17 Dinge, die wir von 80-Jährigen lernen können - Saba MBoundza - E-Book

17 Dinge, die wir von 80-Jährigen lernen können E-Book

Saba MBoundza

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Beschreibung

Wir leben im Jetzt. Was geschehen ist, ist geschehen. Und dennoch kennt jeder Mensch die Situation, dass etwas im Rückblick nicht mehr viel Sinn ergibt oder umgekehrt so viel einfacher erscheint und man sich wünscht, bestimmte Lebensabschnitte mit dem Wissen von heute noch einmal wiederholen zu können. Erfahrener, entspannter und weiser würden wir ganz andere Entscheidungen treffen. Die 80-Jährigen von heute haben in ihrem Leben durch äußere Umstände oft weniger Zeit zum Grübeln gehabt als wir. Doch auch sie kennen diese sanfte Reue oder die Sehnsucht nach der eigenen Jugend. Dieses Buch gibt ihnen eine Stimme, die Gelegenheit sich zu erinnern, zu erzählen und uns ganz nebenbei aufzuzeigen, was wir für unser eigenes Leben von ihnen lernen können.

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Seitenzahl: 182

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Saba MBoundza

17 Dinge, die wir von 80-Jährigen lernen können

Saba MBoundza

17 Dinge,die wir von80-Jährigenlernen können

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2018

© 2018 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Antje Steinhäuser

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer, München

Umschlagabbildung: © Saba MBoundza

Satz: Röser MEDIA, Karlsruhe

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-86882-843-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-081-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-082-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Vorwort

Verantwortung

Armin Lufer

Zielstrebigkeit

Maria Vaidas-Trilling

Altruismus

Helga Thurmann

Selbstvertrauen

Ingrid Schippke

Kommunikation

Heinrich und Brigitte S.

Intuition

Mansha Ram Singh

Risikobereitschaft

Hans-Walter Rudloff

Einsicht

Rudolf Höll

Selbstzweifel

Helga Lüsebrink

Aussprache

Wolfgang und Ursula Grabowski

Durchsetzungsfähigkeit

Sonja Cantow

Geduld

Hannelore Gerosch

Widerstandsfähigkeit

Marianne M.

Nachdruck

Dr. Rolf Donner

Offenheit

Helga Behrendt

Durchhaltevermögen

Erna Hempel

Optimismus

Irena Malawska-Patzer

Vorwort

Berlin, 3. Oktober

Drei Tage, bevor ich dieses Vorwort geschrieben habe, ist meine Oma gestorben. Ich kannte sie nicht sehr gut – so wenig sogar, dass ich gar nicht weiß, wie sie eigentlich hieß. Ich weiß, dass sie gerne Ingwersaft getrunken hat, der in Brazzaville damals in kleinen Tütchen abgepackt als Trinkpäckchen verkauft wurde. Weil ich dessen Geruch als Kind als so durchdringend empfand, mag ich heute keinen Ingwer. Ich habe mit Oma nie ein Wort gewechselt. Nicht ein einziges. Das lag zum einen daran, dass ich in Berlin aufgewachsen bin und sie dreimal in meinem Leben gesehen habe – als Kind, bevor der Bürgerkrieg ausbrach, und lange Zeit später, nach dem Studium. Dass wir uns nie unterhalten haben, lag zum anderen daran, dass sie aus dem ländlichen Kongo stammte und weder Französisch, noch Lingala sprach, wie es in der Hauptstadt üblich ist. Ich dachte mir immer, wenn dieses Buch erst fertig ist, dann plane ich einen Besuch in Brazzaville, um die Oma mal wieder zu sehen.

Ihr Tod macht mich nicht sehr traurig. Viel mehr tut es mir leid, dass mir die Mutter meines Vaters so fremd war. Ich kenne viele Leute, die ohne Großeltern aufgewachsen sind, sie zeitig verloren haben oder ihnen nicht nahestehen. So viele, dass es mir nicht leicht fiel, Interviewpartner für dieses Buch zu finden. Ich bin also bestimmt nicht die einzige, die nicht so recht weiß, mit einem solchen Verlust umzugehen, der keiner ist. Doch sind es die Einblicke, die mir die Menschen in diesem Buch gewährt haben, durch die mir klar wurde, wie viel mir entgangen ist, weil mir meine Oma bis zu ihrem Tod fremd blieb. Denn die Distanz, die wir zu anderen Menschen haben, ist gar nicht so groß, wie wir denken.

Als ich angefangen habe, mit Menschen der Generation meiner Großeltern zu sprechen, hatte ich gerade mein Studium in Paris abgeschlossen. Nach meiner Rückkehr nach Hause, ging es mir wie vielen anderen auch. In meinem Kopf sirrten Fragen über mich und meine Zukunft und meine Wünsche und meine Ängste wie ein großer Bienenschwarm, dessen Bedrohung sich in meiner Magengrube zu einem lähmenden Gewicht manifestiert hatte. Alles war so ungewiss und frustrierend, ganz anders, als zu Beginn meiner Studien. Ich begann mir Gedanken darüber zu machen, wie ich auf diese Zeit zurückblicken werde; ob wirklich alles irgendwie wird, so wie meine Mutter es mir immer verspricht. Und darum habe ich mich an Menschen gewendet, die ja wissen mussten, wie sich all die Irrungen und Wirrungen aus dem jungen Erwachsenenleben im Alter anfühlen. Was würden sie sich sagen, wenn sie ihrem jungen Ich einen Rat mit auf den Weg geben könnten? Fast allen, mit denen ich für dieses Buch gesprochen habe, fiel die Antwort darauf nicht leicht. Kaum jemand hatte als junger Erwachsener viel Raum, sich intensiv mit der eigenen Person auseinanderzusetzen. Die Umstände erlaubten es nicht. Unsicherheiten gab es viele, doch wenige hatten mit Träumen und Zweifeln zu tun. Für solche Gedanken, für solche Ablenkungen gab es zu viel zu tun. Beziehungen waren anders, als sie heute idealisiert werden. Eine Zweckgemeinschaft war weitaus wahrscheinlicher als tiefschürfende Liebe.

All die Selbstfindungsprobleme, die mich dazu veranlasst hatten, diese Gespräche zu suchen, sind wohl ein Luxus, den es nicht gibt, wenn man im Krieg aufwächst. Meine Frage nach den Ratschlägen an das jüngere Ich war unerwartet abstrakt und vor allem unwahrscheinlich persönlich. Die Menschen in diesem Buch sind Fremde, die mit mir über ihre Erfahrungen und Empfindungen gesprochen haben, die sonst so privat bleiben, dass sich unser Austausch zuweilen sehr intim angefühlt hat. Hand hoch, wer solche Gespräche mit der eigenen Familie führt! Vor jeder neuen Begegnung war mir unwohl, denn ich hatte immer diese Angst davor, mit meinen Fragen auf andere einzudringen, ihnen zu nahe zu treten oder sie zu verärgern. Und an jedes Treffen musste ich noch Tage später denken, weil mich die Menschen innerhalb weniger Stunden an so viel haben teilhaben lassen. Solche Begegnungen erlebe ich im Alltag nicht. Darum bin ich all jenen unglaublich dankbar, die mir für dieses Buch von ihrem Leben erzählt haben. Dankbar für das Vertrauen, die Geschichten und die Erfahrung.

Ich habe nicht mehr die Gelegenheit, meiner Oma die gleichen Fragen zu stellen – wie ihr Leben war, wie sie darüber denkt und welche Worte sie für sich selbst hätte. Daran werde ich immer denken, wenn ich mich an sie erinnere. Jedoch werde ich auch nicht vergessen, dass andere kennenzulernen gar nicht so schwer ist – und dass wir durch sie auch über uns selbst mehr erfahren.

Verantwortung

Armin Lufer

»Im Leben gewinnst du viel, wenn du deinen Egoismus überwinden kannst.«

 

Armin Lufer gehört zu den Interviewpartnern, die von sich aus auf mich zugekommen sind – und zu denjenigen, die in einer heute nicht mehr zu Deutschland gehörenden Gegend aufgewachsen sind. Zu Beginn unseres Telefonats eröffnete er mir, er habe bereits etwas niedergeschrieben, was für mich von Interesse sein könnte. Kurz nachdem wir uns verabredet hatten, lag der Text überraschenderweise in meinem Briefkasten. Herr Lufer hatte ihn mir netterweise per Post geschickt – 17 mit der Schreibmaschine verfasste Seiten über ein Leben, das der Breslauer nach der frühen Prägung durch die Hitlerjugend und die Einberufung in den Volkssturm einem bedeutsamen Anliegen gewidmet hat. Einem Anliegen, von dem er mir im Gespräch über seine Biografie erzählt hat.

Geboren bin ich im Februar 1929 in Breslau, in der Gartenstadt Carlowitz. Meine Eltern stammen von dort, die Vorfahren meines Vaters stammen aus Thüringen. Meine Schwester und ich werden demnächst die Leute besuchen, die jetzt in der Wohnung leben, in der wir geboren wurden. Denen habe ich auch schon von meiner Lebensgeschichte berichtet. Mit der Stadt Breslau verbinde ich nicht nur meine Kindheit und Jugend, ich finde es auch persönlich notwendig zu erklären, was sich zugetragen hat, sodass dort heute keine Deutschen mehr leben. Deshalb habe ich in den letzten Jahren, im Rahmen eines Breslauer Stammtisches, verschiedene Vorträge zur Geschichte meiner Geburtsstadt gehalten und von meinen persönlichen Erlebnissen erzählt.

Ich wurde mit 15 Jahren, im August 1944, in den Volkssturm eingegliedert und habe bis zu diesem Zeitpunkt erst die Volks-, dann die Mittelschule besucht. Ich wäre im April 1945 fertig geworden mit der Schule. Doch dann wurde die Stadt Breslau zur Festung gemacht und ich absolvierte nur eine Notreifeprüfung.

Ab dem 22. Januar 1945 war ich mit 16 Jahren Soldat. Das war ein harter Einschnitt für uns. Breslau und Schlesien waren bis 1944 so etwas wie der Luftschutzbunker für die übrige Bevölkerung Deutschlands gewesen, besonders aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet. Dort waren die Menschen ja schon in den Jahren 1941 bis 1943 dem Bombardement ausgesetzt, so kamen viele nach Breslau. Bis August 1944 war die Stadt von jedem Bombenangriff verschont geblieben. Dann fielen im September erstmals Bomben auf unsere Nachbarschaft. Und das war ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte. Diesen Luftangriff habe ich selbst nicht miterlebt, weil ich da schon an der Ostgrenze beim Stellungsbau eingesetzt wurde. Die Menschen hatten bis zu diesem Zeitpunkt zwar mitbekommen, dass Krieg ist – vor allem durch die Benachrichtigungen der Angehörigen von den vielen Gefallenen. Doch persönlich hatten sie den Krieg nicht im Alltag erlebt; ihr Leben ging einfach weiter.

Im Dezember des Vorjahres hatte ich meinen Schulleiter über meinen Einberufungsbefehl informiert, den es geheim zu halten galt. Am 22. Januar musste ich mich auf dem Breslauer Herr-man-Göhring-Sportfeld, das heute das Olympiastadion ist, als Soldat melden. Das war für die meisten Menschen in Breslau der Tag, an dem sie durch die Nazis auf die Flucht geschickt wurden. Doch Angst hatte ich keine. Für mich war dieser Einberufungsbefehl der Dienst für das faschistische Deutschland. Ich war schließlich im Geiste des Dritten Reiches in der Hitlerjugend erzogen worden. Demzufolge war das für mich ein Auftrag, dem ich Folge zu leisten hatte. Ich hatte die Erwartungshaltung, dass der Weltkrieg noch eine Wende erfahren wird – nämlich dann, wenn Hitler seine Wunderwaffe einsetzen würde. Das waren vielleicht ein paar Wahnvorstellungen … Ich hatte keine Angst und stellte keine Überlegungen an, irgendwie stiften zu gehen. Für mich war dieser Einberufungsbefehl damals eine Anordnung, der ich gehorchen musste. Mein Vater war ebenfalls Soldat und auch meine Mutter brachte dem keinen Widerstand entgegen. Die hat auch nicht gewusst, dass ich für die Festung Breslau gekämpft habe. Das hätte sie psychisch nicht überstanden. Soldaten mit anderer Haltung traf ich erst, als ich mit schweren Erfrierungen im Franziskaner-Kloster, das man zum Lazarett umfunktioniert hatte, als Kriegsverletzter behandelt wurde.

Denn dort kam ich in Kontakt mit anderen jungen Soldaten, die waren so zwischen 20 und 25 Jahre alt. Diese Männer haben mir ihren faschistischen Geist offenbart, indem sie sich stolz ihrer »Heldentaten« in Polen und der Sowjetunion rühmten und mich verspotteten. Weil ich durch meinen Einsatz als Melder im April noch zwei Kriegsauszeichnungen bekommen hatte, wurde ich von diesen Soldaten als »Hitlers letzte Waffe« verhöhnt. Ich wäre also, mit anderen Worten, mit schuld daran gewesen, dass der Krieg in Breslau gewütet hat. Dass die Soldaten sich damit brüsteten, in anderen Ländern Frauen und Kinder ermordet zu haben, hat mich geschockt. Doch kurz vor der Kapitulation haben genau diese Leute sich dann angstvoll an mich gewandt und gefragt: »Was werden die Russen mit uns machen?« Die hatten einen Schiss! Unglaublich. Das sind so Dinge, die sich mir eingeprägt haben. So kam meine Ernüchterung.

Zwischen dem 6. und 7. Mai 1945 wurde das Lazarett durch die Rote Armee übernommen. Da hat mich dann ein Angehöriger des »Nationalkomitee Freies Deutschland« aufgesucht. Deren Mitglieder waren früher Angehörige der faschistischen Armee gewesen, hatten jedoch 1943 nach der Schlacht von Stalingrad eine militärische und politische Anti-Hitler-Bewegung entwickelt. Diese Leute haben mich nach meinen Erlebnissen ausgefragt, was meinen weiteren Lebensweg positiv beeinflusst hat. Ich bin später in ein Lazarett im Kriegsgefangenenlager im tschechischen Tabor gekommen, wo ich gesund gepflegt wurde. Dort habe ich überzeugte Nazis kennengelernt, von denen nur einer vor den Rotarmisten zu seiner Einstellung stand. Was wiederum auch anerkannt wurde. Sich zu einer Sache hundertprozentig zu bekennen, selbst wenn daraus persönliche Nachteile geschöpft werden, hat mich motiviert. Ich habe nie verschwiegen, dass ich Angehöriger der Hitlerjugend war. Ich war auch Mitglied der Kampfgruppe der Hitlerjugend in Breslau. Meine Erfahrungen in diesem Alter haben also mein Leben mitbestimmt.

Kurz nach Weihnachten 1945 wurde ich entlassen. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nach Breslau zurückkehren, da die Stadt nun wieder zu Polen gehörte. Darum habe ich mit meinem mittlerweile verstorbenen Schulfreund im thüringischen Pößneck Verwandtschaft aufgesucht – ohne dies zunächst zu wissen. Dort wurde ich auch wieder mit meinen Eltern und meiner Schwester vereint. Das war ein Gefühl von Fassungslosigkeit und Glück, zum Ausdruck gebracht mit dem Ausruf: »Junge, du lebst!«, der mir bis heute in Erinnerung bleibt. Seit meiner Verabschiedung im Januar hatte meine Mutter nicht gewusst, wo ich war. So wurde ich bis Ende 1945 in relativ jungen Jahren sehr schnell zum Erwachsenen. Normalerweise beginnt ja im Alter von 16 oder 17 Jahren das jugendliche Leben erst. Für mich war’s zu dem Zeitpunkt schon abgeschlossen. Ich wurde ab da wie ein Erwachsener behandelt. Die Bevölkerung in Pößneck hatte kaum direkt etwas vom Krieg mitbekommen. Demzufolge konnten sich die Menschen dort nicht in die Lage jener versetzen, die mit nichts dorthin gekommen waren. Durch meinen Namen, der noch von früheren Verwandten dort stammt, kam ich in Kontakt mit ein paar Einheimischen und fand zunächst eine Anstellung als Bauarbeiter. Danach machte ich eine Ausbildung zum Zimmermann, wodurch ich meine Familie mit Brennmaterial unterstützen konnte. Die Arbeitsstätte war Basis für Leben und Überleben. Dieser Beruf hat sich nicht nur dadurch ergeben, dass mein Vater Maurer und Architekt war, sondern auch durch meine Tätigkeit für das Unternehmen Barthold; beim Stellungsbau an der polnischen Grenze im August 1944. Da fing ich an, mit Holz zu arbeiten, wonach dieser Baustoff später Lebensinhalt meines Berufs geworden war. Dann habe ich in verschiedenen Bereichen gearbeitet, bis wir 1949 nach Jena zogen. 1950 folgte dann mein Studium, das körperlich so belastend war, dass ich zwei Jahre später wegen einer Nervenentzündung zum Kuraufenthalt nach Usedom musste. Dort habe ich meine Frau kennengelernt. Bis zur Rente habe ich ausschließlich im Bauwesen gearbeitet, unter anderem in Rostock und Potsdam.

Im Leben gewinnst du viel, wenn du deinen persönlichen Egoismus überwinden kannst und versuchst, an die Gemeinschaft zu denken. Versuch, dich in die Lage Dritter zu versetzen, um zu verstehen, warum sie Unterstützung brauchen. Die Generationen meiner Eltern und meiner Großeltern waren in sich sehr verschlossen. Die haben von ihrem Leben und ihren daraus gezogenen Erkenntnissen nichts als Schweigen vermittelt. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Das Drücken und Küssen von Kindern und Enkeln sind Dinge, die ich selbst nicht erlebt habe. Sie haben über Krieg nicht gesprochen. Ihre eigenen Erlebnisse haben sie stets für sich behalten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie nicht von ihren Enttäuschungen erzählt. Man merkte nur, sie hängen an einer Zeit, die über Deutschland und die Welt viel Unheil gebracht hat. Und ihr Schweigen war für mich das Bekenntnis: »Wir hätten doch was sagen müssen.« Das ist auch die Erfahrung von Gleichaltrigen. Das sind Dinge, die ich anders machen wollte. Auch im hohen Alter. Das Verantwortungsgefühl anderen gegenüber in der Gesellschaft allgemein nimmt ab. Ich habe gelernt, dass die Differenzen, die man miteinander hat, nicht unter den Tisch gekehrt werden dürfen und wir uns nur gemeinsam vorwärts bewegen. Meine Erlebnisse in der Gefangenschaft mit ehemaligen faschistischen Soldaten haben mich sehr geprägt. Ich habe dadurch mit dem Faschismus abgerechnet und bin seitdem ein Verfechter des Widerstands gegen jede nazistische, faschistische oder militaristische Entwicklung. Darum konzentriere ich mich darauf, diese Erfahrung an jüngere Generationen zu vermitteln.

Armin Lufer hat immer wieder den Weg in seine Geburtsstadt gesucht und gefunden, wo er bei diversen Gelegenheiten mit jungen Polen über Krieg und seine Ursachen und Wirkungen gesprochen hat. Und auch mit denjenigen, die über 70 sind, aber damals Kinder waren und nicht verstehen, was damals vor sich ging. »Wenn diese Leute Festung Breslau hören, haben sie ganz andere Vorstellungen – zum Beispiel von einer Festungsanlage wie im Mittelalter –, die es jedoch nicht gegeben hat. Ihnen versuche ich, die Ursachen zu vermitteln und damit stoße ich nicht immer auf Wohlgefallen, weil ich mich auf kriegerische Entwicklungen beziehe, die bereits mit Friedrich dem Großen in Gang gesetzt wurden.« Man müsse sich schon mit der Geschichte befassen, damit sich solche Dinge nicht wiederholen. Aber sie wiederholen sich ja gegenwärtig, erklärt Herr Lufer. Nicht nur anderswo in der Welt. Mit Sorge beobachtet er, wie sich Konflikte hier in Deutschland manifestieren. »Und darum will ich den Leuten erklären, was Krieg bringt. Den Menschen, die das nicht hören wollen, und dazu zählt auch die nächste Verwandtschaft, muss man versuchen, das zu verklickern.«

Zielstrebigkeit

Maria Vaidas-Trilling

»Wenn du ein Ziel hast, dann lass dich nicht von deinem Umfeld beeinflussen.«

 

»Nur gute Menschen kommen rein«, tönt es fröhlich durch die Gegensprechanlage. Oben empfängt mich Maria Vaidas-Trilling, deren gute Laune ich schon von verschiedenen Geburtstagsfeiern meiner Großeltern kenne, von der ich ansonsten bisher aber nicht viel wusste. Doch schon am Telefon hat die 87-Jährige munter drauflos geplaudert – über ihre Adoptiveltern, ihren großen Traum von der Bühne, ihren Künstlernamen und darüber, wie dieser sie mit ihrer Familie vereint hat. Ihre Euphorie ist ungebrochen. Ich bekomme eine Tour durch ihr kleines Apartment in der modernen Seniorenresidenz der Malteser in Berlin-Tempelhof. An den Wänden hängen Bilder – selbst gemalt. Und Fotos, etliche Fotos, die ihre jahrelange Karriere dokumentieren. Dann erzählt sie frei von der Leber weg.

Ich muss sagen, ich hatte immer ein Ziel im Auge – immer ein Ziel! Auch in schweren Zeiten während des Krieges wollte ich stets zum Theater. Ich stamme aus Rumänien, wo ich im Alter von vier Jahren adoptiert worden bin. Ich kam in eine sehr betuchte Familie, die bis dahin kinderlos gewesen war. Mein Adoptivvater, ein Pole, war Leiter und Direktor der größten Tuchfabrik auf dem Balkan. Ich habe noch eine Schwester, die bei meiner Großmutter geblieben ist. Als ich adoptiert wurde, verlor ich meinen Geburtsnamen. Das ist Gesetz. Nun also hieß ich Szymick. Ich war ziemlich begabt und in diesen guten Verhältnissen wurde ich mit Klavier- und Ballettunterricht sehr gefördert. Das Wichtigste: Ich wollte wirklich schon immer zur Bühne. In der Volksschule in Rumänien habe ich dauernd gesungen und gesagt: »Ich werde mal eine berühmte Sängerin«. Mein Vater meinte daraufhin stets, ich solle nicht solche Flausen im Kopf haben, denn ich müsse doch einen anständigen Beruf lernen.

1941 wollte mein Vater wieder zurück zu seinen Eltern nach Polen. Wir zogen nach Bielsko-Biala in den Beskiden. Weil wir nur die polnische Staatsangehörigkeit hatten, haben wir dort eine Kellerwohnung bekommen. Denn damals war der Ort schon von den Nazis besetzt. Ich wurde dort erst einmal in eine Hilfsschule geschickt und dann in eine deutsche Schule, wo ich schnell wegen meiner Begabung auffiel – ich sprach damals schon Französisch, weil das in Rumänien zum guten Ton gehörte. Ich hab immer getanzt und gesungen. Aber dann kam die Flucht. Das war eine schwere Zeit, doch meine Mutter und ich haben sie gut überstanden. Meinen Vater haben die Faschisten abgeholt und wir haben nie … durch die Caritas habe ich später Bescheid bekommen, dass er in einem Lager umgekommen ist.

Ich begann mit der Malerei und anderer Kunst, womit ich meine Mutter und mich über Wasser gehalten habe. Da war ich 16 Jahre alt. Der Krieg war zu Ende und wir sind bei einer alten Freundin von ihr untergekommen. Das war in Peitz bei Cottbus und wir kamen gerade so zurecht. Entdeckt wurde ich, als ich in einem Fischerei-Verein immer Lieder von der Marika Rökk gesungen habe. Das war mal ein Film- und Revuestar in den Fünfzigern bis Siebzigern. Man hat mich daraufhin zum Vorsingen nach Cottbus eingeladen und so bekam ich mit 17 ein Stipendium am Konservatorium in Cottbus. Da war ich überzeugt, dass ich eine Sängerin werde, und bin zu meiner Mutter gefahren, die mittlerweile in Weimar lebte, um sie zu fragen: »Sag mal, wenn ich jetzt meinen Geburtsnamen als Künstlername annehme, dann hab ich doch eine Chance vielleicht mal meine Familie wiederzufinden?« Denn mein Geburtsname Vaidas war schließlich mit der Adoption verloren gegangen und der Name Szymick – das ist ja dreimal spucken, viermal niesen! Das ist doch kein Name für die Bühne. Aber Vaidas klingt schön. Und Marioara auch. Also habe ich sie gefragt, ob sie was dagegen hätte. Und meine Mutter war sehr, sehr tolerant und lieb. Meine Tante war natürlich entsetzt und hat mich ein undankbares Mädel genannt. Aber das habe ich alles überhört.

Meine Mutter hat aber auch gesagt: »Kind, wenn der Vater das erleben würde. Was willst du denn am Theater? Und das heute in der schweren Zeit. Wir haben kaum etwas zu essen.« Aber ich meinte immer: »Mama, du wirst sehen, du wirst sehen. Wir werden noch eine gute Zeit haben.« Sie war schließlich auch mit dem Konservatorium einverstanden. Ich war noch nicht volljährig, somit mussten die Eltern ihre Zustimmung geben. Und dann habe ich meine Mutter in Bautzen zur ersten Aufführung mitgenommen, wo sie in der ersten Reihe saß und anfing zu weinen, als alle geklatscht haben. Ich habe das Ännchen in Carl Maria von Webers Oper »Der Freischütz« gesungen. Da war sie natürlich ganz stolz. Ich habe mir aber auch nebenbei ein bisschen Geld verdient und mal in einem Nachtvarieté gesungen. Da war ich noch auf dem Konservatorium. »Um Gottes willen, Mädel …«, hat da meine Mutter gesagt. »Mutter, ich kriege 20 Mark dafür«, habe ich ihr entgegnet. »Davon können wir doch wieder leben.«

Also diese Studentenzeit war schwer. Ich habe meine Lebensmittelkarte verkauft und dann Stepp-Unterricht genommen. Das kam mir natürlich alles zugute, weil ich später auch ins Musical-Fach wechseln konnte.

Während dieser zweieinhalb Jahre wurde ich für die Oper ausgebildet und habe noch Schauspielunterricht bekommen. Dann habe ich eine Bühnenreifeprüfung in Dresden machen müssen, zusätzlich zur Prüfung vom Konservatorium. Denn ich wollte ja ein Engagement. Und 1949 musste man seine Bühnenreife nachweisen. Ich habe dann gleich ein Angebot gekriegt, als Nachwuchs für die Semperoper. Das habe ich jedoch nicht angenommen, ich wollte nicht die fünfte oder sechste Besetzung sein und nur singen: »Herr Graf, die Pferde sind gesattelt«. Darum habe ich das Engagement in Bautzen angenommen. Und da habe ich alle drei Kunstgattungen gemacht: Schauspiel, Oper und Operette. Das waren meine Lehrjahre. Da habe ich mir ein großes Repertoire zugelegt. Und danach fing eigentlich meine Karriere an.