150 Jahre Mannheimer Energien -  - E-Book

150 Jahre Mannheimer Energien E-Book

0,0
36,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die spannende Geschichte von Energie und Wasser in Mannheim: fundiert recherchiert, wissenschaftlich aufbereitet und anschaulich erzählt

Die Versorgung mit Wasser und Energie ist elementar für das Gedeihen einer Stadt. Auch für die werdende Großstadt Mannheim musste in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine entsprechende Infrastruktur geschaffen werden. Mit der Kommunalisierung des zuvor privat geführten Gaswerks im Jahr 1873 beginnt die Geschichte der Mannheimer Stadtwerke, die heute – 150 Jahre später – als MVV Energie AG ein modernes, börsennotiertes und international agierendes Unternehmen geworden sind.

Fachlich ausgewiesene Autorinnen und Autoren untersuchen technische, wirtschaftlich-soziale und organisatorische Entwicklungen des Unternehmens im Spiegel der Geschichte Mannheims unter Einbeziehung reichlichen historischen Bildmaterials. Hinzu kommt eine Fotostrecke des renommierten Fotografen Horst Hamann, die das Buch abrundet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 844

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Beitragende

Johannes Bähr

Jasmin Breit

Doreen Kelimes

Dagmar Kiyar

Martin Krauß

Andreas Löschel

Hans-Jochen Luhmann

Ulrich Nieß

Andrea Perthen

Sabine Pich

Hanspeter Rings

Daniel Römer

Dieter Schott

Walter Spannagel

Bernhard Stier

Harald Stockert

Thomas Throckmorton

Fotograf

Horst Hamann

Impressum

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Herausgegeben von der MVV Energie AG in Zusammenarbeit mit dem MARCHIVUM

Dieses Buch erscheint aus Anlass des 150-jährigen Jubiläums der MVV Energie AG.

Copyright © 2023 by Siedler Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Anne Hagenlocher

Gestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Satz: Markus Miller, München

Grafiken: Peter Palm, Berlin

Bildbearbeitung: Regg Media GmbH, München

ISBN 978-3-641-29735-0V001

www.siedler-verlag.de

INHALT

Grußwort Winfried Kretschmann

Grußwort Dr. Peter Kurz

Vorwort Dr. Georg Müller

1.Ein Blick zurück – Hanspeter Rings

1.1Das Trinkwasser

1.2Es werde Licht!

1.3Wärme und Kochen

■ Kostbare Kohle – ihre Chemie, ihre Geschichte – Bernhard Stier

1.4Das Leuchtgas

2.Das Gaswerk wird städtisch. Die Mannheimer Gasversorgung von 1873 bis 1914 – Bernhard Stier

2.1Die Übernahme des Gaswerks durch die Stadt – Gründe und Hintergründe

2.2Das Mannheimer Gaswerk als städtischer Regiebetrieb

2.3Zwänge der Wachstumspolitik und der Neubau des Gaswerks Luzenberg

2.4Trends im öffentlichen und privaten Raum bei Licht und Wärme

2.5Finanzielle Ergebnisse – das Gaswerk als Steuerquelle?

■ Die Technik des Gaswerks – Bernhard Stier

3.Die Entwicklung der zentralen Wasserversorgung in einer expandierenden Stadt – Andrea Perthen

3.1Der lange Weg zur zentralen Versorgung mit Trinkwasser

■ Die Lösung der Abwasserfrage in Mannheim – Sabine Pich

3.2Der Übergang in städtische Hand 1889 und die Schaffung des Gesamtbetriebs Gas und Wasser

3.3Die Wassertürme als sichtbare Zeugen der neuen Versorgung

3.4Reaktionen auf den steigenden Wasserbedarf Anfang des 20. Jahrhunderts

4.Die Ära der Elektrizität – Dieter Schott

4.1Elektrizität erscheint am Mannheimer Horizont

4.2Der schwierige Weg zum städtischen Kraftwerk

4.3Stadt unter Strom

4.4Strom für die Industrie – das Elektrizitätswerk als Wirtschaftsbetrieb

4.5Das Elektrizitätswerk in kommunaler Regie ab 1906

■ Die Lastkurve – Dieter Schott

4.6Die Gründung der OEG 1910 – der Schritt zum regionalen Verbund

5.Die Unbilden des Ersten Weltkriegs – Hanspeter Rings

5.1Die Organisation der Wasser-, Gas- und Elektrizitätswerke

5.2Die Versorgungslage

5.3Alles für die Front

■ „Zeit ist Geld“ – ein Exkurs zur Sommerzeit – Doreen Kelimes

5.4Ausblick

6.Die Weimarer Jahre: Zwischen Krise und Aufbruch – Andrea Perthen

6.1Die Notlage nach dem Ersten Weltkrieg

6.2Die Werke in den „Goldenen Zwanziger Jahren“

■ Vom Ortsnetz zum internationalen Verbundnetz – Daniel Römer

6.3Die Schatten der Weltwirtschaftskrise

7.Die Stadtwerke im Zeichen des Hakenkreuzes – Johannes Bähr

7.1Die nationalsozialistische Machtübernahme: Terror, „Säuberung“ und Anpassung

7.2„Betriebsführer“ und „Gefolgschaft“: Die Betriebsgemeinschaft

7.3Von der Weltwirtschaftskrise zum Rüstungsboom: Das Wachstum bis Kriegsbeginn

7.4Monopoly um Gas und Strom: Die Bedrohung durch die Verbundwirtschaft

■ Das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 – Johannes Bähr

7.5Die Versorgungsbetriebe und die Verkehrsbetriebe werden Stadtwerke

7.6Überlastung und Mangel: Die Stadtwerke in den ersten Kriegsjahren

7.7„Wir bitten um Zuweisung von 100 Ostarbeitern.“ Zwangsarbeit bei den Stadtwerken Mannheim

7.8Durchhalten zwischen Trümmern: Die letzten Kriegsjahre

7.9Die Stadtwerke und die Übergabe der Stadt Mannheim

7.10Fazit

■ „Kaufpreis nicht zur freien Verfügung“: Die „Arisierung“ des Wohnhauses in der Kleinen Wallstadtstraße 5 – Johannes Bähr

8.Der Wiederaufbau nach Kriegsende – Andrea Perthen

8.1Die personelle Situation nach dem Zweiten Weltkrieg

■ „Es darf nur roter verbrannter Sand übrigbleiben“: Wie die Stadtwerke im März 1945 dem Befehl zur Selbstzerstörung entgingen – Johannes Bähr

8.2Ausmaß der Zerstörungen und erste Schritte des Wiederaufbaus

9.Strom und Wasser für eine prosperierende Stadt – Andrea Perthen

9.1Der Betrieb der Stadtwerke in den 1950er und 1960er Jahren

9.2Stromversorgung: Ein Wettlauf mit steigenden Bedarfen

■ Die Verheißung der Atomkraft – Walter Spannagel

9.3Wasserversorgung: Die langfristige Sicherung ausreichenden und sauberen Trinkwassers

10.Fernwärme und Erdgas: Neue Versorgung mit Wärme – Andrea Perthen

10.1Gasversorgung: Vom Stadt- über das Raffinerie- zum Erdgas

10.2Der Ausbau der Fernwärme

■ Warum kein Gas in der Fernwärmeversorgung? – Hans-Jochen Luhmann

11.Der Weg vom Eigenbetrieb zum Unternehmen – Jasmin Breit

11.1Die Stadtwerke als Eigenbetriebe – in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs nur bedingt flexibel

11.2Wirtschaftlichkeit und regionale Zusammenarbeit – die Gründung der MVV GmbH 1974

11.3Die MVV versorgt die Region

■ Mit Geduld und EDV – Einführung der Jahresverbrauchsabrechnung bei der MVV – Jasmin Breit

12.Marktliberalisierung, Börsengang und Expansion – Martin Krauß

12.1Aktivitäten nach der „Wende“ und der Beginn der Liberalisierung

12.2Der Weg der MVV an die Börse

■ „Wer wär’ nicht gerne Aktionär?“ Euphorie und Enttäuschung an der Börse – Martin Krauß

12.3Expansion und Neuorientierung nach dem Börsengang

12.4Hartung-Nachfolge und Konsolidierung

13.Ein Konzern vor Ort – Ulrich Nieß/Harald Stockert

13.1Unternehmen und Stadtpolitik

13.2Die MVV in der Stadt Mannheim

13.3Die MVV und ihr Wirken in die Gesellschaft

■ Der Mannheimer Wasserturm – eine Beziehungsgeschichte – Thomas Throckmorton

Außergewöhnlich in Form und Format – Fotografien von Horst Hamann

14.Energieversorgung im Zeichen von Energiewende und Klimawandel – Dagmar Kiyar

14.1Energiewende und Klimawandel

■ Wirtschaftliche Auswirkungen des Klimawandels auf Gesellschaft und Unternehmen – Dagmar Kiyar

14.2Regulierung und Liberalisierung der deutschen Energiewirtschaft

14.3Der Wandel der Märkte: Eine neue Energiewelt

14.4Der Mannheimer Weg

15.Ausblick – Andreas Löschel

Anhang

Chronologie

Verantwortliche und Organmitglieder der MVV Energie AG und ihrer Vorgängerorganisationen

Daten im Längsschnitt

Mannheims Bevölkerung mit Eingemeindungen

Gas

Strom

Wasser

Müllverwertung zur Wärmeerzeugung

Fernwärme

Umsatz, EBIT, Investitionen

Capital Employed

Beschäftigte

Historische und aktuelle Standorte in Mannheim

Aktuelle Standorte der MVV Energie AG und ihrer Tochterunternehmen

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Personenregister

Ortsregister

Kurzvorstellung der Beitragenden

Dank

Grußwort Winfried Kretschmann, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg

150 Jahre Unternehmensgeschichte sind ein wahrer Grund, um stolz zu sein – und ein schöner Anlass, um auf eine bewegte Historie zurückzublicken. Zu diesem ganz besonderen Jubiläum gratuliere ich der Geschäftsführung der MVV Energie AG sowie der gesamten Belegschaft im Namen der Landesregierung sehr herzlich!

Die zuverlässige, wirtschaftliche und umweltverträgliche Bereitstellung von Energie ist ein zentraler Baustein für das Funktionieren unserer Wirtschaft und zum Erhalt einer lebenswerten Gesellschaft. Die MVV Energie AG mit ihrem Sitz in Mannheim hat sich über viele Jahrzehnte zu einem der zentralen Energieversorgungsunternehmen in Deutschland entwickelt – und dabei auch turbulente Zeiten durchlebt.

Beispielhaft zu nennen sind etwa der Aufbau einer zentralen Energieversorgung, die Ölpreiskrisen in den 1970er Jahren, die Liberalisierung der Energiewirtschaft und der Beginn des postfossilen Zeitalters mit dem Einläuten der Energiewende. Begleitet wurden diese vielen Umbrüche auch von zentralen gesellschaftlichen Fragestellungen: Wie können wir eine sichere Energieversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger garantieren? Wie lässt sich unser dynamischer Wirtschaftsstandort weiterhin gewährleisten? Wie bewerten wir mögliche Umweltrisiken, die mit einer modernen Energieversorgung verbunden sind? Wie kann Energie als eine der wesentlichen Grundlagen für eine funktionierende Gesellschaft bezahlbar bleiben? Und wie schnell können wir unser Energiesystem transformieren, ohne dabei die wichtige Akzeptanz in der Bevölkerung zu verlieren?

Die 150 Jahre Unternehmensgeschichte der MVV stehen daher auch für einen riesigen Erfahrungsschatz, der eine wertvolle Hilfe ist, um die derzeitigen Herausforderungen auf dem Energiemarkt zu bewältigen – und diese Herausforderungen sind groß. Schon jetzt spüren wir deutlich die Folgen der Klimakrise, die nur durch eine rasche und tiefgreifende Transformation unseres gesamten Energiesystems begrenzt werden können. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat uns zudem dramatisch vor Augen geführt, dass wir unsere Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen schnellstmöglich reduzieren müssen. Und zu guter Letzt dürfen wir auch die drängenden sozialen Aspekte nicht aus den Augen verlieren: Energie ist schließlich Teil der grundlegenden Daseinsvorsorge und muss auch in Zukunft für jedermann bezahlbar bleiben.

Die Lösung, um mit diesen enormen Herausforderungen umzugehen, kann nur sein: Wir brauchen eine noch schnellere und mutigere Umsetzung der Energiewende! Diese kann nur durch einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und durch ambitionierte Fortschritte bei der Energieeffizienz gelingen. Baden-Württemberg nimmt auf diesem wichtigen Sektor eine Vorreiterrolle ein. Unser Land muss zeigen, dass wir mit der Energiewende einen innovativen klimaneutralen Wirtschaftsstandort schaffen, uns von sprunghaften Preisanstiegen bei fossilen Energieträgern unabhängig machen und die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger steigern können.

Doch all diese Ziele können wir nur erreichen, wenn wir uns gemeinsam dafür einsetzen: das Land, die Kommunen, die Unternehmen sowie die Bürgerinnen und Bürger. Es freut mich daher sehr, dass die MVV, als eines der wichtigsten Versorgungsunternehmen im Land, hier einen wesentlichen Beitrag leistet und die Herausforderungen der Energiewende konsequent angeht. Wie die Landesregierung hat sich auch die MVV die ambitionierte Vorgabe gesetzt, bis zum Jahr 2040 die Treibhausgasneutralität zu erreichen. Dieses große Engagement wird zusätzlich durch die Teilnahme bei unserem „Klimabündnis Baden-Württemberg“ unterstrichen. Hierzu hat das Umweltministerium schon im Jahr 2020 eine Klimaschutzvereinbarung mit der MVV geschlossen, in der sich das Unternehmen nicht nur zu klaren Minderungszielen bekennt, sondern auch ganz konkrete Maßnahmen für deren Umsetzung benennt.

Mit dem „Mannheimer Modell“ hat die MVV ein klares Konzept zur Erreichung der langfristigen Klimaschutzziele vorgegeben. Besonders wegweisend sind dabei die Pläne für die Wärmewende: Als einer der größten Fernwärmeversorger Deutschlands kann das Unternehmen gerade in diesem Bereich für mehr Effizienz und Einsparpotenziale sorgen. Dabei verfolgt die MVV den Ansatz, die bestehenden Fernwärmenetze durch eine schrittweise Einbindung erneuerbarer und klimaneutraler Quellen – also Großwärmepumpen, Biomasse, industrielle Abwärme, die thermische Abfallbehandlung oder die tiefe Geothermie – kontinuierlich klimafreundlicher zu machen. Dies ist aus meiner Sicht ein vielversprechender Weg, der sich auch auf andere Kommunen übertragen lässt.

In diesem Sinne danke ich der Unternehmensführung der MVV Energie AG sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihr unermüdliches Engagement bei der Umsetzung der Energiewende in unserem Land. Für die Zukunft wünsche ich uns allen, dass wir die nachhaltige Transformation für ein lebenswertes Baden-Württemberg gemeinsam mit viel Tatkraft und großer Entschlossenheit zu einer echten Erfolgsgeschichte werden lassen!

Grußwort Dr. Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim und Vorsitzender des Aufsichtsrats der MVV Energie AG

Energie lässt das Herz einer Stadt schlagen. Das trifft vor allem auf Mannheim zu, dessen Einwohnerinnen und Einwohner unsere traditionsreiche Stadt mit ihrer Energie, ihrem Mut und ihrem Erfindergeist seit der Gründung im Jahre 1607 geprägt haben. Die Attraktivität einer Stadt und ihre Lebensqualität hängen andererseits eng mit der öffentlichen Energieversorgung zusammen. Denn Energie erleichtert unser Leben. Energie sorgt für Licht, Wasser und Wärme. Auf den Straßen und in den Haushalten. Und Energie ermöglicht überhaupt erst eine Produktion im industriellen Maßstab, einen florierenden Handel und die Mobilität einer modernen Stadtgesellschaft.

Die Geschichte der Stadt Mannheim, ihrer Einwohnerinnen und Einwohner, ist deshalb eng mit der Entwicklung der öffentlichen Energieversorgung verbunden – und dadurch auch mit der Geschichte der MVV.

Das vorliegende Buch beleuchtet diese Entwicklung in allen Höhen und Tiefen. Ein Fokus der Historikerinnen und Historiker, die für dieses Buch Beiträge verfasst haben, liegt auf der stetigen Verbesserung der Lebensqualität der Mannheimer Stadtbevölkerung – angefangen von der Übernahme der Gasversorgung in städtische Hand 1873 über die Einführung der zentralen Trinkwasserversorgung 1888 und die Bereitstellung von Elektrizität und Wärme für Privathaushalte bis zum Anschluss der Mannheimer Innenstadt an die Fernwärmeversorgung 1959. Nicht zuletzt dreht sich dieses Buch auch um die Meilensteine der MVV-Unternehmensgeschichte, wie die Gründung der MVV GmbH und ihrer Töchter SMA AG, RHE AG und MVG AG im Jahr 1974 oder die Teilprivatisierung durch den Börsengang 1999, der die Beziehung zwischen Stadt und MVV neu beschrieb.

Der Wert der Beiträge ergibt sich aus den vielen Facetten, die nicht nur die 150-jährige Geschichte der Energieversorgung in Mannheim behandeln, sondern auch die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekte der jeweiligen Zeit beleuchten – und damit offenbaren, welche Wirkungen Energie auf unsere Gesellschaft hat. Aber auch, wie unsere Gesellschaft Energie verändert.

Im Laufe dieser 150 Jahre hat die Stadt Mannheim ihre Verantwortung für die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit Energie und Wasser in unterschiedlichen Formen wahrgenommen: vom städtischen Regiebetrieb des Gaswerks im 19. Jahrhundert bis hin zur Rolle als Hauptgesellschafter der MVV Energie AG nach ihrem Börsengang als erstes kommunales und regionales Versorgungsunternehmen in Deutschland 1999. Diese Entwicklungen waren natürlich von den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der jeweiligen Zeit geprägt. Gleichzeitig hat die Stadt Mannheim dabei immer eigene Impulse gesetzt, hat Veränderungen initiiert und den Wandel mit Blick auf seine sozialen Implikationen mitgestaltet. Indes, an der Bedeutung von Energie für die Entwicklung unserer Stadt hat sich nichts geändert.

Diese Jubiläumsschrift ist keine Jubelschrift. Denn Energie kann auch soziale Probleme verursachen. Energie ist nicht umsonst zu haben. Energie ist Macht. Und Macht kann missbraucht werden. Die Geschichte der Energieversorgung für die Stadt Mannheim zeigt ebenso Abgründe und Schattenseiten, und es ist der besondere Wert dieses Buches, dass diese explizit und ausführlich beleuchtet werden. Das betrifft sowohl die Diskussionen um einen sozialverträglichen Grundversorgungstarif für Gas und die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken der Stadt als auch politische und „rassische“ Säuberungen sowie den Einsatz von Zwangsarbeitern in den Stadtwerken unter dem nationalsozialistischen Regime. Die offene und kritische Auseinandersetzung der MVV mit der eigenen Vergangenheit spiegelt die Haltung der Stadt Mannheim wider, wie sie überhaupt integraler Bestandteil des heutigen Mannheim ist.

Die MVV und ihre Energie sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Aber die zuverlässige Versorgung einer Stadt wie Mannheim mit allen Formen von Energie erfordert eine vorausschauende Planung. Die Strom-, Wasser-, Gas- und Fernwärmenetze müssen überwacht, gepflegt, instand gehalten und fortlaufend an den Energiebedarf in der Stadt angepasst werden. Die Menschen erwarten berechtigterweise ein hohes Maß an Zuverlässigkeit von Wasserversorgung sowie der Gas- und Stromeinspeisung, bei Heizkraftwerken und Abfallverwertungsanlagen, rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr.

Eine Stadt ist keine isolierte Insel, die Stadt und damit auch der Energieversorger werden permanent von lokalen, regionalen, nationalen und globalen Entwicklungen beeinflusst. Eine Pandemie, der verbrecherische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und seine Folgen sowie die Erderwärmung sind aktuelle Ereignisse, die Weitsicht bzw. vorausschauende Planungen erfordern – sowohl von Politik und Verwaltung als auch von der Energiewirtschaft.

Nicht nur in dieser Hinsicht zeigt sich, dass die engen und historisch bewährten Bande zwischen der Stadt Mannheim und der MVV von unschätzbarem Wert sind. Denn gemeinsam handeln sie schon seit geraumer Zeit für die Energieversorgung der Zukunft und damit für den Klimaschutz.

In der jüngeren Vergangenheit hat die MVV Energie AG ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten deutlich intensiviert und sich kontinuierlich ehrgeizigere Ziele gesetzt – immer die Herausforderungen des globalen Klimawandels im Blick und gleichzeitig im Bewusstsein, dass die Energieversorgung für Mannheim jederzeit sichergestellt sein muss. Zuletzt hat sich das Unternehmen mit dem „Mannheimer Modell“ einem Weg verpflichtet, auf dem es bis 2040 klimaneutral und danach klimapositiv sein wird. Schon 2030 sollen Mannheim und die Region vollständig mit klimaneutraler Fernwärme versorgt werden. Diese Zielstrebigkeit, diese Konsequenz sind nicht selbstverständlich. Aber sie sind typisch für Mannheim, für Mut und Erfindergeist.

Mit ihrem Selbstverständnis, im Prozess der Energiewende eine Vorreiterrolle für viele Unternehmen und Kommunen in Europa einzunehmen, steht die MVV im Einklang mit den Ansprüchen und klimapolitischen Zielsetzungen der Stadt Mannheim. Ihr Engagement ist deshalb ein zentraler Baustein in unserem Klimaschutzaktionsplan, dem „Local Green Deal“, und spielt eine wichtige Rolle bei unserem Vorhaben, Mannheim zu einer Smart City umzubauen.

Mit anderen Worten: Die MVV leistet mit ihrer Arbeit sehr konkrete und messbare Beiträge zu den Aktivitäten für mehr Klimaschutz in unserer Stadt – und damit für die Lebensqualität unserer Bürgerinnen und Bürger.

Der MVV und ihren heute knapp 6500 Mitarbeitenden ist es in ihrer langjährigen Unternehmensgeschichte gelungen, die Herausforderungen der Gegenwart zu meistern und die Problemstellungen der Zukunft fundiert zu analysieren sowie im Schulterschluss mit der Stadt Mannheim mit Voraussicht zu agieren. Das stellt dieses Buch unter Beweis, und das wünsche ich uns, der Stadt Mannheim, ihren Einwohnerinnen und Einwohnern sowie der MVV Energie AG auch weiterhin.

Ich danke den Autorinnen und Autoren dieses Buches für ihre wissenschaftlich fundierten und einsichtsreichen Beiträge, die in Zusammenarbeit mit dem MARCHIVUM und den Mitarbeitenden der MVV entstanden sind.

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich eine informative, spannende und inspirierende Lektüre dieses Buches.

Vorwort Dr. Georg Müller, Vorsitzender des Vorstands der MVV Energie AG

Einhundertfünfzig Jahre oder eineinhalb Jahrhunderte: ein Zeitraum, der fünf Generationen umfasst. Oder eben die Geschichte der Energie- und Wasserversorgung in Mannheim, die Geschichte unseres Unternehmens, unserer MVV. Eine Geschichte andauernder Veränderung. Durch Energie. Und von Energie.

Dass einmal Strom aus der Steckdose, Wärme aus der Leitung, Wasser aus dem Hahn kommen, dass Abfälle verwertet werden, mit dieser Vorstellung hätte man 1873 weithin ungläubiges Staunen ausgelöst. Mit Leuchtgas erhellte Straßen waren eine Sensation. Elektrizität für die zunehmende Zahl produzierender Unternehmen wurde vor allem durch die Verfeuerung von Kohle gewonnen, schmutzig und gleichzeitig gefährlich. Wasser musste aus öffentlichen Brunnen mit Eimern beschwerlich in die Wohnungen geschleppt werden; es gab immer wieder Krankheiten, Epidemien gar.

Es war die Zeit der Gründerjahre und eines wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland, nicht nur in Mannheim. Angetrieben durch zahlreiche Erfindungen und deren stetige Verbesserungen und getragen durch hohe Investitionen in Industrie, Eisenbahnen und Wohnungsbau. Auf der Weltausstellung in Wien wurden 1873 neueste Errungenschaften in der Stahlfertigung, in der Wasserversorgung, im Schifffahrts- und Küstenwesen und im Maschinenbau gezeigt. Diese technisch ausgelösten Veränderungen wirkten unmittelbar auch in sozialen Umfeldern: „Frauen-Arbeit“ war Thema einer Sektion der Weltausstellung. In den USA erhielt Levi Strauss im gleichen Jahr das Patent für genietete Arbeitshosen.

Der technologische Fortschritt beschleunigte sich immer mehr. In Mannheim wurde der Energiehunger von Unternehmen mit Gas und Kohle, ab Ende 1899 zusätzlich durch ein erstes Elektrizitätswerk gedeckt. Auch Privathaushalte lernten die Annehmlichkeiten einer durchgehenden Versorgung mit Gas, sauberem Wasser und Elektrizität schnell zu schätzen. Die Anfänge eines elektrifizierten öffentlichen Nahverkehrs machten die neuen Möglichkeiten für alle sicht-und erfahrbar.

Industrielle Nachfrage und wachsende Ansprüche an individuellen Komfort, Wohlstand, Gesundheit und Mobilität führten zu ansteigenden Energie- und Wasserbedarfen. Die Stadt Mannheim übernahm wegen der zentralen Bedeutung von Energie und Wasser für die Stadtentwicklung und die Bevölkerung früh Verantwortung in diesen Fragen: Sie beteiligte sich 1850/51 an der Finanzierung des ersten Gaswerks, das sie 1873 (zusammen mit einem privaten Gaswerk) in ihren Besitz übernahm – traditionell Startpunkt der Geschichte der Energie- und Wasserversorgung in Mannheim und deshalb auch dieser Untersuchung. Sie etablierte, ab 1889 kommunal geführt, eine zentrale Versorgung aus dem Wasserwerk Käfertal, erwarb 1906 das Elektrizitätswerk, das bereits in ihrem Auftrag errichtet worden war, und war 1921 einer der Initiatoren der Grosskraftwerk Mannheim AG. Auch wenn bis dahin einige Zeit verging, muss man die Entscheidungen zum Aufbau der Fernwärmeversorgung in Mannheim und zur Errichtung eines Heizkraftwerks auf der Friesenheimer Insel, die 1959 bzw. 1964 ihren Betrieb aufnahmen, in diesen größeren Zusammenhang einordnen.

Die Organisationsformen für diese Aktivitäten änderten sich im Zeitverlauf immer wieder: Zunächst waren sie Teil der städtischen Verwaltung, wurden dann als Eigenbetrieb ausgegliedert, blieben rechtlich aber noch unselbstständig, bevor sie ab 1974 als privatrechtliche Aktiengesellschaften unter dem Dach einer städtisch gehaltenen GmbH geführt wurden. Die mit dem Börsengang 1999 realisierte Teilprivatisierung der MVV Energie AG ist kein Bruch mit dieser Tradition, erfolgte sie doch vor dem Hintergrund der Liberalisierung der Energiemärkte explizit mit der Maßgabe, durch die Hereinnahme privaten Kapitals und privatwirtschaftlicher Erfahrung die Basis für die Eigenständigkeit des Unternehmens in städtischem Mehrheitsbesitz dauerhaft zu stärken. Diese Linie findet ihre konsequente Fortschreibung in der seit 2020 bestehenden Zusammenarbeit der Stadt Mannheim mit First Sentier Investors, heute Igneo Infrastructure Partners (IIP), weil die Stadt als Mehrheits- und IIP als zweiter Haupt-Aktionär eine auf nachhaltigen Erfolg ausgerichtete Sicht auf ein Energieunternehmen wie MVV verbindet.

Die Prioritäten von Energie- und Wasserunternehmen haben sich in der Zeitspanne dieser 150 Jahre wiederholt verändert. Etwa ein Jahrhundert ging es vor allem darum, die steigenden Bedarfe erfüllen zu können; lange Zeit war das Angebot tendenziell kleiner als die Nachfrage. Ab den 1960er Jahren entwickelte sich daraus der Begriff der Versorgungssicherheit, der in den 1970er Jahren zunächst um den der Bezahlbarkeit und anschließend um den der Umweltverträglichkeit ergänzt wurde. Alle drei zusammen bilden das Zieldreieck der Energiewirtschaft. Dieses Dreieck als optische Versinnbildlichung stellt vor allem den Versuch dar, die immanenten Zielkonflikte zwischen den drei Kriterien handhaben zu können. Gemeinhin werden sie heute als gleichrangig beschrieben.

Abstrakt ist das sicher richtig. In der praktischen Umsetzung lässt sich diese Annahme jedoch kaum halten. Seit das Versprechen der Versorgungssicherheit erfüllt war, also das Angebot die Nachfrage tendenziell eher überstieg, rückte zunächst die Bezahlbarkeit in den Mittelpunkt. Nicht umsonst war sie mit dem Ziel der Hebung von Effizienzen in überkommenen Monopolbereichen die maßgebliche Begründung für die Liberalisierungsschritte in Europa seit Mitte der 1990er Jahre. Ganz vergleichbar mit der Umweltverträglichkeit, die in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts immer mehr in den Vordergrund rückte und in den letzten Jahren die beiden anderen Kriterien an den Rand drängte, weil Versorgungssicherheit scheinbar dauerhaft gegeben war und der Staat bei der Bezahlbarkeit für die Endkunden die Grenzen über Steuern, Abgaben und Umlagen immer mehr ausdehnen konnte. Keines der Ziele ist je abschließend erreicht; alle drei müssen immer wieder neu ausbalanciert oder sogar mit ergänzenden Inhalten unterlegt werden.

Nicht zuletzt der kriegerische Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 und dessen Auswirkungen warnen uns davor, dies zu verdrängen. Sie mahnen uns eindringlich, dauerhaft alle drei Elemente des Dreiecks im Auge zu behalten, und zwar auch und gerade dann, wenn diese Notwendigkeit von der Bevölkerungsmehrheit nicht gesehen wird. Zu große Einseitigkeiten drohen in Sackgassen zu führen oder mit harten Realitäten unlösbar aufeinanderzuprallen. Damit ist am Ende niemandem geholfen, am wenigsten einem Land wie Deutschland, dessen Stabilität nicht zuletzt auf industriellen Kernen beruht, das gleichzeitig aber auf den Import dafür benötigter Energieträger angewiesen ist. So richtig der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien ist, weil er nicht nur unsere Treibhausgasemissionen senkt, sondern auch unsere Unabhängigkeit stärkt, so richtig ist auch, dass Autarkie für ein Hochtechnologie- und Exportland wie Deutschland keine Option ist. Wir müssen uns dies immer wieder in Erinnerung rufen, auch bei unserer Energie- und Wasserversorgung.

Richtig bleibt auch: Energie war und ist der Motor unserer Gesellschaft. Energie verändert unsere Gesellschaft. Gleichzeitig verändern unsere Bedürfnisse die Formen von Energie, die wir nutzen. Energie ist deshalb nicht nur Antreiber, sondern muss zugleich Vorreiter dieses Wandels sein. Für MVV als Energieunternehmen ergibt sich daraus eine besondere Verantwortung: gesellschaftlich wie sozial, ökonomisch wie ökologisch. Leitgedanke unserer Strategie ist deshalb seit vielen Jahren die unternehmerisch erfolgreiche Umsetzung dessen, was gemeinhin „Energiewende“ genannt wird: durch eine Stromwende, eine Wärmewende und mit maßgeschneiderten Kundenlösungen. Nicht mehr nur in Mannheim und der Region Rhein-Neckar, sondern deutschlandweit und gezielt auch in ausgewählten weiteren Ländern. Wir haben uns für die kommenden Jahre spezifische und ambitionierte CO2-Reduktionsziele gesetzt und werden spätestens ab 2040 klimapositiv sein, der Atmosphäre also Treibhausgase entziehen.

Kann man aus der Geschichte für die Zukunft lernen? Macht nicht jede Generation ihre eigenen Fehler? Das mag jeder für sich beantworten – auch nach Lektüre dieser Untersuchung. Ein paar verallgemeinerbare Erkenntnisse ohne Priorisierungsanspruch lassen sich aus der Entwicklung der Energie- und Wasserversorgung in Mannheim aber vielleicht doch ableiten: (1) Eine funktionierende Energie- und Wasserversorgung braucht geeignete Infrastrukturen. (2) Technologischer Fortschritt knüpft häufig an vorhandene Infrastrukturen an und gibt ihnen neue, manchmal ungeahnte Perspektiven. (3) Wegen ihrer Langlebigkeit können vorhandene Infrastrukturen jedoch auch zu ungewollten Pfadabhängigkeiten führen. (4) Strom, Wärme, Wasser, Abfallverwertung sind existenzielle Produkte und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge; sie sind – bereits beginnend auf der lokalen Ebene – eine strukturelle Voraussetzung für Wohlstand und Entwicklung. (5) Ihre physische Lieferbarkeit muss trotz aller Handels- und Derivatgeschäfte, die sich um sie herum in den letzten Jahren entwickelt haben, im Vordergrund stehen. (6) Die Wertschöpfungskette der Energie- und Wasserversorgung spielt – aller brancheninternen Entflechtung zum Trotz – unverändert eine wesentliche Rolle; für den Staat, weil er im Interesse seiner Bürgerinnen und Bürger gesamthaft geeignete Rahmenbedingungen für die Erreichung der Ambitionen des Zieldreiecks gewährleisten muss, auch über seine Außengrenzen hinaus; für die Energieunternehmen, weil sie nur dann ihre Ver- und Entsorgungsaufgaben erfüllen können; für die Kundschaft, weil sie nur auf dieser Grundlage verlässlich von einer Belieferung ausgehen kann. (7) Eingriffe in vorhandene Marktstrukturen müssen wohlüberlegt sein und früh angekündigt werden, um etablierte Anreizsysteme für Energieunternehmen nicht zu beschädigen bzw. neue aufbauen zu können. Bei kurzfristig erforderlichen Korrekturen kann es deshalb sinnvoller sein, gezielt Verwerfungen – etwa distributiver Art – zu korrigieren, als in komplexe Gesamtzusammenhänge einzugreifen. (8) Energie muss in ihren lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Bezügen gedacht werden, also im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen überschreitend. (9) Die Umsetzung jeder Strategie, die auf einer höheren staatlichen Ebene (z. B. national) ausgelöst, aber auf einer unteren (z. B. lokal) umgesetzt wird, ist zusätzlich komplex und zeitaufwendig.

150 Jahre Geschichte zu erarbeiten, bekanntes Material neu zu lesen, bisher unbekannte Quellen zu erschließen und erstmals auszuwerten: Dieser Aufgabe haben sich unter der Projektleitung des MARCHIVUM die Autorinnen und Autoren dieses Buches mit Verve gestellt. Es ging uns nicht nur um eine nüchterne Auflistung von Ereignissen, sondern auch um eine Einordnung in die jeweilige Zeit sowie eine Bewertung dieser Entwicklungen. Deshalb finden sich neben Ausführungen zu Technik, Organisation und energiewirtschaftlichen Zusammenhängen immer wieder auch Erläuterungen zu Arbeitsbedingungen, Abnahmemengen oder zur Preisgestaltung. Besonders hinweisen möchte ich auf die Aufarbeitung der Rolle der „Werke“ in der Zeit des Nationalsozialismus durch Herrn apl. Prof. Dr. Bähr (Kapitel 7). Es war uns wichtig, weitestgehende Transparenz über das Handeln und das Selbstverständnis in diesen zwölf Jahren zu schaffen, soweit dies die Quellen zulassen. Es gehört zur Verantwortung der heute Handelnden, diese Erkenntnisse offenzulegen und daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Da historische Bewertungen zeitlichen Abstand von den Ereignissen verlangen, enden diese Wertungen mit dem Jahr 2008. Zwei abschließende Kapitel runden jedoch auch die letzten 15 der 150 Jahre ab. Sie beleuchten die – vor allem von Argumenten der Nachhaltigkeit vorangetriebene – Transformation der Energiewirtschaft bis in die jüngste Gegenwart sowie die Positionierung der MVV dazu (Kapitel 14) und wagen einen Ausblick in die Zukunft (Kapitel 15).

Wir haben uns bewusst entschieden, das Buch mit Bildmaterial anzureichern. Zeitbezogene Fotos oder Grafiken sollen ergänzend zum Text Primäreindrücke vermitteln, weil Worte allein dies nicht oder nur eingeschränkt erreichen können. Abgeschlossen wird das Buch mit einem umfangreichen Anhang, der neben energiewirtschaftlichen Daten insbesondere eine Chronologie der MVV und ihrer Vorgängerorganisationen sowie eine Aufstellung der jeweils verantwortlichen Personen beinhaltet.

Allen Autorinnen und Autoren ebenso wie den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des MARCHIVUM unter der Federführung von Herrn Prof. Dr. Nieß danke ich sehr herzlich für die Mühen, denen sie sich in den letzten Jahren unterzogen haben. Sie haben mit ihrer Expertise nicht nur in der Tiefe recherchiert, sondern auch fundiert berichtet. Als wertvoll haben sich Interviews mit Zeitzeugen erwiesen, für deren Bereitschaft dazu ich herzlichen Dank sage. Ebenfalls danken möchte ich den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der MVV, die an der Publikation mitgewirkt haben, sei es durch Material- und Quellensuche in unseren Beständen, durch Prüfungen von Belegen oder Zusammenhängen sowie bei der Entstehung dieser Untersuchung vom ersten Konzept über die Ausgestaltung des Buches bis zu seiner Drucklegung.

Eine besondere Freude ist uns die Bereitschaft des renommierten Mannheimer Fotografen Horst Hamann, uns durch die Linse seiner Kamera auf einzelne Objekte der Energie- und Wasserversorgung in seiner und um seine Heimatstadt herum blicken zu lassen. Ergeben sich dadurch neue Anschauungen? Entscheiden Sie selbst.

Der größte Dank gilt aber den Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in den 150 Jahren seit 1873 für die Energie- und Wasserversorgung in Mannheim, der Region und weit darüber hinaus Sorge getragen haben. Unter widrigsten Umständen ebenso wie in gesicherten Umfeldern, in konventionellen ebenso wie in erneuerbaren Bereichen, in Querschnitten ebenso wie in operativen Einheiten, in Mannheim ebenso wie national und international. Auf ihren Schultern, ihren Verdiensten und ihren Fehleinschätzungen stehen alle Heutigen.

Unsere langjährige Strategie haben wir als „Mannheimer Modell“ weiter konkretisiert und mit unserem Wasserturm als Symbol für unsere klimapositive Zukunft untermauert. Als Unternehmen MVV sind und bleiben wir trotz der Reichweite unserer heutigen Geschäfte fest mit Mannheim verbunden. Der Wasserturm ist gleichzeitig ein starker Beleg dafür, dass lang bewährte Lösungen vergänglich sein können, sie aber deshalb nicht in der Versenkung verschwinden müssen. 1889 war er wegen der Druckhaltung Voraussetzung für die zentrale Wasserversorgung Mannheims. Seit einigen Jahren befindet er sich nicht mehr in Betrieb, weil Pumpen diese Funktion übernommen haben. Trotzdem ist er unverändert – und vielleicht mehr denn je – ein Wahrzeichen der MVV und unserer Stadt, das weit über ihre Grenzen hinaus bekannt ist.

Veränderung durch Energie und Veränderung von Energie. Dafür steht Mannheim, und dafür steht MVV – seit 150 Jahren und auch in Zukunft.

1

EIN BLICK ZURÜCK

HANSPETER RINGS

Seit Gründung der Festung Mannheim 1606 und den verliehenen Stadtprivilegien 1607 heizten und kochten die Menschen vor allem mit Brennholz; Licht spendeten die billigen Talglichter oder die teuren Wachskerzen. Das Brunnenwasser war von eher schlechter Qualität, sodass sich der Hof sein Trinkwasser fassweise von den Bergquellen bei Rohrbach nahe Heidelberg herbeikarren ließ. Bereits im 17. Jahrhundert, doch vor allem im 18. Jahrhundert versuchte man erfolglos, die Wasserversorgung durch die Verlegung einer Trinkwasserleitung von Rohrbach nach Mannheim zu verbessern. Ebenfalls blieben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Filtrierprojekte zur Trinkbarmachung von Rheinwasser im Planungsstadium stecken. Die Wende zu qualitätsvollem und gesundem Trinkwasser für alle kam erst, als sich die Wassertechniker zu Beginn der 1860er Jahre dem tieferen Grundwasser im Umfeld der Stadt zuwandten.

Bereits im Jahr 1849 nahm ein kleines Werk zur Herstellung von Portativgas – in Behältnissen abgefülltes Leuchtgas auf Steinkohlenbasis – den Betrieb auf, das 1851 durch ein modernes Gaswerk zur Versorgung mit Leuchtgas über Rohrleitungen ersetzt wurde, das 1873 an die Stadt überging.

1.1DAS TRINKWASSER

Die Brunnen

Eine Kanne frisches Wasser, wer weiß sie in unseren Breiten heute noch zu schätzen? Oft ist das saubere und immer verfügbare Trinkwasser zur – vermeintlichen – Selbstverständlichkeit geworden. Doch allein die Umwandlung 1606/07 des Dorfes „Mannenheim“ zur Festung und Stadt „Mannheim“ wäre ohne die schon existierenden Dorfbrunnen kaum, zumindest nicht so leicht möglich gewesen.

Zwar lag die Stadt verkehrsgünstig an Rhein und Neckar, indes als Trinkwasserreservoir konnten die Flüsse allenfalls gelegentlich herhalten.1 Damit bezieht sich sogar die frühe Erwähnung des Begriffs „Quadrat“ im Ratsprotokoll vom 22. Februar 1676 auf einen in diesem Bauareal einzurichtenden Brunnen. Von daher zeugt dieser Eintrag zum einen von der Bedeutung der Wasserversorgung, zum anderen von der nach frühbarocken Idealstadtentwürfen angelegten „Quadratestadt“, deren City sich übrigens bis heute in große, oft annähernd quadratische Bauareale gliedert.

Plan der Stadt Mannheim von Joseph Anton Baertels mit Detailansicht, 1758. Die Vogelschau deutet den Ziehbrunnen, der dem Marktplatzmonument vorausging, an.

(MARCHIVUM, KS00309)

Wohl gab es im 17. Jahrhundert überwiegend Ziehbrunnen: ausgemauerte Schachtbrunnen, deren Grundwasserspiegel sich über Nacht anhob und aus denen am folgenden Tag geschöpft wurde. Für solche Brunnenanlagen galt es, Grundwasser auszumachen, das technisch bedingt höchstens etwa neun Meter unter der Oberfläche lag und mindestens zwei Meter unter dem niedersten Wasserstand bzw. -druck von Rhein und Neckar, um – abgesehen bei Hochwasser – Einsickerungen des Flusswassers zu vermeiden. Mit Schwengeln bzw. mit Pumpbrunnen wird man das Nass vermutlich erst im 18. Jahrhundert heraufgepumpt haben. Pläne geben die circa 50 öffentlichen Pumpen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an, von denen zudem ein gedruckter Stadtführer von 1770 berichtet.2 Sodann bestimmten die Polizei-Vorschriften von 1822 mit Blick auf die Gefahr des Hineinfallens in die Schächte und die Gefahr der Verseuchung für den Brunnenbau: „Neue Ziehbrunnen dürfen in der Stadt gar nicht, und in den Gärten nur dann gefertigt werden, wenn sie gehörig verschlossen sind.“ Dabei war die Anlage von Privatbrunnen hinterm Haus vom Stadtrat zu genehmigen, deren Schlagen jedoch keine Pflicht. Die den Polizei-Vorschriften beigelegte Bauordnung weist sogar darauf hin, dass die öffentlichen Brunnen durch die häufige Nutzung qualitätsvolleres Wasser spendeten, allerdings auch nur dann, wenn sie nicht übernutzt würden.3 Zusätzlich fingen die Menschen in der Tonne beim Haus das fade und weichere, weil weitgehend mineralienfreie Regenwasser auf.

Die städtischen Brunnen befanden sich seit alters in Obhut des Stadtrats, die höfischen unterstanden der Hofverwaltung. Im 17. Jahrhundert wurden die öffentlichen Brunnen gemäß Ratsprotokoll von 1680 von 29 nebenamtlichen „Brunnenmeistern“ betreut, zuständig für je einen öffentlichen Brunnen.4 Und selbstverständlich stand auch mitten auf dem Marktplatz (Quadrat G 1) ein – im Oberbau im Bild einzig angedeuteter (siehe Abb. hier) – Ziehbrunnen, dessen Schacht circa sechs Meter tief reichte und dessen auf Säulen stehender überdachter Oberbau das Stadtwappen getragen haben soll. Dabei waren die „Brunnenmeister“ insbesondere Schlosser, die auch versiert die Mechanik der Brunnen zu betreuen, reparieren und erneuern wussten. Ferner überwachten sie zusammen mit den Stadtknechten das rege Leben an den Wasserstationen und ahndeten Vergehen wie das Waschen der Kleider in den Brunnentrögen oder deren Nutzung als Viehtränke.5

Links oben: Der 1665 mutmaßlich erstmals erwähnte Ziehbrunnen wurde bei den Bauarbeiten an der Tiefgarage unter dem Marktplatz entdeckt und stadtarchäologisch gesichert. Rechts oben: In der Mitte des Marktplatzes das freigelegte Steinfundament des für die Bauarbeiten abgenommenen Schmuckbrunnens. Links unten: Blick in den aus Sandsteinplatten bestehenden Brunnenschacht.

(Reiss-Engelhorn-Museen)

Rechts unten: Der wieder aufgebaute Marktplatzbrunnen in den Reiss-Engelhorn-Museen, 2021. Das Objekt wurde 1988 dem Foyer des Neubaus der Reiss-Engelhorn-Museen (Museum Weltkulturen) auf dem Quadrat D 5 und der darunterliegenden Tiefgarage museal eingefügt. Das Bild zeigt den Brunnen als Werbeträger für die Ausstellung „Eiszeit-Safari“.(MARCHIVUM, AB04257-001)

Die Wasserqualität der Brunnen

Verglichen mit an Quellwasser reichen Regionen war das aus dem relativ oberflächigen Grund gehobene Trinkwasser in Mannheim schon immer von minderer Qualität. Bedeutsame Tiefbohrungen mit qualitativ gutem Grundwasser erfolgten erst im späten 19. Jahrhundert. Andreas von Traitteur – er war es, der eine Trinkwasserleitung von Rohrbach bei Heidelberg nach Mannheim verlegen wollte – zeichnete das hiesige Brunnenwasser, wohl nicht nur in der Absicht, sein Wasserleitungs-Projekt noch dringlicher erscheinen zu lassen, in düsteren Farben:

„[…] eine Bouteille Wasser hingestellet, wird sich andern Tags früh bald mehr, bald weniger, ein schlammiger Bodensatz zeigen, der bei der Austrocknung einen faulartigen Geruch und Geschmack von sich gibt.“6

Dies nähmen, so Traitteur, vor allem die Fremden wahr, denen wohlmundendes Quellwasser von daheim eine Alltäglichkeit sei – ja selbst das Vieh würde das Nass der besonders schlechten Brunnen meiden. Und die Köchin wüsste immer wieder zu berichten, wie das Fleisch, das sie im Mannheimer Brunnenwasser siede, sich bläulich verfärbe und dazu ein stechender „salpeterartiger“ Schaum aufsteige.

Nach Möglichkeit wurde das Regenwasser in Tonnen beim Haus aufgefangen, hier beim sogenannten Milchgütchen, wo man den Ausflugsgästen vor allem frische Kuhmilch reichte. Das Gebäude befand sich nahe beim Rheinufer, etwa auf dem heutigen Areal „Schnikenloch/ Rennershofstraße“. Zeichnung von 1852.

(MARCHIVUM, GF00429)

Hinzu kam, dass Unrat und Fäkalien in den offenen Straßenkändeln – von einer unterirdischen Kanalisation war noch lange keine Rede – nicht selten in das Grund- und damit Brunnenwasser einzusickern drohten. Traitteur zog zu der 1792 inklusive Garnison etwa 29.000 Menschen zählenden Stadt olfaktorische Bilanz: „Der pestilenzische Gestank, den man […] in einigen Quadraten der Stadt ertragen muß, ist für nieder- und hochtragende Nasen, die nicht verstopft sind, ein sehr auffallender Beweis“7 – für die Notwendigkeit einer verbesserten Trink-und Brauchwasserversorgung. Allerdings, in anderen Städten waren die hygienischen Verhältnisse oft nicht besser.8 Und nicht zuletzt beruft sich Traitteur auf den renommierten Mediziner Franz Anton Mai, der den Anstieg von Ruhrepidemien und „typhösen Erkrankungen“ im Sommer auf den verstärkten Genuss von mit „Unrat“ verdorbenem Brunnenwasser zurückführte. Indes, auch wenn Mannheim – vor allem in der warmen Jahreszeit – seine hygienischen Schattenseiten hatte, so eigneten den Quadraten dennoch auch Vorzüge. Von daher ließen sich Ende des 18. und am Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder Auswärtige hier dauerhaft nieder, angezogen von den idyllischen Plätzen an Rhein und Neckar, doch auch von vergleichsweise günstigen Lebenshaltungskosten, einer hervorragenden Kutsch-Anbindung und vor allem einer attraktiven kulturellen Infrastruktur, in deren Zentrum das Nationaltheater stand.9

Das ursprünglich aus Heidelberg stammende Marktplatzdenkmal wurde 1769 aufgestellt, der dort zuvor stehende Ziehbrunnen versiegelt. Nach Umarbeitung durch Matthäus van den Branden zeigte es eine Stadtgöttin sowie Rhein, Neckar und Merkur als Figuren. Der Sockel mit als Flussallegorien gestalteten Ausgüssen führte ab 1888 Wasser.

(MARCHIVUM, KF045382)

Das Trinkwasser für den Hof und die Schmuckbrunnen auf Markt- und Paradeplatz

Hingegen ließ sich die vornehme Hofgesellschaft ihr täglich Nass von den feinen Bergquellen in Rohrbach – in Fässern, später auch in Flaschen abgefüllt – auf besonderen Wasserwagen herbeikarren. Ferner leisteten sich die Gutbetuchten das mit „kohlenstoffsaurem Gas“ versetzte und in Steinkrügen dicht verstöpselte Mineralwasser der Marken Selzer, Fachinger oder Schwalbacher. In der „Mannheimer Zeitung“ der 1770er Jahre zeigten Inserate an, wann und wo Interessenten die – heute stadtarchäologisch nachweisbaren – Steinkrüge erwerben konnten.10

Die von Gabriel de Grupello entworfene Pyramide mit den Kardinaltugenden Weisheit, Mäßigung, Gerechtigkeit und Tapferkeit war 1714/15 in Düsseldorf gegossen und 1738 zu Schiff nach Mannheim verbracht worden, wo sie den Brunnenschalen von Paul Egell aufgesetzt wurde (Bronzefiguren: Johannes Hoffart). Erst 150 Jahre später führte der Brunnen Wasser.

(MARCHIVUM, AB04259-003)

Auf dem Marktplatz im Quadrat G 1 stand seit 1769 ein opulenter Schmuckbrunnen, der allerdings wegen fehlender Wasserzufuhr noch lange trockenlag. Er war auf Geheiß Kurfürst Karl Theodors an die Stelle des schon erwähnten Ziehbrunnens gesetzt worden. An der Trockenheit des Brunnenmonuments konnte auch dessen Gestaltung als Allegorie auf Rhein und Neckar, auf Handel und Gewerbe nichts ändern. Auf dem Paradeplatz im Quadrat O 1 hingegen existierte von alters her kein solcher Ziehbrunnen, dort wurde erst mit der nach jahrelanger Bauzeit 1743 vollendeten „Grupello-Pyramide“ ein beeindruckendes Brunnenmonument errichtet, indes mit noch lange trockenliegenden „Brunnensärgen“. Somit konnte Philipp Wilhelm Gercken, einer der vielen Durchreisenden jener Tage, in den 1780er Jahren mit leicht spöttischem Unterton berichten: „Er [der Grupello-Brunnen, Anm. d. Verf.] war vorher zu Düßeldorff ein würcklicher Springbrunnen, ist hierher [nach Mannheim, Anm. d. Verf.] geschaffet, wo ihm aber das Wasser fehlt.“ Der Chronist J. G. Rieger notierte zur Sachlage 1821, dass die Menschen innerhalb des „Brunnensargs“ „noch die bleiernen Röhren“ sehen könnten, „durch welche man das Wasser, das sich von oben herab in die umherstehenden Becken niederstürzen sollte, hinaustreiben wollte“. Doch erst mit der zentralen Wasserversorgung des späten 19. Jahrhunderts war es so weit, sprudelten die Schmuckbrunnen auf dem Markt- und Paradeplatz. Dessen ungeachtet prägten die Monumente offenbar bereits im 18. Jahrhundert stark die städtische Identität, wovon zeitgenössische Ansichten dieser Platzanlagen zeugen.11

Das Projekt einer Trinkwasserleitung von Rohrbach bei Heidelberg nach Mannheim

Das zwar Plan gebliebene, doch in die Stadtgeschichte eingegangene Wasserleitungs-Projekt des Andreas von Traitteur wollte die Schmuckbrunnen auf Parade-und Marktplatz zum Sprudeln bringen, vor allem aber die Menschen mit gutem Trinkwasser versorgen. Dafür entwarf Traitteur eine Quellwasser-Kandelleitung von Rohrbach nach Mannheim, bis in die Häuser und selbstverständlich auch ins Schloss.12

Die Technik der Deichelleitung.

(A.v. Traitteur (1798), Tafel XV)

Von einer solchen Zuleitung sprach man in Mannheim schon im 17. Jahrhundert. Selbst Christian Mayer, der später als Astronom der Mannheimer Sternwarte zu Ehren gekommene Jesuitenpater, beschäftigte sich im 18. Jahrhundert mit diesem völlig irdischen Thema. Und bevor Traitteur auf den Plan trat, nahm sich der an sozialhygienischen Fragen interessierte kurpfalzbayrische General Benjamin Thompson – seit 1790 Graf von Rumford – im Auftrag Karl Theodors der Sache an. Als ihn der Kurfürst jedoch nach München beorderte – 1778 hatte Karl Theodor seine Residenz dorthin verlegt –, betraute Thompson den rührigen Traitteur mit dem Trinkwasser-Projekt. Dieser veröffentlichte 1790 eine erste Denkschrift zu einer Trinkwasserleitung von Rohrbach nach Mannheim, die darüber hinaus eine für Brauchwasser kanalisierte Zuführung des Leimbachs bei Schwetzingen nach Mannheim behandelte. Traitteur war im Laufe seines Lebens Bauherr, Ingenieur und Offizier, lehrte an der Heidelberger Universität als Geometer und wirkte nicht zuletzt als Salinen-Unternehmer. Außerdem erwies er sich als technisch versiert und solvent genug, um für das Mannheimer Projekt in finanzielle Vorleistung zu treten.13

Seine vom Kurfürsten wertgeschätzte Projektplanung sah Folgendes vor: Von einem mehrere Bergquellen vereinenden Karl-Theodor-Brunnen in Rohrbach sollten aneinandergefügte und durch einen gemauerten Kanal zu verlegende Holzdeicheln von je 70 Zentimeter Länge reines Trinkwasser nach Mannheim leiten. Die Deicheln würden dann sukzessive durch Eisenrohre ersetzt. Ein seiner Schrift beigefügter Plan illustrierte den Verlauf der Trinkwasserleitung, darüber hinaus den Weg des Brauchwasserkanals als Abzweigung vom Leimbach nach Mannheim. Beide Zuführungen kamen aber über das Projektstadium nicht hinaus.

Plan von 1791 mit projektierter Trinkwasserleitung und projektiertem Brauchwasserkanal. Erstere führt von den Quellen im Rohrbacher Gebirge über Ep[p]elheim und Seckenheim nach dem östlichen Mannheimer Stadtzugang; Letzterer vom Schwetzinger Leimbach Richtung Seckenheim, wo er nach Mannheim abbiegt, um südwestlich von der Trinkwasserleitung in die Stadt einzumünden.

(A. v. Traitteur (1798))

Die Trinkwasserleitung wäre von den Rohrbacher Bergen über Seckenheim herbeigeführt worden, um im Osten Mannheims in ein geplantes, ebenfalls nicht realisiertes Brunnenhaus einzumünden – etwa dort, wo 1889 der Wasserturm der zentralen Wasserversorgung zu stehen kommen sollte. In einer späteren Planung erwog Traitteur sogar, den Kaufhausturm beim Paradeplatz (siehe Abb. hier) als Hochwasserreservoir zu nutzen:

„Die Hauptleitung nämlich führt das Wasser in einen großen Theilungssarg, welcher im untersten Gewölbe des Kaufhausthurms mehrere Schuh höher aufgestellet wird, als die Röhrbrunnen in der Stadt, wohin dieselbe abfließen, stehen.“14

Der Entrepreneur nahm allein für die vorbereitenden Arbeiten des Großprojekts die horrende Summe von über 200.000 Gulden in die Hand. Allerdings neidete ihm die Hofadministration das lukrative Wassergeschäft, sodass ständige Auseinandersetzungen über strittige finanzielle Punkte die Folge waren. Hinzu gesellten sich die Wirren der Koalitionskriege Ende des 18. Jahrhunderts, die die Arbeiten letztlich zum Erliegen brachten. Noch unübersichtlicher gestaltete sich die Situation, als Karl Theodor 1799 verstarb und ein Thronwechsel anstand. Und mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 im Zuge der napoleonischen Neuordnung bzw. mit Übergang der hiesigen Pfalz an Baden war das Projekt endgültig beerdigt. Traitteur blieb nach einer Reihe zermürbender Auseinandersetzungen mit dem kurpfälzischen Fiskus auf erheblichen Verlusten sitzen, kehrte der Stadt den Rücken und kümmerte sich fortan wieder verstärkt um seine Bruchsaler Salinen.15

Die wasserführend projektierte Grupello-Pyramide auf dem Paradeplatz (Quadrat O 1), dahinter das Kaufhaus auf N 1; im Vordergrund: nicht realisierte Brunnen auf dem mit Laternen bestückten Straßenzug Planken.

(A.v. Traitteur (1798), Tafel XXIV)

Intermezzo: Von einem artesischen Brunnen auf dem Theatervorplatz und einer „köstlichen Trinkanstalt“

Erst rund 30 Jahre nach Traitteurs Desaster nahmen sich die Stadtoberen erneut der Wasserfrage an, nun aber vor allem mit Blick auf die ständige Brandgefahr im Nationaltheater im Quadrat B 3, wenn dort die prächtigen Kerzenlüster sowohl die Bühne als auch den Zuschauersaal illuminierten. Daher wurden unter Bauinspektor Johann Friedrich Dyckerhoff im Jahr 1830 die Arbeiten an einem – auch für Trinkwasser nutzbaren –„artesischen Brunnen“ auf dem Theatervorplatz aufgenommen: Unter Druck stehendes, gespanntes und daher selbstständig aufsteigendes Grundwasser sollte dafür angebohrt werden. Doch nach fünfjährigem Prüfen und Bohren bis in 86 Meter Tiefe und enormen Ausgaben mussten sich die Ingenieure wie auch die Stadtväter den Misserfolg des Projekts eingestehen. Allein die Beseitigung der Bohrspuren und die Wiederherstellung des schmucken Theatervorplatzes währten noch bis 1838. Dessen ungeachtet wird auf einer zeitgenössischen Ansicht von Jacobo Pozzi der Theatervorplatz mit einem so prächtigen wie nie verwirklichten Springbrunnen präsentiert. Wie in diesem Fall war es allgemein im 18. und frühen 19. Jahrhundert nicht unüblich, unfertige Baulichkeiten im Bild als bereits vollendet darzustellen und mit ihnen für die Stadt zu werben.

Und gleichsam als Auferstehung der alten Traitteur’schen Idee kann eine im Bahndamm der 1840 eröffneten Eisenbahnlinie Heidelberg–Mannheim einzubauende Quellwasserleitung angesehen werden. Die Eisenbahn-Baudirektion lehnte dieses Ansinnen der Stadt jedoch rundweg ab, womit allerdings zugleich die charmante Idee einer „köstlichen Trinkanstalt“ im neuen Bahnhofsgebäude am Tattersall aufgegeben wurde. Den Tattersall-Bahnhof von 1840 ersetzte man 1876 durch den noch heute bestehenden Hauptbahnhof.16

Das Nationaltheater (links) auf dem Quadrat B 3, 1834. Gouache von Jacobo Pozzi. Den Theatervorplatz (ab 1859 Schillerplatz) ziert ein – allerdings nicht realisierter – artesischer Springbrunnen (Ausschnitt).

(Foto: Jean Christen. Reiss-Engelhorn-Museen)

Filtriertes Rheinwasser und der Übergang zum tiefen Grundwasser

Als Nächstes suchte man filtriertes Rheinwasser (Oberflächenwasser) als Trinkwasser zu nutzen, analog zu frühen Projekten mit filtriertem Wasser der Themse in London oder von Elbe und Alster in Hamburg. Doch sah man in Mannheim von einem solchen technischen Großprojekt zu guter Letzt ab.

Die Briten waren – wie bei der noch zu thematisierenden Gasversorgung – auch bei den Filtrierwerken marktführend und ließen ihre Ingenieure in die deutschen Städte zur Geschäftsakquise ausschwärmen. Damit kamen deren Filtrierprojekte auch in der Quadratestadt vor den Stadtrat, zusätzlich katalysiert durch die durch schlechtes Trinkwasser herbeigeführten Choleraepidemien von 1849 und 1854.17 Zunächst bot der Londoner John Tebay seine Dienste an, die er aber wegen einer Darmstädter Verpflichtung, die dortige städtische Gasbeleuchtung zu installieren, zeitlich nicht leisten konnte; so löste die Stadt Mannheim den bereits abgeschlossenen Vertrag wieder auf. Ferner sprachen zu Beginn der 1860er Jahre die Londoner Firma Grissel & Docwra und der deutsche Unternehmer Emil Spreng aus Nürnberg in Sachen Filtrierwerk beim Mannheimer Stadtrat vor. Beide beabsichtigten, etwa auf südöstlicher Schlosshöhe Rhein-Filtrierschächte mit Sand und Kies, Sammel- und Absinkbecken anzulegen und das Trinkwasser mit Dampfkraft in einen flussnahen 27 Meter hohen Wasserturm oder im Falle Sprengs in ein dem Westflügel des Schlosses aufgesetztes Wasserreservoir zu heben, um von dort aus die Stadt per Leitung zu versorgen.

Der Paradeplatz mit der noch trockenliegenden Grupello-Pyramide im Hintergrund und einem öffentlichen Schwengelbrunnen im Vordergrund. Kolorierte Lithografie von C. Geibel, ca. 1830.

(MARCHIVUM, GF00498)

Schlagen wir zu diesen Projekten ein von der Stadt eingeholtes Gutachten von 1862 des renommierten Baurats Robert Gerwig auf: Detailliert und kenntnisreich spricht er sich darin gegen die Filtrier-Vorhaben aus und summiert, dass filtriertes Rheinwasser letztlich nur als Brauchwasser zu nutzen sei, doch dafür die offerierten Werke um ein Vielfaches zu teuer seien. Ferner weist er schon früh auf die kommunalpolitische Verantwortung der Städte hin, ihre Wasserwerke autonom zu betreiben, also keinesfalls profitorientierten Unternehmen zu überlassen. Denn nur auf diesem Weg sei eine sichere Wasserversorgung für den gesellschaftlichen und industriellen Fortschritt von aufstrebenden Städten wie Mannheim gewährleistet.

Wasserturm für filtriertes Rheinwasser. Nicht realisierter Plan der Londoner Firma Grissel & Docwra, 1862.

(MARCHIVUM, GP00270-014)

Gerwig plädierte in seinem Gutachten für die Hebung tiefen Grundwassers im städtischen Umfeld unter Einsatz der Dampfkraft, das als Trinkwasser über eiserne Rohrleitungen zu den Abnehmern verbracht werden solle. Dafür vermutete er ergiebige Grundwasserquellen in den Arealen des südlichen Schlossgartens und der Rheinpromenade/Stephanienufer, des alten Exerzierplatzes in der Neckarstadt, also auf dem Gelände der späteren Kaiser-Wilhelm-Kaserne bzw. der nachfolgenden Turley Barracks, ebenso auf dem Lindenhof oder bei der Seckenheimer Landstraße. Für diese Gebiete empfahl er Probebohrungen und bei Erfolg die Errichtung eines Wasserwerks. Doch war die Zeit hierfür noch nicht reif. Erst in den 1880er Jahren wird man sich – obwohl bis dahin die Vorstellung filtrierten Rheinwassers immer wieder irrlichterte – einer effektiven Erschließung tieferen Grundwassers zuwenden.18

Gasthaus Zum Rheinischen Hof in P 3, 1 mit 20 Gästezimmern und mit einem öffentlichen Pumpbrunnen in den Planken. Reklameblatt, ca. 1840.

(MARCHIVUM, GF00120)

1.2ES WERDE LICHT!

Vergessen ist die Zeit, da sich das Leben noch maßgeblich nach dem natürlichen Licht zu richten hatte, das Licht noch nicht – vermeintlich – aus dem Schalter an der Wand kam.

Die Lichter

Schon im Hausflur roch es nach Armut – oder eben auch nach Reichtum, stach der Geruch der billigen Talg- oder Unschlittlichter mit tierischem Nierenfett in die Nase oder umschmeichelte sie der Duft luxuriöser, gar parfümierter Wachskerzen. Ja, es gab sogar eine Hierarchie des Lichts. So standen den Schlossbewohnerinnen und -bewohnern, je nach höfischem Rang, Wachskerzen unterschiedlicher Qualität zu. Je besser deren Qualität war, desto weniger mussten sie – des Rußens wegen – „geschneuzt“ oder „geputzt“ bzw. musste der Docht herabgeschnitten werden. Selbst einen Goethe motivierte dieses stete Ärgernis zu einem kleinen Vers: „Wüßte nicht, was sie Bessers erfinden könnten, als wenn die Lichter ohne Putzen brennten.“19

Die am Marktplatz angeschlagene Tax-Liste enthält u. a. die Preise für „Lichter“ (Kerzen), Oktober 1786 (Ausschnitt).

(MARCHIVUM, KE00498)

Wir wissen für 1761 von einer hiesigen Lichtmacherzunft und für die 1770er Jahre sogar von einigen Namen, Wohn- und Arbeitsorten dieser Handwerker, die überwiegend in der vornehmen Oberstadt, also oberhalb des zentralen Straßenzugs „Planken“ wirkten. Bis hin zur fertigen Kerze hatten die Lichtzieher, oft waren sie in Personalunion Seifensieder, eine Reihe diffiziler Arbeitsvorgänge auszuführen, bis hin zum aufwendigen Bleichen und Verpacken der Stücke. Doch brannten neben den Wachs- und Unschlittkerzen auch die unspektakulären Öllampen mit Flüssigtalg oder dem besseren Rüböl (bzw. Rübsen- oder Rapsöl) oder mit importiertem Palm- oder Walöl.20 Erst die 1783 von François-Pierre-Amédée (Kurzname: Ami) Argand konstruierte Leuchte, die sogenannte Argand’sche Lampe, brachte eine merkliche technische Verbesserung auf diesem Sektor. Denn Argand legte seiner Konstruktion die neue Lavosier’sche Chemie zugrunde, die anstatt eines diffusen „Phlogistons“ den Sauerstoff als Nährstoff der Flamme erkannte und auch nutzte. Seine Konstruktion hatte daher einen regulierbaren, von einem Glaszylinder umschlossenen, kaum noch rußenden Röhrendocht. Noch bis ins späte 19., ja bis ins frühe 20. Jahrhundert spendeten solche Leuchten, nun mit Petroleum, ihr Licht und wurden in einem fließenden Übergang durch Vorrichtungen für Leuchtgas und dann Elektrizität ersetzt.21

Die öffentliche Beleuchtung

In Mannheim gab es seit Mitte des 18. Jahrhunderts und damit vergleichsweise früh gusseisernen Stelen oder auch nur Holzpfählen aufgesetzte Straßenlaternen mit Unschlittkerzen, die im Laufe der Entwicklung auf Öl (anfangs auch flüssigen Talg) umgerüstet und von den städtischen Laternenanzündern betreut wurden. Zunächst lag diese Straßenbeleuchtung in privater Hand, geriet aber schon um 1760 in städtische Obhut. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts erhellten mit wohl nur mäßig-rotschimmerndem Licht über 500 Laternen die Quadrate der Residenzstadt, und vorgeblich eines Stadtplans waren es ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 900 – teils wohl noch projektierte – Leuchten. Das nächtliche Licht trug Mannheims Ruf aber immerhin über die Stadtgrenzen hinaus; sogar Leopold Mozart vermerkte es 1763 positiv, der eine solche Beleuchtung vor allem von den großen Metropolen wie Wien oder Paris her kannte.22

Replik einer Argand’schen Öllampe von 1784. Die Lampe hatte in dem Glaszylinder einen effektiv verbrennenden hohlen Runddocht, der von einem separaten Tank gespeist wurde.

(akg-images)

Dabei waren vermutlich auch in Mannheim die städtischen Randbezirke in geringerem Maße ausgeleuchtet. Jedenfalls wissen wir beispielsweise, dass der Stadtrat erst im Jahr 1821 wenige Laternen auf Holzpfählen für die Schiffsbrücke über den Neckar bewilligte; je zwei an den Zugängen und eine in der Mitte des Übergangs.23

Planausschnitt der Stadt Mannheim in den Befestigungsgrenzen, 2. Hälfte des 18. Jh. Mit Einzeichnung von realisierten und vermutlich auch erst projektierten Laternen, ferner mit Einzeichnung der öffentlichen Brunnen.

(GLA KA, H Mannheim 1a)

1.3WÄRME UND KOCHEN

Der britische Schriftsteller Thomas de Quincey berichtet 1822 in seinen Lebenserinnerungen von einem – gewiss auch in Mannheim – verbreiteten Leiden, nämlich von „dem bitteren Erbe des Fleisches […], der nächtlichen Kälte“. Wärme war noch längst nicht ständig verfügbar, war somit ein kostbares Gut.

In den einfachen Häusern spendeten einzig die gekachelten, ab dem frühen 19. Jahrhundert auch gusseisernen Kochherde Wärme; die wohnlichen Kachelöfen standen nur in gehobenen Haushalten. Dabei hatten die Kochherde gemäß den Mannheimer „Polizei-Vorschriften samt Bauordnung“ von 1822 mit einem „Thürchen“ vor der Feueröffnung versehen zu sein. In den Öfen brannten vor allem Holzscheite, viele der Öfen waren sogar ausschließlich auf den „Holzbrand“ ausgelegt. In den Schmieden, Eisen- und Metallhütten jedoch kam man ohne die in Meilern gewonnene energiereichere Holzkohle, bald auch die Braun- und Steinkohle nicht aus. Wasser- und Windkraft eigneten sich einzig für die Mühlen, die hier im Raum Getreide mahlten, Rüböl pressten oder Tabak schnitten. Natürlich gab es in der Flussstadt Mannheim – neben einer großen Windmühle außerhalb der Stadtmauern – mehrere im Rhein und im Kleinen Rhein, einem die Mühlauinsel abtrennenden Seitenarm, verankerte knirschende und klatschende „Rheinmühlen“.

Nun war angesichts des enormen Bedarfs an Holz – als Energieträger und Baustoff – die Übernutzung und damit „Verheerung“ der Wälder eine ständige Gefahr. Zahlreiche Forststudien befassten sich mit der optimalen Behandlung und Nutzung des Waldes, und Georg Christoph Lichtenberg kommentierte im 18. Jahrhundert angesichts der „Holznot“ gewohnt launig – dass man doch „so lange Bücher brennen könne, bis wieder neue [Wälder, Anm. d. Verf.] aufgewachsen seien“.24

Das Kaufhaus mit den Laternen an der Carl-Philipps-Gaß (heute Kurpfalzstraße, ugs.: Breite Straße). Stich der Gebr. Klauber, 1782.

(MARCHIVUM, GF00540)

„Der Knabe am Bratenwender“ vor einem einfachen gekachelten Ofen. Radierung von Daniel Chodowiecki, 1764.

(akg-images)

1.4DAS LEUCHTGAS

Philippe Lebon erfindet im 18. Jh. das Leuchtgas, im Hintergrund eine Allegorie auf den Siegeszug des Leuchtgases im 19. Jh. Farblithografie, anonym, Frankreich um 1890.

(akg-images)

Wie so oft bei Neuerungen erfuhr auch die Gasbeleuchtung zum einen begeisterten Zuspruch, zum anderen heftige Kritik. So behauptete der Literat und Journalist Ludwig Börne in seinen Schilderungen aus dem Paris der frühen 1820er Jahre, dass das Gaslicht zu rein fürs menschliche Auge sei und unsere ihm dauerhaft ausgesetzten Enkel gewiss davon blind würden. In ähnlicher Weise befürchteten übrigens Mitte des 19. Jahrhunderts Bahnkritiker, dass die mit rund 40 km/h dahin „rasende“ Eisenbahn für deren Passagiere gesundheitsschädigend sei.26

Die Titelseite der Abhandlung über den Holzspar-Ofen von Joh. Paul Baumer, 1765.

(akg-images)

Das Leuchtgas kommt in die Städte – eine technische Sensation

Bereits in den 1820er Jahren existierten in London und in den größeren englischen Städten Gasfabriken, die über Rohrleitungen die Straßenbeleuchtung, einige Fabriken und seltener Privathaushalte versorgten; in deutschen Landen war davon noch nicht die Rede. Nachdem die britischen Gasunternehmen die Insel mit Gas versehen hatten, schickten sie ihre Vertreter zur Geschäftsakquise in die deutschen Städte. Ihr Angebot: Gaswerke auf eigene Kosten zu errichten gegen ein zwar langjähriges, aber befristetes Gasliefermonopol. Die hierfür eigens 1824 in London gegründete Imperial Continental Gas Association baute und betrieb etwa Werke in Berlin und Hannover (1826), Köln (1840) oder Frankfurt am Main (1844). Britische und französische Anbieter suchten offenbar auch Kontakt zur Mannheimer Stadtspitze. Die Zusammenarbeit deutscher Städte mit ausländischen oder deutschen Spezialfirmen war durchaus üblich. Die Gasdynastie Spreng & Sonntag betrieb Werke in Karlsruhe (1845; ab 1847 Badische Gas-Gesellschaft) und Freiburg (1852). Dass die Städte ihre Gaswerke selbst bauten und betrieben, etablierte sich dann erst in den 1860er Jahren, parallel zu der aufkommenden staatswissenschaftlichen Debatte über die Kommunalisierung bzw. Rekommunalisierung von Versorgungsbetrieben.27

Gaslaternen am Eckhaus H 5, 8, ca. 1908. Das am ehemaligen Festungswall stehende Gebäude reicht mutmaßlich bis ins 18. Jh. zurück; für 1774 ist als Eigentümer der Stadtsoldat Johannes Wiemer nachweisbar.

(MARCHIVUM, GF00766. Personennachweis im Grundzinsbuch von 1774. MARCHIVUM, 2/1900 Nr. 12)

Leuchtgas für Mannheim

Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts beabsichtigte ein gewisser Christian Becker die Einrichtung einer kleinen „Anstalt“ für portatives, also in Flaschen abgefülltes Gas, möglicherweise noch auf Rüböl-Basis. Doch verweigerte ihm der Stadtrat das angestrebte Beleuchtungsmonopol – noch war in Mannheim die Zeit für die neue Technologie nicht reif. Der hiesige Stadtrat befasste sich erst tiefer mit der „Gas-Sache“, als die linksrheinische Ludwigsbahn 1847 in Betrieb ging und damit die Kohlenversorgung mit der wertigen Saarkohle gesichert war.28 Etwa zeitgleich widmete sich Friedrich Engelhorn der industriellen Produktion von Portativgas auf Kohlenbasis, offensichtlich bewogen und unterstützt von einem jungen reisenden Lütticher Ingenieur namens Wilhelm Smyers, der obendrein in Engelhorns Haus in C 4, 6 wohnte. Ob das Zusammentreffen der beiden dem Zufall geschuldet oder überzufällig war, lässt sich bislang nur mutmaßen. Jedenfalls gründete Engelhorn zusammen mit dem Lütticher, ferner mit dem Kaufmann Karl Ludwig Köster, 1848 die Portativgas-Firma Engelhorn & Comp. in K 6, 2. Allerdings verließ Smyers die Firma bereits im Aufbau; warum er sich so rasch zurückzog, liegt ebenfalls im Dunkel. Marie Engelhorn, Ehefrau Engelhorns, schildert einzig, dass er „flüchtig“ ging.29

Damit blieb Engelhorn – Karl Ludwig Köster verstarb 1849 an der in Mannheim grassierenden Cholera – als alleiniger Firmeninhaber zurück. Doch konnte ihm nicht verborgen geblieben sein, dass sich das Portativgas auf dem Rückzug befand, zumal die Mannheimer Stadtväter ernsthaft Pläne für den Bau und Betrieb eines zentral per Leitung versorgenden hochmodernen Gaswerks hegten, ja bereits Alternativen entwickelten, und zwar: a. Bau und Betrieb auf eigene Rechnung, b. auf volle Rechnung eines Gasunternehmers bei Abtretung eines Gasversorgungsmonopols oder c. als Hybrid von a. und b., also Bau auf Rechnung der Stadt bzw. über Anleihen zeichnender Bürger und Institutionen sowie auch mit Geldern des Gasunternehmens selbst, welches das Werk zur Pacht und zum Nutzen erhält, wobei sich mit ansteigendem Gasverbrauch auch die Pacht erhöhen, aber stets unter den Einnahmen des für 30 Jahre währenden Gasmonopols bleiben solle. Man entschied sich für die letztere Variante. Streitigkeiten waren bei dem komplexen Vertragskonstrukt vorprogrammiert, die nicht immer zugunsten der Stadt ausgingen. Denn auf das Gas konnte schon bald kaum mehr verzichtet werden, was die Gasunternehmer in eine vergleichsweise starke Verhandlungsposition manövrierte.30

Daran änderte auch nichts, dass immer wieder – nicht zuletzt in der Presse – die mangelnde Pflege und Bestandserhaltung der Fabrik beklagt wurde. Allerdings war das kein spezifisches Mannheimer Problem, sondern eher ein strukturelles, da befristete Pachtmonopole die Unternehmen kaum zu einer langfristigen Bestandserhaltung motivierten. Jedenfalls spottete 1863 die Mannheimer „Stadtbas“, eine satirische Kunstfigur, über die Fabrik mit „de große Spring“ und formulierte weiter: „Also in dreißig Johr gheert se uns Berger, wann se nit zsamme gfalle is.“31

Das lukrative Gasgeschäft auf Steinkohlenbasis machten in Mannheim die erfahrenen Karlsruher Gaswerker Johann Nepomuk Spreng und Friedrich August Sonntag. Sie gründeten 1851 zusammen mit dem hiesigen Friedrich Engelhorn, der für ansehnliches Salär die technischen Anlagen seiner Portativfabrik im Quadrat K 6, 2 sowie seinen vermutlich noch nicht ausgedehnten Kundenkreis einbrachte, eine auf Steinkohlen basierende „Anstalt für Rohrleitungsgas“: die am 6. Februar 1851 ins Leben gerufene Badische Gesellschaft für Gasbeleuchtung. Die Karlsruher hatten das Know-how, Engelhorn verfügte über beste lokalpolitische und fiskalische Beziehungen in der Stadt. Es war im Gasgeschäft nicht unüblich, einen ortsansässigen Unternehmer als Bindeglied zur Stadt mit ins Boot zu holen. Das Angebot Engelhorns ein Jahr zuvor, 1850, als Einzelunternehmer für ein Pachtmonopol von 100 Jahren ein Gaswerk einzurichten, hatte die Stadt noch wegen für sie ungünstiger finanzieller Aspekte – vermutlich aber auch, weil Engelhorn die einschlägige technische Expertise fehlte – abgelehnt.32

Das neue Gaswerk wurde mittels einer 4,5-prozentigen Anleihe in Höhe von zunächst 200.000 Gulden finanziert, wovon 100.000 Gulden die hiesigen Gasunternehmer und die Sparkasse zeichneten; die andere Hälfte übernahmen in erster Linie Privatleute – sogar aufgestockt bis zu dem Betrag von 342.000 Gulden. Diese Investitionsfreudigkeit sprach einerseits für die Offenheit der Mannheimer Bevölkerung gegenüber Innovationen, andererseits dafür, dass das Geld nach Anlagemöglichkeiten suchte.33

Zur Eröffnung des Mannheimer Gaswerks am 1. Dezember 1851 spendeten die vertraglich vereinbarten 631 Straßenlaternen ihr Licht. Die Leuchten standen im Abstand von 27 Metern beidseitig in der Breiten Straße (Kurpfalzstraße), in den übrigen Straßen im Abstand von 36 Metern. Und am Kaufhausturm erstrahlte eine werbewirksame Sonne mit der gleichsam alttestamentlichen Leuchtschrift: „Es werde Licht!“ Eine neue – wenn auch bisweilen noch unvollkommene – Helle war in die Stadt eingezogen. Für das Jahr 1856 berichtet das „Journal für Gasbeleuchtung“ (1859) dann von circa 670 öffentlichen Mannheimer „Straßenflammen“, also Gaslaternen, ferner von ansehnlichen 6000 „Privatflammen“. Sogar eine anlässlich der 100-Jahr-Schillerfeier von 1859 veröffentlichte Festschrift verlautbart, dass der Theatervorplatz in B 3 – in diesem Jahr umbenannt in Schillerplatz – im Rahmen des Großereignisses festlich mit „Gasflammen“ illuminiert wird.34