2037 - Birgit Gebhardt - E-Book

2037 E-Book

Birgit Gebhardt

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Beschreibung

Die Faszination für die Zukunft ist so alt wie die Menschheit. Egal ob voller Hoffnungen und Träume oder voller Angst und Sorge - wir möchten wissen, was auf uns zukommt. Wie werden wir in fünfundzwanzig Jahren leben? Wie wird unsere Arbeitswelt aussehen? Wie wird sich unser Familienleben ver ändern? Und wie unser Alter? Wie werden wir uns kleiden? Und wofür werden wir kämpfen? Die Trendforscherin Birgit Gebhardt entwirft in "2037" realistische Bilder einer Welt von übermorgen. Wie sich Zukunft im globalen Zusammenhang gestalten wird, kann niemand vorhersehen - aber die genaue Beobachtung der Gegenwart eröffnet Perspektiven, die plausible Prognosen erlauben. Und es lässt sich von der Zukunft erzählen. Um ein anschauliches Bild unseres Lebens im Jahr 2037 zu zeichnen, verknüpft Gebhardt soziale, ökonomische, technologische, kulturelle und umweltpolitische Entwicklungsstränge zu einem Szenario: zu der Geschichte von Nana, Romina und Geoffrey, die ihren Alltag in einer Welt meistern, die uns manchmal noch fern scheint und manchmal überraschend nah ist. Die Erkenntnisse des Trendbüros liefern die empirische Basis für ergänzende Faktentexte. Im Zusammenspiel von Fakten und Fiktionen zeigt Birgit Gebhardt unseren Weg in die Zukunft: Die Weichen sind gestellt.

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Birgit Gebhardt

2037

Unser Alltag in der Zukunft

In Zusammenarbeit mit Trendbüro

»I felt that I was trying to describe an unthinkable present and I actually feel that science fiction’s best use today is the exploration of contemporary reality rather than any attempt to predict where we are going … The best thing you can do with science today is use it to explore the present.

Earth is the alien planet now.« (William Gibson)

Vorwort

Die Zukunft hat den Menschen schon immer fasziniert. Er will künftige Chancen wittern und Gefahren erkennen, um vorbereitet zu sein. Wirtschaftskrisen, Seuchen, Kriege und Umweltkatastrophen – vieles hat die Menschheit bewältigt, aber nicht dauerhaft überstanden. Außerirdische, Roboter, künstliche Intelligenz – so einige der Science-Fiction-Klischees – stellen sich mittlerweile gar nicht mehr so extraterrestrisch und unrealistisch dar.

Klimawandel, Flüchtlingsströme und Ressourcenknappheit – vieles, was heute noch als Hintergrundrauschen wahrgenommen wird, kann morgen schon als Richtlinie unseren Alltag beeinflussen.

Inzwischen hat die Komplexität unserer globalisierten Welt derart zugenommen, dass die Gegenwart bereits überfordert. Unterschiedliche Entwicklungsdynamiken wirken zusammen und stellen Deutschland vor schwierige Herausforderungen: Überalterung, Zwei-Klassen-Gesellschaft und die EU-Überschuldung sind nur einige der Faktoren, die hier aufzuzählen wären. Zugleich beeinflussen die Globalisierung, Digitalisierung und Virtualisierung unseren Alltag und Wirkungskreis inzwischen auf eine Art und Weise, dass die vernetzte Zukunft bereits begonnen zu haben scheint.

2037 macht sich zur Aufgabe, die verschiedenen Dynamiken und erkennbaren Facetten der Zukunft zu einem Entwurf zusammenführen: das Heute weiterdenken, Sachverhalte interpretieren, ihre Ursachen erkennen, Entwicklungen verknüpfen, Potenziale ausloten und Konsequenzen ableiten.

Vor dem Hintergrund, dass sich das politische und ökonomische Denken und Handeln an den zeitlichen Horizonten von Legislaturperioden und Quartalsberichten orientiert, gewinnt die darüber hinausgehende Perspektive an Bedeutung, um längerfristige Chancen und Risiken zu betrachten.

Zukunftsszenarien können nie mehr sein als ein Angebot aus einem breiten Möglichkeitsspektrum. Der hier vorgestellte Zukunftsentwurf basiert auf vier Voraussetzungen: 1. dem demografischen Wandel, der sich in den nächsten 25 Jahren in aller Deutlichkeit zeigen wird; 2. der weiter wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland, vor dem Hintergrund eines hoch verschuldeten Europas; 3. der globalen Beibehaltung der kapitalistischen Wirtschaftsprinzipien; 4. der intelligenten Vernetzung und Datenkommunikation zwischen Individuen, Geräten und Systemen.

Verknüpft man diese vier Entwicklungskorridore und versucht die einzelnen Faktoren miteinander in Bezug zu setzen, entsteht der Rahmen für das hier gezeichnete, fiktive Gesamtbild.

Auf sogenannte szenariomethodische »Wild Cards«, wie die zusätzliche Berücksichtigung von Naturkatastrophen, die Eingliederung von Terroranschlägen oder menschlichen Tragödien von weltweitem Ausmaß, wurde bewusst verzichtet. Eine künstliche Dramatisierung lag weder im Interesse der Autorin, noch erschien sie nötig, um die absehbaren Veränderungen drastischer erscheinen zu lassen. Statt »Wild Cards« beeinflussen eher Themen wie Überalterung, Klimawandel, Umweltschutz, Energiehaushalt und Mobilität die Ausprägung zukünftiger Trends als Anpassungsstrategien an ein verändertes Umfeld. Tatsächlich erfordern die vier skizzierten Korridore schon jeder für sich genommen eine Vielfalt an Maßnahmen, die in Kombination genügend Spielraum bietet, um in Form von neuen Möglichkeiten und Angeboten, aber auch Auflagen und Bedingungen den Alltag der Menschen komplex und interessant darzustellen.

2037 ist also nicht Science-Fiction. Die Protagonisten fliegen nicht zu anderen Planeten und leiten interstellare Kongresse. Science-Fiction entführt in eine andere Welt als Gegenentwurf zu unserer erlebten Welt; Technologie und Gesellschaftsformen haben sich in diesen Visionen zumeist radikal und total verändert.

Das entspricht jedoch nicht unserer Entwicklungswirklichkeit. Wir werden in 25 Jahren keine neuen Menschen sein. Die Lebensinhalte, die Dinge, mit denen wir uns beschäftigen, die grundsätzlichen Fragen, die wir uns stellen, werden sich in 25 Jahren nicht wesentlich ändern. Es ändern sich aber die Modi, die (technische) Art und Weise, in der wir mit den alten Fragen umgehen: welche neuen Chancen wir nutzen, welche Umgebungsfaktoren unser Leben beeinflussen, wo wir dem Fortschritt entsprechen müssen, wo wir ihn wollen und wo wir ihn ablehnen. Diese unterschiedlichen Abhängigkeiten und Dynamiken werden unsere Zukunft brüchiger und spannender machen als jede Science-Fiction-Story.

Es sind die Machbarkeitsoptionen aus der Forschung, drängende Impulse aus der Ökonomie, sozialpolitische Konflikte und kulturelle Fragen des Selbstverständnisses von Individuum und Gesellschaft, die uns auch 2037 beschäftigen werden. Gefühlt eilt die technologische Entwicklung derzeit unserem gesellschaftlichen Wandel voraus. Gekoppelt an ökonomische Notwendigkeiten bildet sich hier der Nährboden für Spannungen und Werteverschiebungen.

Zweifellos ist der Versuch, vorherzusagen, was in 25 Jahren technologisch Usus sein wird, komplett vermessen. Experten, die das Trendbüro befragt hat, scheuten sich bereits, Prognosen für die nächsten drei bis fünf Jahre zu geben. Andererseits ist bereits so viel möglich, dass es sich lohnt, einen Blick in die Zukunft zu riskieren. Wenn man allein die heute absehbaren technologischen Entwicklungen zusammenfasst und ihr Potenzial nach ökonomischen Maßstäben – als dem stärksten Entwicklungstreiber – beurteilt, dann entsteht eine neue Welt der intelligenten Vernetzung, die unsere Kommunikation und Interaktion, unser Leben und Arbeiten verändern werden. Und selbst wenn die Auswirkungen vielleicht noch viel umfassender werden, als wir es uns heute vorstellen können, so liegt in dem Versuch, das miteinander zu verknüpfen, was wir uns heute für die Zukunft vorstellen können, unseres Erachtens der Wert dieses Buches.

Vom Prinzip her wird es in Zukunft sein wie heute: Die Technik erweitert unsere Möglichkeiten und optimiert unseren Alltag. Hier bildet sich Fortschritt am deutlichsten ab. Am interessantesten ist jedoch die Frage, wie wir uns als Gesellschaft und Individuum in dieser neuen Welt fühlen werden. Wie sich die äußeren Einflüsse mit unserem persönlichen Alltag verweben und wie wir versuchen werden, Schritt zu halten oder – zumindest zeitweise – auch auszubrechen.

Den Prognosen liegen die kapitalistischen Muster der immer weniger sozialen Marktwirtschaft zugrunde. Es ist nicht anzunehmen, dass wir in 25 Jahren unseren Wohlstand nach komplett anderen Prinzipien erwirtschaften oder umverteilen werden. Eher erleben wir eine Verlagerung der Finanz- und Wirtschaftskraft von den USA und »Old Europe« nach Asien und zu den heutigen Emerging Markets. Es ist aber sehr wohl anzunehmen, dass es viele kleine, lokale Versuchsmodelle und -projekte geben wird, die hierzulande nach einer neuen Form der gesellschaftlichen Zufriedenheit suchen. Sollte der deutsche Föderalismus auch die nächsten 25 Jahre überdauern, ist es zudem denkbar, dass sich innerhalb der Bundesländer aufgrund leerer Kassen, steigender Einflussnahme durch die Wirtschaft und wachsender Bürgerbeteiligung noch wesentlich stärkere regionale Unterschiede hinsichtlich Bildung, Investitionen, Einkommensverteilung und Besteuerung abzeichnen werden. Mit allen Konsequenzen, die das nach sich ziehen mag.

In Ausschnitten schildert 2037 Lebens- und Arbeitskonzepte, von der kooperativen Projektarbeit mit einem hohen Anteil an Eigenengagement bis hin zu wieder attraktiven Idealen der bäuerlichen Selbstversorgung. Das Buch thematisiert Modelle der Stadtentwicklung mit Wohnkonzepten für ein selbst bestimmtes Altwerden bis zu eigenständigen Lösungen für die Bedürfnisse der Migranten. Dabei wirken Aspekte wie ein flexibler Arbeitsmarkt, lückenhafte Infrastruktur, übersteigerte Sicherheitsbedürfnisse und eine nach rein wirtschaftlichen Prämissen funktionierende Gesundheitsversorgung. Dennoch sind die erwähnten Resultate wie das Comeback der Concierges in größeren Wohneinheiten oder der aus einer Bürostadt umgewandelte Migrantenstadtteil »Maghreb Nord« eher als Gedankenmodelle zu verstehen. Eine erzählerische Verdichtung funktioniert nicht als Blaupause für die Stadtentwicklung. Wohl aber als Inspiration für urbane Angebote und Geschäftsmodelle.

Die Frage, welche Entwicklungen als sinnvoll erachtet werden und wie viel Veränderung der Konsument verträgt, sind Teil der täglichen Arbeit des Trendbüros. Vor dem Hintergrund der Beratungstätigkeit für Kunden aus der Automobil- und Konsumgüterindustrie gelingt die branchenübergreifende Perspektive. Seit fast 20 Jahren beobachtet Trendbüro die Entwicklungen vom Aromahersteller bis zum Zahlungsverkehr und fokussiert dabei die Nutzerperspektive. Die ist heute zwar individuell und hybrid, in einer Sache aber einhellig: Der Mensch, der keinen persönlichen oder nutzbaren Vorteil im Neuen sieht, wird das Neue ablehnen. Veränderung wird hierzulande als Bedrohung des Erreichten wahrgenommen. Die Deutschen tun sich kulturell schwer, Neues positiv oder neutral zu betrachten. Die damit verbundene Scheu vor der Chance wird für Deutschland im globalen Wettbewerb fatale Folgen haben. Wir müssen unsere Vorstellungskraft für das, was kommen mag, schärfen, um einen Diskurs der Chancen starten zu können.

Gleiches Interesse verfolgte die Diskussionsreihe »Leben 2034« der Körber-Stiftung, die diesem Buch vorausging und bereits 2009 eine Expedition in die Zukunft startete (www.koerber-stiftung.de/leben-2034.html). Die Zukunft der Stadt, der Sexualität und der Mobilität waren beispielhafte Schwerpunkte, die nun in den Buchkapiteln ihre Ergänzung anhand themenfokussierter Faktentexte finden. Die Veranstaltungsreihe der Körber-Stiftung wie auch das vorliegende Buch können unsere Fragen natürlich nicht vollständig beantworten. Aber sie wollen die Gültigkeit unseres heutigen Erfahrungsschatzes und Wissensstandes für die Gestaltung der Welt von morgen abklopfen. Die 25 Jahre als ambitionierte Richtschnur bleiben bestehen. Die Wahl des Vierteljahrhunderts sollte ermutigen, den nahen Dunstkreis des Morgen zu durchbrechen.

Die Betrachtung der Zukunft ist komplex und facettenreich. Eine Annäherung erscheint über zwei Wege möglich: zum einen über Faktentexte, zum anderen über eine fiktive Erzählung, in der die heute belegbaren Entwicklungen perspektivisch zusammenlaufen. Die Fakten fußen auf dem Kenntnisstand der Gegenwart von 2011 und ihrer Auswertung durch das Trendbüro. Hier sind Zahlen und Entwicklungsrückblicke eingegliedert, die vom Ist-Zustand aus nach vorn schauen. Dies entspricht in Teilen der Recherche für Studien, wie sie im Trendbüro erstellt werden. Eine umfassende Zukunftsstudie hätte den Rahmen jedoch weit gesprengt. Daher wurde das Buch in neun Themenkapitel gegliedert, zu denen Josefine Sporer und Susanne Wittorf im Trendbüro jeweils Zahlen und Fakten zusammengetragen haben. Sie bilden das Fundament für die Fiktion, die im Jahr 2037 einsetzt.

Naturgemäß können Fakten nicht 25 Jahre in die Zukunft reichen. Und ebenso naturgemäß fügt sich eine Betrachtung von Einzelphänomenen nicht reibungslos in ein stimmiges Gesamtbild. Vielmehr entsprechen die Fakten Erkenntnisfacetten, die in der Geschichte kaleidoskopartig zusammentreffen und den Leser mit einladen, eigene Verknüpfungen herzustellen.

Vor dem unverstellten Blick in die Zukunft liegt die Akzeptanz der Gegenwart. So wie der einmal entwichene Geist nicht mehr in die Flasche zurückgedrängt werden kann, lassen sich auch zeitliche Entwicklungen nicht mehr zurückdrehen.

Bei einer Perspektive 2037 muss klar sein, dass auch Veränderungen angesprochen werden, von denen heute einige unangenehm erscheinen mögen, die künftig aber Alltag sein werden und durchaus auch Vorteile beinhalten können. Bestes Beispiel für die Gewöhnung an den Fortschritt und das Nicht-mehr-wissen-Wollen um die Vorbehalte ist das Internet. 20 Jahre nach seiner Einführung sind wir bereits eine Informations- und Kommunikationsgesellschaft. Bereits jetzt können wir unseren beruflichen wie privaten Alltag ohne Internet und digitale Datenkommunikation nicht mehr effizient organisieren. Ehemalige Big-Brother-Phobien wie die geolokalisierte Überwachung sind in unserer Wahrnehmung von GPS-Navigations-Services überlagert, die uns ein Gefühl der Autonomie in einer immer komplexer werdenden Welt vermitteln. Wer 25 Jahre nach vorn blicken will, darf sich vor den technologischen Möglichkeiten und ökonomischen Motoren der Veränderung nicht verschließen. 25 Jahre sind nur mit einer konstruktiven Gedankengymnastik zu überwinden.

Um die Vorstellungskraft zu beflügeln, bietet dieses Buch dem Leser auch einen emotionalen Zugang zur Zukunft. Damit war der Grundstein für eine narrative Erzählform gelegt, die jedem Faktenteil vorausgeht. Jedes der neun Kapitel widmet sich einem Lebensschwerpunkt, wie z. B. Arbeit, Stadtentwicklung oder Gesundheit, und verdichtet darunter den Schwerpunkt der Geschichte wie auch den der Fakten.

Wenngleich die Erzählung im Buch in den Vordergrund tritt, so ist sie doch nur ein szenisches Angebot, das die Verknüpfung der vielen parallel laufenden Entwicklungen an drei Protagonisten abbildet. Gespielt wird der Blick auf die Zukunft von dem 63-jährigen Unternehmensberater Geoffrey, der beruflich wie privat neu durchstartet, der 45-jährigen Nana, die um die Wirtschaftlichkeit ihres Concierge-Services kämpft, und der 34-jährigen IT-lerin Romina, die in Deutschland eine zweite Existenz für sich und ihre ukrainische Familie aufbauen will.

Deutschland im Jahr 2037 bildet Extreme mit hohem Konfliktpotenzial aus: alt und jung, reich und arm, gebildet und ungebildet. Dazwischen kämpft eine heterogene Mittelschicht um einen Lebensstandard, auf den sie qua (Aus-)Bildung und Herkunft Anspruch zu haben glaubt. Die drei Protagonisten sind alle in dieser Mittelschicht angesiedelt, nicht nur, weil hier wohl das größte Identifikationspotenzial für den Leser liegt, sondern auch, weil diese Gruppe am deutlichsten die Vielfalt der Lebensentwürfe und ihre individuelle Ausgestaltung repräsentiert.

Für ihre Vorstellung vom Glücklichsein nutzen sie alle ihre beruflichen wie privaten Chancen – und fordern von ihren Partnern und Familien die volle Unterstützung für ein Leben ein, dessen Verlauf niemand mehr vorhersagen kann.

Dieses Gesellschaftsbild zeichnet eine mögliche Konsequenz aus den bisherigen Entwicklungen. Die Weichen sind durch die Fakten bereits gestellt. Aber die Ausprägung und Konsequenz in der Umsetzung ist gestaltbar. Doch dazu sind Menschen nötig, die vor der Zukunft keine Angst haben, an eine gemeinsame Zukunft glauben und diese ernsthaft gestalten wollen.

Bildung

Die Lebensunternehmer

Geoffrey

Der Himmel stand in hohem Blau über der Landschaft. Der Sommer war heiß. Auf den Feldern schwebte Dunst aus Wassersprengern, in dem sich Regenbögen fingen. Seit Wochen Trockenheit. Die Erntekurse fielen. Der Agrarriese Sanofar hatte eine Gewinnwarnung herausgegeben. Felder, die hier noch gesprengt wurden, brannten in Südspanien bereits. Der Train_Blu mit seiner schuppigen Haut aus blauen Solarzellen rauschte durch die ostdeutsche Landschaft, als wäre er Teil eines surrealen Films. Ganze Landstriche waren verödet. Dörfer standen verlassen in flirrender Hitze. Geoffrey erkannte die Strukturen: Noch vor fünfzehn Jahren hatte sich jede Gemeinde einen hoch dotierten Berater wie Geoffrey geleistet, um ihre zwar idyllischen, aber entvölkerten Kleinstädte wieder mit Leben zu füllen. Manche erprobten neue Arten autonomer Selbstversorgung, um als Dorfgemeinschaften bestehen bleiben zu können. Wieder andere boten ihre Gemeinde als Testgebiet für Versuche aus der Konsumgüterindustrie oder Lebenskonzept-Projekte an. Im Osten wurden viele verlassene Ortschaften in Seniorensiedlungen mit nostalgischer Altstadtstruktur umgewandelt. Auch im Harz hatten drei Gemeinden ein Demenzdorf eröffnet. Das Geschäft mit den »Verwahrungsparks«, wie sein Arbeitskollege die Seniorensiedlungen spöttisch nannte, schien jedoch den Zenit überschritten zu haben. Doch wo es weder größere Unternehmen noch virtuell vernetzte Hochleistungszentren gab, ließen sich eben nur noch Senioren, Demenzkranke oder Versuchsgruppen ansiedeln. Und natürlich das entsprechende Pflegepersonal, das überwiegend aus Osteuropäern bestand.

Geoffreys Vater hatte so in Braunlage seinen Lebensabend verbracht. Dort konnte der Sohn ihm durch Kontakte einen Platz im Jugendstil-Sanatorium von Dr. Barner beschaffen, wo er mit nur fünfundachtzig Jahren recht früh verstorben war. Damals hatte er sich die Unterbringung seines alten Herrn ganz gut leisten können, doch inzwischen war das Geld knapper. Von den Babyboomern und ihren mittlerweile selbst alt gewordenen Kindern würden sich nur noch wenige den Aufenthalt mit Rundumversorgung in der Kleinstadtidylle leisten können.

Wenn Geoffrey es nicht schaffte, sich ganz oben zu positionieren, würde sein Beratungsgeschäft wenig Zukunft haben. Die Firma, für die er tätig war, schien die Situation genauso zu beurteilen. Seit seinem sechzigsten Geburtstag vor drei Jahren fühlte er sich dort immer weniger wertgeschätzt und willkommen. Die Digital Natives waren in den Führungspositionen angekommen. Schneller und reibungsloser, als das seiner Generation möglich gewesen war. Anfangs war es ihre Medienkompetenz gewesen, die sie Geoffrey voraushatten. Dann änderten die Firmen ihre Strukturen, vernetzten jeden mit allem und machten auf »We are one family«. Im Wettlauf um gute Fachkräfte und um das eigene Außenimage positiv zu beeinflussen, hatten viele große Konzerne ihr Innenleben lockerer, familiärer und offener gestaltet. Fahrräder hingen in den Fluren, es gab eine Mitarbeiterbibliothek mit Kamin, in der jeden vierten Freitag Salongespräche stattfanden. Mittags kochten einige in der großen Gemeinschaftsküche, in der Bar waren abends auch Freunde willkommen. Es gab Spielzeug für Kinder oder Kundenworkshops, man konnte sich in Ruheräume zurückziehen, kurz aufs Trimmgerät und duschen und sogar im Büro wohnen, wenn das Projekt es nötig machte oder Berater von ausländischen Tochtergesellschaften kurze Zeit vor Ort waren. Nicht dass ihm viel an dieser Dauergemeinschaft gelegen hätte, aber für Konzerne und Großstrukturen war diese Community-Zelebrierung Voraussetzung, um überhaupt junge Fachkräfte für sich gewinnen zu können. Kleinere Beratungsfirmen hatten sich dagegen komplett ins Netzwerk verlagert und betrieben ihren Standort nur noch als physische Rückversicherung. Das verringerte den Kostendruck, den Geoffrey in seiner Family-Firma zu spüren bekam. Dass sich die Aufträge nicht mehr wie früher häuften, war nicht seine Schuld. Das führte er sich immer wieder rational vor Augen, um nicht dünnhäutig zu reagieren, wenn er von seinem jüngeren Vorgesetzten darauf angesprochen wurde. Der rieb ihm gerne die besseren Abschlüsse seines Kollegen Leon unter die Nase, Ende zwanzig und gerade erst eingestellt. Die Absicht dahinter war überdeutlich: Entweder es würde ihn fordern und er brächte neue Leistungen, oder es würde ihn frustrieren und er warf das Handtuch. Mit beiden Lösungen konnte seine Firma gut leben. Geoffrey nicht, und da half es auch wenig, dass es Leon peinlich war, wie der Chef Geoffrey, der ihn eingearbeitet und geschult hatte, im Leistungsvergleich bloßstellte. Und es half auch nicht, dass er sich jedes Mal fast demütig entschuldigte, wenn ihm wieder ein Abschluss geglückt war. Seinen letzten Vertrag wollte er ihm sogar übertragen, weil der Kunde vormals Geoffreys Kunde gewesen war. Mit der Ablehnung hatte Geoffrey seinerseits ihn vor den Kopf gestoßen. Jetzt war nicht mehr viel Kollegialität von Leon zu erwarten.

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