100 x Österreich: Geschichte - Georg Hamann - E-Book

100 x Österreich: Geschichte E-Book

Georg Hamann

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Beschreibung

Eine mitreißende Zeitreise Österreich blickt auf eine faszinierende Geschichte zurück: von der römischen Provinz und einfachen Markgrafschaft wird es wenige Jahrhunderte später zum glanzvollen Zentrum des Heiligen Römischen Reichs und schließlich zum eigenständigen Kaisertum – die Zeit der legendären Donaumonarchie der Jahrhundertwende liefert bis heute Stoff für Geschichten aus der "guten alten Zeit". Doch war diese wirklich immer gut? War Österreich immer Österreich, wie wir es heute kennen? Georg Hamann erzählt in 100 abwechslungsreichen Kapiteln von Menschen, Mächten und Momenten, die das Land zu dem machten, was es ist. Aus dem Inhalt: Pannonia und die Markomannenkriege Der Aufstieg Wiens im Hochmittelalter Rudolf IV. und der Erwerb Tirols Tu felix Austria … die Doppelhochzeit von 1515 Katholizismus und Barock: die "Pietas Austriaca" Hexenverfolgung in Österreich Der "Zwetschkenrummel" – das Innviertel wird Teil Österreichs Die Ära Metternich und das Ende Napoleons Kaiser Franz Joseph – der Beginn einer Ära Gründerzeit und Börsenkrach Die Eisenbahn erobert Österreich Hunger und Not im Ersten Weltkrieg Der Weg in die Shoah Zivilgesellschaft und Protestkultur Österreichs Hymnen als Spiegel ihrer Zeit und viele andere Mit zahlreichen Abbildungen in Farbe und Glossar

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GEORG HAMANN

100 X

ÖSTERREICH

GESCHICHTE

MIT 130 ABBILDUNGEN

Besuchen Sie uns im Internet unter: amalthea.at

© 2021 by Amalthea Signum Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung und Satz: Elisabeth Pirker/OFFBEAT

Umschlagabbildungen sowie Seiten 11, 213 und 214: © iStock.com

Lektorat: Madeleine Pichler, Mitarbeit: Benedikt Stimmer und Pia Thelen

Redaktioneller Hinweis: Wird in diesem Buch das generische Maskulinum verwendet, sind prinzipiell Menschen jedweden Geschlechts gemeint.

Gesetzt aus der Ostrich Sans und Museo Sans

Designed in Austria, printed in Europe

ISBN 978-3-99050-155-9

eISBN 978-3-903217-64-5

INHALT

Einleitung

001 Der erste Staat auf Österreichs Boden: das Regnum Noricum

002 Der Magdalensberg und der zunehmende Einfluss Roms

003 Die Römer erobern den Alpen- und Donauraum – die Provinzen Noricum und Raetia

004 Römische Lebensart und frühes Christentum

005 Pannonia und die Markomannenkriege

006 Die Völkerwanderung

007 Unsichere Zeiten: Zwischen Bayern und Slawen

008 Vom »Ungarnsturm« zu den Babenbergern

009 Leopold der Heilige

010 Zwei Babenberger als Herzöge von Bayern

011 Das Privilegium minus: Österreich wird Herzogtum

012 Die Georgenberger Handfeste: Die Steiermark kommt zu Österreich

013 Der Aufstieg Wiens im Hochmittelalter

014 Das Ende der Babenberger

015 Ottokar Přemysls Glück und Ende

016 Die Habsburger etablieren sich

017 Kärnten fällt an Österreich

018 Judenpogrome im Mittelalter

019 Das Privilegium maius: der erfundene Erzherzogstitel

020 Rudolf IV. und der Erwerb Tirols

021 Krise – Teilung – Bruderkrieg

022 Vorarlberg und die Konflikte mit den Eidgenossen

023 Das »Land ob der Enns« – die Entstehung Oberösterreichs

024 Die Hussitenkriege und die »Wiener Gesera«

025 Friedrich III. und seine Feinde

026 Silber – der Reichtum Tirols

027 Maximilian I. und das Burgundische Erbe

028 Tu felix Austria … die Doppelhochzeit von 1515

029 Die Wiener Universität im Mittelalter

030 Ferdinand I. und der Protestantismus

031 Der Bauernkrieg

032 Die Türken vor Wien

033 Gegenreformation und Klosteroffensive

034 Der Prager Fenstersturz und seine Folgen

035 Der Dreißigjährige Krieg

036 Das jüdische Ghetto Wiens

037 Katholizismus und Barock: die »Pietas Austriaca«

038 Hexenverfolgung in Österreich

039 Die Zweite Türkenbelagerung Wiens

040 Österreichs Aufstieg zur Großmacht

041 Die Disziplinierung der Armen: Zucht- und Arbeitshäuser

042 Karl VI. – der letzte Habsburger

043 Das schwere Erbe Maria Theresias

044 Staatsumbau und Reformen unter Maria Theresia

045 Der lange Weg zur religiösen Toleranz

046 Der »Zwetschkenrummel« – das Innviertel wird Teil Österreichs

047 Der Josephinismus

048 Die Französische Revolution und die Jakobinerverschwörung

049 Der Krieg mit Frankreich und die österreichische Kaiserhymne

050 Zwei Kaiserkronen: der Kaiser von Österreich und das Ende des Heiligen Römischen Reichs

051 Der Tiroler Volksaufstand

052 Die Ära Metternich und das Ende Napoleons

053 Der Wiener Kongress

054 Salzburg wird Teil Österreichs

055 Der Erzberg und die »Eisenwurzen«

056 Europa zwischen Restauration und Heiliger Allianz

057 Vormärz und Zensur

058 Der Weg zur Revolution

059 1848 – Euphorie

060 1848 – Depression

061 Kaiser Franz Joseph – der Beginn einer Ära

062 Der Weg zur konstitutionellen Monarchie

063 Das Debakel von Königgrätz

064 Der »Ausgleich« mit Ungarn: die Gründung der Doppelmonarchie

065 Gründerzeit und Börsenkrach

066 Die »Ringstraßenbarone« und die jüdische Emanzipation

067 Die Eisenbahn erobert Österreich

068 Auf Sommerfrische

069 Der Nationalitätenkonflikt

070 Kronprinz Rudolf – die Hoffnung der Liberalen

071 Victor Adler und die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei

072 Mädchenbildung und Frauenwahlrecht

073 Der Antisemitismus und die Politisierung der Massen

074 Die Wiener Moderne

075 Der Reichsrat

076 Die Annexionskrise von 1908

077 Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges

078 Kaiser Karl und die »Sixtus-Affäre«

079 Hunger und Not im Ersten Weltkrieg

080 Das Ende des Krieges und die Ausrufung der »Republik Deutsch-Österreich«

081 Frieden und Unfrieden nach dem Krieg

082 Das Burgenland wird Teil Österreichs

083 »Rotes« Wien und »schwarzes« Land

084 Vom Justizpalastbrand zur Kanzlerdiktatur

085 Der »Ständestaat«

086 Der »Anschluss«

087 Der Weg in die Shoah

088 Der Zweite Weltkrieg

089 Opfer und Täter

090 Die alliierte Besatzung

091 Wiederaufbau und Staatsvertrag

092 ÖVP, SPÖ und das »Dritte Lager«

093 Die »Südtirol-Frage«

094 Wirtschaftswunder und Proporz

095 Die Ära Kreisky

096 Zivilgesellschaft und Protestkultur

097 Der lange Schatten des Nationalsozialismus

098 Der Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft

099 Österreichs Hymnen als Spiegel ihrer Zeit

100 Der Bindenschild – die Geschichte der Farben Rot-Weiß-Rot

Glossar

Literatur und Quellen (Auswahl)

Bildnachweis

Namenregister

EINLEITUNG

Dieses Buch erzählt aus zweitausend Jahren österreichischer Geschichte, vom keltischen »Regnum Noricum« der vorchristlichen Zeit bis zum Beitritt des Landes zur Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1995. Damit ergibt sich freilich ein erstes, grundlegendes Problem: Während der ersten Hälfte dieser langen Zeitspanne gab es noch gar kein Land namens Österreich und niemand konnte ahnen, dass es dereinst überhaupt existieren würde. Es ist daher präziser, von der Geschichte jenes geografischen Raumes zu sprechen, der zwischen Bodensee im Westen und Neusiedler See im Osten, zwischen der Thaya im Norden und der Drau im Süden liegt.

Dass die Schilderung bei den Kelten und nicht schon früher einsetzt, ist leicht zu erklären. Erstens verfügen wir hier erstmals über zahlreiche zeitgenössische, schriftliche Quellen, die hauptsächlich von ihren südlichen Nachbarn, den Römern, verfasst wurden – und mit dem Aufkommen der Schrift beginnt bekanntlich erst die Geschichte (alles, was sich in den Jahrtausenden zuvor abspielte, ist nämlich Sache der Urgeschichte). Zweitens waren die Kelten deshalb besonders wichtig, weil sie auf heute österreichischem Boden einen ersten Staat bildeten, nämlich das Regnum Noricum, das später von den Römern annektiert wurde.

Nach einem halben Jahrtausend römischer Herrschaft bildete das spätere Österreich weiterhin den Begegnungsraum vieler verschiedener Völker und Kulturen, wenngleich solche Begegnungen nicht immer friedlich verliefen. Auch blieb es – wie einst unter den Römern – fremdbestimmt, denn es war ein Teil des großen Heiligen Römischen Reichs* beziehungsweise, im Fall des Burgenlands, Ungarns.

Als im Jahr 996 »Ostarrichi« erstmals in den Quellen erwähnt wurde, war es nicht mehr als ein kleines Fleckchen Land am äußersten Rand des Reichs, eine Grenzmark, ein reines Anhängsel des Herzogtums Bayern*. Doch unter der Dynastie der Babenberger wuchs es rasch und beständig heran, umfasste bald das gesamte heutige Niederösterreich, dehnte sich ins heutige Oberösterreich aus, wurde zum Herzogtum erhoben und gewann schließlich die Steiermark hinzu. Dass in der Geschichtsschreibung ein Schwerpunkt auf die Entwicklung dieser einst kleinen bayrischen Mark gelegt wird, erscheint durchaus verständlich: Hier nämlich etablierte sich bald das politische Zentrum, das dem späteren Staat seinen Namen geben sollte – Österreich.

Unter den Habsburgern des Mittelalters setzte sich die Erfolgsgeschichte fort, indem Kärnten, Tirol und Vorarlberg gewonnen werden konnten. Die Habsburger, Jahrhunderte hindurch selbst Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, schufen schließlich durch ihre berühmte Heiratspolitik ein Weltreich und etablierten sich ab dem 17. Jahrhundert als europäische Großmacht. Auch die benachbarten Königreiche Böhmen und Ungarn standen unter ihrer Herrschaft. Politische, konfessionelle und nationale Spannungen prägten diese Vielvölkermonarchie und führten dazu, dass sie spätestens im 19. Jahrhundert immer brüchiger wurde, bis sie nach dem Ersten Weltkrieg endgültig auseinanderbrach.

Durch den Friedensvertrag von St. Germain entstand nun Österreich in seinen heutigen Grenzen. Die junge Republik, immer noch erschüttert von den Folgen des verheerenden Weltkrieges, bestand jedoch nur kurz, und auch die faschistische Kanzler-Diktatur, die ihr ein Ende bereitete, war nach wenigen Jahren vorbei. Mit dem »Anschluss« an das nationalsozialistische Deutsche Reich begann ein neues Kapitel, das düsterste und blutigste der österreichischen Geschichte. Noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg sträubten sich viele, ihre Rolle und jene ihrer Landsleute in den Jahren des Nationalsozialismus, des Krieges und der Shoah aufzuarbeiten. Der Mythos von Österreich als »Hitlers erstem Opfer« wurde nach 1945 zu einem tragenden Pfeiler der nationalen Identität und erschwerte eine ernsthafte, selbstkritische Reflexion. Viel lieber wies man auf die unbestreitbaren Erfolge hin, auf den wirtschaftlichen Aufstieg, die politische Stabilität und den kulturellen Reichtum. Tatsächlich entwickelte sich die Zweite Republik zu einem der sichersten und wohlhabendsten Länder der Welt, das nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Zentrum des neuen, zusammenwachsenden Europas lag.

Diese zweitausend Jahre lange Geschichte in hundert kurzen Kapiteln zu schildern, war eine große Herausforderung. Natürlich konnte auf so begrenztem Raum nicht auf sämtliche Aspekte und Themen gleichermaßen eingegangen werden, deren Behandlung für eine umfassende historische Darstellung eigentlich nötig wäre. Dieses Buch bietet daher einen ersten Überblick, wobei (neben manchen »Ausflügen« in die Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte) die politische Geschichte stets im Vordergrund steht. Die Texte sollten dabei nicht durch zu viele Jahreszahlen und Fachbegriffe überladen werden, denn immerhin handelt es sich nicht um nüchterne Lexikoneinträge. Im Idealfall gelingt es diesem Buch, seine Leserinnen und Leser für die spannende Geschichte Österreichs zu begeistern und sie zu ermuntern, sich weiter darin zu vertiefen.

Georg Hamann

im April 2021

* Siehe Glossar, »Heiliges Römisches Reich«. In weiterer Folge mit * versehene Begriffe werden im Glossar näher erläutert.

001

DER ERSTE STAATAUF ÖSTERREICHS BODEN:DAS REGNUM NORICUM

Keltischer Bronzebeschlag, gefunden am Dürrnberg bei Hallein, wo die Kelten bereits seit dem 8. vorchristlichen Jahrhundert siedelten

Ein Staat im heutigen Sinn war es freilich noch nicht, was rund um das Jahr 200 v. Chr. gebildet wurde, aber zumindest ein staatsähnlicher Zusammenschluss mehrerer Fürstentümer, eine lockere Vereinigung keltischer Stämme, von denen jener der Noriker eindeutig der dominierende war. Dieses »Regnum Noricum« stellte den letzten Höhepunkt des Keltentums auf dem europäischen Festland dar, bevor es nach der Übernahme durch Rom aus der Geschichte verschwand. Es umfasste zur Zeit seiner größten Ausdehnung beinahe das gesamte heutige Österreich: Vom Inn reichte es bis auf das Gebiet Ungarns und von der Donau, ja vielleicht sogar von der Thaya im Norden, bis hinab ins heutige Slowenien.

Viele Rätsel, die sich um dieses Reich ranken, werden vermutlich nie gelöst werden, viele Details liegen heute noch im Dunkeln. Obwohl die Kelten eine Schrift hatten, sind wir doch zunächst auf archäologische Funde angewiesen und vor allem auf jene Schilderungen, die von ihren römischen Nachbarn stammen. Diese nannten die Bewohner des Norischen Reichs »galli transalpini«, also »Kelten von jenseits der Alpen«. Von dort war in den 180er-Jahren v. Chr. eine Gruppe von mehreren tausend Menschen in den Raum Aquileia ausgewandert, in der Absicht, sich dort dauerhaft niederzulassen. Die Römische Republik war damit alles andere als glücklich, immerhin hatte man erst kurz zuvor die oberitalienischen Kelten bezwungen und wollte sich nicht gleich wieder mit deren transalpiner Verwandtschaft herumschlagen müssen. Zugleich erwachte aber das Interesse am Land hinter den Bergen. Eine römische Gesandtschaft wurde ins heutige Kärnten geschickt, um Kontakt mit der dort ansässigen norischen Führung aufzunehmen. Es sollte der Beginn einer lange andauernden, respektvollen Beziehung werden, die sich für beide Seiten als Vorteil erwies und letztlich in einen förmlichen Freundschaftsvertrag (ein »hospitium publicum«) mündete.

In erster Linie sorgte das beiderseitige Interesse am Geschäftemachen für ein starkes Band zwischen den Nachbarn. Immerhin lag das Regnum Noricum an zwei der wichtigsten Handelsrouten des Altertums, nämlich der Donau und der Bernsteinstraße, die vom Baltikum in die damals eben erst gegründete römische Provinz Aquileia führte.

Darüber hinaus hatten die Noriker etwas, das für die Römer von unschätzbarem Wert war: hochqualitatives Eisen! Es stammte aus dem heutigen Kärnten, vom Hüttenberger Erzberg, und verfügte – nach fachkundiger Bearbeitung durch norische Schmiede – über so hervorragende Eigenschaften, dass es modernem Stahl in kaum etwas nachstand. Es war hart, aber dennoch nicht zu spröde, und so dauerte es nicht lange, bis ein großer Teil der römischen Schwerter, Lanzenspitzen und Rüstungen aus dem berühmten »Ferrum Noricum«, dem »norischen Eisen«, gefertigt wurde. Das Zentrum der Eisenindustrie und gleichzeitig wichtigster Handelsplatz war eine typische keltische Höhensiedlung am Rande des Kärntner Zollfelds: der über 1000 Meter hohe Magdalensberg.

002

DER MAGDALENSBERG UNDDER ZUNEHMENDE EINFLUSS ROMS

Der geheimnisvolle »Jüngling vom Magdalensberg« (Abguss)

Bislang ist es nicht gelungen, am Kärntner Magdalensberg eindeutige Spuren einer keltischen Siedlung zu finden. Das mag auf den ersten Blick überraschen, denn immerhin befindet sich dort seit 1948 eines der ergiebigsten und bestdokumentierten Ausgrabungsfelder des östlichen Alpenraums. Zwar fand man große Mengen an keltischen Münzen und keltischen Inschriften, doch die Gebäude wurden allesamt von Römern erbaut!

Bereits zur Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. – also wohlgemerkt Jahrzehnte, bevor das Regnum Noricum ins Römische Reich eingegliedert wurde – ließen sich nämlich italische* Geschäftsleute auf dem Magdalensberg nieder und erweiterten die (höchst wahrscheinlich) hier bereits bestehende keltische Siedlung zu einer regelrechten Wirtschaftsmetropole des Altertums. Man darf davon ausgehen, dass es sich dabei um jenes (Alt-) Virunum handelte, das in den antiken Schriften mehrfach erwähnt wird.

Die Römer, präziser gesagt: Unternehmer aus Aquileia, kamen damals noch keineswegs als Eroberer. Sie nutzten bloß die bereits bestehenden ökonomischen Strukturen, bauten sie aus und banden sie zu ihrem eigenen Vorteil in den nun aufblühenden Handel ein. Eine starke militärische Präsenz war gar nicht vonnöten, denn das Zusammenleben mit der ansässigen keltischen Bevölkerung schien vollkommen friedlich zu verlaufen. Diese profitierte immerhin davon, dass die römischen Kaufleute das Geschäft in ihre Hände nahmen, denn den keltischen Produkten wurden damit neue und höchst lukrative Märkte erschlossen. Im Gegenzug kam man in den Genuss von importiertem Wein und Olivenöl aus dem Süden – zumindest, wenn man es sich leisten konnte.

Am Magdalensberg wurde ab jetzt die Produktion von hochwertigem Eisen in ganz großem Stil betrieben, bald kam auch der Handel mit kostbaren Bergkristallen und Messing hinzu. Es ist wahrscheinlich, dass auch Gold, das die Kelten in den Alpen zutage förderten, hier zu Barren gegossen wurde, um dann nach Italien exportiert zu werden. Neben Schmelzöfen, geräumigen Warenlagern, Werkstätten, Kontoren und einer Händlerbörse schufen die Römer auch ein ausgeklügeltes Brunnen- und Kanalsystem, und die erhaltenen Reste der freskengeschmückten Wohnhäuser zeugen noch heute vom behaglichen Wohlstand ihrer Bewohner.

Ein Forum wurde angelegt, ein Badehaus und eine Tempelanlage, in der den römischen Göttern gehuldigt wurde. Mit diesem Tempel ist auch der berühmte »Jüngling vom Magdalensberg« in Verbindung zu bringen, jene Bronzeskulptur, die im ersten vorchristlichen Jahrhundert gegossen wurde und heute (wenn auch nur als Kopie aus der Renaissancezeit) zu den besonderen Schätzen des Kunsthistorischen Museums in Wien zählt. Die Figur gibt allerdings bis heute Rätsel auf und lädt zu Spekulationen ein: Stellt sie einen unbekannten keltischen Helden dar? Zeigt sie Merkur oder Mars oder doch nur einen idealtypischen Athleten?

Der wirtschaftliche Aufschwung und der Kontakt mit den Errungenschaften südlicher Zivilisation brachten wie gesagt große Vorteile mit sich, doch bildete der zunehmende Einfluss Roms auch einen ersten Vorgeschmack auf das, was bald folgen sollte: die politische und militärische Übernahme des Regnum Noricum. Die italischen Kaufleute, die sich am Magdalensberg niederließen, bildeten gewissermaßen die Vorhut. Die Romanisierung des Alpenraums stand bevor.

003

DIE RÖMER EROBERNDEN ALPEN- UND DONAURAUM –DIE PROVINZEN NORICUMUND RAETIA

Mit der Bildung der Provinzen Raetia, Noricum und Pannonia etablierte sich das Römische Reich auch im Ostalpenraum, die Donau war nun Grenze zu den Barbaren.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis das mächtige Rom seine Hände endgültig in Richtung Norden ausstrecken sollte. Zwar hatte sich das Römische Reich bereits die dominierende Stellung im Mittelmeerraum erkämpft, hatte Schlacht um Schlacht gewonnen, Land um Land erobert, doch das Innere des europäischen Festlandes stand noch nicht unter seiner Kontrolle. Zur Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts bezwangen Roms Truppen unter dem Befehl Julius Cäsars ganz Gallien, also das heutige Frankreich. Der Rhein bildete ab nun die heiß umkämpfte Grenze zu den germanischen Stämmen, die nicht müde wurden, den römischen Invasoren erbitterten Widerstand zu leisten. Auch auf dem Balkan, an der unteren Donau, waren die Römer bald präsent. Was jetzt noch fehlte, war das Land dazwischen.

Das keltische Regnum Noricum mit seinen westlich und östlich angrenzenden Gebieten hatte bislang eine Art neutrale Pufferzone zwischen Römern und Germanen gebildet. Unter Cäsars Nachfolger Augustus änderte sich die Situation jedoch grundlegend. Er, der erste römische Kaiser, plante, was zu Zeiten der Römischen Republik nie ernsthaft erwogen worden war: die Eroberung des Alpenraums bis hinauf zur Donau.

Es waren strategische und militärische Überlegungen, die für die Expansion in Richtung Norden sprachen: Die Feldzüge gegen die Germanen benötigten steten Nachschub an Truppen und Versorgungsgütern aller Art. Diesen direkt über die Alpenpässe zu führen anstatt über den Umweg Gallien, schien daher naheliegend. Auch könnte man, so hoffte man in Rom, nördlich des Keltenreichs (also nördlich der Donau) ebenfalls auf germanisches Gebiet vordringen, um dort die widerspenstigen »Barbaren« endlich zu unterwerfen.

Die Aktion war mustergültig koordiniert. Ab dem Jahr 25 v. Chr. wurden zunächst jene keltischen Stämme bezwungen, die in der heutigen Schweiz siedelten, ab 15 v. Chr. folgte dann der Vorstoß über Brenner und Reschenpass an den Bodensee und in den Raum des südlichen Bayerns. In der neu geschaffenen römischen Provinz Raetia lagen somit auch das heutige Vorarlberg und weite Teile Tirols. Römische Soldaten bauten die alten Saumpfade über die Alpen zu bequemen Straßen aus, über die nun Truppen, Post und Handelsgüter schnell und sicher transportiert werden konnten (und an die bis heute viele Meilensteine und die Reste antiker Mautstationen erinnern).

Im keltischen Regnum Noricum stieß die Machtübernahme durch Rom – im Gegensatz zu Raetia – offenbar auf keinen großen Widerstand, zumindest berichtet keiner der antiken Geschichtsschreiber von nennenswerten Auseinandersetzungen. Schließlich war die Beziehung zum südlichen Nachbarn zuvor schon viel zu eng gewesen, zu groß der kulturelle und wirtschaftliche Einfluss Roms, als dass die neue Herrschaft als radikaler Bruch wahrgenommen worden wäre (s. Kap. 002). Darüber hinaus behielt Noricum zunächst weitgehende Autonomie, so lange es nur Roms Oberhoheit anerkannte und Tribut zahlte. Erst um das Jahr 50 n. Chr. wurde es offiziell römische Provinz und die zur gleichen Zeit planmäßig angelegte Stadt Neu-Virunum (bei Maria Saal, Kärnten) Sitz des römischen Statthalters. Das einst so bedeutende Alt-Virunum auf dem Gipfel des Magdalensberges verfiel hingegen zusehends und geriet in Vergessenheit.

004

RÖMISCHE LEBENSARTUND FRÜHES CHRISTENTUM

Ab der Mitte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts wurden zahlreiche Städte, Militärkastelle und Legionslager auf österreichischem Boden gegründet, zumeist anstelle oder in der Nähe bereits bestehender keltischer Siedlungen. Sie reichten von Brigantium (Bregenz) und Aguntum (bei Lienz) über Iuvavum (Salzburg) und Ovilava (Wels) bis Cannabiaca (Zeiselmauer) ganz im Nordosten Noricums beziehungsweise weiter nach Vindobona (Wien) und Carnuntum in der benachbarten Provinz Pannonia.

Obwohl Zivilbeamter, wird der Heilige Florian meist als Soldat dargestellt. Sein Attribut, der Wassereimer, weist auf seine Ertränkung hin, machte ihn später aber zum Patron der Feuerwehr.

Die neuen Städte glichen Abziehbildern Roms im Kleinformat: Man traf einander am Forum oder in der Therme, Gladiatorenkämpfe, Tierhatzen und Theateraufführungen in den Amphitheatern garantierten regelmäßige Unterhaltung, Kanäle und Häuser mit Fußbodenheizung sorgten für alle nur erdenklichen Bequemlichkeiten. Neben Olivenöl und italischem Wein wurde teures Glas und feinste Terra-Sigillata-Keramik importiert. Auch die Mitglieder der keltischen Oberschicht profitierten von den neuen Verhältnissen. Schnell wurde diesen Vermögenden das römische Bürgerrecht verliehen, was sie loyal an den Kaiser band. Gerne übernahmen sie die neue Mode aus dem Süden, vornehme Herren trugen nun die weiße Toga anstatt der traditionellen Hosen, und die aufwendigen Frisuren der Damen orientierten sich ebenfalls am römischen Geschmack.

Eine große Rolle spielte das Militär. Es war nicht nur für die Sicherung der Grenzen und Straßen zuständig, sondern nahm auch entscheidenden Einfluss auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der neuen Provinzen – immerhin wollte der Sold der Legionäre auch ausgegeben werden. Außerhalb der Kastelle entstanden zivile Siedlungen mit Gasthäusern, Geschäften, Handwerksbetrieben und Bordellen. So kam es, dass etwa Vindobona zu seiner Blütezeit rund 30 000 Einwohner hatte, Carnuntum sogar 50 000.

Das »Heidentor« von Carnuntum/Petronell wurde vermutlich Mitte des 4. Jahrhunderts als Triumphbogen errichtet.

Binnen weniger Jahrzehnte festigte sich die neue Herrschaft, wenngleich weiterhin nur ein geringer Teil der Bevölkerung aus »echten« Römern bestand. Das Zusammenleben mit den Kelten und einigen friedlich zugewanderten germanischen Gruppen gestaltete sich offenbar recht harmonisch. Wie so oft zuvor erwiesen sich die Römer als höchst erfolgreich, fremde Länder zu akkulturieren: Sie waren einerseits flexibel, wenn es galt, einheimische Gottheiten in ihr Pantheon zu übernehmen, auf der anderen Seite führten römische Beamte und Soldaten, die zuvor in fernen Weltgegenden gedient hatten, orientalische Kulte aus Syrien, Ägypten oder Persien ein, wie jenen um den Lichtgott Mithras.

Spätestens um das Jahr 300 kam ein weiterer Glaube aus dem Nahen Osten hinzu, der zunächst als jüdische Sekte wahrgenommen wurde: das Christentum. Dieses ließ sich aber bekanntlich nicht in das römische System integrieren, weigerten sich dessen Anhänger doch strikt, andere Gottheiten anzuerkennen und den Kaiser als gottgleich zu verehren. In seinem Bemühen, dem Reich angesichts der zunehmenden Bedrohung von außen wieder zu Stabilität zu verhelfen, befahl Kaiser Diokletian die Zerschlagung der christlichen Gemeinschaften. Es waren die letzten (und blutigsten) Christenverfolgungen der Antike.

In Österreich ist mit ihnen vor allem ein Name verbunden, jener des Florianus. Im Jahr 304 starb der ehemalige römische Beamte für seinen Glauben, als man ihn bei Lauriacum in der Enns ertränkte. Auch wenn diese Geschichte einer harten Quellenkritik kaum standhält, ändert das bis heute nichts an der Popularität des oberösterreichischen Landesheiligen.

005

PANNONIA UNDDIE MARKOMANNENKRIEGE

Marc Aurel überquert auf dem Feldzug gegen Markomannen und Quaden die Donau (oben), das »Regenwunder« (unten). Zeichnung der Reliefs auf der Marc-Aurel-Säule (Piazza Colonna in Rom)

Östlich von Noricum ging es von Anfang an unruhig zu. Nur mühsam eroberten die Römer ab 15 v. Chr. die Gebiete bis hinauf zum ungarischen Donauknie und gründeten die Provinz Pannonia, zu der das heutige Burgenland sowie die östlichen Teile Niederösterreichs und der Steiermark gehörten. Auch von hier wurden Anstrengungen unternommen, das eigentlich gesetzte Ziel zu erreichen: die Unterwerfung von »Germania Magna« im Norden. Das Jahr 9 n. Chr. brachte den Römern jedoch ihre bitterste militärische Niederlage: Im Teutoburger Wald wurden in der berühmten Varusschlacht ganze drei Legionen (rund 20 000 Mann) von den Truppen des Etruskerfürsten Arminius aufgerieben. Es war ein Trauma, von dem sich Rom lange nicht erholte.

In Pannonien arrangierte man sich danach mit den germanischen Nachbarn, hauptsächlich den Quaden und Markomannen, die auf dem Gebiet des heutigen Weinviertels, Mährens und der westlichen Slowakei siedelten. Doch ab Mitte des zweiten Jahrhunderts flammten an mehreren Abschnitten der Grenze Konflikte auf. Markomannen und Quaden überquerten die Donau und fielen plündernd in Pannonien und Noricum ein, manchen Gruppen gelang sogar der Marsch bis nach Oberitalien. Kaiser Marc Aurel holte nun zum militärischen Gegenschlag aus. Ausgangspunkt dafür war Carnuntum, der wichtigste Stützpunkt römischer Macht im heutigen Österreich.

Es wurde ein harter und erbitterter Krieg, viele Jahre lang waren die römischen Truppen damit beschäftigt, die Feinde nördlich der Donau zu bekämpfen. 172 geriet Marc Aurel mit seiner Armee in größte Gefahr, als diese – von den Quaden umzingelt – von jeglicher Wasserversorgung abgeschnitten war. Das »Regenwunder« rettete die Römer. In späterer Zeit entstand die Legende, betende christliche Legionäre hätten für diese göttliche Hilfe gesorgt.

Im Jahr 180 starb der Kaiser (ob, wie oft zu lesen, in Vindobona, ist allerdings umstritten). Sein Sohn Commodus schloss sofort Frieden mit den germanischen Feinden, doch die Phase der Ruhe, die nun folgte, war nicht von Dauer. Gegen Mitte des dritten Jahrhunderts zeigte sich das Römische Reich durch Bürgerkriege und häufige Thronwechsel im Inneren arg geschwächt, was kriegerische Raubzüge durch Goten, Alemannen, Franken und andere Stämme erleichterte. Der Druck auf die Grenzen wuchs gefährlich an.

Entlang der Donau musste der Limes durch neue Wehranlagen und Wachtürme immer weiter verstärkt werden, und mit Lauriacum (bei Enns) entstand ein weiteres bedeutendes Legionslager. Vindobona wurde zu jener Zeit zur Festungsstadt ausgebaut, hinter deren Mauern sich bald auch die Zivilbevölkerung zurückzog. Dass dort plötzlich genug Platz für so viele Menschen war, lag an der großen Verwaltungs- und Heeresreform Kaiser Diokletians. Er musste erkennen, dass die schier unendlich lange Grenze seines Reichs kaum noch mit den vorhandenen Truppen zu schützen war. Er ließ daher die Anzahl der römischen Legionen auf 70 verdoppeln, musste im Gegenzug aber deren Mannstärke dramatisch verringern. Hatte eine Legion bis dahin aus 6000 Soldaten bestanden, waren es ab nun nur noch zwischen 1000 und 2000. Diese Maßnahmen konnten den drohenden Niedergang allenfalls verlangsamen, nicht aber auf Dauer verhindern. Einige Jahrzehnte konnte sich das Römische Reich noch halten, bevor die Völkerwanderung dessen Ende einläutete.

006

DIE VÖLKERWANDERUNG

Das Römische Reich wankte, doch es vergingen noch Generationen, bis es fiel. Wohlgemerkt ist vom Weströmischen Reich die Rede, denn die Herrschaft wurde im Jahr 395 auf zwei Kaiser aufgeteilt, von denen einer in Rom beziehungsweise in der neuen Hauptstadt Ravenna residierte, der andere in Konstantinopel. (Dieser östliche Reichsteil, Byzanz, sollte bekanntlich noch ein weiteres Jahrtausend bestehen, s. Kap. 032.)

Der Heilige Severin von Noricum bekehrt einen barbarischen Krieger.

Damals hatte bereits jener Prozess eingesetzt, den wir heute gemeinhin Völkerwanderung nennen. Das nomadische Reitervolk der Hunnen war während der 370er-Jahre von Osten her an die Ränder Europas vorgestoßen, was die dort sesshaften germanischen Stämme verdrängte und sie zu jahrzehntelangen Wanderungen kreuz und quer durch den Kontinent veranlasste. Es würde zu weit führen, all die Züge der West- und Ostgoten, Langobarden, Vandalen, Sueben, Alemannen und der vielen anderen zu erläutern, die heute allenfalls dem Namen nach bekannt sind. Nur so viel sei gesagt: Auf ihrer Suche nach geschütztem Siedlungsraum oder schneller Beute zogen sie auch durch das heutige Österreich.

Die römische Provinz Pannonia musste 433 an Attilas Hunnen abgetreten werden, der nördliche Teil Noricums (»Ufernoricum«) wurde von den Kaisern in Ravenna immer mehr sich selbst überlassen. Es fehlte an Nachschub und Geld. An die Stelle der einst so schlagkräftigen römischen Armee traten zunehmend die mit Rom verbündeten »foederati«, barbarische Fürsten, die mit ihren Truppen Sicherheit und Ordnung gewährleisten sollten. Das taten sie aber oft recht eigenmächtig und nutzten ihre Stellung zur Schaffung eigener Hoheitsgebiete auf römischem Territorium. Zu ihnen zählten unter anderen die germanischen Rugier, die im Wein- und Waldviertel ein Reich gründeten. Über deren Beziehung zur romanisch-keltischen Bevölkerung wissen wir nicht zuletzt aus der Vita Sancti Severini, der Geschichte des berühmten Severin, der bis zu seinem Tod im Jahr 482 als christlicher Prediger im Donauraum wirkte und bereits zu Lebzeiten wie ein Heiliger verehrt wurde.

Attila, der gefürchtete König der Hunnen, in einer phantasievollen, historisierenden Darstellung aus dem 19. Jahrhundert

In seine Zeit fiel das Ende des Weströmischen Reichs. Der junge, unerfahrene Kaiser Romulus, besser bekannt unter seinem Spottnamen Augustulus (das »Kaiserlein«), wurde 476 entmachtet. Odoaker, ein römischer Offizier germanischer Herkunft, rief sich zum »König von Italien« aus.

Vollkommen auf sich gestellt, blieb den Römern an der Donau nichts anderes übrig, als sich den Rugiern zu unterwerfen. Severin verfügte damals über große Autorität und diplomatisches Geschick, sodass er nicht nur geistlicher Führer war, sondern auch zum politischen Ansprechpartner der Rugier wurde. Erst nach seinem Tod verschlechterte sich die Lage.

Odoaker interessierte sich kaum für das Gebiet an der Donau, er sah es vielmehr, wie der Althistoriker Rajko Bratož schreibt, als »eine Art Sibirien, in das er politische Gegner vertrieb«. Doch als die Rugier vom oströmischen Kaiser gegen ihn, den weströmischen Usurpator, aufgestachelt wurden, nahm er dies 487/88 zum Anlass, gegen sie in den Krieg zu ziehen und deren Reich zu zerschlagen. Er ordnete nun die endgültige Räumung Ufernoricums an. Die verbliebenen Römer zogen in einem großen Treck zurück nach Italien, mit sich führten sie den (wie die Legende sagt, unverwesten) Leichnam Severins, den man in der Nähe von Neapel beisetzte. Fünf Jahrhunderte lang hatte die römische Herrschaft im Alpen- und Donauraum gedauert. Nun standen neue Völker bereit, ihre Nachfolge anzutreten.

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UNSICHERE ZEITEN:ZWISCHEN BAYERN UND SLAWEN

An der Wende von der Antike zum Mittelalter traten in weiten Teilen des heutigen Österreichs erstmals die Slawen auf, die ab nun eine bedeutende Rolle für die Besiedelung des Landes spielen sollten. Woher genau sie stammten, ist bis heute umstritten, vermutlich kamen sie im Gefolge der Awaren nach Mitteleuropa, jenes Reitervolks, das in den 560er-Jahren (so wie einst die Hunnen) ein mächtiges Reich mit Zentrum im benachbarten Pannonien schuf.

Im späten 6. und im 7. Jahrhundert besiedelten die slawischen Gruppen den mittlerweile nur noch spärlich bevölkerten Ostalpenraum. Bis nach Salzburg und Osttirol drangen sie dabei vor, doch als ihr Kerngebiet sind das heutige Kärnten und die Steiermark zu nennen, wo mit Karantanien ein slawisches Fürstentum entstand.

Mit der ansässigen Bevölkerung verlief das Zusammenleben offenbar friedlich, doch die kriegerischen Awaren stellten eine immer größer werdende Gefahr dar. Die Karantanen sahen sich daher um das Jahr 740 gezwungen, ihre westlichen Nachbarn um militärische Hilfe zu bitten: die Bayern. Diese hatten sich damals im Donauraum etabliert und schoben die Grenze ihres Stammesherzogtums immer weiter in Richtung Osten vor, wo ihnen – spätestens an der Enns – ebenfalls die Awaren in die Quere kamen. Bayern-Herzog Odilo versprach also nur zu gerne Unterstützung gegen den gemeinsamen Feind, allerdings hatte die Sache einen Haken: Sobald die Awaren (vorläufig) besiegt waren, verlangte Odilo selbst die Kontrolle über das karantanische Fürstentum.

Der Groll der Slawen gegen die Bayern war entsprechend groß und wuchs sich zu bewaffnetem Widerstand aus, als diese sich nun energisch daranmachten, das bislang heidnische Karantanien mit allen Mitteln zu christianisieren. Viele Jahre vergingen, bevor Odilos Sohn, Tassilo III., den Widerstand brechen konnte.

Die Missionierung lag in den Händen der im frühen 8. Jahrhundert gegründeten Bistümer Regensburg, Passau, Freising und vor allem Salzburg. Tassilo selbst gründete mehrere Benediktinerklöster in seinem Einflussbereich, darunter Mondsee (Oberösterreich), Mattsee (Salzburg), Innichen (Südtirol) und Molzbichl (Kärnten). Am berühmtesten ist wohl das heute noch bestehende Stift im oberösterreichischen Kremsmünster, in dessen Schatzkammer der Tassilokelch aufbewahrt wird, ein einzigartiges Meisterwerk frühmittelalterlicher Sakralkunst.

Tassilo war ein selbstbewusster Herzog, der versuchte, Bayern als eigenständiges Land zu führen. Das brachte ihn freilich in Konflikt mit seinem Cousin, dem König des Fränkischen Reichs* – als Karl der Große ging dieser in die Geschichte ein. Karl entmachtete Tassilo im Jahr 788 und band Bayern eng ans Fränkische Reich. Er ging nun daran, die Gefahr, die immer noch von den Awaren ausging, endgültig zu bannen. Sein glänzender Sieg festigte seine Macht.

Der nach ihm benannte vergoldete Kupferkelch erinnert in Stift Kremsmünster bis heute an dessen Gründer, Bayernherzog Tassilo III.

Auch das Gebiet östlich der Enns fiel nun an Bayern, noch ohne feste Grenzen und ohne fixen Namen. Die Bezeichnung »plaga orientalis« (»Ostland«) war gebräuchlich, später auch »marcha orientalis« (»Mark im Osten«). Es war »Pionierland, wo Abenteurer sich eine recht unabhängige Existenz aufbauen konnten«, wie Walter Pohl schreibt. Freilich war es hier, am äußersten Rand des Frankenreichs, gefährlich. Einerseits gab es Konflikte mit dem benachbarten Großmährischen Reich, andererseits bedrohte wieder einmal ein expansionshungriges Reitervolk aus den Steppen im Osten den Frieden: die Magyaren.

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VOM »UNGARNSTURM«ZU DEN BABENBERGERN

Die weiten Ebenen entlang der Donau luden die magyarischen Reiter geradezu zu Plünderungszügen in Richtung Westen ein. Jahrzehnte hindurch stellten sie die größte Gefahr für die neue Mark des Frankenreichs dar und fügten den Bayern empfindliche Niederlagen zu. In diesem Zusammenhang wurde 881 auch jene damals noch recht unbedeutende Siedlung genannt, die sich auf den Resten des römischen Vindobona gebildet hatte: »Ad Weniam«, also »bei Wien« (oder »dem Wienfluss«), lieferten die Magyaren den Bayern eine heftige Schlacht.

905 zerschlugen sie das benachbarte Großmährische Reich und nach einem vernichtenden Sieg über die bayrische Armee bei Pressburg (907) kontrollierten sie das Donauland bis zur Enns. Die bislang zügig voranschreitende Besiedelung der »marcha orientalis« war dadurch fürs Erste unterbrochen, und es schien, als würden die Magyaren mit ihren Raubzügen bis nach Thüringen und ins Elsass das gesamte Gefüge des Frankenreichs ins Wanken bringen. Erst im Jahr 955 mussten sie sich in der berühmten Schlacht auf dem Lechfeld (bei Augsburg) geschlagen geben. Östlich der Leitha wurden sie nun unter dem Namen Ungarn sesshaft, wenngleich sie dem werdenden Österreich weiterhin recht unruhige Nachbarn waren.

Die »marcha orientalis« konnte jetzt neu errichtet werden. Kaiser Otto II. übertrug im Jahr 976 das Land beiderseits der Donau einem loyalen Gefolgsmann namens Luitpold (Leopold, ca. 940–994). Dieser entstammte jener angesehenen bayrischen Familie, die wir heute als Babenberger kennen.

Luitpolds Residenz war zunächst Pöchlarn, später Melk. Von hier aus regierte er ein Gebiet, das damals höchstens 30 000 Einwohner zählte und nur über ein einziges Kloster verfügte, nämlich St. Hippolyt (dem St. Pölten seinen Namen verdankt). Doch bald schon erschlossen sich durch Rodung der dichten Wälder neue fruchtbare Siedlungsflächen und schrittweise gelang es den frühen Babenbergern, ihre Mark zu vergrößern: nach Norden zur Thaya, nach Osten in den Wienerwald und an March und Leitha. Passauer und Salzburger Bischöfe gründeten zahlreiche Kirchen, um den christlichen Glauben im Land zu verankern, und auch das Bistum Freising betätigte sich an der Kolonisierung und Missionierung des Landes.

Mit Freising verbinden wir heute eine Urkunde, deren Inhalt für sich genommen zwar keine große Bedeutung hatte, die aber dennoch zu den berühmtesten Dokumenten der österreichischen Geschichte zählt: Im Jahr 996 schenkte Kaiser Otto III. dem Freisinger Bischof das Gebiet rund um »Niuvanhova« (Neuhofen an der Ybbs). Es lag »in regione vulgari vocabulo ostarrichi dicitur«, also »im Land, das im Volksmund Ostarrichi genannt« wurde. Es war somit die erste schriftliche Erwähnung Österreichs, wobei sich dieses einfach als »Gebiet im Osten« übersetzen lässt. Die lateinische Version »Austria« tauchte erstmals 150 Jahre später in den Quellen auf.

Der Babenberger Luitpold rettete der Sage nach Kaiser Otto dem Großen bei der Bärenjagd das Leben und wurde zum Dank dafür mit Ostarrichi belehnt.

Die Nachkommen Luitpolds sollten knapp drei Jahrhunderte lang das Kernland des heutigen Österreichs regieren. Geschickt verstanden sie es, ihre Mark zu vergrößern, sie um die Steiermark zu erweitern und die Umwandlung in ein Herzogtum zu erreichen. Am wichtigsten war jedoch, was Christian Lackner mit Berufung auf Quellen aus dem 12. Jahrhundert schreibt, nämlich dass es unter den Babenbergern zu einem »ausgeprägten eigenständigen Bewusstsein« kam, zu »einer Identität, die nicht mehr die bayerische ist, sondern die des Ostlandes«.

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LEOPOLD DER HEILIGE

Der Legende nach fand Markgraf Leopold III. auf der Jagd den unversehrten Schleier seiner Gemahlin und gründete an jener Stelle Stift Klosterneuburg.

Der 1485 heiliggesprochene Leopold III. (1073–1136) ist vermutlich der Populärste unter den Babenbergern. Vor allem im Osten des Landes kennt ihn jedes Schulkind, wird doch der Todestag des niederösterreichischen Landespatrons, der 15. November, mit dem Leopoldifest noch heute groß gefeiert.