2052. Der neue Bericht an den Club of Rome - Jorgen Randers - E-Book

2052. Der neue Bericht an den Club of Rome E-Book

Jorgen Randers

4,5

Beschreibung

1972 erschütterte ein Buch den Fortschrittsglauben der Welt: der Bericht 'Die Grenzen des Wachstums' an den Club of Rome. Vierzig Jahre später holt die renommierte Denkfabrik erneut zu einem großen Wurf aus. Pünktlich zum Jubiläum wiederum einen Blick in die Zukunft zu wagen, noch dazu mit einem der Autoren des legendären Reports von einst, war ein medienwirksamer Schachzug. Jorgen Randers’ Szenario ist 'Pflichtlektüre' (WeltTrends) und eine 'Herausforderung und Inspiration für alle, denen die Zukunft unseres Planeten wirklich am Herzen liegt' (Gro Harlem Brundtland).

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Jorgen Randers
2052
Der neue Bericht an den Club of Rome
Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre
Aus dem Englischen vonAnnette Bus, Ursula Held, Anna Leipprand, Eva Leipprand, Friedrich Pflüger, Sigrid Schmid, Heinz Tophinke
Wir danken der Stiftung »Forum für Verantwortung« für die großzügige Förderung der Übersetzung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Copyright der Originalausgabe »2052. A Global Forecast for the Next Forty Years«: © 2012 Jorgen Randers Original erstmals veröffentlicht bei: Chelsea Green Publishing, White River Junction/Vermont, USA, 2012.
© der deutschen Ausgabe oekom verlag München 2012, 2014Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,Waltherstraße 29, 80337 München
Titelmotiv Erde: fotolia.comTitelgestaltung: Ines Swoboda, oekom verlagGestaltung + Satz Innenteil: Reihs Satzstudio, LohmarLektorat: Martina Blum, oekom verlag
eBook: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehalten.ISBN 978-3-86581-871-3
Für meine Kinder und Enkelkinder
Diese Publikation ist ein »Bericht an den Club of Rome«
Das Buch »2052. Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre« ist der 31. »Bericht an den Club of Rome«.
Das Executive Committee des Club of Rome vergibt diese Auszeichnung, wenn es zu dem Ergebnis kommt, dass eine Publikation einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der World Problematique liefert, den vielfach miteinander verwobenen Problemen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist. Der erste Bericht an den Club wurde 1972 unter dem Titel »Die Grenzen des Wachstums« veröffentlicht.
Der Club of Rome wurde 1968 als ein Zusammenschluss unabhängiger Denker aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gegründet. Er hat derzeit etwa 150 Mitglieder, sein Hauptsitz ist in Winterthur, Schweiz; in mehr als 30 weiteren Ländern gibt es nationale Vertretungen. Eine wichtige Aufgabe dieser Vertretungen ist es, bei nationalen Agenda-Prozessen mitzuwirken.
Gemeinsam sind seinen Mitgliedern die Sorge um die Zukunft der Menschheit und ihres Planeten sowie die Benennung der Grundursachen der Systemkrise. Der Club of Rome setzt sich ein für einen umfassenden Wertewandel als Grundvoraussetzung für eine andere Art zu wirtschaften und eine Schonung der Ressourcen; für eine gerechtere Gesellschaft, die allen eine Chance auf Arbeit offeriert; für ein politisches System, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Ein solcher ganzheitlicher Ansatz ist heute nötiger denn je.
Der Club of Rome verfolgt seine Ziele durch wissenschaftliche Analyse, Kommunikation, die Bildung von Netzwerken sowie eine intensive Zusammenarbeit mit einer Vielzahl unterschiedlicher Partner. Er veröffentlicht Bücher, Diskussionspapiere und Dossiers und organisiert Konferenzen, Webinare, Vorträge sowie hochrangige Tagungen und Veranstaltungen. Entscheidungsträger im öffentlichen und privaten Sektor werden mit wichtigen Erkenntnissen konfrontiert, um Denkblockaden zu lösen und neue Wege zu gehen.

VorwortWas wird die Zukunft bringen?

Vaclav Havel, Präsident der Tschechischen Republik, in einem Pressegespräch vor einer entscheidenden Konferenz zur Verhinderung eines Krieges im ehemaligen Jugoslawien, bei der er den Vorsitz führte:
»Exzellenz, sind Sie ein Optimist?«
Lange Pause.
»Nein, ich bin kein Optimist in dem Sinn, dass ich glaube, es wird alles gut gehen; ich bin aber auch kein Pessimist in dem Sinn, dass ich glaube, es wird alles schlecht ausgehen. Ich empfinde Hoffnung. Denn ohne Hoffnung wird es keinen Fortschritt geben. Hoffnung ist so wichtig wie das Leben selbst.«1
Es ist jetzt 40 Jahre her, dass wir, meine Kollegen und ich, in den Räumen am Massachusetts Institute of Technology fleißig über unserer Arbeit saßen. Zwei Jahre lang machten wir uns ausführlich und gründlich Gedanken über die Zukunft. Unter der Leitung von Dennis L. Meadows und mit Donella H. Meadows als Verfasserin wurde daraus das »berühmt-berüchtigte« kleine Buch mit dem Titel Die Grenzen des Wachstums.2 Es handelte sich dabei um eine Szenarioanalyse, mit der wir folgende Frage beantworten wollten: »Was wird im Lauf der nächsten 130 Jahre geschehen, wenn die Menschheit sich entschließt, ganz bestimmte Strategien zu verfolgen?« Was wird zum Beispiel geschehen, wenn die Weltgesellschaft weiterhin Wirtschaftswachstum anstrebt, ohne sich intensiv um die Kontrolle des Bevölkerungswachstums zu kümmern? Oder was wird geschehen, wenn sich die Menschheit entscheidet, ihre enormen technischen Möglichkeiten (und einiges an finanziellen Mitteln) in weltweitem Maßstab auf die Entwicklung einer umweltfreundlichen Landwirtschaft zu konzentrieren? Wir entwarfen ein paar unterschiedliche Bilder von der Zukunft. Manche zeigten eine Entwicklung zum Schlechteren; in anderen verbesserte sich die Lage für die Menschen entscheidend.
Wir stellten allerdings keine Prognose auf. Wir versuchten nicht vorauszusagen, was im Lauf des nächsten Jahrhunderts tatsächlich geschehen würde. Wir glaubten nämlich nicht, dass dies mit der nötigen wissenschaftlichen Genauigkeit zu leisten war. Innerhalb des langen Jahrhunderts von 1970 bis 2100 waren so viele Entwicklungen vorstellbar, dass wir uns nicht in der Lage sahen, eine bestimmte Zukunftsvariante herauszupicken und diese gegen die Vielzahl anderer Möglichkeiten zu verteidigen.
Stattdessen machten wir eine Szenarioanalyse. Wir versuchten Aussagen zu treffen über die voraussichtlichen Ergebnisse unterschiedlicher Strategien und Maßnahmen. Wir versuchten zu beschreiben, welche Wirkung man voraussichtlich erzielen könnte, würde man gesellschaftliche Ressourcen einsetzen, um schneller zu technischen Lösungen für die offensichtlichen Probleme der Zeit zu kommen: Bevölkerungswachstum, Nahrungsmittel- und Ressourcenknappheit sowie die sich abzeichnende Umweltzerstörung. Wir verwendeten ein Computermodell, um eine Vorstellung von möglichen Entwicklungen zu bekommen, wenn sich die Menschheit zum Beispiel für eine Obergrenze beim Pro-Kopf-Verbrauch oder auch bei der Kinderzahl pro Frau entscheiden würde.
Wir versuchten, unsere verschiedenen Szenarien – unsere Zukunftsbilder – in sich stimmig zu gestalten. Wir versuchten sicherzustellen, dass die Bevölkerungsentwicklung mit unseren Annahmen zur gewünschten Familiengröße übereinstimmte, und dass die gewünschte Familiengröße wiederum zum jeweils vorhandenen Bildungsstand und Grad der Gesundheitsversorgung passte. Wir versuchten zu gewährleisten, dass die von uns erwarteten technischen Lösungen in unseren Szenarien nicht unvermittelt auftauchten, sondern erst nach jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung und Pilotprojekten in kleinerem Maßstab. Um sich widersprechende Annahmen auszuschließen, speisten wir alle unsere Annahmen in das Computermodell ein. Das Computermodell bewahrte uns auch davor, aus dem gesamten Annahmenpaket unlogische Rückschlüsse zu ziehen.
Die wichtigste Schlussfolgerung aus unseren Bemühungen in den frühen 1970er-Jahren war diese: Wenn sich nicht grundsätzlich etwas änderte, war die Menschheit im Begriff, auf gefährliche Weise über die materiellen Grenzen unseres Planeten hinauszuwachsen. Diese Schlussfolgerung beruhte auf der (für uns, aber nicht für alle, selbstverständlichen) Beobachtung, dass die Menschheit Zeit braucht, um jedes aus der (für uns, aber nicht für alle, selbstverständlichen) Endlichkeit des Planeten entstehende dringende Problem zu lösen. Sie braucht Zeit, um das Problem zu identifizieren, Zeit, um zu akzeptieren, dass das Problem tatsächlich besteht, Zeit, es zu lösen, und Zeit, die neue Lösung umzusetzen. Der erste Teil – die »Verzögerung bei der Wahrnehmung und Akzeptanz« – ließ es (uns, aber nicht allen) plausibel erscheinen, dass die Menschheit es sich gestatten würde, in ihrer Größe und ihren Auswirkungen auf die Umwelt über die nachhaltige Tragfähigkeit des globalen Ökosystems hinauszuwachsen. Diese lange Verzögerung würde das, was wir »Grenzüberziehung« (overshoot) nannten, ermöglichen, wenn nicht sogar herausfordern, insbesondere dann, wenn die Menschheit sich den Grenzen des Planeten mit hoher Geschwindigkeit nähern würde. Tatsächlich kann die Menschheit durchaus eine Zeit lang im Zustand der Grenzüberziehung verbleiben (wie etwa bei der Überfischung der Meere), dieser Zustand kann und wird aber nicht ewig anhalten, wenn die Grundlagen einmal zerstört sind (wenn es also keine Fische mehr gibt).

Wird die Welt zusammenbrechen?

Wenn eine Grenzüberziehung einmal eingetreten ist, dann gibt es nur noch zwei Wege zurück auf die Ebene der Nachhaltigkeit – entweder gesteuerter Niedergang durch die geordnete Einführung einer neuen Lösung (Fisch aus Fischfarmen) oder Zusammenbruch (man isst keinen Fisch mehr, weil es keinen mehr gibt – und entzieht den Fischern damit die Lebensgrundlage, wie nach 1992 in Neufundland geschehen). Die Grenzüberziehung kann nicht dauerhaft aufrechterhalten werden. Wenn man das versucht, werden sich sehr schnell unlösbare Probleme ergeben. Durch diese Probleme wird die Motivation, neue Lösungen zu identifizieren und umzusetzen, deutlich erhöht. Eine neue Lösung taucht aber nicht von heute auf morgen auf, sondern erst nach einer »Verzögerung bei der Lösung und Umsetzung«, die leicht zehn Jahre dauern kann. Selbst wenn man also beginnt, bevor die Grundlagen ganz verschwunden sind, geht man das Risiko ein, diese vollends zu verbrauchen, während man noch auf eine neue Lösung wartet. Das war die eigentliche Botschaft von Die Grenzen des Wachstums von 1972.
In den Jahrzehnten seit der Veröffentlichung lieferte die zögerliche Reaktion der Menschheit auf das Klimaproblem eine erstklassige Bestätigung dieser Botschaft. In den 1960er-Jahren3 wurde das Problem erstmals identifiziert, der Weltklimarat (Intergovernmental Panel of Climate Change – IPCC) wurde 1988 etabliert, um die Sicht der Wissenschaft beizusteuern,4 und 1997 wurde das Kyoto-Protokoll beschlossen.5 40 Jahre später haben wir aber immer noch keine Reduktion der jährlichen Treibhausgasemissionen erreicht. Die Menschheit verbleibt dauerhaft in einem Zustand der Grenzüberziehung (indem sie etwa doppelt so viel CO2 im Jahr ausstößt, wie die Wälder und Meere der Erde aufnehmen können), und wir können bereits erste Anzeichen der nahenden schrittweisen Zerstörung des Ökosystems erkennen, das eine ganze Reihe ökologischer Dienstleistungen liefert, auf die die Menschheit angewiesen ist. Auf einer Konferenz nach der anderen wird über gesteuerten Niedergang diskutiert, mit wenig Wirkung allerdings, was die Emissionen betrifft.
In den Szenarien der Grenzen des Wachstums stellten Grenzüberziehung und Zusammenbruch eine Zukunftsvariante dar, von der meine Kollegen und ich tatsächlich glaubten, es werde infolge einer neuen, weisen, vorausschauenden Politik gar nicht so weit kommen. War das Gefahrenpotenzial des endlosen Wachstums und der verzögerten Lösungen erst einmal verstanden, wäre rasches Handeln die Folge. Eine Warnung, die auf Vernunft und auf das beste verfügbare Datenmaterial gestützt war, würde, so dachten wir, die Aufmerksamkeit erhöhen, die Verzögerungen abkürzen und die trüben Zukunftsaussichten aufhellen.
Es gibt leider überhaupt keine Anzeichen dafür, dass die vergangenen 40 Jahre unseren jugendlichen Optimismus bestätigt hätten. Aber wenigstens definierten Die Grenzen des Wachstums das konzeptionelle Werkzeug für eine aufgeklärte Debatte – obwohl diese Debatte eigentlich gar nicht richtig stattgefunden hat.

Eine wohlbegründete Vermutung

In diesem Buch habe ich mir etwas ganz anderes vorgenommen. Mit der Hilfe und Unterstützung meiner neuen Freunde (»neu« in dem Sinn, als alle Mitautoren von 2052 – ausgenommen William W. Behrens – bei dem ersten Versuch vor 40 Jahren nicht dabei waren) will ich für das, was in den nächsten 40 Jahren geschehen könnte, eine Prognose zu erstellen versuchen. Dabei geht es einerseits darum, meine Neugier zu befriedigen, andererseits soll es aber auch ein Versuch sein, die Gesellschaft zum Handeln zu bewegen. Eine solche Prognose zu erstellen, ist eine entmutigend große Aufgabe und lässt sich nicht mit hoher Präzision erfüllen. Zwischen heute und 2052 kann so viel passieren, dass im wissenschaftlichen Sinn – das heißt, mit einem schmalen Unsicherheitsbereich – das Ergebnis nicht vorhersagbar ist. Es gibt zahlreiche mögliche Entwicklungen der Zukunft, von denen viele wahrscheinlich und die meisten unwahrscheinlich sind.
Deshalb kann ich keine wissenschaftliche Prognose erstellen – in dem Sinn, dass man verbindlich sagen kann, diese Prognose werde mit der größten Wahrscheinlichkeit Wirklichkeit werden. Glücklicherweise kann man aber eine Vermutung anstellen. Noch besser, man kann eine wohlbegründete Vermutung anstellen, die zumindest auf vorhandene Fakten aufgebaut und in sich stimmig sein, das heißt, keine Widersprüche enthalten sollte.
Dieses Buch hat meine wohlbegründete Vermutung zum Inhalt. Es ist keine »wissenschaftliche Wahrheit« – diese Art von Wahrheit gibt es in der Zukunftsforschung nicht. Es ist eine präzise Beurteilung, eine sachkundige Beurteilung. Ich persönlich bin sicher, dass ich recht habe, obwohl sich das nicht beweisen lässt. Man kann mir aber auch nicht nachweisen, dass ich im Unrecht bin, jedenfalls nicht bevor wir auf dem Weg zum Jahr 2052 ein ganzes Stück vorangekommen sind.
TEIL 1
HINTERGRUND

KAPITEL 1Sorgen um die Zukunft

Mein ganzes Erwachsenenleben habe ich mir um die Zukunft Sorgen gemacht. Nicht um meine persönliche Zukunft, sondern um die Zukunft der Welt – die Zukunft der Menschheit – auf ihrem kleinen Planeten Erde.
Jetzt, im Alter von 66 Jahren, erkenne ich, dass ich mir alle diese Sorgen umsonst gemacht habe. Nicht etwa, weil die Zukunft der Welt heute rosarot und problemfrei aussieht. Meine Sorgen waren vergeblich, weil sie über die letzten 40 Jahre, seit ich anfing, mir Sorgen zu machen, die globale Entwicklung nicht nennenswert beeinflusst haben.
Alles fing damit an, dass ich im Januar 1970 als Physik-Doktorand an das Massachusetts Institute of Technology (MIT) kam. Vorher hatte ich im kleinen, sicheren, egalitären Norwegen gelebt, abgeschirmt vor den globalen Entwicklungen, konzentriert auf die Geheimnisse der Festkörperphysik. Aufgrund einer komplizierten Abfolge von Ereignissen war ich bereits im Sommer 1970 durch meine wissenschaftliche Arbeit an der A. P. Sloan School of Management am MIT tief in ein Projekt involviert, aus dem der erste Bericht »Zur Lage der Menschheit« an den Club of Rome werden sollte. Unter dem Titel Die Grenzen des Wachstums beschrieb er verschiedene Szenarien zur Entwicklung der Welt bis 2100. Die Szenarien wurden auf der Basis von Simulationen mit einem Computermodell erstellt; das war damals mein neues Fachgebiet.
Innerhalb weniger Wochen war ich auf das Höchste alarmiert. Als Wissenschaftler hatten wir zu überlegen, was geschehen würde, wenn Weltbevölkerung und Weltwirtschaft sich für ungefähr weitere 100 Jahre in ähnlicher Weise entwickeln würden wie in jüngster Zeit. Man brauchte keine große Kompetenz in quantitativen Methoden, um zu erkennen, dass unser Planet dafür viel zu klein war und dass die Menschheit im Lauf von weiteren rund 50 Jahren auf ernsthafte Probleme zusteuerte – außer sie, die Menschheit, träfe eine bewusste und unkonventionelle Entscheidung, ihre Gewohnheiten grundsätzlich zu verändern.
Wir veröffentlichten Die Grenzen des Wachstums im Jahr 1972, zusammen mit unseren Empfehlungen, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um nachhaltigen Wohlstand auf unserem begrenzten Planeten zu befördern. Die 1970er- und 1980er-Jahre verbrachte ich in Sorge darüber, ob die Menschheit tatsächlich genügend Weisheit entwickeln werde, um unseren Ratschlägen zu folgen und ihre globalen Strategien und Verhaltensweisen zu ändern – rechtzeitig, wohlgemerkt. In unterschiedlichen Rollen verwandte ich einen großen Teil meiner Zeit und Energie darauf, die Leute davon zu überzeugen, dass ein Wandel viel besser wäre als das Befolgen alter Muster. Nach 1993 verabschiedete ich mich aus der akademischen Welt und verstärkte die Intensität meiner Bemühungen, indem ich für den WWF arbeitete – jene große, einflussreiche Naturschutzorganisation, die in den Vereinigten Staaten World Wildlife Fund genannt wird. Seit 2005 habe ich mich mehr auf die Eindämmung des Klimawandels konzentriert.
Aber ich habe nie aufgehört, mir um das Schicksal der Menschheit auf dem kleinen Planeten Erde Sorgen zu machen. Diese Besorgnis lässt sich über die letzten 20 Jahre an vielen Stellen in meinem Schreiben verfolgen.1
Gibt es Anlass zur Sorge? Ist die Zukunft, der die Welt entgegengeht, dergestalt, dass man sich wirklich Gedanken machen sollte? Wird die Zukunft besser sein als die Gegenwart? Oder vielleicht schlechter? Oder geht es hier einfach nur um die Marotten eines alten Mannes?
Das Buch, das Sie in der Hand halten, ist meine Antwort auf alle diese Fragen. 40 Jahre lang hatte ich mir um eine unklare Zukunft, von der ich nichts Genaues wusste, Sorgen gemacht; da befand ich für mich, meiner Not sei am besten mit dem Versuch abzuhelfen, die kommenden 40 Jahre so präzise wie möglich zu beschreiben. Ich wollte kein Bild einer idealen Welt – keine der vielen Gesellschaftsfantasien, denen die Idealisten nachrennen. Ich wollte ein Bild von genau der Zukunft, die die Menschheit in den 40 Jahren, die vor uns liegen, für sich gestalten wird, der Zukunft, die sich aus den menschlichen Entscheidungen, deren Qualität und Weisheit sehr gemischt sein werden, ergeben wird, der Zukunft, die am wahrscheinlichsten Wirklichkeit werden wird, der Zukunft, die irgendwann einmal in den Geschichtsbüchern stehen wird.
Kurzum, ich wollte eine Prognose des wahrscheinlichsten Fahrplans bis 2052, um zu wissen, was auf mich zukommt. Um zu wissen, ob ich tatsächlich Grund habe, mir wegen meiner Kinder Sorgen zu machen. Oder wegen der Armen in Afrika. Oder um vielleicht auch das machen zu können, was in der industrialisierten Welt offensichtlich alle Mitglieder der oberen Mittelschicht tun, nämlich mich zu entspannen und mit sorgenfreiem Gemüt zur gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen.
Zum Glück wird meine Prognose bezüglich der wahrscheinlichsten Zukunft der Welt auch noch in anderer Weise brauchbar sein.
Erstens wird die Prognose jeden Leser und jede Leserin in die Lage versetzen, seine oder ihre eigene Antwort auf die Frage zu finden, ob es Grund gibt, sich Sorgen zu machen. Diese Antwort kann anders ausfallen als die meine. Unterschiedliche Menschen ziehen aus dem gleichen Bild unterschiedliche Schlüsse.
Zweitens wird es die Neugier befriedigen. Nachdem ich mir nun schon so lange Sorgen um die Zukunft gemacht habe, möchte ich jetzt endlich wissen, wie sie tatsächlich aussieht. An meinem 50. Geburtstag war es mein größter Wunsch, im Jahr 2100 für eine Woche wieder von den Toten aufzuerstehen, um zu erfahren, was im 21. Jahrhundert alles passiert ist. Ich glaube, auch viele andere sind neugierig auf das, was vor uns liegt.
Drittens werden einige Leute die Prognose nutzen, um gewinnträchtig zu investieren.
Und viertens werden die gesellschaftlich stärker Engagierten mithilfe der Prognose klären, welche neuen Strategien, Gesetzgebungsverfahren und gesellschaftlichen Institutionen bei der Schaffung einer besseren Zukunft die größte Wirkung haben werden, damit sie wissen, wo sie am besten ansetzen können.
Andere werden wissen wollen, was die Zukunft bringt, um in den nächsten Jahrzehnten ihre Chancen auf ein besseres Leben zu steigern, indem sie zum Beispiel, solange es noch möglich ist, umziehen, in eine andere Stadt, ein anderes Land oder eine andere Region, oder indem sie ihren Beruf wechseln, bevor ihre Tätigkeit nicht mehr gefragt ist.
Schließlich werden sich manche Leute schon im Voraus auf die Welt der Zukunft einstellen wollen, auf künftige Hitzeperioden, den Anstieg des Meeresspiegels, Migrationsbewegungen, zentralistischere Regierungsformen und die Zerstörung attraktiver Touristenziele.
Es gibt viele Beweggründe und alle sind berechtigt. Was uns eint, ist der Wunsch zu wissen, wie sich die Welt in den nächsten 40 Jahren entwickeln wird.

Warum jetzt?

Vor etwa zehn Jahren kam ich, nach wie vor zutiefst besorgt, immer mehr zu der Überzeugung, die Menschheit werde in der Konfrontation mit großen, aber doch weitgehend lösbaren Problemen der Situation nicht gewachsen sein. Ich war allmählich bereit zu glauben, dass der Wandel nicht stattfinden würde – auf jeden Fall nicht rechtzeitig. Was natürlich nicht heißt, dass die Welt untergehen wird. Es heißt aber sehr wohl, dass die Zukunft weltweit weniger rosig aussehen wird, als es möglich gewesen wäre. Irgendwie war mir diese Erkenntnis eine Hilfe in meiner Not. Ich begann den Verlust zu akzeptieren.
Mit diesem Umdenken war allerdings noch keineswegs Schluss mit meinen Sorgen, es verschob sich nur der Fokus. Jetzt überlegte ich, wie schlimm die Lage werden müsste, bis sich die Menschheit endlich entschließen würde, ihre Gewohnheiten zu ändern. Dieser Gemütszustand wäre vermutlich angenehmer gewesen, hätte ich die Möglichkeit gehabt, öffentlich darüber zu sprechen. Ich wagte aber nicht, mein Umdenken öffentlich zu machen. Zusammen mit der kleinen Gruppe von Menschen, die sich mit mir zusammen Sorgen machten – der Avantgarde der weltweiten Nachhaltigkeitsbewegung – war ich besorgt, es könnte demotivierend wirken, würden wir zugeben, dass die Reaktion der Menschheit der Situation nicht angemessen war. Ich war besorgt, dass dann auch die kleinen, doch immerhin in Gang gekommenen Bemühungen zur Besserung unserer menschlichen Verhaltensweisen auf Null zurückgefahren würden. Würde ich meine Sorgen mitteilen, und sei es auch noch so behutsam, könnte das Rufe auslösen wie »Das Spiel ist aus!« oder »Das Spiel ist verloren!«, was dann wiederum die Wirkung einer selbsterfüllenden Prophezeiung haben könnte. Die wenigen, die mit großem Einsatz für nachhaltige Entwicklung arbeiteten, könnten sich versucht sehen, das Handtuch zu werfen.
Deshalb machte ich mir meine Sorgen hinter verschlossenen Türen und musste gleichzeitig mitansehen, wie die Treibhausgase ständig anstiegen, die weltweite multilaterale Umweltpolitik immer schlechter funktionierte, die Zerstörung der Korallenriffe weiter voranschritt und die verbleibenden Urwälder immer mehr dahinschwanden. Ich liebe Urwälder – diese ruhigen, zeitlosen Arteninventare, die dem Betrachter das Ergebnis von Hunderten Millionen von Jahren biologischer Evolution präsentieren.
Überraschenderweise erwiesen sich die Urwälder als meine Retter. Eines Tages erwähnte ich gegenüber einer Freundin, einer Psychologin, dass ich körperlichen Schmerz verspürte beim Anblick der Forstmaschinen, mit denen die Holzfäller an einem Tag zerstörten, was die Natur allenfalls im Lauf von Jahrhunderten wiedergutmachen konnte – wenn überhaupt. In ruhigem, professionellem Ton legte sie mir nahe, ich solle lernen, mit dem Verlust zu leben. In Worte zu fassen und zu akzeptieren, dass dieser oder jener spezielle Wald verloren war – endgültig, ohne die Möglichkeit einer Wiederauferstehung. Den Schmerz aktiv bearbeiten, wie man das auch nach dem Verlust der Mutter oder eines guten Freundes tun sollte. Die Tatsache akzeptieren, dass dieser Urwald verschwunden war und dass weitere folgen würden. Der Zukunft ins Auge sehen und sie annehmen. Sich an die Tatsachen gewöhnen. Aufhören, sich Sorgen zu machen.
Ich brauchte lange, um diesen weisen Rat zu akzeptieren. Im Lauf der Jahre hat er aber doch etwas bewirkt. Heute bin ich richtig glücklich, wenn ich ein verbleibendes Stückchen ungestörten Urwald sehe, mitten in einem Meer von kahlgeschlagenem Land. Ganz gleich wie klein es ist, es ist weit besser als nichts. Früher hätte ich meine Aufmerksamkeit auf die unordentliche kahlgeschlagene Umgebung konzentriert und wäre traurig gewesen, weil mir dabei eingefallen wäre, wie noch vor kurzem ein guter Teil der nördlichen Halbkugel von friedvollen, tiefen und ungestörten Wäldern, gemäßigten wie borealen, bedeckt gewesen war. In Michigan liegt dies weniger als 100 Jahre zurück; in Russland weniger als 50! Und beim Gedanken daran, wie schnell der Rest verschwunden sein würde, wäre ich sogar noch trauriger geworden.
Analog hierzu glaube ich, es wird eine beruhigende Wirkung haben, sich mit der Welt vertraut zu machen, die in der Zukunft unsere Heimat sein wird, anstatt von der Welt zu träumen, die es hätte geben können. Eine genaue Beschreibung davon zu erhalten, wie die Zukunft höchstwahrscheinlich aussehen wird, das ist der erste Schritt hin zu seelischem Frieden. Dann gilt es, diese Tatsache zu akzeptieren. Und schließlich aufzuhören, sich Sorgen zu machen.

Ist eine Prognose möglich?

Aber kann das überhaupt geleistet werden? Ist es möglich, eine Prognose zu den globalen Entwicklungen über einen Zeitraum von 40 Jahren zu erstellen? Auf jeden Fall ist es möglich, Vermutungen zu äußern, so wie man Vermutungen darüber äußern kann, wer die Fußballeuropameisterschaft im Jahr 2016 gewinnen wird. Vermutungen anzustellen ist leicht – das kann man machen, ohne irgendeine Ahnung vom Thema zu haben. Die Möglichkeit besteht, dass die Vermutung stimmt. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht stimmt, ist deutlich größer, wie das beim Glücksspiel immer so ist.
Im üblichen Sinn des Wortes ist die »Erstellung einer Prognose« eine ehrgeizige Angelegenheit. Von einer Prognose wird erwartet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie stimmt, höher ist als die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht stimmt – im Idealfall erheblich höher. Die Leute wissen, dass es von großem Vorteil ist, ein System genau zu kennen, bevor man sich anschickt, dessen Weg in die Zukunft vorherzusagen. Wenn rational handelnde Spieler sich auf eine Prognose stützen wollen, bevorzugen sie normalerweise eine wohlbegründete Prognose gegenüber unbegründeten Vermutungen. Vermutungen anstellen, das ist eine Sache für die weniger informierten Leute.
Meine Freunde – die Fachleute, aber auch die anderen – weisen mich unermüdlich darauf hin, dass eine Vorhersage über die Zukunft der Welt bis 2052 gar nicht möglich ist. Und zwar nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theorie. Selbstverständlich haben sie recht. Ich selber bin der erste, der dies akzeptiert, nachdem ich ein Leben lang nichtlineare dynamische Simulationsmodelle zu sozioökonomischen Systemen erstellt habe. Meine Kritiker müssen sich aber präziser ausdrücken. Sie haben in dem Sinn recht, als man unmöglich einzelne Ereignisse in der Zukunft vorhersagen kann, selbst wenn man mit dem System gründlich vertraut ist. Frischluftfanatiker machen diese Erfahrung häufig, wenn man an die Unzuverlässigkeit von Wettervorhersagen über eine längere Zeit als fünf Tage denkt. Die Kritiker haben aber nicht recht, wenn es um die Vorhersage genereller Entwicklungen geht. Rein technisch gesehen ist es in der Tat möglich, über Trends und Tendenzen Aussagen zu treffen, die in stabilen kausalen Rückkopplungsstrukturen innerhalb des globalen Systems verankert sind.
Die Prognose in diesem Buch ist von einer solchen generellen Natur. Sie ist eine auf Informationen gegründete Vermutung, die in groben Zügen das nachzeichnet, was ich als die wahrscheinliche globale Entwicklung bis 2052 ansehe. Ich werde in meiner Argumentation durchaus auf Zahlen zurückgreifen, aber immer ausdrücklich nur als Beispiel. Die verlässlichsten Seiten meiner Prognose sind die allgemeinen Trends und Tendenzen.
Ist das aber nicht ein Prozess, der den freien Willen des Menschen missachtet? Könnten die Menschen nicht im Jahr 2033 plötzlich eine Entscheidung treffen, die das System komplett aus der in der Prognose vorgezeichneten Bahn wirft? Natürlich könnte das passieren. Meine Position – die von vielen Kollegen in den Sozialwissenschaften geteilt wird – ist die, dass solche Entscheidungen aus heiterem Himmel extrem unwahrscheinlich sind. Alle Entscheidungen werden innerhalb eines Kontexts getroffen und der Kontext hat einen starken Einfluss auf die jeweilige Entscheidung. Man könnte versucht sein zu sagen, dass Entscheidungen, zumindest die größeren, durch den Kontext bestimmt werden – so wie Marx das gesehen hat. Ja, zugegeben, es kann sein, dass Entscheidungen ein Jahr früher oder auch drei Jahre später zustande kommen, falls die richtige Führungspersönlichkeit zur richtigen Zeit auftaucht. Und ja, sie ergeben sich vielleicht eher aus Internetkampagnen als in Form eines Parlamentsbeschlusses. Details sind schwer vorherzusagen, mit der Prognose des Gesamtbildes ist es einfacher. Man kann leichter feststellen, dass der nächste Winter kälter wird als dieser Sommer, als zu wissen, ob es nächste Woche wärmer oder kälter sein wird als heute.
Nehmen wir ein einfaches, aber sehr wesentliches Beispiel menschlicher Entscheidungsfindung, nämlich die Entscheidung für ein weiteres Kind. Dazu gibt es die eine Sichtweise, nämlich, dass dies ein herausragendes Beispiel für das Wirken des unvorhersagbaren und freien Willens ist, dass die Entscheidung für ein weiteres Kind ganz spontan getroffen wird, und dass der Erfolg von den Bedingungen am Ort und zum Zeitpunkt der Empfängnis bestimmt wird. Eine andere Sichtweise geht von der Beobachtung aus, dass Frauen im Schnitt weniger Kinder haben, wenn sie dem urbanen, gebildeten Milieu der unteren Mittelschicht angehören, als wenn sie auf dem Land leben, ungebildet und arm sind. Ich gebe also zu, dass es unmöglich ist, vorherzusagen, ob meine Tochter genau ein Kind haben wird. Es ist aber sehr wohl möglich zu prognostizieren, dass mit der Industrialisierung eines Landes die Zahl der Kinder pro Mutter abnehmen wird. Das ist der Unterschied zwischen Einzelfallvorhersage und Trendprognose.
Auf den folgenden Seiten werden wir die generellen Trends untersuchen, die unser Leben und das Leben unserer Kinder bestimmen werden. Ab und zu wird man auch ein zukünftiges Einzelereignis finden, das man sich in etwa so wie beschrieben vorstellen könnte; dies dient aber nur der Anschaulichkeit. Es ist einfacher, sich auf die Zukunft vorzubereiten, wenn man sie sich zunächst einmal im Kopf vorstellt.
Meine Prognose schließt den freien Willen nicht aus; sie gründet vielmehr auf der Überzeugung, dass die menschlichen Entscheidungen von den Bedingungen, unter denen sie getroffen werden, beeinflusst sind. Kleinere Familien sind das Ergebnis eines höheren Bildungsstandards. Soziale Unruhen nehmen zu, wenn die Einkommen ungleich verteilt sind. Wenn es Gründe gibt für die Annahme, dass die Bedingungen sich in einer gewissen Weise entwickeln, kann man sinnvollerweise auch die sich daraus ergebenden Entscheidungen prognostizieren.

Warum 40 Jahre?

Warum nicht zehn oder hundert?2 Die Antwort auf diese Frage ist eine persönliche und wenig aufregend. Im Jahr 2012 ist es 40 Jahre her, dass das Buch Die Grenzen des Wachstums publiziert wurde, in dem es darum ging, wie die Menschheit in den nächsten 100 Jahren das Leben auf einem begrenzten Planeten bewältigen könnte. Heute wissen wir, was in den ersten 40 Jahren getan wurde – und was nicht. Wir sind gut informiert über die Gründe hinter den in diesen Jahrzehnten getroffenen Entscheidungen. Und wir haben einen ziemlich guten Einblick in die Zwänge, die uns an verschiedenen Fronten in Untätigkeit blockiert halten. Wir haben erfahren, wie schnell es gehen kann, bestimmte lösbare Probleme durch Technik zu lösen, und wie langsam die Menschheit bei weniger leicht zu lösenden Problemen vorankommt. Da wir über die ersten 40 Jahre so viel wissen, scheint es sinnvoll, aus ebendiesen 40 Jahren gewisse Lehren zu ziehen und die nächsten 40 Jahre in den Blick zu nehmen. Wenn man ein dynamisches Phänomen untersucht, sollte man zu Beginn genauso weit zurückschauen, wie man nach vorne zu schauen plant. Wenn man etwas zum Bevölkerungszuwachs zwischen 2012 und 2052 sagen will, ist es hilfreich, die Bevölkerungszahlen von 1972 bis 2012 zu kennen.
Meine Prognose für die nächsten 40 Jahre ist also eine wohlbegründete Vermutung in Bezug auf das, was geschehen wird; es ist keine Szenarioanalyse und ganz sicher keine Beschreibung dessen, was geschehen sollte. Letzteres wurde einfach schon zu oft gemacht. Die Weltgesellschaft weiß sehr genau, was zu tun ist, um eine bessere Welt für unsere Kinder zu schaffen. Wir müssen die Armut beseitigen und uns der Herausforderung des Klimawandels stellen. Wir wissen, dass dies mit technischen Mitteln und zu vergleichsweise niedrigen Kosten erreicht werden kann. Leider kann ich mir aber nicht vorstellen, dass man es umsetzen wird. Die Menschheit wird, genau wie ich befürchtet habe, sich der Situation nicht gewachsen zeigen, jedenfalls nicht so schnell, dass unnötiger Schaden vermieden werden könnte. Dafür wird schon allein die komplexe und zeitraubende Entscheidungsfindung demokratischer Nationalstaaten sorgen.
Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen werden bei dieser Entwicklung unterschiedlich abschneiden. Dem armen Bauern im ländlichen China des Jahres 2012 steht eine erheblich angenehmere Reise ins Jahr 2052 bevor als dem Angehörigen der oberen Mittelschicht in der postindustriellen Welt, der viele seiner Privilegien verlieren wird.

Grundlagen für eine wohlbegründete Vermutung

Wie geht man also vor, wenn man so ein Bild der wahrscheinlichsten Zukunft der Welt bis 2052 malen will? Das Thema ist nicht nur groß, sondern auch umfassend, tiefgründig und hat viele Facetten. Es gibt nicht die eine Wirklichkeit, es gibt viele parallele Wirklichkeiten. Kein Bild kann vollständig sein; jedes Bild kann nur eine Auswahl sein aus der wunderbar reichen Wirklichkeit, in der sich das menschliche Leben abspielt. Und dann gibt es da noch die Dynamik. Die Evolution ist keine gerade Linie von einem gegenwärtigen Gleichgewichtszustand zum nächsten. Während sich das System zu einem neuen Gleichgewichtszustand hin entwickelt, verlagert sich das Gleichgewicht selbst als Folge veränderter Bedingungen. So kann von einem Punkt zum andern der Entwicklungspfad jede beliebige Form annehmen: eine einfache Kurve, eine Sinuskurve, eine Spirale und vieles mehr. Es ist die klassische Trias »These, Antithese, Synthese«, die sich zur gleichen Zeit parallel in multiplen Dimensionen entwickelt.
Ich tat also Folgendes: Ich versuchte, dem Reichtum an Möglichkeiten Genüge zu tun, indem ich die Fachkenntnis einer Reihe von Kollegen heranzog. Ich versuchte, die Dynamik in den Griff zu bekommen, indem ich meinen alten Freund, das dynamische Simulationsmodell, zum Einsatz brachte. Und ich versuchte, mir den Blick frei zu halten, indem ich neue Paradigmen einer Prüfung unterzog – und so gezielt vermied, in dem derzeit gültigen Paradigma aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stecken zu bleiben, das man etwa folgendermaßen formulieren könnte: »Glück, zu erreichen über den Weg ständigen Wirtschaftswachstums, das auf fossilen Brennstoffen gegründet ist«. Wir wollen die Punkte nacheinander durchgehen.

Reiche Möglichkeiten für die globale Zukunft

Um Tunnelblick und Kurzsichtigkeit meinerseits zu vermeiden und die offensichtlichen Grenzen meines Wissens bezüglich der meisten Aspekte der Welt zu überwinden, bat ich einige meiner Freunde und Kollegen – unabhängige Denker und Autoren –, mir mitzuteilen, was ihrer Meinung nach mit absoluter Sicherheit noch vor 2052 geschehen würde. Die meisten nahmen die Herausforderung mit Begeisterung an, auch dann noch, als sie gesagt bekamen, dass sich ihr »Ausblick in die Zukunft« auf 1.500 Wörter beschränken musste und sich innerhalb eines Feldes bewegen sollte, in dem sie sich gut auskannten. In diesem Buch finden sich fast 35 solcher Ausblicke – vollständig oder als Auszug.
In diesen Ausblicken kann man lesen, was gut ausgebildete Leute aus der ganzen Welt sagen, wenn man sie zu etwas zwingt, was sie eigentlich nicht mögen, nämlich eine Voraussage zu treffen – ohne all die Absicherungen und Vorbehalte, wie sie im wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben üblich sind. In der Summe ergeben die Ausblicke eine mehrdimensionale Skizze von der Welt der Zukunft. Die Sammlung ist breit angelegt, aber es haben sich doch einige gemeinsame Themen herausgeschält, die in meine Prognose aufgenommen wurden.
Des Weiteren waren die Ausblicke überraschend frei von Widersprüchen. Das ist in der Tat überraschend und könnte bedeuten, dass »unabhängige Denker und Autoren« am Ende doch alle in etwa bei dem gleichen Bild landen, wenn sie nach vorne schauen und ganz ehrlich ihre Sicht beschreiben müssen – und nicht die Konsequenzen dessen, was sie sagen, zu bedenken haben.

Die Dynamik

Viele globale Prognosen sind in sich nicht schlüssig. Das heißt, dass ein Teil der Prognose einem anderen widerspricht. Ich will das an einem einfachen Beispiel erläutern. Konventionelle Prognosen beschreiben oft in leuchtenden Farben, wie die Gesamtproduktion (das Bruttoinlandsprodukt – BIP) mit hoher Geschwindigkeit über die nächsten Dekaden wachsen wird. Eine der zentralen Annahmen hinter einer solchen Prognose ist normalerweise eine bestimmte Bevölkerungsentwicklung, die man von nationalen Statistikämtern oder von den Vereinten Nationen erhalten hat. Wenn man diese Annahme beibehält, wird die Prognose wahrscheinlich falsch, ganz einfach deshalb, weil sie die starke Auswirkung höherer Einkommen auf die Geburtenrate nicht eingerechnet hat. Wenn die Menschen reicher werden, haben sie weniger Kinder. Das Bevölkerungswachstum wird sich verlangsamen, wenn das BIP steigt. Deshalb wird eine Prognose, die die zukünftige Bevölkerungsentwicklung nicht entsprechend nach unten berichtigt, falsch sein. Eine so erstellte Prognose wird die Tendenz haben, die zukünftige Geburtenrate zu hoch anzusetzen, die zukünftige Bevölkerung zu überschätzen und das BIP pro Kopf zu unterschätzen. Das zukünftige Pro-Kopf-Einkommen wird sich als höher herausstellen als in der ursprünglichen Prognose. Der Fehler bezieht sich dann nicht nur auf den Endzustand. Er führt zu irreführender Dynamik – die Beschreibung des Entwicklungspfades wird ebenfalls fehlerhaft sein. Ein weiteres Beispiel wären Annahmen zum Tempo der technischen Entwicklung im Lauf der kommenden Jahrzehnte. Diese Annahmen könnten zu Widersprüchen führen, wenn die Prognose auf rasches Wirtschaftswachstum hindeutet. Eine größere Wirtschaft wird sich mehr Forschung leisten und eine schnellere technische Entwicklung erleben.
Um Unstimmigkeiten dieser Art zu vermeiden und um sicherzustellen, dass meine Prognose tatsächlich logisch aus den getroffenen Annahmen folgt, verwende ich zur Überprüfung meiner Ergebnisse eine Reihe dynamischer Tabellenkalkulationen. Diese Tabellenkalkulationen sind (zumindest näherungsweise) deterministische Gleichungssysteme, die die Welt mit einem Differenzialgleichungssystem beschreiben. In diesen Modellen entwickelt sich die Situation im Zeitablauf, vom Anfangszustand ausgehend, auf eine logisch stimmige Art und Weise, durch die Wirkung der kausalen Beziehungen, die sich in den die Modelle steuernden Gleichungen widerspiegeln. Das quantitative Rückgrat meiner Prognose ist ohne Weiteres in den Tabellen auf der 2052-Internetseite (www.2052.info) verfügbar. Die Tabellenkalkulationen sind nicht vollständig dynamisch, deshalb habe ich (allerdings nur in begrenztem Maß) zwei globale Computermodelle benutzt, um sicherzustellen, dass wichtige Rückkopplungseffekte nicht aus meiner Prognose herausfallen.
Wenn Sie die letzten vier Sätze nicht verstanden haben, machen Sie sich keine Sorgen. Sie richten sich an die Computer- und Mathematik-Fans, die verstehen, was damit gemeint ist. Worauf es ankommt, ist Folgendes: Ich bin mir der Gefahr interner Unstimmigkeiten bei einer als Text formulierten Prognose wohl bewusst und habe bei dem Versuch, solche Unstimmigkeiten zu reduzieren, Tabellenkalkulationen und Computermodelle des globalen Systems benutzt.
Ich habe mich zudem auf eine beeindruckende Sammlung von statistischen Zeitreihen gestützt, um nicht versehentlich von gängigen Traditionen und Verhaltensweisen abzuweichen – die sich selbstverständlich in historischen Daten spiegeln. Die Daten sind ebenfalls in den Tabellen auf der Internetseite des Buches zu finden.

Das Paradigma

All dies bringt uns zu meinem dritten Helfer – einer bewussten Haltung gegenüber der eigenen Paradigmenwahl. Ein Paradigma ist eine Weltsicht. Es gibt viele verschiedene Weltsichten. Der Marxismus zum Beispiel ist so eine Weltsicht, eine andere ist der religiöse Konservativismus. Keine hat recht. Unterschiedliche Paradigmen heben einfach nur unterschiedliche Aspekte der Realität heraus. Ein Paradigma ist auch eine Vereinfachung, die einem hilft, das Rauschen von bedeutsamen Trends zu unterscheiden (definiert selbstverständlich durch das jeweils eigene Paradigma). Es ist allerdings äußerst wichtig zu erkennen, dass das selbstgewählte Paradigma – das normalerweise unausgesprochen bleibt und selten beschrieben wird – eine erstaunlich starke Wirkung hat auf das, was man wahrnimmt. Nehmen wir ein Beispiel. Das Paradigma der konventionellen Makroökonomie geht von der Annahme aus, die Märkte der Welt befänden sich im Gleichgewicht. Deshalb sehen die meisten Ökonomen, wenn sie die Zeitung lesen oder die Straße hinuntergehen, eine Welt im Gleichgewicht. Die Gegner dieses Paradigmas, zum Beispiel die systemdynamische Schule, der ich angehöre, gehen davon aus, dass sich die Welt nicht im Gleichgewicht befindet. In unseren Augen schlingert die Welt von einer Drehung zur nächsten auf einer immerwährenden Suche nach dem nächsten Gleichgewichtszustand, der selbst immer in Bewegung ist.
Man muss sich, darauf kommt es an, der Tatsache bewusst sein, dass man sein eigenes Paradigma hat, eine unausgesprochene Auswahl an Meinungen und Deutungen, die einem helfen, sein eigenes Leben zu führen. Im Idealfall sollte man in der Lage sein, je nachdem, welches Problem ansteht, vom einen Paradigma zum andern zu wechseln. Doch das können die meisten Menschen nicht.
Die heutige westliche Welt hat ein dominierendes Paradigma. Es enthält Grundüberzeugungen wie zum Beispiel »die Effizienz marktbasierter Ökonomien«, »die Fähigkeit der demokratischen Regierungsform zur Selbstkorrektur«, »die Vorzüge stetigen, auf fossilen Brennstoffen basierten Wirtschaftswachstums« und »zunehmender Wohlstand durch freien Handel und Globalisierung«. Beim Versuch, Klarheit über die nächsten 40 Jahre zu gewinnen, ist unbedingt die Möglichkeit eines Wandels im vorherrschenden Paradigma einzubeziehen. Auf jeden Fall sollte man sich nicht auf Analysen einengen lassen, die die Welt nur durch eine einzige Brille sehen, nämlich durch das vorherrschende Paradigma.
Ja, Vereinfachung ist wichtig, wenn man in der heutigen Welt ein glückliches Leben haben will. Wenn man aber 40 Jahre vorausschaut, kommt es darauf an, die richtige Vereinfachung zu wählen. Und man wäre vielleicht eher auf der sicheren Seite, wenn man mehrere davon ausprobiert; dann würde man, so ist zu hoffen, weniger Kinder mit dem Bade ausschütten.

Volldampf voraus, aber den Seelenfrieden wahren

Es ist mir wichtig, am Schluss noch zu betonen, dass dieses Buch auch mit dem Ziel geschrieben wurde, zum Handeln zu ermutigen. Wie bereits gesagt, schreibt man Bücher wie dieses normalerweise gar nicht, weil Autoren, die Verantwortung für die Gesellschaft empfinden, zu Recht in Sorge sind, ihre Arbeit könnte die Motivation zerstören und gegenwärtiges wie zukünftiges Handeln zur Verbesserung der Lage lähmen. Ich stimme dieser allgemeinen Ansicht zu, bin aber trotzdem das Risiko eingegangen, das, was uns bevorsteht, zu beschreiben. Hoffentlich hat meine Prognose die Wirkung eines Gegners, der von außen kommt, und spornt die Menschheit – oder wenigstens einige wenige engagierte Menschen – zum Handeln an. So könnte meine Prognose anstelle der globalen Umweltkatastrophe stehen, die offenbar nicht so plötzlich kommt, wie es nötig wäre, um breite Unterstützung für politisches Handeln auszulösen.
Darf ich an meine endlosen Sorgen erinnern? Und an den Rat der Psychologin, den Schmerz offen zu zeigen und am Ende den Verlust meiner geliebten Urwälder zu akzeptieren? Anstatt mir diffuse Sorgen zu machen, was der Menschheit in den nächsten 40 Jahren alles bevorstehen könnte, verfüge ich nun (mit diesem Buch) über eine Beschreibung dessen, was ich selbst für die wahrscheinlichste Zukunft halte. Ich habe diese Zukunft kennengelernt, Trauer empfunden über das unnötige Leiden, das damit einhergeht, und endlich meinen Frieden damit gemacht, dass eine weltweite Chance vertan wurde. Ich quäle mich weniger. Die Zukunft ist, wie sie ist. Wann immer ich jetzt ein kleines Anzeichen für wachsende Nachhaltigkeit sehe – oder genauer: ein kleines Anzeichen für reduzierte Nicht-Nachhaltigkeit – dann empfinde ich echte Freude anstelle von allgemeiner Trauer über eine Welt, wie sie hätte sein können.

KAPITEL 2Fünf große Fragen im Blick auf 2052

Wie also wird die Zukunft aussehen?
Das einfachste wäre, jemand zu fragen, der Bescheid weiß. Will man aber eine verlässliche Prognose zur Zukunft der Welt in den kommenden 40 Jahren haben, dann wird es schwierig – es gibt nämlich keinen, der hier wirklich Bescheid weiß. Es gibt auch kaum jemand, der so tut, als wüsste er Bescheid. Wenn man obendrein noch darauf besteht, dass das Szenario vollständig und in sich stimmig sein soll, dann fällt mir jedenfalls niemand ein, an den man sich wenden könnte. Rezepte zu finden, wie sich die Welt entwickeln sollte, das ist relativ einfach – so etwa im Bericht Vision 2050 des Weltwirtschaftsrats für Nachhaltige Entwicklung (World Business Council for Sustainable Development – WBCSD), der genau darlegt, was zu tun ist, damit wir 2050 eine nachhaltige Welt bekommen.1 Für die tatsächliche Entwicklung auf globaler Ebene aber kenne ich keine durchdachte Prognose bis zum Jahr 2052.
Es gab eine Zeit, da arbeiteten Forschungsgruppen an breit angelegten Computermodellen der globalen Entwicklung, mit dem Ziel, schlüssige Szenarien zur langfristigen Zukunft zu entwickeln. Das war aber ein kurzlebiger Trend, der seinen Höhepunkt in den 1970er- und 1980er-Jahren hatte und dann verschwand.2 Heute sind globale Langzeitszenarien überwiegend auf Makroökonomie und Energie beschränkt, wobei man normalerweise nicht über den Zeithorizont 2030 hinausgeht und wichtige Variablen (wie Wachstum bei Bevölkerung und Produktivität) exogen bleiben. Natürlich gibt es zu bestimmten Zwecken globale Klimamodelle mit viel größeren Zeithorizonten; diese beziehen aber sozioökonomische Variablen nicht mit ein. Sektorale Perspektiven auf die globale Entwicklung sind also das beste verfügbare Angebot. Das vollständige Bild gibt es nicht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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