Die Mall - Max Stascheit - E-Book

Die Mall E-Book

Max Stascheit

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Beschreibung

In Fieldsville soll eine riesige Mall eröffnet werden. Für die Anleger bedeutet das großes Geld und ein altes Grundstück wird daher "zwangsplaniert". Während der Bauarbeiten kommt es zu einem schrecklichen Unfall, doch die Arbeiter ignorieren den Vorfall und streben auf eine rasche Eröffnung hin. Die Nacht vor der Eröffnung: Sechs College-Studenten nutzen die Abschlussnacht und wollen in die, noch verschlossene, Mall einsteigen. Eine Nacht in den leeren Läden und Hallen lockt die jungen Leute und es soll das Abenteuer ihres Lebens werden. Doch noch ohne Strom und Sicherheitsanlagen, öffnen sich die Türen in die Kellerräume und aus dem Untergrund entsteigen mordlüsterne Gestalten. Mit einem Ziel: Sie wollen alle töten, die ihnen den Lebensraum stahlen. Horror- Roman 234 Seiten Softcover Bauplan der Mall Mit Nachwort vom Autor Vorschau

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Max Stascheit

DIE MALL

Titel der Originalausgabe

>Die Mall<

Copyright © 2016 - Max Stascheit

Umschlagillustration - Max Stascheit

Korrektur – Luka Spahr

Deutsche Erstausgabe

1. Auflage April 2016

Alle Rechte vorbehalten

Copyright 2016

Max Stascheit

Die Grundreinigung

Mittwoch, 16. Juni – 9pm

‚Demnächst entsteht hier die Fieldsville Mall.

Seien Sie gespannt!’

„Was für ’ne Bruchbude“, murmelte Fred Jenkins, als er seine aufgerauchte Zigarettenkippe in eine Pfütze schnippte.

Das große, aus groben Latten gezimmerte Schild, auf dem der Bauslogan stand, wurde von Halogenstrahlern beleuchtet. Man hatte das Schild für die Anwohner aufgestellt. Für diejenigen, die sich bei jeder Stadtversammlung erkundigten, was man mit dem leerstehenden Industriekomplex am Rande der Stadt vorhabe. Jetzt hatten sie Gewissheit.

Die Luft sirrte unter den Geräuschen abebbenden Autolärms und kreisender Mückenschwärme.

Mit seiner Rechten schlug sich der Vorarbeiter ein Insekt aus dem Blickfeld. Das abschüssige Gelände, auf dem der Mittfünfziger stand, war im wahrsten Sinne eine Zumutung. Überall waren Pfützen so groß wie Gartenteiche, in denen tote Ratten schwammen oder weiß Gott sonst was. Jenkins drehte sich zu seinen Kollegen um und wischte sich Schweiß von der Oberlippe. Den Bauhelm, dessen enge Einfassung ihm die Adern abzudrücken schien, ruckartig absetzend, begann er, auf einen breitschultrigen Mann einzureden.

„Pete, ich weiß, es ist spät, dennoch musst du heute Nacht noch mit den Aufräumarbeiten beginnen.“

Der Mann, den Jenkins angesprochen hatte, spuckte einen Speichelklumpen auf eine der wenigen trockenen Stellen auf dem durchweichten Boden.

„War mir klar, dass wir nicht umsonst hier sind. Aber meine Männer werden sicherlich ein bisschen mehr Geld wollen. Als Sonderzulage, versteht sich.“

Jenkins, dessen eigene Interessen eher bei einem kalten Bier und dem aktuellen Eishockeyspiel lagen, schaute auf die Uhr.

„Sicher. Sie bekommen ihr Geld. Ist nämlich so: Morgen kommen die Investoren, wollen alles abchecken. Und unser Bürgermeister will sie gnädig stimmen. Ich meine, schau dir doch mal das Gelände an, hier muss einiges getan werden. Wenn unsere Politiker das Stadtbild aufpeppen wollen, dann muss Geld her, du verstehst das sicherlich.“

Pete Hendricks nickte, er verstand. Sie mussten sich den Arsch abarbeiten und der feine Herr aus dem Rathaus, schmierte am nächsten Tag Honig um die Mäuler der Investoren. War ja immer so.

„Frag mich, woher die Typen die Baurechte haben“, erklang es hinter den beiden Männern. Einer der Arbeiter, ein spindeldürrer Kerl, der allerdings ordentlich anpacken konnte, wenn es sein musste, schaute in die leerstehenden Gebäudeüberreste auf dem Baugrundstück.

Der Sommerwind pfiff durch die Säulen und Ecken des hässlichen Betonbaus, der vor Jahren mal eine Verpackungsfirma beheimatet hatte.

„Soll nicht unser Problem sein“, gab Jenkins trocken zurück. „Ich werde bezahlt, wenn ihr euren Job gut macht, dann bekommt ihr das Geld von mir. Wie immer.“

Das alte Gebäude jaulte, beinahe so, als ob es zustimmen wollte. Der Bau war in die Jahre gekommen, rissig geworden und allerhand Ratten tummelten sich im Inneren. Würde keine leichte Arbeit werden, das wussten die Arbeiter und auch Fred Jenkins, der sich eine neue Zigarette anzündete.

Die anderen Arbeiter entstiegen den schweren Transportern, schulterten ihre Schaufeln und zogen Schubkarren von Rampen.

Die Sonne war bereits untergegangen, die Arbeiter angespannt durch die Wärme, die sich unter ihre Haut zu fressen schien. Selbst um diese Uhrzeit.

Normalerweise hätten die Männer noch vor Sonnenaufgang angefangen zu arbeiten, doch dieser Sonderfall zwang sie, bereits am Abend zuvor zu beginnen.

Fred Jenkins zog an seinem Glimmstängel und schaute in die sternenklare Nacht. Er dachte darüber nach, wie sich seine Stadt verändern würde. Bisher war Fieldsville für Anglerausflüge, einen Jahrmarkt oder höchstens ab und an für ein Rockkonzert in den Zeitungen gewesen. Die Stadt war nicht allzu groß, beinahe konnte man behaupten, der ideale Ort um seine Kinder großzuziehen. Die Menschen grüßten einander auf der Straße, die Kneipen waren gut besucht und man pflegte einen freundlichen Umgang miteinander. Allerdings fand Fred, dass dieser Umstand auch den wenigen Fremden zu verdanken war, die in die Stadt kamen. Nun aber sollte sich diese Tatsache ändern, die Stadt wollte Touristen anlocken, Geldgeber hofften auf lukrative Verträge, denn Fieldsville lag gut erreichbar an einem Ferienort, wenige Meilen entfernt. Und da man dort keine Mall hatte...

Jenkins spürte einen scharfen Schmerz am Finger, er war in Gedanken versunken gewesen und hatte sich mit der glühenden Zigarette, die bereits vollständig abgebrannt war, den Finger versengt.

„Fuck“, murmelte der Vorarbeiter und sah im Augenwinkel, wie die Kippe mit Funken in eine Pfütze flog. Er saugte an der verbrannten Stelle und schaute den Arbeitern hinterher, die in das alte Gebäude gingen.

Noch in dieser Nacht mussten Unrat und allerhand Bauschutt entsorgt werden. Auch wenn das Gebäude sowieso abgerissen werden musste, man hatte ihm den strikten Auftrag gegeben, alles im Innern von Grund auf zu säubern. Wusste der Geier warum.

Das Grundstück war riesig, man konnte also alles planieren, einen Gebäudekomplex in Form einer Zigarrenkiste hochziehen und mit einem ebenso großen Parkplatz umfrieden. Daher erschloss sich Jenkins auch nicht, weshalb die Baufirma alles entkernen sollte. Doch dies war nicht sein Bier, er wurde gut bezahlt und die Löhne der Männer, welche die eigentliche Arbeit leisteten, war ebenfalls nicht von schlechten Eltern.

Er selbst hatte vor vielen Jahren die richtige Entscheidung hinsichtlich seines Berufes gewählt, dachte er, und bemerkte das Vibrieren in seiner rechten Hosentasche.

Rasch griff er in die Jeans und förderte das klingelnde Smartphone zutage.

„Jenkins?“, meldete sich Fred und vernahm die Stimme des Bürgermeisters am anderen Ende der Leitung.

„Guten Abend Fred“, dröhnte es aus dem Gerät. „Hier ist Keith. Ich wollte nur hören, wie weit ihr bereits mit der Besprechung seid.“

Das wollte er sicher nicht hören, dachte Fred, und wusste, dass der Bürgermeister wissen wollte, ob die Männer bereits mit ihrer Arbeit begonnen hatten.

„Ich habe gute Neuigkeiten, Keith“, antwortete Fred, der den Bürgermeister nicht ohne Stolz beim Vornamen nannte. Dieses ‚Privileg’ hatte er sich vor Jahren bei einem Empfang verdient Damals hatte er dem, noch neu im Amt tätigen, Keith Curtis einen wichtigen Tipp gegeben. Welchen, das wusste Fred selbst nicht mehr, aber seit diesem Abend waren er und der Bürgermeister per Du.

„Die Männer haben bereits mit den Aufräumarbeiten begonnen. Bis morgen Mittag wird die ‚Main Area’ bereits von Unrat befreit sein.“

Jenkins vernahm vom anderen Ende ein erleichtertes Ausatmen. Fred grinste.

„Ausgezeichnet, Fred. Dann kann ich gleich Mister Tsukamoto informieren. Der Besichtigung am morgigen Tag steht also nichts mehr im Wege.“

Jenkins nickte und bemerkte dann, dass der Bürgermeister ihn ja nicht sehen konnte.

„Exakt. Morgen ist alles bereit. Es sei denn, die Investoren wollen jeden Quadratmeter inspizieren, doch ich denke, das wäre nicht sinnig.“

Ein Rauschen in der Leitung.

„Nein, nein. Ein grober Überblick wäre ganz nett. Man spekuliert auf eine Verwertung des Fundaments, Kostenreduzierung nennt man das wohl.“

Ein Lachen folgte und Jenkins bemerkte die Angespanntheit darin.

„Keine Sorge, der Bau der Mall wird über die Bühne gehen“, bekräftigte Fred den Bürgermeister.

Eine kurze Pause entstand.

„Dieser Umstand macht mir keine Sorgen. Es ist...“

Jenkins wollte nachhaken, doch der Vorarbeiter Pete Hendricks kam von weitem auf ihn zu und machte eine Bewegung in Richtung des Gebäudes.

Fred musste wohl nicht schnell genug nachgefragt haben, denn Bürgermeister Curtis verabschiedete sich bereits von ihm.

„Wir reden ein anderes Mal darüber, Fred. Ich wünsche ihnen und den Männern noch eine produktive Nacht.“

Fred erwiderte die Abschiedsfloskel und wandte sich, das Mobiltelefon in die Hose steckend, zu dem Bauarbeiter.

„Was gibt’s, Pete?“, erkundigte er sich und musterte den Mann. Er schien verwirrt zu sein. „Probleme?“

Der Arbeiter schüttelte abwesend den Kopf. „Das nicht gerade. Aber wir sind da auf eine Sache gestoßen. Ich finde, das sollten sie sich ansehen.“

Er ging voran und Jenkins schloss auf.

„Was haben Sie entdeckt?“, hakte er nach, doch der Arbeiter ging zielgerichtet voran.

Die beiden Männer wurden von dem großen Tor, welches ohne Türen wie das Maul eines riesigen Hundes wirkte, verschluckt. Nun war auch Jenkins das erste Mal selbst in dem Gebäude. Bisher hatte er es nur von außen gesehen, war jedoch selbst nicht hineingegangen. Dazu gab es bisher auch keinen Grund. Die Voruntersuchung bezüglich Stabilität und Grundstruktur hatten Experten vorgenommen. Und auch dies war eigentlich sinnlos, man wollte das Gebäude sowieso einreißen und neu bebauen. Doch diese Tatsache interessierte Jenkins in diesem Augenblick nicht, er folgte Hendricks und sah die weiteren Arbeiter, die mit Strahlern eine Tür anleuchteten, an der schwere Ketten angebracht waren.

„Das hier haben die Männer gerade hinter einem umgekippten Pappausteller entdeckt. Wir wollten nichts ohne sie machen“, wandte sich Hendricks zu Jenkins. „Aber ich denke, wir können sie jetzt öffnen. Wird ja eh bald alles plattgemacht hier.“

Fred Jenkins trat an die Tür heran und inspizierte eine der Ketten. Sie war mit rostigen Nägeln befestigt, anscheinend ziemlich in Eile und schief. Die Tür dahinter hatte keine Klinke, sie war entweder abgefallen, oder man hatte sie abgeschraubt.

Jenkins ließ seinen Blick schweifen. Etwas an dieser Sache störte ihn. Und dann fiel ihm auf, was es war.

Die Kette war bereits mehrfach abgenommen worden, dies erkannte er an Schleifspuren, welche deutlich sichtbar neben den Fußabdrücken der Arbeiter zu sehen waren.

„Von euch hat niemand die Ketten abgehangen?“, erkundigte sich Jenkins und schaute in die Runde.

Die sechs Männer, die gespannt auf den Fortgang der Situation warteten, schüttelten beinahe simultan die Köpfe.

„Nee, haben nichts angefasst“, murmelte einer der Arbeiter. „Haben ja auf sie gewartet.“

Jenkins nickte.

„Also gut, wenn sich dahinter noch irgendwelche Maschinen, Lagergüter oder sonst was befindet, holen wir es jetzt raus.“

Er trat zur Seite und registrierte, wie Pete einen Kuhfuß hervorzog und sich neben die verhangene Tür stellte.

Zuerst lockerte er die Ketten mit einer Zange, welche ihm einer der Arbeiter reichte. Diese Arbeit war schnell getan, die alten Ketten schienen beinahe zu zerspringen, als Pete ansetzte. Dann schwang er das Werkzeug hoch und drückte es in den winzigen Spalt, der zwischen der Mauer und der Tür entstanden war. Anscheinend war der Stein massiv, selbst bei Hendricks Anstrengungen, rieselte kaum Staub zu Boden.

Nach schier endlos wirkenden Minuten, kippte die Tür ein Stückchen nach vorn, nun tanzte Staub in der Luft, welcher durch die Strahler wie kleine Glühwürmchen aussah.

„Geschafft“, keuchte Pete und legte das Brecheisen nieder. Dann drehte er sich zu Fred Jenkins um.

„Wer soll zuerst dort rein?“, grinste er. „Wer weiß, was uns erwartet? Vielleicht ja die letzten Angestellten der ehemaligen Firma, die immer noch auf ihren Feierabend warten?“

Allgemeines Lachen erklang, auch Jenkins lächelte.

„Sicher. Dann haben die Leute Bärte bis zu den Fußspitzen.“ Er klopfte Hendricks auf die Schulter und bedeutete ihm, dass er zuerst eintreten wollte.

„Gebt mir einen Strahler“, sagte er in die Runde.

Die Männer nickten zu den auf dem Boden stehenden Lampen.

„Da reichen die Kabel nicht“, sagte einer der Arbeiter. „Sie können aber meine Stabtaschenlampe haben. Sollte noch Saft drauf sein.“

Prima, dachte Jenkins. Er wollte das Alphatier markieren, indem er zuerst in den verschlossenen Raum vordrang, und dann hatte er nicht einmal eine gute Lichtquelle. Aber ganz ehrlich, was sollte denn in diesem Raum sein? Monster? Er schüttelte den Kopf und griff nach der Taschenlampe.

In Gedanken verabschiedete sich Fred Jenkins von seinem Feierabend, dem Hockeyspiel und einem kalten Budweiser.

Als er die Tür aufzog, schlug den Männern abgestandene Luft entgegen. Eine Mischung aus muffiger, feuchter Kleidung und tierischen Exkrementen. Die Anwesenden husteten, niemand konnte den Gestank so einfach wegstecken.

„Ratten“, resümierte Jenkins. „Müssen tote Ratten sein, wie in den Pfützen.“

Er leuchtete in das Innere des Raumes, der Strahl der Taschenlampe tanzte vor ihm und schälte Konturen aus der Dunkelheit. Maschinen waren es nicht, in dieser Sache hatte sich Jenkins getäuscht.

Sie hatten keinen Lagerraum entdeckt, sondern eine Treppe in einen Keller.

„Ok, damit ist es geklärt. Entweder dort unten ist der Keller mit dem Lager, oder einfach nur ein Heizungsraum“, schlussfolgerte Jenkins. Er schaute auf die Stufen unter ihm. Massive Eichenbohlen, keine Anzeichen von Schimmel – zumindest vorerst.

Er setzte einen Fuß auf die oberste Stufe, kein Geräusch erklang. Das Ende der Treppe war nicht erkennbar, die Dunkelheit verbarg weitere Details.

„Gehen wir runter?“, erklang Hendricks Stimme hinter Jenkins Kopf. Er erschrak kurz und drehte die Taschenlampe in Petes Gesicht.

„Sicher“, gab er mit fester Entschlossenheit in der Stimme zurück. „Wer weiß, vielleicht liegen dort unten Gasflaschen und die gehen hoch, wenn alles einstürzt.“

Daran hatte er bis jetzt nicht gedacht, stellte Jenkins fest. Wer wusste schon, was die Arbeiter der alten Fabrik gelagert hatten. Laut den Bauplänen gab es nicht einmal einen Keller. Zumindest nicht auf denen, die Jenkins kannte.

„Gut, dann los“, bekräftigte ihn Hendricks, setzte sich selbst in Bewegung. „Gehen wir.“

Fred Jenkins setzte den nächsten Fuß auf die Stufe und ging langsam hinab. Beinahe fühlte er die Dunkelheit, den Gestank, wie er sich in seine Textilien fraß, sich festsetzte, wie Morgentau auf einem Grashalm. Je weiter er hinabstieg, desto mehr stank es. Hinzu kam die schwüle Sommerhitze, die hier unten mit einer Wand aus Kälte beinahe zu kollidieren schien. Die Temperaturunterschiede brachten Jenkins‘ Kreislauf durcheinander, ihm schwindelte und er griff nach einem Geländer, welches nicht zu existieren schien. Es waren nicht allzu viele Stufen gewesen, dachte Jenkins, doch als er am Ende der Treppe nach oben leuchtete, revidierte er seine Meinung. Sie waren ziemlich tief unter der Erde.

Wer baute einen solchen Keller? Auf den letzten Stufen war ihm etwas merkwürdig vorgekommen. Die Stufen der Treppe selbst waren nicht mehr aus dem gleichen Holz gefertigt, auch knarrten sie hörbar, was in Kontrast zu den ersten Stufen stand.

Jenkins leuchtete erneut zu den Männern, die beinahe alle am Fuße der Treppe angekommen waren.

Der Strahl schnitt durch die dunstige Luft, glitt an den hohen Steinwänden entlang, die an den Außenseiten der Treppe hochgezogen worden waren.

Da sah er es: den Bogen, der mit einer Steinfassung um die Treppe herum gebaut war, eine Art Türbordüre, allerdings herausgebrochen und unsauber abgeschlagen. Fred wunderte sich, was diese Steinkonstellation zu bedeuten hatte. Es sah so aus, als ob man eine Tür aufgebrochen hatte, eine Tür oder eine Wand, welche die Treppe abgrenzen sollte.

Hatte man die Treppe weitergebaut? War ursprünglich eine Wand auf der Hälfte der Treppe, die man eingerissen hatte und hatte man daraufhin den Abstieg verlängert?

Dann fühlte Jenkins eine nasse Kälte an seinem rechten Fuß. Er riss erschrocken die Taschenlampe herum und leuchtete zu Boden. Etwas saß auf seinem Fuß, etwas Gräuliches, Verfilztes und Nasses.

Eine Ratte.

„Scheiße!“, entfuhr es Jenkins, im Reflex trat er die Ratte in die Dunkelheit. Ein fiependes Geräusch hallte wieder und ein Platschen folgte.

Fred schaute an sich herab und stellte fest, dass er in Wasser stand, welches bis zu seinen Knöcheln hochschwappte.

„Mist, hier steht alles unter Wasser“, rief er zu den Arbeitern. „Muss wohl irgendein Rohr geplatzt sein.“

Pete Hendricks stand neben ihm, er folgte dem Strahl von Jenkins Taschenlampe, welche den nun erkennbaren Gang vor ihnen ableuchtete.

Der Gang selbst war vielleicht drei Meter breit und führte in die Dunkelheit, in der man die Länge des Ganges nicht abschätzen konnte. Von dem Hall der Ratte nach zu schließen, war er allerdings ziemlich lang.

„Hallo?“, rief Hendricks, wollte durch sein Echo die Länge ebenfalls schätzen. Die Stimme brach sich an den Wänden und irgendwo plätscherte etwas ins Wasser.

„Scheint unter dem Gebäude hindurch zu führen“, stellte Pete fest und schaute Jenkins an.

„Das hier ist kein Lagerraum oder ein Vorratskeller. Das hier ist ein Abwassertunnel.“

Mit einem Mal verstand Fred Jenkins den Sinn der fortgeführten Treppe. Man hatte vorgehabt einen Keller zu bauen, die Treppe führte allerdings gegen eine Wand, man musste die Idee also verworfen haben. Doch irgendjemand hatte die Mauer eingerissen und einen Fortsatz der Treppe in den Abwasserschacht gebaut. Daher waren die Stufen anders, man hatte andere Materialien verwendet. Anscheinend waren es nicht dieselben Arbeiter der Firma gewesen. Aber die Stufen waren stabil und wiesen keinerlei Schimmel auf. Daher wunderte sich Jenkins, wann und vor allem, aus welchem Grund jemand hier runter wollte. Dies schien einer der Zugänge zum städtischen Abwassersystem zu sein, dieses war sicher nicht grundlos an die alte Fabrik angeschlossen. Allerdings gab es keinen Grund dafür, in die Stollen einzusteigen, es sei denn jemand wollte...

Etwas vor den Männern zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, ein Rascheln, nein, eine Art Schleifen.

„Was war das?“, schaltete sich einer der Arbeiter ein, die Jenkins beinahe völlig vergessen hatte.

In seinem Kopf schwirrten allerhand Fragen umher. Wer wollte hier unten einen Zugang bauen und wozu? Warum gab es zu diesem Keller, oder eher Fortsatz eines Kellerplanes, keine Baupläne, von denen er wusste?

Das Schaben wurde lauter, es bewegte sich durch den Tunnel vor ihnen auf die Arbeiter und Fred Jenkins zu. War es eine Ratte, die etwas mit sich zog? Man konnte durch den kurzen Strahl der Taschenlampe kaum weiter als drei Meter in den Tunnel schauen.

Dann flog etwas auf die Männer zu. Etwas zu kleines, als dass man es bei diesen Lichtverhältnissen klar einordnen konnte.

„Ah!“, schrie jemand am Fuße der Treppe auf. „Fuck, was soll das denn?“

Jenkins schwenkte seine Taschenlampe herum und leuchtete zu dem Arbeiter, der geschrien hatte. Es war der Dürre, der sich an die Stirn fasste. Ein dünnes Rinnsal Blut lief zwischen seinen schmutzigen Fingern hervor, die sich auf eine frisch entstandene Wunde pressten.

„Irgendwas hat mich am Kopf getroffen“, murmelte er verwirrt. „Schaut euch das an.“ Er nahm die Hand von der Stirn und offenbarte eine kleine Platzwunde, aus der bereits weniger Blut floss. „Was zur Hölle hat mich da getroffen?“

Jenkins leuchtete den Boden ab, er fand allerdings nichts, was dem Wasser und dem schwachen Licht zu schulden war.

„Ich kann nichts erkennen“, gab er zurück, allerdings sprach er eher mit sich selbst, als mit dem Verletzen.

Dann flog wieder etwas durch die Luft, traf Jenkins an der Schulter. Reflexartig riss er die Arme nach oben, wollte sein Gesicht schützen und bekam etwas zu fangen. Es war klein, ziemlich kalt und vielleicht zwei Zentimeter dick. Eine Sechskantschraube.

Sie war verschmutzt mit Erde und einer undefinierbaren Substanz.

„Es ist eine Schraube“, murmelte Jenkins vor sich hin, bemerkte, wie Hendricks sich neben ihn stellte und die Schraube seiner Hand entwand.

„Aber wie zum Teufel kommt eine Schraube...?“

Die Frage riss ab, denn weitere Schrauben flogen durch die Luft, trafen Pete und die anderen Männer ins Gesicht, an die Schultern und prallten klirrend von den Wänden ab. Es erklangen wiederhallende Geräusche, beinahe wie fremdartige Insekten.

„Wir gehen wieder hoch!“, brüllte Jenkins und wollte sich umdrehen, als etwas aus dem Gang auf die Gruppe zu rannte, etwas Schwarzes, was beinahe mit der Umgebung verschmolzen war. Ein Mann, ein völlig verwahrloster Mann, dessen Schritte im Wasser immer lauter wurden.

Jenkins drängte die Männer die Treppe hinauf, doch er selbst schaffte es nicht. Eine Hand riss an seiner Schulter, die schmerzhaft nach hinten gerissen wurde. „Scheiße, lassen Sie mich los!“, fauchte Jenkins und holte mit der Taschenlampe aus.

Doch der Kerl reagierte gar nicht, er riss ihn nach hinten und prallte mit ihm auf den nassen Untergrund. Etwas Hartes bohrte sich in seinen Rücken, er sah Sterne in der Dunkelheit tanzen.

Dann roch er das Kondensat aus fauligem Atem und verwesendem Obst. Es raubte ihm beinahe die Sinne. Etwas Schweres presste sich auf seinen Brustkorb, etwas griff nach seinem Hals, drückte zu und stieß sein Gesicht in die Wasserwogen, die durch den Kampf in seine Nase und seinen Mund schwappten.

Angst kroch in dem Vorarbeiter hinauf, drohte, ihn bewegungsunfähig zu machen.

Die Taschenlampe war aus seiner Hand geglitten, rollte durch das Wasser und erhellte es kurzzeitig. Durch die angestrahlten kleinen Wellen flackerte die Decke des Ganges gespenstisch und förderte kleine Details aus dem Gesicht des Angreifers zutage.

Der Mann schien aus nichts außer Haaren zu bestehen. Die verfilzten Strähnen erinnerten Jenkins wahnhaft an die Ratte, welche er durch den Gang geschleudert hatte. Aus dem Mund des Bärtigen floss Sabber, welcher sich in einem dünnen Faden auf sein Gesicht ergoss. Jenkins überkam Ekel, doch die nahende Ohnmacht überlagerte das Gefühl.

Er fragte sich, wo die anderen waren. Waren sie bereits wieder oben und hatten das Weite gesucht?

Da hörte er ein Pochen, dann noch eins. Der Druck um seinen Hals war nun nicht mehr so stark. Es fühlte sich an, als entspannten sich die Hände des Mannes, der auf seiner Brust hockte, wie ein wildes Tier, das gerade fraß.

Das Schlagen wurde lauter, klang jedoch seltsam dumpf, beinahe als schlüge man auf ein Kissen.

Jenkins Blickfeld wurde wieder klarer. Er erkannte, dass der Angreifer nach hinten gezogen wurde, er ließ Jenkins‘ Hals los und dieser robbte sich mit aller Kraft nach hinten, weiter in den Gang, weiter fort von dem Unheimlichen.

Durch die Schleier aus Wasser und dem Druck in seinem Kopf, erkannte er Pete Hendricks, der wie ein Berserker auf den Fremden einschlug. Daher kamen also die Schläge und das dumpfe Geräusch. Hendricks rammte dem Angreifer seine Taschenlampe in das Gesicht. Der Strahl flackerte durch den Stollen.

Jenkins eigene Lampe, noch immer im Wasser liegend, ließ das Licht wellenartig durch die Szenerie tanzen, der Strahl aus Hendricks Lampe warf rote Schlieren an die Wände. Er hatte mit der Taschenlampe so stark ausgeholt und auf den Kopf des Fremden geschlagen, dass sein Kopf die Form eines Basketballes hatte, aus dem langsam die Luft entwichen war. Der Schädel des Angreifers bestand nun aus nicht mehr als Bart, verdrecktem Haar, Blut und Zähnen. Alles war zu einer unförmigen Masse verschmolzen, aus der gutturale Laute erklangen, die sich halb wie Klagelaute, halb wie fremdartige Sprache anhörten.

Dann herrschte Stille, der Fremde kippte nach vorn und landete auf der Taschenlampe, die Jenkins fallengelassen hatte. Das Wasser, bestrahlt von unten, färbte sich blutrot. Aus dem Kopf des Toten quoll eine graue Masse, die nach oben schwamm.

Jenkins starrte fassungslos auf den Leichnam. Etwas in ihm drohte zu explodieren. Dann ergoss sich ein Schwall Erbrochenes über den Kopf des toten Mannes vor seinen Füßen.

„Scheiße“, stammelte Pete und stützte sich an die Wand neben sich ab. „Scheiße, ich hab gerade jemanden umgebracht.“

Fred Jenkins hustete, seine Kehle brannte und er wischte sich die Reste des Erbrochenen aus dem Mundwinkel.

„Danke“, keuchte er. „Der Kerl hatte mich beinahe erwürgt.“ Er zitterte und versuchte aufzustehen.

Das Wasser um Jenkins wogte und blubberte.

„Was zur Hölle war denn das gerade?“, fragte er eher sich selbst als Hendricks. „Ich meine, wer war der Kerl und warum hat er uns mit diesen Dingern beworfen?“

Die Männer polterten die Treppe hinab, sie trugen etwas in ihren Händen. Jenkins blinzelte, erkannte eine Kabeltrommel und einen Strahler.

Am Fuße der Treppe, auf die letzten Stufen, stellten die Arbeiter den Strahler und richteten ihn in Richtung des Stollens. Helles Licht flutete den Gang und blendete Jenkins, der sich schützend die Hände vor die Augen hielt.

Dann drehte er sich um und schaute in den Gang. Das Licht förderte nun den gesamten Gang zu Tage. Wie sie vermutet hatten, war der Stollen sehr lang und hatte sogar Abzweigungen, die durch die geworfenen Schatten aussahen, wie große Löcher.