111 Gründe, die Formel 1 zu lieben - Chris Trautmann - E-Book

111 Gründe, die Formel 1 zu lieben E-Book

Chris Trautmann

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Beschreibung

Die Königsklasse des Motorsports fasziniert Menschen weltweit. Die Rennen werden am Fernsehgerät von 500 Millionen Zuschauern verfolgt. Warum? Weil die Formel 1 wie die Rolling Stones ist – es gibt die charismatischen Stars, die Girls, den Sound, die Drogen, die unvergessenen Auftritte. Und sie erfindet sich ständig neu. Nach drohender Pleite und Krisen kommt sie stärker, bunter, lauter, schneller und besser denn je zurück. Die Formel 1 veranstaltet jedes Jahr eine Welttournee. Ein Milliardengeschäft, ein gigantischer Zirkus, ein Hightech-Feuerwerk. Das Balancieren am Limit schreibt jede Menge wilde Geschichten – von der im Rennen wegflutschenden Radmutter bis zum Lieblingsfrühstück großer Legenden ('Sex: Breakfast of Champions'). Der Mensch hat das Rad erfunden, um Rennen zu fahren. Aber Geschwindigkeit allein macht den Reiz der Formel 1 nicht aus. Es ist viel mehr, und es hat mit dem Tod ebenso zu tun wie mit einer Lust am Wahnsinn und der Suche nach Wahrhaftigkeit. In 111 Kapiteln erzählt der Autor, was ihn an der Formel 1 so begeistert. Er hat Fakten und Anekdoten zusammengetragen, die eine bunte, abenteuerliche Geschichte ergeben von tollkühnen Männern (hauptsächlich) in manchmal fliegenden Kisten. Es wird erklärt, warum Boxenluder ebenso vom Aussterben bedroht sind wie Auslaufzonen, und warum einige Fahrer den Zweikampf auf der Piste mit den Fäusten austrugen. Es sind Geschichten von denen, die auszogen, den Ritt auf der Kanonenkugel zu beherrschen, und die zur Legende wurden – oder im Duell Rad an Rad ihr Leben ließen. Nichts wird hier beschönigt oder verherrlicht, aber jede Zeile ist getragen von der Liebe zu diesen verrückten Helden, modernen Rittern in feuerfester Rüstung auf Kohlefasersätteln, und der Faszination, die ihre Hightech-Raserei ausüben kann auf den, der weiß, wie viel Spaß die sportlich kultivierte Unvernunft macht.

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Chris Trautmann

111 Gründe, die FORMEL 1 zu lieben

Eine Hommage an den schnellsten Sport der Welt

VORWORT

GELIEBTE FORMEL 1

Ich ignoriere ihn, den sporadischen Anti-Argumente-Hagel gegen die Formel 1. Weil es immer die gleichen sind, die ihn losbrechen lassen. Und es immer das gleiche ist, was sie stört: die Idiotie des Kreisfahrens, die überflüssige Umweltverschmutzung oder das Animieren des Bleifußes. Denn ich liebe die Formel 1 und war schon in frühester Kindheit fasziniert.

Woher das kommt? Es könnte damit zu tun haben, dass es unter meinen Vorfahren einen recht erfolgreichen Hobbyrennfahrer gab. Als Kind begegnete ich ihm ein einziges Mal und war von seiner Erscheinung und dem Auftreten sofort begeistert, wenngleich auch etwas eingeschüchtert.

Mit diesem großen, weißhaarigen Mann gingen wir im Dorf spazieren, und irgendeiner der Erwachsenen referierte hin und wieder über eine der unbedeutenden dörflichen Sehenswürdigkeiten. Man flanierte und redete, der Großonkel führte einen Spazierstock mit sich und trug einen langen grauen Wollmantel. Er wirkte adelig, herrschaftlich und sprach mit leiser, ruhiger Stimme. Am Ende seines Besuches strich er mir über den Kopf und drückte mir zehn Mark in die Hand. Ich traute mich kaum, ihn anzusprechen, so sehr beeindruckte mich seine Art. Stattdessen starrte ich ihn nur an und staunte leise in mich hinein. Denn ich musste dauernd daran denken, dass er ja mal Rennfahrer gewesen war. Sein elegantes Verhalten ließ demnach auf Siege schließen. Ich grübelte fasziniert, welche aufregenden Geschichten er wohl erzählen würde, wenn ich mich nur überwinden würde, ihn zu fragen. Konnte ich aber nicht, denn ich war mehr oder weniger in Ehrfurcht erstarrt. Ich sah ihn in einem Silberpfeil, einem Alfa Romeo oder Bugatti, mit Lederkappe und Brille. Ein echter Rennfahrer, in meiner Familie!

Die Fragen, die ich ihm hätte stellen müssen, fielen mir erst Jahre später ein. Ich habe auch nie recherchiert, was es mit seiner Rennfahrervergangenheit tatsächlich auf sich hatte. Die Wahrheit interessierte mich letztlich nicht mehr. Es war gut, ihn so in Erinnerung zu behalten, wie ich ihn bei unserem einzigen Zusammentreffen erlebt habe, und ihn in meiner Fantasie zu einem der Helden jener Zeit werden zu lassen, als die Welt noch schwarz-weiß war und die Silberpfeile in den Himmel schossen …

Chris Trautmann

I.

HELDEN

Jede gute Geschichte braucht sie. Sie können, was wir nie können werden. Sie verkörpern unsere Hoffnungen und Träume. Sie fallen und stehen wieder auf, um zu siegen. Oder sie sterben den Heldentod.

1.

Weil heute keine Ritterturniere mehr ausgetragen werden

Als Kind liebte ich Ritterfilme, und in diesen Ritterfilmen am meisten die Turniere, bei denen die Teilnehmer auf Pferden und in ihren Rüstungen aufeinander zu ritten, mit gestreckter Lanze, um sich gegenseitig aus dem Sattel zu hauen. Diese Rüstungen waren cool, und am coolsten war das Herunterklappen der Visiere, das die Bereitschaft zum Kampf signalisierte. Selbst als Kind sah man, dass es der reinste Wahnsinn war, was diese Typen da allein zur Belustigung des Publikums auf den Rängen entlang der Kampfbahn veranstalteten. Auf die Pferde schafften es die Ritter jedoch nur mithilfe ihrer Assistenten, die außerdem ihre Rüstung in Schuss hielten, ihnen beim Anlegen derselben halfen, das Pferd versorgten, an der Strategie feilten und Informationen über den Gegner lieferten. Der Ritter musste wissen, wo der andere verwundbar war, welche Schwächen er hatte und wie es um die Kondition seines Pferdes stand. Dann wurden sie von ihrem Knappen an den Start gebracht, und das war der Moment, in dem der Ritter das Visier seines Helms herunterklappte, die Sekunden vor dem Start. Fanfaren wurden geblasen, Fahnen wehten, holde Maiden und arrogante Burgherren schauten zu.

Ich konnte von diesem Spektakel nicht genug bekommen, vor allem aber liebte ich dieses Getue um die Rüstung, den Anblick der Ritter in der Rüstung, die Momente vor dem Signal zum Angriff, und dann wie die beiden Gegner losgaloppierten, mit erhobener Lanze (Phallussymbol, schon klar), und es krachen ließen. Einer flog aus dem Sattel, die Lanze zersplitterte an der Eisenrüstung, das Pferd stürzte, das Publikum schrie entflammt …

Das Herunterklappen der Helmvisiere in alter Rittermanier ist bei den Formel-1-Piloten noch heute das Zeichen, dass es ernst wird. Jedes Mal steigt dann ein bisschen von der kindlichen Sehnsucht nach Ritterabenteuern in mir auf.

Das mit den Rittern ist natürlich inzwischen weit weg. Aber ich stelle mir vor, allein im Cockpit zu sitzen, hoch konzentriert, selbst das Visier herunterzuklappen und es mit dem Rest des Feldes aufzunehmen. Es geht darum, den Start nicht zu verhauen, um jeden Preis auf der Piste zu bleiben, gut wegzukommen, den Nebenmann notfalls abzudrängen und gleichzeitig höllisch aufzupassen, dass man selbst nicht abgeschossen wird. Und das alles innerhalb von vier Sekunden. Dann ist die heikelste Phase schon gelaufen, was nicht heißt, dass dieser Wahnsinn vorbei wäre. Er fängt allerdings an diesem Punkt auch nicht erst an. Der unterhaltsame Irrsinn Formel 1, der heute Hunderte Millionen Menschen weltweit begeistert und bis in die einsamsten Beduinenzelte in der Wüste übertragen wird, ging schon ein bisschen früher los, ziemlich genau mit der Erfindung des Rades vor ein paar Tausend Jahren. Auf Tempo an sich musste es dem Menschen ja schon immer angekommen sein, sonst hätte ihn der Säbelzahntiger erwischt. Aber mit dem Rad kam der Spaß ins Spiel, man musste nur noch ein Chassis drumherum- und einen Motor einbauen …

2.

Weil der »Iceman« wirklich cool ist

Von 2001 bis 2009 startete der Finne Kimi Räikkönen in der Formel 1 und gewann dort 2007 als dritter Finne nach Keke Rosberg und Mika Häkkinen die Weltmeisterschaft. Dann stieg er nach zwei weiteren frustrierenden, weil erfolglosen, Ferrari-Jahren aus und fuhr mit mäßigem Erfolg Rallyes. Immerhin blieb er trotz einiger Unfälle, im Gegensatz zu seinem Kollegen Robert Kubica, von schlimmen, die Karriere bedrohenden Verletzungen verschont.

Im Jahr 2012 kam er nach Verhandlungen mit Williams und Lotus zurück in die Formel 1 – und wie. Wortkarg wie eh und je und, zur großen Überraschung aller, schneller denn je. Vor seinem Comeback hieß es sogar aus Expertenkreisen, Kimi würde sich schwer tun, falls er überhaupt konkurrenzfähig sei, er nehme die Sache nicht ernst genug. Er hatte den Ruf eines eher trainingsfaulen, trinkfreudigen und Zigaretten qualmenden Partylöwen, der in den Fußstapfen des legendären James Hunt wandelt.

Was er dann für das Lotus-Team ablieferte, sprach eine ganz andere Sprache: mit 207 Punkten Dritter in der Gesamtwertung, drei dritte Plätze, dreimal Zweiter und ein Sieg – den ersten auch für das Lotus-Team, den unbedingt Romain Grosjean einfahren wollte (was diesen im Lauf der Saison zu halsbrecherischen Manövern verleitete, die mehrfach zu heftigen Unfällen führten, die ihm in der zweiten Saisonhälfte sogar eine Sperre für ein Rennen einbrachten; siehe Grund Nr. 46).

Kimi ließ das alles kalt, die feurigen Ambitionen seines jüngeren und schon vorher als sehr schnell gepriesenen Teamkollegen, die Pressekonferenzen, die Fragen der berühmten Veteranen auf dem Podest nach der Siegerehrung, der ganze Rummel. Sein Erfolg ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass niemand bei Lotus ihn hinsichtlich seiner Medienpräsenz, seines Lebenswandels oder seiner kühlen, dauerdistanzierten Art, die ihm den Spitznamen »Iceman« eingebracht hat (den er sich in stilisiertem Schriftzug auf den Helm kleben ließ), unter Druck setzte. Man wusste, wen man sich da ins Team holte, sowohl was das sportliche Potenzial angeht, als auch was die Marotten betrifft. Kimi liebt es, Rennen zu fahren, und er hasst die Presse. Also schickt man ihn nicht öfter vor die Kameras, als unbedingt nötig, schaut nicht hin, ob oder wie viel Wodka er gerade zu welchem Anlass trinkt, und kümmert sich nicht um die Gerüchte, er sei der einzige Raucher im Fahrerfeld und qualme wie ein Schlot.

Einzig der Boxenfunk vermochte ihn in seiner Comeback-Saison aus der Reserve zu locken. Auf die Aufforderung seines Renningenieurs während einer Safety-Car-Phase beim Großen Preis von Abu Dhabi im Jahr 2012, den er letztlich gewann, doch bitte alle vier Reifen auf Temperatur zu halten (»Keep working all four tires.«), antwortete er mit einem extrem genervten »Yes, yes, yes. I’m doing all the time. You don’t have to remind every second.« – sehr zur Freude der RTL-Kommentatoren und vieler Zuschauer, die den »Iceman« längst ob seiner ehrlichen Verschrobenheit ins Herz geschlossen haben.

Zusammen mit Michael Schumacher hält Kimi Räikkönen übrigens den Rekord an schnellsten Rennrunden innerhalb einer Saison: Es waren zehn! Kimi schaffte das gleich zweimal.

Zuzutrauen ist ihm immer noch alles. Und auch, wenn er mich manchmal ein kleines bisschen an den US-Komiker W. C. Fields erinnert, bin ich ziemlich fest davon überzeugt, dass er nicht stärker über die Stränge schlägt als irgendwer sonst, der gern ein bisschen Spaß hat. Er mag vielleicht Partys (Wild oder nicht, was spielt das für eine Rolle? Und ab wann ist eigentlich eine Party wild?), und wenn man als Weltberühmtheit schon mal betrunken vom Deck einer Luxusjacht plumpst, kann es eben passieren, dass man dabei gefilmt wird und seinen Ruf endgültig weg hat.

Nach der Saison 2012, die er als WM-Dritter beendete, hat er jedenfalls auch den letzten Zweifler verstummen lassen. Beim Publikum kommt er, wie gesagt, schon länger gut an, vielleicht, da man seine einsilbige Art als interessanten Kontrast zum allgemeinen Geschwätz empfindet.

2013 siegte er gleich im Auftaktrennen in Melbourne und legte drei zweite Plätze in China, Bahrain und Spanien nach.

SEINE BISHERIGE STATISTIK

•Starts: 193

•Siege: 20

•Polepositions: 16

•Schnellste Runden: 39

•WM-Titel: 2007 mit Ferrari

3.

Weil Michael nicht nur ein langes Kinn, sondern auch sieben Balken hat

Und das (mit den sieben Balken) kam so: Ein kleiner Junge fuhr mit einem Kettcar, das der Vater mit einem Mofamotor versehen hatte, auf einer Kartbahn in der Nachbarschaft Runde um Runde. Alle lachten natürlich über ihn, weil er gar kein richtiges Kart besaß, sondern nur dieses umgebaute Kinderspielzeug. Aus Frust übte er vor allem im Regen, weil dann weniger Betrieb herrschte und die Unterlegenheit seines Gefährts nicht so auffiel.

Der Junge ist fünf Jahre alt, als er seinen ersten Rennbahnsieg einfährt – die einsamen Übungsstunden zahlen sich da schon aus. Er fährt und schraubt und schraubt und fährt. Die Eltern werden Pächter einer Kartbahn, Leute mit Geld werden auf das Talent des Kleinen aufmerksam, und so springt bald ein echtes Rennkart für ihn heraus. Mit diesem Kart rast er der oft deutlich älteren und eigentlich erfahreneren Konkurrenz davon.

Es geht weiter, weil der Junge schnell ist, Glück hat und Sponsoren ihn finden, die eine erfolgreiche Investition wittern. Er fährt Formel 3 und wird 1989 punktgleich mit einem gewissen Heinz-Harald Frentzen Zweiter – hinter Karl Wendlinger, dem Sieger der Meisterschaft in diesem Jahr. Die drei blieben fortan zusammen, wenn auch nicht unbedingt als Freunde, sondern als Konkurrenten auf der Piste. Zunächst fuhren sie sogenannte Sportprototypen, Autos mit einer Leistung von über 900 PS und schnell wie Formel-1-Wagen. Die Luft wurde bereits dünner, es gab andere Fahrer, die sauschnell waren.

Und wieder hatte er Glück: Dank einer Bürgschaft von Mercedes durfte er sich bei Testfahrten in Silverstone in einem F1-Boliden beweisen. Eine ins Kapitel Kurioses gehörende Geschichte sicherte ihm schließlich einen Start im ersten Formel-1-Rennen, da der Stammfahrer des Jordan-Teams, Bertrand Gachot, nach einem Streit mit einem englischen Taxifahrer, in dessen Verlauf er, Gachot, Reizgas zum Einsatz brachte, im Gefängnis saß. So ersetzte Schumacher Gachot in Spa-Francorchamps.

Nach einem für Staunen sorgenden 7. Platz im Qualifying fiel Schumacher im Rennen schon nach 500 Metern mit Kupplungsschaden aus. Trotzdem schaffte er das Kunststück, zwei bis dahin noch gefürchtete Kontrahenten zu überholen, und die Telemetriedaten (zur Kontrolle per Funk vom Rennwagen an die Box übertragene Messdaten) bewiesen, dass er wohl tatsächlich nicht nur Formel-1-tauglich war, sondern mit einem heilen Auto möglicherweise irgendwann ganz vorne mitfahren würde. Nur ein Rennen später wechselte er zum Benetton-Team und gewann dort 1992 sein erstes Formel-1-Rennen, im belgischen Spa-Francorchamps.

Es folgen weitere Siege, die in zwei Weltmeistertiteln mit Benetton gipfeln, von denen der erste ein bisschen unrühmlich durch eine Kollision mit Damon Hill im letzten Rennen der Saison 1996 zustande kam.

Es blieb nicht der einzige Ärger. Wegen einer zu dünnen Holzplatte, die laut Reglement unter die Autos geschraubt werden musste, wurde Schumacher nach dem Rennen in Spa 1994 disqualifiziert.

Man muss sich diesen Anachronismus einmal vor Augen führen: Die Millionen teuren Rennwagen aus allermodernstem Hightech-Material, in Labors entworfen und in Fabriken gebaut, die so staubfrei und sauber sind, dass man in ihnen nicht mal essen möchte – wenn essen dort erlaubt wäre –, diese Rennwagen, Raketen auf vier Rädern, brauchten zum sicheren Funktionieren eine gewöhnliche Holzplatte, die man an ihren Unterboden schraubte. Dadurch wurde der Anpressdruck erhöht beziehungsweise ausreichend gewährleistet. Durch das Aufsetzen in Senken und auf Bodenwellen schliff die Platte im Laufe eines Rennens jedoch ab. Sie durfte aber nicht dünner sein als vom Regelwerk vorgeschriebenen. Schumacher passierte es, dass beim Nachmessen im Anschluss an das Rennen in Spa 1994 ein paar Millimeter fehlten. Sofort riefen einige »Betrug!«, obwohl die Platte wahrscheinlich einfach durch Schumachers Fahrstil mehr gelitten hatte als bei anderen Fahrern.

Michael Schumacher wollte nicht bloß Rennen, sondern Titel gewinnen, und da darf man in der ohnehin harten Formel 1 nicht zimperlich sein. Und das war Schumi auch nie, weshalb mit zunehmendem Erfolg auch das Zustandekommen desselben infrage gestellt wurde. Es gab zweifelhafte Teamorders in seiner Zeit bei Ferrari. der Rammstoß gegen Jacques Villeneuve, der Schumachers Image ramponierte und Villeneuves Selbstmitleid bis heute am Köcheln hält, und die Gerüchte über den Einsatz der Traktionskontrolle nach dem Verbot derselben.

Ja, Schumacher hat ausgeteilt und nicht nur den Wagen im Grenzbereich bewegt. Aber er hat auch viel einstecken müssen – Niederlagen, zerplatzte Hoffnungen, Anfeindungen, Hass, Neid, Rückschläge. Das gehört zum Job. In den Reifenstapel rasen, sich das Bein brechen und den Rest der Saison zugucken, wie die anderen ins Ziel fahren und es wieder nichts wird mit dem Weltmeistertitel; oder eine Million Dollar zahlen müssen für eine verlegene, faire Geste nach einem durch Teamorder zustande gekommenen Sieg im österreichischen Spielberg, bei dem Kollege Rubens Barrichello ihn in der letzten Runde vorbeilassen musste.

Auf den ersten Blick verlief seine Karriere rasant, aber sie begann nicht im Formel-1-Auto, sondern in einem umgebauten Kettcar mit Mofamotor, als Klein Schumi erst vier Jahre alt war. Er ist der erfolgreichste Formel-1-Fahrer aller Zeiten, seine Statistiken sprechen für sich, und wer ein bisschen weiß, worum es in der Formel 1 geht, der wird das schon entsprechend imponierend finden.

Wie belastend der Job ist, davon konnte man zumindest eine Ahnung bekommen, als Schumacher nach dem Sieg in Monza im Jahr 2000 darauf angesprochen wurde, dass er nun den Rekord von Ayrton Senna eingestellt habe: Zur Überraschung aller brach der Sieger in Tränen aus und kriegte sich nur schwer wieder ein. Mit gesenktem Haupt saß er da und schluchzte. Der enorme Druck, unter dem er in den vergangenen Jahren gestanden hatte und über den er nie auch nur ein Wort verlieren durfte oder konnte, wurde für einen kurzen Moment sichtbar. Und was passierte? Schumacher, der den Italienern stets kühl bis arrogant erschienen war, flogen die Herzen der Ferraristi zu, und auch in der restlichen Formel-1-interessierten Welt brachte ihm das Sympathien ein. Und für sieben Mal Weltmeister werden gibt es in der Formel 1 (allerdings nicht offiziell) sieben Balken auf der Kappe.

Hier noch mal schnell zur Erinnerung die wichtigsten Statistikdaten des Formel-1-Maestros Michael Schumacher: 91 Rennsiege in 307 Formel-1-Rennen, 68 Polepositions und 77 schnellste Rennrunden.

Schumacher selbst hat seine Erfolge übrigens im Vergleich zu denen eines Juan Manuel Fangio immer ein bisschen relativiert, mit dem Verweis auf das deutlich höhere Risiko damals und die nicht nur wegen der Dauer strapaziöseren Rennen. Ist das Bescheidenheit? Realismus? Die Antwort auf diese Frage ist nicht wichtig, denn was immer manch einer über ihn denken mag, Michael Schumacher ist eins ganz sicher nie gewesen: größenwahnsinnig oder auch nur abgehoben. Allerdings ist das nicht allein auf seine gute Erziehung und seine Charakterstärke zurückzuführen, sondern auf die Gnadenlosigkeit des Rennfahrens. Wer nicht genug Demut und Respekt mitbringt, der ist schnell wieder weg vom Fenster, falls er es überhaupt bis in die Königsklasse des Motorsports schafft. Geschwindigkeit allein zählt dort nämlich nicht.

4.

Weil sie das Reich des »Dreherkönigs« ist

… besser gesagt: war. Anwärter auf diesen Titel gibt es zwar immer wieder, doch der »Dreherkönig« bleibt unerreicht und hat längst abgedankt: Ukyō Katayama, der japanische Rennfahrer, der in den 90ern in der Formel 1 antrat und es fertigbrachte, sich (gefühlt) in fast jeder Runde – egal ob Training, Qualifying oder Rennen – mit seinem Wagen zu drehen oder von der Strecke zu kreiseln. Woran lag es? Sicher nicht am mangelnden Talent, das er schon in der Formel 3000 unter Beweis gestellt hatte, wo er auf einen gewissen Michael Schumacher traf. Diese Rennserie gewann Katayama, nicht der spätere Rekordweltmeister.

In der Formel 1 klappte es dann nicht mehr so gut. Vielleicht kam er mit der Kanonenkugelbeschleunigung eines Formel-1-Boliden schwer zurecht – es schien, als sei er immer wieder aufs Neue überrascht davon, was ein beherzter Tritt aufs Gaspedal aus einem solchen Fahrzeug macht – ein außer Kontrolle geratenes Geschoss nämlich. Man darf einfach nicht den kleinsten Fehler begehen. Ukyō Katayama passierten solche Sachen ständig, und wenn er Glück hatte – was meistens der Fall war –, konnte er weiterfahren, dem Feld hinterher.

Spott gab es nicht nur von den deutschen RTL-Kommentatoren Heiko Wasser und Christian Danner, die ihn den »Dreherkönig« tauften. Katayama wurde zu einer Art Running Gag. Zeigte die Kamera während eines Rennens ein stehendes Fahrzeug, quer zur Piste, zur Fahrtrichtung, zu allem, was die anderen gerade machten, konnte man sicher sein, dass es sich dabei um Ukyō Katayama handelte. Die anderen fuhren Rennen und kämpften verbissen um die Plätze. Der Japaner kämpfte mit dem Auto und versuchte, heil durch die Kurven zu kommen. Oft genug vergeblich. Dafür wurde sein Name häufiger genannt, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, als er wahrscheinlich am Beginn seiner Karriere geahnt hatte. Man kann eben nicht alles haben.

Katayama fuhr während seiner gesamten Formel-1-Karriere, die von 1992 bis 1997 dauerte, in insgesamt 95 Rennen kein einziges Mal aufs Podium. Überflüssig zu erwähnen, dass er auch keine schnellsten Rennrunden fuhr oder gar die Poleposition besetzte. Dabei war es sein größter Wunsch, einmal ein Formel-1-Rennen zu gewinnen. Doch das schaffte er, wie viele andere vor und nach ihm, nicht. Manchmal muss man sich eben kleine Ziele stecken. Sich Runde für Runde vornehmen, keinen Dreher zu fabrizieren und hoffen, dass ein Platz vorn oder ganz vorn dabei herausspringt.

Spektakulär waren Katayamas Ausritte selten, bis auf den in Estoril im Jahr 1995. Da zerlegte er den Tyrrell-Yamaha und sich gleich richtig. Beim Start kollidierte der vom 16. Platz ins Rennen gehende Katayama mit dem Wagen Luca Badoers so unglücklich, dass er abhob und, sich in der Luft drehend, gegen die Leitplanken krachte, sich überschlug und zurück auf die Strecke kreiselte. Das zog den sofortigen Rennabbruch nach sich und ein Spektakel, das kein Formel-1-Fan wirklich mag.

Klar sind Dreher, Ausrutscher ins Kiesbett und in die Leitplanken krachende Rennautos ein faszinierender Anblick, und wer das bestreitet, lügt. Aber wessen Herz diesem verrückten Sport gehört, der leidet in dem Augenblick, in dem Rettungshubschrauber und Rennstrecken-Ärzte zum Einsatz kommen (damals noch der legendäre Eric Sidney Watkins, »Professor Sid«, der 2012 in die ewigen Jagdgründe einging). Niemand will verletzte Rennfahrer oder Zuschauer oder Streckenposten sehen.

Eine Schar Helfer und Rettungskräfte versammelte sich um den aus dem völlig zerstörten Rennwagen geborgenen Japaner und begann mit der notärztlichen Versorgung des Bewusstlosen. Dramatische Bilder folgten, aber zum Glück überlebte Katayama mit vergleichsweise harmlosen Blessuren.

Hatte Ukyō den Spottnamen »Dreherkönig« wirklich verdient? Genau genommen war er, gemessen an seinen bis dahin in der Formel 1 aufgetretenen und wieder verschwundenen Landsleuten, sogar recht erfolgreich. Fakt ist aber auch, dass er in einer Saison bei 16 WM-Läufen nur vier Mal ins Ziel kam, woran allerdings auch sieben technische Ausfälle schuld waren. 1995 erreichte die Ausfallquote ihren Zenit, da schaffte er es in zwölf von 16 Rennen nicht, die Karre über die Ziellinie zu bringen. Dunkler Tiefpunkt dieser vollkommen verkorksten Saison war dann der besagte Startunfall in Estoril.

Ich erinnere mich, wie ich mich freute, den Namen Ukyō Katayamas zu hören. Es folgte das Fernsehbild des herausgekegelten Rennwagens mit dem Japaner drin – eine kurze Pause von all der Anspannung und dem Daumendrücken, mit dem man vielleicht gerade ein Qualifying oder das Rennen anschaute. Abgesehen von seinem schrecklichen Unfall waren die Fernsehbilder des im Kiesbett festsitzenden oder auf dem Rasen kreiselnden Rennwagen Katayamas fast wie ein kleines ironisches Augenzwinkern, ein Running Gag eben, auf den man sich verlassen konnte und der immer wieder für ein Schmunzeln gut war.

Geschmunzelt wird der Japaner am Ende seiner Karriere angesichts seiner Statistik nicht haben:

•Grand-Prix-Teilnahmen: 95

•WM-Titel: 0

•Siege: 0

•Podiumsplätze: 0

•Polepositions: 0

•Schnellste Rennrunden: 0

•Ausfälle insgesamt: 62

Es heißt, heute widme er sich nur noch seinem Hobby, dem Bergsteigen. Konzentrieren muss er sich dabei auch, denn auf dem Berg gibt es keine Auslaufzone. Ich wünsche Ukyō jedenfalls alles Gute und sage Danke für die schönen Dreher!

5.

Weil sie interessante Urgesteine formt – Charlie Whiting und Sid Watkins

Professor Sid Watkins, das klingt doch ein bisschen nach Raumschiff Enterprise und passt deshalb genau zur Formel 1. Wann immer der Name während einer Live-Übertragung fiel, gab es ernste gesundheitliche Probleme für einen der Fahrer infolge eines Unfalls. Man war sofort besorgt. Gleichzeitig hatte es etwas Beruhigendes, dass es einen Rennarzt gab, der Sid Watkins hieß, und gleich zur Unfallstelle rausfuhr, um sich um den Draufgänger zu kümmern, der es übertrieben hatte und mal wieder schmerzhaft die Grenzen der Schwerkraft und seines Talents aufgezeigt bekommen hatte.

Ein weißhaariger Rennarzt, das beinhaltete die kindliche Hoffnung, dass alles wieder gut werden würde. Professor Watkins würde wissen, was zu tun ist, ein Pflaster kleben und ein paar ebenso aufmunternde wie ermahnende Worte in väterlichem Ton zum verletzten jungen Sportler sprechen.

Leider war die Situation im Verlauf der Karriere des Eric Sidney Watkins, geboren 1928 in Liverpool, oft genug nicht so harmlos wie ein aufgeschrapptes Knie nach einem Sturz mit dem Fahrrad.

Von 1978 bis zum Jahr 2004 war Watkins als der von der FIA bestellte Rennarzt zuständig. Dabei hatte er eigentlich Professor der Neurochirurgie an der State University of New York werden sollen. Daraus wurde nichts, weil Bernie Ecclestone ihm über den Weg lief und es schaffte, ihm den Job des offiziellen Rennarztes der Formel 1 schmackhaft zu machen. Fortan hockte Sid Watkins an jedem Rennwochenende im so genannten »Medical Car« und wartete auf seinen Einsatz.

Sid Watkins war es, der beim schwer verunglückten Mika Häkkinen 1995 an der Unfallstelle einen Luftröhrenschnitt vornehmen musste und dem fliegenden Finnen damit das Leben rettete. Manchmal wird eben doch alles gut. Sid Watkins starb 2012 im Alter von 84 Jahren.

Das zweite, etwas jüngere Urgestein heißt Charlie Whiting, geboren 1952 in Sevenoaks, England. Er ist Renndirektor der FIA und Sicherheitsbeauftragter. Er ist der Mann, der den Knopf der Startampel drückt und die Autos genau unter die Lupe nimmt, um zu prüfen, ob alles den Regeln und Sicherheitsvorschriften entspricht.

Whiting arbeitete sich seit den 70ern in der Formel 1 als Mechaniker und Techniker hoch. 1997 wurde er von der FIA zum Renndirektor gemacht. Seitdem drückt er den Knopf für die Startampel, beobachtet den Rennverlauf und entscheidet mit den so genannten »Stewarts of the Meeting«, den Rennschiedsrichtern, wie Zwischenfälle, Witterung und Streckenzustand zu bewerten sind.

Wenn ich Formel-1-Pilot wäre, einer unter zwei Dutzend potenziellen Wahnsinnigen in Raketen auf Rädern, die einen irrsinnigen Wettkampf austragen, bei dem einem alles, wirklich alles um die Ohren fliegen kann, vom eigenen Hinterreifen bis zum kompletten Wagen eines Mitkonkurrenten, dann würde ich mich wohl auch ein bisschen sicherer fühlen in der Obhut solcher Leute wie Watkins und Whiting. Schon ihre Namen klingen wie die sichere Bank, ich muss sofort an Charlie Watts von den Rolling Stones denken, die scheinbar unerschütterliche Graue Eminenz, die den ganzen Laden zusammenhält.

6.

Weil sie die Sportart mit den klangvollsten Namen ist

Mit Sicherheit. Bei 22 Fahrern aus aller Welt kommt eine Menge bunter Namen zusammen. Klar, im internationalen Fußball findet man die auch, in der Champions League zum Beispiel: Cristiano Ronaldo, Lionel Messi, Didier Drogba oder Jerrel »Jimmy Floyd« Hasselbaink – ganz schön klangvoll. Doch die Formel 1 deckte schon immer das ganze Spektrum ab. Namen, die an Renaissancemaler erinnern oder an Pornodarsteller der 70er-Jahre, an spanische Edelmänner wie an durchgeknallte Erfinder, Ritter, skurrile Adelige, Samuraikämpfer oder Loriot. Und die Namen, die nicht ganz so schillernd klingen, hätten die sein können, die ich mir als Kind beim Spielen mit Matchboxautos ausgedacht hätte, wenn ich des Englischen schon mächtig gewesen wäre und mich wegen dieses Defizits nicht auf die Vornamen John und Jack hätte beschränken müssen. Jenson Button zum Beispiel; klingt nicht so protzig, eher nach Daktari, nach einem, der eben dabei ist, aber nicht als Superheld – brauchbar beim Matchboxautospielen. So wie Kenny Acheson.

Reinste pompöse Oper dagegen: Luca Cordero di Montezemolo. Schwer vorstellbar, dass jemand in der Nachbarschaft so heißt und dich morgens beim Bäcker grüßt; das sind dann eher die nüchternen deutschen Büronamen wie Norbert Haug oder Dr. Mario Theissen. Oder die braven deutschen Jungen: Sebastian Vettel, Michael Schumacher, Heinz-Harald Frentzen.

Wir Deutsche schaffen es nicht mal, ihnen spannende Spitznamen zu geben, wie es bei den Engländern üblich ist, obwohl die es in den meisten Fällen gar nicht nötig haben, weil sie bereits interessant genug klingen. Viele Fahrernamen, die ich in meiner Kindheit hörte, klangen heldenhaft und ritterturniertauglich, Sehnsucht weckend. Namen für die Träume kleiner Jungen und Mädchen. Abenteurernamen, Draufgängernamen.

James Hunt, zum Beispiel, bekam den Namen »Hunt the Shunt«, den er aus einer anderen Rennserie mitbrachte, wo er für seine halsbrecherische, unfallträchtige Fahrweise verschrien war.

Mika Häkkinen wurde »The Flying Finn« genannt. Na ja, origineller ist da schon der »Iceman«– mit Abstand der coolste Spitzname für den coolsten Fahrer.

MEINE FAVORITEN DER KLANGVOLLEN NAMEN:

•Emerson Fittipaldi (Klingt wieselflink und gewitzt, oder?)

•Clay Regazzoni (70er-Jahre-Pornodarsteller)

•Enzo Ferrari (Pate!)

•Didier Pironi (französischer Pornodarsteller)

•Jacky Ickx (Sehr schön, klingt aber immer wie Eddie Merckx.)

•Juan Pablo Montoya (Mantel-und-Degen-Film-Protagonist)

•Fernando Alonso (Landedelmann)

•Nigel Mansell (Ritter und Haudegen)

•Andrea de Cesaris (italienischer Edelpornodarsteller)

•Wolfgang Graf Berghe von Trips (Ritter, ganz klar!)

•Juan Manuel Fangio (Latifundienbesitzer)

•Stirling Moss (britischer Exzentriker)

•Kimi Räikkönen (finnischer Pornodarsteller)

•Kamui Kobayashi (Samurai)

•Ettore Bugatti (italienischer Edelmann mit Ambitionen, verrückter Professor zu werden – aber: siehe Grund Nr. 57)

•Baron Alexander Fermor-Hesketh (Loriot)

•Harvey Postlethwaite (Loriot)

Auch die in der langen Historie der Formel 1 auftauchenden (und wieder verschwindenden) Doppelnamen sind nicht mal annähernd so harthölzern wie, sagen wir, »Däubler-Gmelin« oder »Schröder-Köpf« oder »Leutheusser-Schnarrenberger«.

Das Auftauchen eines echten Prinzen darf in der Königsklasse auch nicht fehlen: Prinz Bira. Unter diesem nicht ganz so klangvollen Namen trat er an. Das »Prinz« wirkt da eher wie ein leicht verlegenes, ratloses Ausrufezeichen, und es musste wohl sein, weil er unter dem vollen Namen nie und nimmer hätte an den Start gehen dürfen: Prinz Birabongse Bhanutej Bhanubandh. Irgendein Kommentatoren-Duo hätte ihn aus dem Wagen gezogen und verschwinden lassen.

Er war übrigens der Sohn von Prinz Bhanurangsri Sawangvongse, dessen Vater wiederum König von Siam war.

Und Bernie Ecclestone? Klingt, wie ich finde, ganz genau nach dem kleinen gewieften Herrscher über ein gigantisches Imperium, der er ist.

7.

Weil Mika Häkkinen das schönste Finnenlächeln hat

… findet meine Frau jedenfalls. Ich weiß nicht, ich fand sein Gesicht immer irgendwie … finnisch. Aber die Frauen standen tatsächlich auf ihn. Er war, was man einen Frauenschwarm nennt. War? Ist er wohl immer noch. Ich verfolge das nicht so genau, aber das Interesse meiner Frau an der Formel 1 hat nach Mikas Karriereende rapide nachgelassen. Während seiner aktiven Zeit wuchs ihre Anteilnahme proportional zum Erfolg des fliegenden Finnen, wie er genannt wurde. Je weiter er sich seinen ersten Weltmeistertiteln mit Siegen und anderen Podestplätzen näherte und sein Gesicht dadurch automatisch TV-präsenter wurde, desto aufmerksamer verfolgte meine Frau die Rennen sowie die von RTL gelieferten Vorberichte und Highlights im Anschluss an die Übertragung, in denen auch immer ein kurzer Ausschnitt aus der Pressekonferenz gezeigt wird.

Michael Schumacher mochte meine Frau nicht so sehr. Und als Mika Häkkinen dem Schumacher bei dessen Tränenausbruch nach dem Sieg von Monza 2000 tröstend auf die Schulter klopfte, ja diese sogar tätschelte, war sie endgültig hin und weg. Und ehrlich gesagt, es war aus meiner Sicht zwar schwer, Mika irgendwie hübsch zu finden, aber er machte es einem doch leicht, ihm zumindest Sympathien entgegenzubringen – für diese Geste während der Pressekonferenz ebenso wie für sein ganzes Konkurrenzverhalten im oft harten Kampf mit dem deutschen Helden Michael Schumacher. Da war nirgends eine Spur von Verachtung oder Abneigung, im Gegenteil: Äußerungen und Haltung des Finnen verrieten Respekt. Damit konnte man als Schumacher-Fan ganz gut leben. Selbst die Fernsehwerbespots mit Mika sowie mit Mika und seiner mittlerweile Exfrau Erja waren sympathisch und unterhaltsam.

Im Gegensatz zu vielen seiner rennfahrenden Landsleute kam Mika nicht aus der Rallyeszene und hatte seine Jugend weniger über Schotterpisten in dunklen Wäldern driftend verbracht. Stattdessen war er Kart gefahren und hatte danach ähnliche und gleiche Rennserien durchlaufen, wie seine späteren Konkurrenten im Formel-1-Zirkus. Sein Formel-1-Debüt gab er beim Großen Preis der USA in Phoenix, Arizona, 1991 in einem Lotus-Judd, der jedoch mit Motorschaden ausfiel. Immerhin holte Häkkinen in den anderen 14 Rennen zwei WM-Punkte.

Im darauffolgenden Jahr waren es schon elf Zähler, was ihm den achtbaren 8. Platz in der Gesamtwertung der Saison bescherte. Auf Anraten seines Managers Keke Rosberg (Weltmeister 1982 und, ja genau, Vater von Nico Rosberg) verließ Mika das finanziell klamme Lotus-Team und wechselte zur Überraschung Außenstehender als Testfahrer zu McLaren. Ein kluger Schritt, denn sein Renneinsatz kam, als der glück- und vielleicht auch eher talentlose (zumindest was die Formel 1 betrifft) Michael Andretti den Job hinschmiss.

Schon beim Grand Prix von Portugal durfte Häkkinen starten und war im Qualifying gleich schneller als sein Teamkollege Ayrton Senna. Der konnte es nicht fassen, fing sich aber rasch wieder und bügelte den Jungspund im Rennen nach Strich und Faden. Trotzdem sah Senna für sich keine Zukunft mehr bei McLaren, sodass nach seinem Weggang Mika zum Hoffnungsträger des Rennstalls aufstieg. Dass er den nötigen Speed besaß, hatte er ja schon unter Beweis gestellt. Jetzt folgte mühsame Aufbauarbeit, begleitet von zahlreichen Rückschlägen, deren Höhepunkt 1995 ein schwerer Unfall auf dem Adelaide Street Circuit bildete, den er knapp überlebte.

Häkkinen brauchte sechs Jahre bis zu seinem ersten Sieg, aber danach war er nicht mehr aufzuhalten und wurde im spannenden Dauerduell mit Michael Schumacher in den Jahren 1998 und 1999 Weltmeister.

Die Duelle zwischen Mika und Michael in diesen Jahren gehören zu den aufregendsten, bewegendsten und sportlich härtesten – aber auch fairsten – der Formel-1-Geschichte. Besonders aufregend: das dreiste, bis heute beispiellose Überholmanöver Häkkinens beim Grand Prix von Belgien, als er sich den in Führung liegenden Michael Schumacher schnappte, indem er an dem bereits überrundeten Ricardo Zonta rechts vorbeizog, während Schumacher links überholte, wie man das von deutschen Autobahnen so gewohnt ist. Mit dem größeren Geschwindigkeitsüberschuss, und weil er vor der direkt danach auftauchenden Kurve die Innenseite hatte, ließ Mika Schumacher dabei hinter sich. Der verdutzte Zonta duckte sich vor Schreck noch tiefer ins Cockpit. Die Mannschaft in der McLaren-Mercedes-Box kriegte sich nicht mehr ein, und selbst Schumacher-Fans lüpften ihre Kappen, sofern sie denn eine trugen.

Ebenso denkwürdig, menschlich und darum Sympathie steigernd war sein Dreher ins Sandbett in Monza im Jahr 1999 und die Reaktion darauf: Zuerst wirft er, noch im Auto sitzend, das Lenkrad weg, dann schleudert er, schon davongehend, seine Handschuhe auf den Boden. Und dann: Tränen im Schatten der Bäume im königlichen Park, Mika auf dem Boden hockend und in seine weiße Balaklava weinend, aus Verzweiflung über den Patzer, den er sich da geleistet hatte, als ihm in der Rechts-Links-Schikane vermutlich der Finger vom Wippschalter rutschte.

Noch schöner sein finnisch trockener Kommentar dazu später, als er von Reportern darauf angesprochen wurde: »Real men never cry«, mit einem leicht spöttischen Lächeln serviert.

Formel-1-Fans brauchen Statistiken, und hier sind ein paar:

•Erstes Rennen: 1991

•Letztes Rennen: 2001

•WM-Starts: 161

•Siege: 20

•Polepositions: 26

•Schnellste Rennrunden: 25

•Weltmeister 1998 und 1999 im McLaren

8.

Weil Alonso 150 Prozent gibt

Behauptet er zumindest. Die Fähigkeit zur Überwindung dieser mathematischen Unmöglichkeit könnte ein Grund dafür sein, dass Fernando Alonso als der beste, weil kompletteste Fahrer im aktuellen Feld gilt. Wobei man berücksichtigen sollte, dass da vielleicht ein regelrechter Hype entstanden ist: Wenn man es oft genug wiederholt, wird es zwar nicht wahr, aber es fühlt sich wahr an und man kann es glauben, und dann ist es eben plötzlich doch wahr. Wer weiß.

Ja, es stimmt, dass der Mann aus Oviedo, wie die Kommentatoren ihn gern nennen, ein äußerst zuverlässiger Fahrer ist, der nur selten Fehler begeht. Es stimmt auch, dass er schnell ist und mit vermeintlich unterlegenem Material gute und beste Plätze herausfahren kann, zum grenzenlosen Entzücken seines Teams. Ist er deshalb ein Über-Fahrer?

All das kann Sebastian Vettel, auf den indirekt dieser Alonso-Hype abzielt, auch. Je höher Alonso in den Himmel gelobt und als der »derzeit beste Fahrer« genannt wird, desto deutlicher wird Vettel hinter Alonso gestellt. Am liebsten noch hinter Hamilton, der zwar wirklich sauschnell ist, aber alle anderen Eigenschaften, die Alonso nachgesagt werden, häufig genug vermissen ließ. Hamiltons Crashliste ist lang und voller blöder, man möchte sagen – kann es aber natürlich vom Sessel aus nur schwer beurteilen – überflüssiger Patzer, die, so scheint es, sein wahnsinniges Talent immer wieder ausgebremst haben. Andererseits war es ausgerechnet Lewis Hamilton, der in ihrer gemeinsamen Saison 2007 bei McLaren den ständig genervter werdenden Alonso ziemlich gut in Schach hielt und am Ende sogar WM-Zweiter wurde – vor dem Spanier.

Schon nach einem Jahr bei McLaren kehrte Alonso zurück zum Team-Renault, mit dem er in den Jahren 2005 und 2006 Weltmeister geworden war. Er blieb relativ erfolglos und bekam ab 2010 die Chance, für Ferrari zu fahren. Er wurde nicht müde zu betonen, was für eine Herzensangelegenheit ihm das sei. Klar, Ferrari ist der Mythos in der Formel 1, von Anfang an dabei, legendäre Siege, legendäre Fahrer. Es heißt, jeder Formel-1-Pilot träumt davon, eines Tages für Ferrari fahren zu dürfen. Gibt’s da eine Fußball-Analogie? Vielleicht: Ferrari, das ist wie der FC Barcelona, Bayern München und Real Madrid zusammen. Nur noch größer, traditionsreicher und vermögender.

Alonso wollte möglicherweise aber vor allem beweisen, dass ihm Michael Schumachers Fußstapfen, die dieser bei Ferrari hinterlassen hat, nicht zu groß sind. Schließlich hat Alonso selbst zugegeben, seine Titel bedeuteten ihm umso mehr, da er sie auch gegen Michael Schumacher errungen habe. Klingt nachvollziehbar.

Geklappt hat es mit dem Titel bei Ferrari allerdings noch nicht (Stand November 2013). Schon viermal kam ihm ein anderer Deutscher zuvor: Sebastian Vettel. Im Jahr 2010 wurde Fernando Alonso in der Gesamtwertung mit 252 Punkten denkbar knapp hinter Vettel (256) nur Zweiter. Zu diesem Zeitpunkt konnte er sich wahrscheinlich bereits nicht mehr so sehr darüber freuen, dass er gleich beim Auftaktrennen der Saison seinem neuen Rennstall einen Sieg geschenkt hatte. Was für ein Ferrari-Einstand! Schumacher brauchte bis zu seinem ersten Sieg für die Scuderia im Regenrennen von Barcelona sieben Versuche.

Nach diesem Triumph ging es für Alonso dann erst einmal wieder bergab: Ausfälle und schlechte Platzierungen, ehe er bei seinem Heimrennen in Spanien Zweiter wurde und später in der Saison den Großen Preis von Italien gewann, dann das Rennen in Singapur und Monza. Ins letzte Rennen der Saison ging er sogar als WM-Führender. Vettel gewann jedoch, Alonso wurde nur Siebter und damit Vizeweltmeister hinter dem Deutschen.

2011 sah es am Ende nicht besser aus. Alonso fuhr perfekte Runden und Rennen, wenn ihm nichts dazwischenkam (eine 20-Sekunden-Strafe zum Beispiel, weil der »kompletteste« Fahrer ausgerechnet Lewis Hamilton ins Heck krachte), er ackerte und kämpfte und war ein vorbildlicher Pilot, aber Weltmeister wurde wieder Vettel.

Und 2012 fuhr »der Mann aus Oviedo« sogar noch besser. Immer wieder nannten ihn Fachleute und solche, die sich dafür halten, den »derzeit besten« Fahrer. Wobei sie sich weiterhin einig waren, dass der schnellste Mann Lewis Hamilton war.

Aber wurde der »beste« Fahrer Weltmeister? Nein, den Titel holte sich auch 2012 Sebastian Vettel, der von den Alonso-Begeisterten nur zu gern geschmäht wird. Alonso selbst sagt, er fahre vor allem gegen Adrian Newey, den Red-Bull-Chefdesigner, womit er ins gleiche Horn stößt wie die anderen Schmählinge. Tenor: Vettel siegt nur deshalb in Serie, weil er das beste Auto hat.

Fernando Alonso wirkt nach drei knapp verpassten Titeln glücklicherweise nicht verbittert oder resigniert, obwohl er 2013 schon im zweiten von 19 zu fahrenden Rennen Sebastian vor lauter Nervosität ins Heck rauscht. Zwar sanft, aber doch so, dass ihm der Frontflügel schräg hängt. Statt an die Box zu fahren, bleibt er auf der Strecke, weil er glaubt, die Pace machen zu können, und gerät prompt in der nächsten Runde in den Windschatten Mark Webbers. Das verändert die auf den Ferrari auftreffende Luftströmung ungünstig, der Frontflügel reißt ganz ab und schiebt sich unter Alonsos Ferrari, der daraufhin unlenkbar geradeaus ins Kiesbett rutscht und dort stecken bleibt. Der Spanier winkt und will rausgeschoben werden – das hat es schon einmal gegeben, bei Michael Schumacher, 2003 beim Großen Preis von Europa auf dem Nürburgring. Dort ließ Schumacher sich nach einem Dreher ins Kiesbett von Streckenposten zurück auf die Strecke schieben. Aber die Regeln haben sich inzwischen geändert, und jetzt ist es verboten; man muss das Rennen aus eigener Kraft fortsetzen können.

DIE ALONSO-STATISTIK:

•Erstes F1-Rennen: Großer Preis von Australien 2001 im Minardi

•Starts: 216

•Siege: 32

•Polepositions: 22

•Schnellste Rennrunden: 21

•Weltmeister 2005, 2006 mit Renault

9.

Weil der Vettel-Finger kein Nasenbohrer ist

Seit Sebastian Vettel in seinem allerersten Formel-1-Rennen beim Großen Preis der USA als Ersatzmann für den nach seinem schweren Unfall beeindruckten Robert Kubica einen beachtlichen Weltmeisterschaftspunkt geholt hat, zeigt seine Erfolgskurve steil nach oben.

Die beispiellose Karriere klingt bisher so: mit 19 Jahren jüngster Fahrer, der je in einem Formel-1-Rennen in die Punkteränge fuhr (am 17. Juni 2007 bei ebenjenem Grand Prix der USA), mit 21 Jahren jüngster Fahrer auf dem ersten Startplatz in der Geschichte der Formel 1 (beim Qualifying 2008 in Monza). Im Rennen holte er sich den ersten Sieg und wurde damit – genau – jüngster Formel-1-Grand-Prix-Sieger. Und mit 23 Jahren jüngster Formel-1-Weltmeister der Geschichte. Ach ja, er wurde in den nächsten beiden Jahren ebenfalls Weltmeister und damit zum, was soll’s, jüngsten Fahrer, der dreimal die Fahrerweltmeisterschaft gewann.

Vielleicht geht diese Statistik den Vettel eher nicht zugeneigten Fans und Experten auf den Keks, weshalb sie dauernd von Alonsos angeblicher Perfektion und Hamiltons Geschwindigkeit schwärmen.

Was beweist die Statistik eigentlich?

Schauen wir mal kurz zurück, in einen Abschnitt der Vorbereitungszeit auf die Formel-1-Karriere, die Vettel auf ähnliche Weise wie die meisten Fahrer durchlief, weshalb ich auf keine einzige dieser Kart-, Formel-X- und Sportwagenserien eingehen werde, weil sich diesen Daten- und Faktenwust sowieso kein Schwein merken kann und er schon beim Lesen zu einem Brei verschwimmt. Wissen muss man (hier) eigentlich nur, dass die Jungs alle sehr früh mit irgendwas Schnellem begonnen haben – meistens mit einem Kart oder gar einem zum Kart umgebauten Kettcar, vielleicht mit einem Schneemobil oder Hundeschlitten hoch oben in den finnischen Wäldern, oder in einer kleinen selbst gebastelten Rakete im Garten hinterm Haus …

Außerdem heißt dieses Buch nicht 111 Gründe, alle Formel- und Rennserien zu lieben, die es gibt.