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13 Gute Krimis auf einmal E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: Michael Hellmer: Sauerländer Sühne: Kriminalroman Timothy Stahl: Zur Hölle mit den Mördern! Alfred Bekker: Kubinke und die Frankfurter Morde Alfred Bekker: Die Hannover-Morde Alfred Bekker: Kubinke im Spinnennetz Alfred Bekker: Kubinke und die Leichen im Keller Alfred Bekker: Kubinke und die tätowierten Frauen Alfred Bekker: Kubinke und das Netz der Verschwörer Alfred Bekker: Kubinke und die Killer Alfred Bekker: Kubinke und der Killer von Münster Alfred Bekker: Kubinke und die verschwundenen Alfred Bekker: Flammentod Ethel Lina White: Manche müssen aufpassen Drei Frauen wurden ermordet und später tätowiert aufgefunden. Doch diese Morde wurden nie aufgeklärt. Jahre später findet man erneut eine Frauenleiche mit der gleichen Tätowierung. Hat der Mörder wieder zugeschlagen? Doch warum diese lange Pause? Das fragen sich die beiden Ermittler Harry Kubinke und Rudi Meier, die diese Morde aufklären und den Mörder überführen wollen. Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Michael Hellmer, Alfred Bekker, Timothy Stahl, Ethel Lina White

13 Gute Krimis auf einmal

UUID: 1e477f60-d21a-43b6-8bc7-5bd14b8237b1
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Inhaltsverzeichnis

13 Gute Krimis auf einmal

Copyright

Sauerländer Sühne: Kriminalroman

Zur Hölle mit den Mördern!

Kubinke und die Frankfurter Morde

Die Hannover-Morde: Ein Kubinke Krimi

Kubinke im Spinnennetz: Kriminalroman

Kubinke und die Leichen im Keller: Kriminalroman

Kubinke und die tätowierten Frauen: Kriminalroman

Kubinke und das Netz der Verschwörer: Kriminalroman

​Kubinke und die Killer: Kriminalroman

Kubinke und der Killer von Münster

Kubinke und die Verschwundenen

Flammentod

Manche müssen aufpassen: Kriminalroman

Orientierungspunkte

Titelseite

Cover

Inhaltsverzeichnis

Buchanfang

13 Gute Krimis auf einmal

Alfred Bekker, Michael Hellmer, Timothy Stahl, Ethel Lina White

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Michael Hellmer: Sauerländer Sühne: Kriminalroman

Timothy Stahl: Zur Hölle mit den Mördern!

Alfred Bekker: Kubinke und die Frankfurter Morde

Alfred Bekker: Die Hannover-Morde

Alfred Bekker: Kubinke im Spinnennetz

Alfred Bekker: Kubinke und die Leichen im Keller

Alfred Bekker: Kubinke und die tätowierten Frauen

Alfred Bekker: Kubinke und das Netz der Verschwörer

Alfred Bekker: Kubinke und die Killer

Alfred Bekker: Kubinke und der Killer von Münster

Alfred Bekker: Kubinke und die verschwundenen

Alfred Bekker: Flammentod

Ethel Lina White: Manche müssen aufpassen

Drei Frauen wurden ermordet und später tätowiert aufgefunden. Doch diese Morde wurden nie aufgeklärt. Jahre später findet man erneut eine Frauenleiche mit der gleichen Tätowierung.

Hat der Mörder wieder zugeschlagen? Doch warum diese lange Pause?

Das fragen sich die beiden Ermittler Harry Kubinke und Rudi Meier, die diese Morde aufklären und den Mörder überführen wollen.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /

© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

COVER A. PANADERO

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Sauerländer Sühne: Kriminalroman

Michael Hellmer

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Alles rund um Belletristik!

Sauerländer Sühne: Kriminalroman

von MICHAEL HELLMER

Sauerländer Sühne – Kriminalroman

Ein Toter in der Attendorner Tropfsteinhöhle. Ein Bloggerin, die zu viel wusste. Ein Netz aus Korruption, Macht und Schweigen im Herzen des Sauerlands.Als Anna Rehfeld, Umweltaktivistin und Lokalbloggerin, tot aufgefunden wird, geraten Kommissar Neuhaus und Gerichtsmediziner Dr. Wagner in einen Fall, der tiefer geht als jeder Stollen: Stadtwerke, Kirche, Handwerker – alle haben etwas zu verbergen. Während Nebel über Wiesen und Wälder kriecht, tauchen die Ermittler immer tiefer ein in eine Welt aus dunklen Allianzen, bedrohten Wasserrechten und tödlichen Geheimnissen.Atmosphärisch, vielschichtig und mit trockenem Sauerländer Humor erzählt – ein Krimi, der zeigt, dass selbst in der vertrauten Heimat nichts so ist, wie es scheint.

Für Fans von spannenden Regionalkrimis, starken Charakteren und überraschenden Wendungen.Jetzt lesen und herausfinden, wie viel Wahrheit ein Tropfen ans Licht bringen kann!

Glossar zu „Sauerländer Sühne“ (spoilerfrei)

Personen

Kommissar Neuhaus Erfahrener Ermittler der Kriminalpolizei Attendorn, bodenständig, kennt die Region und ihre Menschen wie seine Westentasche.Dr. Wagner Gerichtsmediziner aus Lüdenscheid, analytisch, eigenwillig, mit trockenem Humor und einem Sinn für das Ungewöhnliche.Mechtild Wösthoff Sicherheitsmitarbeiterin und Höhlenführerin an der Attendorner Tropfsteinhöhle, kennt die Höhle und ihre Abläufe sehr gut.Frido Techniker der Tropfsteinhöhle, zuständig für Wartung und technische Umrüstung.Anna Rehfeld Umweltbloggerin und Aktivistin, betreibt den Kanal „Sauerland sauber“, engagiert sich für Transparenz und Umweltschutz.Heiner Van Dong Kollege von Dr. Wagner, ruhig, detailorientiert, unterstützt bei Laborarbeiten und Analysen.Ralf Herrmann Student und Nachwuchswissenschaftler, hilft bei technischen und digitalen Ermittlungen.Volker der Stadtwerke Attendorn, verwaltet lokale Infrastrukturprojekte.Tim Loder Geschäftsführer eines regionalen LED-Unternehmens, zuständig für die Umrüstung der Höhle.Franz-Josef Mertens Vorarbeiter der LED-Firma, kennt die technischen Details der Umrüstung.Pfarrer Reimann Geistlicher der St. Johannes Baptist Kirche („Sauerländer Dom“), engagiert in Gemeindeprojekten.Taner Wirt des „MAMUTH“, einer lokalen Kneipe, Informationsdrehscheibe und Treffpunkt.

Orte

Attendorn Kleinstadt im Sauerland, Schauplatz des Romans und Zentrum der Ermittlungen.Attendorner Tropfsteinhöhle („Atta-Höhle“) Berühmte Tropfsteinhöhle, Touristenattraktion und zentraler Tatort.St. Johannes Baptist („Sauerländer Dom“) Historische Kirche, Mittelpunkt der Gemeinde, Schauplatz wichtiger Gespräche.MAMUTH Lokale Kneipe und Treffpunkt für Ermittler und Einheimische.Olpe Nachbarstadt, Sitz des LED-Unternehmens und weiterer Handlungsschauplatz.Listersee / Biggedamm Seen und Talsperren in der Region, oft erwähnt als landschaftliche Kulisse.

Begriffe

LED-Umrüstung Modernisierung der Höhlenbeleuchtung, spielt eine zentrale Rolle im Fall.Wasserrechte Rechtliche und wirtschaftliche Kontrolle über die Nutzung von Wasserquellen und Talsperren.„Sauerland sauber“ Umweltblog von Anna Rehfeld, bekannt für investigative Recherchen und lokale Themen.Förderverein Kirchendach Lokales Projekt zur Finanzierung von Renovierungen und Bildungsarbeit, spielt in der Handlung eine Rolle.FI-Schalter Sicherheitskomponente in elektrischen Anlagen, relevant für die Ermittlungen.Diatomeen Kieselalgen, werden in der forensischen Untersuchung verwendet.SpuSi Abkürzung für „Spurensicherung“, die kriminaltechnische Einheit.

1

Nebelschwaden krochen wie ausgefranste Schals über die Wiesen hinter Attendorn, als hätte jemand den Sauerländer Morgen mit Atem angehaucht. Aus der Stadt her tickte die Glocke des sogenannten Doms, was – Strenggenommen – natürlich keiner war, sondern „nur“ St. Johannes Baptist, aber wer wollte hier kleinlich sein. Wer aus dem Tunnel hinterm Biggedamm kam, der wusste: Hier fing für viele die vertraute Welt an. Fachwerk, Wälder, Wiesen, Wurst.

Vor dem Eingang der Tropfsteinhöhle standen zwei Kleinbusse. An der Seite prangte in geschwungenen Lettern: Attendorner Tropfstein-Paradies. Darunter ein Piktogramm, das irgendwo zwischen kitschig und charmant pendelte. Darüber ragte der Kalkfelsen, weißgefleckt und moosgesprenkelt, in den grauen Vormittag hinein. Ein vanillefarbener Hund – Terrier-Mix, der auf den Namen „Krümel“ hörte – schnupperte am Kassenhäuschen, als wolle er sich vergewissern, ob die Welt noch in Ordnung war.

„Nicht da rein, Krümel!“, rief jemand.

Die Stimme gehörte einer Frau Anfang vierzig, die eine orangefarbene Jacke trug, auf deren Rücken in reflektierenden Buchstaben SICHERHEIT stand. Sie hieß Mechtild Wösthoff, gebürtige Olperin, von Haus aus nicht furchtsam. Seit der erste Lockdown vorbei war, hatte sie ihre Stunden an der Höhle wiederbekommen. An den Wochenenden führte sie die Besucher. Wer Probleme hatte, weils feucht war oder glitschig, kriegte ihren Arm. Wer schnatterte, bekam ihr „Aufpassen, woll?“ und lachte trotzdem. So war das hier.

Heute war ein Montag. Geschlossen. Wartungstag, stand auf dem Schild. Keine Führungen. Dafür stand Mechtild Wösthoff trotzdem hier und drehte den Schlüssel. Sie schob das Gitter auf, das – genau wie die Luft dahinter – kalt metallisch roch, trat unter den Tropfsteinbogen und machte Licht. Die Lampen gingen nacheinander an und schienen den Fels in ein Aquarium zu tauchen. Gelb, grün, kaltweiß, milchig: das ewige Kunstlicht, das aus Tropfen Skulpturen machte.

Sie blieb einen Moment stehen. Ihr war, als hörte sie etwas, ein Geräusch, das nicht hierher gehörte. Ein kehliges, abgehacktes Echo, als ob etwas Metallisches vibriert hätte. Sie sagte sich, dass das Quatsch war. Geräusche verselbständigen sich unter der Erde. Und außerdem: Wer sollte schon an einem Montag hier sein? Sie war es, die die Wartung machte, mit Frido, dem Techniker. Frido kam später. Sie war nur eher, weil Krümel morgens seine Runde brauchte.

„Komm, du Ferkel“, sagte sie, auch wenn Krümel sekundengenau wusste, dass sie so etwas nie ernst meinte. „Nur die große Halle, dann drehen wir wieder um.“

Sie ging vor. Das Licht glitt mit ihr. Der Gang verbreiterte sich, die Decke stieg. Sie roch den Kalk, die Feuchte, den Hauch von altem Wasser. Und dann war da plötzlich wieder dieses Geräusch. Nicht ein metallisches, eher ein... Summen. Nein: ein Surren. Ganz fein. Elektrisch? Sie horchte, legte den Kopf schief. Krümel knurrte und legte die Ohren an. Vor dem großen See – die Touristen nannten ihn See; in Wahrheit war es eine ruhende Pfütze, die fotografiert aussah wie eine Kathedrale – blieb Mechtild Wösthoff stehen. Ihr Blick glitt über das Wasser, die Kaskaden aus Tropfstein, den rostigen Kettenzug der alten Bühne, auf der früher mal eine bunte Lichtershow mit Nebel gewesen war. Seit Corona gab es die nicht mehr. Zu viel Kondensat, sagten die Techniker. Zu wenig Geld, dachte Mechtild.

Sie machte zwei Schritte, da stolperte sie fast. Der Schuh stieß an etwas, das die Sohle nicht erwartet hatte. Nicht Fels. Nicht Schlamm. Etwas Weiches, aber mit Widerstand. Krümel winselte, als habe er ein Echo in der Kehle.

Mechtild bückte sich, im Lichtkegel der Deckenröhren. Der Schatten vor ihren Füßen war zu groß, zu unregelmäßig für einen Rucksack, zu – menschlich? Sie sah die Hand zuerst. Sie lag flach, die Finger halb gekrümmt, die Fingernägel mit Schlamm halbmondig gezeichnet. Ein Armband hing am Gelenk. Leder, geflochten. Ein kleines silbernes Schaf daran. Mechtild Wösthoff stieß den Atem aus. Sie hörte ihn im Rücken der Höhle verhallen. Ihren Schrei hörte sie gar nicht.

„Hilfe“, krächzte sie schließlich, und das klang eher wie ein Gebet, obwohl Mechtild sich nie so richtig als gläubig bezeichnet hätte. Sie kniete, tastete den Hals. Er war kalt wie der Fels. Kein Puls. Das Gesicht war halb im Wasser. Eine Haarsträhne klebte an der Wange. Blond. Lang. Sie drehte den Kopf und erkannte sie.

„Frau Rehfeld?“, hauchte sie.

2

Zwei Stunden später stand Kommissar Neuhaus mit einem dieser weißen Papieranzüge, die an schlechte Weltraumfilme erinnern, im Bauch der Höhle. Es war feucht genug, dass der Stoff an die Knie klebte. Er wirkte nicht unglücklich. Neuhaus war kein Mensch für Glitzer und große Worte; er mochte die Arbeit, die man einfach machen musste. Wenn er irgendwo nicht hinpasste, dann waren es Partys. In Höhlen dagegen war er daheim, auch wenn er ungern zugab, dass er Platzangst kannte. So lange er gehen konnte, ging es. Sobald ihm jemand sagte: „Jetzt bleiben Sie mal ruhig stehen!“, begann sein Atem flach zu werden.

„Wie heißt die?“ Er meinte die Tote. Er kannte sie nicht. Was für Attendorn ungewöhnlich war, denn eigentlich kannte Neuhaus hier jeden, der öfter als drei Mal in der Woche Brötchen holte.

„Anna Rehfeld“, sagte der junge Kollege von der SpuSi, dessen Bart erst so tat, als wolle er einer werden. „Bloggerin. Die mit diesem Umwelt-Kanal. ‚Sauerland sauber‘. Kennen Sie nicht?“

Neuhaus schob die Unterlippe vor, sein Balancepunkt zwischen neutral und grantig. „Ich lese die Zeitung. Wenn ich Zeit hab.“

„Mein Mädchen guckt die immer“, setzte der Bart an, ein bisschen sehr stolz darauf, dass er ein Mädchen hatte. „Die haut einen Artikel nach dem anderen raus. Pumpspeicherwerk, Windkraft, Fledermäuse – die war überall dahinter. Hatte ne Menge Fans, aber auch Feinde, woll?“

Neuhaus verzog die Augenbrauen. Seine dicken, die alle Emotionen in Serpentinen wickelten. Feinde hatte man hier selten. Man mochte sich oder man redete nicht miteinander. Beides war ungefährlich. Feindschaft war was für große Städte.

„Wer hat sie gefunden?“

„Die Wösthoff.“

„Die mit dem Hund?“

„Genau die.“

„Wo ist sie?“

„Oben. Sitzt, zittert. Frido, der Techniker, macht bei ihr die große Seele und den kleinen Kaffee.“

Neuhaus nickte. Er ließ sich neben die Tote hocken. Zwei Finger breit über dem Wasser, den Blick auf die Details. Wasserlinie an der Wange, Schlammkruste an der Bluse. Bluse? Eher eine Regenjacke. Hellblau, Kapuze im Nacken. Die Reißverschlüsse offen. Kein Rucksack. Die Hose: dunkel, eng. Schuhe: Trailrunning, schlammtauglich. Neuhaus blinzelte.

„Wir brauchen Wagner“, sagte er. „Aber nicht nur wegen der Formalitäten.“

„Schon unterwegs“, meldete der Bart.

„Gut. Und sorg dafür, dass hier keiner atmet, ohne dass ich’s erlaube.“

Der Bart nickte und war weg. Neuhaus blieb. Er zählte. Nicht im Kopf, im Blick. Spuren im feuchten Schlamm, die sich nicht halten würden, wenn man nicht fix arbeitete. Schuhabdrücke: klein, groß, noch einer. Geländergriff: angetatscht. War da Harz? Er schob sich ein Stück zur Seite, wischte nicht, sondern sah. Das ist ein Unterschied. Er war lang genug dabei, um zu wissen, dass man mit Hektik mehr tötet als mit jedem Messer.

Er sah die Hand an. Das Lederband. Das Schaf. Er kannte die Marke. Kunsthandwerk vom Bauernmarkt hinterm Biggesee. Rehfeld hatte das Ding auf jedem Foto getragen. Er erinnerte sich jetzt. Seine Frau hatte die Blogfrau mal zitiert, es ging um Gülle in der Lister. „Wenn die Lister schäumt wie Bier, ist wat im Argen, woll!“ – so hatte Anna Rehfeld begonnen und alle hatten gelacht; danach hatte keiner mehr gelacht, weil die Zahlen stimmten.

„Wie lange liegt sie?“, murmelte er, obwohl er wusste, dass er die Antwort noch nicht haben konnte, nicht wirklich, nicht gerichtsfest.

„Die Lampen waren an“, sagte jemand hinter ihm.

Neuhaus drehte sich nicht um.

„Und?“

„Dann ist’s nicht die ganze Nacht. Mechtild schaltet morgens ein, aber wenn die…“

Der Rest ging im Echo unter, denn es kam eine Stimme, die in Höhlen so wenig passte wie ein Motorroller in einen Dom.

„Gerichtsmedizinisches Institut Lüdenscheid! Nicht GESICHTSmedizin, falls Sie wieder dumme Gags auf Lager haben!“, dröhnte es. Und dann trat Dr. Wagner auf, als hätte ihm jemand einen Tritt verpasst. Sein weißer Kittel war unter dem Papieranzug, aber man sah ihn trotzdem. Er hatte diese Hundeaugen, die so taten, als bemerkten sie vor lauter Nervosität die Welt, und die trotzdem alles bemerkten.

3

„Gut, dass Sie kommen“, sagte Neuhaus, ohne die eigenen Serpentinen Augenbrauen zu glätten. „Ich hatte fast Angst, Sie seien in Ewig geblieben und würden dort jetzt Diätpläne schreiben.“

„Die Kantine dort kocht besser als manche Sterneküche“, knurrte Wagner, der aussah, als hätte er die Nacht auf einem Stuhl verschlafen, mit einem Aschenbecher als Kissen. Er blickte einmal im Kreis. „Ah. Attendorner Tropfsteine. Wie romantisch.“

„Romantisch ist, wenn Sie mir sagen, ob die Dame im Wasser gefallen oder hineingefallen wurde“, sagte Neuhaus. „Und zwar bevor uns das hier alles zu Matsch wird.“

Wagner kniete sich an den Rand. Ohne zu zögern. Er machte Luft über dem Wasser, als wollte er riechen, was die Tropfen erzählt hatten. Er sprach leise, mehr zu sich selbst, als zu irgendwem. Die Toten, pflegte er zu sagen, seien nicht stumm. Sie bräuchten nur den richtigen Übersetzer.

„Einmal Licht von rechts“, sagte er. Der Bart machte Licht von rechts. Wagner spähte, hielt die Hand flach über die Wange der Toten, als könnte er so die Wasserlinie streicheln. „Hm. Hören Sie, Neuhaus?“

„Meinen Sie das Echo?“

„Ich meine gar nichts. Ich sehe.“ Er runzelte die Stirn. „Können Sie mir bitte – ah.“ Er zog eine Pinzette aus seinem Koffer, den kippte er gern wie ein Zauberhut auf, aus dem keine Kaninchen kamen, aber häufig erstaunlich passend scheinendes Gerät. Er fischte etwas aus dem Rand der Kapuze. Es war winzig. Metall. Aufgerissen, gezackt. Ein Splitter. Er hielt ihn hoch. Er funkelte, als sei er mit Absicht so klein gemacht worden, dass keiner ihn sähe. Wagner nickte, als hätte ihm jemand eine Antwort gegeben, die er nicht mochte.

„Was ist das?“, fragte Neuhaus.

„Eine Geschichte. Vielleicht eine“, erwiderte Wagner. „Aber ich wüsste gern, wo Frido ist.“

„Oben. Kaffee. Große Seele.“

„Dann holen Sie ihn, bitte. Und Mechtild Wösthoff gleich dazu.“

„Es ist feucht hier“, bemerkte Neuhaus, der selten Smalltalk mit Feuchtigkeit machte.

„Mit der Feuchte kann ich leben. Schlechter ist, wenn jemand glaubt, mich für dumm verkaufen zu können“, knurrte Wagner.

„Woll.“

4

Oben, im Holzhaus neben dem Eingang, saß Mechtild Wösthoff auf einer Bank. Krümel lag unterm Tisch und machte das, was Hunde in Anwesenheit von Krisen großartig können: Er war da. Frido stand, als sei er extra so gebaut worden, um sich irgendwo hin zustellen und zu sagen: „Ich regle das.“ Er hatte ein Klemmbrett unter dem Arm, einen Kopf, der so tat, als sei er schwer beschäftigt, und eine Stimme, die stimmte.

„Mechtild“, sagte Neuhaus freundlich. Man durfte die Leute hier nicht duzen, wenn sie nicht selber duzten. Man durfte sie auch nicht so tun, als wüssten sie nichts. Mechtild wusste eine Menge. „Ich bin der Neuhaus.“

„Ich weiß, wer Sie sind.“

„Gut. Dann müssen wir nicht über meinen Steckbrief reden.“

Mechtild lachte kurz, obwohl ihr nach allem anderen war. Frido machte einen Schritt, als wolle er was sagen, aber Neuhaus hob die Hand und der Schritt blieb in der Luft stecken.

„Sie haben die Rehfeld gefunden.“

„Ja.“

„Wie oft war die hier?“

„Zuletzt vorgestern. Nein, warte – Donnerstag. Die hat so’n Ticket, Jahresdings. An der Kasse sagen sie immer, die Rehfeld hat wenigstens Ahnung. Ich sag da nix zu.“

„Hatte sie einen Termin?“

„Nicht mit mir.“

„Mit Frido?“

Frido hob die Hand, als melde er sich in der Schule.

„Sie wollten doch gerade noch nichts sagen“, bemerkte Neuhaus.

Frido ließ die Hand wieder sinken. „Kleiner Spaß“, sagte er. Er lächelte ein Lächeln, das man in anderen Landstrichen aalglatt nennen würde. Im Sauerland nannte man es meistens „Ajo“.

„Hatte sie einen Termin?“, wiederholte Neuhaus.

„Sie hat gefragt, ob sie mal reinschauen darf, wenn’s ruhig ist. Fsür Fotos. Wegen der Umrüstung.“

„Umrüstung?“, fragte Neuhaus.

Frido zeigte auf das Klemmbrett. „Wir stellen auf LED um. Neue Kabel. Neue Schaltkästen. Alles moderner, energiesparender. Sie wissen ja – Nachhaltigkeit. Ist wichtig, woll?“

„Woll“, sagte Neuhaus, obwohl er wusste, dass für die meisten Nachhaltigkeit so lange wichtig war, bis die Rechnung kam.

„Freitag war sie da. Eine Stunde. War brav. Hat Helm getragen, wie sich’s gehört.“

„Und heute?“

„Nix ausgemacht. Montags is’ zu.“

Mechtild nickte. „Ich komme früher, weil ich den Hund hab. Ich mach auf, geh rein, dreh einmal. Dann der Schreck.“

„Wann?“

„Sieben Uhr sechsunddreißig. Mein Handy hat’s, wenn Sie wollen.“

„Ich will.“

Mechtild reichte es. Neuhaus machte ein Foto vom Display und gab es zurück. Krümel atmete. Jemand stellte eine Tasse hin. Es roch nach billigem Automatenkaffee.

Die Tür ging auf, und Dr. Wagner trat ein, ohne dass jemand gerufen hätte. Er hatte ein Stück Metall zwischen Daumen und Zeigefinger. Mit der anderen Hand hielt er den Kittel auf, damit er nicht im Kaffee landete.

„Frido?“, fragte er. „Sind Sie das?“

„Kommt drauf an, was Sie wollen“, sagte Frido.

„Ich will wissen, was das ist.“ Er hielt das Metallstück hin. Frido beugte sich, ohne es anzufassen. Mechtild beugte sich mit. Neuhaus beugte sich nicht; er konnte auf Abstand beugen.

„Sieht aus wie…“, sagte Frido, ließ den Satz aber absichtlich hängen, wie man Wäsche hängen lässt, damit alle sehen, dass manweiße T-Shirts besitzt.

„Wie was?“, fragte Wagner ungeduldig.

„Wie ein Span. Von ’ner Flex. Alu. Wir haben neue Schaltkästen, hab ich gesagt.“

„Alu?“, wiederholte Wagner.

„Alu, ja. Sie könnten’s auch mit den Zähnen probieren, aber –“

„Sparen Sie sich Ihre Witze für den Stammtisch“, fuhr Wagner dazwischen. „Ich hätte gerne Ihre Werkzeugliste. Von Freitag. Und Ihre, Mechtild. Wer hat wann wo was angefasst.“

Frido hob das Klemmbrett, als zeige er ein Schild. „Hier steht alles. Wir sind nicht blöd, Dr. Doktor.“

„Gut. Und jetzt noch eine Frage. Haben Sie irgendetwas gemerkt? Irgendein Summen, Piepen, Zischen?“

Mechtild hob den Kopf. „Ich hab was gehört“, sagte sie. „Als ich rein bin. Ein Summen. Ganz fein. So, wie wenn ein Akkuschrauber läuft, ohne dass man was zusammenschraubt.“

„Haben Sie’s lokalisieren können?“, fragte Wagner.

„Nö. In der Höhle ist alles überall.“

„Woll“, murmelte Wagner. Er nahm den Span ins Tütchen, das er zwischen zwei Fingern hielt, als sei es eine Spielkarte. Dann wandte er sich an Neuhaus. „Ich will die Kleidung der Toten. Aber vorsichtig. Ich will alle Taschen. Ich will ihren Rucksack, falls er gefunden wird. Ich will ihren Computer. Ihr Telefon. Und zwar gestern.“

„Wollte ich Ihnen sowieso sagen“, brummte Neuhaus.

„Und ich will Ralf Herrmann“, setzte Wagner hinzu.

„Den Studenten? Der hat doch Uni“, meinte Neuhaus.

„Er lernt am meisten, wenn’s weh tut“, knurrte Wagner. „Und ich brauche ihn am Mikroskop.“

5 Ralf Herrmann sah noch genauso aus wie neulich – so kam es Neuhaus vor, der den Jungen nicht mochte und trotzdem mochte. Hornbrille, die immer ein bisschen zu groß war, und ein seltsam gerader Rücken, der in jeder Situation ausprobieren zu wollen schien, ob man den Dingen nicht einfach durch Genauigkeit beikommen könne. Er stand über dem Präparat wie ein Mönch vor einem Psalter.

„Alu“, murmelte er. „Und – warten Sie…“

Heiner Van Dong trat zu ihm. Er hatte die Hände in den Taschen seines Kittels und die Augen in einer Langsamkeit offen, die nur Asiaten und Sauerländer glaubhaft hinbekommen. „Und?“, fragte er.

„Der Span hat Verseifungsspuren“, sagte Herrmann. „Es sieht aus, als sei er erhitzt und dann in etwas Kühlem gelandet. Kalkwasser. Höhlenwasser.“

„Na, Donnerwetter“, meinte Heiner. „Ein Span aus Alu fällt in eine Tropfsteinhöhle. Schlagzeile: Alu fällt runter.“

„Scherzen Sie mich nicht an, Heiner“, mischte Wagner sich ein. „Alu-Späne gibt’s nicht einfach so in den späten Höhlengängen. Und wenn, dann fallen sie nicht ausgerechnet in den Kapuzenrand einer Frau, die mit Umweltbetrug Leute nervt.“

„Sie meinen das Wort mit M“, sagte Heiner.

„Mord?“, fragte Herrmann mit einer Ernsthaftigkeit, die tatsächlich wehtat.

Wagner nickte. „Vielleicht an den Haaren herbeigezogen, aber…“ Er hob den Span im Tütchen. „…Haar habe ich auch.“

Heiner atmete aus, was er fast nie hörbar tat. „Neuhaus steht draußen“, sagte er. „Und Asselmeier hat angerufen. Er will wissen, warum Sie gestern nicht aufgetaucht sind.“

Wagner machte eine Geste, die irgendwo zwischen Abwinken und Stinkefinger lag, und die man ihm trotzdem nicht übelnehmen konnte. „Sagen Sie ihm, dass ich in einer Höhle stand“, meinte er. „Und dass der Herrgott da unten nicht mit Föhn arbeitet. Ach, und Heiner…“

„Ja?“

„Wie läuft’s mit unserem lieben Herz-Gott aus Köln?“

Heiner zuckte die Schulter. „Wenn Sie den Blog der Frau Rehfeld meinen: Sie hatte letzte Woche eine Recherche angekündigt. ‚Unheilige Allianzen‘. Krankenhaus, Höhle, Wasserrechte. Mehr standen da nicht. Und dann ein Foto: eine Hand am Geländer in der Höhle. Und – sehen Sie mal…“ Er klickte. Auf dem Bildschirm erschien die Hand. Ein Finger trug ein Lederband mit einem kleinen silbernen Schaf.

„Sieht so aus, als hätte sie uns selbst ihre Leiche angekündigt“, murmelte Wagner.

„Oder jemand hat ihr das Ding abgenommen und wieder angezogen“, ergänzte Herrmann finster.

„Auf zu Neuhaus“, sagte Wagner. „Ich brauche einen Durchsuchungsbeschluss, und zwar für Leute, die sich ungern durchsuchen lassen.“

„Wen?“, fragte Heiner.

Wagner sah ihn an. „Wasserrechte“, sagte er. „Wer hat die?“

„Der Zweckverband, die Stadtwerke, und fünf Bauern, wenn ich mich recht erinnere“, meinte Heiner und hatte das Talent, in Sätzen zu sprechen wie jemand, der unterhaltsam Lexikon kann.

„Dann fangen wir bei den Stadtwerken an. Und bei dem, der die LED bezahlt hat.“

„Wie kommen Sie darauf?“, fragte Herrmann.

„Alu-Späne, LED-Umrüstung, ein Summen – und eine Tote, die überall ihren Finger reinsteckte. Ich wette zehn Euro auf einen Stromkasten.“ Wagner grinste. „Und darauf, dass uns demnächst jemand sagt, wir hätten uns verpokert.“

„Das sagt Asselmeier Ihnen jeden Tag“, meinte Heiner.

„Ich meine jemand anderen“, sagte Wagner. „Jemand, der sich gern vor Marienschreine stellt und danach die Heizung in seinem Wintergarten höher dreht.“

„Sie glauben, Tegeler hat…“, begann Herrmann.

„Ach, Herrmann“, unterbrach Wagner. „Wir sind in Attendorn, nicht in Valbert. Aber glauben Sie mir: Verwandte erster und zweiter Wahl trifft man überall. Und wo Geld ist, da ist…“

„…Dreck“, vollendete Neuhaus, der reingekommen war, ohne dass jemand ihn bemerkt hatte. Er sah aus, als hätten seine Augenbrauen gerade ein Wettrennen gewonnen. „Und wo Dreck ist, da sind Sie.“

„Woll“, sagte Wagner.

6

Der Leiter der Stadtwerke Attendorn hieß Volker Siewers. Er war Ende fünfzig, trug einen Anzug, als sei er darin geschlafen, und hatte Zähne, die aussahen, als hätte er es nicht nötig, sie anderen zu zeigen. Er sah Wagner an und tat so, als sähe er ihn nicht. Er sah Neuhaus an und tat so, als käme er so eben zum ersten Mal mit dem Gesetz in Kontakt. Er sah Heiner an und tat so, als sei der ein Praktikant. Herrmann übersah er völlig.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte Siewers.

„Sie können uns sagen, warum Ihre LED-Kästen Alu-Späne auf Tote werfen“, erwiderte Wagner.

„Bitte?“, fragte Siewers.

„Die Tropfsteinhöhle. Eine Tote. Eine Bloggerin. LED-Umrüstung. Späne. Summen. Das Malheur ist Ihnen bekannt?“

„Wir haben heue Morgen die Nachricht bekommen. Eine furchtbare Sache“, sagte Siewers. Es klang echt und war wahrscheinlich trotzdem gelogen.

„Wer rüstet Ihre Höhle um?“, fragte Neuhaus.

„Die Firma Lohenstein.“

„Sitzz?“

„Sitz: Olpe.“

„Wer hat den Auftrag vergeben?“

„Wir.“

„Wer hat’s bezahlt?“

„Wir.“

„Wer hat die Ausschreibung gestaltet?“

„Unsere Technik.“

„Wer kennt Frau Rehfeld?“

„Ich.“

„Wieso?“, fragte Neuhaus, und zum ersten Mal war ein Anflug von Stirnrunzeln in Volker Siewers‘ Glattheit.

„Attendorn ist ein Dorf“, sagte er, und das war sogar nicht gelogen. „Sie war – nun ja – unbequem. Aber solche Leute braucht man ja, woll?“

„Woll“, sagte Neuhaus tonlos. „Haben Sie Mails mit der Dame?“

„Sicher.“

„Dann holen Sie die mal.“

„Ich muss das mit unserer Datenschutzbeauftragten…“

„Holen Sie die mal“, wiederholte Neuhaus, und das „mal“ war in einem Tonfall, der verhieß, dass er es nicht so meinte. Siewers ging.

Wagner ging nicht, er stellte sich ans Fenster. Draußen fielen nasse Flocken. Sauerland im November. Man konnte depressiv werden, wenn man wollte. Wagner wollte nicht. Er betrachtete den Parkplatz. Ein dunkler Kombi, ein dreckiger SUV, ein kleiner Elektro – aha. Er steckte die Hände in die Taschen und fühlte etwas, das er nicht erwartet hatte: Papier. Knisternd. Er zog es raus. Der gelbe Umschlag, halb leer. Tegeler-Geld. Er steckte es wieder ein. Er hatte schon beschlossen, wohin es gehen sollte. Petra Serner hatte ihm vor Wochen die Tür vor der Nase zugeschlagen, aber das war eine andere Geschichte. Jetzt brauchte er es für etwas anderes. Er wusste nur noch nicht, für wen.

„Was?“, fragte Neuhaus.

„Nichts“, sagte Wagner. „Ich frage mich nur, ob Ihr Freund Siewers Flöhe hat.“

„Flöhe?“

„Er zuckt so komisch.“

„Er hat Angst.“

„Wovor?“

„Vor Bloggern. Und vor uns. In der Reihenfolge.“ Neuhaus sah auf, als Siewers wieder hereinkam. Er hatte einen Ausdruck im Gesicht, den Wagner kannte: einer, der glaubte, schlauer zu sein als alle.

„Hier“, sagte Siewers und legte einen Ausdruck hin. „Mailwechsel mit Frau Rehfeld. Von der letzten Woche.“

„Darf ich das“, fragte Heiner in seiner Mimosen-Höflichkeit, „kopieren?“

„Aber sicher“, sagte Siewers. Er sah Wagner an. „Wollen Sie auch eine Tasse Kaffee?“

„Nur, wenn Sie ihn in der Höhle gekocht haben“, erwiderte Wagner.

Siewers zuckte. Es war kaum zu sehen, aber es war da.

„Was summt in Ihrer Höhle?“, fragte Wagner.

„Wie bitte?“

„Es summt in Ihrer Höhle. Wer hat Ihnen die Kästen eingebaut?“

„Lohenstein.“

„Sie selbst?“

„Ich leite die Stadtwerke. Ich schraube nicht.“

„Wer schraubt?“

„Unser Vorarbeiter.“

„Name?“

„Franz-Josef Mertens.“

„Handy?“

„Warum?“

„Weil ich ihn sprechen will.“

„Wieso?“

„Weil jemand summt“, sagte Wagner, und Volker Siewers fand das plötzlich nicht mehr komisch.

7

Als Dr. Robert Asselmeier um zwei Uhr am Nachmittag ins Labor kam, war Wagner nicht da. Heiner schon. Das bedeutete in 85 Prozent der Fälle: Ärger. In weiteren zwölf Prozent: Papier. In den restlichen drei Prozent: beides. Asselmeier trat vor den Tisch. Er hatte einen dreiteiligen Anzug an, der so saß, als sei er mit ihm verheiratet. Seine Bleistifte lagen in Reih und Glied. Sein Oberlippenbart war so ordentlich, dass er Lüdenscheids Rasiergeräteindustrie hätte bewerben können.

„Herr Van Dong“, sagte er. „Wo ist Dr. Wagner?“

„In Attendorn“, sagte Heiner.

„Was macht er da?“

„Er ist in der Höhle.“

„Bitte?“

„Atta-Höhle. Tropfstein. Eine Tote.“

„Und ich erfahre das über die Zeitung, oder wie ist das gedacht?“

„Ich wollte es Ihnen sagen, sobald Sie da sind.“

„Ich bin jetzt da.“

„Eine Tote“, wiederholte Heiner. „Wir sind dran.“

„Wir?“, fragte Asselmeier spitz.

„Dr. Wagner. Ralf Herrmann. Ich.“

„Herr Herrmann ist Student.“

„Ein außergewöhnliches Talent“, sagte Heiner. Es war Wagners Satz, aber er sagte ihn so trocken, als hätte er ihn gerade erst erfunden.

„Und Dr. Wagner?“

„Er braucht Sie nicht.“

„Das dachte ich mir.“

Asselmeier atmete durch. Heiner merkte, dass er die Nase in seiner Hand kribbeln fühlte und zog sie leicht an. „Ich habe übrigens die Unterlagen für den Schuhmacher-Fall fertig“, sagte Heiner. Auf „Schuhmacher“ legte er eine kleine Betonung, damit Asselmeier verstand, dass dies die Stelle war, an der man ihn loben konnte.

„Gut“, sagte Asselmeier. Er nahm die Mappe. „Und richten Sie Dr. Wagner aus, dass ich nicht schon wieder dulde, dass er auf eigene Faust…“

„Ich richte es aus“, sagte Heiner. Er lächelte höflich. Er lächelte immer höflich. Und er rief in Gedanken: Wagner, wo bist du?

8

Wagner stand wieder in der Höhle. Diesmal neben einem grauen Kasten. „Lohenstein GmbH“ stand auf einem Aufkleber. Das Ding summte – leise, aber er hörte es jetzt immer. Wie wenn man eine Uhr hört, die man einmal gehört hat und nie wieder nicht hört. Neuhaus stand daneben.

„Er summt“, sagte Wagner.

„Ja“, sagte Neuhaus. „Und?“

„Summen bedeutet: schwingende Luft. Das tut Strom. Es sei denn, ein Hornisse hat sich ein Haus gebaut. Hat sie aber nicht.“

„Schön.“

„Sehen Sie hier.“ Wagner zeigte auf einen schmalen Spalt. „Feinste Späne. Alu. Mit Kalkkruste. Es hat jemand mit der Flex am Deckel gespielt, als das Ding unter Spannung stand. Frido sagt, sie stellen auf LED um. Frido sagt, es läuft alles sauber. Frido sagt, die Bloggerin hatte Fotos gemacht.“

„Sie denken, jemand hat –“, begann Neuhaus.

„– dem Kasten geholfen, falsche Dinge zu tun“, sagte Wagner. „So etwas kann man. Wenn man weiß, wie‘s geht.“

„Und was tut’s?“

„Wenn Sie das Geländer mit Strom versorgen, legen Sie jeden flach, der sich festhält“, murmelte Wagner. „Aber dazu müssten wir eine verbrannte Hand haben. Haben wir nicht.“

„Hm.“

„Oder Sie sorgen dafür, dass der FI fällt, wenn jemand mit nassen Schuhen drauftritt, und jemand anderes schiebt. Oder Sie mischen beides.“

„Oder die Dame ist gestolpert und ausgerutscht.“

„Oder so.“

„Und Sie glauben nicht dran.“

„Ich glaube an sehr wenig. An tote Körper, die sprechen. An Täter, die Fehler machen. Und an Summen.“

„Woll“, sagte Neuhaus. „Und an Geld.“

„Geld summt nicht“, sagte Wagner. „Es raschelt.“

9

Abends, als die Nebel wieder krochen, saß Dr. Wagner im MAMUTH und sah Taner zu, wie er Gläser polierte, als poliere er die Welt. Taner hatte, wie immer, ein Lächeln. Es hing irgendwo zwischen „Ich weiß was“ und „Ich sag’s dir, wenn du nett bist“.

„Du siehst aus wie einer, der in die Höhle gefallen ist“, sagte Taner.

„Ich war dicht dran“, sagte Wagner.

„Kommen Sie öfter?“, fragte Taner.

„Ich muss noch arbeiten.“

„Die Frage war nicht ernst gemeint.“

Wagner schob das Glas hin. „Hast du mal was von einer Firma Lohenstein gehört?“

„Olpe. Fleißige Jungs. Machen alles mit Licht. Fußballplätze, Kindergärten, Höhlen. Warum?“

„Weil in der Höhle eine Frau tot ist. Und weil der Kasten summt.“

Taner hob die Augen. „Als mein Onkel sein Lädchen renovieren ließ, hat Lohenstein den FI ausgetauscht. War danach alles gut.“

„Und vorher?“

„Den hat ein Verwandter gesetzt. Verwandte gesetzt. Nicht ganz regelkonform.“

„Was willst du mir damit sagen?“

„Dass hier jeder jeden kennt, woll?“

„Sag das nicht so oft. Ich weiß es.“

Taner nickte. „Der Chef von Lohenstein heißt übrigens nicht Lohenstein. Das ist der alte Firmenname. Der Chef heißt Tim Loder. Früher Fußball beim SC. Jetzt Lackschuhe.“

„Hat der Freunde?“

„Hat jeder. Manche mit Geld, manche mit Aktenkoffer.“

„Wer mit Geld?“

„Der Schwager vom Stadtwerke-Siewers.“

Wagner trank sein Glas leer. „So einfach?“, murmelte er.

„So kompliziert“, sagte Taner.

„Ich brauche Ralf Herrmann morgen“, sagte Wagner. „Und ich brauche Heiner. Und ich brauche einen Priester.“

„Was?“, fragte Taner.

„Fürs Gewissen“, sagte Wagner. „Nicht meins.“

10

Es war weit nach Mitternacht, als Wagner in Hunswinkel den Berg hinauf fuhr. Die Blockhütte stand da, als sei sie nie weg gewesen. Auf der Tür stand diesmal nichts. Kein SOMEBODY, kein Kaviar. Es roch nach kalter Luft und Holz, das einmal Wärme gewesen war. Wagner schloss auf, knipste Licht an, ging durch den Flur und blieb stehen.

Auf dem Küchentisch lag ein Zettel. Fein säuberlich. Nicht mit krakeliger Warnschrift, nicht mit Fehlern. Saubere Druckbuchstaben, aus einem Etikettendrucker.

ES GIBT DINGE, DIE MANN NICHT IN HÖHLEN SUCHT.

Wagner griente schief.

„Mann“ mit zwei N. Das war kein Tippfehler, das war Absicht. Er hob den Zettel, drehte ihn, als stünde auf der Rückseite die Lösung. Stand nicht. Er steckte ihn ein. Er zog die Küchenschublade, in die er nichts hatte. Er fand: einen Rosenkranz. Den hatte er letzte Woche aus einem Devotionalienladen geholt, weil er das Gefühl gehabt hatte, dass man Quellen auf vielen Wegen anzapfen musste. Er legte ihn zurück.

Er rief Neuhaus an. Der war wach, was nichts daran änderte, dass er so tat, als sei er’s nicht.

„Ja?“

„Wir haben Fans“, sagte Wagner.

„Ich hab’s mir gedacht.“

„Ich habe auch eine Idee.“

„Oh je“, sagte Neuhaus.

„Nur eine kleine Falle“, sagte Wagner. „Ein Summen, ein Geländer, ein Blogger-Artikel, der morgen früh wieder online geht. Und eine Kamera.“

„Sie stellen sich an ein Geländer?“

„Ich kann mich zusammenreißen.“

„Sie wissen, dass ich das nicht gutheißen kann.“

„Ich habe nicht gefragt, ob Sie es gutheißen“, sagte Wagner. „Ich habe gefragt, ob Sie jemanden mit der Hand an der Steckdose wollen, wenn’s summt.“

„Wagner“, seufzte Neuhaus. „Wenn Sie sterben, muss ich Ihrer Ex-Frau schreiben. Das macht mir schlechte Laune.“

„Die kriegt mein Briefträger auch so“, sagte Wagner. „Bis morgen. In der Höhle.“

11

Sie bauten die Falle am Morgen. Ganz offiziell, ganz inoffiziell, wie immer. Herrmann schleppte Klebeband und einen unscheinbaren Kasten – ein Spannungsprüfer mit Datenlogger, den er „das Hörgerät der Höhle“ nannte. Heiner schraubte, ohne zu schrauben, indem er das schrauben ließ, was ritsch-ratsch klickte und dabei fachmännisch aussah. Neuhaus stand mit verschränkten Armen. Wagner stand am Geländer. Er fasste nicht an. Er hörte. Er hörte das Summen, bevor Herrmann den Logger an Band klickte. Er nickte. Und was an diesem Morgen passierte, war so sauerländisch wie ein grauer Tag: Es passierte lange nichts. Und dann alles.

Zuerst ein Schatten. Kein Geräusch, nur ein Schatten. Dann Schritte. Frido, der Techniker, kam nicht. Volker Siewers kam nicht. Es kam einer, den keiner auf der Liste hatte. Franz-Josef Mertens, der Vorarbeiter, den Siewers am Vortag erwähnt hatte. Er ging so, als ging er schon immer hier. Er hatte den Blick eines Mannes, den es nervt, dass andere einen Plan haben.

„Moin“, sagte er.

„Morgen“, sagte Neuhaus.

„Was machen Sie?“

„Was man so macht, wenn eine Frau nicht mehr lebt“, sagte Wagner.

„Ach so“, sagte Mertens und sah auf den Logger. Er tat so, als wüsste er nicht, was das war. Das konnte stimmen.

„Sie waren gestern nicht erreichbar“, sagte Neuhaus.

„Wieso?“

„Weil Ihr Chef sagte, wir sollen Sie anrufen, und wir haben Sie angerufen.“

„Mein Handy war leer“, sagte Mertens.

Wagner fasste ans Geländer. Nicht direkt. Mit der Rückseite der Finger. Er spürte es: ein Hauch. Ein Summen.

„Es summt“, sagte er.

„Das ist die Höhle“, sagte Mertens.

„Sie summt nicht“, sagte Wagner. „Sie tropft.“

„Woll“, sagte Mertens.

„Sie haben am Kasten was geändert“, sagte Wagner. „Freitag. Für die LED.“

„Ich hab gesetzt, was der Plan sagt.“

„Und was sagt der Plan?“

„Plan ist Plan.“

Neuhaus trat einen Schritt. „Herr Mertens, Sie bleiben hier.“

„Wieso?“

„Weil wir das so wollen.“

„Ich muss arbeiten.“

„Wir auch.“

Mertens hob die Schultern, als lägen sie ihm im Weg. Er griff nach seiner Jacke. Er zog sie an. Er schaute an Wagner vorbei. Und dann passierte das, was Wagner im Bauch schon wusste, bevor es passierte. Mertens machte einen Schritt zu viel. Er trat auf eine Stelle, die aussah wie Boden und war keiner. Er rutschte. Er packte das Geländer. Und er schrie. Nicht, weil Strom durch ihn ging. Sondern, weil er es erwartete. Er fiel. Er schlug mit der Schulter auf, prallte ab, rollte, blieb liegen. Und dann hörte man ein drittes Geräusch, eines, das in Höhlen selten ist: Applaus. Einer klatschte. Nur einmal. Dann war es wieder still.

„War das Ihr Plan?“, zischte Neuhaus.

„Nein“, sagte Wagner. „Das war seiner.“

„Sie riskieren…“

„Ich riskiere gar nichts. Er hat sich verraten.“

Mertens lag. Er atmete schwer. Er sah aus wie einer, der gerade begriffen hatte, dass Summen nur die Vorstufe ist. Er schielte zu dem Kasten. Er sah Herrmanns Logger. Er sah Wagner. Er sah Neuhaus. Er sah keine Chance. Er sagte drei Worte.

„Der Blog… morgen.“

„Was?“, fragte Neuhaus.

„Der Blog. Morgen. ‚Unheilige Allianzen‘. Sie hat uns alle drin. Siewers und Loder, der LED-Mann. Und Reimann.“

„Wer ist Reimann?“, fragte Wagner.

„Der Pfarrer“, sagte Mertens, und lächelte krumm. „Der mit dem Schrein. Der hat gesegnet. Und Siewers hat gezahlt. Und Loder hat geschraubt. Und ich…“ Er nickte zum Geländer. „Ich hab summen lassen.“

„Warum?“, fragte Neuhaus.

„Weil sie zu nah dran war“, sagte Mertens. „Weil sie uns ruinieren wollte. Weil die Höhle nicht summen sollte, sondern zahlen. Wegen des Wassers. Wegen der Rechte. Wegen…“ Er brach ab.

„Sie haben sie geschubst?“, fragte Wagner leise.

„Nein“, sagte Mertens. „Ich hab die Späne gemacht. Loder hat den Kasten offen gelassen. Siewers hat die Pläne gemacht. Und wer geschubst hat…“ Er sah auf. „…fragen Sie den, der die Messe liest.“

12

Als der Morgen endgültig Tag war und nicht mehr graue Erfindung, stand Dr. Wagner im Sauerländer Dom, der keiner war, aber so genannt wurde. Er stand hinter einer Säule. Er sah einen Marienschrein. Er sah ein Gesicht, das er schon einmal gesehen hatte: Arthur Tegeler nicht. Aber das Gesicht von Pfarrer Reimann hatte er im Lokalteil gehabt. Reimann hatte eine neue Kindergartengruppe eingesegnet, und dazu gelächelt, wie man lächelt, wenn Fotografen in Kirchen sind. Er stand nun vor dem Schrein und bewegte die Lippen. Er sah nicht, dass Wagner da war. Wagner sah, dass Reimann da war.

„Ich mag Ihre Schilde“, sagte Wagner leise, als Reimann an ihm vorbeiging. „Die an der Tür. ‚Gott sieht alles.‘“

Reimann blieb stehen.

„Gott“, sagte er. „Nicht Sie.“

„Ich komme nachher noch mal“, sagte Wagner. „Und dann bringen Sie bitte Ihre Akten. ‚Unheilige Allianzen‘. Sie wissen schon.“

„Sie sind…“, begann Reimann.

„Gerichtsmedizinisches Institut Lüdenscheid“, sagte Wagner. „Nicht GESICHTSmedizin. Aber ich kenne mich aus mit Kulissen. Und mit Summen.“

„Sie… beleidigen die Kirche“, sagte Reimann.

„Ich beleidige nur Menschen. Und zwar die falschen“, sagte Wagner. Er lächelte dünn. „Bis nachher, Hochwürden.“

13 Im Labor stand Heiner über dem Logger-Kurvenbild. Der Summenpeak war deutlich. Er sah aus wie ein Haken, der an die Haut eines Fisches ging. Herrmann saß am Rechner und schrieb. Nicht Gedichte. Er schrieb eine Mail:

Sehr geehrte Frau Rehfeld, wir haben Ihr Passwort aus Ihrer Wohnung geholt. Ihr Blog-Post geht morgen um 9:00 online. Er wird nur eine Seite lang sein. Er wird sagen: ‚Ich habe Angst. Aber ich mache weiter.‘

Wagner las, ohne dass Herrmann ihn rief. Er nickte.

„Sie war nicht verheiratet“, sagte er. „Aber sie hat Kinder. Zwei. Die bekommen das Geld.“

„Welches?“, fragte Heiner.

„Das aus dem gelben Umschlag“, sagte Wagner. „Tegeler hat gesagt, ich soll was Gutes tun.“

„Sie glauben, Reimann…“, setzte Heiner an.

„Ich glaube, dass Menschen in Höhlen Dinge finden, die sie nicht suchen. Und dass andere Menschen nicht wollen, dass sie gesucht werden“, sagte Wagner. „Der Rest – ist Arbeit.“

14

Neuhaus war am Telefon. Er redete mit der Staatsanwaltschaft. Sein Gesicht sagte, dass er die Hälfte dessen sagte, was er dachte. „Ja. Ja. Nein. Ja. Ich bringe Ihnen einen Vorarbeiter. Und einen Stadtwerkechef. Und einen LED-Mann. Und vielleicht einen Pfarrer.“

Er legte auf. Er sah zu Wagner. „Ich habe gesagt: vielleicht.“

„Das genügt“, sagte Wagner. „Für heute.“

„Und morgen?“, fragte Neuhaus.

Wagner sah auf die Uhr.

„Morgen summt es woanders“, sagte er.

„Woll“, sagte Neuhaus.

15

Spät, als Taner die Stühle auf die Tische stellte, saß Wagner noch da. Er hatte nicht getrunken. Er hatte auch nicht gegessen. Er hatte eine Liste geschrieben, mit einer Handschrift, die aussah, als hätte die Geduld selbst sie gezeichnet:

– Werkzeuglisten Frido / Mertens – Mails Siewers / Rehfeld – Auftragsbuch Loder / Lohenstein – Kontoauszüge Förderverein Kirchendach – FI-Protokolle Höhle – Fotos Rehfeld (Originale, nicht Blog) – Logger-Daten (Heiner) – Post „Unheilige Allianzen“ (9:00)

Er legte den Stift hin. Taner deutete auf die Tür.

„Du bringst den Pfarrer nicht in die Höhle“, sagte er.

„Ich bring die Höhle zum Pfarrer“, sagte Wagner.

„Du bist verrückt“, sagte Taner.

„Ich bin wach“, sagte Wagner.

„Und müde?“

„Müde sind die, die sich ausruhen“, sagte Wagner. Er stand auf. „Gute Nacht, Taner.“

„Schlaf dich aus“, sagte Taner.

„Ich hab’s versucht“, sagte Wagner. „Die Höhle summt zu laut.“

16 Der Morgen danach war einer von denen, an denen Sauerländer Espresso trinken, obwohl der Kaffee besser wäre. Es war kurz vor neun, als der Blogpost online ging. Ein Satz. Kein Foto. Kein Hashtag. Kein Summen. Nur Stille. Und dann, eine Minute später, war sie vorbei.

Es klingelte bei Dr. Wagner. Er hob ab. Er hörte nichts. Er legte auf. Es klingelte wieder. Er hob ab. Diesmal hörte er eine Stimme. Eine, die betete.

„Hochwürden“, sagte Wagner.

„Gott sieht alles“, sagte Reimann.

„Ich auch“, sagte Wagner.

„Sie haben keine Ahnung“, sagte Reimann.

„Sie auch nicht“, sagte Wagner. „Aber wir können das ändern. Kommen Sie mit in die Höhle.“

„Nie“, sagte Reimann.

„Dann komme ich mit in die Sakristei“, sagte Wagner.

„Sie drohen?“

„Ich lade ein“, sagte Wagner. „Unheilige Allianzen sind nur so lange unheilig, wie keiner sie so nennt.“

Er legte auf, ehe Reimann es tat. Er sah auf die Uhr. 9:03. Er griff nach dem Kittel. Er rief Heiner. Er rief Neuhaus. Er rief niemand sonst. Er ging.

Die Höhle war da. Der Kasten summte. Der Logger zeichnete auf. Herrmann sah auf den Bildschirm. Heiner stand daneben. Neuhaus stand am Geländer. Wagner sah in den Bauch der Erde.

„Also“, sagte er leise. „Auf in die Messe.“

Er trat vor. Und die Tropfen fielen. Jede Sekunde einer. Jede eine Geschichte.

17

Die Sakristei roch nach kaltem Stein, nach Wachs und nach dem, was man in Messkatalogen unter „Weihrauch, Mischung Rom“ fand. Pfarrer Reimann stand halb hinter einem Schrank, als seien Messgewänder hervorragende Verbündete. Auf dem Tisch lagen ein aufgeschlagenes Messbuch, ein Schlüsselbund mit mehr Metall als jeder Schlüsselbund brauchte und eine Spendenliste mit säuberlichen Strichen.

„Ich habe um zehn eine Beerdigung“, sagte er, als Neuhaus und Wagner eintraten. Es klang, als wollte er die beiden in ein Zeitfenster sperren.

„Dann halten wir uns kurz“, meinte Neuhaus und klappte seinen Ausweis auf, als sei es eine Hostie. „Wir brauchen ein paar Antworten. Keine Predigt.“

Reimann deutete auf zwei Stühle. Er setzte sich nicht. Er blieb stehen, als wäre Aufrechtsein eine Tugend.

„Worum geht es?“, fragte er.

„Um Anna Rehfeld“, sagte Wagner ruhig. „Und um Ihren Namen in ihren Mails.“

Einen Hauch lang zuckte etwas in Reimanns Gesicht. Nicht viel. Genug.

„Ich…“ Er holte Luft. „Frau Rehfeld hat mich kontaktiert. Schon vor Wochen. Sie wollte wissen, ob die Kirche etwas mit dem Wasserrecht am Karsthang zu tun hat. Ich habe ihr gesagt: Nein. Das gehört dem Zweckverband. Sie ließ nicht locker. Sie wollte, dass ich vermittle. Zwischen ihr und Herrn Siewers. Und Herrn Loder. Sie sagte, sie habe Hinweise, dass die Vergaben – nennen wir es: nicht sauber waren. Ich habe gesagt: In Attendorn ist man freundlich. Man redet miteinander. Ich…“ Er brach ab. „Ich habe Herrn Siewers gebeten, sich mit ihr zu treffen. Ein Gespräch bei mir im Pfarrhaus. Er lehnte ab. Er wollte… Neutralität. Er sagte, das gehöre nicht in die Kirche.“

„Und in die Höhle?“, fragte Wagner.

„Sie hat mich gebeten, ihr früh Zugang zu verschaffen. Fotos ohne Touristen. Ich habe ihr gesagt: Ich habe keine Schlüsselgewalt in der Höhle. Ich kann Ihnen …“ Er deutete auf den Schlüsselbund, dann ließ er die Hand sinken. „Ich habe es nicht getan.“

„Freitag waren Sie in der Höhle“, sagte Neuhaus. „Eine Zeugin hat Sie gesehen.“

Reimann blinzelte. Er schaute auf das Messbuch, als stünde darin eine passende Stelle. „Ich… Ich war da. Kurz. Ich habe Herrn Mertens getroffen. Er sagte, sie stellen um. Ich war neugierig. Die Höhle ist ja – ein Schatz. Für die Stadt. Für die Menschen. Für die Schöpfung, wenn Sie so wollen. Ich habe gebetet. Dann bin ich gegangen.“

„Samstag?“, fragte Wagner.

„Nein.“

„Sonntag?“, fragte Neuhaus.

„Ich habe Messe gelesen.“

„Heute Morgen?“, hakte Wagner nach.

„Ich… betete vor der Frühmesse“, sagte Reimann. „Beim Schrein. Wie jeden Montag. Ich habe dann den Anruf bekommen.“

„Von wem?“

„Vom Küster. Er liest immer die WAZ zu früh.“

Neuhaus stieß hörbar Luft aus. „Herr Pfarrer“, brummte er, „halten Sie uns nicht zum Narren. Wir haben Mails. Wir haben Spendenquittungen. Vom Förderverein Pfarrheim. Großspender: Stadtwerke Attendorn. Einmal zwanzigtausend. Einmal fünfunddreißigtausend. Verwendungszweck: ‚LED-Projekt Höhle – Bildungsarbeit Schöpfung‘, unterschrieben von Herrn Siewers. Wir haben einen Vorarbeiter, der sagt, wir sollen Sie fragen, wer geschubst hat. Und wir haben eine Tote, die nicht von allein ins Wasser gefallen ist.“

Reimann setzte sich jetzt. Er tat es langsam. Er legte die Hände flach auf den Tisch.

„Ich habe niemand geschubst“, sagte er leise. „Ich habe Sünden, gewiss. Eitelkeit. Ich mag es, wenn Menschen sagen: Der Pfarrer kümmert sich. Ich habe Spenden angenommen, ja. Ich habe das mit reinen Händen getan, weil ich glaubte, es sei gut: LED sparen Strom. Bildung über Schöpfung bewahrt die Schöpfung. Aber ich habe niemand in der Höhle angetastet. Ich habe niemandem wehgetan. Nicht mit meinen Händen.“

„Mit wessen dann?“, fragte Wagner.

„Ich weiß es nicht“, sagte Reimann und sah ihn an. „Aber ich weiß, dass Herr Siewers Angst hatte. Er sagte mir am Donnerstag: ‚Die macht uns kaputt, Hochwürden.‘ Ich sagte: ‚Dann seien Sie sauber.‘ Er sagte: ‚Sie verstehen das nicht.‘“

„Und Herr Loder?“, fragte Neuhaus. „Ihr LED-Mann.“

„Er hat es als Gottesdienst bezeichnet“, sagte Reimann bitter. „‚Wir erleuchten die Höhle.‘ Ich habe ihm gesagt: ‚Die Höhle leuchtet selbst.‘“

Wagner ließ den Blick durch die Sakristei wandern. Auf dem Schrank stand eine kleine Marienfigur. Die Hände ausgebreitet, wie jemand, der sagt: Kommt alle, es ist genug da. Wagner dachte kurz an Tegeler. Er schob den Gedanken weg.

„Haben Sie mit Frau Rehfeld telefoniert? Freitagabend?“, fragte er.

„Ja“, sagte Reimann. „Sie sagte, sie habe die Belege. Mails. Verabredungen. Einzahlungen. Sie sagte, sie wolle mir das zeigen. Samstag früh in der Höhle. Ich habe abgesagt. Beerdigungsvorgespräch. Ich—“ Er schluckte. „Ich erschien nicht.“

„Wer erschien?“, fragte Neuhaus.

„Ich weiß es nicht“, sagte Reimann. „Aber wenn Sie mich fragen, wen ich dort am ehesten vermute…“

„Sagen Sie’s“, sagte Wagner.

„Herrn Siewers“, sagte der Pfarrer. „Und Herrn Loder.“

18

Die Obduktion begann am Nachmittag. Wagner hatte sich aufs kalte Licht der Halle gefreut. Es gab ihm – paradoxerweise – Ruhe. Manchmal war das Sezieren fast wie ein Psalm: man sprach das Ritual und hörte erst dann, was der Text sagte.

„Also“, sagte er, als Heiner und Herrmann auf ihren Plätzen waren. „Wir hören, was sie sagt.“

Er schlug den Berichtbogen auf, diktierte leise ins Gerät, das schon viele Dinge gehört hatte, die niemand hören wollte. „Weiblich, etwa 35 bis 40. Anna Rehfeld. Oberfläche: multiple Schürfungen an Knie und Schienbein, links betont. Hämatome an Oberarmen, beidseits, ringförmig, Durchmesser 3 bis 4 cm – klassisch für Griffspuren. Keine elektrischen Eintritts- oder Austrittsmarken an Handflächen, keine Verbrennungen an Kontaktflächen. Gesicht: Schaum im Mundwinkel, zart, feinblasig – Schaumpilz.“

Heiner nickte kaum. Herrmann hielt still, als könne er das Wort „Schaumpilz“ festhalten.

„Thorax“, fuhr Wagner fort. „Rippen intakt. Lunge: vergrößert, schwer. Schnittfläche: feucht, dunkelrot. Wasser in den Luftwegen. Pleuraspalt frei. Herz: altersentsprechend, unauffällig. Keine koronaren Sklerosen. Magen:…“ Er hielt inne, ließ Heiner das Skalpell reichen. „…wässriger Inhalt, wenig. Riechprobe: Höhlenwasser. pH…“ Er blickte Heiner an.

„Leicht alkalisch“, sagte Heiner, schon am Teststreifen.

„Wir nehmen Diatomeen“, sagte Wagner. „Kieselalgen. Wenn’s dieselben sind wie in der Höhle, fressen wir dem Pfarrer den Rosenkranz nicht weg.“

Herrmann lächelte dünn. Er notierte. „Fingernägel?“, fragte er.

„Schaben“, sagte Wagner. Er zog kleine Spatel aus dem Kasten, löste Material unter den Nägeln. Es war wenig. Ein Hauch. Aber manchmal war ein Hauch genug. „Heiner, sichern. DNA.“

„Schon dabei“, murmelte Heiner.

„Zeitpunkt des Todes?“, fragte Herrmann leise.

Wagner atmete aus. „Zwischen sechs und acht Uhr. Passt zu Mechtilds Hund. Alles weitere: nach Labor. Vorläufige Todesursache: Ertrinken. Und: Fremdeinwirkung – Griffspuren. Mord.“

Es war kein Wort, das man gern aussprach; aber es war eines, das in der Halle ehrlich am Platz war.

„Und das Summen?“, fragte Herrmann.

„War Show“, sagte Wagner. „Oder Angstverstärker. Oder Druckmittel. Wer den Kasten summen lässt, zeigt: Ich kann euch das Licht ausknipsen. Aber hier war jemand, der Hände hatte. Hände, die zupackten. Vielleicht war der Plan: erschrecken, drohen, ausrutschen lassen. Und dann die halbe Sekunde, in der man hält. In der man zieht. In der man drückt.“

Er nahm das Diktiergerät aus der Klemme und sah Herrmann an. „Ich weiß, Sie mögen Fantasie“, sagte er. „Aber die Toten mögen Präzision.“

„Ich weiß“, sagte Herrmann.

19

Um vier stand Neuhaus wieder bei Siewers im Büro. Diesmal setzte er sich nicht hin. Diesmal ging er direkt zum Fenster, zog die Jalousie halb und drehte sich um.

„Wir haben Frau Rehfeld obduziert“, sagte er. „Sie ist ertrunken. Sie hat Griffspuren. Und sie hat unter den Nägeln Haut. Nicht ihre.“

Siewers schluckte. Es war hörbar. „Was habe ich damit zu tun?“

„Sie hatten einen Termin mit ihr“, sagte Neuhaus.

„Nein“, sagte Siewers.

„Doch“, sagte Neuhaus und legte einen Ausdruck hin. Es war eine Mail. Kurz, sachlich. „Samstag, 6.30 Uhr, Höhle. Ohne Publikum. – V. S.“ Siewers starrte auf den Punkt hinter dem S.

„Das…“, begann er.

„Und wir haben, dass Sie Ihrem Vorarbeiter gesagt haben: ‚Bring das in Ordnung.‘“, setzte Neuhaus nach. „Er hat uns das gesagt. Er hat gesagt, Sie hätten Angst gehabt. Dass ‚die mit ihrem Blog‘ Sie kaputt macht. Ihre Worte?“

Siewers’ Gesicht lief Farben durch, die es bei Wettervorhersagen selten gab. Er machte den Mund auf, schloss ihn wieder. „Ich…“, sagte er. „Es ist kompliziert.“

„Nein“, sagte Neuhaus.

„Doch“, sagte Siewers. „Wir haben Ausschreibungen. Ja. Da ist man flexibel. Alle sind das. Sie wissen das. Die Lichter in der Höhle sollten günstig sein, weil der Rat wieder schimpft. Also nimmt man den, den man kennt. Den, der schnell ist. Den, der – spenden will. Es ist doch für einen guten Zweck. LED sparen Strom. Der Förderverein bekommt Geld. Die Kirche freut sich. Alle freuen sich. Bis eine kommt und sagt: ‚Das ist nicht sauber.‘ Aber keiner sagt: ‚Dankeschön, dass Sie uns das sagen.‘ Alle sagen: ‚Sie ruinieren uns.‘ – Ja, ich habe mich mit ihr treffen wollen. Um sie – zu beruhigen.“

„Wo?“, fragte Neuhaus.

„In der Höhle“, sagte Siewers heiser. „Ich dachte, da ist man ohne Ohren.“

„Und?“, fragte Neuhaus.

„Sie… kam nicht“, sagte Siewers.

„Das ist gelogen“, sagte Neuhaus. „Sie lag da. Und sie ist jetzt tot.“

„Ich—“, sagte Siewers und drückte die Finger gegen die Augen, als könne er sich so eine neue Version seines Morgens drucken. „Ich kam zu spät. Loder war schon da. Er sagte: ‚Ich kümmre mich.‘ Ich sagte: ‚Worum?‘ Er sagte: ‚Um das.‘ Und dann lag sie da. Im Wasser. Ich – ich warf mich nicht rein. Ich…“ Er wandte den Kopf. „Ich bin nicht stolz darauf. Ich bin gegangen.“

Neuhaus brauchte eine Sekunde, damit seine Hände nicht etwas taten, was er bedauerte. „Also: Herr Loder war da“, brachte er hervor.

„Ja“, sagte Siewers.

„Um wie viel?“, fragte Neuhaus.

„Sechs fünfzig. Sieben. Ich – ich weiß es nicht.“

„Und er hat…?“, fragte Neuhaus.

„Er hat geschubst“, sagte Siewers und sah Neuhaus an, als wolle er von ihm Absolution. „Oder gehalten. Oder nicht gehalten.“

„Sie werden uns jetzt eine Sache nicht antun, Herr Siewers“, sagte Neuhaus leise. „Sie werden nicht so tun, als sei das egal. Es ist nicht egal.“

20

Olpe. „Lohenstein“ klebte in Großbuchstaben auf dem Garagentor. Darunter: „Loder Licht GmbH“. Das Tor war halb offen. Es roch nach Metall und nach Kabelummantelung. Ein Mann stand mit dem Rücken zu ihnen an einem Regal und sortierte Kisten. Er hörte die Schritte und drehte sich um. Tim Loder war Ende vierzig, trug seine Haare so kurz, als wolle er ein Zeichen setzen, und lächelte, als sei Lächeln ein Werkzeug.

„Polizei“, sagte Neuhaus.

„Ah“, sagte Loder. „Wegen der Höhle. Eine Tragödie.“

„Ja“, sagte Wagner. „Wie tragisch war Ihr Morgen, Herr Loder?“

„Wieso?“

„Weil Sie vor sieben in der Höhle waren.“

Loder hob die Brauen. „Ich? Ich war…“, begann er. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich möchte meinen Anwalt anrufen.“

„Das dürfen Sie“, sagte Neuhaus. „Aber davor dürfen Sie uns die Finger zeigen.“

„Wie bitte?“, fragte Loder.

„Die Hände“, sagte Wagner. „Aufschürfungen. An den Unterarmen. Griffspuren. Fingernägel. Ich wette – ohne Wetteinsatz –, dass wir an Ihnen finden, was an Frau Rehfeld unter den Nägeln ist. Und dass wir an Ihrer Jacke Höhlenkalk finden.“

Loder sah auf seine Hände. Er zog sie reflexhaft an den Körper. Es war eine ehrliche Bewegung. Er wusste, was er hatte. Er hatte zu viel. Er hatte Höhle an sich.

„Ich will meinen Anwalt“, wiederholte er.

„Woll“, sagte Neuhaus. „Rufen Sie ihn. Und bleiben Sie da.“

Loder ging zwei Schritte, dann blieb er stehen. Er sah die beiden an. Er hob die Hände. Nicht hoch, nur halb. Es war keine Geste der Kapitulation. Es war eine der Müdigkeit.

„Sie verstehen das nicht“, sagte er. „Es war ein Unfall.“

„Nein“, sagte Wagner.

„Sie hat sich in den Kasten eingemischt“, sagte Loder. „Hat gesagt: ‚Das ist alles falsch.‘ Hat den Deckel angefasst. Ich wollte nur—“ Er machte eine Bewegung, als wolle er jemandem einen Arm hinter den Rücken drehen. „—sie wegziehen. Sie rutschte. Sie fiel. Ich… hielt sie. Eine Sekunde. Zwei. Vielleicht war’s länger. Ich weiß es nicht mehr. Ich hatte…“ Er holte Luft. „Ich hatte Angst. Wenn man etwas baut, baut man’s für Menschen. Und wenn ein Mensch fällt—“ Er brach ab. „Es war nicht…“

„Vorsatz?“, half Wagner.

„Nein“, sagte Loder. „Panik.“

„Und danach?“, fragte Neuhaus.

„Ich rief Siewers“, sagte Loder. „Er sagte: ‚Ich komme.‘ Ich… ging. Ich…“ Er presste die Lippen aufeinander. „Ich bin kein Mörder.“

„Sie haben eine Frau sterben lassen“, sagte Neuhaus sachlich. „Das ist keine Debatte, Herr Loder. Das ist eine Tatsache.“

„Ich—“, sagte Loder und ließ die Hände sinken. „Ich wollte doch nur—“

„—LED verkaufen“, sagte Wagner. „Und sich selbst. Und die Stadt. Und die Kirche. Und die Welt. Und jetzt verkaufen Sie’s einem Richter. Ohne Lichtshow.“

21

Als sie Atta verließen, lag über dem Tal ein trüber Streifen Sonne, der es aus Prinzip versuchte. Wagner stand einen Moment an der Brüstung des Parkplatzes und sah hinunter auf die Bäume. Er dachte an Petra Serner, an den gelben Umschlag in seiner Schublade. Er dachte an Anna Rehfelds letzten Blogsatz: „Ich habe Angst. Aber ich mache weiter.“ Er dachte an Pfarrer Reimann, der einen Rosenkranz umklammerte wie einen Halt. Er dachte an Siewers, der das Gesicht eines Mannes hatte, der in einem Spiegel jemand anderes gesehen hatte und diesen Jemand nicht mochte.

„Sie sehen aus wie einer, der Messe gelesen hat“, sagte Neuhaus, der neben ihn getreten war.

„Ich habe nur zugehört“, sagte Wagner.

„Und?“

„Manchmal reicht das“, sagte Wagner. „Meistens.“

„Und wenn nicht?“, fragte Neuhaus.

„Dann summt es“, sagte Wagner und lächelte schief.

Sie gingen zum Wagen. Herrmann wartete dort, die Hände an der Motorhaube, als wärmen sie sich an Blech. Heiner kam mit zwei Pappbechern Kaffee, von denen einer aussah, als sei er schon längst leer „für Dr. Wagner“.

„Asselmeier hat angerufen“, sagte Heiner. „Er will eine ‚kurze schriftliche Einschätzung‘.“

„Sagen Sie ihm, ich schicke ihm eine lange“, sagte Wagner.

„Das wird ihm gefallen“, sagte Heiner.

Wagner nahm den Becher. Er roch. Er trank nicht.

„Und der Pfarrer?“, fragte Herrmann.

„Wird seine Spenden künftig anders verbuchen“, sagte Wagner. „Und Beerdigungen halten, ohne LED-Männer im Nacken.“

„Sie glauben, er hat wirklich nichts…?“, fragte Herrmann.

„Er hat weggesehen“, sagte Wagner. „Das kann Mord sein. Aber er war’s nicht.“

Sie stiegen ein. Die A45 wartete irgendwo, wie immer. Ein Stau wartete irgendwo, wie immer. Wagners Telefon summte. Er hob ab.

„Wagner“, sagte er.

„Hochwürden“, sagte es am anderen Ende. „Ich wollte Ihnen sagen: Ich habe es gelesen.“

„Was?“, fragte Wagner.

„Den Satz. ‚Ich habe Angst. Aber ich mache weiter.‘ – Ich werde darüber predigen. Ohne Namen. Mit Sinn.“

„Tun Sie das“, sagte Wagner.

„Und Sie?“, fragte Reimann.

„Ich habe auch Angst“, sagte Wagner, „aber ich mache weiter.“

Er legte auf. Er lehnte den Kopf einen Moment gegen die Kopfstütze. Dann drehte er sich zu Neuhaus.

„Haben Sie an den Brief an Ihre Frau gedacht?“, fragte er.

„Welchen Brief?“, brummte Neuhaus.

„Den, den Sie nicht schreiben müssen“, sagte Wagner.

„Woll“, sagte Neuhaus.

Sie fuhren los. Hinter ihnen blieb die Höhle. Vor ihnen begann die nächste. Und irgendwo im Sauerland summte wieder etwas, das nicht summen sollte.

22

Asselmeier stand vor der Glaswand des Besprechungsraums und hielt den Rücken so steif, als sei er an der Wirbelsäule gebügelt. Auf dem Tisch lagen drei Mappen, farblich sortiert. Die mittlere trug den Aufkleber: Rehfeld.

„Dr. Wagner“, begann er, als der Betreffende eintrat, Heiner im Schlepptau, Herrmann gleich hinterher, „wir müssen reden.“

„Wir reden“, sagte Wagner. Er legte sein Diktiergerät dazu, so als handle es sich um einen Blumenstrauß.

„Über Vorgehensweisen“, präzisierte Asselmeier. „Über Absprachen. Über Dienstwege.“

Heiner sah auf seine Schuhe. Herrmann schob sich die Brille zurecht. Wagner hob die Hände in einer Geste, die ungefähr so viel Friedfertigkeit ausstrahlte wie ein schlecht verzogener Peace-Zeichen-Aufkleber.

„Herr Dr. Asselmeier“, begann er, „die Frau war tot. Der Kasten summte. Der Vorarbeiter redete. Der Stadtwerkechef schlingerte. Der LED-Mann gestand. Ich sehe nicht, wo der Dienstweg gekürzt wurde.“

„Sie waren in der Höhle. Zwei Tage. Ohne Freigabe.“

„Die Freigabe hat die Höhle erteilt“, knurrte Wagner. „Sie hätten den Geräuschpegel hören sollen.“

„Witze helfen uns nicht“, sagte Asselmeier. Er tippte auf die Mappe. „Ich habe Ihre vorläufige Stellungnahme. Sie ist… ausführlich.“

„Sie wollten eine kurze“, half Heiner.

„Ich schrieb eine lange“, sagte Wagner. „Wir wissen ja: Der Zeilenpreis…“

„Genug!“, schnappte Asselmeier und streifte mit zwei Fingern seinen Oberlippenbart glatt, als müsse er ihn beruhigen. Dann seufzte er. „Ich werde – wider besseren inneren Widerstand – die Staatsanwaltschaft informieren, dass wir in dieser Sache unterstützen. Sie werden, Dr. Wagner, bitte das tun, wofür Sie bezahlt werden: Obduktionsbericht final. Kein Blog. Keine Presse. Kein Höhlenführer-Interview.“

„Bin ich je in der Zeitung gewesen?“, fragte Wagner unschuldig.

„Bedauerlicherweise nicht nur dort“, murmelte Asselmeier. Er nahm die Mappe, stapelte sie mit den anderen und nickte Heiner knapp zu. „Gute Arbeit, Herr Van Dong. Herr Herrmann – Sie haben Talent. Bleiben Sie zu unserem Leidwesen in der Nähe.“

Herrmann lächelte verlegen, und in seinem Lächeln lag eine aufrichtige Freude, wie sie in Amtsstuben nur selten vorkommt.

„Eine Kleinigkeit noch“, sagte Wagner, als man schon fast auseinanderfloss wie ein Tropfstein im Warmen. „Ich brauche ein Formular.“

„Wofür?“, fragte Asselmeier misstrauisch.

„Spende“, sagte Wagner. „An die Familie.“

„Welche?“

„Rehfeld.“

„Wir sind ein Institut“, sagte Asselmeier und klang, als rolle er den Satz schon zum hundertsten Mal über die Zunge. „Kein karitativer Verein.“

„Ich bin ein Mensch“, sagte Wagner. „Das kommt vor.“

„Die Kirche…“, begann Asselmeier.

„…hat schon genug LED“, beendete Wagner. „Ich bring’s persönlich.“

23

Das Haus lag am Rande von Ennest, ein schmales Reihenhaus mit einem pfiffig bemalten Zaun – Sonne, Wolke, Baum. Auf dem Klingelschild stand: Rehfeld / Schulte. Wagner klingelte. Er hörte Kinderstimmen irgendwo drinnen, dann Schritte, dann stand eine Frau in der Tür, in einem Pulli, der so aussah, als sei er schnell übergezogen worden, und mit Augen, die die letzten Nächte nicht sonderlich großzügig gewesen waren.

„Ja?“, fragte sie, und ihre Stimme klang, als sei sie an etwas Hartem entlanggeschrammt.

„Mein Name ist Wagner“, sagte er. „Gerichtsmedizin. Ich—“ Er hielt den Umschlag hoch. Er fühlte sich plötzlich unendlich ungeschickt. „Ich wollte Ihnen…“ Er suchte nach einem Wort, das nicht nach Trostpflaster klang. „…etwas geben.“

„Geben?“, wiederholte sie. Sie sah auf den Umschlag und nicht auf seine Augen. „Wir haben eine Kollekte…“

„Es ist privat“, sagte Wagner. „Kein Amt. Kein Papier. Von jemandem, der…“ Er stockte und dachte an das warme Wasser im Wintergarten von Meinerzhagen, an das goldene Hufeisen. „…der mir einmal sagte, ich solle etwas Gutes damit tun.“

„Wer sind Sie?“, fragte sie noch einmal, diesmal mit einem Hauch von Schärfe, die die Frage aufrichtiger machte.

„Jemand, der Ihrer Schwester zugehört hat“, sagte er. „Zu spät. Aber lange.“

Sie sah ihn an, prüfend, noch nicht milder. Dann nickte sie kaum. „Sie hat laut geredet“, sagte sie. „Manchmal sehr laut. Manchmal zu laut, sagten einige.“

„Ich mochte das“, sagte Wagner. „Laut ist besser als summen.“

Sie holte tief Luft, und in diesem Atemzug war mehr enthalten als Sauerstoff. „Kommen Sie rein“, sagte sie dann. „Nur kurz. Die Kleinen…“ Sie deutete nach hinten. „…sind wieder hungrig.“

Der Flur roch nach Tomatensauce. Aus dem Wohnzimmer drang eine Kinderstimme: „Oma hat gesagt…“ Das Wort „Oma“ blieb im Raum wie eine Bitte.

„Anna…“, begann die Frau und brach ab. „Sie war…“

„Ja“, sagte Wagner.

„—stur“, sagte sie und lachte kurz, obwohl ihr danach nicht war. „Sie hat sich in Dinge…“ Sie machte eine Bewegung mit der Hand, die irgendwo zwischen „eingemischt“ und „hineingeschoben“ lag. „…gehängt. Manche sagten: ‚Warum?‘ – Ich sag: Weil.“

Wagner nickte. „Ich kenne da jemanden“, sagte er.

Sie nahm den Umschlag. Sie hielt ihn nicht fest. Sie hielt ihn, als sei er etwas, das man weitertragen musste, nicht aufbewahren.

„Vielen Dank“, sagte sie.

„Gern“, sagte er und merkte, dass das Wort falsch war und doch passte. Auf dem Rückweg sah er die Zeichnungen an der Wand. Eine zeigte eine Höhle, ein See, bunte Lichter. In krakeligen Buchstaben stand darunter: „Atta.“

24

Der Haftbefehl gegen Loder kam schneller als Wagners Magen mit dem Kantinenessen klarkam. Vorwurf: Körperverletzung mit Todesfolge. Gegen Siewers: Beihilfe durch Unterlassen. Gegen Mertens: gefährlicher Eingriff in den Betrieb einer Anlage. Pfarrer Reimann bekam keinen Haftbefehl. Er bekam eine Vorladung – als Zeuge und als Mensch, der seine Spendenquittungen in Zukunft genauer lesen sollte.

Die Presse rief an. Wagner ging nicht ran. Neuhaus ging ran, brummte etwas von „laufenden Ermittlungen“ und legte wieder auf. Heiner sortierte Kurven. Herrmann schrieb Protokolle. Taner im MAMUTH stellte das Fernseherchen auf die Theke und stellte den Ton aus.

„Es wird anders werden“, sagte er, als Wagner abends erschien und sich auf denselben Hocker setzte wie immer. „Die Leute werden jetzt überall summen hören.“

„Wenn sie anfingemacht haben, richtig hinzuhören, ist schon viel gewonnen“, sagte Wagner.

Taner nickte. Er stellte ihm ein Glas hin. Wasser. Kein Sidi Harazem. Leitungswasser. Sauerland. Er hob sein eigenes Glas. „Auf die, die laut reden“, sagte er. „Und auf die, die zuhören.“

Wagner hob das Glas. „Und auf die, die nicht schubsen“, sagte er.

Sie tranken. Draußen schob sich ein Lieferwagen vorbei, so dicht am Schaufenster, dass das MAMUTH vibrierte. Taner sah hinaus. „Wahrscheinlich Brötchen für morgen“, sagte er. „Wenn du willst, ich halte dir eine übrig.“

„Ich komme nicht zum Frühstück“, sagte Wagner. „Ich muss früh ins Institut. Asselmeier will die ‚kurze Stellungnahme‘.“

„Schreib ihm eine lange“, sagte Taner.

„Hab ich“, sagte Wagner.

25

Es war noch dunkel, als es klopfte. Nicht an der Haustür. An der Terrassentür. Wagner fuhr hoch, nicht panisch, aber sofort wach. Er stand auf, ging leise in die Küche, sah durch den Schlitz der Jalousie. Eine Gestalt. Kleiner als Kurt, schmaler als Hutmacher, nicht Martina. Er nahm die Taschenlampe, drückte den Schalter nicht. Er ging zur Tür.

„Wer ist da?“, fragte er.

„Ralf“, sagte die Stimme. „Herrmann.“

Wagner öffnete. Herrmann stand da, die Brille beschlagen, in der Hand einen USB-Stick, den er hielt, als sei er eine Trophäe und eine heiße Kartoffel zugleich.

„Ich konnte nicht schlafen“, sagte er. „Ich… habe mir die Kieselalgen angesehen. Ich wollte…“

„Komm rein“, sagte Wagner. „Wenn du Frieren üben willst, komm mit mir in die Obduktionshalle.“

Herrmann trat ein. Er hielt den Stick hoch. „Die Diatomeen“, sagte er. „Sie passen. Höhle. Eindeutig.“

„Gut“, sagte Wagner. „Dann haben wir etwas, das kein LED-Mann der Welt wegdiskutiert.“

„Und noch etwas“, sagte Herrmann. „Ich habe im Blog-Backend von Frau Rehfeld…“

„Du hast…?“, hob Wagner die Brauen.

„Ich weiß…“, sagte Herrmann schnell. „Datenschutz und so. Aber… es gibt eine Nachricht. An sie. Samstagfrüh. Eine, die gelöscht war. ‚Kommen Sie ohne Telefon. Sonst gehe ich. V.‘“

„V wie Volker“, murmelte Wagner. „Siewers.“

„Oder V wie ‚Vater unser‘“, sagte Herrmann, und sein Versuch von Witz stolperte.

„Schon gut“, sagte Wagner. „Das nehmen wir mit.“

Er schickte Herrmann aufs Sofa und machte Kaffee. Er stand am Küchenfenster und sah in die Nacht. Über dem Listersee hing ein grauer Streif. Es war einer dieser Sekunden, in denen man sich vornehmen konnte, heute mal keine Tote zu sehen. Dann klingelte sein Telefon. Er nahm ab.

„Wagner.“

„Heiner“, sagte die ruhige Stimme. „Erinnern Sie sich an den Schuhmacher-Fall?“

„Welchen?“

„Der mit dem Fenstersturz. Die Witwe. Die Lebensversicherung. Ich habe da… etwas, das nicht passt.“

Wagner schloss die Augen. Er öffnete sie. Er sah den Streif über dem See.

„Ich komme“, sagte er.

„Es summt nicht“, sagte Heiner.

„Macht nichts“, sagte Wagner. „Wir haben ja Ohren.“

26

Als er fuhr, rief er Neuhaus an. „Ich bin für zwei Stunden im Institut“, sagte er. „Heiner hat etwas.“

„Ich habe auch etwas“, sagte Neuhaus. „Ein Anruf aus Köln. Der Herz-Gott – Dr. Sander – fragt, ob Sie den Pfarrer kennen.“

„Warum?“, fragte Wagner.

„Er hat die Predigt gehört“, sagte Neuhaus. „Und will, dass Sie mal nach Köln kommen. Er hat da eine Sache mit einem Patienten, der—“