150 Jahre Volksbank Lahr - Walter Caroli - E-Book

150 Jahre Volksbank Lahr E-Book

Walter Caroli

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Beschreibung

Im Jahre 1865 setzten einige beherzte Bürger in Lahr die genossenschaftliche Idee in die Praxis um. Walter Caroli beschreibt anschaulich und lebendig den Weg der Lahrer Volksbank vom kleinen Vorschussverein zu einer der größten Volksbanken in Deutschland. Der Leser begegnet Persönlichkeiten aus der 150-jährigen Geschichte der Bank und gewinnt auch einen Überblick über die Entwicklung der Kreditgenossenschaften in der Region, die nach einiger Zeit mit der Lahrer Volksbank fusionierten. Die geschilderten Abläufe und Ereignisse sind in die historische Entwicklung der Stadt Lahr und ihrer Umgebung eingebettet. So ist dieses Buch zugleich auch ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Lahr und der Region.

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Seitenzahl: 430

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Walter Caroli

150 Jahre Volksbank Lahr

Vom Vorschussverein zur Bank der Region

 

Verlag Ernst Kaufmann, Lahr

Bildnachweis Vorsatz: Die Wurzeln der Volksbank Lahr, Entwurf: Walter Caroli / Hans Franke / Kalisch & Partner, nach einer Idee der VR Bank Main-Kinzig-Büdingen eG

 

Bildnachweis Nachsatz: Belegschaft der Volksbank Lahr 2015, Foto Michael Bode

 

Herausgeber:

Volksbank Lahr eG, Lahr

Autor:

Dr. Walter Caroli

Lektorat:

Wiltrud Funk, Reinhold Klein

Bildbearbeitung:

Hans Franke

Layout:

Werbeagentur Kalisch & Partner, Offenburg

E-Book-Konvertierung:

Satzweiss.com Print Web Software

 

ISBN epub 978-3-7806-9213-9ISBN Kindle 978-3-7806-9214-6

 

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Auflage 2015© 2015, Verlag Ernst Kaufmann GmbH, Alleestraße 2, 77933 Lahr

Vorworte

 

 

 

Vorworte

Oberbürgermeister der Stadt Lahr

Vorwort des Oberbürgermeisters der Stadt Lahr

Dr. Wolfgang G. Müller

Am Anfang stand eine soziale Idee: Während der Fabrikant „im Besitze einer entwickelten Intelligenz, kaufmännischer Bildung und wirtschaftlicher Kenntnisse“ sei und „unterstützt durch eigenes und fremdes Kapital“ werde, steht der kleine Gewerbetreibende der neuen Gewerbefreiheit, der harten Konkurrenz und den immer größer werdenden Fabriken hilf- und wehrlos gegenüber. So war es 1865 im Lahrer Wochenblatt zu lesen. Es waren diese Sorgen der Zeit zwischen 48er-Revolution und Reichsgründung 1871, die Männer wie Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch nach Wegen suchen ließen, Handwerkern, kleinen Kaufleuten und der ländlichen Bevölkerung in Zeiten des entstehenden und durchaus rauen Kapitalismus zu helfen. Der Weg wurde rasch gefunden und war Mitte des 19. Jahrhundert sehr beliebt: In freiwilligen Vereinigungen auf genossenschaftlicher Basis sollte die Kreditnot bekämpft und Solidarität gefördert werden.

 

Auch in unserem gewerbereichen Lahr musste diese Idee auf große Resonanz stoßen. Handwerker wie der Sattler Heinrich Caroli, der Verleger Moritz Schauenburg oder der Fabrikant Otto Maurer gründeten einen „Vorschußverein“, aus dem kurz darauf die Lahrer Gewerbebank und schließlich die Volksbank Lahr wurde. Mit ihm stellten die Lahrer nicht nur eindrucksvoll ihre Selbsthilfequalitäten unter Beweis, sondern schufen auch eine Einrichtung, die die herausgehobene Rolle Lahrs in der Ortenau immer wieder unterstrich. Dieser Weg zwischen genossenschaftlicher Selbsthilfe, sozialer Fürsorge und wirtschaftlicher Expansion darf aber nicht nur als ein Erfolgsmodell der Vergangenheit gelten, sondern macht auch Mut für unseren zukünftigen Weg in eine Bürgergesellschaft.

 

Die Volksbank Lahr steht nunmehr seit 150 Jahren für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Lahrer Bürgerschaft im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich. Es gibt wohl nur wenige Institutionen in Lahr, die so vielfältig zur Standortentwicklung in Lahr beitragen wie die Volksbank: Als Arbeitgeber, Steuerzahler und Ausbildungsunternehmen für den Wirtschaftsstandort Lahr genauso wie als Sponsor und Veranstalter für kulturelle und soziale Aktivitäten. Und dies ist auch sichtbar: Durch markante Architektur einerseits und einen behutsamen Umgang mit historischer Bausubstanz andererseits hat die Volksbank Lahr in den vergangenen Jahren wichtige Beiträge zur Stadtgestaltung geleistet.

 

Stellvertretend für die vielen Bereiche, in denen die Volksbank Lahr für die Zukunft bestens aufgestellt ist, möchte ich ihre Bedeutung als Ausbildungsunternehmen nennen. Hier hat die Volksbank Lahr eine wichtige Funktion in der Entwicklung junger Menschen hin zu Persönlichkeiten, die im Sinne des Gemeinwohls handeln. Immerhin sind dies pro Jahr 15 Auszubildende, die qualifiziert und motiviert ins weitere Leben entlassen werden. Ich bin zuversichtlich, dass die damit verbundene gelebte Weitergabe der genossenschaftlichen Grundidee an die nächsten Generationen auch zukünftig dazu beitragen wird, sowohl die Wirtschaftsleistung von Lahr als auch die Lebensqualität in Lahr weiter zu stärken.

 

Dr. Wolfgang G. Müller

Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken

Vorwort des Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken

Uwe Fröhlich

„Panta rei“, alles fließt – so lautet eine der bekanntesten Aussagen der griechischen Philosophie. Ihr Wahrheitsgehalt lässt sich besonders gut ermessen bei der Beschäftigung mit Geschichte, also mit längeren Zeitabschnitten, mit einigen Jahrzehnten, vielleicht sogar Jahrhunderten. Hier tritt der Fluss der Dinge offen zutage. Hier werden Zusammenhänge klar und Entwicklungslinien sichtbar, die in der Geschäftigkeit des Alltags allzu häufig unerkannt bleiben.

 

Zu einem besseren Verständnis unserer gemeinsamen Geschichte leistet die Volksbank Lahr in ihrem Jubiläumsjahr einen bedeutsamen Beitrag: mit diesem Buch, einem „Geburtstagsgeschenk“ für die interessierte Öffentlichkeit, einem informativen Stück historischer Forschung für alle, die der Volksbank Lahr verbunden sind, ebenso wie für die, die einfach nur einen wichtigen Teil der Bank und der Wirtschaftsgeschichte in Lahr und weit darüber hinaus kennenlernen wollen. Gerade die Beschäftigung mit lokaler und regionaler Geschichte ermöglicht ja oft etwas, das die Erforschung weltgeschichtlicher Großereignisse kaum zu leisten vermag: nämlich vom reinen Erzählen wegzukommen hin zum Erleben, vom Aufreihen nüchterner Fakten hin zur Projektion von Geschichte auf die Leinwand der eigenen Erfahrungswelt. Wie hat sich die Region entwickelt, in der ich lebe? Wie ist mein heutiges Lebensumfeld entstanden? Der Blick auf das Gestern erklärt nicht nur das Heute, sondern verrät auch viel über das Morgen.

 

Dass dies beim vorliegenden Buch gelingen konnte, dazu tragen nicht zuletzt die klaren Vorgaben bei, die sich die Bank und mit ihr der Autor dieses Werkes, Dr. Walter Caroli, gesetzt haben. Wissenschaftlich fundiert und quellenorientiert sollte es sein, dabei nicht allein die Zahlen in den Blick nehmend, sondern auch die Menschen dahinter. Das Ganze sollte gut lesbar aufgeschrieben und, wo möglich, mit vielen Bildern veranschaulicht werden. All diese Zielsetzungen erfüllt das Buch. Folglich wird es die Leserinnen und Leser gleichermaßen informieren und unterhalten. Dass es nicht als reine Festschrift erscheint, sondern im regulären Buchhandel, unterstreicht den hohen Anspruch.

 

Alles fließt – auch wenn dieser Satz zweieinhalbtausend Jahre alt ist, so muss er natürlich hinterfragt werden. Ist das wirklich so, verändert sich wirklich immer alles? Wer die letzten 150 Jahre und noch ein paar Jahrzehnte mehr unserer genossenschaftlichen Bankgeschichte aufblättert, der wird darin jedenfalls immer einen roten Faden finden, eine anscheinend unabänderliche Gegebenheit. Auch das spiegelt dieses Buch wider. Dieser niemals abreißende rote Faden, das ist die genossenschaftliche Idee – also die Idee von gegenseitiger Hilfe und Selbsthilfe, von Verantwortung für sich und für andere, von Solidarität und Subsidiarität, kurzum: die Idee, dass viele zusammen das erreichen können, was einer allein nicht schafft. Darauf vertrauen die Mitglieder moderner Kreditgenossenschaften seit über eineinhalb Jahrhunderten. Darauf vertrauen heute allein in Deutschland mehr als 17,7 Millionen Menschen.

 

Auch wenn die Welt um uns herum stetigem Wandel unterliegt – die genossenschaftliche Idee ist zeitlos. Unsere gemeinsame Aufgabe besteht darin, sie jeden Tag aufs Neue mit Leben zu erfüllen. Solange uns das gelingt, werden wir die Geschichte der Volksbanken und Raiffeisenbanken in unserem Land fortschreiben können – als eine echte Erfolgsgeschichte!

 

Uwe Fröhlich

Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes

Vorwort des Präsidenten des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes e.V. (BWGV)

Dr. Roman Glaser

Visionen ohne Taten bleiben Träume. Unter diesem Gesichtspunkt waren die Gründer der Lahrer Gewerbebank Visionäre, und sie waren ganz bestimmt keine Träumer. Denn sie haben die genossenschaftliche Idee und die genossenschaftlichen Werte ganz praktisch als beste Lösung für die großen Herausforderungen ihrer Zeit begriffen; es ging ihnen darum, unbürokratisch und schnell Hilfe zu leisten in einer Epoche, die geprägt war von einem großen sozialen Ungleichgewicht, weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen und Wucherzinsen.

 

Aus dieser genossenschaftlichen Keimzelle in Lahr ist eine starke und zeitlos sich bewährende Wirtschafts- und Unternehmensform in der Region geworden, die es über nunmehr 150 Jahre lang geschafft hat, Antworten auf die jeweils aktuellen Fragen der Zeit zu finden und dabei sich selbst treu zu bleiben. Partnerschaft, Fairness, Nachhaltigkeit oder die sprichwörtliche Hilfe zur Selbsthilfe sind Werte, die damals wie heute untrennbar mit Genossenschaften im Allgemeinen und mit der heutigen Volksbank Lahr im Speziellen verbunden sind. Ein elementarer Aspekt ist die demokratische Aufbaustruktur der Bank: Die Volksbank Lahr kann im Jubiläumsjahr auf die breite Basis von rund 53.000 Mitgliedern bauen. Damit reiht sie sich ein in die beeindruckend große Gemeinschaft von derzeit etwa 3,73 Millionen Genossenschaftsmitgliedern in Baden-Württemberg. Damit ist mehr als jeder dritte Einwohner im Land Mitglied mindestens einer Genossenschaft. In einer Zeit, in der zu Recht mehr Transparenz und Mitbestimmungsmöglichkeiten gefordert werden, ist dies ein ungemein hohes Gut – und ein Beispiel dafür, wie fortschrittlich der Genossenschaftsgedanke ist, der auf Taten und nicht auf Träume setzt.

 

Ihr außergewöhnliches Jubiläum feiert die Volksbank Lahr in einer Zeit, in der das Genossenschaftswesen wieder verstärkt in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt ist: Die Menschen sind in Folge der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise sensibler und kritischer gegenüber Wirtschaftsformen geworden, die ausschließlich auf Gewinnmaximierung und Shareholder-Value ausgerichtet sind. Die im Wesen der Genossenschaften verankerte soziale Komponente, die Ausrichtung auf die Mitglieder, die starke Verwurzelung in den Regionen – all dies macht Genossenschaften zu vertrauenswürdigen Partnern.

 

Die Motivation zur Gründung der Lahrer Gewerbebank im Jahr 1865 lag insbesondere im Bestreben, Landwirten, Handwerkern und Gewerbetreibenden in der Region Zugang zu fairen und bezahlbaren Krediten zu verschaffen. Die Lahrer Genossenschaft war damit ungemein wertvoll für die Entwicklung der Region, ihrer Unternehmen und der Bevölkerung – und ist es bis auf den heutigen Tag. Denn die lange Wertschöpfungskette beschränkt sich nicht auf die verlässliche Versorgung von Bankprodukten für die Menschen und Unternehmen. Die Volksbank Lahr ist auch ein bedeutender Arbeitgeber und Ausbildungsbetrieb in der Region. Und ohne die ideelle und finanzielle Förderung sozialer, karitativer und gemeinnütziger Arbeit könnten viele Institutionen oder Vereine nicht ihren hohen Einsatz für die Gesellschaft leisten. Die Gründerväter des deutschen Genossenschaftswesens haben dies ausgedrückt in dem Leitsatz: Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele.

 

Mein aufrichtiger Dank gilt dem Autor des Buches, Dr. Walter Caroli, der mit seiner Chronik lokale und regionale Geschichte lebendig werden lässt und gleichzeitig ein bedeutendes Stück allgemeine Genossenschaftsgeschichte geschrieben hat. Mein Dank gilt ebenso dem Vorstand der Bank, dieses zeitgeschichtliche Werk auf den Weg gebracht zu haben. Ich wünsche dem Buch viele interessierte Leserinnen und Leser, die nicht zuletzt damit belohnt werden, dass sie erkennen, wie tatkräftig Genossenschaften wirken – damals wie heute, und ganz sicher auch in der Zukunft.

 

Dr. Roman Glaser

Vorstandsvorsitzender der Volksbank Lahr

Vorwort des Vorstandsvorsitzenden der Volksbank Lahr

Peter Rottenecker

Unsere Volksbank Lahr feiert ihren 150. Geburtstag! Wie erfasst man einen so langen Zeitraum, der fast zwei Menschenleben andauert? Sind wir mit 150 Jahren schon alt, oder können wir uns noch als jung bezeichnen? Unsere Substanz sind die genossenschaftlichen Werte. Sie sind von Dauer und unterliegen nicht dem Zeitgeist. Im Gegenteil, sie tragen uns sicher und verlässlich auch in unruhigen Zeiten. Es ist für mich eine der Stärken der Genossenschaften, dass wir immer darauf vertraut haben und vertrauen konnten. In den letzten 150 Jahren ist unser Unternehmen folglich gewachsen und gereift, aber nicht gealtert. Mit Blick auf unsere Wurzeln bleiben wir fest verankert und, von der Grundidee her betrachtet, immer jung.

 

Für mich ist es sehr spannend, dieses ganz besondere Jubiläum persönlich miterleben zu dürfen, und ich darf Sie herzlich einladen, daran teilzuhaben. Mit unserer Chronik haben Sie die Möglichkeit, auf Ihre ganz eigene Zeitreise zu gehen. Der Autor, Dr. Walter Caroli, dem ich an dieser Stelle herzlich für seine sorgfältige und tiefgründige Arbeit danke, hat uns ein wertvolles historisches Werk geschaffen.

 

Unsere Motivation finden wir in der genossenschaftlichen Rechtsform: ein menschliches Geschäftsmodell mit regionalem Bezug. Die Mitgliedschaft ist zudem die modernste und demokratischste Beteiligungsform. Respekt und Wertschätzung, Vertrauen, Ehrlichkeit, Sicherheit, Verlässlichkeit und Partnerschaft sind Werte, die uns antreiben und die wir mit unseren Mitgliedern und Kunden teilen.

 

Zahlreiche Persönlichkeiten, denen ich meinen größten Respekt und meine Dankbarkeit entgegenbringe, haben die Entwicklung unserer Volksbank Lahr geprägt und sie zu dem gemacht, was sie heute ist und wofür sie steht. Wir sind eine Bank, die für die Menschen in der Region gegründet wurde. Wir setzen uns für unsere Kunden ein, ermöglichen die Erfüllung ihrer Wünsche und Ziele, und wir gehören unseren Mitgliedern.

 

Es erfüllt mich mit großer Freude, mich für die Volksbank Lahr und für die Menschen in unserer Region einzubringen und den erfolgreichen Weg weiter gemeinsam mit ihnen zu gestalten.

 

Peter Rottenecker

Autor

Vorwort des Autors

Dr. Walter Caroli

Der Weg, den die Volksbank Lahr in 150 Jahren genommen hat und über den in diesem Buch berichtet wird, darf – nicht zuletzt wegen der beeindruckenden Expansion – mit Fug und Recht als eine Erfolgsgeschichte bezeichnet werden. Die Lahrer Bank, schon 1865 von Vertretern des gewerblichen Mittelstandes gegründet, zählt zu den ältesten Kreditgenossenschaften in Baden. Ihre Initiatoren wollten nach den von Hermann Schulze-Delitzsch formulierten Prinzipien der Selbsthilfe den Mittelstand stärken und konkurrenzfähig machen. Indem sie den Mittelständlern zur Kreditfähigkeit verhalfen, legten sie den Grundstein zur Wahrung ihrer Selbstständigkeit gegenüber den Industrieunternehmen, die von den Großbanken bedient wurden. Dadurch, dass Landwirte, Handwerker und mittelständische Unternehmer an günstige Kredite gelangten, waren sie nicht länger dem Wucher von Geldverleihern ausgesetzt.

 

In geradezu spektakulärer Weise hat sich – vor allem in den letzten drei Jahrzehnten – der Marktbereich der Bank geografisch ausgeweitet: Er reicht mittlerweile nördlich bis wenige Kilometer vor Offenburg und südlich bis in die Nähe von Emmendingen. Der Geschäftsbereich umfasst heute eine Fülle von Gemeinden, in denen sich während der vergangenen 150 Jahre ein reges genossenschaftliches Leben entwickelt hatte. Unter ihnen ist auch Ettenheim, dessen Volksbankvorläufer – der Vorschussverein Ettenheim – mit Karlsruhe und Heidelberg zu den drei ältesten Kreditgenossenschaften in Baden gehört.

 

Alle Vorläufergenossenschaften des Geschäftsbereichs haben ihre eigene Geschichte. Diese umfangreich darzustellen hätte den Rahmen des Buches gesprengt. Deshalb mussten einige Ordnungskriterien gefunden und beachtet werden: Die Entwicklung der seit 1865 nacheinander als „Vorschussverein“, „Lahrer Gewerbebank“ und „Volksbank Lahr“ bezeichneten Genossenschaftsbank wird am ausführlichsten dargestellt. Die Kreditgenossenschaften in den Orten des Geschäftsbereichs der Volksbank Lahr, in denen sich heute noch eine Geschäftsstelle der Volksbank Lahr befindet, erhielten entweder einen komprimierten Abriss ihrer Chronik in Textform oder wurden tabellarisch in ein Kapitel integriert, immer unter der Voraussetzung, dass es die Quellenlage ermöglichte.

 

Der das Geschehen umrahmende lokale und nationale historische Kontext ist, farblich unterlegt, knapp umrissen dargestellt.

 

Das im Anhang aufgeführte umfangreiche Quellenverzeichnis soll zu weiteren Einzelrecherchen anregen; die Personen- und Ortsregister helfen bei gezielter Suche. Die reiche Bebilderung und die anspruchsvolle Gestaltung des Werkes werden, wie ich hoffe, die Leserinnen und Leser zu einer „blätternden Entdeckungsreise“ motivieren. Im Text wurde darauf geachtet, dass trockene Bankdaten in Grenzen gehalten werden und überall der agierende Mensch hervortritt.

 

Ich bedanke mich bei Susanne Hauser, Dieter Leidinger und bei einer ganzen Reihe weiterer – auch ehemaliger – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Volksbank Lahr für ihre Unterstützung. Hans Franke sei gedankt für die reibungslose Kooperation bei der Bildbearbeitung, Wiltrud Funk und Reinhold Klein für das wertvolle Lektorat. Der Werbeagentur Kalisch & Partner, insbesondere Simone Vollmer, danke ich für eine stets effektive und harmonische Zusammenarbeit. Ich wünsche mir, dass die vorliegende Geschichte der Volksbank Lahr als Beitrag zur Lokal- und Regionalgeschichte breite Beachtung findet.

 

Dr. Walter Caroli

I Wie die Genossenschaftsbanken entstanden

Kapitel I  Wie die Genossenschaftsbanken entstanden

Abb. 1 Hermann Schulze-Delitzsch im Kreise des Vorstands des Delitzscher Vorschussvereins um 1850 (vordere Reihe sitzend, Zweiter von links) 

In der Mitte des 19. Jahrhunderts dominierte in den Gegenden, in denen heute die Volksbank Lahr ihren Geschäftsbereich gefunden hat, eine landwirtschaftliche und handwerkliche Beschäftigungsstruktur. Die Städte im badischen Raum waren noch klein, und etwa 75 Prozent der Bevölkerung lebten auf dem Land. Dann aber vollzog sich gegen Ende des 18. und im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine rasante Entwicklung, schneller als in den Jahrhunderten zuvor, und sie änderte die Lebensverhältnisse der Menschen grundlegend. Dafür waren mehrere Faktoren ausschlaggebend: 

 

1. Die frühere Zersplitterung der deutschen Gebiete in kleine Herrschaften war seit Napoleon I. einer Neuordnung in größere Einheiten gewichen. Im neu geschaffenen Großherzogtum Baden und in den anderen deutschen Einzelstaaten förderte der jeweilige Fürst die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung seines Herrschaftsgebiets. Die Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (Französische Revolution) sorgten für ein anderes Bewusstsein von Macht und Machtbefugnissen. 

 

2. Durch die Abschaffung der Leibeigenschaft, die Ablösung der Zünfte und die Einführung der Gewerbefreiheit wurden die reglementierten Bahnen früherer Wirtschaftstätigkeit verlassen. Die Menschen zogen vom Land in die Städte, die rasch größer wurden oder sich zu dieser Zeit gründeten. Es entwickelten sich andere Ausgangsbedingungen und Konkurrenzverhältnisse.

 

3. Der technische und wissenschaftliche Fortschritt brachte neue Verkehrsmittel und Nachrichtenwege, leitete die industrielle Massenfertigung ein, schuf intensive Bewirtschaftungsmethoden in der Landwirtschaft und trug zum Wachstum und zur größeren Bildung der Bevölkerung bei.

 

Der gesteigerte Bedarf auf allen Gebieten brachte zwangsläufig die Entwicklung von der Werkstätte zur Fabrik, vom kleinen Ladengeschäft zum Handelshaus, vom Einzelunternehmer zu Gesellschaften.[1] Mit den neuen Gegebenheiten hatten insbesondere die kleinen Gewerbetreibenden, die Handwerker und die Landwirte zu kämpfen, weil sie ihre mit herkömmlichen Methoden gefertigten Waren nicht zu dem Preis der Konkurrenz anbieten konnten. Man war zu Investitionen gezwungen, und dazu brauchte man Geld. Doch gab es noch keine Kreditinstitute, derer sich die kleinen Mittelständler bedienen konnten, und so waren diese je nach ihrer Situation einem Geld- und Kreditwucher, aber auch einem Güter- und Warenwucher ausgesetzt. In unterschiedlichen Ansätzen versuchten Hermann Schulze-Delitzsch, Friedrich Wilhelm Raiffeisen und andere, diesem Missstand abzuhelfen.[2] Da der Einzelne zu schwach war, um sich wirtschaftlich behaupten zu können, sollte eine Gemeinschaft nach den Prinzipien der Selbsthilfe, der Selbstverantwortung und der Selbstverwaltung die Kräfte zusammenführen. 

Hermann Schulze-Delitzsch, eigentlich Franz Hermann Schulze (1808-1883) – Schöpfer des Genossenschaftsrechts

Abb. 2 Hermann Schulze-Delitzsch

Hermann Schulze-Delitzsch wurde in Delitzsch als Sohn des Bürgermeisters und Justizrates August Wilhelm Schulze geboren. Nach seinem Jurastudium in Leipzig und Halle wurde er zum Oberlandesgerichtsassessor ernannt und war als solcher in Naumburg und beim Berliner Kammergericht tätig. 

1841 bis 1849 war er als Patrimonialrichter[3] über mehrere Rittergutsbesitze in Delitzsch tätig. Bei dieser Arbeit wurde er mit den existenziellen Problemen von kleinen Handwerksbetrieben und der Arbeiterschaft konfrontiert. Nach seiner Wahl in die Preußische Nationalversammlung im Jahre 1848 als linksliberaler Abgeordneter der Kreise Delitzsch und Bitterfeld gab man ihm den Doppelnamen Schulze-Delitzsch, damit man ihn von anderen Abgeordneten, die auch den „Allerweltsnamen“ Schulze trugen, unterscheiden konnte. 

Als Leiter der „Kommission für Handwerksangelegenheiten“ erfuhr er erneut, welche Sorgen die kleinen Handwerker drückten, und kam zu der Erkenntnis, dass angesichts der übermächtigen, sich weiterentwickelnden Industrie die Existenz der kleinen Betriebe nur über genossenschaftliche Zusammenschlüsse aufrechterhalten werden könne.

Als Reaktion auf die 1848er-Revolution entmachtete Friedrich Wilhelm IV. im November 1848 die Preußische Nationalversammlung und verlegte ihren Tagungsort nach Brandenburg. Unter den Abgeordneten, die daraufhin aus Protest einen allgemeinen Aufruf zur Steuerverweigerung erließen, war auch Schulze-Delitzsch. Der König ließ die Volksvertretung mit militärischer Gewalt auflösen. Zusammen mit weiteren 41 Parlamentariern wurde Schulze-Delitzsch der Anstiftung zum Aufruhr angeklagt. Nach einer glanzvollen, Aufsehen erregenden Verteidigungsrede von Schulze-Delitzsch sprach das Gericht ihn und 40 seiner Mitstreiter frei. Doch nun war seine berufliche Situation von den Nachwirkungen der politischen Betätigung während der Revolutionsjahre überschattet. 

Es blieb ihm eine Hilfsrichtertätigkeit in der Provinz Posen, bei deren Ausübung er aber in Konflikt mit dem dort zuständigen Justizminister geriet. Er bat daraufhin, aus dem Staatsdienst entlassen zu werden. Im Herbst 1851 kehrte er nach Delitzsch zurück und begann nun seine Idee, Arbeiter und Handwerker in Genossenschaften zusammenzuschließen, in die Tat umzusetzen.

1849 hatte Schulze-Delitzsch zunächst Rohstoff-Assoziationen für Tischler und Schuhmacher angeregt, dann gründete er 1850 in Delitzsch einen Vorschussverein auf karitativer Basis, dem aber noch das Selbsthilfeprinzip und die Solidarhaftung fehlten. Erst als er den Verein ein Jahr später nach den Grundsätzen der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung umstellte, begann dieser auch zu funktionieren.

Abb. 3 Titelblatt von Schulze-Delitzschs Leitfaden zur Gründung von Volksbanken

Nun warb er persönlich und über Publikationen für die Einrichtung von Konsumvereinen, Vorschuss- und Kreditvereinen und Produktgenossenschaften und schuf die Voraussetzungen für die Gründung eines Dachverbandes, den „Allgemeinen Verband der auf Selbsthilfe beruhenden Deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“, einenVorläufer des späteren Deutschen Genossenschaftsverbandes. Große Verdienste hat sich Schulze-Delitzsch mit der Erarbeitung eines eigenständigen Genossenschaftsrechts erworben. Das Genossenschaftsgesetz von 1889 geht auf eine von ihm erarbeitete Schrift zurück. Sein Engagement als liberaler Politiker nahm er Ende der 1850er-Jahre wieder auf, und 1859 wurde er in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt. 1861 gehörte er zu den Gründern der Deutschen Fortschrittspartei. Ein Jahr später übersiedelte er nach Potsdam. 1871 wurde er in den Deutschen Reichstag gewählt und gehörte ihm bis zu seinem Tod an. Die Universität Heidelberg verlieh ihm, dem Schöpfer des Genossenschaftsrechts, im Jahre 1873 die juristische Ehrendoktorwürde. 

Abb. 4 Das Schulze-Delitzsch-Denkmal des Bildhauers Hans Arnoldt auf dem Schulze-Delitzsch-Platz in Berlin 

Hermann Schulze-Delitzsch wurde auf dem Alten Friedhof in Potsdam bestattet. In Berlin-Mitte steht auf dem 1910 so benannten „Schulze-Delitzsch-Platz“ ein 1889 vom Bildhauer Hans Arnoldt geschaffenes Denkmal. 1974 wurde es, ebenso wie die Straßenschilder, entfernt. Der Platz wurde Inselplatz genannt, ohne dass eine offizielle Benennung stattgefunden hätte. 1992 kam das Denkmal ohne Sockelfiguren wieder an seinen alten Platz zurück. Anlässlich seines 200. Geburtstags veröffentlichte die Deutsche Post am 7. August 2008 eine 90-Cent-Sonderbriefmarke mit dem Bildnis und einem Zitat von Schulze-Delitzsch: Der Geist der freien Genossenschaft ist der Geist der modernen Gesellschaft.

Abb. 5 Die Briefmarke anlässlich des 200. Geburtstages von Hermann Schulze-Delitzsch

In bester Weise kann der Aufruf von Schulze-Delitzsch zur Bildung von Vorschussvereinen aus dem Jahre 1857 die Gedankenführung dieses Promoters der Genossenschaftsbewegung verdeutlichen:

 

Geld und Credit im Ueberfluß für die Handwerker und kleinen Gewerbetreibenden! Kann denn Niemand von ihnen Geld brauchen?

 

Fast klingt es wie ein schlechter Spaß, wie die Anpreisung eines Marktschreiers, wenn man in diesen Tagen eine solche Frage an die Leute richtet und sie ordentlich bittet, daß sie die Gefälligkeit haben möchten, zuzugreifen; und noch dazu diejenige Classe, welche Beides am meisten bedarf und am seltensten erlangt. Und doch ist es so, von den obigen Worten geht kein Buchstabe ab. Wie viele sonst wackere Männer übersehen noch das nächste dargebotene Mittel zur Rettung aus unleugbarem Nothstande, die Aufhülfe durch eigene Kraft, und erwarten von irgend einer unerfindbaren Gewerbeorganisation den Schutz vor der ihre kleinen Geschäfte erdrückenden Großindustrie. Und doch müßte, nach den vielen vergeblichen Versuchen, eigentlich ein Blinder es begreifen, daß ihnen nichts weiter übrig bleibt, als auch ihrerseits mit der Zeit fortzugehen, sich der neuen Erfindungen, der Vortheile der neuern Betriebsweise zu bedienen, wenn sie auf die Länge bestehen wollen. Dazu aber ist vor allen Dingen Geld und Credit nöthig, und zwar mehr, als ihnen unter den bisherigen Umständen zu Gebote stand. Und wäre es nur, um die Rohstoffe im Großen besser und billiger zu beziehen, die in fast allen Branchen so ungeheuer im Preise gestiegen sind, daß, wer dieselben in kleinen Quantitäten vom Zwischenhändler zu entnehmen genöthigt ist, schon deshalb allein nicht Concurrenz halten kann. Beides aber, Geld und Credit, ist da, sobald die Handwerker nur wollen, das ist keine Chimäre, sondern eine durch unsere Vorschußvereine seit mehreren Jahren vor den Augen aller Welt erprobte Thatsache … Außerdem gewähren ... die Vorschußvereine auf der von uns empfohlenen Grundlage noch ein Resultat, auf welches wir besonderen Werth legen und welches kein anderes ähnliches Institut in dieser Weise bietet; daß sie nämlich den Mitgliedern die Anfänge einer eigenen Capitalbildung ermöglichen. Der große Anreiz hierzu liegt nämlich in der Dividende, die den Einzelnen nach Höhe ihres Guthabens in der Vereinscasse gewährt wird, welches sie sich durch das Einsteuern fortlaufender kleiner Monatsbeiträge gebildet haben, und dem die jedesmalige Dividende selbst wiederum zugeschrieben wird … Nach alledem ist die Möglichkeit thatsächlich nachgewiesen, daß die unbemittelten Gewerbetreibenden sich durch eigene Kraft Baarschaft und Credit ermitteln können, sobald sie nur ernstlich Hand anlegen …

 

So fassen wir denn die durch unsere Vereine erreichten wichtigen Vortheile kurz dahin zusammen, daß:

 

a) der kleine Gewerbstand dadurch in den Stand gesetzt wird, jeden Augenblick eine seinem Bedürfniß angemessene baare Geldsumme zu erhalten;

 

b) daß ihm die hohen wucherischen Zinsen erspart werden, welche er sonst dafür opfern mußte;

 

c) daß der Gewinn des Vorschußgeschäfts, bisher das Monopol der Capitalisten, inseineeigenen Taschenfließtund, nebstdenkleinenihnnichtbelästigenden monatlichen Beisteuern, die Anfänge einer eigenen Capitalbildung zu seinen Gunsten bewirkt …[4]

 

Schulze-Delitzschs Aufruf zeigte auch in Baden Wirkung, denn ein Jahr später entstanden hier die ersten Vorschussvereine. Der Vorschussverein Karlsruhe wurde am 24. Februar 1858 gegründet und im gleichen Jahr der Heidelberger Vorschussverein am 24. März und der Ettenheimer Gewerbe- und Vorschussverein am 1. September.[5] Im Frühjahr 1859 gab es im Reichsgebiet bereits 111 solche Institute, der endgültige Durchbruch kam in den 1860er-Jahren. 

 

Der 1865 gegründete Lahrer Vorschussverein, der noch im gleichen Jahr in Gewerbebank Lahr umbenannt wurde, gehört zu den frühen Gründungen. Regional verteilt vollzog sich in Baden der Aufbau von Verbandsorganisationen. Ihre Hauptaufgaben bestanden zunächst darin, Auskünfte zu erteilen, Empfehlungen auszusprechen und Hilfen bei der Anknüpfung von Geschäftsverbindungen zu geben. Die Revision, die später die Hauptaufgabe der Dachorganisation werden sollte, spielte in der Gründerzeit Ende der 1860er-Jahre noch keine Rolle. In Baden gründeten sich zwei Organisationen in Oberbaden und Unterbaden (Nordbaden). 14 Vorschussvereine nahmen an der Gründungsversammlung des Unterbadischen Genossenschaftsverbandes im Dezember 1867 in Karlsruhe teil, darunter der Vorschussverein Ettenheim und die Gewerbebank Lahr. Dieser nordbadische Verband zählte beim 50-jährigen Jubiläum 54 angeschlossene Kreditinstitute mit etwa 50.000 Mitgliedern. 

 

Während in den Städten die Nachfrage nach Krediten im Vordergrund stand, ging es im ländlichen Raum, wo die Landwirtschaft dominierte, eher darum, gemeinsam günstig Betriebsmittel einzukaufen, den Vertrieb der Erzeugnisse zu optimieren und eine gemeinschaftliche Nutzung von Geräten zu ermöglichen. Nicht selten lief das Geld- und Kreditgeschäft nur am Rande mit. Bei vielen Genossenschaften kam es auch erst nach vielen Jahren des Bestehens zu einer Angliederung des Geld- und Kreditgeschäfts. Die Gründungen der vielfältigen Genossenschaften (siehe unten) gehen auf teilweise unterschiedliche Vorstellungen der Genossenschaftspioniere Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Wilhelm Haas[6] zurück. Die Verbandsebene gestaltete sich reichlich kompliziert. 

 

Abb. 6 Wilhelm Haas

So wurde 1883 der Verband der badischen landwirtschaftlichen Konsumvereine, 1884 der Verband der landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften im Großherzogtum Baden, 1892 der Verband badischer Zentrifugen-Molkereien, 1901 der Unterverband oberbadischer Winzergenossenschaften und schließlich 1908 der Genossenschaftsverband des Badischen Bauern-Vereins in Freiburg gegründet. Erst 1929 schlossen sich diese genannten Verbände zum Verband landwirtschaftlicher Genossenschaften in Baden, dem späteren Raiffeisenverband Baden, zusammen. Nachdem sich die ländliche Variante der Genossenschaften in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stärker am Geld- und Kreditwesen orientierte, kam es zu lange anhaltenden Konkurrenzsituationen mit gewerblichen Kreditinstituten. Auf Verbandsebene war der am 26. April 1971 vollzogene Zusammenschluss des Badischen Genossenschaftsverbandes (Schulze-Delitzsch) und des Raiffeisenverbandes Baden zum Badischen Genossenschaftsverband Raiffeisen-Schulze-Delitzsch ein Meilenstein in der Entwicklung des Genossenschaftswesens. Die Mitglieder des Badischen und des Württembergischen Genossenschaftsverbandes beschlossen am 23. Oktober 2008 die Verschmelzung der beiden Verbände zum Genossenschaftsverband Baden-Württemberg. In Lahr fanden die gewerbliche und die ländliche Ausrichtung des Kreditgenossenschaftswesens durch die Verschmelzung von Volksbank und Raiffeisenbank im Jahre 1986 zueinander (siehe unten). 

Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 -1888) – Förderer des Genossenschaftswesens im ländlichen Raum

Abb. 7 Friedrich Wilhelm Raiffeisen

Friedrich Wilhelm Raiffeisen wurde am 30. März 1818 in Hamm im Siegerland geboren. Die Mutter Amalie entstammte einer protestantisch-pietistischen Beamten- und Bauernfamilie, der Vater Gottfried Friedrich war Bürgermeister in Hamm. Eine konservative Grundhaltung, Verwurzelung im ländlichen Raum und tiefe (pietistische) Frömmigkeit kennzeichneten seine Familie. Ein Jahr nach Friedrich Wilhelms Geburt musste der Vater wegen einer Unterschlagung demissionieren, was zum wirtschaftlichen und sozialen Abstieg der Familie führte. Im Alter von 17 Jahren begann Raiffeisen in Köln eine Offizierslaufbahn, musste sich aber wegen eines Augenleidens umorientieren und schlug schließlich die Verwaltungslaufbahn ein. Er wurde Bürgermeister der Westerwaldgemeinde Weyersbusch, die mit umliegenden Weilern etwa 5.000 Einwohner hatte. Nach einer Hungerkrise im Winter 1846 / 47 gründete Raiffeisen mit wohlhabenden Bürgern den „Weyersbuscher Brotverein“, der sich zunächst der Verteilung von Lebensmitteln an Arme widmete, dann aber auch den gemeinschaftlichen Bezug von Saatgut sowie die Errichtung eines Gemeindebackofens organisierte. 

 

Abb. 8 Amts- und Wohnhaus von Bürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen in Flammersfeld von 1849 bis 1851 

1849 wurde Raiffeisen zum Bürgermeistervon Flammersfeld berufen. Hier gründete er den Flammersfelder Hilfsverein für bedürftige Landwirte. Wohlhabende Bürger kauften Vieh und stellten es armen Landwirten zur Verfügung, die nach und nach den Kaufpreis tilgten. Dann ging man dazu über, günstige Darlehen zu geben. In Heddesdorf, wo Raiffeisen ab September 1852 als Bürgermeister tätig war, gründete er auch gleich einen Wohltätigkeitsverein. Man gewährte Darlehen an unbemittelte Landwirte, beschaffte gemeinschaftlich Vieh, kümmerte sich um verwahrloste Kinder, um entlassene Häftlinge und um Beschäftigungslose. Ein wichtiger Schritt war seine Initiierung des Anhauser Darlehenskassenvereins im Jahre 1862. Die Mitglieder zahlten im Gegensatz zu dem Genossenschaftstyp Schulze-Delitzschs keine Einlagen oder Eintrittsgelder und mussten auch keine Geschäftsanteile erwerben. Die Finanzierung der Darlehenskassen erfolgte stattdessen über die Aufnahme von Anleihen gegen die solidarische Haftung der Mitglieder.  

 

Abb. 9 Friedrich Wilhelm Raiffeisen als Bürgermeister in Heddesdorf

Vier Jahre später erschien Raiffeisens Buch über die „Darlehenskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter“, das rege Verbreitung fand und noch zu seinen Lebzeiten in fünf Auflagen erschien. Raiffeisen war zwischenzeitlich, obwohl erst 47 Jahre alt, wegen zunehmender Erblindung pensioniert worden und widmete sich nun ganz dem Aufbau ländlicher Darlehenskassenvereine. Als Dachverband seiner ländlichen Vereine rief Raiffeisen am 26. Juni 1877 in Neuwied den Anwaltschaftsverband ländlicher Genossenschaften ins Leben, den Vorläufer des späteren Deutschen Raiffeisenverbandes. 

II Die Lahrer Gewerbebank von 1865 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs

Kapitel II  Die Lahrer Gewerbebank von 1865 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs

Abb. 1 Die Meldung über die vollzogene Gründung des Lahrer Vorschussvereins im Lahrer Wochenblatt