen zu öffnen.

»Aber was soll sie damit?«, protestierte Karlmann. »Sie kann nichts damit anfangen.«

»Bring ihn nach Augsburg, Mena«, hauchte Otto mehr als zu sprechen. »Zeig ihn … dem Bischof. Siegfried. Er weiß, was zu tun ist. Ich habe ihn nach … nach Hause geschickt und ihm gesagt … dass der Überbringer … des Zahns in meinem … meinem Namen kommt … und handelt. Er wird dir helfen.«

Karlmann zögerte. Misstrauisch betrachtete er die Magd, die ihm gegenübersaß, ließ seine Augen an ihr auf und ab gleiten.

Mena wusste, was diese Musterung bedeutete. Der Vertraute Ottos hatte nichts gegen den Spaß, den Otto mit ihr genossen hatte, doch diese Gunst ging zu weit. Sollte der Kaiser tatsächlich sterben, durfte sie den Zahn sicher nicht behalten. Aber noch war der Herrscher nicht tot … Mutig streckte sie ihre Hand danach aus.

Karlmann schüttelte kaum merklich den Kopf. Sicherlich war er verblüfft über so viel Frechheit und Anmaßung. Angesichts seines Herrn fügt er sich jedoch, wenn auch widerwillig. Er ließ den Zahn wieder in den Lederbeutel gleiten und hängte den Beutel an die Finger ihrer geöffneten Hand.

»Du wirst ihn brauchen, wenn dein Bastard geboren wird«, sagte er leise. »Bischof Siegfried wird dein Balg anerkennen und es an seinem Bischofssitz erziehen lassen. Hoffentlich.«

Mena glaubte ihm kein Wort. Sie wollte sich den Beutel umhängen, doch Karlmann war schneller. Bevor sie die Finger schließen konnte, hatte er ihn sich gegriffen.

Sein Lächeln war falsch. Er flüsterte ihr etwas zu, und Mena musste sich vorbeugen, um ihn zu verstehen.

»Erst wenn er tot ist, gehört er dir. Erst dann …« Er trat nah an Ottos Bett und legte ihm den Beutel mit dem Zahn wieder um den Hals.

Mena schluckte. Sie war nur eine Magd. Weniger wert als jeder Löffel, den die Waffenbrüder ihres Herrschers an den Mund führten. Sie musste sich fügen.

»Ich werde Euch dann aufsuchen, Seneschall«, sagte sie schroff.

3

CASTEL PATERNO, JANUAR 1002

Ihre Gedanken kreisten um das junge Leben in ihrem Bauch. Mena wälzte sich auf ihrem Strohsack hin und her. Sie war müde und zugleich hellwach. Im Verschlag neben ihr schnarchte Ewalt so laut, dass sie befürchten musste, die Bretter lösten sich von der Wand.

Sie starrte an die Decke, auf deren weißem Kalk sich dunkle Schlieren wie Schriftzeichen abhoben. Ewalt hatte ihr einmal erklärt, dass es sich dabei durchaus um Runen handeln könnte. In dieser Burg hätten schon Wikinger gelagert, die Leibwache des Papstes. Wirklich glauben konnte sie das nicht.

Gedämpfter Hufschlag ließ sie hochfahren. Sie lauschte in die Dunkelheit hinein. Sie hörte Pferde schnauben und die Stimmen von Menschen. Vorsichtig, um die junge Magd Anna, die mit in ihrer Kammer schlief, nicht zu wecken, stand sie auf und schlich zum Fenster.

Die aufgespannte Schweinsblase, mit der die Öffnung verschlossen worden war, ließ kaum einen Lichtstrahl des Mondes durch. Behutsam, jedes Geräusch vermeidend, zog sie die Abdeckung aus dem Steinrahmen und streckte den Kopf ins Freie. Die Luft, die ihr entgegenschlug, war kühl, aber nicht unangenehm. Ein leichter Wind spielte mit ihrem Haar. Der halbe Mond erhellte den Hof undeutlich. Sie spähte nach unten.

Zwei Reiter standen mit ihren Pferden auf dem Burghof nahe den Stallungen. Die Tiere tänzelten nervös. Die Männer versuchten, sie zu beruhigen.

Mena verstand nicht recht, was sich dort abspielte. Niemand konnte um diese Zeit die Burg verlassen. Die Brücke war hochgezogen. Dennoch waren die beiden Männer bereit zum Aufbruch. Sie schienen nur noch auf etwas zu warten – und tatsächlich sah sie kurze Zeit darauf Karlmanns blonden Schopf unter dem Türsturz auftauchen. Er schaute sich kurz um, dann trat er auf die beiden zu. Er trug ein längliches Futteral, das er einem der Reiter übergab. Dieser hängte es sich über die Schulter, dann ritt er mit seinem Begleiter in Richtung Tor. Jetzt erst wurde Mena bewusst, dass die Hufe der Tiere mit Lappen umwickelt waren, um keinen Lärm zu machen.

Was hatte das zu bedeuten? Warum mussten die Männer bei Nacht und Nebel reiten, wenn sie doch am Morgen ausgeschlafen und bequem ihre Reise hätten antreten können?

»Sie schaffen die Heilige Lanze weg!«, sagte eine Stimme hinter ihr.

Mena erschrak so heftig, dass sie mit dem Kopf gegen den Stein der Fensterumfassung stieß. Sie fluchte leise. Anna war aufgewacht und aufgestanden.

»Pst!«, sagte Mena. »Du weckst Ewalt.« Sie rieb sich den Hinterkopf. Sie spürte eine Feuchtigkeit dort und hoffte, dass es nicht Blut war. Ihr Blut. »Du hast mich erschreckt«, schalt sie Anna und betrachtete ihre Fingerspitzen. So weit sie es bei Mondlicht sehen konnte, waren sie dunkel. »Woher weißt du das?«

»Ich hab gelauscht. Otto hat es befohlen. Sie soll in aller Heimlichkeit heute Nacht nach Aachen vorgeschickt werden. Aber ich weiß nicht, warum«, flüsterte Anna.

Mena überlegte, was das für sie bedeutete. Die Lanze wurde fortgeschafft, mit der Kaiser Karl in den Krieg gezogen war und mit deren Hilfe Ottos Vorfahren gegen die Hunnen gesiegt hatten. Auch Otto selbst hatte sie vor sich her getragen und war so den Römern beigekommen. Wer sie seinem Heer vorantrug, galt als unbesiegbar. Offenbar traute sich der Kaiser keinen neuen Krieg und keinen neuen Sieg mehr zu. Letztlich kam Mena zu dem Schluss, dass sie handeln musste, solange sie sich noch bewegen konnte.

»Warum tun sie das?«, fragte Anna. Sie wirkte beunruhigt.

Mena lachte bitter. »Die Lanze muss weg sein, bevor Otto stirbt. Wer die Heilige Lanze besitzt, wird König oder gar Kaiser, weil niemand sich mit ihm messen kann.«

In diesem Augenblick hörten die beiden Frauen, wie die Ketten des Tores gelöst und die Zugbrücke rasselnd herabgelassen wurde. Mena horchte gleichzeitig darauf, ob Ewalt aufwachte. Doch der kaiserliche Leibdiener schnarchte weiter, als würde nichts geschehen.

»Woher weißt du solche Dinge?«, hakte Anna nach.

Seit nicht mehr zu übersehen war, dass sie ein Kind erwartete, mied Ewalt Menas Lager. Und sie war auch nicht erpicht auf ihn und seine Bittermiene. Er fand bei den Küchenmägden, was er suchte. Inzwischen war Anna bei ihr eingezogen, ein junges Ding, das sich seit Kurzem um den Kaiser zu kümmern hatte. Nicht lange nach dem Geschehen in der Kemenate des Kaisers hatte Karlmann Mena aus Ottos Umgebung entfernt und durch Anna ersetzt. Aber an diesem denkwürdigen Nachmittag hatte Mena mehr erfahren, als es dem Paladin des Kaisers lieb sein konnte.

»Ich höre zu«, sagte sie nur. »Karlmann und Otto haben schon einmal darüber gesprochen. Für uns Frauen ist es immer gut, wenn wir Bescheid wissen.« Sie stupste Anna an. »Komm mit. Wir gehen nach unten.«

Mena interessierte sich nicht für das, was Anna dachte. Eine andere Überlegung trieb sie um. Wenn die Lanze fortgeschafft wurde, dann ging es mit Otto zu Ende.

Niemand würde einer Kammermagd glauben, wenn sie behauptete, einen Bastard des Kaisers auszutragen. Sie brauchte daher eine Legitimation. Sie brauchte einen Beweis. Sie brauchte den Zahn Kaiser Karls. Unbedingt.

Barfuß und nur in ihren Hemden schlichen sich Mena und Anna auf den Gang hinaus, der längs der Traufe durch das gesamte Dach führte. Links und rechts davon zweigten Holzverschläge ab, in denen das Gesinde untergebracht war und in denen auch Gäste und die Paladine des Kaisers schliefen, wenn sie nicht betrunken auf dem Boden des Palas herumlagen. Es war kühl und zugig. Für einen Moment bereute Mena, sich nicht gleich angekleidet zu haben. Aber sie würden vermutlich bald wieder zurück sein und unter ihre Decken schlüpfen können. Sie wollte nur nach unten und den Gesprächen der Zurückgebliebenen lauschen.

Eine steinerne Wendeltreppe führte hinab in den Vorraum des Rittersaals. Sie betrat eben die ersten Stufen, als sie von unten Schritte hochkommen hörte. Rasch drängte sie Anna zurück. Diese stieß gegen sie und quiekte kurz.

Das Geräusch der Schritte verstummte. Mena hielt die Luft an, flüsterte Anna zu, sie solle ruhig sein. Lautlos machten sie kehrt und stiegen die wenigen Stufen wieder hinauf.

»Was ist?«, hauchte Anna in Menas Ohr.

Es war kalt, selbst in dieser Gegend. Schließlich war es noch Winter. Mena spürte den eisigen Stein unter den Fußsohlen.

»Jemand kommt die Treppe herauf«, flüsterte sie.

Tatsächlich hörte sie wieder Schritte. Rasch schob Mena Anna hinter ein Mäuerchen, das den Abstieg einfasste. Die beiden Frauen kauerten sich dahinter nieder und hofften, dass man sie bei dem schwachen Mondlicht nicht entdecken würde. Warum Mena sich versteckte, konnte sie selbst nicht sagen, aber ihr Bauchgefühl warnte sie.

Es dauerte nicht lange, und eine Laterne mit einer einzigen Kerze warf ein flackerndes Licht gegen die Decke. Vorsichtig spitzte Mena hinter dem Mäuerchen hervor und konnte schemenhaft eine breitschultrige männliche Gestalt erkennen. Am Ende der Treppe blieb der Unbekannte kurz stehen und sah sich um. Dann lief er den Gang entlang. Beschwören hätte sie es nicht können, aber sie glaubte an Gang und Haltung Karlmann zu erkennen. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Der Mann hatte die Kapuze seiner Gugel über den Kopf gezogen, vermutlich der Kälte wegen.

Mena zählte: Sie bewohnten den fünften Verschlag, Ewalt den vierten. Genau dort blieb der Mann stehen.

Kurz rüttelte er an Ewalts Tür. Es dauerte eine Weile, bis sie sich öffnete. Mena runzelte die Stirn. Was wollte der Mann bei Ewalt?

»Komm!«, sagte sie und zog Anna mit sich die Treppe hinab.

Gern hätte sie gewusst, was der Mann mit Ewalt zu besprechen hatte. Neugier war das eine. Wenn es aber wirklich Karlmann war, dann war er gerade nicht bei Otto. Diese Gelegenheit musste sie nutzen.

»Wohin gehen wir?«, fragte Anna außer Atem und mit vor Kälte zittriger Stimme, während Mena bei fast völliger Dunkelheit mit ihr an der Hand die Treppen hinunterhastete.

»Zum Kaiser!«, sagte sie nur.

Sofort blieb Anna stehen und riss sich los. »Bist du von allen guten Geistern verlassen? Um diese Zeit? Er lässt uns hängen!«, jammerte sie.

»Unsinn. Noch vor einem halben Jahr hätte er keine Sekunde gezögert, uns beide zu sich ins Bett gezogen – und erst dann gehängt!«, fügte sie nach einer kleinen Pause kichernd hinzu, obwohl die Furcht des Mädchens nicht unbegründet war.

Auch im Vorsaal zum Palas war es dunkel. Nur ihre Katzenaugen und ihre Erinnerung halfen Mena, nicht über Truhen und Schwertständer zu stolpern. Dennoch war sie ihrem Gefühl nach zu langsam. Auch Anna behinderte sie. Loslassen konnte sie das Mädchen jedoch nicht. Zum einen brauchte sie jemanden, der aufpasste, ob jemand kam, und zum anderen hätte das tollpatschige Ding sie verraten, wenn sie bei der Rückkehr zu ihrer Kammer auf den Fremden, bei dem es sich, wie sie inzwischen mit Gewissheit glaubte, um den Seneschall handelte, getroffen wären.

Wenige Augenblicke später standen sie vor der Kemenate des Herrschers. Vor der Tür standen zwei Wachen. Mena wusste, wie sie vorgehen musste. Schließlich hatte sie es oft genug durchgespielt.

»Karlmann schickt uns. Der Kaiser hat nach uns gerufen«, flüsterte sie einem der Wachleute zu.

Offenbar waren die beiden nicht völlig über den schlechten Gesundheitszustand ihres Herrschers unterrichtet, denn der linke Mann nickte. Im Dunkel des Gangs glaubte Mena, ein anzügliches Grinsen zu erkennen.

Der rechte Wachmann lehnte unterdessen seinen Beidhänder, auf den er sich gestützt hatte, gegen die Mauer, zog die Eisenhandschuhe aus und fing an, ihren und Annas Körper zu betasten. Offiziell würde es heißen, er habe die Besucher des Kaisers auf Waffen durchsucht. Tatsächlich aber machte sich der Mann einen Spaß daraus, ihre Brüste zu kneten und ihnen zwischen die Beine zu fassen. Mena ließ es über sich ergehen. Anna quiekte gekünstelt, aber sie lächelte. Dann standen sie im Schlafgemach.

Mena lauschte. Es war so still, dass sie glaubte, dem Tod zu begegnen.

»Herr!?«, flüsterte sie in die Dunkelheit hinein.

4

CASTEL PATERNO, JANUAR 1002

Ewalt brach sofort auf. In fliegender Eile schlüpfte er in seine Kleider, zog sich das warme Wams über und legte die wollenen Wickelstrümpfe an. Das Pergament, das ihm Karlmann mitgegeben hatte, steckte er unter die Kleidung.

Mit einem Geldstück und der Aussicht, die bereits durchgelaufenen Lederschuhe doppelt ersetzt zu bekommen, lief er los, noch bevor die Meldung, das Tor sei offen, die Runde gemacht hatte. Er würde einen Tag brauchen oder etwas mehr, bis er wieder zurück war. Und hinter ihm würde hoffentlich das Heer hermarschieren.

Warum man die Brücke herabgelassen hatte, wusste er nicht zu sagen. Aber es verschaffte ihm die Möglichkeit, noch vor dem Einbruch der Dunkelheit wieder in die Burg zu kommen und nicht vor dem verschlossenen Tor die Nacht verbringen zu müssen.

Ottos Heer lagerte südlich von Paterno, in der Ebene bei Faleria. Ekkehard von Meißen, der Getreue des Kaisers, befehligte die Ritter, Knechte und Fußmannen. Ihm musste er Bescheid geben.

Niemals hätten sie Ottos Streitmacht im Castel verköstigen können. Niemals hätten sie ausreichend Futter für die Pferde und Nahrung für die Männer herbeischaffen können. Also hatte Otto die Kämpfer zwischen Rom und seiner Burg ihr Lager aufschlagen lassen. Dort, wo das Land fruchtbar war und die Scheunen der Bauern gefüllt waren.

Doch jetzt brauchte Otto sie alle. Jeden Einzelnen. Es ging zurück über die Alpen. Allein dieser Gedanke beflügelte Ewalts Schritt und ließ ihn rennen, bis er außer Atem war.

Er hatte auf dem Weg zum Tor noch einen kurzen Abstecher zur Küche gemacht und sich von Magdalena, die dort gerade das Feuer anschürte, zwei Äpfel und etwas Brot und Käse mitgeben lassen. Einen Kuss hatte es obendrein gegeben, und der Duft ihrer Brüste lag ihm immer noch in der Nase. Über einen halben Tag Fußmarsch hatte er vor sich, und die Kälte, die in dieser Gegend nicht ganz so schlimm wütete wie in seiner Heimat, im Unterrheingebiet nördlich der Alpen, stach jetzt schon in seiner Lunge.

Es dämmerte erst, als er die Burg hinter sich nicht mehr sehen konnte. Die Berge im Osten schirmten die Sonne noch ab und hielten den Talgrund, in dem sich sein Weg entlangschlängelte, im Dunkeln. Die klare Luft des anbrechenden Tages verstärkte alle Geräusche. Unter seinen Sohlen krachte die leicht gefrorene Erde und ließ seine Schritte so laut klingen, als wäre er ein Riese, der die Welt niederstampfte. Jetzt, da er unterwegs war, dachte er noch einmal über diese unwirkliche Situation nach. Karlmann hatte ihn geweckt, ihm das Pergament übergeben und mit dem Befehl losgeschickt, er solle Ekkehard aufsuchen, ihm das Schreiben übergeben und ihn bitten, sich zu beeilen.

Warum ausgerechnet er die Botschaft überbringen sollte, leuchtete Ewalt zwar nicht ein – schließlich gab es eine ganze Reihe bedeutender Männer, die besser dafür geeignet gewesen wären –, aber der Seneschall hatte offenbar seine Gründe. »Du bist unauffällig. Da vermutet niemand einen politischen Schachzug!«, hatte er gesagt, bevor er ihn losschickte.

Ewalt grübelte über diese Worte nach. Warum war es ein politischer Schachzug, Ekkehard zu benachrichtigen? War nicht ohnehin beschlossen worden, sobald es Otto besser ginge, den Weg nach Norden anzutreten? Er konnte sich keinen Reim darauf machen.

Die Zugbrücke hatte ihn auf eine kiesige Straße hinausgeleitet, die sich unterhalb der Burg gabelte und einmal nach Norden, zum anderen nach Süden führte. Als Ewalt sich nach Süden wandte, hatte er zu seiner Verwunderung zwei frische Pferdespuren entdeckt, die nordwärts führten. Hatte man dieser Reiter wegen das Tor geöffnet? Er würde es herausfinden, sobald er zurück war. Aber … wenn auch Ritter mit Botschaften ausgesandt wurden, warum setzte man ihn dann für den Weg zum Heer ein? Das Nachdenken verlangsamte seinen Schritt, bis er gänzlich stehen blieb, ohne es wirklich zu bemerken.

Ein heiseres Bellen aus dem Wald ließ ihn aufmerken. Ewalt strengte seine Augen an, und er sah in Sichtweite im Halbdunkel vor sich am Rand des Forstes das rötliche Fell eines Fuchses blinken. Das Tier hatte sich in einer Schlinge verfangen.

Die Jagd auf Füchse war ein Privileg des Adels. Hier handelte es sich vermutlich um die Falle eines Bauern oder Bürgers, der seinen Hühnerstall gesichert sehen wollte oder der Hasen jagte und zufällig einen Fuchs in die Schlinge bekommen hatte. Im Grunde war es Ewalt gleich, auch wenn ihm das Tier leidtat. Es hatte einen grausamen Tod vor sich.

Er wandte sich ab und folgte weiter der Straße, kleine weiße Atemfahnen begleiteten ihn. Der Weg war abschüssig. Überall reichte der Wald bis an den Weg heran. Ewalt war allein unterwegs. Der Ansturm der Bauernkarren, die die Burg mit dem Notwendigsten versorgten, hatte noch nicht eingesetzt. Aber es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis sich die Landmänner rüsteten und die Zugpferde ihrer Fuhrwerke hinauf zum Castel Paterno lenkten, beladen mit Wintergemüse und Korn, mit Lagerfrüchten, Fisch und Fleisch.

Die Burg war wie ein unersättlicher Moloch, der alles in sich hineinstopfte, was ihm dargeboten wurde. Wenn das herrschaftliche Gefolge im Frühjahr den Ort wieder verlassen würde, würde die Umgegend leer gefressen sein, und die Menschen müssten den Sommer über buckeln, um im nächsten Winter nicht zu verhungern.

Dennoch war Ewalt lieber hier und fror weniger als seinerzeit drüben auf der anderen Seite der Alpen. Die letzten Kaufleute, die bei ihnen vorbeigekommen waren, hatten von einer Hungersnot berichtet, die dort herrschte. Gerade so und mit knurrendem Magen wären sie ihr entkommen, hatten sie erzählt, und hätten die Berge trotz des ersten einsetzenden Schneefalls überqueren können. Sie waren erleichtert gewesen.

Ewalt war so tief in seine Gedanken versunken, seine Beine bewegten sich so selbstständig, dass er den Kerl in Kettenhemd und Lederwams, der sich ihm in den Weg stellte, um ein Haar umgerannt hätte. Er war völlig überrascht.

»Wohin des Weges in dieser unchristlichen Dunkelheit?«

Ewalt stolperte und wäre fast in das Schwert gestürzt, das der Mann vor sich hielt. Er fluchte leise. Noch ein Stolperschritt, und er hätte mit der Klinge unerwartet eine zweifelhafte Freundschaft geschlossen.

»Diese Dinger sind gefährlich!«, keuchte Ewalt, noch immer um sein Gleichgewicht ringend.

»Ist mir bekannt«, sagte der Fremde, dessen Wange eine lange, wulstig verheilte Narbe verunstaltete. Dennoch betrachtete er sein Schwert, als wäre es etwas vollkommen Neues für ihn.

Als Ewalt zwei Schritte zurückwich, spürte er eine weitere Klinge hinter sich, die sich ihm in die Nieren bohrte.

Wegelagerer, dachte er. Strauchdiebe. Sie waren auf alles aus, was sich unter dem gemeinen Volk versilbern ließ. Da er lediglich die eine Münze und das Pergament am Leib trug, würde er entweder nur im Hemd zur Burg zurückkehren oder sein Leben verlieren. In letzterem Fall war es ihm gleich, im ersteren freute er sich, die neuen Schuhe erst bei seiner Rückkehr ausgehändigt zu bekommen.

»Woher kommst du?«, fragte der Narbige und trat näher. Sein Helm verschattete in der Dämmerung sein Gesicht. Ewalt konnte es nicht erkennen. Allein der Umstand, dass er seine Sprache sprach, machte ihm etwas Hoffnung. Er deutete hinter sich. »Von dort!«

»Und wohin unterwegs?«, fragte eine Stimme hinter ihm.

»Nach dort!«, sagte Ewalt und deutete voraus.

»Will er uns auf den Arm nehmen?«, fragte der Narbige.

»Nein, sicher nicht. Ihr seid zu schwer«, versicherte Ewalt. »Ich komme vom Castel Paterno und will zum Heer Kaiser Ottos.«

Der Fremde vor Ewalt kratzte sich unter seinem Helm die Stirn.

»Das trifft sich gut«, sagte er und senkte das Schwert. »Wir wollen nämlich zum Castel Paterno.«

Ewalt schluckte. Karlmann hatte ihm eingeschärft, nichts von seinem Auftrag preiszugeben. Und obwohl Ewalt nicht wusste, aus welchem Grund er Ekkehard beim Heer aufsuchen sollte, war ihm dennoch klar, dass er diesen beiden Galgenvögeln keineswegs verraten durfte, was genau er vorhatte.

»Wenn ihr zur Burg wollt, dann hättet ihr schon längst oberhalb von hier nach Westen abbiegen sollen. Hier hoch, bis zu einer vom Blitz zerschlagenen Buche …«

»Haben wir gesehen«, unterbrach ihn der Narbige.

»Ist der Kaiser in Paterno, wie allenthalben gemunkelt wird?«, fragte der Kerl hinter ihm.

Ewalt schluckte. Sollte er die Wahrheit sagen, oder sollte er schwindeln? Er blickte in das dunkle Loch, das ein Gesicht enthalten sollte. Wenn die Kerle ohnehin schon alles wussten, dann konnte er womöglich nur noch verlieren.

Allerdings wirkte der Mann vor ihm keineswegs wie ein Strauchdieb. Seine Kleidung war sauber und neu, seine Waffe blank, das Schuhwerk aus bestem Leder. Die Schwertscheide war mit einer kupfernen Spitze in Form eines Löwenkopfes verziert. Auf der Brust trug der Mann vor ihm ein blasses Wappen, aber im herrschenden Dämmerlicht konnte Ewalt es nicht recht ausmachen.

»Der Kaiser? Ihr meint Otto?«, versuchte Ewalt, um Zeit zu gewinnen. Wenn er Glück hätte, dann würde irgendwann ein Bauernkarren auf die Straße einbiegen, und die Kerle würden von ihm ablassen.

Der Narbige sah ihn an – und Ewalt glaubte, etwas wie ein Glucksen zu hören.

»Ich denke, Otto müsste er heißen, wenn nicht die letzten vierzig Jahre andere als Ottonen an der Macht gewesen sind.«

Ewalt lachte gezwungen. »Wenn ihr den Otto meint, also den Kaiser, der ist in der Burg.«

Die Spitze des Schwerts hinter ihm bohrte sich in seine Niere. »Bist du ein Hohlkopf, oder willst du uns für dumm verkaufen?«

Ein Stoß trieb ihn vorwärts – und ein Schlag auf seinen Allerwertesten ließ ihn stolpern. Er fing sich, stolpert erneut und begann endlich zu rennen, als er bemerkte, dass niemand ihn daran hinderte davonzulaufen. Der Hieb auf seinen Hintern brannte zwar, doch er fühlte kein Blut. Auch der Stich in seine Nieren war eher ein Stups gewesen.

Hinter ihm lachten die beiden Männer – und Ewalt beeilte sich, ein Stück Weges zwischen sich und diese Strauchdiebe zu bringen.

Vor einer Wegbiegung wagte er erstmals, über die Schulter zu sehen, aber hinter ihm war nichts und niemand mehr. Als hätte es die beiden Gesellen niemals gegeben.

Ewalt tastete sich ab, prüfte noch einmal, ob er irgendwo an seinem Körper blutete – und als das nicht der Fall war, fiel er in einen leichten Trab. Schließlich sprang er an einer Stelle, an der die Ausläufer des Waldes bis an den Weg heranreichten, mit einem Satz hinter einen Baum und versteckte sich etwas abseits. Er musste nachdenken.

Doch er hätte ebenso gut auf der Straße stehen bleiben können. Er dampfte – und der Dampf, den er verströmte, war sicherlich von der Straße aus wie eine helle Fahne im Wald zu sehen. Kurz überlegte er, was wohl geschehen wäre, wenn er dem Fuchs aus der Schlinge geholfen hätte. Wäre er dem Gesindel dann auch begegnet?

5

CASTEL PATERNO, JANUAR 1002

Mena atmete durch den Mund. Der scharfe Geruch nach Urin und Schweiß, nach Kot und Fäulnis betäubte sie beinahe. Warum öffnete denn niemand das Fenster? In diesem Gestank musste man ja krank werden!

»Bleib du hier stehen, und ruf mich, wenn etwas passiert, wenn jemand kommt!«, sagte sie leise.

Anna nickte nur. Sie hatte sich einen Ärmel vor die Nase gepresst. Blass und leicht schwankend stand sie da.

Mit zögernden Schritten tastete sich Mena weiter. Sie wusste, wohin sie sich wenden musste, doch in diesem Gemach war zwar alles umgestellt, aber nicht aufgeräumt worden. Was tat diese Anna eigentlich, wenn sie sich um den Kaiser kümmerte?

Irgendwann traf Mena auf den Vorhang, der die kaiserliche Liegestatt umschloss. Als sie die Tücher beiseiteschob, wurde der Geruch übermächtig.

Erst nach einer Weile entdeckte sie zwischen den Kissen und Lakenbergen den ausgemergelten Körper Ottos. Sie beobachtete ihn eine kurze Weile, bis sie sich sicher war, dass er noch atmete. Dann fasste sie sich ein Herz, weil Anna sie jeden Augenblick vor Karlmanns Auftauchen warnen konnte.

»Herr!«, rief sie ihn an. »Herr, ich bin es. Mena. Die Mutter Eures Kindes.«

Otto rührte sich nicht. Mena kletterte auf das Bett und krabbelte auf allen vieren zu ihm hin.

Wie ein Kaiser sah er nicht mehr aus, dieser schmale Mann, der im Nichts zu verschwinden drohte und den schon allein die Wolke aus Gestank niederdrückte.

»Herr!«, drängte Mena erneut. »Ich bin die …«

»Ich habe dich schon beim ersten Mal verstanden«, hauchte er mühsam und unter großer Anstrengung. Es war, als presste er die Worte aus einer bereits leeren Frucht, so gequält klangen sie. »Was?«

»Herr, Otto, Ihr müsst das Kind anerkennen. Ihr müsst mir den Zahn geben. Wenn Ihr sterbt …«

Otto hustete tief und stoßweise. »… dann bin ich tot!«, flüsterte er.

Mena wusste nicht, ob er sich nur einen Spaß daraus machte, sie misszuverstehen, oder ob er bereits so weit von dieser Welt entfernt war, dass er sie nicht mehr verstand.

»Ihr habt mir den Zahn versprochen!«, beharrte Mena. Sie tastete mit der Hand nach dem wächsernen Körper. Ottos Haut fühlte sich nass und klebrig an. Mena suchte den Beutel, der ihm um den Hals hängen musste, der so mager und faltig war wie bei einem alten Mann.

»Nimm ihn«, hauchte Otto. »Er bringt kein Glück. Der Zahn ist zu groß für diese Welt und ihre bescheidenen Geschöpfe.«

Sie tastete weiter und fand schließlich den ledernen Beutel. Er war unter Ottos Achsel gerutscht und hatte sich mit Schweiß vollgesogen. Sie zog ihn heraus.

»Habt Ihr an Bischof Siegfried geschrieben, Herr? Weiß er von … von Eurem Kind?« Wieder musste sie lange auf eine Antwort warten. In der Zwischenzeit hätte Otto ebenso gut sterben können. »Habt Ihr?«, drängte sie.

Sie hörte, wie er Luft in seine Lunge pumpte, wie es ihn anstrengte, die Worte zu bilden. Mena wusste nicht einmal, ob Otto ahnte, mit wem er sprach.

»Ich …«, begann er schnaufend. »Ich habe … ihm geschrieben, dass du ihm mein … mein Herz bringen wirst. Das Herz eines Kaisers. Als …« Otto hustete. Dann brauchte er wieder eine ganze Weile, bis er ausreichend Atem bekam. »Als Zeichen dafür, dass du den Nachfolger unter deinem Herzen trägst.«

Mena verstand nicht. Sie war völlig verwirrt. »Was soll ich tun, Herr?«

»Bring … ihm … mein … Herz – und er legitimiert das Kind. Der Zahn sagt ihm nur, dass du die Richtige bist.«

»Aber das ist …«, stotterte Mena. »Das ist … unmöglich. Wie soll ich ihm Euer Herz … ich müsste es Euch aus dem Leib schneiden.«

Otto lachte. Er gluckste, kicherte und schnaufte wie ein … Ihr fiel kein rechter Vergleich ein, der dem Herrscher des Heiligen Römischen Reiches angemessen gewesen wäre.

»Dann musst du das wohl tun!«, flüsterte er ruhig.

Selbst im Dämmerlicht des abgedunkelten Zimmers bemerkte Mena, wie das Gesicht des Kaisers blau anlief, wie er immer stärker nach Luft rang und dann in sich zusammensackte.

»Das könnt Ihr nicht verlangen, Herr!«, murmelte sie fassungslos und beugte sich über den Bewusstlosen. »Das nicht.«

In einem einzigen Augenblick, mit einem einzigen gestotterten Satz war ihre Zukunft wie eine Seifenblase zerplatzt.

Das Herz des Kaisers? Wie sollte das denn gehen? Er konnte unmöglich mit dem Bischof vereinbart haben, dass sie ihm sein Herz … Sie packte den Beutel mit dem Zahn fester und hoffte, dass Otto nur im Fieber fantasiert hatte. Langsam zog sie sich zurück.

Sie wusste nicht recht, was sie fühlen sollte. Einerseits war sie froh, dass sie den Beutel mit dem Zahn an sich gebracht hatte. Sicherlich müsste sie Karlmann darüber Rechenschaft ablegen. Aber Otto hatte ihn ihr versprochen.

Andererseits hätte sie am liebsten vor Enttäuschung laut geschrien. Wie sollte sie das Herz des Kaisers zu Bischof Siegfried bringen? Oder hatte Otto das gar nicht so gemeint, wie sie es verstanden hatte? Sah er sie selbst womöglich als sein Herz, und sollte sie sich zum Oberhaupt der Diözese Augsburg aufmachen? War das Kind sein Herz? Ein legitimer Nachfolger der größten Herrscher aller Zeiten?

Sie betrachtete den jungen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, der mit seiner Krankheit, in seinem Elend und seinem Gestank doch nur ein ganz gewöhnlicher Mensch war, den sie bedauerte. Sie hätte für ihn ein Leben gegeben, sich mit der zweiten oder sogar dritten Reihe begnügt, wenn er ihr Kind anerkannt hätte. So aber fühlte sie sich als das, was Ewalt in ihr sah und was er sie bei jeder Gelegenheit spüren ließ: eine verirrte Seele, eine Hure, die ihren Schoß für den geilen Kaiser geöffnet hatte.

Das alles verwirrte sie so sehr, dass sie beinahe den Beutel verloren hätte, als sie vom Bett herunterglitt. Das Lederband war glitschig und rutschte ihr durch die Finger. Sie tastete umher und ging vor dem Bett auf die Knie, bis sie den Bändel aus dem Nachttopf heraushängen sah.

Sie zog den Beutel heraus und wischte ihn am Laken ab. Nass und nach dem scharfen kaiserlichen Urin stinkend steckte sie ihn in ihre Rocktasche. Dann eilte sie zu Anna.

Das Mädchen war inzwischen beinahe ohnmächtig geworden und hatte sich vor der Tür auf den Boden gesetzt. Mena half ihr auf.

»Komm!«, sagte sie. »Wir müssen hier weg, bevor Karlmann wieder auftaucht.«

Sie zog die taumelnde Anna hinter sich her. Die Wachen kümmerten sich nicht um die beiden Frauen, sondern schlossen nur hinter ihnen die Tür.

Sie dürften ruhig wieder bei ihnen vorbeischauen, auch wenn sie nicht zum Kaiser gebeten würden, rief ihnen einer hinterher. Sie werde es sich merken, entgegnete Mena, und ganz sicher kommen, was Gelächter bei den Männern auslöste.

Als Mena den Palas betrat, den sie zu durchqueren hatten, wenn sie zu ihren Verschlägen wollten, hörte sie das Tappen von Ledersohlen. Sie zog Anna, die ihr willenlos folgte, zu einem der großen Kamine, kniete nieder, griff sich einen der Schürhaken und stocherte damit in der Holzasche herum, bis einige rot glühende Brocken daraus hervorleuchteten. Dann legte sie etwas Reisig darauf und stapelte Holzspäne rundum auf.

Aus den Augenwinkeln erkannte sie den Seneschall. Nachdenklich schritt er mit gesenktem Kopf durch den Saal. Er hatte kaum ein Auge für die beiden Mägde, die dort in der Ecke ein Feuer entfachten. Er achtete nicht einmal darauf, ob sie ihn hören konnten, denn er fluchte lautstark und murmelte: »Wo bleiben die Kerle nur … Sie sollten schon längst hier sein!«

6

CASTEL PATERNO, JANUAR 1002

Der Drachenwurm wand sich die schmale Straße zur Burg hinauf. Seine metallenen Schuppen glänzten in der kalten Wintersonne und sandten Blitze in die Augen der Bauern, die vereinzelt am Wegrand standen und ihm nachgafften. Er schnaufte mühsam, als hätte ihn die lange Wartezeit träge gemacht, und das Geräusch, das er verursachte, das unablässige Klappern und Kleppern von Metall auf Metall, trieb jedem, der es hörte, eine Gänsehaut über den Rücken.

Mit offenem Mund besah sich Ewalt das Untier, das sich vor ihm friedlich den Berg hinaufwand und doch so mordlüstern und gefährlich war. Er hatte den Lindwurm geweckt und musste feststellen, dass der Kopf längst im Castel angelangt war, während das Schwanzende noch in Faleria lagerte und nicht einmal an Aufbruch dachte.

Ekkehard von Meißen hatte ihn sofort, nachdem er im Heerlager eingetroffen war, empfangen. Noch bevor die Sonne sich über den Bergen gezeigt hatte, war der Heerführer schon fertig angekleidet gewesen. Ein Frühaufsteher, den die Schlaflosigkeit umtrieb. Seine besorgte Miene hatte sich weiter verdüstert, als er sich von Ewalt den Brief hatte vorlesen lassen. Ekkehard war zwar ein brillanter Heerführer, ein gewiefter Recke mit gewaltiger Schlagkraft, der sein Schwert führte wie andere ihre Brotmesser, aber er war kein Gelehrter. Lesen und Schreiben hatte er nie gelernt.

Ewalt hatte sich ans andere Ende des Zeltes gesetzt, um nicht vom Zorn dieses Kämpen in Stücke gehauen zu werden, und vorzulesen begonnen. Je weiter er im Brief vorangekommen war, desto schauerlicher fühlte es sich an. Immer wieder hob er den Blick und musterte Ekkehard, um auch ja rechtzeitig durch den einzigen Zugang fliehen zu können, wenn der Heerführer seine Waffe zog. Doch der Meißener hatte sich im Griff. Sein Kiefer mahlte, seine Augenbrauen verdichteten sich auf der Nasenwurzel zu einem unansehnlichen Gestrüpp. Er reagierte nicht mit Gefühl und Zorn, sondern umsichtig und bedächtig, wie es dem geschicktesten Strategen des kaiserlichen Heeres entsprach.

Kaum war der Tag angebrochen, kaum hatte sich ein heller Lichtschein über dem Hügel gezeigt, kaum zeichneten sich die Äste der Bäume dunkel gegen den diesigen Himmel ab, hatte er den Befehl zum Aufbruch gegeben.

Die Trompetensignale hatten das Heerlager aus dem Schlaf gerissen. Die Knappen waren gesprungen, um Neuigkeiten zu erhaschen, die sie ihren Herren weitergeben konnten. Und nicht allzu lange darauf waren die ersten Mannen mit Ekkehard an der Spitze zur Burg hinaufgezogen. Reihe um Reihe hatten die Kämpfer ihre Zelte niedergerissen und sich in die Schlange eingereiht, die keinen Vergleich zum größten Drachen hätte scheuen müssen.

Ewalt selbst war allerdings als Diener ans Ende des Heerzugs geschickt worden, auch wenn er Kaiser Otto diente. So hatte er Zeit, darüber nachzugrübeln, was er vorgelesen hatte. Die Ungeheuerlichkeit des Vorschlags, den Otto hatte niederschreiben lassen, erschütterte ihn.

Gedankenverloren biss er in einen der Lageräpfel, deren süßliche Säuerlichkeit ihm schmeckte, als wäre es ein Honigkuchen.

Ein Schlag auf seine Schulter brachte ihn in Nöte. Das Stück Apfel, das er gerade abgebissen hatte, rutschte ihm in die Luftröhre, und er brauchte eine Weile, bis er es aushusten und wieder atmen konnte.

Feixend beobachteten ihn zwei Männer, die Ewalt durch den Schleier von Tränen, die ihm in die Augen geschossen waren, nicht gleich wiedererkannt hatte.

»Wir dachten, laufen wir dem Kerl doch einfach nach. Vielleicht hat er uns ja angeschwindelt«, sagte der Narbige.

»Aber wir haben gesehen, dass er ehrlich zu uns gewesen ist.«

Wieder traf ihn ein Hieb. Diesmal von der anderen Seite.

»Wir könnten einen wie dich gebrauchen«, erklärte der andere Mann, der einen struppigen grauen Kinnbart trug. Er hatte ein spitzes Rattengesicht, und sein Gebiss war zumindest so lückenhaft wie sein Schopf. Hier und da stand ein Büschel Haare hervor, aber es gab keine zusammenhängende Landschaft mehr.

Ewalts Kopf pendelte von einer Seite zur anderen, bis ihn schwindelte.

»Hört auf!«, verbat er sich die unablässigen Schläge und Ansprachen. »Wofür könntet ihr mich brauchen?« Er trat einen Schritt zurück, aber Graubart stellte ihm ein Bein, sodass er auf den Hintern fiel.

»Nicht so eilig, mein Freund. Du solltest dir zumindest anhören, was wir dir zu sagen haben.«

Ein Ritter, mit dem er schon am Lagerfeuer gesessen hatte und der ihn wiedererkannte, ritt an ihm vorüber. Er grüßte freundlich und sah offenbar in der Art, wie die Männer mit ihm umsprangen, nur ein Necken und Foppen. Dabei war es tödlicher Ernst.