London NW - Zadie Smith - E-Book

London NW E-Book

Zadie Smith

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Beschreibung

Eines der »zehn besten Bücher« des Jahres 2012 der New York Times Zadie Smiths tragikomischer Roman erzählt von vier Londonern – Leah, Natalie, Felix und Nathan –, die zwar den sozialen Wohnungsbau ihrer Kindheit verlassen haben, doch bis zum heutigen Tag im Londoner Nordwesten leben, dem eigentlichen Zentrum der Stadt.Leah, Natalie, Felix und Nathan wachsen in einer Hochhaussiedlung auf, wie es sie in jeder Großstadt gibt – immer das Ziel vor Augen, Caldwell eines Tages zu verlassen und etwas Größeres, Besseres aus ihrem Leben zu machen. Dreißig Jahre später sind sie zwar erwachsen, doch richtig weit gekommen sind sie nicht. Nur Natalie hat es scheinbar geschafft. Als erfolgreiche Anwältin gibt sie mit ihrem Mann vornehme Dinnerpartys, auf denen sich ihre weit weniger zielstrebige Freundin Leah und deren Mann Michel alles andere als wohlfühlen. Überhaupt sind Natalie und Leah blind für die Probleme der jeweils anderen und neiden einander das vermeintlich perfekte Leben. Als eine Fremde an Leahs Tür klingelt und sie um Hilfe bittet, überschlagen sich die Ereignisse …Zadie Smiths Roman über North West London, das jenseits der Touristenströme liegt, ist ein sehr heutiger, schneller, eindringlicher Text über einen multikulturellen Stadtteil und die Schicksale seiner Bewohner.

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Seitenzahl: 499

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Zadie Smith

London NW

Roman

Aus dem Englischen von Tanja Handels

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Zadie Smith

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Motto

Heimsuchung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

37. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

37. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

37. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

37. Kapitel

Gast

NW6

(W1)

NW6

Gastgeberin

1. Diese roten Zöpfe

2. Kiwis

3. Löcher

4. Verunsicherung

5. Weltanschauliche Unstimmigkeiten

6. Ein paar Antworten

7. Fischmac, große Pommes, Apfeltasche

8. Röntgenassistenz

9. Verwirrt

10. Radio, sprich

11. Push It

12. Porträt

13. Kies

14. Dieses obskure Objekt der Begierde

15. Evian

16. Der neue Stundenplan

17. General Certificate of Secondary Education

18. Sony-Walkman (geliehen)

19. Exkurs in die Vorvergangenheit

20. Sony-Walkman, die Zweite

21. Jane Eyre

22. Zitat

23. Spectrum 128k

24. Die 37

25. Vivre sa vie

26. Relative Zeit

27. 50 ml Wodka

28. Rabbit

29. Rabbit im Einsatz

30. Jugend, Mehrwert, Schizophrenie

31. Zutrittserlaubnis

32. Unterschiede

33. Anklageerhebung

34. Entzweit

35. Weltschmerz!

36. Der Feind deines Feindes

38. Andererseits

39. Lektüre mit Rodney

40. Rumpole of the Bailey

41. Einschub

42. Gute Wahl / Keine Wahl

43. Kontra

44. Nimmerwiedersehen mit Brideshead

45. Ökonomie

46. Unterbrechung für einen abstrakten Gedanken

47. Noch eine Unterbrechung

48. Mieterversammlung

49. Aufstieg

50. Rodney notiert

51. Unentdeckt

52. Nirwana

53. Ausgleich

54. Weiterbildung

55. Keishas erster Besuch

56. Familienroman

57. Ehrgeiz

58. Leahs dritter Besuch

59. Eigennamen

60. Und es fiel von ihren Augen wie Schuppen

61. Coup de foudre

62. Montaigne

63. Erkundungsmission

64. Einschub zum Bildungswesen

65. 8. März

66. Das Menü

67. Begehren

68. Valentino

69. Die Erfindung der Liebe, Teil eins

70. Abschiede

71. Als sie Leah half, den schweren Rucksack die Busstufen hochzuwuchten

72. Roman(t)ische Sprachen

73. Ich allein verfasse

74. Sichtung

75. Aktionismus

76. Über die Stränge

77. Sichtung!

78. Theoretische Überlegungen zur Beobachtung von Michelle Holland

79. Das Ende der Geschichte

80. Ideologie in der Unterhaltungskultur

81. Der Ungetröstete (Leahs sechster Besuch)

82. Berufsanfängertag

83. Metaphernmix

84. Gruppendenken

85. Lincoln’s Inn

86. Stil

87. Das erste Sponsoren-Dinner des Herbstsemesters

88. Die Erfindung der Liebe: Teil zwei

89. In Zeitlupe

90. Kontextprobleme

91. Mittwoch, 12 Uhr 45: Fürsprache

92. Nach Tisch

93. Simpatica

94. Die Freuden des Benennens

95. Nach dem Akt

96. Ich allein verfasse

97. Notabene

98. Halbjahrestag

99. Frank unterwegs in Sachen Leah

100. Natalie unterwegs in Sachen Elena

101. Weiter, höher

102. Bring dich in Sicherheit

103. Kapitalistenschweine

104. Einhundertzehn Prozent

105. Romantische Szene in Green Park

106. Parklife

107. Komm, nicht streiten

108. Politische Verschiebungen

109. John Donne, Lincoln’s Inn, 1592

110. Einschub zur Persönlichkeit

111. After-Work-Drinks

112. Sir Thomas Morus, Lincoln’s Inn, 1496

113. Miele di Luna (zwei Wochen)

114. L’isola che non c’è

115. Das Old Bailey

116. Voyeurismus

117. In der Umkleide

118. Notfallsitzung

119. Schwänze

120. Vermittlung

121. Vorbilder

122. Theodoras Ratschlag

123. Bis sann

124. Frage beim Bewerbungsgespräch

125. Heldin von Harlesden (plus Einschub)

126. Tonya unterwegs in Sachen Keisha

127. Der Zusammenhang zwischen Chaos und anderen Qualitäten

128. »An der Front«

129. Wiederkehr

130. Wiedereintritt

131. Wiedertreffen

132. Ehekrach

133. E pluribus unum

134. Paranoia

135. Geringschätzung

136. Apfelblüte, 1. März

137. Gedankenbahn

138. http://www.google.com/search?client=safari&rls=en&q=kierkegaard&ie=UTF-8&oe=UTF-8

139. Doppeltes Denken

140. Schauspiel

141. Anzeigen

142. Technologie

143. Gegenwart

144. Geschwindigkeit

145. Perfektion

146. Cheryl (L.I.E.B.E.)

147. Anzeigen

148. Zukunft

149. Aus Natur wird Kultur

150. Anzeigen

151. Redaktion

152. Vergangenheit

153. Brixton

154. Naturgewalt

155. Ein paar Überlegungen zum Fernsehen

156. Melanie

157. Am Park

158. Verschwörung

159. Im Park

160. Im Zeitraffer

161. Fremdheit

162. Beweis

163. Architektur als Schicksal

164. Halbe Sachen

165. Regieanweisungen

166. Im Zeitraffer

167. Zweifel

168. Endspiel im Afrika-Laden

169. Lunch mit Layla

170. Rollenspiele

171. Me, myself and I

172. Boxen

173. Auf dem Spielplatz

174. Pfirsich, Pfingstrose

175. Golders-Green-Krematorium

176. Unbewusst

177. Neid

178. Turmfrisur

179. Aphorismus

180. Mit allen Schikanen

181. Osterferien

182. Liebe in Ruinen

183. Neuigkeiten

184. Erwischt

185. Weiter

Kreuzungen

Von der Willesden Lane zur Kilburn High Road

Von Shoot Up Hill nach Fortune Green

Von Hampstead nach Archway

Hampstead Heath

Ecke Hornsey Lane

Hornsey Lane

Heimsuchung

Die Frau war nackt, der Mann angezogen

Danksagung

Inhaltsverzeichnis

Für Kellas

Inhaltsverzeichnis

Als Adam grub und Eva spann,

Wer war denn da der Edelmann?

John Ball

Inhaltsverzeichnis

Heimsuchung

1

Die pralle Sonne trödelt bei den Telefonmasten. An den Schultoren und Laternenpfählen wird die Anti-Kletter-Farbe schwefelgelb. In Willesden laufen die Leute barfuß, es wird europäisch auf den Straßen, alle Welt will draußen essen. Sie bleibt im Schatten. Rothaarig. Im Radio: Ich allein verfasse das Lexikon, das mich definiert. Guter Spruch – gleich aufschreiben, hinten auf die Zeitschrift. In der Hängematte, im Garten der Souterrainwohnung. Eingezäunt, von allen Seiten.

In der Siedlung, vier Gärten weiter, brüllt eine finstere Frau vom dritten Stock Schimpftiraden ins Leere. Meilenweit zu hören von diesem Julia-Balkon. Stimmt nicht. Nee, stimmt nicht. Hör bloß auf. Kippe in der Hand. Fett, krebsrot.

Ich allein

Ich allein verfasse

Bleistift schreibt nicht auf Zeitschriftenpapier. Irgendwo hat sie gelesen, man kriegt Krebs von dem Hochglanzzeug. Weiß man doch, dass es jetzt noch nicht so heiß sein darf. Verschrumpelte Blüten und bittere kleine Äpfel. Vögel singen die falschen Lieder auf den falschen Bäumen, viel zu früh im Jahr. Mann, hör mir bloß auf! Blick nach oben: Die Sonnenbrandwampe der Frau liegt auf der Brüstung. Wie sagt Michel immer: Es kann eben nicht jeder vorne mit dabei sein. Nicht in der heutigen Zeit. Grausame Ansicht – sie teilt sie nicht. In einer Ehe teilt man nicht alles. Gelbe Sonne hoch oben am Himmel. Blaues Kreuz an weißer Stange, klar, eindeutig. Was tun? Michel ist arbeiten. Immer noch arbeiten.

Ich

allein

Asche weht in den Garten hinunter, dann folgt die Kippe, danach die Schachtel. Lauter als Vögel und U-Bahn und Verkehr. Alleiniges Anzeichen geistiger Gesundheit: ein kleiner Knopf, der ihr im Ohr steckt. Ich hab ihm gesagt, er soll sich nicht immer Freiheiten rausnehmen. Wo bleibt mein Scheck? Und dann kaut die mir ständig ein Ohr ab. Scheiß Freiheiten.

Ich allein. Allein. Allein

Sie öffnet die Faust, lässt den Bleistift fortrollen. Nimmt sich die Freiheit. Nichts anderes zu hören als diese verdammte Frau. Zumindest gibt es mit geschlossenen Augen was anderes zu sehen. Zähe schwarze Flecken. Wasserbienen, die im Zickzack hin und her schießen. Zick. Zack. Roter Fluss? Geschmolzener Höllensee? Die Hängematte kippt. Die Zeitung segelt zu Boden. Weltspiegel, Immobilien, Film und Musik liegen im Gras. Dazu der Sport und die Kurzbeschreibungen der Toten.

2

Die Klingel! Barfuß stolpert sie durchs Gras, sonnenwirr, schläfrig. Die Hintertür führt in eine klitzekleine Küche, bunt gekachelt nach den Vorlieben eines Vormieters. Da wird nicht nur geklingelt. Da hält wer den Finger drauf.

Ein verschwommener Umriss hinter der strukturierten Scheibe. Falsche Pixelanordnung für Michel. Zwischen ihr und der Tür die Flurdielen, golden im Sonnenlicht. So ein Flur kann nur zum Guten führen. Aber da draußen brüllt eine Frau BITTE und weint. Da draußen schlägt eine Frau mit der Faust an die Tür. Als sie den Riegel öffnen will, klemmt er auf der Hälfte, die Kette spannt sich, und eine kleine Hand schießt durch den Spalt.

– BITTE – o Gott, helfen Sie mir – bitte Miss, ich wohn hier – ich wohn gleich hier, o Gott, bitte – schauen Sie, bitte –

Dreckige Nägel. Und eine Gasrechnung? Eine Telefonrechnung? Durch die Öffnung geschoben, vorbei an der Kette, so nah, dass sie ein Stück zurückgehen muss, um zu erkennen, was ihr da gezeigt wird. Ridley Avenue 37 – gleich um die Ecke. Mehr liest sie nicht. Kurz sieht sie Michel vor sich, wie er wäre, wenn er hier wäre, wie er das Plastikfenster des Umschlags prüfen, nach Echtheitsnachweisen suchen würde. Michel ist arbeiten. Sie macht die Kette los.

Die Knie der Fremden geben nach, sie fällt vornüber, sackt zusammen. Mädchen oder Frau? Sie sind gleich alt: Mitte dreißig, so in etwa. Tränen schütteln den schmalen Körper der Fremden. Sie zerrt sich an den Kleidern und heult. Die Frau, die die Welt als Zeugin anruft. Die Frau im Kriegsgebiet, in den Trümmern ihres Heims.

– Sind Sie verletzt?

Sie hat die Hände im Haar. Ihr Kopf stößt an den Türrahmen.

– Nein, ich nicht, meine Mutter – ich brauch Hilfe. Ich war schon an jeder scheiß Tür – bitte. Shar – Shar heiß ich. Ich bin von hier. Ich wohn hier. Schauen Sie!

– Kommen Sie rein. Bitte. Ich heiße Leah.

Leah ist diesen fünf Quadratkilometern der Stadt so treu verbunden wie andere Leute ihrer Familie oder ihrem Vaterland. Sie weiß, wie die Leute hier reden, dass scheiß in dieser Gegend einem Satz einfach Rhythmus gibt. Sie ordnet ihre Miene so, dass sie Mitleid ausdrückt. Shar schließt die Augen, nickt. Sie macht rasche Bewegungen mit dem Mund, spricht mit sich selbst, unhörbar. Zu Leah sagt sie

– Sie sind ’n guter Mensch.

Shars Zwerchfell hebt und senkt sich jetzt langsamer. Das Tränenzittern lässt nach.

– Danke, ja? Sie sind ’n guter Mensch.

Shars kleine Hände umklammern die Hände, die sie halten. Shar ist winzig. Ihre Haut wirkt trocken, wie Pergament, Spuren von Schuppenflechte an Stirn und Kinn. Das Gesicht vertraut. Leah hat es schon oft auf der Straße gesehen. Eine Eigenheit der Londoner Dörfer: Gesichter ohne Namen. Die Augen einprägsam, rund um das dunkle Braun sieht man helles Weiß, oben wie unten. Ein gieriger Ausdruck, als wollte sie alles verschlingen, was sie sieht. Lange Wimpern. So sehen Babys aus. Leah lächelt. Das Lächeln, das zurückkommt, ist ausdruckslos, zeigt kein Erkennen. Niedlich schief. Leah ist nur die gute Fremde, die die Tür geöffnet und nicht wieder zugeschlagen hat. Immer wieder sagt Shar: Sie sind ’n guter Mensch, ’n guter Mensch – so lange, bis der Genussfaden reißt, der sich durch den Satz zieht (natürlich liegt für Leah ein gewisser Genuss darin). Leah schüttelt den Kopf. Nein, nein, nein, nein.

Leah dirigiert Shar in die Küche. Große Hände auf den schmalen Mädchenschultern. Sie betrachtet Shars Pobacken, die sich über den Bund der runtergerollten Jogginghose wölben, die kleine, flaumige Kuhle unten am Rücken, stark ausgeprägt und verschwitzt von der Hitze. Die schmale Taille, die in Kurven übergeht. Leah, schlaksig wie ein Junge, hat kaum Hüften. Vielleicht braucht Shar ja Geld. Sauber sind die Klamotten nicht. An der rechten Kniekehle hat der schäbige Stoff einen langen Riss. Dreckige Fersen schauen aus halb kaputten Flip-Flops. Sie riecht.

– Herzinfarkt! Ich frag die ganze Zeit: Stirbt sie? Stirbt sie? Stirbt sie? Die fahren sie im Krankenwagen weg – aber krieg ich vielleicht ’ne Antwort? Ich hab drei Kinder daheim, die sind jetzt allein, ja – ich muss zum Krankenhaus – und die labern nur was von Auto. Ich hab kein Auto! Ich so: Helfen Sie mir – aber kein Mensch rührt ’nen scheiß Finger, um mir zu helfen.

Leah fasst Shar am Handgelenk, setzt sie auf einen Stuhl an den Küchentisch und drückt ihr die Küchenrolle in die Hand. Wieder legt sie ihr die Hände auf die Schultern. Ihre Stirnen berühren sich beinahe.

– Schon gut, ich versteh’s ja. Welches Krankenhaus?

– Das … ich hab’s nicht aufgeschrieben … In Middlesex oder so – jedenfalls weit weg. Weiß nicht genau.

Leah drückt Shar die Hände.

– Also, ich habe kein Auto – aber …

Blick auf die Uhr. Zehn vor fünf.

– Wenn Sie vielleicht noch so zwanzig Minuten warten? Wenn ich ihn gleich anrufe, dann ist er … Oder vielleicht ein Taxi …

Shar löst die Hände aus Leahs Griff. Sie presst die Fingerknöchel an die Augen, atmet tief aus: Die Panik ist vorbei.

– Ich muss da hin … Aber ich hab keine Nummer – nix – kein Geld …

Shar rupft sich mit den Zähnen ein Stückchen Haut vom rechten Daumen. Etwas Blut quillt hervor und verharrt. Leah fasst Shar wieder am Handgelenk. Zieht ihr die Finger aus dem Mund.

– Vielleicht das Middlesex? So heißt das Krankenhaus, nicht der Ort. Richtung Acton, oder?

Die Miene des Mädchens ist verträumt, verlangsamt. Touched, sagt man in Irland. Wunderlich. Möglich, dass sie ein wenig wunderlich ist.

– Ja … kann sein … doch, nein, doch, stimmt. Das Middlesex. Stimmt.

Leah richtet sich auf, zieht das Handy aus der Gesäßtasche und wählt.

– ICH KOMM MORGEN VORBEI.

Leah nickt, und Shar redet weiter, ohne Rücksicht auf das Telefonat.

– ICH ZAHL’S ZURÜCK. MORGEN KRIEG ICH MEINEN SCHECK, JA?

Leah lässt das Telefon am Ohr, lächelt, nickt, gibt ihre Adresse durch. Sie mimt Teetrinken. Doch Shar schaut auf die Apfelblüten. Mit dem Saum ihres schmuddeligen T-Shirts wischt sie sich Tränen aus dem Gesicht. Ihr Nabel ist ein fester Knoten, bündig mit der Bauchdecke, ein auf einen Diwan genähter Knopf. Leah gibt ihre eigene Nummer an.

– Das wär’s.

Sie wendet sich zur Anrichte, greift mit der freien Hand nach dem Wasserkocher und lässt ihn fast fallen, weil sie dachte, er wäre leer. Etwas Wasser schwappt heraus. Sie stellt den Kocher wieder auf seinen Sockel und bleibt, wo sie ist, mit dem Rücken zu ihrem Gast. Einen anderen Platz, an dem sie ganz selbstverständlich sitzen oder stehen könnte, gibt es nicht. Vor ihr, auf der langen Fensterbank, die sich durch den ganzen Raum zieht, ein paar Dinge aus ihrem Leben: Fotos, Schnickschnack, ein wenig Asche ihres Vaters, Vasen, Pflanzen, Kräuter. In der Spiegelung der Scheibe zieht Shar die kleinen Füße auf die Sitzfläche, umfasst die Knöchel. Die Notsituation war weniger peinlich, viel natürlicher als das jetzt. In diesem Land macht man Fremden keinen Tee. Sie lächeln sich in der Scheibe an. Der gute Wille ist da. Es gibt nur nichts zu sagen.

– Ich hol mal Tassen.

Leah benennt jede ihrer Handlungen. Sie macht den Schrank auf. Er ist voller Tassen – Tassen über Tassen.

– Schönes Haus.

Leah dreht sich zu schnell um, macht fahrige Bewegungen mit den Händen.

– Gehört uns nicht – wir wohnen zur Miete – nur diese Wohnung hier, drüber sind noch zwei. Der Garten ist für alle. Es sind Sozialwohnungen, also …

Während Leah den Tee aufgießt, sieht Shar sich um. Mit hängender Unterlippe und leichtem Nicken. Anerkennend, wie eine Immobilienmaklerin. Dann ist Leah dran. Was gibt es da zu sehen? Knittriges kariertes Flanellhemd, verschlissene Jeans-Shorts, sommersprossige Beine, nackte Füße – eine lächerliche Person womöglich, eine, die auf der faulen Haut liegt, ein Luxusweibchen. Leah verschränkt die Arme vor dem Bauch.

– Nich schlecht für sozial. Viele Zimmer und so?

Die Lippe hängt immer noch. Dadurch nuschelt sie ein bisschen. Irgendwas stimmt nicht mit Shars Gesicht, bemerkt Leah, dann schämt sie sich, weil sie es bemerkt, und schaut weg.

– Drei. Das dritte ist nur eine Kammer. Das nehmen wir als …

Shar grübelt schon wieder über etwas ganz anderem; sie ist nicht so schnell wie Leah, aber jetzt ist sie da, jetzt sind sie beide gleichauf. Sie hält Leah den ausgestreckten Zeigefinger ins Gesicht.

– Moment mal … du warst auf der Brayton?

Sie hüpft auf dem Stuhl herum. Euphorisch? Das kann ja nicht sein.

– Ich schwör, als du eben telefoniert hast, dacht ich mir: Ich kenn die. Du warst auf der Brayton!

Leah lehnt sich mit einer Pobacke an die Anrichte und nennt ein paar Daten. Shar interessiert sich nicht für Jahreszahlen. Sie will wissen, ob Leah sich erinnert, wie der Naturwissenschaftsflügel unter Wasser stand und wie sie Jake Fowler damals mit dem Kopf in die Schraubzwinge gesteckt haben. Als wären es Mondlandungen und verstorbene Präsidenten, bestimmen sie anhand dieser Koordinaten ihre jeweilige Schulzeit.

– Zwei Jahre unter dir, ja? Wie heißt du noch?

Leah kämpft mit dem klemmenden Deckel einer Keksdose.

– Leah. Hanwell.

– Leah. Du warst auf der Brayton. Siehst du noch wen?

Leah zählt Namen auf, nebst Kurzbiografie. Shar trommelt rhythmisch mit den Fingern auf die Tischplatte.

– Bist du schon lange verheiratet?

– Viel zu lang.

– Soll ich jemanden für dich anrufen? Deinen Mann vielleicht?

– Nee … nee … der ist weg. Hab ihn zwei Jahre nicht gesehen. Hat gebrüllt. Und geprügelt. Und Probleme hatte der. Jede Menge Probleme, im Kopf und so. Hat mir den Arm zerdeppert, das Schlüsselbein, die Kniescheibe, mein ganzes scheiß Gesicht. Ich sag dir was …

Das Nächste wird leichthin zur Seite gesprochen, mit einem kleinen, glucksenden Lachen, und ist unfassbar.

– Vergewaltigt hat er mich und alles … voll der Irrsinn. Aber na ja.

Shar rutscht vom Stuhl und geht zur Hintertür. Schaut in den Garten, auf den verdorrten gelben Rasen.

– Das tut mir wirklich leid.

– Kannst du doch nichts dafür! Ist halt so.

Dieses Gefühl, sich lächerlich zu fühlen. Leah schiebt die Hände in die Hosentaschen. Der Wasserkocher klickt.

– Im Ernst, Lieja, ich würd lügen, wenn ich sage, es war leicht. Es war echt hart. Aber. Ich hab’s geschafft. Ich leb noch. Und ich hab drei Kinder! Sieben ist das jüngste. Ist also doch was Gutes bei rumgekommen, verstehst du?

Leah nickt zum Wasserkocher hin.

– Hast du Kinder?

– Nein. Nur einen Hund, Olive. Der ist gerade bei meiner Freundin Nat. Natalie Blake? Wobei, in der Schule hieß sie noch Keisha. Jetzt heißt sie Natalie De Angelis. Aus meinem Jahrgang. So ein Riesen-Afro …

Leah formt einen Atompilz um ihren Kopf. Shar runzelt die Stirn.

– Ja. Voll arrogant. So ’ne Kokosnuss. Außen braun, innen weiß. Hat sich für sonst was gehalten.

Ein Ausdruck nackter Abscheu tritt auf Shars Gesicht. Leah redet mitten hinein.

– Sie hat jetzt Kinder. Wohnt gleich da drüben, im schickeren Teil, am Park. Sie ist Anwältin. Barrister. Ist das eigentlich das Gleiche? Wahrscheinlich schon. Ach ja, sie haben zwei Kinder. Und die Kinder lieben Olive, so heißt mein Hund, Olive.

Sie sagt einfach einen Satz nach dem anderen, es hört nicht mehr auf.

– Ach ja, ich bin übrigens schwanger.

Shar lehnt sich an die Türscheibe. Kneift ein Auge zu, fixiert Leahs Bauch.

– Oh, noch ganz am Anfang. Ganz am Anfang. Ach ja, eigentlich weiß ich es erst seit heute Morgen.

Ach ja ach ja ach ja. Shar nimmt die Offenbarung gelassen.

– ’n Junge?

– Nein, ich meine … so weit bin ich doch noch gar nicht.

Leah wird rot, sie hat nicht vorgehabt, von dieser heiklen, unvollendeten Sache zu erzählen.

– Weiß es dein Mann schon?

– Ich habe heute früh den Test gemacht. Dann bist du gekommen.

– Wünsch dir ’n Mädchen. Jungs sind die Hölle.

Shars Miene ist finster. Sie grinst teuflisch. Rund um ihre Zähne ist das Zahnfleisch schwarz. Sie kommt zurück zu Leah und legt ihr beide Hände flach auf den Bauch.

– Lass mal fühlen. Ich kann so was vorhersagen. Egal, wie früh. Na komm. Ich tu dir schon nichts. Ist wie ’ne Gabe. Hab ich von meiner Mutter. Na komm.

Sie greift nach Leah und zieht sie zu sich. Leah lässt sie. Shar legt die Hände wieder auf ihren Bauch.

– Das wird ’n Mädchen, das ist sicher. Und Skorpion noch dazu, na, viel Spaß. ’ne kleine Kanone.

Leah lacht. Zwischen den verschwitzten Händen der anderen und ihrem eigenen klammen Bauch spürt sie Hitze aufsteigen.

– Eine Sportskanone, meinst du?

– Nee … eine, die schnell explodiert. Wirst du ständig im Auge behalten müssen.

Shar lässt die Hände sinken, und wieder überzieht Langeweile ihr Gesicht. Jetzt redet sie. Alles ist gleichwertig: Leah, Tee, Vergewaltigung, Zimmerzahl, Herzinfarkt, Schule, wer jetzt Kinder hat.

– Diese Schule … Die war ja echt Mist, aber die Leute, die da waren … ein paar von denen haben’s echt zu was gebracht, oder? Calvin zum Beispiel – sagt dir Calvin noch was?

Leah schenkt Tee ein, nickt eifrig. Calvin sagt ihr gar nichts.

– Der hat jetzt so ’n Fitnessstudio an der Finchley Road.

Leah rührt mit dem Löffel im Tee, den sie sonst nie trinkt, erst recht nicht bei so einem Wetter. Sie hat den Teebeutel zu fest ausgedrückt. Die Blätter verlassen die Festung, schwärmen aus.

– Und das gehört ihm richtig! Ich komm da manchmal vorbei. Hätt ich nie gedacht, dass der kleine Calvin mal den Arsch hochkriegt – der hing doch immer mit Jermaine und Louie und Michael rum. War ’n übler Haufen … Von denen treff ich keinen mehr. So viel Drama brauch ich nicht. Aber Nathan Bogle seh ich noch. Und früher Tommy und James Haven, aber die hab ich in letzter Zeit nicht mehr gesehen. Ewig nicht.

Shar redet weiter. Die Küche kippt, und Leah hält sich mit einer Hand an der Anrichte fest.

– Entschuldige, was?

Shar runzelt die Stirn, spricht an der Zigarette vorbei, die sie im Mund hat.

– Ich hab gesagt, gibst du mir mal den Tee?

Wie alte Freundinnen an einem Winterabend sehen sie aus, beide Hände um die Becher gelegt. Die Tür ist offen, alle Fenster sind auf. Die Luft steht. Leah zieht an ihrem Hemd und löst es mit einem Schütteln von der Haut. Eine Öffnung entsteht, Luft schießt hindurch. Der Schweiß, der sich unter den Brüsten gesammelt hat, hinterlässt beschämende Spuren auf dem Baumwollstoff.

– Früher war ich mal … also …

Leah tastet sich mit künstlichem Zögern voran und schaut dabei tief in ihren Becher, doch Shar hat kein Interesse, sie trommelt an den Glaseinsatz der Tür, redet einfach über sie hinweg.

– Aber in der Schule hast du echt anders ausgesehen. Jetzt gefällst du mir besser. Du warst immer so rothaarig und knochig. Voll die Bohnenstange.

Das ist Leah alles immer noch. Geändert haben müssen sich wohl die anderen – oder die Zeiten.

– Hast es aber weit gebracht. Warum bist du nicht auf Arbeit? Was machst du noch gleich?

Shar nickt bereits, bevor Leah antwortet.

– Ich hab mich krankgemeldet. Mir ging’s nicht gut. Ich arbeite sozusagen in der Verwaltung. Für einen guten Zweck. Wir verteilen Geld. Lotterieeinnahmen, die gehen dann an karitative und gemeinnützige Einrichtungen – an kleine kommunale Unternehmen, die Unterstützung brauchen …

Sie hören ihrem eigenen Gespräch nicht zu. Die Frau aus der Siedlung steht immer noch auf dem Balkon und brüllt. Shar schüttelt den Kopf, pfeift. Schenkt Leah einen Blick nachbarschaftlichen Mitleids.

– Blöde fette Kuh.

Von der Frau aus zeichnet Leah mit den Fingern einen Springerzug in die Luft. Zwei Stockwerke hoch, ein Fenster weiter.

– Da bin ich geboren.

Von dort hierher, ein weiterer Weg, als man denkt. Eine Sekunde lang fesselt dieses regionale Detail Shars Aufmerksamkeit. Dann schaut sie weg, ascht auf den Küchenboden, obwohl die Tür offen ist und der Rasen keinen Meter entfernt. Vielleicht ist sie etwas beschränkt, bestimmt auch unbeholfen, oder aber einfach traumatisiert oder zerstreut.

– Ganz schön weit gebracht. Gute Wohnung. Wahrscheinlich auch massig Freunde, Freitagabend auf die Piste und so.

– Nicht direkt.

Shar stößt eine kleine Rauchwolke aus und macht einen irgendwie wehmütigen Laut, nickt dabei immer wieder mit dem Kopf.

– Voll vornehm, die Straße hier. Du bist die Einzige, die mich reingelassen hat. Der Rest würd einen nicht mal mit dem Arsch angucken.

– Ich muss nach oben. Geld holen fürs Taxi.

Leah hat Geld in der Hosentasche. Oben geht sie ins nächstbeste Zimmer, das Klo, schließt die Tür, setzt sich auf den Boden und heult. Sie streckt das Bein aus und schubst mit dem Fuß die Klopapierrolle aus der Halterung. Als sie sie gerade zu sich herrollt, klingelt es.

– SKLINGELT! SKLINGELT! SOLL ICH?

Leah steht auf, versucht, sich an dem kleinen Handwaschbecken die Röte wegzuspülen. Sie findet Shar im Flur, vor einem Regal mit Büchern aus der Uni. Shar fährt mit dem Finger die Buchrücken entlang.

– Hast du die alle gelesen?

– Nein, nicht alle. Inzwischen hab ich gar nicht mehr die Zeit.

Leah nimmt den Schlüssel von seinem Platz im mittleren Regalfach und öffnet die Haustür.

Sie versteht gar nichts mehr. Der Fahrer, der am Törchen steht, macht eine Handbewegung, die sie nicht kapiert, zeigt zum anderen Ende der Straße und geht los. Shar folgt ihm. Leah folgt ihr. Sie entwickelt eine völlig neue Ergebenheit.

– Wie viel brauchst du?

Ein Schatten von Bedauern fällt auf Shars Gesicht.

– Zwanzig? Dreißig … zur Sicherheit.

Sie raucht ohne Hände, presst den Qualm aus einem Mundwinkel.

Das unbändige Schäumen der Kirschblüten. In einem Korridor aus Rosa taucht Michel auf, er kommt auf der anderen Seite die Straße entlang. Zu heiß für ihn – sein Gesicht ist patschnass. Das kleine Handtuch, das er an solchen Tagen immer bei sich hat, schaut aus seiner Tasche hervor. Leah reckt einen Finger in die Luft, bittet ihn damit, zu bleiben, wo er ist. Sie deutet auf Shar, die hinter dem Wagen nicht zu sehen ist. Michel ist kurzsichtig; er blinzelt in ihre Richtung, bleibt stehen, grinst unbehaglich, zieht sein Sakko aus, legt es sich über den Arm. Leah sieht ihn an seinem T-Shirt herumzupfen, die letzten Reste des Arbeitstags abschütteln: zahllose winzige Härchen, Schnipsel von Fremden, manche blond, manche braun.

– Wer ist das?

– Michel, mein Mann.

– Der heißt wie ’ne Frau?

– Er ist Franzose.

– Aber hübsch – das gibt hübsche Babys!

Shar zwinkert: die eine Gesichtshälfte grotesk verzerrt.

Shar wirft die Zigarette weg und steigt in den Wagen, lässt die Tür offen. Das Geld verbleibt in Leahs Hand.

– Ist er auch von hier? Kommt mir bekannt vor.

– Er arbeitet in dem Friseursalon, an der Station. Er ist Franzose – aus Marseille. Aber schon ewig hier.

– Und Afrikaner.

– Ursprünglich, ja. Hör mal – willst du, dass ich mitkomme?

Shar schweigt einen Moment. Dann steigt sie wieder aus und umfasst Leahs Gesicht mit beiden Händen.

– Du bist echt ’n guter Mensch. Das war Schicksal, dass ich bei dir gelandet bin. Im Ernst! Du bist spirituell. Du hast was Spirituelles in dir.

Leah umfasst Shars kleine Hand und überlässt sich einem Kuss. Shars Mund an ihrer Wange ist leicht geöffnet beim Dan und schließt sich dann wieder im -ke. Und Leah antwortet etwas, was sie noch nie im Leben gesagt hat: Gott schütze dich. Sie lösen sich voneinander – Shar weicht verlegen zurück und dreht sich zum Wagen, ist schon halb fort. Fast trotzig drückt Leah ihr das Geld in die Hand. Doch schon jetzt droht das Erhabene des Erlebens zum Konventionellen, Anekdotischen zu verflachen: nur dreißig Pfund, nur eine kranke Mutter, kein Mord, auch keine Vergewaltigung. Nichts überlebt im Erzählen.

– Wahnsinnswetter.

Shar nimmt ihren Schal, um sich den Schweiß vom Gesicht zu tupfen, und sieht Leah nicht mehr an.

– Morgen komm ich vorbei. Ich zahl’s zurück. Ich schwör bei Gott, ja? Danke, im Ernst. Du hast mich echt gerettet heute.

Leah zuckt die Achseln.

– Na komm, jetzt sei nicht so, ich schwör’s – ich komm vorbei, im Ernst.

– Ich hoffe nur, sie wird wieder gesund. Deine Mutter.

– Morgen, ja? Danke!

Die Tür geht zu. Der Wagen fährt ab.

3

Für alle liegt es auf der Hand, nur nicht für Leah. Für ihre Mutter liegt es auf der Hand.

– Seit wann bist du bloß so naiv?

– Sie war verzweifelt. Ehrlich.

– Ich war auch verzweifelt, damals in der Grafton Street, und in der Buckley Road war ich verzweifelt, wir waren alle verzweifelt. Aber deswegen haben wir noch lange keinen bestohlen.

Knisternde Wolken aus Seufzern. Leah sieht sie praktisch vor sich: der flatternde schneeweiße Pony, der wogende geblümte Busen. Ihre Mutter ist zu einer gut gefiederten irischen Eule geworden. So hockt sie hier in Willesden, immer noch, lebenslang.

– Dreißig Pfund! Dreißig Pfund für eine Taxifahrt ins Middlesex. Das ist doch nicht Heathrow. Wenn du schon Geld zum Fenster rauswirfst, sorg mal dafür, dass es in meine Richtung fliegt.

– Vielleicht kommt sie ja doch noch wieder.

– Eher kommt der Heiland höchstpersönlich als die! Erst am Wochenende hatte ich wieder zwei von denen hier, seh sie schon die Straße hochkommen und überall klingeln. Crack. Sah man meilenweit. Scheußliche Angewohnheit! Jeden Tag seh ich die hier, an der Station. Jenny Fowler vorn an der Ecke hat mal einer aufgemacht – zugedröhnt bis dorthinaus, hat sie erzählt. Dreißig Pfund! Das hast du von deinem Vater. Kein Mensch mit meinem Blut in den Adern würde auf so was Idiotisches reinfallen. Was sagt überhaupt dein Michael dazu?

Letztendlich leichter, Michael durchgehen zu lassen, als sich anzuhören, wie Mieh-schell ihren Mundraum füllt wie ein schlechter Geschmack auf der Zunge.

– Dass es idiotisch war.

– Und genau das war es auch. Seinesgleichen führt man nicht so leicht hinters Licht.

Alles Nigerianer, alle; auch wenn es sich um Franzosen oder Algerier handelt, sind sie Nigerianer, weil sich für Pauline im Grunde ganz Afrika auf Nigeria beschränkt, und der Nigerianer an sich ist ein Schlitzohr, ihm gehört in Kilburn alles, was früher einmal irisch war, sogar fünf der Pflegekräfte aus Paulines Team sind Nigerianer, obwohl das früher alles Iren waren, zumindest hält Pauline sie für Nigerianer, und man kommt ja auch bestens mit ihnen aus, man darf sie nur keine Sekunde aus den Augen lassen. Leah legt den Daumennagel an ihren Ehering. Drückt fest dagegen.

– Er will da vorbeigehen.

– Das ist ja auch sein gutes Recht! Du hast dich schließlich vor der eigenen Haustür von einer Zigeunerin ausrauben lassen!

Alles wird in brauchbare Begriffe übersetzt.

– Falsch. Vorderasiatin.

– Also Inderin.

– Grob die Gegend. Zweite Einwanderergeneration. Angehört hat sie sich aber original englisch.

– Aha.

– Sie war auf meiner Schule! Stand heulend vor meiner Tür!

Noch eine knisternde Wolke.

– Manchmal glaube ich ja, das ist alles nur, weil du allein warst. Wenn wir mehr Kinder gehabt hätten, hättest du auch mehr darüber gelernt, wie die Menschen wirklich sind.

Egal, wo Leah ansetzt, Pauline kommt immer wieder an diesen Punkt. Die ganze Geschichte wird durchgekaut: von Dublin nach Kilburn, eine der wenigen protestantischen Auswanderer, damals gehörten die meisten ja zum anderen Lager. Im Krankenhaus gearbeitet, klar, so wie all die jungen Frauen. Mit den O’Rourke-Brüdern hat sie geflirtet, den Maurern, aber sie wollte höher hinaus, mit ihrem kastanienbraunen Haar und den zarten Zügen, und Hebamme war sie ja auch schon. Zu lang gewartet. Schließlich ein spätes Nest mit einem ruhigen Witwer, einem Engländer, der keinen Alkohol anrührte. Die O’Rourkes inzwischen Baustoffhändler, die halbe Kilburn High Road gehörte ihnen. Da hätte sie ein bisschen Saufen schon in Kauf genommen. Zum Glück hat sie sich umschulen lassen (Röntgenassistentin). Wo wäre sie sonst heute? Die Geschichte, früher streng rationiert, ein paarmal im Jahr zum Besten gegeben, sprengt heute jedes Telefonat, auch dieses, bei dem es eigentlich gar nicht um Pauline geht. Die Zeit wird der Mutter knapp, sie hat nur noch einen kurzen Weg vor sich. Sie will die Vergangenheit zusammenpressen, klein genug, um sie mitzunehmen. Die Tochter hat die Aufgabe, zuzuhören. Darin ist sie gar nicht gut.

– Waren wir zu alt? Warst du einsam?

– Ich bitte dich, Mum.

– Ich meine ja nur, du hättest das Wesen des Menschen vielleicht besser durchschaut. Gibt es denn was Neues an der Front?

– Welcher Front?

– An der Oma-Front. Da, wo die biologische Uhr tickt.

– Die tickt weiter.

– Na ja. Mach dir nicht zu viele Sorgen, Schatz. Es kommt, wenn es kommen soll. Ist Michael da? Gibst du ihn mir mal?

Zwischen Pauline und Michel herrscht nichts als Misstrauen und Unverständnis, bis auf jene seligen Situationen, früher selten, inzwischen aber immer häufiger, wenn Leah sich idiotisch verhalten hat und dieser Umstand aus Erzfeinden Verbündete macht. Pauline aufgebracht, knallrot und laut. Michel bewaffnet mit seiner kleinen Sammlung hart erkämpfter Redewendungen, dem kostbarsten Besitz eines jeden Einwanderers: unterm Strich, du weißt schon, als wär das noch nicht genug, und ich sag noch, und ich so, der war gut, den muss ich mir merken.

– Unfassbar. Ich sag dir, Pauline, ich wünschte, ich wäre da gewesen. Ich wünschte wirklich, ich wäre da gewesen.

Um der Unterhaltung zu entfliehen, geht Leah in den Garten. Ned von oben liegt in Leahs Hängematte, die der Allgemeinheit gehört und folglich gar nicht Leahs Hängematte ist. Ned raucht sein Gras unter dem Apfelbaum. Die bereits ergrauende Löwenmähne, gezähmt von einem gewöhnlichen Gummiband. Auf seinem Bauch liegt eine alte Leica und wartet darauf, dass über London NW die Sonne untergeht, denn die Sonnenuntergänge sind in diesem Teil der Welt von seltsamer Intensität. Leah nähert sich dem gemeinsamen Baum und macht das Victoryzeichen.

– Kauf dir selber was.

– Ich kiff nicht mehr.

– So siehst du aus.

Ned steckt ihr den Joint zwischen die gespreizten Finger. Sie zieht kräftig daran, es kratzt in der Kehle.

– Langsam. Das ist aus Afghanistan. Psychoaktiv!

– Ich bin auch schon groß.

– Achtzehn Uhr dreiundzwanzig heute. Wird immer länger.

– Bis es wieder kürzer wird.

– Wow!

Fast alles, was Leah zu ihm sagt, findet Ned irgendwie philosophisch, so sachlich oder banal es auch sein mag. Als ernsthafter Kiffer erstarrt die Zeit um ihn. Die einfachsten Dinge nehmen eine unermessliche Bedeutung an. Leah hat das Gefühl, als wäre er achtundzwanzig geblieben, seit sie sich vor zehn Jahren kennengelernt haben.

– Hey, ist dein Besuch noch mal aufgetaucht?

– Nein.

Das geht Ned gegen die optimistische Natur. Leah sieht ihm dabei zu, wie er vergeblich nach einer passenden Erklärung sucht.

– Pünktlich auf die Minute. Und was für ’ne Schönheit!

Leah sieht nach oben. Der Himmel hat sich rosa verfärbt. Die Einflugschneisen von Heathrow malen weiße Streifen hinein. In der Küche hat Michel seinen Spaß.

– Der ist gut. Den muss ich mir merken. Du liebe Zeit!

4

Der junge Sikh langweilt sich. Schweiß läuft ihm aus dem Turban. Er schaut auf den Ladentisch seines Vaters, wo eine Taschenladung Kleingeld versucht, auf den Preis von zehn Rothmans zu kommen. Ein billiger Ventilator surrt ohne Sinn. Leah langweilt sich ebenfalls, sieht Michel dabei zu, wie er Backwaren betastet, die ihm ohnehin nicht schmecken werden, die niemals so gut sein werden wie in Frankreich. Das liegt daran, dass sie im Hinterzimmer eines Kiosks gleich an der Willesden Lane aufgebacken wurden. Richtige Croissants kriegt man sonntags auf dem Biomarkt, auf dem Hof von Leahs alter Grundschule. Heute ist Dienstag. Von ihren neuen Nachbarn weiß Leah, dass die Quinton Primary zwar gut genug ist, um dort Croissants zu kaufen, aber keineswegs gut genug, um seine Kinder dorthin zu schicken. Olive staubsaugt die Krümel vom Ladenboden. Auch sie ist im Ansatz französisch, so wie Michel. Ihr Großvater hat mal einen Preis in Paris gewonnen. Anders als Michel ist sie bei Croissants aber nicht pingelig. Weiß-orange, mit seidigen Renaissanceohren. Albern und angebetet.

– müssen endlich zu einem richtigen Arzt gehen. In eine Klinik. Wir versuchen es doch ständig. Aber nichts. Du wirst dieses Jahr fünfunddreißig.

Französisch ausgesprochen: nischts. Früher waren sie gleich alt. Jetzt altert Leah in Hundejahren. Ihre Fünfunddreißig zählen siebenmal mehr als seine und sind siebenmal wichtiger, so wichtig, dass er ihr die Zahl ständig in Erinnerung rufen muss, falls sie sie vergessen sollte.

– Wir können uns keine Klinik leisten. Was denn überhaupt für eine Klinik?

Die kleine Gestalt an der Theke dreht sich um. Zuerst, vor allen anderen, lächelt sie Leah an, aus dem Impuls heraus, der Erkennen mit Freude verbindet, doch gleich darauf, als es ihr wieder einfällt, beißt sie sich auf die Lippe, streckt die Hand nach der Tür, lässt die kleine Glocke klingeln.

– Das ist sie. Das war sie. Die gerade Zigaretten gekauft hat.

Leah rechnet mit einer gelungenen Flucht. Aber Shar hat kein Glück. Sie haben beide keines. Eine ältere Frau von beträchtlichen Ausmaßen kommt gerade herein, als Shar verschwinden will. Sie vollführen ein peinliches Tänzchen im Türrahmen. Michel ist schnell und unerschrocken und lässt sich nicht aufhalten.

– Diebin! Du Diebin! Wo ist unser Geld?

Leah greift nach dem anklagend ausgestreckten Finger und zieht ihn nach unten. Jede einzelne Sommersprosse glüht, und die Röte arbeitet sich den Hals hoch, überflutet ihr Gesicht. Shar beendet das Tänzchen. Rempelt die nette Dame aus dem Weg. Und rennt.

5

Leah glaubt an Sachlichkeit im Schlafzimmer.

Hier liegen ein Mann und eine Frau. Der Mann ist schöner als die Frau. Aus diesem Grund gab es Zeiten, da befürchtete die Frau, den Mann mehr zu lieben als er sie. Er hat das immer bestritten. Er kann allerdings nicht bestreiten, dass er schöner ist. Für ihn ist es leichter, schön zu sein. Er hat sehr dunkle Haut, die langsamer altert. Er hat die solide westafrikanische Knochenstruktur. Hier liegt ein Mann nackt auf einem Bett. In Die Verachtung liegt Brigitte Bardot nackt auf einem Bett. Wäre dieser Mann bloß wie Brigitte Bardot, die nie Kinder bekommen hat und Tiere vorzieht. Dafür ist sie allerdings in anderen Punkten unflexibel. Die Frau versucht, mit dem Mann, mit dem sie verheiratet ist, über die verzweifelte junge Frau zu reden, die bei ihr geklingelt hat. Was soll das heißen, sie hat gelogen? War es denn gelogen, dass sie verzweifelt war? Sie war schließlich verzweifelt genug, um zu klingeln. Ihr Mann begreift nicht, warum das die Frau so beschäftigt. Aber ihm fehlt ja auch eine entscheidende Information. Er kann der verborgenen weiblichen Logik unmöglich folgen. Er kann nur versuchen, ihr zuzuhören. Ich will einfach wissen, ob ich das Richtige getan habe, sagt die Frau, ich weiß einfach nicht, ob ich

Da unterbricht sie der Mann und sagt

– Hast du noch den Stecker für das Dings bei dir drüben? Meiner ist weg. Was willst du denn tun? Das ist eben so. Eine Cracksüchtige, die klaut. So spannend ist das auch wieder nicht. Komm her, dann

Als sie sich kennenlernten, der Mann und die Frau, da war die körperliche Anziehung unmittelbar und überwältigend. Das ist immer noch so. Wegen dieser ungewöhnlich heftigen Anziehung haben sie eine komische Chronologie. Erst kam immer das Körperliche.

Bevor er sie ansprach, hatte er ihr schon zweimal die Haare gewaschen.

Bevor sie den Nachnamen des anderen wussten, hatten sie schon Sex.

Bevor sie vaginalen Sex hatten, hatten sie schon Analsex.

Bevor sie einander heirateten, hatten beide mehrere Dutzend Sexualpartner. Klubromanzen, Quickies auf Ibiza. Die Neunziger, dieses rauschhafte Jahrzehnt! Sie hatten geheiratet, obwohl sie nicht zu heiraten brauchten und obwohl sie sich beide geschworen hatten, das nie zu tun. Schwer zu sagen, warum sie bei dieser ganz speziellen Variante der »Reise nach Jerusalem« schließlich beieinandergeblieben waren. Es hatte etwas mit Gutmütigkeit zu tun. Auf der Tanzfläche der Klubs fand man vieles, aber Gutmütigkeit war selten dabei. Ihr Mann war gutmütiger als jeder andere, den Leah Hanwell kannte, mit Ausnahme ihres Vaters. Und dann waren sie selbst ganz überrascht, wie konventionell sie eigentlich waren. Die Hochzeit machte Pauline Freude. Sie beruhigte Michels besorgte Eltern. Und sie freuten sich, dass ihre Familien sich freuten. Darüber hinaus besaßen die Eigennamen »Mann« und »Frau« eine Macht, mit der keiner der Beteiligten gerechnet hätte. Falls das ein Voodoo-Zauber war, kam er ihnen gerade recht. Er sorgte dafür, dass sie nicht mehr im Kreis um leere Stühle herumtanzen mussten, dabei aber nie zuzugeben brauchten, dass sie das leid waren.

Es ging alles rasend schnell.

Sie waren einmal schwanger gewesen, vor ihrer Hochzeit, als sie gerade zwei Monate zusammen waren, und hatten abgetrieben.

Sie hatten geheiratet, bevor sie Freunde geworden waren, oder anders gesagt:

Ihre Hochzeit war der Auslöser ihrer Freundschaft.

Sie hatten geheiratet, bevor sie die vielen kleinen Unterschiedlichkeiten hinsichtlich Herkunft, Träumen, Bildung, Zielen bemerkten. Beispielsweise gibt es einen Unterschied zwischen den Zielen armer Leute aus der Stadt und den Zielen armer Leute vom Land.

Als ihr diese Unterschiede auffielen, war Leah in gewisser Weise von sich selbst enttäuscht, weil dadurch keine echten Konflikte zwischen ihnen entstanden. Es war nicht leicht, sich damit abzufinden, dass der körperliche Genuss, den sie bei ihm fand und er bei ihr, so einfach die vielen anderen Vorbehalte aushebelte, die sie hatte oder hätte haben sollen oder glaubte, haben zu sollen.

– Vielleicht ist ihre Mutter ja gestorben. Dann war sie damit beschäftigt und hat es einfach nur vergessen. Oder sie hat es unter der Tür durchgeschoben, und es ist zwischen die ganze Werbung geraten, und Ned hat es weggeschmissen. Oder sie kriegt gerade einfach nicht so viel Geld zusammen.

– Na klar, Leah.

– Lass das.

– Was soll ich denn sonst sagen? Die Welt ist eben, wie sie ist.

– Wieso versuchen wir’s dann überhaupt?

Ganz sachlich gesehen ist eigentlich die Frau daran schuld, dass sie nie über Kinder gesprochen haben. Aus irgendeinem Grund ist sie nie auf den Gedanken gekommen, diese ganze Wahnsinnsvögelei könnte auf ein ganz bestimmtes, völlig offensichtliches Ziel zusteuern. Sie fürchtet sich vor diesem Ziel. Sachlich bleiben! Was ist das für eine Furcht? Sie hat mit Tod und Zeit und Altern zu tun. Ganz einfach: Ich bin achtzehn in meinem Kopf bin ich achtzehn und wenn ich nichts mache wenn ich mich einfach nur ganz ruhig verhalte dann ändert sich daran auch nichts und ich bleibe immer achtzehn. Für immer. Die Zeit steht still. Ich werde niemals sterben. Eine sehr banale Furcht. Die hat doch heutzutage jeder. Was noch? Sie ist einfach glücklich in dem Augenblick, in dem sie sich befinden. Sie hat das Gefühl, genau das zu verdienen, was sie hat, nicht mehr und nicht weniger. Mit jeder Veränderung riskiert sie, das Gleichgewicht gefährlich ins Wanken zu bringen. Warum muss sich dieser Augenblick denn verändern? Manchmal schneidet der Mann eine rote Paprika in der Mitte durch und leert die Samen in eine Plastikschüssel und gibt seiner Frau eine Zucchini zum Würfeln und sagt:

Hund.

Auto.

Wohnung.

So zusammen kochen.

Vor sieben Jahren hast du von Stütze gelebt. Ich habe Haare gewaschen.

Die Dinge ändern sich! Wir kommen voran, stimmt’s?

Die Frau weiß nicht, wo »voran« ist. Sie wusste gar nicht, dass sie aufgebrochen sind, und auch nicht, woher der Wind weht. Sie will nicht vorankommen. Wenn sie ehrlich ist, hat sie geglaubt, sie würden für immer nackt zwischen den Laken liegen und nie etwas anderes erreichen als Befriedigung. Wozu muss Liebe sich denn »weiterentwickeln«? Wo ist »weiter«? Kein Mensch kann behaupten, sie wäre nicht gewarnt worden. Das kann wirklich keiner behaupten. Eine Fünfunddreißigjährige, die mit dem Mann verheiratet ist, den sie liebt, ist nun wirklich gewarnt, sie sollte aufpassen, zuhören und nicht aus allen Wolken fallen, wenn ihr Mann sagt

– so viele Tage, an denen eine Frau fruchtbar ist. Nur drei, glaube ich. Es bringt also nichts, einfach zu sagen: ›Es kommt, wenn es kommen soll.‹ So jung sind wir nicht mehr. Wir müssen das ein bisschen, also, militärischer angehen, einen Plan machen und so.

Sachlich gesehen hat er recht.

6

Samstagmorgen. NUR KINKS DEN GANZEN TAG. Am Samstagmorgen verpasst Michel den Damen und Herren aus NW ihren Chic für den Samstagabendkick, damit sie frisch und ordentlich aussehen, und dort, im Salon, kann er seinen schwülstigen R&B voll aufdrehen, sein ganzes Oh baby oh shorty till six in the mawnin’ till the break a’dawn. Am Samstagmorgen ist sie frei! In der Schlafanzughose herumspringen, falsch mitsingen. Ned ist im Garten. Ned weiß laute Musik weißen Ursprungs zu schätzen. Er singt mit.

Immer mischt sich auch etwas Manisch-Melancholisches in diesen Wochenendtaumel: Der innere Countdown bis zur Arbeitswoche läuft bereits. Im Spiegel tanzt sie mit sich selbst, Nase an Nase mit dem Spiegelbild. Das Original strahlt und singt. Gleichzeitig kommt etwas in ihr ins Wanken angesichts der Neuigkeiten im Spiegel: die graue Strähne, die aus dem Scheitel wächst, die Schwellungen und Fältchen um die Augen, der weichliche Bauch. Sie tanzt wie ein junges Mädchen. Sie ist kein junges Mädchen mehr. Wo ist nur die Zeit geblieben? Die Klingel hört sie erst, als Olive wie wild bellt.

– Meine Mama hatte ’nen Herz... ’nen Herzinfarkt? Fünf … Pfund.

Diese junge Frau hat mit der Lockenschere geglättetes Haar und ist entweder fett oder schwanger. Dumpf schaut sie nach unten, erstaunt über die geifernde Olive, die sich zwischen Leahs Beinen durchdrängt. Dann sieht sie hoch zu Leah und lacht. HA! So zugedröhnt, dass sie nicht mal ihren Text behält. Sie dreht sich schwerfällig auf dem Absatz um, eine Tänzerin, die den Einsatz verpasst hat. Geht lachend davon, mit wiegendem Gang über den Gartenweg zurück zur Straße.

7

Michel ist ein netter Mann, voller Hoffnung. Manchmal ist Hoffnung anstrengend.

 

– habe ich immer geglaubt. Pass auf, weißt du, was eigentlich die Unterschied ist zwischen mir und diesen Leuten? Die wollen sich nicht weiterentwickeln, die wollen nichts Besseres erreichen. Aber ich entwickle mich immer weiter, ich denke immer schon einen Schritt voraus. Die Leute von zu Hause, die verstehen mich nicht. Ich bin denen meilenweit voraus. Und wenn sie versuchen, mich zu kontaktieren, dann lasse ich das nicht – ich brauche so viel Drama nicht in meinem Leben. Auf keinen Fall! Dafür habe ich zu hart gearbeitet. Dafür liebe ich dich zu sehr, und unser Leben. Man ist, was man aus sich macht. Genau so ist das. Und ich frage mich immer: Bin ich das? Was ich mache. Bin ich wirklich das? Wenn ich mich hinsetze und nichts tue, dann werde ich auch nichts, das weiß ich. Ich hatte den richtigen Durchblick, vom ersten Tag, als ich in diese Land getreten habe. Ich habe genau gewusst: Ich klettere die Leiter hoch, mindestens eine Stufe. In Frankreich ist man Afrikaner oder Algerier, wen interessiert das? Es gibt keine Möglichkeiten, man kommt nicht von Fleck! Hier kommt man von Fleck. Aber man muss arbeiten! Man muss ganz hart arbeiten, um von dem Drama da unten wegzukommen! Das ist genau der Punkt: Ich will das nicht reinlassen. Aber das machst du. Bestes Beispiel, diese Frau, die hast du reingelassen – ich weiß gar nicht, was du dir bei so was denkst – aber ich will nicht so ein Drama reinlassen bei mir. Ich weiß, diese Land bietet Möglichkeiten, und wenn man sie ergreifen will, dann kann man das. Iss den nicht – da ist ein Wurm drin, siehst du, das Loch? Nimm deine Mutter – wir sind ja wirklich keine besten Freunde, aber schau dir an, was sie geschafft hat: Sie hat dich rausgeholt aus diese Albtraum, an einen ordentlichen Ort, in eine ordentliche Wohnung mit Hypothek … Klar, du bist weiß, das ist etwas anderes, viel einfacher, du hattest Möglichkeiten, die ich nie hatte. Die Röteren schmecken nicht so gut. Wir versuchen doch alle nur, auf die nächste, die nächste, nächste … Sprosse zu kommen. Die Leiter hochzuklettern. Brent Housing Partnership. Ich will einfach nicht, dass so ein Schild steht vor die Haus, wo ich wohne. Jedes Mal, wenn ich dran vorbeigehe, denke ich: Puh! Für mich ist das demütigend. Wenn wir mal einen kleinen Sohn haben, dann möchte ich, dass er lebt – dass er stolz lebt – an einem Ort, der uns gehört. Genau! Dieses Gras ist nicht mein Gras! Dieser Baum ist nicht mein Baum! Wir haben deinen Vater um einen Baum verstreut, der uns gehört nicht einmal. Armer Mr Hanwell. So was bricht mir die Herz. Es war schließlich dein Vater! Und darum sitze ich jeden Abend vor dem Rechner, ich will das schaffen – da drin, da zählt nämlich nur der Markt, es geht nicht um Hautfarbe, ob man gut Englisch kann, ob man Zeugnisse hat von der richtigen Universität und solche Quatsch. Ich kann spekulieren wie jeder andere. Da kann man richtig Geld machen, weißt du? Der Markt spielt gerade total verrückt. Aber das sagt einem keiner. Ich denke immer, was Frank gesagt hat bei dem Abendessen: Wer schlau ist, wirft sich gleich wieder ins Feld. Es wäre doch Wahnsinn, wenn man nicht versucht, etwas abzukriegen davon. Ich bin nicht so ein Jamaikaner – die Neue von oben, Gloria oder wie die heißt, die hat immer noch keine Vorhänge. Zwei Kinder, kein Mann, aber Sozialleistungen. Ich bin verheiratet, wo sind meine Sozialleistungen? Wenn ich Kinder habe, das habe ich immer gewusst, das habe ich immer gesagt zu mir: Ich bleibe bei diese Frau, die ich liebe, die ich so sehr liebe, ich bleibe für immer bei ihr. Komm her. Unterm Strich ist es doch so: Ich habe das nie gewollt, einfach nur auf meine Lohbeeren liegen und Almosen nehmen, das hat mich nie interessiert. Ich bin Afrikaner. Ich habe eine Bestimmung. Ich liebe dich, und ich liebe den Weg, den wir zusammen gehen! Ich komme immer näher zu meine Bestimmung, ich denke an die nächste Leistung, den nächsten Schritt, ich will höher hinauf, damit wir, damit wir alle beide, den nächsten …

– Lorbeeren.

– Was?

– Es heißt Lorbeeren. Und man liegt nicht drauf, man ruht sich darauf aus. Liegen tut man auf der faulen Haut.

– Du hörst mir gar nicht zu.

Stimmt: Sie denkt an Äpfel.

8

Anderswo in London gibt es Großraumbüros / komplett verglaste / Synergie-Brutstätten / wireless / spiegelblank. Der Glaube an die Macht einer Tischtennisplatte hält sich dort hartnäckig. Hier ist nicht anderswo. Hier sind die Büros kastig eng viktorianisch modrig. Fünf Leute teilen sich eins, der Teppich ist verschlissen, der Locher stets unauffindbar.

– eingehendes Geld. Frage: Wie konnte es so weit kommen, ohne dass jemand eingreift? Das würde mich wirklich interessieren. Selbstkontrolle, Kinder! Wenn ihr nämlich so weitermacht, dann liefert ihr uns gewissermaßen alle ans Messer, mich eingeschlossen. Und als Nächstes heißt es dann: Rationalisierungsmaßnahmen. Und damit ist dann nicht gemeint, den Teebeutel zweimal zu verwenden. Dann geht es um eure Stelle und um meine. Und genau so

Hier werden die falschen Lottotipps einer ganzen Nation in eine Art Allgemeinwohl verwandelt: Spielgruppen nach der Schule, Übersetzungsdienstleistungen, Unkrautjäten für ältere Mitbürger, Handarbeiten für Strafgefangene. Fünf Frauen arbeiten hier, Rücken an Rücken. Weiter den Flur entlang gibt es angeblich auch einen Mann – Leah hat ihn nie zu Gesicht bekommen. Diese Arbeit erfordert Einfühlungsvermögen und zieht folglich Frauen an, denn Frauen sind das einfühlsame Geschlecht. So die Meinung von Adina George, der Teamleiterin, die jetzt redet, die gar nicht mehr aufhört zu reden. Adinas Mund öffnet und schließt sich.

Ehemalige Gefängniswärterin, Sozialarbeiterin, Gemeinderatsmitglied. Wie hat sie mit diesen Krallen eigentlich irgendwas hingekriegt? Lang und gebogen und in den jamaikanischen Nationalfarben lackiert. Damit hat sie sich mühsam nach oben gekrallt. Alteingesessen. Misstrauisch gegenüber allen, die, wie Leah, ihre Stellung ihrem Abschluss verdanken. Für Adina ist ein Universitätsabschluss wie ein Bungee-Seil, das einen in halsbrecherischem Tempo hinein- und wieder hinausbefördert. Du bist ja eh nicht lange hier. Weißt du, ich gebe dir lieber keine Projekte, nachher bist du nicht mehr da, um sie abzuschließen …

Sechs Jahre sind vergangen: So etwas wird ihr jetzt nicht mehr gesagt. Heute, als Adina sie wieder als »die Akademikerin« bezeichnet hat, ging es Leah durch den Kopf, dass keiner – weder die Einrichtung, die ihn verliehen hat, noch die Kommilitonen und erst recht nicht der Arbeitsmarkt – eine höhere Meinung vom Wert ihres Titels hat als Adina.

– ist für einen reibungslosen Ablauf essenziell. Klar geht es bei der Entscheidungsfindung um die Zuordenbarkeit und auch um Einfühlungsvermögen, klar, und um den persönlichen Draht, aber dann auch wieder um Breitenwirkung und Sichtbarkeit im Sinne der Kosteneffektivität, die wir nur über einen Prozess der Belegführung zureichend abbilden können. Belege – Belege – Belege! Im aktuellen Klima müssen wir da päpstlicher sein als der Papst, damit ich, wenn ich als Teamleiterin von den oberen Etagen einbestellt werde, dann auch sagen kann: aber sicher, alles belegbar. Hier haben Sie X, Y und Z, alles belegbar. Das ist ja wohl keine Quantenphysik, meine Damen.

Frage: Was ist aus ihren Studienkollegen geworden, den ganzen ehrgeizigen jungen Akademikern, fast alles Männer? Banker, Anwälte. Während Leah, der Joker von der staatlichen Schule, kein Latein, kein Griechisch, kein Mathe, keine Fremdsprache, es – nach den aktuellen Standards – schlecht getroffen hat und jetzt hier hockt auf ihrem Übergangsstuhl, der vor sechs Jahren aus dem Pausenraum entliehen wurde, und förmlich ertrinkt in Einfühlungsvermögen. Ihr rechter Fuß ist eingeschlafen. Der Computerbildschirm hängt. Die IT-Abteilung lässt sich nicht blicken. Keine Klimaanlage. Adina hört und hört nicht auf, misshandelt die Sprache, wie das ihre Art ist.

– Also war das alles eine Frage der Kommunikation? Blockierte Kanäle zwischen den beteiligten Parteien. Wer sollte sich also jetzt mal stärker bewusst machen, was für Auswirkungen sein Verhalten auf andere hat?

Auch das wird vorübergehen. Sechzehn Uhr fünfundvierzig. Zick-zack. Tick-tack. Manchmal greift die Verbitterung nach Leah. Zieht sie runter, hält sie fest. Wozu war das alles gut? Drei Jahre nutzloses Studium. Überschuldet, überfordert. Philosophie ist es nur geworden, weil sie Angst vor dem Tod hatte und dachte, das könnte helfen, und weil sie nicht rechnen oder zeichnen konnte, sich nicht listenweise Fakten merken und keine andere Sprache sprechen konnte als die eigene. Im Prospekt der Universität der kursiv gedruckte Satz über einer Abbildung des Firth of Forth: Philosophie heißt sterben lernen. Aber Philosophie hieß, den Schwafeleien arroganter Typen zuzuhören, sich mehr zu langweilen als je zuvor im Leben, mehr als man es je für möglich gehalten hat. Philosophie hieß, sich zu wünschen, man wäre anderswo, ganz gleich wo, irgendwo anders im Multiversum, ein Konzept im Übrigen, das man nie richtig begreifen wird. Am Ende hat sich nur ein Gedanke zuverlässig eingeprägt: die Zeit als relative Erfahrung, anders für den Jogger, den Liebenden, den Gequälten, den Müßiggänger. Wie jetzt, wo sich jede Minute zur Stunde zu dehnen scheint. Ansonsten nutzlos. Nicht abbezahlte, immer weiter wachsende Schulden. Dazu ein Gefühl von Groll: Welchen Sinn hatte es, sich auf ein Leben vorzubereiten, das nie für einen bestimmt war? Jahrelang so weg von allem, dass die Realität abhandenkam. Edinburghs Penetranz: Bergbesteigung und verborgene Gässchen, Burgschatten und Whisky für fünfzig Pence, Walter-Scott-Plaketten und die Suche nach dem richtigen Studienkredit. Aus ihrem Mund: Sokrates klang wie »gratis«, falsch betont, Antigone wie ein Putzmittel. Auf ewig unvergessen: der Blödmann, der in dieser ersten Seminarsitzung so hämisch gekichert hat. ICH BIN JA SO EINFÜHLSAM, schreibt Leah und verziert die Worte hingebungsvoll. Große Flammenbögen, lange, spitz zulaufende Schatten.

– Fragen? Probleme?

Ein Kuli zerbricht geräuschvoll. Plastikscherben, blaue Zunge. Adina George schaut böse zu ihr hin, aber Leah trägt keine Verantwortung für die Albaner. Sie hat zwar den Mund voller Kulitinte, aber für die Albaner trägt sie keine Verantwortung und auch nicht für die Veruntreuung von Geldern, die eigentlich für ein Frauenhaus in Hackney bestimmt waren. Das fiel in Claire Morgans Zuständigkeitsbereich. Auch wenn Leah eine blaue Zunge hat und einen ach so tollen Abschluss und einen scharfen Ehemann und nichts für ungut, aber für Frauen aus unserer Gemeinschaft, also aus der afrikanisch-karibischen Gemeinschaft, du weißt schon, nichts für ungut, aber wenn wir einen von uns mit einer von euch sehen, dann ist das echt ein Thema. Das muss dir einfach klar sein, das ist echt ein Thema. Nichts für ungut. (Wochenendworkshop Team-Building in Brighton, Hotelbar, 2004.) Was für ein Thema genau, wurde nicht näher ausgeführt. Sweet Love sang Anita Baker, und Adina riss einen Stuhl um bei dem Versuch, die Tanzfläche zu stürmen. Blockierter Kanal.

Leah spuckt sich Plastiksplitter in die Hand. Keine Fragen oder Probleme. Adina seufzt und geht. Der Eifer, mit dem jetzt Akten zugeklappt und Taschen gepackt werden, unterscheidet sich in nichts von dem, als sie alle sechs Jahre alt waren und die Schulklingel ertönte. Vielleicht war das ja das wahre Leben? Leah stellt beide Füße fest auf den Boden und lehnt sich im Stuhl zurück. Drückt sich ab und rollt rüber zum Aktenschrank, und das ist das erfreulichste Ereignis des ganzen Tages. Rums.

– Ey! Scheiße noch mal, Leah! Pass doch auf!

Diese gewaltige Wölbung. Leah hat die Nase an Toris Nabel und registriert, wie sich das Verborgene darin nach außen stülpt, eine körperliche Grenze markiert. Hier kommt nicht weiter, wer Mensch bleiben will.

– Pass halt auf. Kommst du noch mit? Abschiedsdrinks. Hast du die Mail nicht gekriegt?

Versteckt in einem Winkel des Internets, zusammen mit den Kontoauszügen, den Mahnungen für die Studienkreditraten, den Memos der Geschäftsführung, den mütterlichen Ergüssen, an jenem Ort, wo »ungelesen« gleich »nicht vorhanden« ist. Natürlich weiß sie genau, dass die Mail da ist und was darin steht, doch sie flüchtet vor Menschen in Toris Zustand. Sie flüchtet vor sich selbst.

– Ich, Claire, Kelly, Beverley, Shweta. Du bist die Nächste!

Tori zählt die Namen an geschwollenen Fingern ab. Sie ist im letzten Drittel. Ihr Gesicht hat jetzt etwas Löwenhaftes, die Wangen aufgebläht, plötzlich sichtbar. Das Grinsen einer Großkatze. Räuberisch. Leah starrt auf den Daumen, der für sie stehen soll.

– Wir üben noch. So leicht ist das nicht.

– Üben ist eh das Schönste dran.

Ein Raum voller Frauen, und alle lachen. Das geteilte Geheimnis ihres Geschlechts, in das Leah nicht eingeweiht ist. Sie legt die Hände rechts und links an den dicken Bauch und lächelt, in der Hoffnung, dass sich normale Frauen so verhalten, Frauen, für die Üben wirklich das Schönste dran ist und für die der Satz »Du bist die Nächste!« nicht klingt wie der Ruf eines Wärters im düsteren Kerker. Dann legen sie los, die übliche Salve, in der keine Stimme von der anderen zu unterscheiden ist, und Leah legt den Kopf auf den Schreibtisch und schließt die Augen und lässt sie vom Leder ziehen:

Na, vor allem, wenn er so aussieht wie deiner. Und lieb ist er auch noch.

So lieb, dein Miehschell. Echt ein ganz Lieber.

Bev, weißt du noch, wie wir damals bei Leah waren und mein Autofenster nicht mehr ging und Miehschell mit diesem Drahtbügel auf den Knien rumgerutscht ist? Das hat Leon hinterher mindestens EINEN MONAT von mir zu hören gekriegt.

Total feinfühlig ist der. Total familienorientiert.

Jedes Mal, wenn ich überlege: Wo sind sie nur hin, die ganzen guten schwarzen brothers?, dann denk ich mir, entspann dich: immerhin gibt es ja Miehschell.

Ja, bloß sind die alle schon vergeben!

HAHAHAHAHAHAHA   Und zwar an die Weißen!

Jetzt sag doch so was nicht. Leah, sie will dich nur ärgern.

  Hack nicht auf Leah rum! Sie kann doch nichts dafür, dass Leon ein Loser ist.

Leon ist in Ordnung.

(Voll der Loser. ›Leon, was machst du heute Abend?‹ ›Chillen mit den Jungs.‹ Der ist immer nur am ›Chillen‹.)

Leon ist in Ordnung.   Aber im Ernst, du hast schon Glück.

Und ’ne Föhnfrisur kriegt sie noch obendrauf!

Ein Mann, der dir die Haare macht! Ist doch das Paradies auf Erden. Der kann Cornrows, der kann Extensions …

Was soll sie denn mit Cornrows, Kelly? Sie ist doch nicht Bo Derek.

HA! (Nee, Leah, nichts für ungut – sorry, aber das war jetzt echt witzig!)

Ich mein ja nur, er ist Profi. Der kann jede Sorte Haare.

Und hetero ist er auch noch. Aber hallo!

Aber hallo!   Hahaha   Aber hallo.

Ja. (Hoffen wir’s mal!)

Das macht mich ja so fertig! Von allem nur das Beste!

Und du kriegst das einfach so. Du weißt echt nicht, wie gut du’s hast.

Nee, das weiß sie nicht, sie weiß echt nicht, wie gut sie’s hat.

Du weißt nicht, wie gut du’s hast.

Weißt du nicht.   Du weißt echt nicht, wie gut du’s hast.

Endlich fünf. Leah schaut hoch. Kelly schlägt auf ihren Schreibtisch.

– Feieraaabend!

Jeden Tag derselbe Witz. Ein Witz, den man machen kann, wenn man nicht Leah ist, nicht die einzige Weiße im Fondsvertriebsteam. Auf dem Gang strömen Frauen aus allen Zimmern, hinaus in die Hitze, kakaogebuttert, bereit für einen lauen Abend auf der Edgware Road. Von St. Kitts, Trinidad, Barbados, Grenada, Jamaika, aus Indien und Pakistan, vierzig, fünfzig, sechzig und trotzdem noch mit Brüsten und Hintern und glatten Beinen und offenen Armen, mit denen sie die Erotik des Frühsommers auf eine Weise willkommen heißen, wie es die Frauen aus Leahs Familie niemals könnten. Sonne schadet ihnen. Zu rothaarig, zu blass. Leah ist ganz in langes weißes Leinen gehüllt. Wie eine B-Heilige. Sie reiht sich ein. Passiert dabei den Tatort, den Abfalleimer im Pausenraum, versteckt hinter einer Topfpflanze, in den sie sich erbrochen hat, weil sie es nicht mehr bis zum Klo geschafft hat.

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Von A nach B:

A.

Yates Lane, London NW8, Großbritannien

B.

Bartlett Avenue, London NW6, Großbritannien

Wegbeschreibung zu Fuß zur Bartlett Avenue, LondonNW6, Großbritannien

Vorgeschlagene Strecken

A5

47 Min.3,86 Kilometer

A5 und Salusbury Road

50 Min4,02 Kilometer

A404 / Harrow Road

58 Min.4,50 Kilometer

1.

Links in die Yates Lane einbiegen 12 Meter

2.

Weiter nach Südwesten auf die Edgware Road 96 Meter

3.

An der A5 / Edgware Road rechts abbiegen  2,57 Kilometer Weiter auf der A5

4.

An der A4003 / Willesden Lane links abbiegen  1,12 Kilometer

5.

Links in die Bartlett Avenue einbiegen 0,16 Kilometer

Ziel auf der linken Seite

Barlett Avenue, LondonNW6, Großbritannien

Diese Wegbeschreibung dient nur zu Planungszwecken. Es ist möglich, dass die Verkehrsverhältnisse aufgrund von Baustellen, Verkehr, Wetter oder anderen Faktoren von den hier dargestellten Vorschlägen abweichen. Sie sollten daher Ihre Reise entsprechend planen und alle Verkehrsschilder oder Hinweise bezüglich Ihrer Route beachten.

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Von A nach B, Extended Version: